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Vom Bergsteigen

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*»»Von S. Walcher Eine BetrachtungWien ) 1. Die Frage: Warum?

Das Leben Warum gehen wir in die Berge? Mit Absicht eröffnet diese oft gestellte Frage die folgenden Betrachtungen. Sie werden wahrscheinlich nicht alle Bergsteiger befriedigen, aber den Weg aufzeigen, auf dem fortgeschritten werden kann, wenn ein solches Fortschreiten noch notwendig sein sollte oder möglich ist.

Der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sind Grenzen gesetzt über die hinaus es kein Erkennen gibt; ausserdem ist und bleibt jede Erkenntnis immer spezifisch menschlich. Nur ein Wesen, das ausserhalb der Art und Gattung Mensch stünde, könnte grundsätzlich zu anderen Ergebnissen kommen als der Mensch selbst. Ob es ein solches Wesen gibt, wissen wir nicht.

Grundsätzlich ist der Erkenntnisvorgang bei allen Menschen der gleiche, also auch bei Bergsteigern. Er wird im allgemeinen und im besonderen von der jeweiligen Veranlagung des Menschen bestimmt. Diese ist äusserst verschieden und hängt ab von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Menschenrasse, vom Geschlecht, Alter und dem Ablauf der körperlichen und geistigen Entwicklung. ( Soziale Struktur. ) Was nicht mehr wahrnehm- und vorstellbar ist, z.B. eine vierte Dimension oder eine fünfte, wenn man die Zeit als die vierte auffasst, kann auch nicht mehr erkannt werden. Jenseits der Grenzen aller Erfahrungen beginnt das Reich des Glaubens. Er ist der heiligste Teil der persönlichen Freiheit und daher für gesittete Menschen unantastbar.

Ob man die Dinge dieser Welt ( z.B. Stein, Pflanze, Tier, Mensch ) als das nimmt, als was sie uns erscheinen und sich damit zufrieden gibt oder versucht, festzustellen, ob sich hinter ihnen noch etwas anderes befindet und wenn ja, was, ist eine Angelegenheit der persönlichen Weltanschauung.

Die Erfahrung lehrt jedoch, dass nicht alle Dinge nur das sind, als was sie uns erscheinen. Physik und Chemie erschliessen immer mehr die Geheimnisse der Welt der Stoffe. Je mehr die Naturwissenschaft aber in ihrer zergliedernden Arbeit fortfährt, um so öfter und lauter erhebt sich die Frage nach dem letzten Ding an sich, denn hinter jeder gelösten Frage tauchen immer wieder hundert neue auf, und so werden selbst « die grössten Fortschritte der Physik das Bedürfnis nach einer Metaphysik immer fühlbarer machen » K Hinter der Vielheit und Mannigfaltigkeit der Erscheinungen die Einheit des Wesens zu finden, ist die Aufgabe, ist das Problem der Metaphysik.

Wenn wir Bergsteiger fragen « Warum gehen wir in die Berge? », warum unternehmen wir die schwierigsten und gefährlichsten Fahrten und warum fühlen wir uns gerade nach dem am härtesten errungenen Sieg am glücklichsten? so befinden wir uns bereits im Bereich der Metaphysik. Auch wir suchen hinter den vielen Erscheinungen des Bergsteigens die Einheit seines Wesens.

Erscheinungen haben Ursachen. Welche werden als Beweggründe des Bergsteigens genannt? Schon vor Jahren habe ich damit begonnen, an bekannte Bergsteiger drei Fragen zu stellen:

1. Wie bist du Bergsteiger geworden?

2. Warum bist du heute noch oder nicht mehr Bergsteiger? und 3. Was macht dir beim Bergsteigen die grösste Freude und was erscheint dir an ihm als das Wertvollste?

Mehr als 50 Antworten sind bis heute eingelaufen; junge und alte Bergsteiger haben geschrieben. Die Antworten warten auf die Auswertung an anderer Stelle. Hier will ich nur den am meisten angeführten Beweggrund besprechen. Neben vielen anderen Ursachen wird in jeder Antwort immer wieder die Freude als Hauptgrund genannt. Freude an der Schönheit 1 Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, 2. Teil, Seite 899, Insel-Ausgabe.

Die Alpen - 1954 - Les Alpes22 der Natur, an der Bewegung, Freude am Abenteuer, Freude an der Kameradschaft, vorzüglich aber Freude am Erfolg, am « kämpferisch errungenen Sieg », der von einem der besten jungen Bergsteiger auch als das für ihn Wertvollste des Bergsteigens bezeichnet wird.

Immer und überall Freude! Was ist sie? Mit und neben anderem eine Lustempfindung. Und Lust? Eine Gefühlsbeschaffenheit \ Wundt sieht in der Lust und der ihr entgegengesetzten Unlust die tragenden Schichten des Gefühlslebens x. Nach Spinoza ist die Lust Übergang von geringerer zar grösseren Vollkommenheit1. Und auf wen bezieht sich diese Vollkommenheit? Doch nur auf den Menschen. Und was ist er? Mancherlei - immer aber eine von den unzähligen Erscheinungsformen des letzten, sinnlich noch wahrnehmbaren, daher noch erkennbaren, aber mit keinen Mitteln der Technik noch weiter zu ergründenden, unerschaffbaren Dings, das wir mit den Namen Leben bezeichnen. Das Leben an sich ist die Einheit des Wesens hinter den unzählbaren Erscheinungen. Alles was es fördert, was seinen Übergang von « geringerer zur grösseren Vollkommenheit unterstützt, es stärker macht, findet im Gefühl der Lust und Freude seinen Ausdruck, alles was es hemmt, zurückdrängt, unterbindet, vernichten will, äussert sich als Gefühl der Unlust und als Schmerz ».

Auch hinter den vielen Erscheinungen und Beweggründen des Bergsteigens steht als Einheit des Wesens das Leben. Alles was uns beim Bergsteigen berührt, zu denken gibt, uns bewegt, lässt sich mühelos auf dieses letzte Prinzip zurückführen. Welche Lust und Freude, im letzten Augenblick doch noch den entscheidenden Griff zu finden, den Körper über den Überhang zu heben und der tödlichen Tiefe zu entreissen! Welch selige Ruhe, nach harter und aufregender Arbeit auf dem Gipfel zu stehen und zu fühlen, wie das wilde Treiben und Drängen des Lebens nach Erfüllung, nach einer neuerlichen Vervollkommnung, allmählich erlöscht. Und welch Unlustgefühl, welche Niedergeschlagenheit, welches Leid, erreichen wir den heissersehnten Gipfel einmal nicht, zwingt uns etwas « Stärkeres » zur Umkehr, war unser Können für die Lösung der Aufgabe zu gering, waren unsere Kräfte dem « Gegner » nicht gewachsen. Unruhig sind wir die ganze Zeit, immer kreist unser Denken um die erlittene Niederlage, und alles in uns rüstet zum neuen Angriff. Die Überzeugung, dass dies und jenes für uns unmöglich ist, kann uns wohl trösten, befriedigen aber, befreien vom drängenden Müssen in uns kann uns nur der « kämpferisch errungene Sieg », denn der Lebenswille « ist'die stärkste und unmittelbarste psychische Tatsache » 2.

Es bleibt nun jedem Leser überlassen, seine eigenen Erfahrungen mit der vorgebrachten Ausführung in Beziehung zu bringen und zu untersuchen, ob sie auch für ihn zutrifft oder nicht. Freilich darf dabei nicht vergessen werden, dass Art und Veranlagung eines jeden Menschen einen eigenen Weg bedingen. Dieser Weg sei wie er will, er kann zu keiner anderen Erkenntnis führen als zu der, dass der Sieg des Lebens der Sinn des Lebens ist. Das ist die natürliche, biologisch begründete Tatsache, die hingenommen werden muss. Wie sich der Einzelne damit abfindet, ist eine Sache seiner persönlichen Einstellung.

Zum Abschluss dieses Abschnittes sei noch darauf hingewiesen, dass Dr. Otto Zsigmondy das Vorwort der von ihm besorgten 2. Auflage des Buches seines Bruders Emil « Die Gefahren der Alpen » ( 1886 ) nicht besser abschliessen zu können glaubte als mit den Worten Burdachs:

« Die süssesten Augenblicke des Menschenlebens sind die, in welchen wir irgendeines Wirkens fröhliches Ende erreichen und eine bestimmte Bahn zurückgelegt haben; an die Stelle der gehabten Mühe tritt dann das Selbstgefühl der bewiesenen Kraft und das frohe 1 Schmidt: Philosophisches Wörterbuch, 9. Auflage 1934, Seite 383.

2 Hubert Rohracher: Die Vorgänge im Gehirn und das geistige Leben. 2. Auflage 1948, Joh. Ambrosius Barth, Leipzig, Seite 180.

Bewusstsein der besiegten Hindernisse; die heitere Anschauung des erreichten Zieles stillt die Begehrung und schenkt den Genuss friedlicher Ruhe»1.

« Diese Worte bilden sozusagen den Schlüssel zum wahren Alpinismus; sie geben allein die richtige Antwort auf die Frage, warum der Alpinist dem schwierigeren Wege vor dem leichteren, der daneben hinanführt, den Vorzug gibt1. » Körper, Geist und Seele Der Mensch steht an der Spitze des Stammbaumes des Lebens. Die Biologen verfolgen sein Werden von der Zelle bis zum fertigen Menschen. Die Physiologen beobachten die Tätigkeit seiner Organe und stellen fest, dass jedes gesunde Organ « funktioniert », sich bewegt, sich « erfüllt » ( Funktionslust ). Die Psychologen lassen aus Triebanlage, Interessen und Umwelt sein Wesen formen. Die Ergebnisse ihrer Forschung verlaufen in der Richtung: Leben - Organismus - Gehirn - Erregungen - Seelenleben. Sie weisen nach, dass die lebens-erhaltenden Triebe aus dem Stamm-Hirn, die geistigen ( Interessen ) aus dem Neu-Hirn kommen. Da man ohne Neuhirn leben kann, ohne Stammhirn jedoch nicht, geht hervor, dass bei lebenswichtigen Entscheidungen die Triebe des Stammhirnes im allgemeinen die Regungen der Vernunft überwältigen werden. Das Kardinalprinzip des Stammes heisst ja: « Leben erhalten und Leben schützen 2. » « Wenn der Mensch in Not und Bedrängnis gerät und der Kampf um das nackte Leben beginnt, erweisen sich die Stammtriebe fast immer als Sieger im Widerstreit der Erregungen 3.

Der Körper des Menschen ist der Wissenschaft kein Geheimnis mehr. Den menschlichen Geist bezeichnet sie als die höchste Form des Naturgeschehens 4. Geist ist zweierlei, Verstand und Vernunft. Entwicklungsgeschichtlich betrachtet, kann man den Verstand als die Fähigkeit bezeichnen, die natürlichen Grenzen des Leistungsvermögens der einzelnen Organe und Sinne zu erweitern. Im allgemeinen Leben: Mikro- und Teleskop ( Sehsinn ), Mikrophon und Radio ( Gehörsinn ), Reiten - Flugzeug ( Fortbewegungsorgane ) u.a. m. Beim Bergsteigen ist die ganze Entwicklung der künstlichen Hilfsmittel vom Nagel bis zum Gesteinsbohrer eine Angelegenheit des Verstandes.

Die Vernunft ist die zweite Seite des Geistes. Die Psychologen verlegen ihren Sitz in den entwicklungsgeschichtlich jüngsten Teil des Gehirnes, in das Stirnhirn. Hier steht die Hirn-rinde nur mehr teilweise im Dienste des Stammhirnes; bei einem echten ethischen Kon-flickt weigert sie sich, die Forderungen des Stammes zu erfüllen8. Aus dem Gesagten mag man ersehen, dass Menschen mit einem ausgesprochenen Stammhirn wohl leistungsfähige Bergsteiger werden können, weniger aber wertvolle Mitglieder der menschlichen Gesellschaft.

Der Ablauf der Gehirnfunktion ist grundsätzlich bei allen Menschen der gleiche. Wie er sich im einzelnen vollzieht, hängt wieder von den vielfach verschiedenen Anlagen der Menschen ab, die nicht zuletzt im Körperbau und Charakter zum Ausdruck kommen.

Am unklarsten ist der Begriff Seek. Die wissenschaftliche Psychologie konnte bis heute keinen Beweis dafür erbringen, dass im Menschen eine eigene Seele vorhanden ist; es ist ihr aber auch nicht gelungen, das Gegenteil festzustellen. Erfahrungen haben einwandfrei bewiesen, dass alle als « seelisch » bezeichneten Vorgänge vom Vorhandensein eines gesunden, normal funktionierenden Gehirnes abhängig sind.

1 Zsigmondy: Die Gefahren der Alpen. 2. Auflage 1888, Seite XII.

2 Hubert Rohracher: Seite 153.

3 Hubert Rohracher: Seite 156.

4 Hubert Rohracher: Seite 176.

5 Hubert Rohracher: Seite 155.

Für das menschliche Denken ist das Leib-Seele-Problem prinzipiell unlösbar1. Auch hier könnte nur ein Wesen eine Lösung finden, « dessen Wahrnehmen und Denken von körperlichen Prozessen unabhängig ist » \ Wer ohne eine persönliche Seele nicht auskommt, muss sich in das Reich des Glaubens begeben oder bei einer Lehrmeinung ( Hypothese ) Zuflucht suchen.

Ethik Der Mensch ist aber nicht nur die, nach menschlichen Begriffen, derzeit höchst- und bestentwickelte Erscheinungform des Lebens, nicht nur ein Einzelwesen und als solches eine Welt für sich, er ist auch Glied und Mitglied von Gesellschaftsformen wie: Familie, Sippe, Verein, Stamm, Volk, Menschheit. Aus den Gegensätzen zwischen dem Wollen des eigenen Ich und dem Sollen und Müssen der Gemeinschaft gegenüber kommen alle Differenzen des täglichen und zeitlichen Lebens.

Im Vordergrund steht die Frage: Ich oder wir. Sie bildet die Grundlage der Ethik. Diese Frage wird nur eindeutig beantwortet werden können, wenn feststeht, was wertvoller ist, der Einzelne oder die Gemeinschaft. In der Regel ist es wohl das Ganze und nicht der Teil. Wo das Wohl und Wehe einer Gemeinschaft auf dem Spiele steht, wird das Glück des Einzelnen geopfert werden müssen. Das ist ein harter Grundsatz, aber er hat sich im Laufe der geschichtlichen Zeit bewahrheitet. Seinen Niederschlag findet er in den Lehren der Religionen und Philosophien.

Diesem Grundsatz wird auch zu folgen sein, wenn man über den Wert bergsteigerischer Leistungen ein letztes Urteil abgeben soll. Freude wird uns aus unserem Tun in den Bergen. Kraft und Mut für den Lebenskampf gewinnen wir und erfüllen so das Gesetz des Lebens. Das Kameradschaftserlebnis aber öffnet uns das Tor zum Reiche der ethischen Werte. Es zeigt uns, dass es zuletzt nicht um den besseren Bergsteiger geht, sondern um den trefflicheren Menschen2.

Freiheit - Friede - Gott Vielleicht hinterlassen die vorliegenden Ausführungen bei manchen den Eindruck, dass es Lehren des Materialismus sind. Darüber mag jeder einzelne persönlich nach seinem Geschmack entscheiden. Jedenfalls sind die folgenden Sätze nicht als Rechtfertigung geschrieben; sie sollen nur zeigen, dass die gemachten Feststellungen einem Fortschreiten hinein in die Wunderwelt des Glaubens nicht hindernd in den Weg stehen.

« Jedes Leben spielt sich an und in der Materie ab; das ist eine Tatsache. Wer in ihr ein Argument für den Materialismus sieht, muss zuerst erklären, wie aus der Materie das Leben entsteht und auf welche Weise aus den Erregungsprozessen der Gehirnzellen das Psychische zustande kommt3. » Nichts von all dem bisher Gesagten hindert daher daran, noch ein letztes Weltprinzip anzunehmen, im Gegenteil! Menschen mit einem tieferen Gefühlsleben werden sogar dazu gedrängt werden. Wer kann beweisen, dass das menschliche Gehirn nicht mit Absicht so beschaffen ist, um über das Wissen hinaus dem Menschen noch eine andere Welt zu erschliessen? Ist nicht in allen Menschen, bei den einen mehr, bei den anderen weniger ausgeprägt, das Bedürfnis vorhanden, ihr eigenes Ich in eine grössere, höhere Einheit sinnvoll einzuordnen? Staunend stehen wir vor dem unlösbaren Rätsel Leben. Wir werden uns unserer 1 Hubert Rohr acher: Seite 181.

2 R. L. O. Irving: Werden und Wandlungen des Bergsteigens, Seite 89.

3 Hubert Rohracher: Seite 106.

begrenzten Erkenntnisfähigkeit bewusst, und während das Wissen verstummt, merken wir deutlich, dass in unserem Inneren Regungen erwachen und weiter vorwärtsdrängen. In stillen Stunden, besonders aber in leidvollen Zeiten, werden diese Regungen besonders stark. Sie verdichten sich, nehmen fast greifbare Formen an, und nun offenbart sich den Menschen in der Not ihres Herzens Got(.

Keine Wissenschaft kann beweisen, dass nicht von Gott alles Geschehen kommt, von ihm ausgeht. Unergründlich für die Menschen ist die heilige Drei-Einheit: Gott - Seele -Leben. An sie zu glauben oder sie abzulehnen, steht ihnen frei. Die einen werden vielleicht lächelnd daran vorübergehen, die anderen sich in Demut und Ehrfurcht neigen. Manche mit dem heiligen Augustinus bekennen: « Für Dich o Herr hast Du uns gemacht, unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in Dir » 1, andere vielleicht mit Goethe empfinden: « Wenn im Unendlichen dasselbe sich wiederholend ewig fliesst, das tausendfältige Gewölbe sich kräftig ineinanderschliesst, strömt Lebenslust aus allen Dingen, dem kleinsten wie dem grössten Stern, und alles Drängen, alles Ringen ist ew'ge Ruh in Gott dem Herrn 2. » Wir haben hinter allen Erscheinungen, die uns im Leben entgegentreten, als Einheit des Wesens das Leben erkannt. « Wir suchen die letzte und tiefste Einheit der Welt und lotsen sie aus mit dem Prinzip ,Leben '. Wir erkennen Gott nicht und machen über ihn keine Aussagen, die ihn in den Bereich der menschlichen Bilder und Begriffe herabziehen. Aber wir vernehmen seinen Ruf, wir hören seinen Befehl, wir empfangen seinen Stoss, und daraus wird uns der Glaube, das letzte Muss, die letzte Notwendigkeit, die letzte Freiheit » 3, jene Freiheit, von der Kant meint, dass sie nicht darin besteht, tun zu können, was man will, sondern so zu handeln, wie man soll. Nur über eine « Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus der ganzen Natur » 4, über die Überwindung und Befreiung von der Nötigung sinnlicher Antriebe, wird der Weg zum wahren Frieden der Seele führen.

« Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen 5. » 2. Zur Geschichte des Bergsteigens Hier soll keine Geschichte des Bergsteigens gegeben werden. Versuche zu einer solchen liegen mehrfach vor. Hingewiesen sei besonders auf die Arbeiten von Steinitzer, Schmidkunz, Lehner und Irving. Sie enthalten alles, was bemerkenswert ist, die neueste Zeit ausgenommen, und können jederzeit nachgelesen werden. Mit Ausnahme Irvings berichten alle über das, « was » geschehen ist, Irving allein streift auch das « Wie und Warum ».

Was hier bezweckt wird, ist einen kurzen Abriss der Geschichte der Beweggründe zu geben. Die Betrachtungen erfolgen vom gleichen Standpunkt wie jene über die Biologie und Metaphysik des Bergsteigens. Sie laufen daher mehr oder weniger gleich und führen zum gleichen Ziel.

Das Verhalten der Menschen zu den Bergen im Laufe der Jahrhunderte hat verschiedene Ursachen; sie liegen im Wesen der Menschen begründet. Die Geschichte des Bergsteigens zeigt sie zum Teil mehr oder weniger deutlich, die Geschichte der alpinen Vereine spiegelt sie wider.

1 Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus, 1. Buch, 1. Kapitel, Ausgabe Reclam, Seite 23.

2 Goethe: Zahme Xenien, VI. Buch.

3 Ernst Krieck: Leben als Prinzip der Weltanschauung und Problem der Wissenschaft, Leipzig 1938, Armanen-Verlag, Seite 206.

4 Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Ausgabe Reclam, Seite 105. 6 Goethe: Faust II.

Alles, was stärker ist und das Leben bedroht, weckt das Unlustgefühl Furcht; sie ist die Mahnung vor der Gefahr. Gewaltig überragen die Berge die Hütten der Menschen; drohend im Toben der Elemente, erhaben im Glänze der Sonne, des Mondes und der Sterne.

Furcht und Mut stehen am Beginn der Menschheitsgeschichte. Furcht hielt die Menschen vom Gebirge ab. In den düsteren, unzugänglichen Schluchten hauste das Böse, auf den weissen, strahlenden Gipfeln wohnten die Götter. Beide waren stärker und mächtiger und daher besser zu meiden.

Auch die Befriedigung der Bedürfnisse verläuft in der Richtung des geringsten Widerstandes. Solange keine Not zwang, in das Gebirge einzudringen, wurde es unterlassen, Not zwingt die Furcht; aus ihrer Überwindung wächst die Kraft des Mutes. Mutig folgte der Jäger der Spur des Wildes in das drohende und doch lockende Unbekannte und entdeckte dabei Eisen und Salz. Die Tore in das Reich der Berge öffneten sich.

« Kampf ist der Vater aller Dinge! » ( Heraklit. ) Um den Gegner zu schlagen, ist kein Hindernis zu gross. Die Heere des Altertums, die Kreuzzüge des Mittelalters und die Luft-flotten der Neuen Zeit überwinden die Alpen.

Wo die Bedürfnisse wachsen, der Verbrauch und die Nachfrage steigen, blühen Erzeugung und Handel. Strassen und Bahnen erschliessen die Täler und verbinden die Länder. Der Verkehr überwindet Raum und Zeit.

Wissen ist Macht. Ruhelos sucht und grübelt der menschliche Geist. Was sind das, diese Berge? Was lebt dort? Was kann man finden? Woher kommt das ewige Eis? Seltene Steine, Pflanzen, Tiere lockten, mehr noch die grossen Eisströme mit ihren seltsamen Erscheinungen. Die Wissenschaft hält Einzug in das Gebirge.

Was aber mochte da oben auf den höchsten Gipfeln sein? Was findet man, wohin sieht man? Was könnte man Neues beobachten, entdecken? Kann man überhaupt hinauf?

König Karl VIII. von Frankreich gibt den Auftrag zur Ersteigung des Mont Aiguilles, eines der « sieben Wunder » der Dauphiné ( 1492 ), Saussure wirbt um den MontBlanc. Paccard und Balmat kämpfen um den Sieg. 1786 wird der Gipfel errreicht; die Geburtsstunde des Alpinismus hat geschlagen. Aus der Taufe gehoben wurde er allerdings erst von den Brüdern Meyer durch ihre Ersteigung der Jungfrau im Jahre 1811. Sie hatten keine wissenschaftlichen Instrumente mehr bei sich, « da sie der Ansicht waren, dass derlei Dinge dem tatenlustigen Bergsteiger hinderlich seien»1.

Weit weg von seinen ursprünglichen Lebensbedingungen hat die Zeit den Menschen gerückt. In grossen Städten zusammengedrängt hausen sie und führen ein naturfernes Leben. Ruhelos arbeitet der menschliche Verstand; Maschinen rattern, Fabriken verdrängen Acker- und Weideland, der Mensch wird spezialisiert. Aber während er in Fabriken, Werkstätten, Büros, Laboratorien und im Studierzimmer hantiert, melden sich immer stärker die natürlichen Bedürfnisse seiner Organe und drängen nach Betätigung. « Zurück zur Natur » ruft Rousseau! Die Menschen finden wieder Wald, Wiesen und Wasser, die sportliche Betätigung nimmt ihren Anfang. In London aber greifen Männer zum Wanderstab, reisen in das Wunderland Schweiz und entdecken den Playground of Europe. Der Ausgleich für die einseitige Beanspruchung des Menschen durch die fortschreitende Zivilisation ist gefunden, eines der Hauptfundamente des Bergsteigens gelegt.

Und nun hebt sie an, die grosse, die goldene Zeit des Bergsteigens, das Rennen um die noch unerstiegenen Gipfel der Alpen. Soweit es die Westalpen betrifft, gewinnen es mühelos die Engländer, wenn auch fast durchwegs mit Hilfe der Schweizer, die grossen Anteil an 1 R. L. O. Irving: Seite 50.

den Erfolgen haben. Deutsche aber und Österreicher, wieder vor allem aus den grossen Städten Wien, München, Berlin usw. erschliessen die Ostalpen. 1778 Triglav, 1791 Hochgolling, 1800 Gross Glockner, 1804 Ortler, 1832 Dachstein, 1841 Gross Venediger, 1848 Wildspitze, 1863 Zuckerhütl, 1865 Hochfeiler, 1881 Totenkirchl, Kleine Zinne, 1887 Winklerturm, 1890 Fünffingerspitze, 1892 Stabeierturm, 1895 Delagoturm, 1899 Güglia di Brenta, 1902 Campanile di Val Montanaia, 1911 Kleinste Zinne usw. Mit Studer, Weilenmann, Fellenberg, Zsigmondy, Purtscheller, Blodig, Pfann u.a. m. schliesst so ziemlich die Gipfel-zeit. Ihre Nachfolger greifen zum Teil schon über die Alpen hinaus; die ersten Gipfel des Kaukasus und des Himalaya werden besucht. Wenigen aber nur ist die Reise in die Ferne vergönnt; der allergrösste Teil der Bergsteiger muss im Lande bleiben und entdeckt nun die Grate und Wände, die Schluchten und Rinnen, Risse, Kanten und Pfeiler. Die Zeit der Wege beginnt. ( Grosser Ödstein-Nordwestkante, Reichenstein-Nordpfeiler, Rosskuppenkante, Dachl-Nordwand, Dachstein-Südwand-Steinerweg, Däumling-Ostkante, Totenkirchl direkte Westwand, Fleischbank-Ost- und Südostwand, Schüsselkar-Süd- und Südostwand, Pelmo-Nordwand, Zwölfer-Nordwand, Einserkofel-Nordpfeiler, Grosse Zinne-Nordwand, Westliche Zinne-Nordwand, Marmolata-Südpfeiler, Civetta-Nordwestwand, Kleine Zinne-Ost- und Nordwand, Matterhorn-Nordwand, Jorasses-Nordwand, Eiger-Nordwand usw. ) Krieg, Not, Armut. Das Vaterland vieler Menschen ist klein geworden, der Jugend der Weg zum Erfolg im Leben vielfach versperrt. Aber stark, wie nach jedem Niedergang, regt sich der Wille zum Leben, der Tatendrang. Die Jugend, die im Krieg die Furcht vor dem Tod verlor, fürchtet nun auch die objektiven Gefahren nicht mehr. Wo die natürlichen Fähigkeiten nicht mehr ausreichen, helfen jetzt die Hilfsmittel weiter. Jedem Unmöglich schleudert die Jugend ihr Trotzdem entgegen und schreitet von Sieg zu Sieg. Der Kampf in den Felsen, die Überwindung gesuchter Schwierigkeiten und Gefahren sind Selbstzweck geworden, die Zeit der technischen Hilfsmittel ist Gegenwart.

Und die Jugend beschränkt ihr Tun auch auf keine Jahreszeit mehr. Der Winter eröffnet neue Möglichkeiten. Winter-Ersterkletterungen und Erstbesteigungen reihen sich aneinander, eine immer schwieriger und gefährlicher als die andere.

Immer mehr hat inzwischen der Schneeschuh eine neue Welt erschlossen. Nun werden die Berge auch im Winter müheloser zugänglich. Gebiete, die im Sommer nur wenige Wanderer und Bergsteiger besuchten, werden jetzt auf einmal Skiparadiese; die Erschliessung der Bergwelt vollendet sich.

Den ganz Besessenen aber, den Fanatikern der Geschwindigkeit und der Höchst-leitungen, eröffnet der Schneeschuh neue Möglichkeiten. Weit ist der Weg von Paulcke, Hoek, Zdarsky bis zu den Olympiasiegern im Lang-, Abfahrts-, Tor- und Sprunglauf und doch verhältnismässig kurz. Wie toll rast heute die Menge über die spiegelglatte Piste, und Hänge werden befahren ( Fuscherkarkopf-Nordwand, Hochtenn-Nordwarid u.a. ), die früher nur tüchtige Bergsteiger mit Steigeisen und Pickel bezwangen. Die aber, die abseits der Moderouten durch das unberührte Neuland des Winters gleiten, sind die wenigen. Es besteht kein Zweifel darüber, dass das Pistenfahren sehr dazu beitragen kann, die Sicherheit und Standfestigkeit des Skifahrers zu erhöhen; deswegen sei es auch nicht grundsätzlich abgelehnt. Den grösseren Genuss aber werden doch jene haben, die durch die blauweisse Wunderwelt des winterlichen Waldes und über die weiten, weissen Höhen der verschneiten Berge wandern.

Und was nun? Rückgang der alpinen Bewegung? Ja und nein! Ja, weil die Menschen noch viele andere Ausgleichsmöglichkeiten entdeckten, weniger mühsame und dabei nicht weniger aufregende, genussvolle und schöne. Baden, Schwimmen im Strom, Faltboot, Turnen, Leichtathletik, Fussball und vor allem Motorrad und Auto in Verbindung mit dem Zelt. Auch hier eine Entwicklung in der Richtung des geringeren Widerstandes. Und nein, weil immer wieder eine Jugend nachkommen wird, der das Alte neu ist, die den Glockner, das Matterhorn, den Mont Blanc, das Dauphiné, die Dolomiten usw. noch nicht gesehen hat und in deren Herzen auch die gleiche Sehnsucht brennen wird nach Kampf und Sieg, des Lebens höchster Lust. Und welcher Sieg wäre schöner, als aus eigener Kraft die selbstgewählten Hindernisse zu überwinden und mitten in einer herrlichen Bergwelt am errungenen Gipfel zu stehen.

Freilich, die eigentlichen Ziele der jungen Bergsteigergeneration liegen woanders, sie liegen in weiter Ferne.Vielleicht siegen einmal Vernunft und guter Wille, und die Tore öffnen sich für alle zu den Bergen der Welt. Dann wird das Bergsteigen wieder zu seiner ursprünglichen Form zurückkehren, der Gipfel des Berges zum begehrten Ziel werden und der Steinmann « greifbare Erfüllung ».

Lang ist die Strecke, die der Mensch zu den Bergen gegangen ist. Der Weg hat sich geteilt und auf der einen Seite zuletzt zum sportlichen Klettern und auf der anderen zum Kampf um die Berge der Welt geführt. Immer aber, zu allen Zeiten schwingt bei jedem Unternehmen die Seele des Menschen mit. Von Zeit zu Zeit verdichten sich die Gefühle und drängen zur Darstellung durch Wort und Schrift. So finden wir in den Dichtungen der Völker aller Zeiten immer wieder Worte und Weisen über Gott und die Berge.

Den Frommen, die dem Rechten leben, Einsiedlern, die zum Guten streben, die Sehnsucht nach dem Himmel lenkt, hast du, oh Berg, stets Schutz und Heim geschenkt. Mahâbhârata, Altindisch1 Hoch seh ich liegen ein heiliges Land, den Äsen näher und Alben; Thor soll dort wohnen, droben in Kraftheim, bis dass die Götter vergehen!

Grimnismâl, Edda 2 Du schläfst, GottViele kamen Und klopften laut an deine Türen Und hofften hinter tausend Namen Hauch von deinem Geist zu spüren. O. E. Meyer 3 Der Starke ist am mächtigsten allein! Aber zwei sind mehr als einer und drei mehr als zwei. Um die Kenntnisse über die Alpen zu erweitern und zu verbreiten sowie ihre Bereisung zu erleichtern, schlössen sich begeisterte Bergmenschen zusammen und gründeten alpine Vereine. Auch ihre Geschichte könnte man vom Standpunkt der Beweggründe aus schreiben. Es würde sich auch hier das Ergebnis runden und als Herz das Ringen um Grösse und Ansehen erkannt werden. Denn was lebt, strebt; was strebt, will nicht hinab, sondern hinauf.

1 Max Rohrer: Berglieder der Völker, Seite 83.

2 Max Rohrer: Seite 261.

8 O. E. Meyer: Die Lieder des leisen Lebens, München 1910, R. Piper & Co. Seite 13.

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