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Titlis-Nordwand (erster Durchstieg)

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Erster Durchstieg...

Von Herbert Sievers

Mit 1 SkizzeZürich ) Am 23. August 1913 vollbrachte der Engelberger Führerchef Hermann Hess eine kühne Tat: zusammen mit einem zweiten Führer und einer Amerikanerin bestieg er den Titlis zum erstenmal von der Nordseite her. Diese prächtige Leistung erregte damals in Engelberg Aufsehen; durch das stille Bergdorf ging ein erlösendes Aufatmen, als die drei Bergsteiger gesund und erfolggekrönt heimkehrten. Die beiden Bergführer wurden von ihrer dankbaren Begleiterin fürstlich belohnt.

TITLIS-NORDWAND Hess stieg von der Alp Bödmen aus über die sogenannte Vogelsmatt zu den höchsten Rasenbändern hinauf, welche sich unterhalb des Nordostpfeilers schräg ansteigend in die Nordwand hineinziehen. Dann, immer etwas nach links ansteigend, strebte er über die plattigen, rinnendurchsetzten Felsen einer ausgeprägten, von Engelbeig aus gut sichtbaren Gratscharte zu, welche einen idealen Übergang in die Ostflanke vermittelt. Dort gestatteten grosse Terrassen, dann wieder gut kletterbare Wandstufen ein sicheres Vorwärtskommen. Oberhalb des senkrechten Gratabbruches erreichten die drei den Nordostgrat wieder und verfolgten diesen bis zum Punkt 2710.

30 Jahre lang hatte diese Seite des Berges Ruhe. Erst 1933 wurde die Tour von einem Neffen Hess ', meinem Freund Henri Freléchoux mit zwei Begleitern wiederholt. Man glaubte den blutjungen Draufgängern ihre Leistung aber erst, als später ihre Notizen in der Flasche der Partie Hess von einem andern Führer aufgefunden wurden. Seither ist diese Route mehrmals begangen worden. Eine Begehung der eigentlichen Nordwand war bis zum heutigen Tage nicht gelungen. Wohl hatten namhafte Bergsteiger in den letzten Jahren mehrmals Besteigungsversuche unternommen, die jedoch alle im untern Wanddrittel scheiterten. Zu den Anwärtern zählte sich auch Henri; in der Folge behielt er die Wand scharf im Auge und wartete auf eine Gelegenheit, den Plan auszuführen. Gelegentlich teilte er mir sein Geheimnis mit. Anlässlich einer Skitour auf den Grassen bekam ich die Wand erstmals aus der Nähe zu Gesicht und war von ihrer Wucht gefesselt. Mein Freund erklärte mir nochmals kurz seine Beobachtungen und seinen Plan und fand mein volles Einverständnis. Trotzdem sprachen wir noch nicht bestimmt von einer allfälligen Ausführung der zweifellos schweren Tour.

Nach einem Sommer voll schöner Bergsteigererfolge machte mir Henri eines Tages im September 1942 die Mitteilung, dass wir baldmöglichst den Versuch der Durchsteigung der Nordwand des Titlis wagen wollten, Jean Wyss werde als Dritter mithalten. Unser ausgezeichnetes Training erlaubte uns, das sorgfältig vorbereitete Projekt mit einem Maximum an Erfolgsaussichten anzugehen.

Die Titlis-Nordwand besteht im wesentlichen aus äusserst kompaktem, glattem und grösstenteils abwärtsgeschichtetem Fels. An ihrem Fusse liegt fast kein Geröll. Der untere Wandteil zeigt eine ziemlich starke Zergliederung. Grasbewachsene Felsköpfe und -bänder durchsetzen die plattige Flanke. Doch fast unvermittelt hört der Graswuchs auf, das Gestein wird glatter, und die Steilheit nimmt zu. Die mittlere Wandstufe ragt über 200 Meter hoch senkrecht empor, teilweise hängt sie sogar über. In der Fallinie zieht sich eine schwach ausgeprägte Rippe hoch hinauf und verliert sich oben in gewaltigen Plattenschüssen. Henri hatte längst beobachtet, dass hier im Winter geringe Ansätze von Schnee haften, was auf begehbares Gestein schliessen liess. Der oberste Teil der Wand bildet eine Art Abdachung und ist bedeutend weniger steil.

Unser Ausgangspunkt war die Alp Bödmen. Bei der Vogelsmatt traversierten wir über Schrofen und Grasbänder gegen die Wandmitte, wo ein TITLIS-NORDWAND grasbesetzter Felskopf Einblick in die Steilwand versprach. Von hier aus stiegen wir über die plattigen Felshänge gegen die erwähnte Rippe hinauf. Das abwärts geschichtete Gestein verlangte schon hier Hakensicherung.

Titlis-Nordwand Route HessRoute Sievers 6012 BRB 3. 10. 1939 Ungefähr in halber Wandhöhe erreichten wir einen Vorsprung, auf dem wir bequem sitzen und kurz rasten konnten. Dort fanden wir einen Kletterhammer und in der Wand steckend einen Mauerhaken. Ein Stück weit ist die Schichtung bedeutend besser, so dass wir rasch vorwärts kamen, obwohl plötzlich einsetzender Regen die Kletterei stark erschwerte. Kurz nach- TITLIS-NORDWAND einander fanden wir noch drei Haken mit Karabinern daran; wie wir später erfuhren, rührten sie von zwei bekannten Zürcher Kletterern her, welche kurz zuvor einen Besteigungsversuch unternommen hatten.

Ein glatter Überhang, welcher den Weiterweg versperrt, bildet die Schlüsselstelle, über welche hinaus noch niemand vorgedrungen war. Henri verbiss sich in ungestümem Angriff derart an dieser Stelle, dass er weder vor-noch rückwärts konnte. Das nasse Gestein tat sein übriges, so dass er einen Sturz erlitt, welcher nur dank unserer Kaltblütigkeit und sauberen Arbeit ohne schlimme Folgen blieb. Nach äusserst schwerer Kletterei gelang es mir endlich, das Hindernis zu überwinden. Hätte uns nicht ein furchtbares Hochgewitter gerade hier an der schwierigsten Stelle überrascht und arg zugesetzt, so wären wir verhältnismässig gut der Steilstufe entronnen. Jetzt aber setzte uns der vollständig nasse, glatte und senkrechte Fels fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Trotzdem strebten wir guten Mutes der Höhe zu. Die letzte Platte an der Steilwand zeigte rechts einen Riss, welcher ein gutes Weiterkommen versprach. Glücklicherweise verliess ich ihn aber nach ein paar Metern und suchte meinen Weg links davon direkt über die Platte hinauf. Etwas später konnten wir feststellen, dass der Riss nach etwa 20 Metern ganz unvermittelt aufhört. Das letzte Bollwerk bildete ein markanter Felskopf, welcher auf abschüssigem Band in heiklem Quergang nach rechts umgangen werden musste. Wenige Meter höher, hinter dem Kopf, liegt eine kleine Felshöhle. Dort steckt unser letzter Mauerhaken, welcher zur Sicherung meiner Kameraden beim Ausstieg aus der Steilwand diente.

Was nun folgte, war nicht mehr schwierig. Natürlich wurde uns auch hier nichts geschenkt; überall lag festgefrorener Hagel und erschwerte das Klettern sehr stark. Zudem brach die Nacht herein, bevor wir die Abdachung der Nordwand halbwegs hinter uns hatten. Kurz vor 21 Uhr standen wir nach vollständigem Durchstieg der Wand auf dem Nordostgrat. Fast elf Stunden hatte der Aufstieg gedauert. Unsere Absicht, trotz der Dunkelheit weiterzugehen, wurde durch einen senkrechten Felsabsatz verhindert, so dass wir in 2600 Meter Höhe direkt auf dem Grat ein luftiges Biwak errichten mussten. Nach gut verbrachter Nacht erkletterten wir den Absatz, gelangten weiter zum Punkt 2710 und von da über den aalglatten Gletscher hinüber zur Rotegg.

Über den Bristen

Von Hans Spedier ( Zürich, Sektion Gotthard ) « Bristenstock, 3074 m ., sehr mühsamer Aufstieg aber sehr interessante Tour » heisst 's im « Tschudi », dessen schöne Devise « Exzelsior » ich heute zur meinen machen will, da der morgige Urlaubssonntag allem Anschein nach ein letzter Herbstsonnentag vor dem Einwintern werden wird. Bei einem Bergkameraden in Altdorf suche ich mir die fehlenden Ausrüstungsgegenstände zusammen. Mit dem geborgten Zeug geht 's aus dem gastlichen « Zeughaus » wieder dem Bahnhof zu, um das letzte kurze Stück nach Amsteg zu fahren. Dort steige ich aus und nehme den ersten Teil des « sehr mühsamen Aufstiegs » unter die Füsse. Zuerst begegnen mir zwei bärtige Einheimische, von denen jeder im buchstäblichen Sinne einen Bock geschossen hat und stolz heimträgt. Die um einiger lumpiger Pfündlein Fleisches willen geschossenen Grattiere tun mir leid, denn ich weiss, welcher Freuden des freien Kletterns in goldener Freiheit der Schuss des Jägers sie beraubte. Wie ist die wilde Lust des Jägers doch so verschieden von den stilleren Freuden, von denen hier einiges geschildert werden soll.

Ein letzter blutroter Schimmer des vergangenen Tages steht noch über dem Urner See, dessen Spiegel ihn, blasser noch, widerscheint, als ich beim Sennen auf dem Bristenstäfeli anklopfe. Ich bin wohl in diesem Jahr der letzte Gast da oben, denn am Montag heisst 's auch für meinen Wirt: « Der Senne muss scheiden, der Sommer ist hin. » Schon sind die Alpen ringsherum geräumt. Im Tale hat die Schule begonnen, sehr zum Leidwesen des kleinen Seppli, dem das harte Leben beim Vater oben lieb geworden ist. Bald schickt der Senn mich mit seinen beiden Gofen hinüber in den Gaden, wo ich mein Nachtlager finde. Aus dem Reusstal grüssen durchs Fenster ein paar Lichter, sonst ist dunkle Nacht. Draussen erschallt der Betruf des Hirten, eindrücklich und beschwörend in Wort und Ton.

In der Frische des Morgens geht es hinaus zum klaren Bristenseeli und über die Blöcke und Wegspuren des Nordostgrates weiter zum Gipfel des Bristenstocks, wo ich ganz allein bin. Rings einzelne Nebelschiffe, die durch die blauen Lüfte lebhaft dahersegeln. Ich erblicke die vertrauten Gipfel des Urner Landes und die fernen Zacken des Berner Oberlandes, Graubündens und im Glarnerischen. Das Schönste ist der Tiefblick ins Reusstal und hinaus zum Vierwaldstätter See, aber das Allerschönste die herrliche Ruhe eines klaren Herbsttages in den Bergen. Auf diese Gipfelstunde passt wohl Baud-Bovys Wort: « Es ist ein heiliges Vorrecht des Bergsteigers in der Schweiz, dass er von jedem Gipfel, den er erreicht hat, einen Blick auf den Verlauf seines ganzen Lebens werfen kann, dessen Teilstücke er wiedererkennt, wie sie an so manchem der Gipfel hangen, die er weit in der Runde am Horizont sieht. Überall an den Felsnadeln und Eiskuppen rollt sich ein Schriftband, das ich einzig allein sehen kann, auf dem die Jahrzahlen und Namen eingeschrieben, vertraute Gesichter gemalt und Geheimnisse der Seele mit Zeichen vermerkt sind... » Noch einmal lese ich im Urnerführer die Beschreibung der Route über den Südgrat und erwäge, ob er wohl zu machen wäre, so allein, oder ob ich zum Sennen auf dem Bristenstäfeli zurücksteigen will. Leise schwingt in mir ein Spruch von Gottfried Keller: Betrachte jedes Furchtgefühl als ein Zeichen von etwas Unrichtigem in dir... Auch ein Bergsteigerspruch! In wessen Herz wären wohl gar nie solche Zeichen? Wer ist der sichere Mann? Auch mich wollte ein leichtes Furchtgefühl beschleichen, ich bekenne es unumwunden. Aber da waren die Einträge im zerfetzten Gipfelbüchlein... Abstieg Südgrat, Abstieg Südgrat, Abstieg Südgr... da fing 's auf einmal auch ÜBER DEN BRISTEN in mir an zu lärmen: Abstieg Süd... und schon war ich unterwegs und turne, einmal entschlossen, unbeschwert jetzt über die Blöcke, Türme und Zäcklein Richtung Klüserlücke.

Zwei ganz junge Kletterer, zwei Brüder, kommen mir auf leisen Kletterfinken entgegen und erklären mir, dass man ganz ordentlich direkt ins Klüsertal absteigen könne, ohne den Südgrat bis zur Lücke und die anschliessenden grossen Geröllhalden begehen zu müssen. Ich danke für die Auskunft, wünsche frohe Weiterfahrt bis zum nahen Gipfel, turne noch etwas weiter auf dem Grat und mache mich dann allmählich daran, für den Abstieg über die Flanke des Bergs ein passendes Couloir zu suchen, durch das ich dann, hin und her lavierend, langsam tiefer komme, indes ich am Grat hoch über mir die beiden Jungen jauchzen höre. Es geht recht ordentlich. Manchmal sind wohl etwas hohe Tritte, und um nochmals auf Gottfried Keller zu kommen: Meine langen Beine sind hier vorteilhafter, als es des Poeten bekanntlich so kurzen wären. Am Schluss, bevor ich ins flache Geröll komme, heisst es noch, wie weiland zu Bern vor dem Zeughaus zu Kaiser Joseph II.: « Hier belieben Eure Majestät einen Gump zu nehmen. » Mit diesem unstilgemässen « Gump » meiner Wenigkeit endigt der Kletterteil der Bristenfahrt.

Ich schaue zurück auf den Berg, den man so oft als undankbar schilt, doch scheinen mir eher die undankbaren Besteiger an dieser üblen Nachrede schuld, denn mir hat er schöne Stunden geschenkt. Der Rückblick auf Wand und Grat aus dem einsamen Klüsertal ist auch etwas sehr Schönes. Von hier sieht der Bristen ordentlich wild und steil aus, wenn auch etwas unförmlich und ungeordnet, gar nicht wie die ebenmässige, fast etwas gemütliche Pyramide, deren Anblick, vom untern Reusstal und vom Urner See aus jedem vertraut ist. Weiter suche ich den Anfang des Weges zum Felliberg hinüber. In dem wilden Tal ist weder Weg noch Steg noch Haus; von dem « Klüsergaden » der altern Ausgabe des Urnerführers sehe ich kaum Grundmauern. Schafe, ohne Hirt, plärren mir nach. Der Pfad findet sich zuletzt und führt durch eine steile Schlucht mit schönem Wasserfall hinunter zum Hüttenweg der Treschhütte. Auf nun vertrautem Nebenpfad geht 's vom Felliberg, « kürzer und ringer » als auf dem Hüttenweg, dem grossen Steinbruch vor Gurtnellen zu, in dessen Granitwirrnis ich zum Schluss vom rechten Durchschlupf abkomme und hundert Meter von der Gotthardstrasse entfernt nochmals Kletterkünste üben muss.

Dann strebe ich in der warmen Nachmittagssonne Wiler zu, wo mir im Gasthaus der Anblick eines schnauzbärtigen Territorialen plötzlich meinen Soldatenstand und damit mein nicht ganz ordonnanzmässiges Tenue zum Bewusstsein bringt. Zum Glück war 's kein bärbeissiger Obrist, doch schliesse ich umgehend meinen Uniformkragen. Er würgt ein bisschen. Oder war es der Gedanke, dass damit die letzte Tour des Jahres zum Abschluss gekommen, der mir ein ganz klein wenig die Kehle zuschnürte?...

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