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Scheffel und die Schweizerberge

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Zu des Dichters 100. Geburtstag.

Am 16. Februar 1826 ist Joseph Viktor Scheffel in Karlsruhe geboren.

Der Dichter des « Ekkehard » und Verfasser der « Reisebilder » und vieler Briefe an Schweizer Freunde verdient, dass man auch an dieser Stelle seiner heute südlich des Rheines gedenke.

Schon als Knabe war Scheffel mit den Schweizerbergen bekannt geworden. Vom Hohentwiel und vom Eggberg aus hatte er zum erstenmal die hellen Firne zu sich herüberleuchten sehen. Mit seiner Mutter, einer munteren Schwäbin, die die Lust zu wandern und zu dichten auf ihren Sohn vererbt hat, ist er später auf Besuch nach Zürich zum Vetter Ignaz Heim, dem Sänger-vater, gefahren, und als er in München, Heidelberg und Berlin studierte, da hat er nicht nur hinterm Bierkrug geschwärmt und gesungen; allein und mit gleichgesinnten Freunden zog er in die bayrischen Alpen, die Bergstrasse entlang, durch den Thüringer Wald, den Harz, ja bis nach Rügen. Mit seiner Wanderlust steckte er auch andere an, und wessen sein Herz voll war, das schrieb er in sein Wanderbuch. Die « Lieder eines fahrenden Schülers » zeigen uns schon, dass Scheffel zu wandern und zu dichten verstand.

Von seiner ersten Bündnerreise, die ihn in Gesellschaft seines Vertrauten, des Heidelberger Historikers Häusser, ins Rheinquellgebiet und über den Splügen bis nach Como brachte, kam er neugestärkt zurück nach Karlsruhe, und um die traurigen Zustände seines Vaterlandes zu vergessen, vertiefte er sich in das Studium der Bündnergeschichte. Wie vor ihm Goethe, so hatte auch er aus den Bündnerbergen manche Skizze mit nach Hause genommen, und da er damals sich noch mehr als Maler denn als Dichter fühlte, ging er daran, das Geschaute auch im Bilde festzuhalten. Aber das genügte ihm nicht; im Herbst 1849 schon schreibt er einem Freunde, wie er sich wieder aufs kommende Wanderjahr freue. Der Hunger war nicht gestillt, nur geweckt.

Die uns überlieferten Reiseeindrücke seiner zweiten Schweizerreise 1850 lassen uns auch seinen Humor erkennen. Nach einer Besteigung des Scesaplana ruft er in einem Wanderlied den Leuten in den Niederungen zu: « Naus aus dem Haus! Naus aus der Stadt! Naus aus dem Staat! Nix wie naus! » — Der moderne Ferienreisende glaubt, er müsse immer blauen Himmel und besonnte Berge sehen; malt sich einmal eines Tages die Landschaft grau in grau, dann schimpft er auf die Berge, den Wirt, das Barometer und weiss Gott was alles. Anders Scheffel: er schreibt am 23. August, einem bösen Regentag, von Rigi-Staffel: « Die Schweiz ist zwar eine schöne Gegend, aber wenn rings um den Menschen bloss nebelgraue Unermesslichkeit sich ausbreitet und der Sturm durch das Wolkengewimmel pfeift, so hört die Natur auf und — der Frühschoppen fängt an. » Nach einer verregneten Reise über den Gotthard nach den oberitalienischen Seen hatte er sich auf den Rigi zurückgezogen, wo « der Sonnenaufgang handwerksmässig betrieben wird ».

Heine schreibt irgendwo: « Die schönsten Landschaften können uns nicht entzücken bei trüber Witterung und ähnlicher Gemütsstimmung; diese ist bei mir immer Folge von jener; da es draussen regnete, so war auch in mir schlechtes Wetter. » Heine fehlte eben der Humor, der Scheffel nicht nur über schlechtes Wetter, sondern auch über langweilige « whistspielende, teetrinkende Engländer, sentimentale deutsche Frauenzimmer und anderes, was ein fahrendes Schülergemüt abstösst », hinweghalf.

Immerhin vermied er auf seiner nächsten Schweizerreise ähnliche Orte und zog sofort ins Herz der Alpen. Nicht nur seinem Körper, auch seiner Seele sollten die Berge diesmal Hilfe bringen. Seit Anfang 1850 war Scheffel in Säckingen. Mit Liebe studierte er dort die Menschen, durchstreifte den dunkeln Schwarzwald und versenkte sich in die Geschichte des kernigen Hauensteiner Volkes. Aber langweilige Akten und Paragraphen machten ihn bald melancholisch, bald rasend, denn er fühlte in sich nicht den « Staatshämorrhoidarius », der nach der Amtskarriere « des täglich dümmer und täglich brauchbarer Werdens » strebt, sein « bester Kern ist immer noch der Zug zur Kunst », und so verlässt er denn Anfang 1851 sein ihm sonst lieb gewordenes Säckingen und eilt — wieder mit seinem Freunde Häusser — nach Graubünden, ins Engadin. Es ist seine grosse Bündnerreise. Gross möchte ich sie nennen namentlich im Hinblick auf den Gewinn für uns, denn Scheffel hat das Erlebte damals in « Reisebildern aus den rhätischen Alpen » den Lesern der « Allgemeinen Zeitung » erzählt, und diese Reisebriefe sind später auch — leider bis auf den heutigen Tag mit vielen entstellenden Druckfehlern — in Buchform erschienen und haben nicht wenig dazu beigetragen, Rätien und seine Bergwelt in Deutschland bekannt zu machen.

« Am 1. September » — schrieb Scheffel an seinen Studienfreund Karl Schwanitz — « habe ich mich in die Graubündner Alpen verzogen, wo ich an der Quelle des Rheins und auf den wilden Höhen des Bernina, wo nur noch Murmeltiere pfeifen und die Gemse flüchtig über die unermesslichen Schneefelder und Gletscher hinstreift, meine Gedanken von den kleinen Miseren badischer Kanzleitätigkeit habe ausruhen lassen und an grössere Dimensionen gewöhnte. » Über die Oberalp war er ins Vorderrheintal herabgestiegen und hatte sich sogleich in Bündens Grenzen wohlbefunden. « Bei würzigem Valtelliner-wein, in dessen Unvermeidlichkeit sich der Wanderer gerne fügt, und bei zartem Gemsenbraten, der ersten Beute der am 1. September eröffneten Jagd, verschwanden die kniezerbrechenden Erinnerungen an die Alpenpfade und bei der Wärme des primitiv geformten Ofens der Dissentiser Herberge liess es sich gut von alten Geschichten plaudern. » Dass er die historische Literatur jener Zeit genau studiert hatte, beweist auch seine Keltomanie. Nach dem Vorbilde Steubs und anderer Sprachforscher sieht er überall Kelten, sogar unzweifelhaft romanische Namen, wie Caflisch, Carisch, Camenisch, sind für ihn belgokeltischen Ursprungs, und im alten Frack eines Postillons glaubte er noch das keltische Kamisol zu finden. Truns mit seinem Ahorn, das « Grütli der Graubündner », gibt ihm Anlass zu einem verfassungsgeschichtlichen Exkurs. Die vielen Burgruinen sagen ihm, dass der Bündner im Schreck des Bergsturzes und im Wintersturm auf den Alpenhöhen seinen wahren Herrn und Meister kennen und verehren lernte, aber auch in seinem mühsam der Bergwildnis abgerungenen Leben sich zu trotzigem Selbstbewusstsein zusammenfasste, so dass er weder Resignation noch Romantik genug hatte, um an den Rohheiten seiner Kastellane Geschmack zu finden. Die Sprachmengerei des « Schalauer»-Romanisch mit seinem « plündriar » und « mordriar » stimmt ihn fröhlich, ebenso das « liderlich Kerli », womit auf der holperigen, vom Regen aufgelösten Ober-länderstrasse der « keltische » Fuhrmann Anton sein Ross zum Trab ermuntert. Hatte das obere Vorderrheintal auch noch keine rechte Fahrstrasse, so gab es dafür in Ilanz Veltliner und prächtige Lachsforellen zur Versöhnung mit Weg und Wetter. Dem originellen Antoni und seiner Zeit aber hat Scheffel ein Denkmal gesetzt in seinem Lied « Vom letzten Postillon ».

An Alvaneu vorbei, dessen reiche Schwefelquelle nach der Fremdenliste fast nur von Engadinern und Kranken aus den benachbarten Tälern benutzt wurde und das damals noch keinen Komfort und keinen Konversationssaal hatte, steuerte er dem Albulapass zu. In Bergün imponierten ihm ganz besonders zwei « alte Sibyllen, die in schwarzen Gewändern einfach, starr und strenge unter romanischen Bibeln und Erbauungsbüchern sassen. Hier war noch ein Stück althugenottisches Wesen; denn in diesen Tälern — rühmt der Katholik Scheffel — lebt noch unverfälschter echter Protestantismus und kein Formalismus, sondern in Fleisch und Blut eingewachsen. » Dass dies gerade bei Romanen der Fall war, schien Scheffel besonders merkwürdig. Seine Schilderung eines Engadiner Sonntags mag hier in extenso folgen.

« Wer am Sonntag durch eines dieser Täler wandert, der staunt, wie starr puritanisch die Sonntagsfeier beobachtet wird. Da sind keine Gruppen auf den Strassen, kein Fuhrwerk darf des Weges fahren, ausser es brächte fern gelegene Talbewohner zur Kirche, und der Fremde hat Mühe, an solchem Tag Ross und Wagen zu erhalten, und wenn die Glocke zur schmucklosen Kirche ruft, versammelt sich die ganze Gemeinde, die Frauen meist im schwarzen Sonntagsgewand. Wir selbst erinnern uns gern noch des einfach friedlichen Eindruckes, den der Sonntagsgottesdienst einst im Kirchlein zu Samaden auf uns machte.

Getrennt sassen Männer und Frauen; erst wurde eine jener feierlich strengen Weisen des altprotestantischen Kirchenliedes gesungen, während-der die Männer noch das Haupt bedeckt hielten, dann erschien der Geistliche im schwarzen Talar auf der Kanzel, und nach den üblichen Gebeten predigte er über den Psalmvers „ Saignur Dieu, Tü est nos rifuggi saimper e saimper ", und beim klangvollen, langsamen Predigtton war der Inhalt seiner Worte auch dem ins Romanische nicht tief Eingeweihten verständlich — ein einfaches Lob des Herrn des Himmels und der Erde, der das Menschenkind durch alle Fährlichkeiten des Lebens und aus dem,, torrent della temporalited ", dem „ wilden Sturzbach der Zeitlichkeit ", zum guten Ausgang leitet. Ein Choral schloss die Feier ab, und mit der Gemeinde verliess auch der fremde Besucher erbaut das Gotteshaus. » Nachdem der Historiker und Sprachforscher Scheffel seine Leser über die verschiedenen romanischen Sprachformen unterrichtet und ihnen die Zustände des Landes mit liebevollem Verständnis geschildert hat, kommt beim Eintritt ins « gelobte Land Engadin » der Dichter zum Wort: « Sei gegrüsst altes Etruskertal, rätselvolles Engadin! » Der blaue Himmel, der sein Zelt über den König der Engadineralpen und dessen Trabanten wölbte, lockte ihn zugleich nach den Bergen und nach Süden. Erst aber galt es, sich in den schmucken Dörfern umzusehen, von deren Hauptort er erzählt:

« Wer im Engadin recht heimisch werden will, dem raten wir, sein Hauptquartier in der Krone zu Samaden aufzuschlagen. Stattlich ragt dies alte, ehemals Salissche Herrenhaus mit seinen sauber geweissten Steinmauern und tiefen, eisenverkremsten Fenstern am Eingang des grossen Dorfes hervor, und im wohlerhaltenen altertümlichen Gastzimmer weht noch ein spezifisch engadinischer Geist den Fremden an. Seit den Tagen des Herrn von Salis, der vor just 200 Jahren sich allhier einrichtete, ist nichts verändert. Die schweren eisernen Beschläge an der Tür, das unförmliche, aber in vielfachen Verschränkungen kunstreich vom lombardischen Meister gefügte Türschloss; die von schwarzbraunem Nussbaumholz getäfelten Wände, die mit kunstreichem Schnitzwerk verzierte Decke des Gemachs, an der unter doppelter Helmzier die Salissche Weide und ein gekreuzter Pfeil als Wappen des Hausherrn und seines Ehegemahls noch wohl erhalten sind; der schwere säulen- und ara-beskenreiche Wandschrank, in welchem die alten Bibelfolianten und engadinische Psalmen und Gebetbücher als herkömmliche Hausbibliothek nicht fehlen dürfen: alles gemahnt hier, dass in die stillen Alpentäler wechselnder Drang leichtfertiger Mode nicht eingedrungen ist, und dass, was die Vorväter solid geschaffen, auch Enkeln noch genügt; und über dem gebräunten wappen-gezierten Ehebett flüstert 's wie von alter engadinischer Liebe aus den Tagen, da der „ Grossvater die Grossmutter nahm ". In diesem ehrwürdigen Gelass sollte sich einmal ein sinniges germanisches Gemüt einnisten, sich mit Gemsbraten und Murmeltier redlich ernähren, aus altem Pokal den Valtelliner schlürfen und aus den vergilbten Codices Herrn Gulers und Wynegg, des würdigen Graubündner Feldhauptmannes und Chronikschreibers, und Herrn Ulrich Campells, des gelehrten Pastors von Süs, die verklungenen Geschichten rhätischer Alpen seit König Noah, der ja, nachdem die Sündflutgewässer verlaufen waren, im Engadin noch etliche Zeit residiert haben soll, heraus-klittern. » Die Ebene bei « der etruskischen Reiterkolonie » Celerina belebt die Phantasie des Dichters mit den « Celeres, die auf der Engadinischen Hochebene für Ross und Mann Raum genug fanden, italische Reiterstücklein weiter zu kultivieren ».

Der malerische Hügel mit dem im romanischen Stil erbauten Kirchlein St. Gian hat es dem Malerdichter ganz besonders angetan. « Da heben sich die hellen, sauberen Häuser von Celerina und der schlanke Turm gar fein vom dunkeln Tannenhintergrund der Vorberge ab, hinter welchen der Sauerbrunnen von St. Moritz beim grünen Bergsee hervorsprudelt; gen Norden aber steigen aus dem grünen Wiesengrund die Dörfer Samaden, Bevers, Ponte, Madulein, Campovasto, ein freundlicher Gegensatz zu den kahlen graugelben Felsrücken, die vom Albula und Scaletta herab sich talwärts senken. » Dann aber zieht es ihn aus dem Tale in die Berge, in die unverhüllte Majestät des Schnee- und Eisfeldes des Roseggletschers.

In Pontresina versah man sich im « Adler » mit dem nötigen Proviant. Dabei machte Scheffel auf Grund des Fremdenbuches die Beobachtung, dass den Wundern dieser Täler und Höhen vom Reisenden die gebührende Aufmerksamkeit nur selten geschenkt werde. « Hie und da zeigt sich ein versprengter Tourist — oder der unermüdliche Zugvogel durch Gebirg und Ebene, der Heidelbergerstudent. Der Engländer erscheint sehr spärlich; auch dass ein germanischer Käfer- und Pflanzensammler hieher vorgedrungen, melden die Blätter. » Als Führer zum Gletscher bot sich dem Dichter Jan Colani von Pontresina an, der Sohn des grossen Nimrods Jan Marchet Colani, der 1837 gestorben war, nachdem ihm seine letzten Lebensjahre durch einen allzu romantischen Artikel im « Stuttgarter Morgenblatt », den er aber als eine nackte Verleumdung empfand, vergällt worden waren. Denn der phantasievolle Verfasser der Beschreibung « der Gemsenjagd in den Schweizeralpen » hatte ihm einen Jagdmord, zwei Frauen und neben andern Schandtaten auch noch einen Seelenhandel à la Freischütz mit dem Teufel aufgedichtet. Scheffel hatte auf der Wanderung nach dem Roseggebiet vielfach Gelegenheit, den aufgeklärten und scharf beobachtenden jungen Colani von der besten Seite kennen zu lernen. So rühmt er nicht nur seine sichere Führung, sondern auch seinen scharfen Weidmannsblick, mit dem er auch in das Treiben und Schaffen der Gebirgsnatur hineinschaue. Es war ein herrlicher Tag. Colani belebte die Berge und Täler mit den Gestalten der rätischen Sagen von den wilden Männle, erzählte vom Wachsen der Gletscher, von der Heilwirkung des Ivakrautes und dem daraus destillierten Likör, von halsbrecherischen Jagden und hundert andern Dingen.

Es kam aus vollem Herzen, als sie den ehrwürdigen Berghäuptern rings herum zum Danke vom feurigen Veltliner zutranken. Und was in des Dichters Innern an Gefühlen und Gedanken sich regte, das fand Gestalt in einem der schönsten seiner Bergpsalmen, wo er den Falkenschluchtklausner erzählen lässt:

Des Torsteins Geheimnisse hab ich begangen, Die Wunder der Eiswelt sah ich erprangen, Vernehmet, was ich erschaute:

Die Sohlen mit eisernen Spitzen bespickt, Den Alpspeer fest in die Rechte gedrückt, So hab ich den Höchsten des Hochlands erklommen.

Mir war, als würd ich der Erde entnommen; In Abgrundtiefe schwand Wiese und Wald, Trotz blauenden Himmels umwehte mich kalt Des Winters frostglitzernde Wildnis.

Der Gletscher gemahnte ihn an ein verzaubertes Meer, Das im Sturmgewog Vor eines Gewaltgen gewaltigem Anhauch Wie mit magischem Schlage erstarrt ward: Statt schäumend sich bäumenden Wechsels der Wogen Kommt's mit Blöcken und Riffen zu Tale gezogen, Statt Flutenhebung und Senkung erklafft 's Mit Schrunden und Tiefen und grimmigem Spalt. Weh dem steigenden Mann, der hinabsinkt!

Der Bernina mit ihrem ungeheuren Gletscherstrom, der sich bis in die Lärchen von Morteratsch ergiesst, und dem Pass, dessen scharfe Winde auch ihm um die Ohren pfiffen, setzte er ein Denkmal in seinem bekannten Gedicht « Die Alpenstrasse », dem er als Motto den Jammerruf eines Kindes des Südens voranstellt: « Engadina, terra fina, se non fosse la pruina1 )! » Wie schnaubt der Ostwind rauh mich an, Wie pfeift 's in allen Schluchten, Als ob mich sündenleichten Mann Vieltausend Teufel suchten! Oymê! an welch ein End der Welt Bin ich allhin geraten: Auf Welschland ist mein Sinn gestellt Und muss im Eise baden.

Am Lärchenwald erschimmert 's weiss Von Riffen, Zacken, Schrunden...

Ein Wall von Schutt, ein Strom von Eis Hat sich zu Tal gewunden, In dämmernder Schneekönigspracht, Auf finstrem Wolkensitze Reckt Piz Bernina durch die Nacht Die demantblanke Spitze.

Sein Nebel deckt des Passes Höh! Durchblasen und durchfroren Schwank ich umher am schwarzen See Und hab den Pfad verloren... War nicht ein Trost im Tal Valtlin, Genannt der Valtelliner, Ich fluchte auf das Engadin, Und auf die Engadiner.

Dass die letzten Verse nicht ernst gemeint waren, sondern bloss ein Ausfluss seines Humors, hat der Dichter selber bewiesen, als er nach zehn Jahren wieder nach dem Engadin zog. Er hatte inzwischen manch schönes Stückchen Erde gesehen: Italien, Frankreich, Holland, die Salzburger und Bayrischen Alpen und den Schauplatz seines « Ekkehard » in den mildern Voralpen, dies alles hatte aber seine Liebe zu den Bündneralpen nicht erstickt, seine Sehnsucht nach den « wilden Bergen » nicht gestillt.

Auch in den folgenden Jahren kam Scheffel oft in die Schweiz. Im Mai 1852 reiste der von Liebes- und Berufsqualen Geplagte nach dem sonnigen Süden. Er hoffte, in Italien zum Maler zu reifen — und kehrte nach einem Jahre als Dichter zurück. Der Weg ging von Basel über Kandersteg und Gemmi nach dem Wallis und über den Simplon nach Mailand, Genua, Florenz, Rom. Und als es ihm dort zu laut wurde, fuhr er nach Capri und schrieb voll Sehnsucht nach Heimat, Liebe, Jugendtraum seinen « Trompeter ».

Im nächsten Jahre finden wir den Dichter auf den Spuren des « Ekkehard » am Bodensee, in St. Gallen, im Wildkirchli und auf dem Säntis, wo ihm der Bergfrieden wieder volle Gesundheit spendet, denn schon naht die Zeit der bösen geistigen Depressionen, die ihn überfallen:

Fahr wohl du hoher Säntis, der treu um mich gewacht, Fahr wohl du grüne Alpe, die mich gesund gemacht! Hab Dank für deine Spenden, du heil'ge Einsamkeit, Vorbei der alte Kummer, vorbei das alte Leid. Zu neuem Kampf gelustig steht nach der Welt mein Sinn... Der Jüngling lag in Träumen, dann kam die dunkle Nacht; In scharfer Luft der Berge ist jetzt der Mann erwacht!

Um dieselbe Zeit wollte Scheffel, von der Juristerei zur Geschichte übergesiedelt, ganz Schweizer werden und bewarb sich um eine Professur am Polytechnikum in Zürich, wo man aber den reiferen Tübinger Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer vorzog.

Die nächsten Jahre trieben den rastlosen Wanderer nach Frankreich, nach der Wartburg, nach der italienischen Riviera, nach Holland, nach München. Und als er 1860 an seinem Nervenleiden wieder schwer daniederlag, machte ihn die Kaltwasserheilanstalt Brestenberg am Hallwilersee im Verein mit der befreienden Natur und anregenden Menschen aus der Umgebung wieder gesund, und aus Dankbarkeit kehrte Scheffel später zurück und verlebte im Seetal eines seiner schönsten Lebensjahre mit seiner jungen Frau und schuf in neuer Lebens- und Schaffensfreude neue Werke.

Im Jahre 1862 — auch diesmal im Herbst — erschien Scheffel in Tarasp-Vulpera, und von dort zog es ihn wiederum zur königlichen Bernina. Einige Zeit später erschien seine « Frau Aventiure », eine Sammlung der herrlichsten Gedichte, die ihm die Berge des Engadins inspirierten. Hatte vor einem Jahrzehnt der Musensohn in studentischem Übermute dem ernsten Berges-greis ein frohes « Schmollis » zugetrunken, so dichtete jetzt der gereifte Mann auf einem Steinblock am Rande des Roseggletschers sein erhebendes Be-kenntnislied « Auf wilden Bergen »:

Nach Prunk und Glanz und höfischem Behagen In Steingeröll und Hochtaleinsamkeit... Wohin, wohin hat mich der Sturm vertragen, Seit dass ich sieglos sang im Sängerstreit! Blauleuchtend starrt die Eiswand auf mich nieder, Demanten blitzt im Sonnenstrahl ihr Firn, Ein schneeblank Linnen hüllt die starken Glieder, Durchsichtige Wölklein schleiern ihre Stirn.

Der Lärm erschweigt im Anhauch solcher Riesen, Kein Vogel singt im braunen Arvenwald; Das Mankei nur huscht linkisch durch die Wiesen Und birgt sich pfeifend in dem Felsenspalt.

Doch rings ersprudeln Quellen frischen Lebens, Im Urgestein gesäugt von Wolkentau, Die Seele schöpft sich Schwungkraft neuen Strebens Und schaut getröstet in des Himmels Blau.

Hier denk ich dein, du milder Fürst im Norden, Und meine Grüsse schweben in dein Land:

Ich weiss, du bist an mir nicht irr geworden, Ob alle mich vergessen und verkannt.

Und sähst du mich auf dieser Wildnis Klippen Sinnierend ob des Firns erstarrter Flut, Wie ehmals spräch das Lächeln deiner Lippen:

« Lasst ihn gewähren, denn sein Drang ist gut. » Wer sich auf Dichten peint, folgt dunklen Geistern Und wird dem Weltlauf windsbrautgleich entführt. Ihr Joch ist rauh, doch wen sie niemals meistern, Der hat des Schöpfers Odem nie verspürt. Sie leiten jeglichen nach seiner Weise, Dass ihm der Schönheit Offenbarung kund:... Mich zu den Gemsen, wo in ewigem Eise Geheimnisvoll saphirhell gähnt der Schlund.

Im Gletscherabstrom stund mein Jagdwein kühle Und füllt den Kürbisbecher kalt und klar:

Froh bring ich ihn, den Glimmerblock zum Pfühle, Als Weihetrunk Frau Aventiuren dar.

Sie hat mir reichlich Weh und Leid gespendet, Doch eine Stimme flüstert mir: Bezwing's!

... Der Lieder grösstes steht noch unbeendet...

Ich geh zugrunde — oder ich vollbring 's!

Scheffels Mutter hatte recht gehabt, als sie von ihrem Sohne zu einer Zeit, da er in seines Lebens dunkelm Drange des rechten Weges sich noch nicht bewusst war, gesagt: « In Rom will er Maler werden, ich meine aber, sein ihm von der Natur gegebener Pinsel sei die Feder. » Der Dichter des « Trompeter von Säckingen » und des « Ekkehard » war zum Liebling des Volkes geworden, und als ihm zum äussern Erfolg auch noch ein stilles — aber kurzes — Eheglück erblühte, da führte er seine Geliebte in die Berge « alt f ry Rätiens ». Er hatte seinen Wohnsitz in der Schweiz aufgeschlagen, und auf der Hochzeitsreise, im Sommer 1864, pilgerte er vom Bodensee dem Rhein entlang nach Thusis.

« Den Weg von Thusis nach Andeer legten wir zu Fuss zurück und hielten dort im Hotel Fravi eine gute Rast. Vom Splügen bogen wir ins Rheinwaldtal und stiegen über den San Bernhardin nach Misox, dann an den Langensee. » Die « Almfreude » war nicht erkaltet, der gute Humor, der ihn im Tiefland in den Widerwärtigkeiten des Lebens manchmal nicht mehr zu trösten vermochte, in den Bergen stand er ihm auch in Sturm und Wetter zur Seite:

Schwarzblaue Hörner,Blaset, ihr dumpfenHier küsst die Sonne Witternde Wand ...Riesen, mir nichtBlume und Halm, Eis in den Mulden,All eure NebelBlau ist der Himmel, Firnschnee am Rand ...Grob ins GesichtGrün ist die Alm.

Qualmend Gewölke,Was ihr im finsternFrei von der Sorgen Grau und gekraust,Dampfet und dämpft,Lastendem Drang Kauernd darüberWird von dem LichteGrüss ich den Morgen Föhnhauch zerzaust.Siegreich bekämpft.Mit Jodelgesang.

Scheffel war kein Gipfelstürmer und kein Modeturist. Die weite Natur war für ihn ein offenes Buch, das er aber nie ausgelesen zu haben sich vermass. Mit offenen Augen, einem empfänglichen Sinn und dankbarem Herzen hat er die Welt durchwandert, wie er in spätem Jahren noch bezeugt, indem er, wie einst der leichtfüssige Student, noch an der Schwelle des Alters sang:

Wer Gott und Welt will recht verstehn,Ihm offenbart des Äthers Kuss Durchstreift Gebirg und Tal,Mehr als ein schwarzes Buch — Im freien Hochland zu erspähnUnd « Ambulando discimus » Den ersten Frührotstrahl.Ist auch ein weiser Spruch.

Seine letzte Schweizerreise machte der schon an allerlei bösen Vorboten des Alters leidende Dichter vier Jahre vor seinem Tode im Sommer 1882 nach dem Berner Oberland. Er musste sich aber damit begnügen, die Berge vom Tale aus anzusehen, aus der Villa eines Freundes, die « angesichts der Schneehäupter des Berner Oberlandes » ihm Ruhe und Stärkung gewährte.

So hatte er sich in den späteren Lebensjahren mehr an Talwanderungen gehalten. Zwischen dem Rätikon und Montblanc sind nicht viele Täler und Pässe, die Scheffels Fuss nicht berührt hat.

Und als er, von allerlei Gebrechen und Sorgen heimgesucht, nicht mehr in die Alpenwelt hineinziehen durfte, da schöpfte er Kraft und Trost aus der Erinnerung. Eines seiner letzten Gedichte zeigt uns, welch reichen Schatz er aus den Tagen des goldenen Überflusses auf seinem leck gewordenen Lebensschiff in den stillen Hafen des Alters herübergerettet hat. Wir hören neben den elegischen Tönen einer schwer ertragenen Resignation auch noch jene Jugendfreude aus den Liedern des fahrenden Schülers leise mitklingen, wenn er am Rande des Grabes singt:

Blauer Himmel, lichte Wölklein Spielend um zerzackte Höh; Gletscherbäche, Wasserfälle, Sonnbeglänzter ewiger Schnee...

Schau ich 's auch, entzückten Blickes, Nicht mehr täglich auf der Fahrt — Die Erinnerung reinen Glückes Bleibt so schön wie Gegenwart!

C. Camenisch.

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