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Schweizer Grönland-Expedition 1966

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VON SIGI ANGERER, KRIENS

Mit 1 Kartenskizze und 9 Bildern ( 13-21 ) Weshalb geht ihr zum Bergsteigen bis nach GrönlandGibt es in der Schweiz nicht genug Berge und erst noch höhereSo und ähnlich wurden wir öfters gefragt, als unser Unternehmen, die Schweizer Grönland-Expedition 1966, bekannt wurde.

Ja, weshalb wählten wir die Berge Grönlands? Den Entschluss hatten wir, ohne uns um das Warum zu kümmern, ein gutes Jahr vorher gefasst, in einer winterlichen Zeltnacht im Wägital. Erst später, als wir ständig nach dem Grund unserer weiten Fahrt gefragt wurden, begannen auch wir darüber nachzudenken.

Unsere Alpen sind schön, ja in mancher Hinsicht schöner und abwechslungsreicher als die Berge in Grönland, und zudem sind die Gipfel im hohen Norden niedriger und schwer zugänglich. Aber gerade diese Tatsache liess in uns den Wunsch nach fernen Welten wach werden. Wo gibt es in den Alpen noch Neuland? Wo stehen noch Berge, die nicht schon vorher hundertmal auf allen Routen bestiegen worden sind? Hütten und Bahnen erleichtern allenthalben den Zugang, in gedruckten Routenbeschreibungen und auf genauen Karten findet man die einfachsten und die schwierigsten Wege auf die höchsten Gipfel beschrieben und vorgezeichnet. Wo bleibt da noch Platz für jugendlichen Entdeckerdrang? Wo sind da noch neue Fahrten zu unternehmen, die nicht im Extremen enden? Ist es nicht begreiflich, wenn junge Idealisten sich von den unberührten, weltfernen Höhen der Arktis angezogen fühlen? Welcher Alpinist wäre nicht begeistert vom endlosen Polartag, der keine Hetze vor dem Einbruch der Nacht aufkommen lässt?

Uns jedenfalls war dieses Unbekannte Ansporn genug, das Wagnis und die Anstrengung einer Expedition auf uns zu nehmen.

Draussen stehe das Thermometer auf 55 Grad minus, auf einer Höhe von 9700 Meter; das lesen wir auf einem Zettel, der den Passagieren im Flugzeug von Hand zu Hand gereicht wird. Hier drinnen merkt man allerdings herzlich wenig davon. Chäpp und mich beschäftigt vielmehr, was in Grönland in wenigen Stunden unser harrt. Doch vorläufig strecken wir uns noch wohlig in bequemen Polstersesseln. Die letzten Wochen und Monate waren für uns sehr aufreibend: jede freie Stunde musste für das grosse Ziel, die Grönland-Expedition, verwendet werden. Bis tief in die Nacht hinein schrieben wir Briefe, stellten Proviant und Material zusammen und bauten zu allem noch unsere vier Hundeschlitten selbst. Jetzt liegt das alles schon weit hinter uns. Das grosse Abenteuer hat begonnen.

Nach viereinhalb Stunden ruhigen Fluges setzt die Maschine zur Landung an; ödes, kahles Land taucht zwischen Wolkenfetzen auf- und kein Schnee! Nur vereinzelte weisse Flecke, die sich als gefrorene Seen entpuppen, lassen uns hoffen, dass wir doch noch das Fahren mit Hundeschlitten üben können, sind wir doch gerade deswegen schon im Mai nach Grönland gereist.

Über den Söndre-Strömfjord fliegen wir zum gleichnamigen Flugplatz. Von schönen Bergen, Gletschern und Eisbergen nicht die Spur!

Nun, Grönland ist viermal so gross wie Frankreich, und Söndre-Strömfjord ist für uns nur eine Durchgangsstation. Von unserem Endziel an der Ostküste trennen uns immerhin noch 600 Kilometer.

In der eintönigen Umgebung des Flugplatzes wird unsere Geduld acht Tage lang auf eine harte Probe gestellt. Im Flughafenhotel isst und wohnt man zwar gut, aber dafür sind auch die Preise entsprechend! Um zu sparen, suchen wir uns in der Nähe einen Zeltplatz.

Endlich erreicht uns die Nachricht, morgen könnten wir weiter. Zeitig stehen wir auf, um den Abflug nicht zu versäumen; aber kaum haben wir uns vor dem Zelt den Schlaf aus den Augen gerieben, da reissen wir sie auch schon weit auf: etwa 30 Meter vor uns erhebt sich gerade ein Moschusochse von seinem Lager - in seiner ganzen struppigen Grosse! Er sieht bedrohlich aus in seinem dunkelbraunen, langhaarigen Fell. Den Kopf tief gesenkt, nähert er sich neugierig unserer unbefestigten Behausung, während wir vorsichtshalber den Rückzug antreten. In aller Ruhe kratzt sich der Riese sein zottiges Fell an einem grossen Stein, um sich schliesslich gemächlich davonzu-trollen. Im Hotel aber werden wir nach dieser Begegnung fast wie Helden bestaunt.

Doch jetzt gewinnen die ungelösten Fragen über das Weitere der Expedition die Oberhand. Gibt es noch Schnee in Ostgrönland? Werden wir Hunde und Futter zu einem erschwinglichen Preis erhalten?

Hoch über der riesigen Masse des Inlandeises fliegen wir nach Kulusuk, einer Insel an der Ostküste, wo wir auf einem äusserst primitiven Flugplatz zur Landung ansetzen. Schnee liegt auch hier nur wenig; doch der schmale Sund bei der Insel ist noch dick gefroren. Am Strand stehen fünf Hundegespanne, um das Gepäck der Passagiere zum Schiff zu führen.

Anfänglich haben wir offenes Wasser vor uns; nur vereinzelt treiben schneeweisse Eisschollen, die allzubald an Zahl und Grosse zunehmen. Geschickt lotst der Kapitän das Schiff zwischen den bis 4 Meter dicken Eisplatten durch. Das Eis wird noch kompakter. Ein Mann klettert auf der steilen Strickleiter in den Ausguck am Mast und weist mit Handzeichen dem Kapitän die günstigste Fahrrinne. Nach eineinhalb Stunden lockert sich das Eis, und wir können im offenen Wasser nach Angmagssalik fahren. Es ist die grösste Siedlung an der Ostküste, mit etwa 700 Einwohnern, und dazu kommen noch doppelt so viele in den umliegenden Fangstationen.

Nach dreitägigem Warten startet ein Boot nach Kungmiut, unserem nächsten Ziel. Am Morgen gleiten wir pünktlich in den von keiner Welle gekräuselten Fjord hinaus; doch die unbeschwerte Fahrt dauert leider nicht lange, denn am Ende des Fjordes verhindert dichtes Packeis jedes Weiterkommen. Das Schiff wendet, und eine Stunde später erreichen wir wieder den Hafen von Angmagssalik. Enttäuscht steigen wir aus und stellen das Zelt wieder am alten Platz auf. Das ist Grönland! Dieses Manöver wiederholt sich noch zweimal; erst beim drittenmal klappt es schliesslich. Obschon das Eis noch immer sehr dicht ist, findet oder erzwängt sich das kleine Boot stets wieder einen Durchschlupf.

In Kungmiut stehen am Landungssteg viele Leute, um uns Neuankömmlinge offensichtlich und eingehend zu mustern. Wir beginnen sofort mit dem Verhandeln um zwei Hundegespanne und versuchen einen Lehrmeister für deren Führung zu finden. Nach zweitägigen Bemühungen, bei denen uns der dänische Schulleiter sehr behilflich ist, wird uns schliesslich das Gewünschte zugesichert; ein junger Grönländer findet sich bereit, uns erst in der Kunst des Peitschenschwingens und nachher im Schlittenfahren zu unterweisen.

Fünf Säcke mit getrocknetem Haifischfleisch und über 200 kg gedörrten Dorsch laden wir als Hundefutter in das kleine Boot, das uns in neunstündiger Fahrt in den Sangmilikfjord bringen soll. Dieses für die spätere Expedition bestimmte Futter wollen wir nach unserer Übungsfahrt soweit als möglich ins Landesinnere transportieren. Als Hundefahrlehrer kommt der 18jährige Grönländer Marius Mikiki mit, der während der zehn Tage unser Kamerad und Lehrer sein wird.

Seine 10 Hunde liegen bereits im Boot, 9 weitere werden gerade gebracht. Das kleine 12-Fuss-Boot fasst kaum das Hundefutter, die beiden Nansen-Schlitten und die 19 Hunde; aber zwei Mann Besatzung und wir müssen auch noch hinein.

Während der Fahrt regnet es; die gebirgige Landschaft beidseits des Fjordes mutet grau und trostlos an. Noch ist zwar das Fahrwasser offen, doch schon bald kreuzen wir nur mit halber Motorleistung zwischen mächtigen Eisbergen. Gleichmässig tuckert der Dieselmotor des kleinen Fischerbootes, gleichmässig regnet es ganze neun Stunden lang. Deshalb sind wir froh, als wir endlich in den Sangmilikfjord einbiegen, wo wir am Rand des festen Eises anlegen.

In wenigen Augenblicken wird unsere erste Hundeschlittenfahrt beginnen. Rund 250 Kilo lasten auf jedem Gefährt. Chäpp geht voraus, um von Zeit zu Zeit die Eisdicke zu sondieren, während der Schlitten des Grönländers dicht hinter ihm folgt. Die Hunde an meinem Schlitten heulen unruhig. Kaum gebe ich dem Schlitten einen Ruck und rufe « Cha - Cha - Cha », da beginnt die wilde Fahrt, und die hitzigen Vierbeiner fliegen mit dem schweren Schlitten übers Eis, als wäre dieser leer.

Plötzlich verschwindet Chäpp bis zum Bauch im eisigen Wasser. Ein kaltes Bad! In durchnässten Kleidern muss er seinen schwierigen Weg zum Ufer fortsetzen, während wir über lose, schwankende Eisschollen die schweren Schlitten aufs rettende Festland zu leiten suchen. Kaum halten wir dort, da wälzen sich die Hunde im weichen Schnee und gebärden sich wie Kinder.

Der weitere Weg führt anfangs sehr steil auf die Gletscherzunge; dann aber geht es gemächlich den Gletscher aufwärts. Um auch sicher durchzukommen, laden wir nur die Hälfte des Gepäcks auf; doch während wir uns mit dem ersten Schlitten zu dritt abmühen, erfassen die zurückgebliebenen Hunde sofort ihre Chance: im Nu ist ein Futtersack aufgerissen, und in einer ausgelassenen Balgerei streiten sie sich um die grössten Happen. Da schafft nur die scharfe Peitsche Ordnung in der wilden Bande!

Über den flachen Gletscher kommen wir nun gut voran. Marius, der Grönländer, hat die Spitze übernommen Hintendrein zu fahren ist glücklicherweise keine grosse Kunst, denn die Hunde fol- Legende zur nebenstehenden Karte 1 Pusugssivit 2072 m nach Karte 2 Silvertoppen 1800 m n Höhenmesser 3 Pyramide 2050 m it it 4 Papaver 2010 m n 5 Morgenhorn 2010 m n It 6 Eisdorn 2558 m.

n Karte 7 Dreisternfjeld 1950 m il Höhenmesser Gipfel 1 1960 m tf it it o 1900 m tt « » * 8 Kristall 2030 m tt it 9 Eck 2300 m n n 10 Breitfluh 2380 m it n 11 Donnerspitze 2340 m n Karte 12 Firnzahn 1900 m fi Höhenmesser 13 Wächtenkamm 2190 m 1 n 14 Schneekappe 2090 m il ti 15 EismeerJungfrau ?480 m n ti 16 Istind 2370 m Karte 17 Wolkenfjeld 2160 m n Höhenmesser 18 Monarch 2300 m n Karte 19 Kanzel 2339 m i » n 20 Eisbär ?360 m n Höhenmesser 21 Nase 20"6 m n Karte 22 Laupersberg 2580 m n tt 23 Gletscherkegel 1750 m n Höhenmesser 24 Blockberg 1600 m n it 25 Globi 1470 m n it 26 Adlerkopf 1810 m n 27 Felsberg 1600 m * ti 28 Sermiligaqfjeld 630 m it » 29 Kegte 780 m tt » NB Nunatakkerbiwak 1400 m it T » CP Col de Fantom 1100 m tt It SS Stephansgletscher HP Hundepass 710 m it ff C Conniatspass 1400 m n II L 1 Fjordlager 15 m n II L 2 Mikikilager 720 m it II L 3 Rasmussenlager 370 m n II L 4 Moränenlager 750 m .n II L 5 Schneelager 1200 m tt II L 6 Innominatalager 1050 m it It L 7 Eislager 560 m n H L 8 Lager am.Gletscherfluss 910. m n II L 9 Eskimopass 1150 m H H L ] LO Blumeninsel 1020 m n ti L ] Ll Sonneck 800 m tt n L ] L2 Bellah^j 750 m n n L ] L3 Tasilaq 10 m gen sklavisch der vorderen Spur. Auf der halben Höhe eines Steilhanges, der unsere Kräfte stark in Anspruch genommen hat, laden wir ab und fahren mit den leeren Schlitten zurück.

Ehe wir ins Zelt kriechen, müssen aber noch die 19 Hunde mit getrocknetem Haifischfleisch gefüttert werden. Sowie die Hunde uns mit dem Futter hantieren sehen, stimmen sie ein wüstes Geheul an, und beim Füttern verschlingen sie die zugeworfenen Stücke gierig. Danach müssen wir zudem noch alle 76 Pfoten mit einer gerbenden Salbe einreiben, um sie widerstandsfähig zu machen.

Früh am Morgen brechen wir unser Lager am Fjord ab; nur etwas Proviant und Hundefutter bleiben zurück. Wesentlich zügiger als gestern kommen wir voran. Diesmal spannen wir alle 19 Hunde vor einen Schlitten und kommen deshalb gut den Steilhang hinauf zu unserem Depot. Eine grosse Hochfläche liegt vor uns. In welcher Richtung geht es weiter? Mit der Karte kommen wir nicht zurecht; deshalb schlagen wir, bis diese Frage geklärt ist, unser Lager bei einem Felssporn auf.

Um die hartgefrorene Schneedecke als Schlittenbahn benützen zu können, werden wir von nun an nachts fahren und tagsüber schlafen. An dem dadurch entstehenden Ruhetag steige ich mit den Ski auf einen nahen Gipfel und halte Ausschau nach dem weiteren Weg. Wir können die nächsten 10 Kilometer über spaltenarme Schnee-Ebenen fahren. Noch am gleichen Abend brechen wir mit je einer halben Schlittenlast auf. Die Hunde sind wie verwandelt; auf der harten Piste ziehen sie doppelt so gut. Nach einer flotten Fahrt von 15 Kilometern laden wir ab und fahren zurück. Die Hunde sind immer noch in Form und laufen grosse Teile des Rückweges im Galopp.

Einen Tag später errichten wir unser drittes Lager schon über 20 Kilometer vom Fjord entfernt. Dennoch sind wir bedrückt. Wir hatten Pech: einer unserer Hunde fiel in eine unzugängliche Gletscherspalte und konnte nicht mehr gerettet werden. Sein letztes Geheul liegt uns noch in den Ohren, während wir unser Lager auf bauen. Etwa 20 Meter über dem mächtigen Knud-Rasmussen-Gletscher steht unser kleines, grünes Zelt verloren in der Weite dieser Landschaft. Eigentlich sollten wir jetzt schlafen, waren wir doch während der ganzen Nacht unterwegs. Aber wer schläft schon gerne, wenn die Sonne hoch am Himmel steht?

Die Hunde sind sehr ruhig. Nach der strengen Zugarbeit legten sie sich hin und kümmerten sich um nichts mehr. Erst als Marius das Haifischfleisch zerkleinert, wachen sie auf und verkünden in allen Tonarten ihren Hunger. Marius zeigt uns, wie man am zweckmässigsten füttert. Dazu stellt man sich einfach vor die heulende Meute und wirft jedem Hund seinen Teil direkt ins Maul. Ein gezieltes Schnappen, ein kurzes Würgen, und der Bissen ist geschluckt! -Der Rasmussen-Gletscher sieht harmloser aus, als er ist. Eine heimtückische Zone mit Riesenspalten hält uns auf. Sehen aber die Hunde, während der Führer im Zickzackkurs die Spalten vorsichtig umfährt, den ersten Schlitten vor sich, so schneiden sie die Kurven, wo sie nur können. Dadurch geht es oft bedenklich nah an offenen Spalten vorbei. Es ist 2 Uhr morgens, als direkt vor uns die Sonne hinter der dunklen Bergsilhouette aufsteigt, und mit einemmal verwandelt sich die ganze Landschaft in ihrem Licht-und Schattenspiel.

Gegen 9 Uhr morgens ertönt unser Haltruf: « Eh, eh! » Der Platz erscheint uns günstig, unsere Last zu deponieren. Die Fahrt ins Innere ist damit zu Ende; in zwei Tagen müssen wir wieder an der Küste sein. Acht Tage sind wir jetzt unterwegs und konnten uns auf der 50 Kilometer langen Fahrt ein Bild davon machen, worauf es beim Fuhrwerken mit den Hunden ankommt. Nun hoffen wir, auch allein mit den Tieren zurechtzukommen Die Rückfahrt scheint diese Hoffnung zu bestätigen: in einer einzigen Nacht legen wir mit den leeren Schlitten den Weg bis zur Küste zurück.

Pünktlich holt uns das kleine Motorboot der Grönländer an der Küste ab. Chäpp und die 18 Hunde bleiben in der kleinen Fangstation Sermiligaq zurück; ich fahre allein nach Kungmiut, um unseren fleissigen Helfer und Lehrer Marius Mikiki zu entlöhnen und mich um die Fahrgelegenheit der inzwischen in Angmagssalik eingetroffenen sechs Kameraden zu kümmern. Erst in einer Woche treffen wir uns alle im Ausgangslager im Sangmilikfjord.

Der Lagerplatz am Fjord ist phantastisch gelegen. Unter unsern Zelten spiegelt sich im ruhigen Wasser der senkrechte Eisabsturz des Gletschers. Die intensive Sonne hat in den letzten Tagen den letzten Schnee auf dem Gletscher zum Schmelzen gebracht, so dass eine höckerige, wüste Eislandschaft, schlecht für Hunde und Schlitten, zurückgeblieben ist. Am besten ist es, die Lasten auf dem Rücken über das schlimmste Stück des Gletschers zu tragen.

Wie froh sind wir, dass uns nach 4 Kilometer auf der Höckerpiste endlich etwas Schnee unter die Füsse kommt! Weich und ruhig gleitet jetzt der grosse Schlitten. Weniger ideal ist es aber für die Hunde: in dem nun rasch tiefer werdenden Schnee sinken sie oft bis zum Bauch ein. Deshalb müssen auch wir uns vor die Schlitten spannen, obwohl wir ebenfalls tief « eintauchen ». Erst nach dem Steilhang, der uns schon beim Vortransport zu schaffen machte, werden die Schneeverhältnisse besser. Kaum sind wir oben, laden wir ab, um den Rückweg für die zweite « Ladung » anzutreten. Erst zwei Tage später können wir, nach mühsamem Lastentragen, unser Lager oberhalb des Steilhangs, auf über 720 Meter, aufstellen. Ein herrlicher Lagerplatz: rundherum alles Berge, die noch niemand bestiegen hat!

Auch für die nächste Etappe bis zum Knud-Rasmussen-Gletscher sehen wir uns genötigt, wegen des umfangreichen Gepäcks die 20 Kilometer lange Strecke zweimal zu befahren. Von dort aus sehen wir 15 Kilometer weit nur blankes Eis. Wenn wir hier die Tiere einsetzen, werden ihre Pfoten nach kurzer Zeit wund sein. Also müssen wir, obzwar ungern, die Lasten selber ziehen. Drei Tage arbeiten wir am Transport des Materials zum nächsten Schnee, wo wir auf einer flachen Moräne unser viertes Lager aufbauen können und ein grosses Umpacken beginnt, denn alle nur irgendwie entbehrlichen Sachen müssen hier zurückgelassen werden.

Gut ausgeruht und um einige Kilo erleichtert, ziehen wir zwei Tage später weiter. Langsam und regelmässig steigt der Gletscher an. Neue Berge tauchen auf. In diesen unendlichen Weiten glaubt man nicht vom Fleck zu kommen Gegen 2 Uhr morgens erleben wir einen einmalig klaren Sonnenaufgang. Doch wie in anderen Breiten die Nacht, so treibt uns hier die Sonne zur Eile an. Ihre Strahlen werden in kurzer Zeit die gute Schlittenbahn aufweichen. Tatsächlich zwingt uns auch bald der weiche Schnee, das Lager mitten im Gletscher aufzuschlagen. Sobald der Schnee am Abend gefriert, wollen wir weiter; doch als ich nach kurzem Schlummer erwache, stecken wir mitten in dichtem Nebel, und im einsetzenden Regen gefriert der Schnee nicht. So bleibt uns nichts anderes übrig, als in diesem Schneelager zu verharren. Aber schon am nächsten Tag klärt sich der Himmel auf, und in der folgenden hellen Nacht finden wir wieder eine gutgefrorene Schlittenbahn vor. Ein 1400 Meter hoher Pass setzt der guten Bahn ein Ende. Ein stark zerschrundeter Gletscherabbruch steht als ernsthaftes Hindernis im Weg. Es sieht schlimm aus! Die sechs Kameraden suchen mit einem von Hand geführten Schlitten einen gangbaren Weg durch die vielen Spalten, während Chäpp und ich mit den Hunden nochmals zurückfahren, um das restliche Material auf den Pass zu schaffen.

Mit je zwei Mann an einem Hundeschlitten versuchen wir in der folgenden Nacht die Abfahrt durch das Spaltenlabyrinth. Es braucht allerhand Mut, Kraft und Technik, um die schweren, langen Schlitten durch das Gewirr der Spalten zu lotsen. An einer kurzen, steilen Stelle hat Chäpp Pech. Er strauchelt und stürzt unglücklicherweise gerade vor den fahrenden Schlitten, der über ihn hinweggleitet. Einige Zeit bleibt er zu unserem Schrecken regungslos liegen; doch bald erholt er sich wieder und kann leidlich weitergehen.

Auf dem blanken Gletschereis in nur 550 Meter Höhe errichten wir endlich ein Lager für längere Zeit. Von hier aus wollen wir Touren unternehmen auf Gipfel, die noch niemand zuvor bestiegen hat. Wie freuen wir uns darauf- nach den vielen strengen Tagen des Lastenschleppens!

Eine der ersten Touren gilt dem Küstenberg Pusugssivit. Zu viert machen wir uns auf den weiten Weg gletscherabwärts bis zur Mündung des Gletschers in einen Fjord. Im untersten Teil des mächtigen Eisstroms weichen wir in die Uferflanken aus, um in den steilen Hängen weiterzuklettern, bis wir einen phantastisch schönen Platz zum Lagern finden. Etwa 200 Meter tiefer fliesst der grosse Gletscher in den Fjord. Hin und wieder lösen sich Stücke des Gletscherendes und stürzen unter Donnern und Krachen in den tiefblauen Fjord, wo sie als frisch geborene Eisberge dem offenen Meer zutreiben.

Es mutet wie im Märchenland an, nach drei Wochen Eis, Schnee und kahlem Fels wieder einmal zwischen Blumen und Gräsern zu liegen. Aber die nächste Besteigung holt uns rasch in die Wirklichkeit zurück. Vergeblich suchen wir einen direkten Weg zum Gipfel: Zwei Pässe gilt es zu überwinden, ehe wir den Berg von einer anderen Seite aus angehen können. In anstrengender Kletterei arbeiten wir uns über eine Wand auf einen « luftigen » Felsgrat. Zahlreiche Felstürme drohen uns immer wieder den Weg zu versperren. Zuletzt jedoch werden die Schwierigkeiten seltener, und nach vierzehn Stunden erreichen wir als erste den einsamen Gipfel. Im Anblick des 2000 Meter tiefer liegenden Kangerdlugssnatsiaqfjordes schütteln wir uns beglückt die Hände. Rundherum sehen wir in der kristallklaren Luft einen unbestiegenen Gipfel neben dem anderen. Steil türmen sie sich am Rande der flachen Gletscher auf.

Uns aber graut vor dem langen Abstieg. Vor allem die Felspartien erheischen grösste Vorsicht, und es dauert lange, bis wir den schwierigen Felsabstieg hinter uns haben. Dann endlich lässt der flache Gletscher eine raschere Gangart zu. Doch schon nach wenigen Minuten verschwindet plötzlich Ruedi, mein Vordermann, lautlos in einer verdeckten Spalte. Das im Moment etwas zu lose Seil gleitet durch meine Finger;ich vermag es nicht zu halten, so dass es mich am Ende mit einem Ruck aus dem Stand reisst. Einen Meter weiter vorne kann ich nochmals Fuss fassen und glücklicherweise den Sturz Ruedis aufhalten. Er ist unverletzt, hängt aber frei im Seil, und nur wenig unter ihm ist die Spalte mit Wasser gefüllt. Mit unserer Hilfe kommt er jedoch bald wieder ans Tageslicht. Durch dieses kleine Erlebnis aufgeschreckt, gehen wir jetzt doppelt vorsichtig weiter und treffen todmüde vierundzwanzig Stunden nach unserem Aufbruch wieder am Biwakplatz ein.

In einer langen Rast erholen wir uns von den Strapazen der langen Tour. Der Weg zurück ins Lager kommt uns jetzt nur noch wie ein kleiner Marsch vor. Ueli, der Lagerwächter, schläft noch; dafür begrüssen uns die Hunde stürmisch, als wir nach viertägiger Abwesenheit wieder ins Lager zurückkehren. Ueli berichtet allerdings wenig Erfreuliches über die Tiere; einige hatten sich in der vergangenen Nacht losgebissen, um dem Küchenzelt einen Besuch auf ihre Art abzustatten.

Am nächsten Tag halte ich Lagerwache. Um dem Zerbeissen der Geschirre und Zugstricke ein Ende zu bereiten, fertige ich aus Stoffgurten eine Art Maulkörbe an. Aber der Ruhetag geht zu Ende, ehe ich für alle Hunde einen passenden genietet habe. Rode, der Leithund meines Ge-spanns, hält nicht viel von meiner Arbeit. Kaum habe ich ihm den Maulkorb umgebunden, bringt er es auch schon fertig, ihn abzustreifen. Nochmals binde ich ihn um, diesmal wesentlich fester -ohne Erfolg; er kratzt so lange mit den Pfoten und schabt auf dem Eis, bis er diese Fessel los ist. Resigniert verkrieche ich mich im Schlafsack.

Doch trotz dieser kleinen Scherereien mit den Tieren haben wir eine gute Zeit. Jeden Tag ist eine Partie unterwegs. Kommen die Kameraden dann müde ins Zelt zurück, berichten sie regelmässig mit strahlenden Augen von einer gelungenen Bergtour.

Nach zehn Tagen brechen wir auf und errichten das Lager 15 Kilometer weiter gletscheraufwärts. In diesem Lager sollen uns die Hunde nicht mehr belästigen können. Ein 6 Meter breiter Schmelzwasserfluss fliesst in einer teilweise bis zu 3 Meter tiefen Eisschlucht. An einer flachen Stelle flössen wir mit unseren schwimmenden Schlitten das ganze Zeltmaterial zur andern Seite des Flusses. Nun können die Hunde auf ihrer Seite machen, was sie wollen; das eisige Wasser wird sie von einem Besuch des Lagers abhalten. Auf Moränenschutt bauen wir die Zelte auf. Von einem Moränenblock zum andern spannen wir einen 50 Meter langen Draht als Radioantenne, und schon bald tönen aus dem kleinen Transistorgerät Stimmen von aller Welt in unser einsames Lager. Am meisten interessieren uns natürlich die Nachrichten aus der Heimat.

Um einen guten Überblick zu erhalten, steige ich mit Ueli und Otto auf einen leicht erreichbaren Berg in der Nähe. Der Zugang über den ebenen, spaltenlosen Gletscher hat seine Tücken. Breite Schmelzwasserbäche müssen dabei überquert werden. Den ersten Wasserlauf können wir knapp überspringen, der zweite ist etwa zweieinhalb Meter breit. Ich zögere noch, während die beiden Kameraden längst drüben sind; schliesslich wage ich es auch und erreiche knapp die Eiskante am anderen Ufer, gleite aber ab und falle rückwärts in den Bach. Sofort spült mich die Strömung weg. Wenige Meter weiter unten gelingt es mir, wieder Fuss zu fassen, und unter Mithilfe der Kameraden entsteige ich dem eisigen Bad. In noch feuchter, wenn auch ausgewrungener Unterwäsche, mit den Kleidern zum Trocknen über die Rucksäcke gehängt, geht für mich der Marsch weiter. An einem geschützten Felsen wird schliesslich alles wieder trocken; nur die beiden Photoapparate sind leider unbrauchbar geworden.

Am folgenden Tag ziehen die Hunde einen leichten Schlitten mit dem nötigsten Biwakmaterial, Proviant für vier Tage und Futter für die gleiche Zeit den Gletscher hinauf. Das von der Sonne zerfressene Eis setzt den Hunden wieder arg zu, bis wir nach 10 Kilometern die ersten Schneeflecken erreichen. Acht Stunden später treffen wir auf eine kleine Felsinsel, die eine Möglichkeit zum Verweilen bietet. 32 Kilometer sind wir marschiert.

Für 1400 Meter Höhe ist es angenehm warm in der Sonne.

Um Mitternacht brechen wir zu einer Bergtour auf. 10 Kilometer müssen wir gehen, bis wir nur an den Fuss des Berges gelangen; dann gewinnen wir durch einen imposanten Eisabbruch rasch an Höhe. Der Gipfel ist ein steiler Eiszahn mit einer kleinen Felsspitze. Mit den Ski können wir bis etwa 200 Meter unter den Gipfel aufsteigen, und den Rest bewältigen wir über einen steilen Eisgrat dank unserer Steigeisen ohne grosse Mühe. 2450 Meter zeigt der Höhenmesser auf dem Gipfel. Endlos erscheinen die Gletscherebenen, die sich im Hintergrund ausdehnen.

Für den kommenden Tag setzen wir uns zwei besonders schöne Berge zum Ziel. Schlechtes Wetter zwingt uns aber zu vorzeitiger Umkehr, und wir müssen einen trüben Regentag untätig vorbeigehen lassen, bis uns erneut strahlender Sonnenschein zu neuen Touren lockt.

Wie schön wäre es, noch länger in diesem Bergparadies zu bleiben! Aber bald wird die Polarnacht mit ihrer grossen Kälte und den rauhen Winden kommen Deshalb packen wir zusammen und beladen die Schlitten zur Rückfahrt. Schwer fällt uns der Abschied von der schon etwas vertraut gewordenen Landschaft; doch die schwindenden Nahrungsmittelvorräte lassen keine Wahl.

Bei der Rückfahrt über die vielfach völlig ausgeaperten Gletscher ist es schwierig, mit den schweren Schlitten zu kutschieren. An einem Schräghang greift bei einem Wendemanöver plötzlich die Bremse nicht mehr genügend, und der volle Schlitten saust direkt auf eine breite Gletscherspalte zu. Hilflos lasse ich den Schlitten fahren, um nicht mitgerissen zu werden. Mit der Spitze voran kippt er in die quer liegende Spalte, wird herumgeschleudert und fällt hinein. Die Hunde werden mit einem Ruck zur Spalte gerissen. Doch statt des erwarteten Krachens tönt aus dem Spalt ein Platschen; die Hunde bleiben hart am Rande des Schrundes liegen. Was ist passiert? Der breite Riss ist mit Wasser gefüllt, auf dem unser Schlitten friedlich schwimmt. Erleichtert atmen wir auf. Das wäre nochmals gut abgelaufen - bis auf die völlig durchnässte Ausrüstung!

Die Sachen trocknen jetzt auch nicht mehr so gut wie vorher; denn die schon nahezu vier Wochen dauernde Schönwetterperiode scheint zu Ende zu sein. Bei Regen, Schneefall und wieder Regen fahren wir die letzten Etappen der Küste zu, frierend kriechen wir am Abend in den Schlafsack, unlustig stehen wir am Morgen auf, weil das unerwünschte Nass immer noch aufs Zelt rieselt, und sind alle heilfroh, als die Zelte zum letztenmal am Fjord errichtet werden. Tags darauf holt uns ein Motorboot ab.

Nach den harten, arbeitsreichen Tagen dei Expedition ist es schön, noch kurze Zeit unter den freundlichen Grönländern in Kungmiut zu verbringen. Der Stationsleiter lädt uns spontan zu einem Nachtessen ein, bei dem frischer Lachs serviert wird.

Das nächste ist ein Telegramm in die Heimat, denn lange haben sie dort auf eine Nachricht warten müssen; um so mehr wird sie die knappe Botschaft erfreuen: Expedition voller Erfolg / alle gesund zurück / 28 Gipfel erstmals bestiegen / Grüsse von allen.

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