Über den Ursprung der deutschen Sprache am Monte Rosa
VON GOTTFRIED ADOLF, BERN
Es war vor dreissig Jahren, als ich zum ersten Male auf der Dufourspitze stand und die herrliche Aussicht auf die Lombardei und das Piémont genoss. Mehr aber noch wurden meine Blicke von Macugnaga im Valle Ansasca gefesselt. Dort sollten ja Leute wohnen, die deutsch reden, wie wir es schon in der Schulzeit gelernt hatten. Für diese Merkwürdigkeit hatte ich immer grosses Interesse. Die Tatsache, dass auch im Val Sesia, im Val de Lys, im Pomat und in einer Gemeinde des Kantons Tessin Menschen deutscher Zunge leben, rief in mir den Gedanken wach, über die Herkunft der deutschen Sprache hinter dem Monte Rosa nachzudenken. Je mehr ich diesen Gedanken nachhing, um so mehr trieb es mich zu ergründen, wie dieses Sprachenrätsel seiner Lösung nähergebracht werden könnte.
Zu Beginn des zweiten Weltkrieges hatte ich wiederholt Gelegenheit, auf die Gipfel des Monte Rosa zu steigen. Wieder erlaubte es die gute Sicht, in die Täler von Macugnaga und Alagna zu schauen. Besonders eindrucksvoll war der Blick von der Cima di Jazzi, wo ich fast senkrecht über Macugnaga stand. Ist es da zu verwundern, wenn ich den Entschluss fasste, einmal diese Dörfer aufzusuchen? Eine Tour auf den Kastor gab mir weiter den Blick frei nach St-Jacques und Gressonney, ebenfalls Orte mit Menschen deutscher Zunge. Da aber der Zugang zu diesen Tälern wegen der grossen Umwege mit verschiedenen Schwierigkeiten verbunden ist, musste ich den Plan immer wieder aufschieben. Erst mit der Anschaffung eines Autos konnte der lang gehegte Wunsch in Erfüllung gehen. Und so war es mir möglich, verschiedene Täler hinter dem Monte Rosa, in denen noch deutsch geredet wird, zu besuchen.
Den entscheidenden Anstoss zum nähern Studium dieser rätselhaften Sprachverhältnisse gab mir ein Artikel von E. Ackert in den « Alpen ». Dieser erschien zur Zeit meiner Bergbesteigungen im Monte-Rosa-Massiv. Wenn Ackert mit seinen Ausführungen das Rätsel sicher nicht gelöst hat, so brachte er mich mit seinen Gedankengängen auf die richtige Spur, um der Frage der deutschen Besiedlung des Kantons Wallis und der benachbarten ennetbirgischen Täler näherzukommen. Nach Ackert sind die Bewohner der deutschen Dörfer im Piémont Nachfahren der im Jahre 101 vor Christus von den Römern geschlagenen Zimbern. Nach ihrer Niederlage zogen sich die Überreste dieses germanischen Volkes in die Täler der Sesia und Lys zurück. Dort konnten sie sich in der Bergabgeschiedenheit bis heute erhalten. Etwas für sich hat diese Ansicht sicher. Doch sorgten die Römer für eine gründliche Vernichtung ihrer Todfeinde. Die Flucht kann nur einem kleinen Teil gelungen sein. Diese wenigen haben aber im Gebirge bei andern Völkerschaften und unter schwierigsten Verhältnissen ihre Eigenart kaum über 2000 Jahre erhalten können. Aber der Gedanke, dass die deutsche Besiedlung dieses Alpenraumes mit der Völkerwanderung in Beziehung gebracht werden müsse, liess mich jetzt nicht mehr los. So begann ich in der einschlägigen Literatur nachzulesen. Danach gilt als allgemeine Annahme, die deutschen Bewohner jenseits der Alpen seien Walliser Siedler; die deutschen Walliser hätte im B. Jahrhundert ein Wanderleben erfasst und sie seien über die hohen Gebirgskämme nach allen Richtungen hin ausgewandert. Eine solche Wanderung müsste allerdings einen Grund gehabt haben, wie Krieg, Bevölkerungsdruck, Hungersnot oder Naturkatastrophen. Aber von all dem lässt sich für das 12. und 13. Jahrhundert nichts nachweisen. Selbst anerkannte Autoren auf dem Gebiet der sogenannten « Walserfrage » können nichts Bestimmtes aussagen und ergehen sich nur in Vermutungen. Dürr schreibt: « Sie alle sollen nach der herkömmlichen Lehre aus dem Wallis ausgewandert sein. Es geht nicht an, das Problem der Walserursprünge als gelöst hinzustellen. Es ist so rätselhaft wie der Ursprung des deutschen Wallis selber ». Und Balmer sagt: « Die Frage über die tatsächliche Herkunft der Walser wird wohl nie restlos abgeklärt werden. Dazu fehlen die nötigen geschichtlichen Unterlagen. » Um aber dem ganzen Fragenkomplex doch näher auf den Grund zu kommen, dürfen wir nicht nur historische, sondern wir müssen vielmehr geographische und besonders sprachliche Zeugnisse zu Hilfe nehmen. Zuerst müssen wir die Herkunft der deutschen Besiedler des Wallis zu klären versuchen. Im ganzen Kanton, nicht nur im Oberwallis, sind massenhaft Spuren von Germanen in Orts- und Personennamen erhalten; auch in den Seitentälern sind sie zu finden. Ja, selbst im Tale von Vallorcine, das zu Frankreich gehört, aber zur Rhone entwässert, gibt es germanische Namen. Welcher germanische Volksstamm hat nun diese zahlreichen Spuren hinterlassen? Die Burgunder? Ihre Spuren finden wir nur im Unterwallis, kaum über Martigny hinaus. Die Alemannen? Ihre Einflussnahme beschränkt sich auf das Goms im Oberwallis. Und der Rest? Wissenschaftlich ist nun einwandfrei erwiesen, dass die oben erwähnten germanischen Orts- und Personennamen nicht nur voralemannisch, sondern vielfach auch vorburgundisch sind. Es muss demnach schon vorher ein anderes germanisches Volk im Wallis Fuss gefasst haben. Nach meiner Auffassung können diese ersten deutschen Siedler nur Langobarden gewesen sein. Die Langobarden setzten sich nach ihrer Wanderung in der Lombardei fest, übten da über zwei Jahrhunderte die Herrschaft aus und waren somit Nachbarn des Wallis.
Meine weitern Ausführungen sollen nun darlegen, dass die Langobarden nicht nur als die eigentlichen deutschen Siedler der südlichen Alpentäler, sondern auch des Kantons Wallis zu gelten haben. Im folgenden sollen nun kurz die Wanderungen der drei genannten germanischen Völker von ihren ursprünglichen Wohnstätten bis zur festen Landnahme nach der Völkerwanderung dargetan werden:
1. Die Burgunder wohnten zu Beginn unserer Zeitrechnung an der Ostsee und gehörten somit zu den Ostgermanen. Etwa im Jahre 250 zogen sie an den oberen und mittleren Main. Infolge Abzugs der römischen Legionen wegen des Einfalls der Westgoten in Italien stiessen sie zum Rhein vor. Das dortige Burgunderreich mit der Hauptstadt Worms zu Beginn des 5. Jahrhunderts ist aus der Nibelungensage bekannt. Im Jahre 443 besiegte der römische Feldherr Aétius die Burgunder und siedelte sie in Savoyen an. Im Jahre 455 wurde Rom von den Vandalen geplündert. Diese Schwäche der Römer benützten die Burgunder ihrerseits, um wieder selbständig zu werden. Sie dehnten bis 463 ihre Herrschaft auch über die Westschweiz und das Wallis aus. Um 494 machte sich ihr Einfluss sogar bis in die Ostschweiz geltend. Im Jahre 534 wurden aber die Burgunder von den Franken geschlagen. Das Wallis wurde ein Gau des Frankenreiches ( pago valensis ).
2. Von den Alemannen weiss man weniger Genaues. Sie wohnten zur Zeitenwende östlich der mittleren Elbe unter dem Namen der Semnonen. Im Jahre 260 wurde Aventicum von den Alemannen zerstört. Es sollen sogar Alemannenzüge über die Alpen stattgefunden haben. Um 475, wie man heute annimmt sicher noch später, ist die Besiedlung der Nordschweiz erfolgt. Aber schon 506 wurden die Alemannen von den Franken entscheidend geschlagen, und die Nordschweiz kam unter fränkische Herrschaft. Die Stossrichtung der Alemannen ging eben zuerst in südwestlicher, später in südlicher Richtung. Die Besiedlung des Goms fällt vermutlich erst ins 9. Jahrhundert, ist aber auch sonst noch umstritten.
3. Die Langobarden waren, wie die Alemannen, ein westgermanisches Volk. Zur Zeit der Römer lebten sie an der unteren Elbe neben den Angeln und Sachsen ( Tacitus ). Sie zogen dann im 2. Jahrhundert mit Teilen der Sachsen an die mittlere Donau. Im Jahre 568 überfluteten die Langobarden Oberitalien. König Albion gründete hier das Langobardenreich ( Lombardei ). Im Jahre 574 erfolgte ein Einfall der Langobarden in das Wallis. Sie kamen bis nach Bex, wo sie durch Franken und Burgunder eine Niederlage erlitten und zurückweichen mussten. Den Höhepunkt ihrer Macht erreichten die Langobarden unter König Luitprand ( 712-744 ). Im Konflikt mit der Kirche entriss der Frankenkönig Pipin den Langobarden verschiedene Ländereien und schenkte sie dem Papst. Endlich besiegte im Jahre 774 Karl der Grosse Desiderius und eroberte das ganze Langobardenreich.
Das sind kurz die geschichtlichen Tatbestände. Die Alemannen, die erst im 9. Jahrhundert ins Goms kamen, scheiden also als deutsche Besiedler des Wallis zum vornherein aus, da dort schon vorher deutsch gesprochen wurde. Selbst der Historiker Eggs weiss in seinem Geschichtsbuch über das Wallis von den Alemannen nur Unbestimmtes zu berichten: « Dann wanderten die Alemannen in das Tal des Rottens ein. Sie gehörten dem deutschen Sprachstamm an und kamen vermutlich aus dem Haslital über die Grimsel. Wann dies geschah, ist unbestimmt, wahrscheinlich zur Zeit der fränkischen Herrschaft, jedoch kaum vor dem 9. Jahrhundert. Die Sprachgrenze war bei Leuk. » In gleichem Sinne äussert sich Dürr: « Wann die Alemannen ins Oberwallis gekommen sind, ist äusserst unklar. Es gibt keine Spur von historischen Dokumenten. » Auch Pauser belegt eine voralemannische Bevölkerung im ganzen Kanton Wallis mit vielen Orts- und Personennamen.
Nachhaltiger war der Einfluss der Burgunder. Typisch burgundische Siedlungen enden auf -ens,y oder -az. Solche Orte gibt es unterhalb des Rhoneknies in grosser Zahl, aber oberhalb von Martigny sind sie kaum noch zu finden. Wir stossen aber im ganzen Kanton Wallis auf so viele germanische Ortsnamen, die auf eine andere als burgundische oder alemannische Siedlung schliessen lassen. Somit müssen auch die Burgunder als die Besiedler des ganzen Wallis ausscheiden. Zudem hatten die Burgunder durch ihre frühen Beziehungen zu den Römern schon viel von ihrer germanischen Eigenart verloren. Sie waren verhältnismässig rasch romanisiert worden. Auch waren sie in Savoyen und später in der Westschweiz nur in der Minderzahl, und ihre Siedler verloren sich unter den kelto-römischen Untertanen. Eggs schreibt hiezu: « Die Burgunder nahmen das Wallis wahrscheinlich zwischen 455-457 in Besitz. Unter Wallis verstand man damals den eigentlichen Rhonelauf mit den beidseitigen Nebentälern bis zum Genfersee. Doch wird ihr Einfluss sich nur bis in die Gegend von Martigny bemerkbar gemacht haben. Jedenfalls fehlen anderslautende Berichte aus historischen Quellen. » Somit verbleiben noch die Langobarden. Hier interessiert vor allem der erwähnte historisch festgehaltene Einfall der Langobarden ins Wallis. Eggs führt darüber aus: « Dann fielen die Langobarden, die damals Italien beherrschten, über die Alpen in das Wallis ein und verbreiteten Krieg und Schrecken. Wahrscheinlich wurde damals Oktodurus zerstört. Sie wurden aber 574 bei Bex vollständig geschlagen. Die Überreste ihres Heeres kehrten über die Alpen zurück. » Im Historisch-biographischen Lexikon der Schweiz ist unter Bex zu lesen: « Im Jahre 574 besiegte Guntram von Burgund lombardische Kriegsbanden, die den Mont Joux ( Grossen St. Bernhard ) überstiegen und das Kloster St-Maurice geplündert hatten. » Das Jahr 574 bedeutet also hier das Ende eines langobardischen Eroberungszuges im Rahmen der Völkerwanderung. Die Langobarden benützten ihren erfolgreichen Einfall in Oberitalien dazu, ihre Eroberungszüge über die Alpen nach Norden fortzusetzen. Dass ein Weg über den Grossen St. Bernhard führte, ist belegt. Ebenso sicher ist, dass sie auch über den Simplon gekommen sind. Ja, sogar die Begehung anderer Alpenübergänge weiter östlich ist nicht von der Hand zu weisen, da die Langobarden zu diesen Zeiten die Beherrscher der Gebiete südlich der Alpen waren. In der Völkerwanderungszeit erfolgten aber solche Züge nicht nur mit bewaffneten Kriegern allein; es folgte das ganze Volk mit Frauen, Kindern, Vieh und Habe, wie dies schon bei den Zimbern der Fall war.
Dieser Einfall der Langobarden ins Wallis und der anschliessende Rückzug kann aber nicht nur das Geschehnis eines Jahres gewesen sein. Er muss sich über einen langem Zeitraum erstreckt haben. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch noch, dass Eggs von dem Seuchenjahr 570 mit Pocken schreibt. In Verbindung mit Krieg und durchziehenden fremden Völkerschaften ist dies mehr als verständlich. Es ist aber auch anzunehmen, dass diese Langobarden nicht mehr nach der Lombardei zurückkehrten. Da ihnen der Ausgang bei Bex versperrt war, kehrten sie um und nahmen das Wallis in ihren Besitz. Ihr geschlossener Zug löste sich auf, und die einzelnen Sippen zogen sich zur festen Landnahme in die Walliser Seitentäler zurück.
Nach diesen Darlegungen will ich meine Annahme, dass die Langobarden als die eigentlichen Besiedler des Wallis angesehen werden müssen, noch eingehender zu begründen und zu belegen versuchen. Dies bedingt aber, dass ich mich mit diesem germanischen Volk und seiner Sprache noch näher befasse.
Die Langobarden, die im frühen Mittelalter ganz Oberitalien in Besitz genommen hatten, redeten auch hier ihre angestammte germanische Sprache. Da sie an der untern Elbe die Nachbarn der Angeln und Sachsen gewesen waren, müssen die Sprachen der drei Volksstämme sicher ähnlich gewesen sein. Von dieser Ähnlichkeit soll unten noch mehr die Rede sein. Aber schon vor den Langobarden durchzogen viele andere germanische Volksstämme Oberitalien und liessen mehr oder weniger ihre Spuren zurück. Für lange Zeit muss also für diesen Teil Italiens Deutsch die Umgangs- spräche gewesen sein. Nun aber übten die Langobarden über diese Gegend eine Herrschaft aus, die länger als zwei Jahrhunderte dauerte. Deshalb darf mit Bestimmtheit angenommen werden, dass Langobardisch lange Zeit die Umgangssprache südlich der Alpen und in vielen Alpentälern war. Nach ihrer Niederlage gegen Karl den Grossen waren die Langobarden gezwungen, die Vorherrschaft aufzugeben. Mehr und mehr zogen sie sich in die Alpentäler zurück. Dass dies ein langsamer Prozess war, geht daraus hervor, dass die Franken das Land nicht neu besiedelten, sondern es nur besetzten und beherrschten. Von einer Landnahme durch die romanisierten Franken kann also hier nicht die Rede sein. Hingegen war die Landnahme der Langobarden bis zum Alpenkamm und darüber hinaus eine vollständige. Langobardische Ortsnamen in der Lombardei, im Piémont und in vielen Alpentälern belegen noch heute die Tatsache, dass Oberitalien von den Langobarden germanisiert worden ist. Nach ihrer Niederlage ging aber die deutsche Sprache unter, und das Italienische hat allmählich die Nachfolge übernommen.
Nun zur langobardischen Sprache selber: Wilhelm Bruckner weist in seinem gut fundierten Buche « Die Sprache der Langobarden » ebenfalls auf die enge Verwandtschaft der Langobarden mit Angeln, Sachsen und Friesen hin. Die Langobarden lebten nach ihm ursprünglich in engen Beziehungen zu den Angeln an der Nordsee. In Recht, Sage und Wortschatz haben sie zudem die meisten Übereinstimmungen mit den Angelsachsen. In Italien bedienten sich die Schreiber des Langobar-dischen des lateinischen Alphabets. Leider wurden alle Schriftstücke, die aus diesen Zeiten erhalten sind, in Lateinisch abgefasst. So konnte nur mit viel Fleiss und Mühe aus den Urkunden, Gesandt-schaftsakten, Urbarien, Inschriften usw. das Langobardische rekonstruiert werden. Es ist aber Bruckner doch gelungen, daraus 136 Seiten ( zweispaltig ) langobardische Eigen-, Orts- und Sach-namen zu finden. Neben der genauen oder mutmasslichen Übersetzung hat er auch vieles über Herkommen, Grammatik, Deklination und Konjugation dieser Wörter ermittelt. Da aber das Lateinische nicht für jeden deutschen Laut das entsprechende Zeichen besass und auch das Vulgärlatein vielen Veränderungen ausgesetzt war, musste die Aufzeichnung der langobardischen Wörter in vielen Punkten mangelhaft ausfallen. Besonders b und v, b und p, d und t gerieten oft durcheinander.
Der Schwerpunkt der langobardischen Nationalität lag unzweifelhaft in Oberitalien. Daher der Name Lombardei. Wie lange sich nun die langobardische Sprache dort halten konnte, ist ungewiss. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass das Langobardische um das Jahr 1000 noch keine tote Sprache war. Daraus ergibt sich weiter, dass sich diese deutsche Sprache in abgelegenen Gebieten, wie den Alpentälern, die der jeweiligen Staatsgewalt schwer zugänglich waren, sicher noch länger, ja bis auf den heutigen Tag halten konnte. Die Langobarden waren zudem ein kräftiges und begabtes Volk, das sich besonders durch sein nationales Bewusstsein scharf von den Römern unterschied.
Unter der langobardischen Vorherrschaft in Italien wurde das Lateinische stark mit deutschen Wörtern vermischt. Ebenso ist das aus dem Sprachengemisch hervorgegangene Italienisch durch deutsche Wörter und Suffixe bereichert worden. Als Suffixe seien besonders erwähnt -ingo und -engo für Ortsnamen,isk und -ask für Adjektivformen. Wenn wir also im Alpengebiet auf solche Wortverbindungen stossen, so deuten sie sicher auf die Anwesenheit der Langobarden hin. Andrerseits erhielten die deutschen Wörter lateinische Endungen und Ableitungssilben. Zudem wurden Konsonanten und Vokale weggelassen oder verändert. Es war also sicher kein leichtes, aus all diesem Wirrwarr eine ausgestorbene Sprache zu rekonstruieren.
Es folgen nun Ortsnamen aus verschiedenen Alpentälern, die mit Sicherheit als langobardisch angesprochen werden können:
Aostatal: Bard, Sarre, La Salle, La Saxe, Mottes, Breuil; Val Savaranche, Val Grisanche. Die eigentlichen Walser Täler lasse ich weg, da ja dort z.T. noch heute deutsch geredet wird.
Tessintal: Gnosca, Giornico, Faido ( Fehde ), Mairengo, Lurengo, Sorengo, Brugnasco, Gordevio, Gorduno, Gordola, Toricella.
Bleniotal: Motto, Torre, Corzonesco, Prugiasco, Sommascona, Cima di Lugezzasca. Misox: Lostallo, Spina, Trescolmen, Pian Guarnei.
Oberwallis: Ernen, Ferden, Gestelen, Albinen. Die verschiedenen Orte auf -ingen im Oberwallis werden zu Recht oder Unrecht den Alemannen zugeschrieben.
Unterwallis: Issert, Repa, Liddes, Hérémence, Grimentz, Ayer, Zinal.
Wie schon oben erwähnt, geht auch die ursprünglich deutsche Siedlung Vallorcine ( Valansine ) mit Sicherheit auf die Langobarden zurück. Die deutsche Sprache ist hier zwar längst verschwunden; nur Flurnamen erinnern noch an die deutschen Siedler.
Entscheidend für die Annahme der Besiedlung der Alpentäler um den Monte Rosa durch die Langobarden sind die Zusammenhänge und Übereinstimmungen vieler Wörter in verschiedenen Sprachen. Ich habe einige langobardische Wörter ausgesucht und sie mit dem entsprechenden Ausdruck in deutsch, italienisch und englisch verglichen. Der Leser möge selber urteilen, ob die Verwandtschaft nicht augenfällig ist!
langobardisch deutsch italienisch englisch marca Mark marchio march sporo Sporen sprone sporule gehagium Gehege Gaggiolo ( Ort ) hedge burgus Burg borgo borough waldus Wald Valdo ( Ort ) wood marscale Marschall maresciallo marshal stupla Stoppel stoppia stupple wefan weben aggueffare to weave guerra Krieg guerra war frea frei — free gaida — guidare to guide faido Fehde Faido ( Ortfol -vollfui Hier einige Vergleiche langobardisch - deutsch:
fano Fahne tallus Tal fio Vieh gasindium Gesinde fard Fahrt zun Zaun aid Eid sala Hof, Haus, Saal bart Bart lang lang berg Berg laubia Laube Aber auch deutsch - italienisch - englisch sind einleuchtende Beispiele, auch wenn der langobardische Ausdruck nicht mehr zu finden ist:
deutschitalienischenglisch Kleidsceltoclothes Buschboscobush Stallstallastall-feeding Spatenspadinaspade Stadtcittàcity Den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen aber die Vergleiche walserisch - deutsch - englisch. Die walserischen Wörter habe ich dem Buche Balmers « Die Walser im Piémont » entnommen.
walserischdeutschenglisch spennuspinnento spin niwweneunew Turre ( ToreTurmtower oitaltold zelleerzählento tell schysieshe fodFutterfodder woulwohlwell MattuMattemat chneiekennento know gwärchuwerkento work CheischKäsecheese ehernekommento come galwgelbyellow IrdErdeearth SchneiSchneesnow ZunguZungetong spalluredento spell schummiSummesome Ich glaube, diese Vergleiche mögen genügen, um nochmals darzutun, dass die deutschen Siedler in den Alpentälern ursprünglich Langobarden waren.
Nun möchte ich noch auf einige Spracheigentümlichkeiten der Walser südlich der Alpen und z.T. auch der Oberwalliser hinweisen. In der Konjugation verwenden sie vielfach noch das Imper-fekt, und in der Deklination fällt der Gebrauch des Genitivs auf, wo wir doch das Perfekt und den Dativ anwenden. Als Beispiele mögen gelten: die Haut der Hand, die Spitze der Nasu, schy war, schy segte, er zellte ( er erzählte ). Dieser Gebrauch ist heute bei den Engländern noch üblich, und so haben eben auch die Langobarden gesprochen. Die noch heute verblüffende Gleichheit im Sprachgebrauch der Walser und Engländer beweist einmal mehr, dass nicht nur das Angelsächsische die englische, sondern auch das Langobardisch-Sächsische die deutsche Sprache der Alpentäler gebildet hat. Wie schon wiederholt gesagt, haben die Angeln, Sachsen und Langobarden in ihrer frühere gemeinsamen Heimat die nämliche Sprache gesprochen. Daraus ergibt sich die noch heute bestehende Ähnlichkeit vieler Wörter, Ausdrücke und Redewendungen.
So glaube ich denn einleuchtend und zwingend dargetan zu haben, dass die Walser jenseits des Alpenkammes, die Walliser im allgemeinen und alle übrigen Walser in andern Teilen des Alpengebietes Nachfahren der Langobarden sind. Bedingt durch die Völkerwanderung, erfolgte die Stossrichtung der deutschen Siedler im Wallis eindeutig von Süden nach Norden. Die spärlichen Urkunden, die wir über die Wanderungen der Walser besitzen, stammen aus dem 13. Jahrhundert. Diese handeln zudem nur von Einzelpersonen. Die Landnahme durch deutschsprechende Siedler in den erwähnten Talschaften ist aber sicher lange vor dem Jahre 1000 abgeschlossen gewesen.
Dass die Walser im Piémont nicht Walliser sein können, ergibt sich auch daraus, dass die Alpen für die Traversierung von Norden nach Süden ein viel zu grosses Hindernis darstellten. Wenn dann für diese Wanderungen mit Hab und Gut erst noch die Alpenübergänge benützt worden sein sollten, von denen in der Walserliteratur die Rede ist, dann geht das Unmögliche dieses Vorhabens schon aus deren Höhe über Meer hervor. Hier die Höhe einiger dieser Pässe:
Schwarztor3734 mMonte-Moro-Pass 2868 m Theodulpass3317 mTurlopass2736 m Colle d' Olen2871 m Da machten es sich die Langobarden bequemer, indem sie für ihre Eroberungszüge den Grossen St. Bernhard, Simplon, Gries, St. Gotthard, Lukmanier, San Bernardino, Splügen und andere Übergänge wählten.
Zum Schluss noch einige andere Hinweise, die zur Bekräftigung der Besiedlung der Alpentäler durch die Langobarden, und zwar von Süden nach Norden, Zeugnis ablegen:
Um 1169 ist Biel im Goms Sitz eines Grafen von Blandrate. Diese Grafen stammen von No vara. Sie waren Anhänger der Ghibellinen, die 1168 von den Weifen besiegt wurden. So ist die Flucht eines Grafen ins Oberwallis zu seinen dortigen Besitzungen erklärlich.
Das Geschlecht der Grafen von Challent ( Aosta ), das um die gleiche Zeit im Unterwallis erstmals auftaucht, stammt von einem Vizegrafen von Aosta ab. Der Grund zur Übersiedlung ins Unterwallis werden auch hier die damaligen Kriegswirren in Oberitalien gewesen sein. Liddes hatte alte Beziehungen zu Aosta. Das alte Grafengeschlecht der Herren von Sax im Misox geht auf die Grafen von Torre zurück, die Grundbesitz im Blenio und in Urseren besassen. Torre ist noch heute ein Ort im Bleniotal und wurde im 13. Jahrhundert Turre genannt. Die Namen Sax und Misox deuten zudem auf sächsische Herkunft hin.
Laut einer Urkunde von 1274 zwischen dem Freiherrn Albert von Sax-Misox und den Waisern von Hinterrhein hat mit andern ein Jakob von Kehrbächi ( Pomat ) den Lehenseid geleistet. Dieser Jakob bekleidete zudem die Würde eines Castalden ( Meyers ) dieses Grafen. Ist es nicht sonderbar, dass Castald gerade das langobardische Wort für Domänenverwalter oder Meyer ist?
Dieser Sachverhalt weist auf eine Besiedlung des Rheinwalds ebenfalls aus südlicher Richtung hin. Die Grundherren in Oberitalien suchten die Herrschaft über ihre Emigranten solange wie möglich aufrechtzuerhalten. Der gleichen Auflassung ist Gutersohn. Er schreibt in einer Studie über das Hinterrheintal: « Der Rheinwald ist eine geschlossene Kulturinsel der Walser, die von Süden her einwanderten. » Nach einem Vertrag aus dem Jahre 1277 ist dann die Herrschaft der Grafen von Sax an die Freiherren von Vaz übergegangen. Es ist sicher falsch, wenn mit diesem Datum die Besiedlung des Rheinwalds durch die Walser gleichgesetzt wird. Die Siedler sind längst dagewesen, nur die Herrschaft hat gewechselt. So nimmt auch Bohnenberger eine frühere Besiedlung des Rheinwalds als 1277 an.
Über das Binntal sind sich die Gelehrten einig, dass es von Süden her besiedelt wurde.
In Stabio ( Tessin ) wurden 1833/37 Langobardengräber aus der Völkerwanderungszeit gefunden. Stabio ist ein germanisches Wort für Gehöft oder Stall. Ebenso deutet das benachbarte Gaggiolo auf ein langobardisches gagio oder gehagium hin.
Frühere Namen für Giornico ( Tessin ) lauteten Zurnigo, Zornigo, Zornicho u.a. Das langobardische Wort scorninga heisst auf deutsch das Ufer.
Im Walserischen finden wir das Wort reschta, was ruhen oder rasten bedeutet. Der entsprechende althochdeutsche Ausdruck heisst reste. Nun heisst im Lötschental ein Übergang ins Dalatal Restipass. Dass dort die Ruhe vorherrscht, ist wohl anzunehmen, aber auch der müde Wanderer wird dort gerne rasten.
Etwas unterhalb des Restipasses im Lötschental liegt die Faldumalp. Im Langobardischen ist dieser Name ebenfalls vorhanden, faldum heisst Bergabhang. Diese zwei Flurnamen sind ein weiterer Beweis dafür, dass die deutsche Sprache von Süden her ins Wallis und damit ins Lötschental gelangt ist. Dass dann Lötschentaler ins Lauterbrunnental weitergewandert sind und so die lango-bardisch-deutsche Sprache noch über die Berneralpen gebracht haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Ebenso erklärt sich die Weiterwanderung der frühen Walliser ( Langobarden, nicht Walser, im B. oder 9. Jahrhundert ) über die Grimsel ins Haslital oder über die Furka ins Urserental.
Einer Zeitungsmeldung entnahm ich vor einiger Zeit folgende Notiz: « Eher könnten die Haslitaler „ importierte " Engländer sein, und wäre es nur eines einzigen Wortes wegen! Wenn man in England sagt: the door is left ajar, so ist damit gemeint, dass die Türe nicht zugemacht, sondern nur angelehnt sei. Ganz im gleichen Sinne braucht man bei uns das Wort „ achar " für angelehnt. » Der Einsender hat wohl von den Beziehungen der Langobarden zu den Angeln und Sachsen nichts gewusst.
Endlich geht auch das Tragen schöner Trachten auf die Langobarden zurück. Im Val Varaita ( Piémont ) z.B. tragen die Alpenbewohner noch immer ihre prächtigen Trachten mit Stickereien und Arabesken. Ebenso kommen noch heute die Frauen von Valstrona in ihren bunten Trachten nach Omegna ( am Ortasee ) herunter. In vielen Ortschaften des Sesia- und Aostatales trägt man noch die herkömmliche Tracht, bestehend aus zartesten Spitzen, Tüchern aus Seide in den lebhaftesten Farben. Auch hier weist der Weg von Süden nach Norden, wenn wir an die bunten Trachten im Lötschental, im Val d' Anniviers oder im Val d' Hérens denken.
Abschliessend möchte ich wünschen, dass meine Ausführungen, die ich als Laie dargelegt habe, zur weitern wissenschaftlichen Erforschung der Besiedlung der Alpentäler beitragen mögen. Ebenso bedarf die herkömmliche Begründung der Walserfrage noch einer gründlichen Überprüfung und Korrektur. Auch Dürr ist dieser Auffassung, wenn er in seinem Buche « Völkerrätsel der Schweizer Alpen » schreibt: « Sicher ist nur eines: Walser bedeutet nicht ohne weiteres Walliser. Über die Herkunft der Leute sagt der Name noch nichts. » Literatur:
Fritz, Die alte und die neue Heimat der Walser, 1930. Pauser, Völker und Staaten am Mont Blanc, 1939. Bruckner, Die Sprache der Langobarden, 1895. Balmer, Die Walser im Piémont, 1949. Eggs, Die Geschichte des Wallis im Mittelalter, 1930. Dürr, Völkerrätsel der Schweizer Alpen, 1953.