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Nyamuragyra

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Mit 4 Bildern ( 97-100 ) und 2 ZeichnungenVon C. A. W. Guggisberg

( Nairobi ) Im Jahre 1950 unternahmen meine Frau und ich eine « Safari » quer durch Uganda, die vor allem der Kamerajagd auf Elefanten, Büffel und Flusspferde gewidmet war. Doch wollten wir uns die Gelegenheit nicht entgehen lassen, dem Vulkangebiet nördlich des Kivusees einen Besuch abzustatten und, wenn möglich, einen der tätigen Krater näher zu besichtigen.

So rollte denn eines Morgens unser alter Ford von Kabale, dem hübsch gelegenen Hauptort des Berglandes Kigezi, auf einer sehr guten Strasse der Kongogrenze zu. Wie Schwalbennester klebten die kleinen Eingeborenendörfer an den steilen Hügeln, deren Hänge von der Talsohle bis weit hinauf sorgfältig terrassiert sind. In ganz Ostafrika habe ich nirgends so gute und fleissige Ackerbauern gesehen wie im abgelegenen Kigezi 1 Wir kamen an einem Arme des Bunyonisees vorbei, den man sehr wohl den afrikanischen Vierwaldstätter See nennen kann. Und dann begann die Strasse in weit ausholenden Kurven scharf anzusteigen. Immer wieder öffneten sich Ausblicke auf den malerischen See, bis wir bei 2500 m in einen Bambuswald gelangten, der in gewaltiger Ausdehnung die Kämme des zwischen Uganda und dem Kongo liegenden Gebirges bedeckt. Unbewohnt, selten betreten, bildet diese düstere Wildnis einen idealen Aufenthaltsort für Elefanten, und man soll nicht selten einige dieser Dickhäuter von der Strasse aus zu Gesicht bekommen. Plötzlich lichtete es sich vor uns. Wir hatten eine Passlücke im höchsten Kamme erreicht — das musste die berühmte Kanaba-Scharte sein.

Mit einem Ausruf des Entzückens hielten wir den Wagen an. Das Panorama, das sich unseren Augen darbot, wäre allein die lange Fahrt wert gewesen! In steilem Abstürze fällt der Grund vor uns in die Tiefe, hinab zu einer Ebene, aus der drei majestätische Bergkolosse zum Himmel streben: uns am nächsten der stolze Kegel des Muhavura ( 4112 m ), an seine Flanke gelehnt der Mgahinga ( 3487 m ), und etwas weiter weg der wild zerspaltene Sabinio ( 3654 m ). Die drei Vulkane sind umgeben von einem phantastischen Chaos niedriger Kegel, Beulen und Kämme, aus dem der Spiegel des Bolero-sees blinkt.

Das nach Kisoro hinunter führende Teilstück der Strasse kann den Vergleich mit unseren kühnsten Alpenstrassen aushalten. Kurz nach Kisoro passierten wir die Kongogrenze, und einige Stunden später hielt unser Wagen in Rumangabo vor dem Hause Major van Coels, Administrateur en chef des Parc National Albert. Das Bergland von Kigezi lag weit hinter uns, und von dem kleinen Hügel, auf dem das Haus des Administrateurs steht, schauten wir über die Sohle des gigantischen zentralafrikanischen Graben-tales. Nach Norden verlor sich der Blick im Dunste, der über der langsam sich zum Edwardsee absenkenden Ebene flimmerte; im Westen lag die dunkle, geschlossene Mauer des Grabenrandes; doch wir hatten nur Augen für das, was im Süden zu sehen war. Denn dort türmte sich ein Berg empor, bei dessen Anblick ich ausrief: « Das Matterhorn 1 » Es ist der Mikeno ( 4380 m ), der mit seiner Masse sowohl den Visoke ( 3600 m ) wie den Karisimbi ( 4506 m ) verdeckt. Westlich schliesst sich dem kühnen Zahne des Mikeno der Nyiragongo ( 3469 m ) an, ein abgestumpfter, von einer mächtigen Dampfwolke gekrönter Kegel, der wiederum von dem puddingförmigen Nyamuragira oder Namlagira ( 3052 m ) flankiert wird.

Achtzig Kilometer weit erstreckt sich die Kette der Mufumbiro-Vulkane ( von manchen Autoren Virunga- oder Kirunga-Vulkane genannt ) vom Muhavura bis zum Nyamuragira in ost-westlicher Richtung quer durch den Zentralafrikanischen Graben. Der Karisimbi, der Mikeno, der Visoke, der Sabinjo und der Mgahinga sind längst erloschen. Auf den Flanken des Muhavura lassen sich verhältnismässig junge Lavaströme feststellen, und es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Berg eines Tages wieder erwacht. Die beiden westlichsten Vulkane, der Nyiragongo und der Nyamuragira, sind noch tätig. Die Vulkane wurden im Jahre 1861 erstmals von einem Europäer gesichtet, und zwar von dem Forschungsreisenden John Hanning Speke, dem Entdecker des Viktoriasees, der von Karagwe aus die hohen Kegel über den Horizont ragen sah. Erst 1894 gelang es Graf Goetzen, bis zu den Bergen vorzudringen und den Nyiragongo zu besteigen. Mit der fortschreitenden Erschliessung Zentralafrikas wurde die Mufumbirokette mehrfach zum Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen durch deutsche, englische, schwedische und amerikanische Expeditionen, und heute sind es namentlich die Belgier, die in vorbildlicher Weise die eingehende Erforschung des nun dem Parc National Albert angehörenden Gebietes weiterführen.

Da unsere Zeit nur für eine Besteigung ausreichte, kam natürlich bloss einer der beiden tätigen Vulkane in Frage. Auf Grund der uns in Nairobi zur Verfügung stehenden Informationen hatten wir uns schon weitgehend für den Nyamuragira entschieden, und Major van Coels bestärkte uns in unserer Wahl. Zwar stiess der Nyiragongo andauernd Dampfwolken aus, und des Nachts glühte über seinem Schlot ein roter Schein, während auf dem Nyamuragira aus der Ferne kein Zeichen von Aktivität wahrzunehmen war. Der Major bestätigte uns jedoch, dass es ganz unmöglich sei, in den Krater des Nyiragongo abzusteigen, wenn man nicht die zu einer schwierigen Kletterfahrt nötige Ausrüstung mitführe, und es schien uns, dass es sich kaum lohne, die beschwerliche Besteigung auszuführen, nur um aus der Nähe in die wirbelnden Dampfwolken zu starren. Der Krater des Nyamuragira dagegen war leicht zugänglich, und er bot, wie uns van Coels versicherte, des Interessanten genug, um einen Besuch voll und ganz zu rechtfertigen. So verabredeten wir denn mit dem liebenswürdigen und äusserst hilfsbereiten Administrateur des Nationalparkes, dass am Morgen des übernächsten Tages ein Führer und einige Träger uns erwarten sollten.

Den folgenden Tag benutzten wir zu einem Ausfluge an den Kivusee, was uns Gelegenheit gab, die Vulkane von Süden aus zu betrachten und namentlich den wunderbar ebenmässigen Kegel des Karisimbi zu bewundern. Auf dem Sattel, der den Karisimbi mit dem Mikeno verbindet, liegt Carl Akeley begraben, der amerikanische Naturforscher, der diesen Teil Afrikas sehr liebte und auf dessen Anregung die Schaffung des Parc National Albert zurückgeht. Lange konnten wir uns allerdings an dem Anblick der Berge nicht erfreuen, denn gegen Mittag begannen sich über dem Nyiragongo schwere Kumuluswolken anzusammeln, und nur zu bald verschwand die Mufumbirokette hinter einem dichten, grauen Regenschleier.

Wir verbrachten die Nacht in einem Regierungsrasthause am Fusse des Mikeno, nur wenige Kilometer von der Stelle entfernt, wo die Wegspur zum Nyamuragira von der zum Kivusee führenden Autostrasse abzweigt und wo wir um 8 Uhr früh den Führer und drei Träger finden sollten.

Die Schwarzen waren erstaunlicherweise pünktlich zur Stelle. Wir « packten » sie in unseren Wagen und holperten auf einer rauhen, mit Lavablöcken bestreuten Piste durch den Wald. Man ist in Afrika in bezug auf Strassen ja nicht verwöhnt, aber hier waren wir doch froh, als wir nach etwa vier Kilometern das Ende der Piste erreichten, denn dieses Lavablock-pflaster war eine Zumutung, selbst für unseren alten, unverwüstlichen Ford! Was wir auf dem Berg benötigten, hatten wir in meinen Rucksack und in einen Zeltsack aus mehr oder weniger wasserdichtem Segeltuch gepackt. So zogen wir los, unsere Siebensachen auf den Wollköpfen zweier Schwarzer, während der dritte Träger den Proviant seiner Kameraden trug. Der Führer bemächtigte sich meiner Umhängetasche, so dass ich schliesslich selbst nichts anderes zu tragen hatte als den Feldstecher und die in der Brusttasche meiner Buschjacke steckende Leica. Das ist Bergsteigen in Afrika! Nachdem wir einen letzten Blick auf unseren Wagen geworfen hatten, folgten wir den rüstig ausschreitenden Schwarzen. Der schmale Eingeborenenpfad führte durch verhältnismässig niederen, buschigen Wald. Wir sahen viele Elefantenfährten und hofften im stillen, dass kein spielerisch aufgelegter Dickhäuter sich an dem einsam und verlassen auf einer Lichtung stehenden Wagen zu schaffen machen werde. Geheimnisvolle Lavahöhlen öffneten sich hinter NYAMURAGIRA

CONGO BELGE

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UGANDA

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Lava strofe der Ei-ujxtion- von 1938 Autosti-assen Tussfi-fo«^ auf dem Nya

Die Mufumbiro-(Virunga- oder Kirunga- ) Vulkane Vorhängen delikater Venushaarfarne. Eine feuchtheisse Treibhausatmosphäre umgab uns, sehr verschieden von der trockenen Luft der ostafrikanischen Hochländer.

Nach anderthalbstündigem Marsche, in dessen Verlauf wir nur sehr wenig stiegen, erreichten wir den kleinen Krater von Mushumangabo, auf dessen Rand eine von der Verwaltung des Nationalparkes erbaute Schutzhütte steht. Viele, tief ausgetretene Wildwechsel führten hinunter zu dem sumpfigen Kraterseelein, an dessen Ufer ein einzelner Bruchwasserläufer herum-trippelte. Wo mochte er herkommen, der kleine Gast aus dem Norden? Hatte er vor ein paar Wochen vielleicht mit seinem spitzen Schnabel im Schlamme des Neuenburger Sees herumgestochert?

Von der Hütte aus hatten wir einen prächtigen Ausblick auf den Nyiragongo und den Nyamuragira und mussten feststellen, dass unser Ziel noch sehr weit weg war.

Nach einer kurzen Rast setzten wir unseren Marsch fort und kamen bald zu einem etwa hundert Meter breiten, blockigen Lavastrom, der sich während des letzten Ausbruches des Nyamuragira, im Jahre 1938, eine Gasse durch den Wald gebahnt hatte. Seine rauhe, verwitterte Oberfläche war mit grauem Moos überzogen, und viele andere Gewächse hatten schon in Ritzen und Spalten Fuss gefasst. Die Pflanzenwelt war im Vormarsche, um den verlorenen Grund zurückzugewinnen. Eines Tages wird der Wald die Lücke wieder schliessen und den erstarrten Feuerstrom unter sich begraben. Während ich Aufnahmen machte, sah Rosanne, meine Frau, einige Klippschliefer über die grauen Blöcke in ihre Schlupfwinkel huschen. Von dem Lavastrom aus erhaschten wir nochmals einen Blick auf den Nyamuragira, ehe wir wieder im dichten Walde untertauchten.

Weiter ging es dem schmalen Pfade entlang. Ein Helmvogel strich aus einem Baume ab, Brillenvögel zwitscherten im Gezweige. Plötzlich blieb der Führer stehen und deutete in das* üppig wuchernde Unterholz. Ich riss den Feldstecher hoch und erblickte einen rotbraunen Fleck, durchzogen von einigen schmalen, weissen Streifen. In der nächsten Sekunde war der Fleck verschwunden, aber ich wusste, dass ich meinen ersten Bongo gesehen hatte! Der Bongo ist eine scheue Waldantilope, die man nur selten zu Gesicht bekommt.

So wanderten wir stundenlang durch den Wald. Der Pfad stieg langsam, aber stetig an; denn der Nyamuragira ist ein Schildvulkan mit sanft geneigten Hängen, der ein riesiges Areal deckt. Seine Lavaströme reichen vom Kivusee bis halbwegs zum Edwardsee. Die Bäume verwehrten uns jeden Ausblick, und wir hatten keine Ahnung, wie nahe wir der zentralen Kuppe schon gekommen waren. Wir konnten jedoch sehen, dass sich zu unserer Linken, wo der ebenfalls unsichtbare Nyiragongo sein musste, riesige Kumuluswolken aufzutürmen begannen, und bald hörten wir auch schon das erste Donnerrollen. Auf einer lieblichen Lichtung machten wir eine kurze Rast, die allerdings durch unzählige winzige Stechfliegen reichlich ungemütlich gestaltet wurde. Der Wald hatte hier einen anderen Charakter: aus dem mehr buschigen Walde der tieferen Lagen waren wir in einen prachtvollen, urwüchsigen Bergwald gekommen, mit stolzen Baumriesen, deren Geäst sich hoch über uns zu einem dichten Gewölbe Schloss. Stämme und Äste waren mit dicken Moospolstern überzogen und trugen ganze Gärten von Farnen, Orchideen und anderen Epiphyten. Grosse, blassgelbe Bal-saminaceenblüten leuchteten aus dem grünen Dämmerlicht, und meine nackten Knie kamen in unangenehme Berührung mit riesigen Nesseln. Der uns umgebende Pflanzenreichtum war ganz unglaublich.

Am Rande der Lichtung, auf der wir gerastet hatten, verliessen wir den wohlausgetretenen Pfad, um einer kaum erkennbaren Wegspur zu folgen. Zugleich begann das Gelände nun stark anzusteigen. War die Tour bisher ein blosser Spaziergang gewesen, so galt es nun, über dicke Wurzeln, gestürzte Stämme und durch felsige Bachbette zu klettern. Es wurde dunkler und dunkler, das dumpfe Murren des Gewitters kam näher, und bald prasselten die ersten schweren Regentropfen auf die Blätter nieder. Einige Augenblicke später öffneten sich im wahrsten Sinne die Schleusen des Himmels, und in zwei oder drei Minuten waren wir trotz unserer Regenmäntel bis auf die Haut durchnässt. Die vielen Rinnsale, die bisher nur einige Tümpel enthalten hatten, verwandelten sich in kürzester Zeit in rauschende Bäche. Der Donner rollte und grollte fast ohne Unterbruch. Plötzlich ein grelles Aufleuchten, ein ohrenbetäubender Schlag, der uns beinahe niederwarf — ganz in unserer Nähe musste der Blitz einen Baum getroffen haben! In diesem Aufruhr der Elemente arbeiteten wir uns langsam und mühsam aufwärts und bahnten uns einen Weg durch die triefende Vegetation. Hatte uns eben erst noch warme Treibhausluft umgeben, so wurde es jetzt bitter kalt. Einige Minuten lang rieselte es sogar. Allmählich kamen wir in eine neue Vegetationszone, in einen Wald von Baumericaceen mit knorrigen, verdrehten NYAMURAGIRA Ästen, von denen meterlange Bartflechten herunterhingen. Der Regen liess etwas nach, dichte Nebelschwaden krochen dem Berge entlang und verliehen den seltsamen, bärtigen Bäumen ein fast gespenstisches Aussehen. Wir froren jämmerlich, als wir müde und triefend nass durch dicke Moospolster und braune Pfützen stampften. Plötzlich erblickten wir durch den Vorhang tropfender Bartflechten das Dach der Schutzhütte und stolperten wenige Augenblicke später, nach siebenstündigem Marsche, über die Schwelle der geräumigen Bretterbude.

Die Hütte bestand aus einem Auf enthaltsraume, der auch als Küche diente, und mehreren Schlafräumen mit Betten. Während einer der Träger versuchte, in dem kleinen eisernen Ofen ein Feuer in Gang zu bringen, untersuchten wir unser Gepäck. Der Regen war, wie wir erwartet hatten, sowohl

Bresche-

in den Rucksack wie in den Zeltsack eingedrungen, aber glücklicherweise war von unseren Reservekleidern doch das meiste trocken geblieben. Der Träger hatte mittlerweile mit dem Feuer sehr wenig Erfolg gehabt, was in Anbetracht des nassen Holzes ja auch nicht ver- wunderlich war. Es dauerte mehr als eine Stunde, bis Krater des Nyamuragira endlich ein Topf heissen Tees auf dem Tische stand. Draussen wechselte strömender Regen mit nebligem Geriesel. Es war ganz unmöglich, noch irgend etwas zu unternehmen, so gerne ich auch noch den Ericaceenwald in der Umgebung der Hütte etwas näher untersucht hätte.

Mit der ersten grauen Morgendämmerung waren wir auf den Beinen. Der Himmel war wolkenfrei, die Aussichten für meine photographische Arbeit im Krater waren gut. Nur galt es, die klaren Stunden auszunützen, die dem alltäglichen Gewitter vorangingen. Wir brachen deshalb nach einem hastigen Frühstück auf, begleitet von unserem Führer und einem der Träger. Erst ging es ein Stück weit ungefähr in der gleichen Höhe der Hütte durch den graubärtigen Ericaceenwald, in den die gelbroten Blütenstände der Kniphofia etwas Farbe brachten, einer Liliacee, die in Kenya unter dem Namen « Red hot Poker » bekannt ist. Elefantenfährten fehlten auch hier nicht, und einmal hörten wir das Pfeifen eines Riedbockes. Nach einer Weile wandte sich der Pfad aufwärts, und je höher wir stiegen, desto niedriger und krüppelhafter wurden die Baumericaceen, bis wir endlich aus dem Walde heraus auf einen mit Heidekrautbüschen bestandenen Hang kamen. Eine grossartige Fernsicht tat sich auf. Wir sahen hinunter auf die ausgedehnten Wälder, die nicht nur die Flanken des Berges, sondern auch seinen Fuss bedeckten. Weiter schweifte der Blick über die gelbe Ruchuruebene bis zum Edwardsee, der als silberner Streifen gerade noch sichtbar war, und über die Mauer des westlichen Grabenrandes hinweg, wo ein grünes Hügelland sich bis zum Horizonte erstreckte.

Nach einer kurzen Rast stiegen wir weiter, einem in den schwarzen Lavagrund gewaschenen Rinnsal folgend. Ein Bärlapp, dessen lange Stengel überall über die Felsen krochen, war hier eine der auffallendsten Pflanzen, während die Heidekrautbüsche allmählich spärlicher wurden. Der Gipfel des Berges war nun nicht mehr fern, und es gab für mich kein Halten mehr. In höchster Spannung eilte ich voraus, dem Kraterrande zu.

Ich war nie zuvor auf einem tätigen Vulkane gewesen, und was auch immer ich zu sehen erwartete, stützte sich auf Beschreibungen, die ich gelesen, auf Bilder, die ich gesehen hatte. Die Wirklichkeit aber übertraf meine kühnsten Erwartungen, und das Bild, das sich mir bot, war so phantastisch und atemraubend, dass ich in stummem Staunen stehen blieb. Vor meinen Fussen öffnete sich ein gewaltiger Kessel, nahezu zweieinhalb Kilometer im Durchmesser, eingerahmt von einem senkrecht abfallenden Felsenrande, in dem nur im Westen eine mehrere hundert Meter breite Bresche klaffte. Der Grund des Kessels war schwarz, abgesehen von einem leuchtend-grünen Moosteppich zu Fussen des Felsabsturzes, auf dem ich stand, und von dem schwefelgelben Fleck einer Solfatare, der dicke weisse Wolken entstiegen. Über die schwarzen Lavafalder aber wehte der starke Wind den Dampf unzähliger Fumarolen aller Grossen. Es war wie ein Blick in den Vorhof der Hölle!

Rosanne war nicht weniger beeindruckt, als sie einige Minuten später ebenfalls den Kraterrand erreichte, und wir Messen das unheimliche Panorama eine Weile auf uns einwirken, ehe wir unseren Weg fortsetzten. Dem schmalen Kraterrande folgend erreichten wir bald die Bresche, die uns Zutritt zum Krater selbst gestattete. Am Ende des in die Bresche auslaufenden Felsabsturzes stand hier eine kleine Schutzhütte. Sie war aber in sehr baufälligem Zustande, zerfressen von den Schwefeldämpfen des Kraters. Nahe der Hütte wuchsen einige der für die ostafrikanische Hochgebirgsflora so charakteristischen Riesenlobelien.

Unserem Führer folgend drangen wir nun in die Welt Plutos ein. Erst schritten wir über Moos, Gras, Fettkräuter und zwerghafte Büsche, während von einigen Tümpeln her ein fröhliches Froschkonzert erscholl. Doch bald hörte die geschlossene Pflanzendecke auf, und wir betraten die schwarze, mitten im Flusse zu gewundenen, gezerrten und blasigen Formen erstarrte Lava. Wir glaubten, vom Kraterrande aus einen guten Gesamteindruck des dampfenden Kessels erhalten zu haben, doch nach wenigen hundert Metern öffnete sich überraschend ein fürchterlicher Abgrund, zweihundert Meter tief, an die achthundert Meter im Durchmesser, ein Chaos von tiefen Spalten, von Schlackenhaufen und riesigen, wild durcheinander geworfenen Lavablöcken, aus dem Hunderte von Dampfwolken emporstiegen. Hier brach am 28. Januar 1938 der Kraterboden mit ungeheurem Getöse ein, während sich gleichzeitig an den südwestlichen und südöstlichen Abhängen des Berges riesige Spalten öffneten, aus denen Lavaströme in die Wälder hinunter flössen. Colonel Hoier, der damalige Administrateur des Parc National Albert, befand sich im Augenblicke der längst erwarteten Eruption im Krater selbst und wurde Augenzeuge eines Schauspieles, dem beizuwohnen wohl nie zuvor einem Menschen vergönnt gewesen war. Dem Rande des Abgrundes folgend, wo tonnenschwere Lavablöcke sich in prekärem Gleichgewichte ins Leere hinaus neigten, bereit, bei der leichtesten Erderschütterung in die Tiefe zu poltern, näherten wir uns zwei inselartigen Felsmassen, die, von grossen Dampfwolken umweht, das Eingangstor zu einem dem Hirne eines phantasiebegabten Künstlers entsprungenen Inferno zu bilden schienen. Wir drangen bis zum Fusse des näheren Felsens vor, der die Form einer Burgruine hatte, und machten Aufnahmen der Fumarolen. Ich wollte in Richtung auf die andere Felsinsel weitergehen, doch der Führer bedeutete uns, dass dies gefährlich sei, und er schlug eine mehr nördliche Richtung ein. Eine neue Überraschung erwartete uns, denn unversehens standen wir am Rande eines gähnenden Schlundes mit vollkommen senkrecht abfallenden Wänden. Der zerspaltene Rand machte es fast unmöglich, einen Blick in seine untersten Gründe zu tun, doch möchte ich seine Tiefe auf 150-200 Meter schätzen. Viele Dampfwolken kräuselten sich an den Wänden empor, die schwarz, grau, rot und gelb gescheckt erschienen. Hier war vor dem Ausbruche im Jahre 1938 das Zentrum grösster Aktivität gewesen. Ein Lavakegel, dessen Bildung im Dezember 1936 begann, wuchs allmählich aus dem Schlote heraus und begann den Kraterboden zu überfluten. Colonel Hoier, der den Berg ständig beobachtete, rechnete aus, dass im Mai oder Juni 1938 sich genügend Lava im Krater angesammelt haben würde, um durch die Bresche im Kraterrande auszufliessen. Da kam die Katastrophe vom 28. Januar, und während die Lava sich einen Ausweg durch die Seiten des Berges bahnte und der südliche Teil des Kraterbodens in sich zusammenbrach, kippte der zentrale Kegel um und sank in den Schlot zurück. Von dem Augenblicke an, da die Lava an den Bergflanken zutage trat, hörte im Krater selbst jede Tätigkeit auf. Unser dunkelhäutiger Virgil führte uns um den Höllenschlund herum über graue, blasige Lava, deren Kruste unter unseren Schuhen knackend einbrach. Was mich sehr beeindruckte, war die Art und Weise, wie die Pflanzenwelt allmählich wieder in den Krater eindrang. Auf den ersten Blick erschienen die Lavafelder vollkommen kahl und tot, doch bei näherem Zusehen fand man, dass sich da und dort in Spalten und Ritzen kleine Pflänzchen festgesetzt hatten. Nach Umgehung des zentralen Schlotes näherten wir uns der zweiten Felsinsel. Ein englisches Sprichwort sagt: « Familiarity breeds contempt. » Hatten wir uns zuerst den Fumarolen nur mit einem gewissen Respekt genähert, so wagte ich mich jetzt mitten fti die Dämpfe hinein, um die gelben und roten Ablagerungen rings um die Spalten und Löcher näher zu untersuchen. Der Boden war so heiss, dass man ihn kaum mit den Fingern betasten konnte. Ich sammelte aber doch rasch einige Gesteinsproben, ehe ich den Rückzug antrat.

Die Alpen - 1952 - Les Alpes22 Ein Lavafeld querend, über dem viele Dampffahnen wehten, gelangten wir wieder zu dem eingestürzten Teil des Kraters und umgingen, uns an den Rand des Abgrundes haltend, den burgähnlichen Felsen, den ich schon beschrieben habe. Dann wanderten wir langsam gegen die Scharte im Kraterrande zurück, unseren Weg so wählend, dass wir an der Solfatare vorüberkamen. Die ausgedehnten Schwefelablagerungen mit den ihnen entströmenden weissen Dampfwolken, die vom Winde dicht über den Boden her getrieben wurden, gemahnten mich an eine Hexenküche. Als ich mich bückte und einige Schwefelkristalle losbrach, erscholl ein scharfes Zischen, und ein winziges Dampfwölkchen kräuselte sich buchstäblich unter meiner Hand empor.

Es war fast Mittag, und über dem Nyiragongo, dessen Gipfel wir über dem Kraterrande sehen konnten, hingen schon riesige Gewitterwolken. Wir mussten uns auf den Rückweg machen, wenn wir nicht im Krater von Regen und Nebel überrascht werden wollten. Als wir der Scharte zustrebten, dachte ich an den Geologen Kirschstein, der als Teilnehmer an der Deutschen Zentral-afrika-Expedition 1907-1908 unter Führung des Herzogs von Mecklenburg den damals ziemlich lebhaft tätigen Berg untersuchte. Nachdem er mehreren Ausbrüchen aus der Ferne beigewohnt hatte, wagte er sich mit einigen Schwarzen in den Krater hinein. Es war ein klarer Tag — doch ganz unversehens bildete sich über dem Berge eine Nebelwolke und Kirschstein konnte kaum mehr die Hand vor Augen sehen. Um nicht Gefahr zu laufen, in einen Feuerschlund zu stürzen, beschloss er, zu warten, bis der dichte Nebel sich lichten würde. Da begann es unter seinen Fussen zu grollen, Gaswolken mischten sich in den Nebel, und es fing an, Lapilli zu hageln. Eiligste Flucht war geboten. Aber wo lag der Ausgang? Verzweifelt irrte der Geologe mit seinen Leuten in dem stärker und stärker rumorenden Krater umher und stiess ständig gegen senkrechte, unübersteigbare Felsen. Da hob sich der Nebel — einige Augenblicke nur, doch lange genug, dass Kirschstein die Scharte erkennen und seine kleine Karawane aus dem Bereiche der Gefahr hinaus führen konnte.

Vom Kraterrande aus warfen wir einen letzten Blick in den dampfenden Kessel, dann traten wir den Abstieg an und erreichten die Hütte genau zehn Minuten bevor das Unwetter losbrach. Es regnete den ganzen Nachmittag in Strömen, und wir konnten nichts anderes tun, als in dem nun recht warmen und gemütlichen Aufenthaltsraum zu sitzen und unsere Tagebücher nachzuführen. Ein Bachbett nicht weit der Hütte, das wir am Morgen trockenen Fusses durchquert hatten, war nun von einem tosenden Wildbach erfüllt.

Am nächsten Morgen waren wir wieder früh auf den Beinen. Es dauerte eine gute Weile, bis wir ein Feuer im Ofen hatten, aber wir brachten es dennoch fertig, beizeiten aufzubrechen, nachdem wir im Aufenthaltsraume einen gehörigen Holzvorrat aufgestapelt hatten. Wenn unsere Nachfolger nass und kalt zur Hütte kamen, so sollten sie weniger lange auf eine Tasse Tee warten müssen als wir!

Es war wiederum ein herrlicher Morgen, und als wir durch den Ericaceenwald bergab wanderten, boten sich uns prächtige Ausblicke auf den Mikeno und den Karisimbi. Die Gipfel beider Berge waren mit während der Nacht gefallenem Schnee überzuckert. Wir hatten ausreichend Gelegenheit, die reiche Vegetation zu bewundern, und ich machte viele Aufnahmen. Helm-vögel liessen ihren rauhen Ruf erschallen, Spechte klopften, und grosse, braunflügelige Tauben flatterten hoch über uns im Blätterdach des Waldes. Einmal hörten wir in der Ferne das Trompeten von Elefanten, und etwas später bekamen wir einen Buschbock zu Gesicht. Gegen Mittag begann sich über dem Nyiragongo das tägliche Gewitter bereitzumachen, aber wir hatten die Hütte von Mushumangabo schon hinter uns, als die ersten Tropfen fielen. Dann setzte ein feiner Rieselregen ein. Hatte vorher der Chor der Zikaden und anderer Insekten den Wald erfüllt, so stimmten nun unzählige Laub-frösche ein Lob- und Danklied an, das klang wie das Läuten kleiner Glöcklein. Fünf Stunden nachdem wir die Schutzhütte verlassen hatten, erreichten wir den Wagen, der unversehrt auf der kleinen Lichtung stand, wo wir ihn gelassen hatten. Wenig später waren wir im Regierungshaus, wo wir trockene Kleider anzogen, bevor wir unsere Fahrt fortsetzten, der wildreichen Ruindi-ebene zu.

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