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Rätikonrundfahrt

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Willy Uttendoppler

Mit 2 Bildern ( 178, 179Bern ) Vier Tage in Sonne und Schnee wurzeln derart tief in meiner Erinnerung, dass ich sie hier gleichsam als Rezept für andere Kameraden wiedergeben möchte. Der Grenzkamm der Rätikongruppe läuft von Ost nach West, und seine bekanntesten Gipfel sind die Scheienfluh oder Weissplatte, Sulzfluh, Drei Türme, mitunter auch Drusentürme genannt, Drusenfluh und die Schesaplana. Die Südabstürze fussen im Prätigau und sind dem Kletterer der extremen Klasse nicht unbekannt, während wir in den Nordabdachungen vom Vorarlbergischen Skiabfahrten mit 2000 Meter Höhendifferenzen haben, die nicht so schnell ihresgleichen finden. Das Packendste ist wohl das Teilstück Sulzfiuh-Drei Türme-Drusen-fluh auf der Prätigauseite mit einer über vier Kilometer langen Kalkmauer, 400-600 Meter hoch, nur durch das Drusentor unterbrochen. Auf guten Höhenwegen kommt aber auch der Wanderer im Rätikon nicht zu kurz. Sehr beliebt ist z.B. die Route von St. Antönien über die Garschinafurka, den imposanten Südwänden entlang, durch das Schweizertor und via Verajöchl zum Lünersee, und von da über das Cavelljoch zur Schesaplanahütte.Wer in geschichtlicher, botanischer und geologischer Hinsicht Interesse hat, greife einmal an einem langen Winterabend zum sehr guten SAC-Bündner-Führer, Band VII, von Professor Ed. Imhof; eine wahre Fundgrube für jeden Bergfreund!

Gut vorbereitet fahren wir zu dritt der wildschäumenden Landquart entlang, das liebliche Prätigau hinauf. Selbst das Pech, einen Schnellzug bestiegen zu haben, der in Küblis nicht anhält, kann unsere Feststimmung nicht erschüttern, und mit den fröhlichsten Gesichtern der Welt gondeln wir mit dem nächsten Bummler wieder talwärts. Ein mobilisierter Taxi bringt uns dann die kurvenreiche Strasse nach Pany hinauf. Im Rückblick schlagen unsere skibegeisterten Herzen höher, sehen wir doch jenseits vom Tal die gleissenden Hänge vom Parsenn. In Pany werden Ski und Säcke geschultert, und es geht St. Antönien entgegen. Unterwegs finden wir unter der Motorhaube eines kranken Autos mit Kaminfegergesicht Freund Bernhard von der Churer Klettergilde. In der Lindauerhütte werden wir uns wiedertreffen. St. Antönien liegt noch tief im Winter. In windgeschützter und schneesicherer Lage erfreut sich dieser Ort immer grösserer Beliebtheit und wird allmählich dem bisherigen Winterschlaf entrissen. Lockende Gipfel, wie Sulz- und Scheienfiuh, Madrisa und Rätschenfluh, umsäumen das Dörfchen. Nach dem Mittagsimbiss wird der Weiterweg unter die Bretter genommen, der uns über die Partnun-Staffeln und den gleichnamigen See, immer steiler werdend, ins Tilisunafürkli hinaufführt. Hier überschreiten wir am Spätnachmittag die Schweizer Grenze. Pässe sind überflüssig, wenn man die österreichischen Talschaften nicht berühren will. Nach kurzer Abfahrt landen wir in der Tilisunahütte ( 2211 m ), die von Familie Franz Kessler aus Schruns vorzüglich bewartet ist.

Nach einem gesunden Schlaf in guten Betten und einem währschaften Frühstück rücken wir anderntags der Sulzfluh auf den Leib. Zuerst wird ein bisschen im Nebel herumgestochert, aber bald brennt die höhersteigende Sonne alles weg, und es wird ein schöner Tag. Mühelos steigt man in zwei Stunden auf den Gipfel ( 2820 m ). Die Schau in die Bündner Alpen, Silv-rettaberge, Arlberger und Ötztaler ist einzig schön. Kaum vermögen unsere erstaunten Augen all die strahlenden Häupter der nahen und fernen Berge zu erfassen. Makellos klar ist die Sicht, nur in den Tälern liegen da und dort noch die letzten Nebelbänke. In den « Gruben », auf der Nordostseite unseres Berges, befinden sich in einem Karstkessel von gewaltigem Ausmass die bekannten Sulzfluhhöhlen. Die Rückfahrt zur Hütte ge- niessen wir im Pulverschnee. Ein kurzer Abstecher bringt uns auf die Weissplatte. Scheienfluh heisst dieser Gipfel im Prätigau, und Weissplatte nennt man ihn im Montafon. Die neue Landeskarte gibt den Nordgipfel ( 2628 m ) mit Weissplatte und den Südgipfel ( 2624 m ) mit Scheienfluh an. Am Fusse der ungeheuren Westwandflucht birgt dieser Berg im sogenannten « Teufelsgarten » inmitten grosser Bergsturztrümmer den 90 Meter hohen Scheienzahn.

Die Klebfelle werden von den Ski gerissen und das Wachs mit dem Handballen glatt verstrichen. Dann in die Bindungen und - los! Diese Abfahrt über die Gampadelzalp bis zum Restaurant Mittagsplatte oberhalb Tschagguns ist ein einzigartiges Schwelgen. Leider tut unser Hans Perret einen schweren Sturz und scheidet für heute mit einer Schulter-quetschung aus. Bei eventueller Besserung wird er uns morgen in die Lindauerhütte nachkommen, andernfalls mit der Bahn die Heimreise antreten. Nach einem guten Zvieri wandern Albert Zbinden und ich den reizvollen Höhenweg nach der Sage ins Gauertal. Überall der erste Hauch vom nahenden Frühling! Auf den Weiden schmilzt der Schnee und macht Tausenden von weissen und blauen Krokussen Platz. Im Talgrund der Silberfaden der 111 und zur Rechten und Linken die idyllischen Orte Schruns und Tschagguns mit schmucken Kirchen, Hotels, Pensionen, Häusern und Höfen. Beide Orte zusammen zählen etwas über 4000 Seelen und haben in den letzten Jahren eine rasche Entwicklung zu beachteten Wintersportplätzen mitgemacht. Ganz selbstverständlich fehlt auch das ganze Drum und Dran von Ski- und Sessellifts, Dancing und Kino nicht, denn ohne das scheint leider heute ein Wintersportplatz keine Existenzberechtigung mehr zu haben. « Eher ein kokettes ländliches Städtchen als ein Dorf », hat J. C. Heer schon vor 90 Jahren über Schruns geschrieben...

Im Gauertal können wir die Bretter wieder anschnallen und angesichts der Drei Türme zur Lindauerhütte ( 1764 m ) ansteigen. Dort wird es bei Hüttenwart Ludwig Dayeng und den Churer Bergkameraden so recht gemütlich. Dayeng selbst ist ein guter Kletterer und kennt die Rätikonsüdwände wie seine Hosentaschen. Die Mägde tischen aus Küche und Keller das Beste auf, und das Zusammensein und Plaudern der anwesenden Tiroler, Arlberger und unserer kleinen Schweizer Skigilde ist ein überaus erfreuliches. Warum ist dies wohl an den Diplomatentischen nur ganz selten so?...

Der nächste Tag gilt dem Grossen Turm. Es scheint ganz unglaublich, dass man bei diesem wilden Felsgebilde mit den Ski bis auf den Gipfel kommt. Erst folgen wir der Route zum Drusentor, drehen dann rechts ab und gelangen über einen steilen, harten Hang in das Sporertobel. Diese Steilkehle führt in die Senke Kleiner-Mittlerer Turm hinauf und liegt in bestem Pulverschnee. Dem Mittleren Turm ( 2800 m ) rücken wir mit den Ski bis wenige Meter unter den Gipfel nahe und machen den Rest zu Fuss. Prachtvoll ist von dieser Warte der Tief blick in das junge Grün vom Montafon. Den Scheitel vom Grossen Turm ( 2828 m ) erreichen wir über das östliche Dach mit den Ski an den Fussen. Wiederum ist der Tag von seltener Schönheit! Vom südlichen Vorgipfel aus wird der Burgerweg in der Südwand bewundert, ein Kletterpfad von seltener Kühnheit. Aber auch die Sulzfluh zieht uns mit ihrem mächtigen Aufbau in ihren Bann. Darüber segeln herrliche Wolkenburgen und machen den Berg noch geheimnisvoller und schöner. Was für Kontraste: südseitig schwerste Kletterfahrten; nordseitig prickelnde Skiabfahrten. Bergsteiger und Skifahrer, was willst du noch mehrDie Stimmungen sind heute derart schön, dass das Scheiden wieder einmal schwer fällt. Und doch kommt man nicht darum herum. 1000 Meter Abfahrt bis zur Lindauerhütte. Im Gipfeldach bereits den ersten Sulz, im Sporertobel noch Pulverschnee und die restlichen Hänge wiederum sulzig. Die ganze Abfahrt ist durchwegs steil, in einem Wort zusammengefasst: tollGanz selbstverständlich darf diese Fahrt nur bei guten Verhältnissen unternommen werden. In der Hütte ist zur freudigen Überraschung Hans wieder da! Wenn auch für die Gipfelfahrten ausgeschieden, hofft er doch die restlichen Übergänge mitzumachen.

Beim Abschiednehmen blicken wir noch einmal zu den Drei Türmen hinauf, die im Gegenlicht silbern glänzen. Und es kommt mir zum Bewusstsein, dass dieses Landschaftsbild etwas unsagbar Schönes ist. Erbarmungslos heiss brennt die Sonne im Nachmittags-aufstieg zum Ofenpass auf uns nieder. Aber die rassige Schussfahrt zum Schweizertor hinunter erfrischt uns wieder. Dort gelangen wir in eine österreichische Grenzpatrouille, und da wir etwas zu viel Schillinge auf uns haben, gibt es beinahe so etwas wie einen « Sturm im Wasserglas ». Die Devisen waren kurz nach dem Kriege genau vorgeschrieben und die Kontrollen sehr streng. Aber ein Päckli gute Schweizer Zigaretten glättet den Weiterweg - und als Beruhigung nehmen wir die Gegensteigung ins Verajöchl unter die Ski. Von dieser Höhe aus dominiert im Rückblick mächtig die Drusenfluh, während sich vor uns die verlockenden Abfahrtshänge der Schesaplana breiten. Im östlichen Landschaftsrahmen fesselt uns die Zimbaspitze, das sogenannte Arlberger Matterhorn. Diese Bezeichnung ist tatsächlich nicht schlecht, denn welch faszinierender Berg! Wiederum folgen 300 Meter Abfahrt zum Lünersee, und über dessen gefrorene Fläche spuren wir zur Douglashütte ( 1969 m ). Diese Unterkunft ist ein grosser Flachdachbau, der leider während des Krieges sehr gelitten hat. Hier amtet das Geschwisterpaar Hämmerle aus Brand. Auch bei ihnen finden wir eine liebevolle Aufnahme.

Der letzte Tag sieht Albert und mich auf der Schesaplana ( 2969 m ). Die Route führt über Totalp und durch eine grosse Mulde in den steilen Gipfelhang. Tief zu unseren Fussen liegt nun der Lünersee und hinter der Rätikongruppe die Gipfelwelt der Ötztaler und Suvretta. Prachtvoll beherrscht wiederum die Zimba den Osten. Im Norden steht der Brandner Ferner mit dem grossen Bau der Strassburgerhütte. In der Tiefe liegt das freundliche Brandnertal, welches bei Bludenz ausmündet. Der ganze Westen wird unter der tiefblauen Himmelsglocke von den Bündner, Glarner Alpen und dem Alpstein abgeschlossen. Um 11 Uhr zischen die Ski im ersten Sulz. Präzis « schreiben » wir die Christianias in die Steilhänge, so dass es unter den Stahlkanten nur so wegspritzt! Schwung auf Gegenschwung drehen wir tiefer, legen ab und zu schnurgerade Schüsse ein, bis die Knie zittern und die Augen tränen. Schon eine halbe Stunde nach dem Gipfelstart werden vor der Douglashütte die Bindungen geöffnet und die nassen Ski an die Wand gestellt. War das ein Abfahrtsrausch! Dann Siesta mit gleichgesinnten Kameraden um einen Topf heissen Tee, und mehr braucht es nicht mehr, um glücklich zu sein!

Kurz nach Mittag brettein wir nochmals über den Lünersee und steigen ins Cavelljoch hinauf. Hier wird wieder Schweizer Boden betreten. « Wir können die Schillinge wieder auspacken », meint Hans und weckt frohes Lachen. In der Ostfianke des Gyrenspitz wird zum Drosbühl hinüber gequert. Diese Steilhänge sind nicht ganz harmlos, und bei unsicheren Verhältnissen ist es besser, den Gyrenspitz direkt zu überschreiten. Das Gleiten über den breiten Drosbühlrücken bis zu den Maiensässen ob Schuders gleicht einer märchenhaften Abfahrt, die alle Wünsche sättigt! Und beim Rückblicken grüsst uns immer wieder die hellleuchtende Felsmauer der Drusen- und Sulzfluh. Tiefer unten gibt sich der Winter geschlagen! Neben gurgelndem Schmelzwasser und leise tropfendem Schnee binden wir, braungebrannt und beglückt, die treuen Hölzer zusammen. Durch das Blumenmosaik der Bergmatten steigen wir tiefer. Herrgott, wie ist Deine Welt doch schön! Später nimmt uns ein Strässchen auf. In Schiers schliesst sich der Kreis dieser Rätikonrundfahrt, die goldig in unseren Herzen weiterlebt.

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