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Technik und Ethik des Bergsteigens im Lichte einer englischen Darstellung

Ich weiss, dass es an und für sich ein Wagnis ist, über die Technik und Ethik des Bergsteigens zu sprechen. Noch gewagter wird dieses Unternehmen, wenn es die Darstellung der Auffassung eines Volkes betrifft, dem man selbst nicht angehört. Ich weiss auch, dass man, um über dieses Thema sprechen zu dürfen, zwei Bedingungen erfüllen soll: man soll jung und alt zugleich sein.

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Der Kampf um das Matterhorn versinnbildlicht Irving diese nationale Rivalität. Wunderbar sind seine Schilderungen des Kampfes der Italiener um die Süd- und Ostwand dieses Berges und um ihre geliebte « direttissima ». Wenn junge italienische Kletterer temperamentvoll erklären, sie wollen ihr Tun aufgefasst wissen als « Kampf des Willens gegen schmähliche Furcht und niedere Instinkte; als Beweis dafür, dass wir uns unserer geistigen Kraft bewusst sind; als Bejahung des Glaubens an sich selbst und an das eigene Leben », so kann man dieser, einer ethischen Grundhaltung durchaus entspringenden Auffassung die Anerkennung nicht versagen.

 

Auch Irving betrachtet Amerika als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Welche Bedeutung er dem Lande für die Zukunft des Alpinismus beimisst und wie treffend er das Verhältnis der Amerikaner zum Bergsteigen kennzeichnet, sollen einige Stellen beweisen. Er schreibt:

« Unter allen anderen Nationen, die ihr Scherflein zur Entwicklung des Bergsteigens beigetragen haben, gibt es eine, die mehr als nur flüchtige Erwähnung verdient — die Amerikaner; denn wie in allen anderen internationalen Angelegenheiten geht es auch hier nicht an, sie zu übergehen, mögen sie an der Sache auch nicht besonders interessiert sein. » Irving ist sich bewusst, dass die Behauptung, dass die Amerikaner an der Sache nicht besonders interessiert sind, lebhaften Widerspruch erregen wird, und beeilt sich, amerikanische Bergsteiger von Ruf und deren Taten anzuführen. Er vergisst auch nicht, darauf hinzuweisen, dass die Amerikaner etwas besitzen, das älter, schöner und bedeutsamer ist als Kunstschätze, Museen, alte Kirchen usw., nämlich die vergletscherten Gefilde ihrer Hochgebirge. Trotzdem bleibt Irving bei seiner Behauptung. Zu ihrer Begründung stellt er die Frage:

« In welchem zahlenmässigen Verhältnis stehen die echten Bergsteiger, das heisst Leute, denen das Bergsteigen die liebste Beschäftigung in der Urlaubszeit ist, in Chicago und San Francisco zu denen in Manchester, Lyon, München oder Turin, und was für eine Einstellung zu den Bergen lässt sich bei den bergsteigenden Amerikanern feststellen? » und sagt dann:

« Das ist der springende Punkt, und wenn man die Sache unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, dürften viele Amerikaner mit mir darin übereinstimmen, dass man von einer wirklich grossen Rolle, die ihr Land gespielt hat, bis heute kaum reden kann und sie erst in Zukunft erhoffen muss. » Neidlos anerkennt Irving die hervorragende Stellung, die Amerika auf dem Gebiete der Zivilisation einnimmt, und erblickt das Werden derselben auch ganz richtig aus den ungeheuren Erfolgen in der Erschliessung und Nutzbarmachung der Reichtümer des Landes. Ebenso richtig aber ist es auch, wenn er sagt:

« Auf dem Gebiete des Beschaulich-Gedanklichen, des Begrifflichen, hat Amerika noch keine schöpferische Kraft bewiesen. » « Zeit ist Geld! » Diesen angelsächsischen Wahlspruch sieht Irving in Amerika zur Potenz erhoben und auch beim Bergsteigen restlos angewandt.

« Sogar aus den Berichten über ganz grosse alpine Leistungen von Amerikanern kann man selten etwas herauslesen, was auf mehr als die über die Bezwingung eines von der Natur in den Weg gestellten Hindernisses empfundene Befriedigung deuten würde. So-undsoviel per Stunde in Verbindung mit immer taylorisierten Arbeitsmethoden, das ist es, was der Amerikaner nie aus den Augen verliert, ob er nun bei sich zu Hause ist oder ob er in Europa herumreist; es wäre verwunderlich, wenn diese Einstellung auch nicht beim Bergsteigen zutage träte. » Irving lässt uns auch wissen, wann er daran glauben würde, dass für Amerika eine neue Zeit des Bergsteigens angebrochen ist:

« Wenn es mir einmal zu Ohren kommen wird, dass eine amerikanische Seilschaft einen Berg bestiegen hat, der in Alpinistenkreisen keinen klingenden Namen hat, wenn ich hören werde, dass diese Partie sich auf dem Gipfel länger aufgehalten und beim Abstieg sich mehr Zeit gelassen hat als jede ihrer amerikanischen Vorgängerinnen, dann werde ich daran glauben, dass eine neue Ära des Bergsteigens für Amerika angebrochen ist. Aber die Kunde von diesem Ereignis könnte mich wohl nur durch Mitteilung von Mund zu Mund erreichen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass ein amerikanischer Schriftleiter die Veröffentlichung von derlei Dingen in einer Zeitschrift gestatten würde. » Aber auch unter den Amerikanern weiss Irving Männer, für welche die Berge mehr sind als eine Anhäufung von Erde, Stein, Eis und Schnee und welche das Bergsteigen nicht der Mode wegen betreiben, sondern weil es ihnen ein Bedürfnis des Herzens ist. Als einen solchen kennt und schätzt er John Muir, von dem er sagt:

« Von allen Leuten, die über Berge geschrieben haben, reicht kein anderer an heiligem Eifer an ihn heran. Kein anderer hat ein gleich kindliches Gemüt, keiner kann so begeistert sein wie er. Er ist der Saussure der Amerikaner, ein eifriger Naturforscher und Geologe, der sich bei seiner Forscherarbeit von grosser und tiefempfundener Liebe zu den Bergen leiten lässt. »

 

Äusserst nett ist, was Irving über diese Nationen sagt: « Wir haben da die Belgier, die mit berechtigtem Stolz, an dem auch alle anderen Bergsteiger Anteil haben, auf ihren grossen König Albert blicken, der der einzige regierende Fürst war, der je unserem Sport gehuldigt hat. Dann die Japaner, die sich einen Wahlspruch zurechtgelegt haben, der sowohl das Ideale als auch das Praktische so treffend ausdrückt, wie Worte es überhaupt zu tun vermögen: ,Mögen unsere fünf Sinne rein und das Wetter auf dem verehrungswürdigen Berge schön sein.Neben vielen anderen ausgezeichneten Bergsteigern haben die Holländer auch einen ,Fliegenden Holländer'und seine liebenswürdige Gemahlin, die besonders im Himalaya eine rege Tätigkeit entfaltet haben. »

 

Hören wir nun, was uns Irving über die Einstellung seines eigenen Volkes zu den Bergen zu sagen hat: « Das Bergsteigen des Engländers wurzelt in seiner abenteuerlustigen Veranlagung, in seiner Vorliebe für die unberührte Einsamkeit der Natur, beides Neigungen, die in England in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eine Wiedergeburt erlebt haben. » Lust am Abenteuer und Vorliebe für die unberührte Natur. Hier sind in einem Satz die beiden Hauptwurzeln des Bergsteigens blossgelegt. Im Drang nach dem Abenteuer, im Trieb nach Eroberung erkennen wir den Willen zur Macht und im Bedürfnis nach der unberührten Einsamkeit der Natur das Streben einer sich offenbarenden Seele. Welche von beiden Wurzeln des englischen Bergsteigertums im allgemeinen die kräftigere ist und welcher grosse Geister den Vorzug geben, kann man aus der Geschichte des englischen Bergsteigers und aus dem Buche Irvings unschwer erkennen.

Welche Bedeutung man in englischen Bergsteigerkreisen dem Entdecken eines Neulandes beimass und wahrscheinlich noch beimisst, kann man aus den folgenden Zeilen entnehmen:

« Dem Anreiz, den die Entdeckung von Neuland ausübte, hatte der englische Alpinismus einen sehr kräftigen Ansporn zu danken. Jetzt, da wir wissen, welchen Wert andere Völker auf derlei Dinge legen, müssen wir uns wegen des grossen Anteils, den wir an der Ersteigung der grossen Gipfel der Alpen, des Kaukasus, an der Erschliessung des Himalaya, der Rockies und der Anden genommen haben, fast entschuldigen. Wenn ich genaue Ziffern anführen wollte, müsste ich fürchten, der Prahlerei geziehen zu werden, und das ist ein Vorwurf, den wir Engländer ganz besonders scheuen. Denn das unverhüllte Prunken liegt uns nicht, und wir behalten unseren Stolz lieber für uns. Die überragende Bedeutung, die dem Entdeckungs- und Erforschungsmoment eingeräumt wurde, spricht aus der Äusserung eines hervorragenden Bergsteigers, der da meinte, der Alpine Club habe mit der Durchführung der letzten bedeutenden Erstersteigung seine Daseinsberechtigung verloren. » — « Seine eigenen Landsleute », sagt Irving weiter, « kann man nicht anders als durch die Brille des Landsmannes sehen. Deshalb ist es nicht leicht, das Typische ihrer Einstellung zu den Bergen klar zu erfassen. Bei den Engländern scheinen mir zwei charakteristische Merkmale erkennbar zu sein. Einerseits eine gewisse Unbeeinflussbarkeit, andererseits die angeborene Veranlagung, jede natürliche Gemütserregung hinter verschleiertem Humor oder hinter der Maske der Gelassenheit vor forschenden Augen zu verbergen. Der englische Bergsteiger, der immer unabhängig seine eigenen Wege sucht, wird stets auf neue Probleme stossen, denn den Engländer leitet bei seinem Bergsteigen eine rein persönliche Neigung, nicht die Mode, der die Herden Gefolgschaft leisten. Der Franzose legt Wert darauf, das zu tun, was für richtig befunden wird. Der Deutsche liebt es, nach vorgezeichneten Grundsätzen handeln zu können; grössere Abweichungen vom Normalen, mehr Verrücktheit, wenn man will, wird man beim Engländer beobachten können; nicht nur in seiner Kleidung und Ausrüstung in den Bergen, auch ganz allgemein in der Art, wie er seinem Vergnügen nachgeht. »

 

Es wäre überheblich, immer nur von Männern und Männertaten zu reden. Hören wir deshalb auch einiges, was Irving von Zunftgenossinnen zu sagen hat. Wie mir scheint, bewahrheitet sich auch hier der Spruch: « Wie im Guten so im Bösen, überall die Frau voran. » « Sonderbar », sagt er, « wie ähnlich die Entwicklung des weiblichen Alpinismus ist, die sich in den verschiedenen Ländern Europas beobachten lässt. Da gab es in alten Tagen eine Mademoiselle d' Angeville, später eine Miss Walker, denen es eine solche Freude machte, ganz grosse Bergtouren zu unternehmen, dass selbst die grössten körperlichen Strapazen sie davon nicht abhalten konnten.»— « Heute », sagt Irving weiter, « segeln unsere Damen schon ganz im Fahrwasser des Wettbewerbes. Damen haben einen der schwierigsten Anstiege auf die Grandes Jorasses in kürzerer Zeit gemacht als berühmte männliche Vorbilder und eröffnen noch tollkühnere und vernageltere Routen durch die Steilflanken der Julischen Alpen als die Männer. Es sieht fast so aus, als ob in Hinkunft einige ,ohne weibliche Begleitung'unternommene Touren die Bedingung für die Qualifikation zur Mitgliedschaft in einem Männerklub schärferer Observanz werden sollten. » Ich bin aber überzeugt, dass solche Erscheinungen nur seltene Ausnahmen sind und sein werden und dass niemand mehr die Freuden einer Bergfahrt vergrössern und vertiefen kann, dass niemand mehr das Erlebnis in den Bergen seliger zu gestalten vermag als eine Frau. Nicht im Kampfe, wenn es hart auf hart geht, möchte ich die Frau an meiner Seite sehen, denn die Verantwortung dafür wäre mir zu gross, wohl aber dann, wenn man durch blumige Wiesen schreitet, durch stille Wälder geht, am sonnigen Gipfel sitzt oder nach einem Tag reichen Erlebens im Abendsonnenschein heimschreitet, Buhe und Glück im Herzen.

Was immer uns das Leben in den Bergen an Glück und Freude, an Lust und Leid zu geben hat, was immer sich unserer Seele zu erkennen gibt und was immer die Seele uns offenbart, nur eines vermag es zu überragen oder zu mindern, nur eines vermag es in den Schein tiefster Seligkeit zu tauchen, die Gegenwart der geliebten Frau. Vielleicht waren es die gleichen Gefühle, die Irving die schönen Worte finden liessen, die er den « Freunden » ( Bergen ) widmet:

« Wir Bergsteiger gehören zu jenen'Fürsten dieser Welt ', die Freunde haben deren Gegenwart allein schon genügt um Wunsch und Sehnsucht zu stillen. Da bedarf es keiner Worte, nicht einmal eines Blickes. Einzig in ihrer Gegenwart liegt schon etwas, das genügt, um dich fühlen zu lassen: du bist glücklich! »

 

Ich habe bereits ausgeführt, dass jeder Mensch nahezu die Anlage für alles Mögliche in sich trägt und dass es nicht zuletzt die Umwelt und das Geschick sind, welche darüber entscheiden, ob und welche Anlagen zur Entwicklung kommen. Es ist daher keine Phrase, wenn man sagt, dass Bergsteigen Berufung sei. Viele Briefe, die ich von bekannten Bergsteigern des In- und Auslandes auf eine gestellte Frage erhielt, bestätigen diese Ansicht und auch jene, dass es unter den Berufenen auch Auserwählte gibt. Auch Irving dürfte diese Ansicht nicht fremd sein, denn er sagt:

« Den weitaus grössten Teil meiner Bergsteigerlaufbahn habe ich damit verbracht, den Bergen junge Leute zuzuführen, um ihnen den Trank zu reichen, der für die Berufenen der Trank des Lebens ist. » — « Ich habe mich in den Bergen immer wie ein Kind gefühlt, und mit kindlichem Gemüt habe ich die Gaben empfangen, die sie mir beschert haben: die Lust am Leben — die Berufung zur Erkenntnis der ewigen Wahrheiten. » Im Kapitel: Die höchsten Berge der Erde, sagt Irving von Mallory: « Man ist versucht, zu behaupten, es sei unabwendbar gewesen, dass aus ihm ein Bergsteiger wurde. » Im Abschnitt: Einstellung zu den Bergen, berichtet Irving, wie bekannte Bergsteiger, z.B. Saussure, Mummery, Conway, Young, Guido Rey, Klucker, Whymper usw. mit den Bergen bekannt wurden, und sagt dann:

« Welche Schlüsse lassen sich nun aus den Erstlingserfahrungen der grossen Bergsteiger, die ich oben genannt habe, ziehen? Dem rein Physischen ist als einem wesentlichen Bestandteil des ganzen Komplexes ,Bergsteigen'die ihm zukommende Bedeutung eingeräumt. Aber die Leute wollten bergsteigen, weil es sie auf die Berge zog. »

 

Erfahrung und Erkenntnis lassen mich als das Grundelement der Ethik die Verantwortung werten. Die Verantwortung gegenüber den Mitmenschen, der Umwelt und die Verantwortung gegen das eigene Ich selbst. Sie ist es, die der seelischen Grundhaltung eines Menschen vor allem das Gepräge gibt und ihm, und auch seinem Volke, Rang und Wert verleiht.

Der Umstand, dass beim Bergsteigen, wie kaum bei einer anderen körperlichen Betätigung, die Verantwortung eine so grosse Rolle spielt, macht es zu einer ethischen Angelegenheit ersten Ranges und verleiht ihm Grösse und Ansehen. Betrachten wir daher vorest die Meinung Irvings darüber und anschliessend daran seine Stellungnahme zu anderen alpinen Fragen ethischen Charakters.

Bei seinen abschliessenden Betrachtungen über die Ergebnisse der bisherigen Everestexpeditionen kommt Irving zu der Überzeugung, dass man nach Tunlichkeit « Leute dazu ermuntern sollte, auf eigene Gefahr im Himalaya oder in anderen Gebirgen bergzusteigen, aber », sagt er, « rüsten wir nicht den Kampfring für sie, wie wir es jetzt zu tun begonnen haben. » Nicht den « Kampfring zu rüsten », das scheint das Wesentliche zu sein, denn:

« Man kann nicht Leute in ein grosses Abenteuer hineinhetzen und dann von ihnen erwarten, dass sie, wenn das Ziel schon greifbar scheint, vor einem Risiko zurückschrecken, das zur Erringung des Enderfolges eben in Kauf genommen werden muss. Man kann sich von der Verantwortung für das tragische Ende einer die äusserste Kraftanstrengung voraus-setzenden gefährlichen Unternehmung nicht dadurch lossprechen, dass man den Leuten sagt: ,Seid vorsichtig! ' » Es ist ganz nebensächlich, wer diese Kampfringe aufrichtet, ob es das Everest-Committee ist oder irgendein Verein, auch ist es belanglos, welche Form dieser Kampfring annimmt. Entscheidend ist auch hier, welche Absicht dem Unternehmen zugrunde liegt. Irving sagt:

« Wenn die Erkletterung der letzten 300 Meter am Everest für die Menschheit wirklich von solchem Segen sein wird, wie man es behauptet, dann wird das Mass der Verantwortung für die Anreger dieser Expedition, die immer voll der Gefahren für Gesundheit und Leben jener sein wird, die den Angriff unternehmen, eine ehrenvolle Bürde sein. » Am 9. August 1931 verunglückten am Kanchenjunga Schaller und ein Träger. Bauer war aus der nächsten Nähe Zeuge des Unglückes gewesen. Wenn nun Irving den Ausspruch Bauers zitiert: « Die Fortsetzung des Angriffes auf den Kanchenjunga war für mich eine innere Selbstverständlichkeit », so scheint er für diese Art « innerer Selbstverständlichkeit » wenig Verständnis zu haben, dafür aber mehr für das Verhalten der Seilschaft Allwein, Pircher und Wien, die am 18. September des gleichen Jahres den 120 Meter hohen Hang nach dem Scheitel des Nordostspornes nicht begingen, weil er zu lawinengefährlich war, obwohl ihnen seine Überwindung den Weg zum Gipfel eröffnet hätte.

« Die Leistungen dieser bayrischen Partie zeigen den Mut, die Ausdauer und die bergsteigerischen Fähigkeiten jeder Art, die im Menschen stecken können; ihr Entschluss zur Umkehr ist ein vielleicht nicht minder grossartiges Zeugnis für ihre Urteilskraft. » Dass Irving nicht kleinlich oder gar neidig ist und Leistungen zu würdigen weiss, beweisen seine Worte:

« In den Jahren 1929 und 1931 hat eine bayrische Partie unter der Führung von Paul Bauer am Eisgrat des Kanchenjunga Taten vollbracht, die unbedingt die grossartigste technische Leistung in der Geschichte des Alpinismus darstellen. » Nicht minder gross ist die Anerkennung, die Irving den Leistungen Merkls und seiner Genossen am Nanga-Parbat zollt, und aufrichtig ist sein Bedauern über die entsetzlichste Katastrophe, von der Bergsteiger im Himalaya je betroffen wurden.

« Die europäischen Teilnehmer dieser Partie », sagt er, « waren sehr erfahrene und tüchtige Bergsteiger; sie kannten die Gefahren, die mit dem Vorrücken in die Hochlager und mit einem Rückzug bei schlechtem Wetter verbunden waren, und nahmen sie bewusst auf sich. Ein schwer zu rechtfertigendes Vorgehen aber ist es, einheimische Träger dazu zu berreden, dass sie sich mit in Gefahren begeben, denen man sich aussetzen muss, um etwas zu befriedigen, was unbestreitbar persönlicher Ehrgeiz ist. » Als Beispiel der Verantwortung gegen das eigene Ich führt uns Irving Mallory vor.

« Nie », schreibt Irving, « war ich stolzer darauf, Mallory in die Berge eingeführt zu haben, als damals, als er im Jahre 1922 nach dem gewaltigen Angriff auf den Everest, den er bis zu einer Höhe von 8250 Meter vorgetragen hatte, zur Frage eines dritten Versuches Stellung nahm: ,Ich war zwar bereit, etwas zu wagen, aber der Gefahr einer Überanstrengung des Herzens hatte ich mich niemals aussetzen wollen, selbst dann nicht, wenn General Bruce mir freie Hand gegeben hätte. ' Man sieht, dass das Bergsteigen für Mallory einen tieferen Sinn hatte und Werte umschloss, die er höher schätzte als die nackte Leistung, und wäre es selbst die Eroberung des Mount Everest. » Wahrlich eine selten hohe Auffassung über die Verantwortung für das eigene Leben.

« Den wahren Wert eines jeden Dinges, vor allem des Bergsteigens selbst, zu erkennen, darin sah Mallory eine Lebensaufgabe. »

 

Man wird nicht fehlgehen, wenn man annimmt, dass der Ehrgeiz Vater so mancher berühmten Tat war, wenn diese ihr Werden vielleicht auch oft mehr dem Glück als dem Können verdankte. Für die Leistungsmenschen ist er wohl das auffallendste Merkmal und meistens die Ursache eines übermässigen Strebens nach Dingen wie Zeit, Zahl, Höhe usw. Schnelligkeit, Unterbietung angegebener Zeiten beweisen besseres Können, die Zahl der erstiegenen Gipfel grössere Leistungsfähigkeit und Ausdauer, und so sagt Irving nicht mit Unrecht:

« Zeitangaben finden sich heute in Ersteigungsberichten nicht so sehr aus dem Grunde, um Nachfolgern einen Anhaltspunkt für die zu veranschlagende Durchschnittszeit zu geben, als um die fabelhafte Schnelligkeit zu beleuchten, die die betreffende Partie entwickelt hat. Ein amerikanischer Tourist nimmt sich einen Führer und braucht von der Hörnlihütte aufs Matterhorn und zurück wenig mehr als drei Stunden; empfindet er es vielleicht nicht gar als Krönung seiner Ruhmestat, dass sein Führer darauf krank wurde und mehrere Tage das Bett hüten musste? » « Von den Bergsteigern, aber, die die Höhe der Berge in Metern ausdrücken, meint er, stehen einige derart unter dem magischen Bann der Zahl, dass sie ihren Ehrgeiz dareinsetzen, jeden über 4000 Meter hohen Gipfel in den Alpen zu besteigen. Wie von einem Damoklesschwert sind diese Unglücksmenschen dauernd von der moralischen Verpflichtung bedroht, losziehen zu müssen, um — wie Dr. Blodig es im Alter von 73 Jahren tat — die Ersteigung jedes Zacken nachzuholen, den die fortschreitende Unterteilung der grossen Gipfel zum Range eines Viertausenders erhoben hat. »

 

Wie sehr Irving der Überzeugung ist, dass das Bergsteigen sich vor allem auch dazu eignet, Menschen verschiedener Nationalität einander näher zu bringen, und wie sehr es die Möglichkeit in sich trägt, ein « besserer Mensch » zu werden, beweisen seine diesbezüglichen Ausführungen:

« Der aus reiner Freude an der Sache betriebene Sport ist das beste Mittel, um die Menschen auf ungezwungene Weise einander näherzubringen und um mit Vorurteilen aufzuräumen. Auch nur der leiseste Versuch, sich der herrlichen Hochtouren unserer Alpen dazu zu bedienen, um Zwietracht, Neid und Missgunst zwischen Mensch und Mensch zu säen, heisst das hehre Ziel, das das 19. Jahrhundert in ihnen entdeckt hat, in den Kot zu zerren. Der Mensch, der sie kennt, sieht die Berge einem harmonischen Endzweck dienstbar. Sie beleben aufs neue des Menschen Gesundheit, sein Schaffen, sein Spiel, seine Wünsche, sein Lieben, seinen Glauben. Für ihn ist der Berg Symbol geworden, ist nicht nur der Weg, der zur Erkenntnis wahrer Werte führt; Symbol auch des gemeinsamen Sinnens und Trachtens, zu dem alle Menschen, so verschieden voneinander sie auch sein mögen, allmählich doch zusammenfinden müssen. » Von der Schönheit Die Schönheit ist das grösste Erlebnis, das uns die Berge vermitteln, und zugleich die tiefste Offenbarung unserer Seele. Freilich werden beide in ihrer reinsten Form dem Menschen erst dann geschenkt, bis er fast schon jenseits des Zaubers und der Stärke der physischen Leistung steht. Oft schon bemerkte ich das spöttische Lächeln junger Matadore, wenn ältere Freunde von einer Fahrt erzählten, deren Schwierigkeiten sie nicht gerade mit « 5 oder 6 obere Grenze » bezeichneten, von deren landschaftlichen Schönheit sie aber begeistert waren. Es ist schon so, wie Dr. Pfannl einmal in einem Aufsatz über den Grossglockner sagte: « Wir Menschen leben in unserer Jugend eigentlich, so sehr wir auch das Gegenteil glauben, ein fast unpersönliches Leben, das Leben unserer Organe und Triebe; erst im reiferen Alter, bei vielen also nie, stehen wir diesen lebensgestaltenden Elementen mit kritischer Besinnung gegenüber und formen unser Leben bewusst und nach Wahl; meist blicken wir dann nach der seligen Blindheit der Jugendwege zurück wie nach einem verlorenen Paradies. » « Zwei Eigenschaften gibt es », führt Irving aus, « die sich an den Bergen deutlicher als anderswo wahrnehmen lassen. Die eine ist Harmonie; die Harmonie des unendlich Kleinen mit dem unendlich Grossen, die sich in der vollkommenen Schönheit der kleinsten Einzelheit in jeder Phase des Baues im grossen offenbart. Die zweite Eigenschaft ist kraftvolle Ruhe. In der erhabenen Pracht einer Hochgebirgslandschaft liegt etwas, das weit eher wirklich unkörperlich und unsterblich ist als die Schönheit von Dingen, deren Leben, sowie auch das unsrige, nur nach Stunden, Monden oder Jahren zählt. Was ich damit sagen will, kann vielleicht durch einen Ausspruch von Theodor Camus erläutert werden. Camus war einer von den vielen jungen Leuten aus Lyon, die ihr Herz an die Berge verloren hatten, deren schneeige Gipfel sie von den Hügeln an den Ufern der Saône erblickten. Nicht lange vor seinem Ende, im Bewusstsein der todbringenden Krankheit, die er in sich trug, sprach er mit seiner Schwester, einer Nonne, darüber, wie sehr er sich immer mehr von allem, was irdisch ist, befreit fühlte, und fügte dann hinzu: ,Eines nur gibt es für mich, woran ich noch immer so festhalte wie je zuvor, das für mich in unvermindertem Glanze erstrahlt, wiewohl es irdisch ist; das sind die hohen Berge, das Reich der Gipfel von drei- und viertausend Metern. Denn das ist das Herrlichste, das wir auf Erden haben, und doch wie wenige gibt es, die es kennen! Ihnen wird einer meiner letzten Gedanken gelten, wenn ich sterbe, und ich danke Gott jeden Tag, nicht dafür, dass er sie erschaffen, nein dafür, dass er mich zu ihnen geführt hat. Es ist, als hätte er mir so gestattet, durch ein Tor, das sich nur wenigen Auserwählten öffnet, einen Blick in die Unendlichkeit zu tun, in die Unendlichkeit, die aller Worte spottet, denn keine Beschreibung könnte an die Wirklichkeit heran.Darin liegt die Schönheit des Bergsteigens. Wenn wir sie einmal erfasst haben, wird sie uns bleibender Besitz. » Schönheit ist passives Schauen, Schönheit ist aber ebenso auch aktives Handeln, darum sagt Irving:

« Dann gibt es auch noch eine andere Schönheit, eine Schönheit, die sich nur in der Tat offenbart, in mutigem Kampfesspiel, wenn unser Herz schneller schlagen muss, um alles zu schaffen, was wir von ihm verlangen, wenn wir kämpfend mit dem Berg Brust an Brust stehen und nach Atem ringen. Den ganzen lieben Tag mühen und plagen wir uns, um unseren Willen den Sieg zu erzwingen und das Spiel zu gewinnen. Der Berg bewahrt dabei immer seine gelassene Ruhe, als wüsste er, dass er uns mit der Macht seiner Schönheit erobert hat. Aber der Idealbegriff, den wir von Schönheit haben, kann ohne das Element des Kampfes auch gar nicht vollkommen sein. Aber zu den verborgenen Reizen, die die Berge nur jenen erschliessen, die sich nicht damit begnügen, unten zu bleiben und zu schauen, sondern zur Tat entschlossen sind, kommt auch noch die in der meisterhaft vollendeten Ausübung liegende Schönheit, die wir bei allen grossen Sportzweigen bewundern können. In der Bewegung, die mit grösstmöglicher Vollendung ausgeführt wird, liegt Schönheit. » Und abschliessend sagt Irving noch:

« Voll werden die Menschen das Wesen der Schönheit erst dann erfassen können, wenn sie Götter geworden sein werden. Inzwischen mögen sie dieser Erkenntnis auf mancherlei Pfaden nachstreben. Dieses Streben ist wohl die erbaulichste Entdeckungsreise unseres Lebensweges, und der Bergsteiger, der diesen Pilgerweg geht, erfährt bei jedem Abschnitt seines Wandeins die Versicherung: Er ist auf dem richtigen Weg. » Von den letzten Dingen Wie sehr Irving die höheren Gefühle, die geistig-seelische Seite des Bergsteigens bei aller Anerkennung der technischen Leistung hochhält, zeigen nicht zuletzt seine Ausführungen, die er dem Mitteilungsbedürfnis des Bergsteigers widmet und was er über den schreibenden Bergsteiger sagt:

« Was im Leben Erquickung und Erholung ist, verliert oft seine freudespendende Kraft, wenn es zum Mittel für den Erwerb des Lebensunterhaltes herabsinkt. Der Geldschreiber muss seine Gefühle oft in allzu leicht verblassenden Farben ausmalen, und er selbst verliert dabei an Feingefühl. Wenn er sich auf Tatsachen und auf ihm geläufige handwerksmässige Technik beschränkt, steht er auf sicherem Boden. Sobald ein Mensch sich aber anschickt, mit dem zu schachern, was ihm am teuersten ist, muss er scheitern. Ich glaube, dass all die grossen Bergsteiger, von denen in diesem Kapitel schon die Rede war, deshalb zur Feder gegriffen haben, weil sie andere an einer kostbaren Sache Anteil nehmen lassen wollten, an einer Sache, die über jeden Gedanken an gewerbsmässigen Handel erhaben war. Die köstlichsten Dinge, die das Leben uns schenkt, können wir manchmal mit anderen teilen, aber wir können sie nicht verschachern, denn sie sind unbezahlbar. » Dass Irving an der grossen Frage: Warum gehen wir in die Berge? nicht vorübergeht, ist selbstverständlich:

« In einem Zeitalter », sagt er, « das allen menschlichen Glauben in den Grundfesten erschüttert, in dem eine mathematisierende Philosophie nur völlige Nichtswerdung als letztes Ziel unseres Lebens gelten lassen will, wird die Frage, warum wir eigentlich in die Berge gehen, gewöhnlich beantwortet — ungeduldig beantwortetweil 's mich freut! ' Aber es gibt darüber hinausgehende Gründe, deren Betrachtung sich wohl lohnt, sofern jedes Streben nach Wissen überhaupt einen Zweck hat. Wenn es der Mühe wert ist, Einflüssen und Begebenheiten realen Wert beizumessen, ist es auch kein nichtiges Tun, wenn der Mensch das Erleben, das ihm die Berge geschenkt haben, prüfend in die Waagschale legt, um zu sehen, wie sie im Soll und Haben des Lebens zu Buche stehen. » Die Bekenntnisse Mummerys, Bourdillons, Guido Reys und anderer liefern ihm den Stoff zur Beantwortung dieser Frage. Was er an Gründen anführt, ist uns nicht fremd noch neu. Freude am Kampf, Schönheit des Hochgebirges, der Wunsch, die Wahrheit zu erkennen, usw. Wer aber recht verstanden hat und wer in sich selbst vielleicht den Keim zu der Frage letzter Antwort trägt, dem wird sie schlicht und einfach im klaren Lichte erscheinen. Nicht um die besseren Bergsteiger geht es, sondern um den trefflicheren Menschen. Nicht um die Erwerbung und Vermehrung äusserer Güter des Lebens, sondern um die Erhöhung der Seele. So münden Irvings Ausführungen im persönlichen Glaubensbekenntnis, im heiligsten und unantastbarsten, das ein Mensch sein eigen nennen kann, das wir jederzeit zu achten haben, gleichgültig, ob es uns vertraut und lieb ist oder fremd, ob wir es anerkennen oder ablehnen. Und so ist es auch nicht anders möglich, dass auch Irving zu dem Schluss kommt, « dass die Zukunft des Bergsteigens von der glücklichen Verschmelzung des Körperlichen und des Geistigen abhängt. Die grosse Wahrheit », sagt er, « die das Bergsteigen uns lehrt, ist, dass körperliches Mühen und beschauliches Betrachten Teile eines untrennbaren Ganzen sind. Jede Betätigung der Muskel, die uns ein Stück zur Höhe fördert, ist für uns eine unserem Wesen unbewusst sich mitteilende Bestärkung dafür, dass wir unsere Sendung erfüllen können, wenn wir körperliche Mittel einem geistigen Ziele dienstbar machen. Und das Schönste daran ist, dass der Genuss, den wir dabei empfinden, uns zur Überzeugung bringt, dass die Bestimmung, die unsere Geschicke lenkt, eine gütige Bestimmung sein muss. » Wer derselben Ansicht ist, dem werden auch die folgenden Worte Irvings aus dem Herzen gesprochen sein:

« Meide die Menge und lasse deine Schritte nur von der Schönheit der Berge lenken; frage nicht danach, welche Wege schon'gemacht'sind, und lasse den gedruckten Führer zu Hause. Klettere dort herum, wo es dich freut, besser du suchst dir einen Grat aus als eine Wand, und lasse dich bei deiner Wahl vom Grundsatz leiten, dass es vielmehr auf die Schönheit ankommt als darauf, ob sich einem Gelegenheit für Erprobung seiner Technik bietet oder nicht. Richte es dir so ein, dass du gewisslich so manche Stunde in süssem Nichtstun auf sonniger Höhe verträumen kannst. Suche dir dein Standlager, deinen Zeltplatz, deine Hütte, dein Hotel so aus, dass du dort landschaftliche Schönheit mit tunlichster Abgeschiedenheit von jedem geselligen Leben vereint vorfindest und so wenig Zeit als möglich mit der Sorge um dein leibliches Wohl vertun musst. » Auch für Irving sind die Berge, die er über alles liebt, letzten Endes der Spiegel, in dem sich das Bild des eigenen Wesens und das aller Freunde und sonstigen Bergmenschen klar und ohne Falsch zeigt.

« Erbarmungslos nackt wie das Gestein der Felsen enthüllt sich am Berg der Charakter der Gefährten, deren Schicksal wir dort teilen. Und darum wird ein Freundschaftsbund — nicht einmal dieses Wort vermag das Enge der Verbindung richtig zum Ausdruck zu bringen — geschlossen hoch oben in den Bergen, wohl kaum so leicht durch Missverständnisse gesprengt werden. » Und wie nicht anders zu erwarten, formen sich zum Schlusse des Werkes die Worte zum Bekenntnis für eine Weltanschauung des Geistes, der Seele, der Idee, zu der ihm das Bergsteigen nicht nur der beste, sondern auch der schönste Weg ist.

« Wenn es, ob für das Bergsteigen oder für etwas anderes, nur eine materialistische Grundlage gibt, wenn Beherrschung des Stoffes und seine Dienstbarmachung zu stofflichen Zwecken das Ziel unseres Lebens sein soll, dann muss meine bergsteigerische Weltanschauung zusammenbrechen, mag sie zum Teil auch auf Fels gebaut sein. Wenn du aber gelten lässt, dass es auch noch geistige Grundlagen gibt, wenn man an eine hohe Fügung wirklich glaubt, die uns hinanzieht, auf dass wir, körperlicher Lust gewährend, die Wahrheit suchen, dann wirst du mir nicht gram sein, wenn ich von jenem Teil menschlichen Strebens rede, das den Menschen hie und da veranlasst, sich mit den letzten Dingen zu befassen. Wenn die Schönheit die uns in Formen, Farben und Bewegung anzieht, wirklich ist, wenn die Wahrheit, die zu suchen wir in die Berge gehen und die wir langsam zu erfassen scheinen, wenn diese Wahrheit wirklich ist, wenn auch das gütige Schicksal, das uns diese aufdämmernde Wahrheit erkennen lässt, kein Wahngebilde ist, dann können wir wohl froh und zufrieden sein, denn unser Glaube, dass wir uns diese Dinge mit Hilfe der Berge erringen können, hat uns dann nicht getrogen. » Dieser Weg steht aber nicht nur für dich und mich offen, er ist es für alle, die da kommen und eines guten Willens sind.

« Die Menschen, die bergsteigen und nicht ablassen davon aus Liebe zu den Bergen, gelangen zu einer Art Weltanschauung von hoher Warte. Die Wege, denen sie zusammen folgen, mögen sich bei dieser oder jener Gelegenheit trennen, und doch werden sie, wenn sie nur nicht das Ziel aus den Augen verlieren, wieder zueinander finden. » Was sagt uns Irvings Buch, was sagen uns die angestellten Betrachtungen? Kein Erfolg ohne Leistung, keine Leistung ohne Technik. Wir können nicht anders, wir müssen beide anerkennen, wo und in welcher Form immer sie in Erscheinung treten. Lehnen wir sie nicht ab, auch dann nicht, wenn sie unserem Wesen fremd sind. Zerren wir sie nicht in den Schmutz von Neid und Hass, überheben wir uns nicht, indem wir sie ignorieren oder spöttisch belächeln. Nie weiss man, was aus einem ungestümen Tun noch werden kann. Nicht für alle, und nicht für alle zur gleichen Zeit, kommt die Reife. Zeigen wir, dass wir jede Leistung anerkennen, auch die individuell kleinere, begrenzte, wenn sie nur wahr und ohne Falsch ist. Nicht jeder vermag das Letzte, Höchste zu erreichen, aber jeder kann sein Bestes geben. Künstliche Hilfsmittel und die Technik dienen zur Erzielung einer höheren Leistung; diese ist der Zweck, der seinen Ausdruck im besseren Bergsteiger findet. Das Bergsteigen selbst aber ist im Leben auch nicht mehr als ein Mittel zum Zweck, ein Mittel, um ein trefflicherer Mensch zu werden. In dieser Tatsache und in dieser Möglichkeit ist der ethische Wert des Bergsteigens begründet.

Vergessen wir nicht, dass die Jugend immer den Gesetzen ihres Werdens folgen muss. Es gibt keine alte Jugend, keine erfahrene, keine philosophierende, es gibt nur, gottlob, eine Jugend des Stürmens, Wagens, wenn es auch in manchen Zeiten anders scheinen mag. Es gibt keine alte Jugend, aber es gibt junge Alte. Und wenn es manchmal scheint, als ob dieses Wagen und Stürmen der Jugend nicht immer dort eingesetzt würde, wo es manchen richtig dünken mag, wenn viele glauben, dies und das sei Unsinn, so mögen sie bedenken, dass im grossen Kreislauf des Lebens, in dem wir alle unentrinnbar eingeschlossen sind, nicht immer alles so geht, wie es sich der einzelne wünscht. Was geschieht, geschieht notwendig, und wie es geschieht, so ist es; es gibt kein: es wäre besser oder: es wäre schlechter, es gibt nur ein: es ist. Mit diesem « es ist » müssen wir uns abfinden; wie es der einzelne tut, ist Merkmal der Art seines Wesens. Und will er an diesen Satz nicht glauben, so « weiss doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt, dass Blüt'und Frucht die künftgen Jahre zieren ». Dass diese Früchte aber keine Holzfrüchte werden, dazu kann jeder beitragen, so er eines Guten Willens ist. Möge dieser Gute Wille nicht nur, wie Kant meint, ohne Einschränkung das Gute sein, sondern möge an ihm auch jederzeit das wahre Bergsteigertum erkannt werden.

 

Korrektur: Seite 2, Zeile 8 von unten: Das Wort « Alles fliesst » stammt natürlich von Heraklit und nicht von Herakles.

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