Unbekannte Urnerberge | Club Alpin Suisse CAS
Soutiens le CAS Faire un don

Unbekannte Urnerberge

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Mit 4 Bildern ( 42-45 ) und 1 SkizzeVon Hans Koenig

( Zürich und Sisikon ) Einen zweiten Versuch, das Hörnli zu besteigen, machte Ingenieur-Topograph Hans Dübi aus Bern im November 1907. Das war etwas spät im Jahr. Er hatte, wie er mir schrieb, enorme Schwierigkeiten, weil die Felsen bis weit hinunter ausgeapert und brüchig waren und das Eis im Spalt sehr hart war. Trotzdem gelangte er bis hinauf in die Scharte. Ein Ungewitter drohte, und der Begleiter streikte, weiterzugehen. So musste Hans Dübi, der seinen Begleiter nicht allein lassen wollte, auch zurück. Den Abstieg machten sie mit Seilhilfe. Nach dem letzten Abseilen verklemmte sich leider das Seil und musste hängen gelassen werden.

Im nächsten Jahre, am 28. Juni 1908, haben die Gebrüder Tsches und Anton Krupski mit dem jungen August Mattli den Aufstieg wieder versucht. Die Schneeverhältnisse waren günstiger; ohne Stufenhacken wurden die Felsen erreicht. Über die Wandstufe hing noch das Seil von Hans Dübi, das unten im Eise festgefroren war. Auch ihnen machte der Aufstieg wegen der enormen Steilheit, dem beispiellos schlechten Gestein und dem harten Eis Mühe. Sie erreichten den Gipfel in anderthalb Stunden vom Fuss der Felsen an und brauchten ebenso viel Zeit für den Abstieg. Die Tour ist in der « Alpina » vom 1. August 1908, Seite 134, von G. End beschrieben worden. Diese Tat konnte nicht mehr angezweifelt werden und wurde allgemein anerkannt.

Eine weitere Besteigung fand statt am 23. Juli 1916 ( « Alpina » 1916, Seite 153 ). Emil Hammer und sechs andere Mitglieder der Sektion Gotthard erreichten damals ebenfalls den Gipfel. Sie schreiben darüber: « Durch furchtbar zersetzte, brüchige, ungünstig geschichtete Felsen schlichen wir ( denn da gab 's keine Klimmzüge ) katzenartig bis zur Scharte empor. » Sie liessen auf der Scharte die Pickel zurück, und die Durchquerung der letzten zehn bis fünfzehn Meter mit den ganz wenigen winzigen Griffen bot grosse Schwierigkeit.

Alles das hat dazu beigetragen, dem Berg Respekt zu verschaffen. Die ersten Versuche und Besteigungen sind immer über das Tor oder über Musenalp oder Biwaldalp unternommen worden. Aber - wie es schon die Erstersteiger im Jahre 1885 gelockt hatte, von der Surenenpaßseite ( Waldnachtertal ) an den Fuss des Berges zu kommen, was aber offenbar an der seichten Wandstelle scheiterte - so ist es verständlich, dass ein so gewiegter und kühner Kletterer wie Prof. Anton Krupski « schon lange den Wunsch hatte, vom Gitschental aus in direktem Aufstieg » zum Brunnikehlenpass zu gelangen. Dieser Wunsch erfüllte sich am 7. September 1919, als es ihm glückte, mit Joseph Mattli den Durchgang zu forcieren und damit den Weg zu öffnen. Aber die Scheu vor diesem Aufstieg blieb. Carl Mettler, Altdorf ( Sektion Gotthard ), hat ihn nachher zweimal durchgeführt, und trotzdem haben selbst gewiegte Urnerkletterer immer noch davor gewarnt, weil « eine sehr heikle Stelle » zu überwinden sei. Carl Mettler liess mir keine Ruhe, diesen « schönen Aufstieg » einmal mit ihm zu machen, um gleichzeitig festzustellen, dass dadurch ein neuer Zugang zum Urirotstock von der Surenenpaßseite aus erschlossen werde. Nachdem im Jahre 1948 eine Genossenschaft die Luftseilbahn « Attinghausen-Brustiberg » erstellt hatte, bekam deren Leitung auch Interesse an einer Erschliessung dieser Route. Sie hat denn auch im Sommer 1951 die entscheidenden Schritte getan und nicht nur den Aufstieg durch deutlich sichtbare rote Punkte markieren lassen, sondern die Überwindung der heiklen Wandstufe durch Erstellung einer fünfzigsprossigen, etwa 20 Meter hohen Eisenleiter erleichtert. Das ermöglicht, auf neuem Wege und auf bequeme Art - man erreicht vom Tal aus mit der Seilbahn die Höhe von 1600 m - den Urirotstock zu besteigen. Das ist sogar, wenn man die Seilbahn zu einer Frühmorgenfahrt verständigt, in einem Tag vom Tal aus in sechs bis sechseinhalb Stunden Gehzeit durchführbar.

Um all das abzuklären und an Ort und Stelle zu prüfen, sind wir ( C. Mettler, Sektion Gotthard, Dr. F. Burkhardt, Sektion Gotthard, und der Schreibende ) am 12. August 1951 losgezogen. Wir erreichten in einer gemütlichen Wegstunde von der Seilbahn aus die Alp « Hinter dem Grat », wo wir bei Hirt Rudolf Herger gute Aufnahme und Unterkunft im Heu fanden. Schwere Regengüsse prasselten die ganze Nacht hindurch auf das Schindeldach. Das ist mir sonst eine liebe, vertraute Musik in den Ohren; sie beruhigt und schläfert ein. Aber wenn es gilt, eine neue, Ungewisse Tour zu machen, ist das Getröpfel nicht gerade ermutigend. Als endlich mit dem Morgengrauen der Regen aufgehört hatte, verhüllten schwere Wolken und Nebel jegliche Sicht. Erst um 7 Uhr verliessen wir die Hütten « Hinter dem Grat ». Der neue Surenen weg, auch angelegt durch die Seilbahngesellschaft, ist kotig und schlüpfrig; überall Schnecken und Molche, und regenschwer das Gras. In einer gemütlichen Stunde erreichten wir das Schmalgrätli, eine Depression zwischen dem Angistock 2069,6 m und der Südwand des Brunnistockes. Nun - wo durch? Der Nebel verhüllte jede Sicht. Aber ha - da ist die erste rote Wegmarkierung! In einer Geröllhalde zeichnet sich sogar ein Weg ab, der steil über Schroffen - etwas nach links ( i. S. des Aufstieges ) haltend -tüchtig aufwärts führt bis an den Rand einer tiefen Lawinenrunse, die in der Scharte zwischen Gitschenhöreli und Brunnistock ihren Anfang nimmt und die ganze Wand durchzieht. Man wäre fast versucht, dieses schneegefüllte steile Couloir zu queren, da die andere linke Seite ( i. S. des Aufstieges ) leichter begehbar ist. Doch - nur das nicht, meint Mettler, sonst kommt man in die Hinteren Tiergärten, von denen es keinen Übergang mehr in die Vorderen Tiergärten gibt, über die der Aufstieg allein möglich ist. Die Markierung weist uns nach rechts unter ein hohes, zum Teil überhängendes Felsband, das an einer Stelle unterbrochen ist durch eine seichte, plattige Wand, über die reichlich Wasser rieselt. Das ist die berühmte heikle Partie, die früher zu überwinden und deren Durchkletterung in der Regel für alle Teilnehmer mit einer totalen Durchnässung verbunden war. Heute geht man unter dem Felsband weiter hinaus auf ein Eck, und unvermittelt steht man bei der neuen Eisenleiter ( eine Stunde vom Schmalgrätli und Aneroid 2300 m ). Auf dieser steil aufgestellten Leiter kann das Fluhband leicht und sicher überwunden werden. Was kommt, ist eitel Freude und Genuss. Es beginnt der Vordere Tiergarten, den man vom Tal aus als steile Grashalde gut sieht und der wirklich ein Paradies für die Gemsen - eben ihr Garten - gewesen sein muss. Heute sind die Grattiere verschwunden; die Jäger haben ihnen zu sehr zugesetzt. Um so üppiger sind das Gras und die Flora. In Büscheln stehen die Astern, Vergissmeinnicht und mehrere Arten von blauen Glockenblumen und Edelweiss. Da kommt einem so recht zum Bewusstsein, wie prachtvoll die Alpenflora gedeiht - wenn der Mensch sie nicht stört oder gar ausrottet. Wehe unseren Alpenblumen im Umkreis der benzinbefahrbaren Alpenpässe! Wer an der Axenstrasse wohnt, sieht täglich Hunderte von Fahrzeugen vorbeisausen, an denen Bündel von Alpenblumen hin- und herbaumeln und verdorren. Wann wird endlich diesem Unfug behördlicherseits gesteuert? Wenn der Schweizer Alpenclub auf diesem Gebiet nicht durchzudringen vermag, könnte man vielleicht in Verbindung mit dem Schweizerischen Naturschutz sich Geltung verschaffen, ehe es zu spät ist.

Der Aufstieg über den Vorderen Tiergarten war wegen des vom Regen noch triefenden Grases eine nasse Angelegenheit. Ohne Mühe erreichten wir eine felsige Schulter, auf der mächtige Felsblöcke liegen ( Aneroid 2450 m, 10 Uhr ). Ein völlig verändertes Bild. Keine üppige Vegetation mehr, nichts als graubraune Felstrümmer und Platten, aus deren Nischen Prachtsexemplare von Ranunculus glacialis grüssen. Eine merkwürdige Stimmung herrscht. Man sieht nichts, alles grau in grau. Von oben her aus der tief eingeschnittenen Lawinenkehle des Brunnibacb.es kommt kalter Wind; er lichtet hie und da die Nebel, und man bekommt das Gefühl, dass man vor einem grossen Absturz steht. Kuhglocken läuten in der Tiefe; leise, kaum vernehmlich gurgelt der Brunnibach unter den mächtigen Lawinenresten, und ruckweise vernimmt man das Aufklatschen grosser Wassermassen. Fast beängstigend wirkt dieses sich immer wiederholende Aufschlagen des Brunnibachwasserfalles, der mit seinem Sturz über eine fünfhundert Meter hohe Felswand einer der gewaltigsten Staubbäche unserer Alpen ist.

Mit « Jetz müend mir da hindere und ufe » unterbricht Mettler unser Schweigen und Horchen. Ich war gespannt auf den Weiterweg. Man erreicht über Schutt- und Schneebänder leicht absteigend die Tiefe der Schlucht. Ein letzter Markierungspunkt an der Unken Felswand ( i. S. des Aufstieges ) weist den Weg in die steile, von oben bis unten gradlinig gerissene Kehle. Ein leerer Blechkübel liegt in einer Felsspalte - hier ist offenbar den Markierungs-leuten die rote Farbe ausgegangen. Das schreckt uns aber nicht; Mettler kennt den Weg. Er mahnt zur Eile, denn wir sind in einer schweren Steinschlagzone. Überall sieht man die « Müssi » von Aufschlägen, und wir klettern möglichst hoch oben an der Wandseite. Während des ganzen Aufstieges hörten wir aber keinen einzigen Stein fallen; es war zu kalt, die Steine hielten. Bei Regenwetter und noch mehr bei Föhn oder wenn mehrere Partien gleichzeitig in der Runse sind, drohen hier ernste Gefahren und werden die Route nie zu einem harmlosen Spaziergang machen. Trotz aller Steilheit und der starken Verwitterung des Gesteins ist das Klettern durchaus leicht. Es kommen Lawinenreste, steile Schneefelder sind zu queren, aber der Schnee ist guttrittig, so dass wir rasch an Höhe gewinnen. Ein Windstoss gestattet uns einen Blick hinauf in die Scharte des Brunnikehlenpasses. Eine etwa sechs Meter hohe Gwächte versperrt den Aufstieg in den tiefsten Punkt. Gwächten sind nicht nur da zum Drohen; deshalb ziehen wir vor, nach rechts ( i. S. des Aufstieges ) hinaus über schräggeschichtete Platten auszuweichen, und erreichen etwa 50 Meter oberhalb des Brunnikehlenpasses den Blümlisalpfirn ( 2753 m, 11.45-12.00 ). Eine kurze Rast. Heftige Windstösse machen das Massiv des Brunnistockes zeitweise frei. Da wären wir also vor dem berüchtigten Höreli. Aber es sieht ganz anders aus, als wir erwartet hatten. Nach früheren Beschreibungen und Photographien war der Riss zwischen dem Hörnli und dem Massiv des Blackenstockes vom Blümlisalpfirn aus gesehen ein ununterbrochenes, steiles Schnee-und Eiscouloir. Jetzt zeigten sich gleich ob dem Brunnialpgletscher rundbucklige Felsen, darüber ein steiles Schneefeld bis an den unteren Rand der Gipfelwand. Diese schien aper, und ein steiler, enger Riss liess sich bis oben in die Scharte verfolgen. Ich schätzte: Es ist eine Höhendifferenz von 250 Metern zu überwinden; Schnee liegt keiner mehr im Couloir, also kann man klettern; in einer Stunde sind wir oben. Aber es kam etwas anders. Was Dr. Anton Krupski vor 32 Jahren befürchtet hatte, ist eingetreten: « Geht der Gletscher am Fusse des Couloirs stark zurück, dann wird die Überwindung des trotzigen Gesellen sehr wahrscheinlich die grössten Schwierigkeiten darbieten. » Dem war auch so. Nach Überkletterung der untersten Rundbuckel kam ein steiles Schneefeld, das bis an den Fuss des Gipfelaufbaues reicht. Hier liessen wir leider Pickel und Steigeisen zurück. Die Randkluft war nur klein, dafür die Felsen steil, unangenehm geschichtet und zudem brüchig, so dass die erste Wandstufe von 25 Metern uns eine halbe Stunde kostete. Wir kamen zum Felsriss, der aber nicht aper, sondern in der Tiefe mit Schnee ausgefüllt war. Der Schnee war an der Oberfläche aufgeweicht, darunter lag steinhart gefrorenes, kompaktes Eis; bei der Steilheit des Couloirs eine richtige Eismauer. Wir mussten in der engen Schlucht bald auf der Unken, bald auf der rechten Wandseite den Aufstieg erzwingen. Wenn wir die Seite wechselten, mussten die Stufen mit dem Taschenmesser gehauen werden. Das Gestein ist denkbar schlecht und brüchig. Kein Griff hält, und ganze Platten geben auf den leisesten Zug nach. « Das ist keine Kletterei und keine Eisarbeit, sondern ein ,Gmorx ' », meint Dr. Burkhardt, und er hatte recht. Am leichtesten und schnellsten ginge der Aufstieg, wenn man Steigeisen hätte, die nicht nur zehn Zacken nach unten haben, sondern vorne, nach oben umgebogen, noch weitere zwei Zacken. Die Erstbezwinger der Eigernordwand haben solche mit Vorteil verwendet ( siehe: Anderl Heckmair, « Die drei letzten Probleme der Alpen », Tafel 39 ). Mit solchen Steigeisen könnte man in dem steilen Eiscouloir, das oft zur Wand wird, direkt aufsteigen und sich mit den Händen an den Felsen links oder rechts, wo sie jeweilen besser sind, halten. Wir hatten leider sträflicherweise Steigeisen und Pickel unten gelassen; aber mit Beharrlichkeit und kalten Fingern rückten wir doch aufwärts. Etwa zehn Meter unter der Scharte ist auf der rechten Seite ( i. S. des Aufstieges ) eine kleine Höhle, die gute Sicherungsmöglichkeit bietet. Vor dem letzten Aufstieg nach der Höhle kommt ein leichter Überhang, und dann tut man gut, nicht in die Wand auszuweichen, sondern in der Tiefe des Risses zu bleiben und sich breitschultrig hinaufzustemmen. Voller Erwartung streckt einer nach dem anderen den Kopf über die Scharte. Wie sieht es wohl aus? Nichts sieht man als eine steile, gerippte Wand; der darunterliegende Absturz von 1500 Metern ist durch Nebel verdeckt. An dieser Scharte sind schon mehrere Partien umgekehrt, durchaus zu Unrecht. Wohl sieht die Wand « gfürchig » aus, aber wenn man etwa vier bis sechs Meter auf die Südseite absteigt, erkennt man, wie kleine Quarzadern die Wand quer durchlaufen, so dass man an diesen für die Hände und Füsse gute Griffe findet und sich sicher die etwa zwölf Meter breite Wand durchtasten kann. Es folgt ein kleiner Blockgrat; man umgeht den Gipfel nach rechts, und die letzten Schritte macht man auf dem Nordostgrat zum grossen Kreuz aus Blech und Holz. Die Besteigung des Gipfels erfolgt also in einer von rechts nach links sich nach oben verjüngenden Spirale. Es ist 14.20 Uhr. Wir hatten etwas mehr als zwei Stunden gebraucht. Das ist viel. Aber wenn man eben die Pickel und Steigeisen unten lässt und mit dem Messer hacken muss, so geschieht es einem ganz recht. Aber, wo ist der Tief blick auf Altdorf? nichts öffnet sich. Nur einmal wird für Sekunden die Sicht auf den Brunnistock frei, von dem man durch einige zerrissene Türme getrennt ist. Dafür konnten wir das grosse Kreuz besichtigen, das hier von Mitgliedern der Hüttengemeinschaft Gitschenhörnli aufgestellt worden ist. Es steht darauf:

Errichtet MCMXXXIX Bollschweiler Josef ^ Dittli MartinI Linder PaulAltdorf Meier EmilI Gisler FranzDas Kreuz ist etwa drei Meter hoch und gut verstätet mit Eisendrähten. Trotz Suchens zeigten sich keine Blitzspuren. Etwas unter dem Gipfel liegen noch Asche und imprägnierte Papierstreifen, die vom 1.August-Feuer herrühren, machen sich doch die Mitglieder der Hüttengemeinschaft Gitschenhörnli eine Ehre daraus, den Altdorfern ihren l.August-Gruss zu entbieten. Ist es schon eine besondere Leistung, das Kreuz und das Brennmaterial hier heraufzubringen, so ist der Abstieg in der Nacht, wo man die Griffe nicht sieht, wahrlich kein Spass. Dazu gehören schon « Habitués » und tüchtige Kletterer, wie es eben die Urner sind. Wie mir ein Teilnehmer am August-Feuer auf dem Gipfel des Hörnli mitteilte, waren die Schneeverhältnisse am 1. August 1951 günstig. Es lag genügend und guter Schnee im Couloir; sie nahmen ausreichend Seile mit und haben zweimal abgeseilt, einmal von der Scharte bis unter die Höhle und unten über den Überhang weg auf dem Schnee. Dazu hatten sie sich der Eisenhaken bedient, die oben unter der Scharte ( Surenenpaßseite ) und unten ganz links aussen angebracht seien. Auch sei noch ein besonderer Haken angebracht zur Sicherung der Traverse zum Gipfel. Leider haben wir keinen dieser Erleichterungshaken entdeckt.

Wir verliessen den Gipfel um 14.45 Uhr und standen nach einer Viertelstunde alle drei in der Scharte. Da ein fallender Block eines unserer Seile durchgeknellt hatte, blieb uns ein Seilstumpen von fünf Metern übrig, mit dem wir zwei Abseilschlingen verfertigten und uns von der Lücke bis unter die Höhle und unten über die letzte Wandstufe, je etwa 20 Meter, abseilen konnten. Es war aber nicht leicht, sichere Abseilblöcke zu finden, da diese wohl auf Druck standhielten, auf Zug aber ins Wanken kamen. Dadurch und weil wir alte Knaben nur auf « Nummer Sicher » gehen wollten, brauchten wir auch für den Abstieg viel Zeit und waren erst um 17 Uhr bei unseren Rucksäcken. Ein weiter Abstieg über den Blümlisalpfirn zur Biwaldalp gestaltete sich zu einem Prachtsbummel im Abendsonnenschein. Unten auf der Moräne, ungefähr bei Punkt 2380 m, sahen wir noch die kleine Hütte, die sich die « Hüttengemeinschaft Gitschenhöreli », alles junge, tatkräftige Leute, aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln aufgebaut hat.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Die neue Route von der Surenenpaßseite - Wald-nachtertal - zum Brunnikehlenpass und von dort auf den Urirotstock ist bergsteigerisch interessant, landschaftlich hervorragend schön und nirgends schwierig. Sie ist für Bergsteiger recht, wird aber nie für Bergbummler sich eignen wie die ausgetretenen Wege von Musenalp und Biwaldalp. Die neue Route kann auch im Abstieg begangen werden, wobei man den Kniebrecher der letzten 1200 Meter ins Tal mit der Seilbahn machen kann. Einzig die Steinfallgefahr im untern Teil der Brunnikehle erheischt Vorsicht und Kenntnis der Verhältnisse. Bei Wind und viel Schmelzwasser verzichte man lieber. Wenn mehrere Partien gleichzeitig auf- oder absteigen, muss man aufeinander Rücksicht nehmen.

Das « Höreli » ist und bleibt aber ein ernster Berg. Durch das Zurückgehen des Gletschers ist der unterste Einstieg in die Wand erschwert, das Eis im Riss wird kaum ganz verschwinden, und das schlecht geschichtete Gestein und die fortschreitende Verwitterung erfordern im Auf- und Abstieg grosse Vorsicht.

Rot Gitschen 2673 m Der Name ist richtig gewählt, denn in der ganzen Kette vom Gitschen bis zum Gitschenhöreli ist dieser Zahn der einzige, der aus der Art fällt. Der ganze Hauptkamm der Gitschenstöcke besteht aus bläulichgrauem Kalk, während der Rot Gitschen aus eozänen Stadschiefern, die gelb, braun und rötlich sind, aufgebaut ist. Wir haben hier das gleiche geologische Problem wie bei den Sassizähnen, nur mit dem Unterschied, dass die Stadschiefer nicht bis zum Gipfel gehen, sondern der Oberbau des Rot Gitschen - vielleicht etwa 100 m - wieder aus reinem Kalk besteht. Der Wechsel des Gesteins ist so frappant, dass auch der Laie in Geologie stutzt und sich fragt, wieso oben die Kletterei ganz anders wird. Der eozäne Stadschieferunterbau verleiht dem Rot Gitschen ein düsteres Aussehen. Von allen Seiten ist er ein wilder, urchiger Kumpan. Von Zürich ( Norden ) aus gesehen präsentiert er sich als schlanker Kegelkönig, was zum Irrtum geführt hat, das sei das Gitschen- höreli. Von Altdorf, dem Reusstal ( Osten ) aus ist er ein wilder Zacken mit verwegenen Grattürmen, und von Westen, dem Kleintalfirn aus, zeigt er sich als stutziges Horn von dolo-mitenartiger Struktur. Am 7. August 1952 standen unser drei ( Dr. F. Burkhardt, Hans Rothenfluh, beide von der Sektion Gotthard SAC, und der Schreibende ) auf der Moräne des Kleintalfirns, etwas unschlüssig, was wir machen sollten. Der Regen, der uns im Aufstieg auf das Tor etwas erwischt hatte, war durch einen zügigen Wind verscheucht worden, und Nebel zogen um die Gräte. Auf mein: « Also göh mer » folgten die Kameraden, nachdem vorher noch die Beschreibung im Klubführer ( Urneralpen II, 5. Auflage, N. 1167 ) verlesen worden war. Die grosse Schutthalde bis unter die Mittelwand ist mühsam. Dort wird angeseilt und die steile Wand direkt aufwärts in Angriff genommen. Es geht in dem griffigen, gut gestuften, aber losen Gestein ganz leicht. Nach etwa 20 Metern Aufstieg steht man auf einem breiten Band, das nach rechts ( südlich ) um eine Ecke in ein Couloir führt, das nach links bis auf den Grat geht. Hier steht man vor dem geologischen Wechsel. Das Couloir ist reiner, grauer Kalk, genau so wie am Gitschenhöreli, nur ist das Klettern hier viel leichter. Eine kurze Kletterei über luftige Blöcke führt zum Gipfel ( 1 Std. 10 Min. vom Kleintalfirn aus ). Es ist warm. Wir sind an den Steinmann gelehnt und warten auf einen Ausblick aus dem wogenden Nebel. Einmal zeigt sich für einen Augenblick der Urirotstock; dann steht, hoch aufgerichtet, wie der Turm einer gotischen Kathedrale, das Gitschenhöreli da, bis ein Windstoss den grauen Vorhang wieder schliesst. Der ersehnte Tief blick ins Tal bleibt uns versagt. Ein fernes Läuten von Seedorf verkündet die Mittagszeit. Der Abstieg im Fels ist leicht. Der Vorderste säubert die Route von den vielen losen Blöcken, die polternd und Schwefelgeruch hinterlassend auf die grosse Schutthalde hinunterkollern. In 40 Minuten sind wir wieder bei den Rucksäcken auf dem Kleintalfirn. Eigentlich haben wir von diesem Gipfel ernstere Arbeit erwartet. Er verliert seine Unnahbarkeit mit jedem Schritt, da man ihm näher rückt.

Nun habe ich Ruhe vor dem Kerl, der mir an hellen Tagen in mein Arbeitszimmer am Zürichberg hineinguckt. Wie oft habe ich ihn mit dem Zeiss bespiegelt und mich gefragt, wie man da hinaufkomme. Nur nicht so flunkern, stotziger Urner, ich kenne dich jetzt, du bist nicht so gefährlich, wie du aussiehst!

Gitschenwand und Gitschentor 2443 m Die Gitschenwand mit ihrem ununterbrochenen Absturz von 1200 bis 1500 Metern ins Gitschental ist eine unserer grösseren Wände in den Alpen. Im Gegensatz zu den anderen Urner Wänden auf der Nordseite der Windgällen und des Ruchen ist sie aber keine eigentliche Felswand, sondern eine von Felsbändern, Türmen und Runsen durchzogene steile Halde, die bis oben hinaus mit grünen Rasenpolstern bekleidet ist. Sie ist Stotzig, glatt, und der Bergsteiger fragt sich, wie man sie bezwingt. Doch kommt man mit der nötigen Gewandtheit und List überall durch, wie das die verschiedenen Begehungen beweisen, die Prof. Dr. Anton Krupski ausgeführt hat ( « Alpina 1920, S. 6 ff., und 1921, S. 47 ff. ). Das sind aber Einzel-routen, die selten und nur von Einheimischen gemacht werden. Als regelmässiger touristischer Übergang kommt nur die Route von der Alp Hohenegg ( 1421,9 m ) zum Tor ( 2443 m ) in Betracht. Da aber alljährlich verschiedene Partien den Abstieg nicht finden und dann umkehren oder biwakieren müssen, ist die Wand etwas berüchtigt. Aber ich darf sagen, dass ich sie viel leichter fand, als ich erwartet hatte, trotzdem Nebel und zeitweilige Regenschauer uns begleiteten. Man muss nur die richtige Route nehmen. Eine genaue Beschreibung ist schwer zu geben. Die Angaben im Urnerführer ( Band II, 5. Auflage, N. 1164 ) sind gut; vielleicht könnte man beifügen, dass man im Auf- oder Abstieg drei ausgesprochene Bäche oder Wasserrunsen zu überschreiten hat. Auch die rote Markierung ist sehr häufig angebracht; sie ist jedoch besser sichtbar im Auf- als im Abstieg. Da aber die ganze Wand stark dem Regen und Schneerutschen ausgesetzt ist, wird erfahrungsgemäss die Markierung nach kurzer Zeit weggewaschen, und man darf sich nicht zu sehr auf diese verlassen. Immerhin lässt es sich die Sektion Gotthard verdienstlicherweise angelegen sein, sie von Zeit zu Zeit zu erneuern.

Wer auf Wegspuren zu achten weiss und aufmerksam die Tritte verfolgt, der findet von der Alp Hohenegg bis zum Tor einen ununterbrochenen Fußsteig, der stellenweise auf den ebenen Partien zum regelrechten Weglein wird. Man darf aber nicht vom Weg abkommen und auf eigene Faust in der Wand und den Runsen « herumstegern » wollen, sonst steht man unerwartet vor grossen Abstürzen, die keinen Abstieg gestatten. Da in der Wand am Nachmittag sich oft Nebel bilden, die fest und dick am Hang kleben und die Orientierung erschweren, muss man sich um so mehr an den Boden halten und genau den Spuren folgen. Wer das tut, wird nicht fehlgehen und durchkommen. Der Hirte auf Alp Hohenegg sagte uns, die Leute wollten immer zu früh absteigen und kämen so in Bergnot. Wer von oben kommt, muss, nachdem er den dritten Bach überquert hat, auf einer begrasten steilen Rippe etwa 150 m absteigen bis zu einem guten Weglein, das ihn nach Hohenegg führt. Für den Aufstieg rechne man, ruhig gegangen, mit dreieinhalb bis vier Stunden, für den Abstieg zweieinhalb bis drei Stunden. Da die Wand steil ist und man immer das Gefühl hat, man schreite mit den Fussen ins Leere, kann man nicht pressieren und tut sogar gut, das Seil anzulegen, denn ein Fehltritt oder ein ausbrechender Stein könnte zum Verhängnis werden. Bei Regenwetter und durchweichtem Boden oder solange noch Schnee liegt, meide man die Wand.

Der richtige Weg ist nirgends schwierig und erfordert auch keine nennenswerte Kletterarbeit. Es ist daher durchaus glaubhaft, dass das Tor von den Älplern seit Jahrhunderten begangen worden ist und dass immer ein gewisser Verkehr zwischen dem Gitschental und dem Isental gepflegt wurde. Ja sogar militärisch hatte das Tor eine gewisse Bedeutung. Die Franzosen hielten Isental besetzt und sollten daraus vertrieben werden. Am 29. Juli 1799 überschritt unter Führung eines Seedorfers eine Abteilung Österreicher das Gitschentor, um den Franzosen im Isental in den Rücken zu fallen. Aber die Österreicher trafen dort so erschöpft ein, dass sie sich gerne gefangen gaben ( Dr. F. Lusser 1845 « Leiden und Schicksale der Urner », S. 152 ).

Auch der Erstersteiger des Gitschenhöreli, Apotheker Franz Huber, hat mit dem « roten Tresch » von Bristen am 7. Juli 1887 diesen Aufstieg gewählt und festgestellt, « dass diese steilen Schafweiden, die man von Altdorf aus links vom Gitschen sieht, trotz ihrer Steilheit gut zu begehen, da Steine und Bänder von guter Beschaffenheit sind ». Die Vegetation der sehr steilen Halden ist von erstaunlicher Üppigkeit. Kniehoch steht saftiges Gras. Aber trotzdem werden sie nicht mehr mit Schafen bestossen; offenbar waren die Verluste durch Absturz zu gross. Als wir etwa in der Mitte der Wand eine Rippe überquerten, überraschten wir zwei Gemsen, äsend in nächster Nähe. Erschreckt schoss das Muttertier auf und jagte davon. Doch schon nach einigen Sprüngen aufwärts erinnerte es sich seines Kitzens, das nicht zu folgen vermochte. Die Muttergemse sprang zurück und stellte sich zwischen uns und das Junge, um es zu schützen. Da es nicht rasch genug vorwärts ging, gab sie ihm einige unsanfte Nachhilfen mit den Hörnern. Dann verschwanden beide im Nebel, und man hörte nur noch einige Steine fallen. Neben schwarzen Salamandern, die als Schlechtwettervor-boten herumkrochen, trafen wir in der Wand keine anderen Lebewesen. Was wäre das für ein Dorado für Murmeltiere!

Nur so nebenbei sei erwähnt, dass einer der Unsrigen statt eines währschaften Pickels einen altvaterischen langen Bergstock für diese Tour über die Gitschenwand und den Rot-gitschen mitgenommen hatte. Er sah fast komisch aus neben seinen kurzbepickelten Kameraden. « On revient toujours à ses premières amours », meinte er und stützte sich beim Abstieg auf den weit vorangestellten Stock, um so den Schock der Schwere des Körpers auf seine einrostenden Kniegelenke aufzufangen.

Das Schönste an dieser Tor-Tour war der Abend auf Alp Hohenegg. Prächtig liegt sie auf einer ausgedehnten Alpenterrasse, die von Seedorf aus in zweieinhalb Stunden zu erreichen ist. Bei den Sennen Arnold von Loretto-Bürglen findet man gute Aufnahme und Heulager mit Decken. Wir nehmen unsere Abendsuppe vor der Hütte ein. 1000 Meter unter uns liegen das Reusstal, direkt vor uns das Schächental, im Norden der Urner See und ost-und südwärts die Urner Majestäten im Abendsonnenglanz. Allmählich legt sich die Dämmerung in die Tiefen. Es wird Nacht. Der Quai von Brunnen erscheint wie eine leuchtende Perlenschnur. Bald funkelt es in Flüelen und in der ganzen Ebene von Altdorf wie ein Sternenmeer. An den Hängen erscheinen vereinzelte Lichter, gedämpft rötlich jene aus Petrollampen, hell glitzernd wie Fixsterne die elektrischen, hoch oben im Schächental leuchtet die Endstation der Seilbahn Loretto-Biel. Ganz still ist es um uns her. Da ertönt vom äussersten Grat her der Betruf des Hirten. In den umgekehrten Milchtrichter, die « Volla », spricht er sein Abendgebet. Dieser Alpsegen, den der Senn mir bei flackerndem Kerzenschein bis in die späte Nacht hinein mit ungelenken Fingern aufgeschrieben, lautet:

Alpsegen Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht worden, ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht worden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Das Licht leuchtet in die Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen. Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hiess Johannes. Dieser sollte Zeugnis geben von dem Lichte, dass alle an ihn glauben sollten. Dieser war nicht das wahre Licht, sondern sollte von dem Lichte Zeugnis geben. Dieses war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in die Welt kommt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht worden, aber die Welt hatte ihn nicht erkannt. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf. Allen, die ihn aber aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, welche nämlich an seinen Namen glauben; welche nicht aus dem Geblüt, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.

Ave-Maria, Ave-Maria, Ave-Maria.

Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.

Allerseligste, Loba, all Tritt, all Schritt in Gottes Namen Loben.

Hier auf dieser Alp ist ein goldener Ring. Das ist die liebe Mutter Gottes mit ihrem herzallerliebsten Kind Jesus. Auch du allerliebster Herr Jesus Christ, o Jesus, behüte diese Alp und alles, was dazu gehört. Es walte Gott und der hl. St. Anton; er wolle das liebe Vieh gesund behüten und bewahren. Es walte Gott und der hl. St. Wendel; er wolle uns auf Erden Beschützer sein. Es walte Gott und der hl. St. Michael. Ihm anempfehlen wir uns mit Leib und Seele. Es walte Gott und der hl. St. Josef; er will uns zu Hilf und Trost kommen, jetzt und auf dem Totbett. Es walte Gott und die hl. St. Agatha; sie wolT uns helfen löschen Feuer und Licht, auf dass uns Gott und Marien wohl behüte. Es walte Gott und die liebe Mutter Gottes. Es walte Gott und der hl. Name Jesus. Es walte Gott und die hochheiligste Dreifaltigkeit, Gott der Vater, Gott der Sohn und Gott der Heilige Geist.

O Gott, wir legen unsere müden Glieder zur Ruhe nieder. Auf dich vertrauend schlafen wir ein, so sind wir sicher, keusch und rein. O Jesus, segne alle Freunde. O Jesus, segne alle Feinde. O Jesus, segne alle Menschen. Und erquicke uns durch eine sanfte Ruhe. Gott bewahre uns vor allem Übel. O Jesus, behüte das Vieh, auch diese Alp vor aller Krankheit. O Jesus, beschirme diese Alp vor Blitz und Ungewitter.

Zum Schlüsse dieses Tages sei das der letzte Gruss: Gelobt sei Jesus Christ, das durch die ganze Alp, das auch in alle Ewigkeit. Amen.

Ein feierlicher Abschluss dieser Urner Touren! Schweigend sitzen wir beisammen, und tief empfinden wir die Weihe der Stunde.

Feedback