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Ober Gabelhorn

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

VON HANS STEINBICHLER, BELLACH

Mit 3 Bildern ( 64-66 ) Das 4063 Meter hohe Ober Gabelhorn im linken Kamm des Zermatter Tales, zwischen Zinal und Zermatt, ist ein wenig begangener Gipfel. Dieser Berg mit vier Graten und ebenso vielen Wänden hat keine Sonntagsseite, d.h. er weist keine leichte Route auf. Eine Begehung, gleich über welchen Weg, ist stets ein ernstes alpinistisches Unternehmen.

Schon lange stand dieser Viertausender auf unserem Wunschzettel.

Samstag, 28.August 1966: Um 16.30 Uhr kommen wir in Zinal an. Weil es bereits so spät ist, fahren wir so weit wie möglich, teils im Flussbett, teils im Geröll und auf Wegspuren, in den hinteren Talwinkel.

Gerade, als wir sowieso halten wollen, passiert es: Eine grosse Steinplatte verfängt sich im Hinterrad des VW, reisst die Zylinderkappe herunter und beschädigt die Ventile. « Eile mit Weile! » sagte schon Kaiser Augustus. Uns bleibt nichts anderes übrig, und für den Spott brauchen wir auch nicht zu sorgen, denn eben kommt eine Gruppe Pfadfinder zu Fuss, wie es sich gehört, den Weg herunter und fängt angesichts unserer Situation sogleich zu singen an: « Es rumpelt, es rappelt, wir fahren im VW... » Uns dagegen ist gar nicht ums Singen, zumal das Lied teilweise recht hat, denn der Motor, wenigstens noch auf drei Zylindern laufend, rumpelt und rappelt ganz wehleidig. Eine volle Stunde versäumen wir, um die deformierten Teile mit dem Kletterhammer zurechtzuklopfen; dann erst können wir uns auf den Weg zur Cabane du Mountet machen. Glücklicherweise kenne ich ihn bereits; er ist sehr interessant, jedoch schlecht markiert. Nach einer Stunde betreten wir eine hohe Moräne, die in mühsamem Auf und Ab auch eine gute Stunde erfordert; schon auf dem Gletscher ereilt uns die Nacht, und erst kurz vor 9 Uhr stolpern wir zwei vor die Hütte. Drinnen geht es hoch her: ein WK feiert Abschied. Lange dauert es, bis sich die letzten zur Ruhe legen, und kurz darauf poltert es schon wieder los: minuit; die erste Partie verlässt die Cabane.

Um 4 Uhr ist das Wetter so unbeständig, dass wir wieder unter die Decken schlüpfen. Nach zwei Stunden reisst es auf, aber ein kalter Wind bläst. « Mauvais temps! » hören wir, doch es ist beschlossen; also versuchen wir es. Schnell ist alles bereit, die Ausrüstung verstaut, hastig eine Tasse Tee getrunken. Unten am Gletscher seilen wir an und folgen den Spuren unserer Vorgänger von heute nacht. Hinter uns kommt niemand mehr. Bald wird es steil, und mächtige Brüche verwehren den Weiterweg. Wir schnallen die Steigeisen an. Eine märchenhafte Welt nimmt uns auf: Frisch verschneite Eistürme ragen in den jetzt tiefblauen Himmel, und überall blenden und funkeln Schneekristalle. Wie froh sind wir nun, dass wir nicht in der Hütte sitzen!

Die Spur führt gegen die Nordwand, wir aber ziehen den Grat vor. Ein kurzer Überhang erfordert zwei Eisschrauben zur Hilfe und Sicherung. Der Grat beginnt mit einer heiklen Kletterei über plattige, vereiste Felsen, die keine Möglichkeit zum Sichern bieten. Von hier zieht eine strahlend weisse Firnschneide steil zum Himmel Wir sehen plötzlich die zwei in der Nordwand: kleine Punkte, die sich langsam bewegen. Hoch und gewaltig wölbt sich über ihnen die Wand zum Gipfel, den nun schon wieder Wolken umziehen. Bald sind auch wir in dichtem Weiss, und ein eisiger Wind wirft uns Schnee entgegen. So schnell wie möglich folgen wir dem Grat, den wir nur auf wenige Meter sehen. Der Nebel verhüllt uns auch die Sicht in die Tiefe zu beiden Seiten. Kurz unter dem Gipfel kommen wir mit den Nordwandbegehern in Rufverbindung.

Das letzte Stück fordert noch harte Arbeit, und dann gähnt vor uns unvermittelt ein Abgrund: Wir stehen auf dem Gipfel! Eigentlich haben wir uns die Rast hier oben anders vorgestellt, doch das Wetter soll uns die Freude nicht vergällen und den Appetit auf die unter dem Biwaksack umständlich gekochte Suppe nicht verderben!

Also gestärkt beginnen wir den Abstieg über den winterlichen Ostgrat. Die Kletterei wird schwer, und bald finden wir eine Abseilschlinge, der noch weitere folgen. Es schneit nass und anhaltend, während wir am Seil scheinbar ins Bodenlose hinuntergleiten. Die Handschuhe werden feucht, die Finger klamm und kalt. Seilmanöver, Sichern, Abziehen, Standplatzhacken erfordern viel Zeit, und erst nach fünf Stunden, um 18 Uhr, stehen wir im Sattel zur Wellenkuppe. Auf 3800 Meter! « Ich wittere Biwak », meine ich. Doch mein Kamerad gibt sich noch nicht geschlagen. Wir steigen weiter ab, zuerst noch in tiefem Schnee; aber mit zunehmender Steilheit tritt blankes Eis zutage. Mühselig müssen wir unter uns Stufe um Stufe schlagen, und als die Nacht hereinbricht, hangen wir noch immer wie zwei Fliegen in dieser Eiswand. Alles scheint sich gegen uns verschworen zu haben: Schnee rieselt unentwegt in Ärmel und Handschuhe, eine Hohlschraube ist vereist, so dass mein Freund eine Viertelstunde braucht, um sie mit dem Mund aufzutauen. Mich friert, und ich versuche, auf schmalem Stand Freiübungen zu machen. Dabei entgleitet mir ein Karabiner und verschwindet klirrend in der Tiefe. Zu allem Überfluss merken wir, dass wir nicht mehr auf dem rechten Weg sind, denn die Wand wird immer noch steiler. Wir steigen wieder etwas auf und wenden uns nach links. Drei Stunden plagen wir uns schon hier, und noch immer ist kein flacheres Gelände in Sicht! Endlich sehen wir im Schein der Stirnlampe den Schrund, wo sich die Steilheit verringert. 22 Uhr. Ein Biwak ist unvermeidlich. Es hat zu schneien aufgehört, und wir können erkennen, dass wir uns in einem mächtigen Kessel unter der Nordwand befinden. Meterhoch liegt hier der Schnee, der von allen Seiten herabrieselt. Die Proviantbüchse wird zur Schaufel, und nach einer Stunde haben wir ein ansehnliches Loch gegraben. Der Kocher schmilzt den Schnee zu Teewasser und verbreitet ein spärliches Licht um uns. Kurz vor Mitternacht kriechen wir in die Nylonsäcke. 18 Stunden waren wir unterwegs; nun sind wir so müde, dass uns sogleich der Schlaf übermannt; doch nach höchstens einer Stunde kriecht die Kälte von allen Seiten in unsere Behausung. Minuten werden zu Stunden - die Nacht scheint ohne Ende...

Ein klarer Tag bricht an, und als wir steif und starr aus unserem « Nest » schlüpfen, sehen wir weit unten auf dem Mominggletscher zwei Bergsteiger unterwegs zum Zinalrothorn. Wir aber sind froh, diese « Freinacht » gut überstanden zu haben; es ist schon die dritte heuer, doch am Balmhorn und Lauteraarhorn stand sie im Programm, hier nicht.

Beim Abstieg dauert es lange, bis die Glieder warm werden und ihren Dienst wieder tun.

In der Hütte begrüssen wir die Gefährten der Seilschaft aus der Nordwand. Sie sind gestern umgekehrt und haben am Abend noch die Unterkunft erreicht.

Nun liegen wir in der Sonne und haben die Ausrüstung zum Trocknen ausgebreitet. Langsam lasse ich die Augen unserem gestrigen Weg folgen und erinnere mich an alle Einzelheiten dieser Bergfahrt, die trotz vieler Hemmnisse, oder vielleicht gerade deshalb, zu einem grossen Erlebnis wurde.

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