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Vom Naturgefühl

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Alles, was durch innere, ohne unser Zutun vorhandene Kraft geworden ist, nennen wir kurzweg Natur. Es ist eine unendliche Fülle von Gegenständen und Erscheinungen: Berg und Meer, Wolke und Welle, Licht und Dunkel, Sommer und Winter, Tier und Pflanze, beide in zahllosen Existenzen, von tausend Farben und tausend Formen, und alles ohne Ruh und Rast sich ineinander schlingend und voneinander lösend; dieser unergründliche Reichtum von Sein und Werden, von Zustand und Veränderung, von Kraft und Zweck, rings um uns aufgelagert, immer vergehend und immer vorhanden — das ist die Natur, unsagbar gross, reich und ewig, dem Menschen lieblich, doch auch furchtbar. Er steht ihr gegenüber als Subjekt, schaut und beurteilt sie; ihr Anblick erweckt in ihm eine bestimmte Regung des Gemütes; wir nennen sie, die einzelnen Momente zusammenfassend, schlechthin Naturgefühl.

Es ist verschieden nach den Zeiten, nach den Individuen und nach den Dingen, welche die Natur uns bietet. Die Empfindung kann in einer ganzen Skala auf- und niederwogen: vom lässigen Behagen beim sanften Spiel der Wellen bis zum schaudernden Erstaunen beim tobenden Hochgewitter sind viele Stufen möglich. Aber besser noch als von dieser momentanen, durch das einzelne bedingten Stimmung mag von dem dauernden und allgemeinen Verhältnisse die Rede sein, in das der Mensch, soweit wir ihn historisch kennen, zur umgebenden Natur sich stellt. Es gälte also den Versuch, das Naturgefühl in seiner historischen und geographischen Entwicklung zu skizzieren. Welcher Art ist es und wie äussert es sich in einer bestimmten Zeit, einer bestimmten Zone, einer bestimmten Kultur?

Es unterliegt dem Wechsel, nicht bloss weil der Mensch und seine geistige Beschaffenheit sich ändert, sondern auch, weil die Natur selber nicht überall eine und dieselbe ist, nicht eine und dieselbe bleibt. Man erwäge: Europa war vor nicht so ferner Zeit ein grosses Waldland, was ist es heutzutage? Und anderseits: dem einen bietet die Natur ein müheloses Dasein, der andere ringt mit ihren Schrecken um seine Existenz. Der Eskimo kennt sie nur als karge, harte Herrin; was soll ihm, wenn er hungrig ist, des Nordlichts Pracht? Dem Inder ist sie eine übergute Frau, prangend in Reichtum und in Fülle. Drum rauscht es in den Veden von ihrem Lobe. Uns Schweizern aber ist sie eine weise, sparsame Haushälterin. Sie verwöhnt uns nicht mit Üppigkeit, doch quält sie uns auch nicht mit Hunger und Entbehrung. Wir haben nicht immer blauen Himmel und Sonnenschein, nicht immer Blumenduft und Waldesgrün. Aber, was man immer hat, schätzt man geringer, als was einem nur mitunter gegeben wird. Wie hangen und wie bangen wir, wenn uns der Regen eine Bergfahrt zu verderben droht! und wie jubeln wir dem Tag entgegen, wenn er nun doch mit klarem Angesichte uns entgegenschimmert! Darum kein Wunder, wenn zumal wir der Natur ein besonders inniges Gefühl entgegenbringen. Der Gegensatz zwischen Schnee und Eis und Blatt und Blüte schärft unsere Blicke. Es ist nicht zufällig, dass die grossen Landschafter meist Söhne des Nordens sind. Und es ist kein Zufall, dass Schweizer die Pioniere des Naturgefühls im 18. Jahrhundert gewesen sind. Und die Alpenlyrik eines C. F. Meyer im 19. Jahrhundert steht einzig da.

Wohl gibt es Menschen, die an derlei Szenen mit stummem Sinne vorübergehen, die andern das Herz in mächtige Wallung bringen. Dahin gehören die nicht Wenigen, deren ganzes Sinnen im Einmaleins enthalten ist; dahin ferner jene Armen alle, die die Sorge um das nackte Leben nicht einen Augenblick zur Ruhe kommen lässt; nur eine freie Existenz macht Ohr und Auge für sinnige Naturbetrachtung fähig; und dahin zählen endlich jene Vielen, die immer die Natur nur nach dem Masse ihrer Nützlichkeit zu würdigen verstehen. Der klare Bergbach, der munter über die Felsen niederhüpft, dann wieder sinnend unter Erlengebüsch verweilt, erscheint uns um seiner selber willen schön, andern aber wegen der Forellen, die er birgt. Solcher Denkweise kann einer huldigen, ohne sich des Vorzugs zu begeben, ein geistreicher Kopf zu sein. Montaigne steht am Rheinfall; aber er spricht von ihm nicht im dröhnenden Paukentone Lavaters, auch nicht in der künstlerisch sachlichen Weise Goethes; er denkt in erster Linie an den Lachs, der hier die Grenze seiner Herfahrt findet. Wem sich das geistige Leben um die Axe der Zweckmässigkeit dreht, der steht, wie einem andern, so dem Naturenthusiasmus ferne; sein Reich ist Handeln zu einem bestimmten Zwecke: hier ist er gross. Man wird von Napoleon nicht eine Naturschilderung im Stile Rousseaus erwarten; hat man Naturgemälde doch auch von Cäsar nicht, und der war doch gewiss ungleich vielseitiger.

Aber nicht bloss von dieser individuellen Veranlagung hängt der Eindruck ab, den die Natur auf den Menschen macht, sondern er modifiziert sich auch danach, wie weit er ihrer Herr geworden. Ringt er mit ihr um sein Dasein und zittert er vor ihren unverstandenen Kräften, da äussert sich sein Naturgefühl in der Erschaffung grosser, wilder Götter; mit ihnen beginnt die Mythologie fast eines jeden Volkes. Erst nach und nach, wenn sich die elementaren Kräfte weniger gewaltsam und verderblich zeigen, werden jene lichter, besser, freundlicher; aus den Uraniern werden Olympier. An diesem wohlwollenden Naturgefühl nimmt die heroische Zeit noch deutlicheren Anteil.

Aber entsprechend ihrem Charakter tritt es hier nur in grossen, kräftigen Zügen zutage: im breiten, markig ausgeführten Gleichnis; man denke an das Helden-lied der Hellenen, an das der Deutschen. Das liebevolle Sichversenken ins Sinnige und Zarte, ins Duftige und Feine, das geht ihr ab. Achilles sucht für Briseis keine Veilchen.

Nach dieser Seite hin entwickelt sich die Naturempfindung erst, wenn und je mehr im Menschen das Individuum zur Geltung kommt. Und weiter: wenn und je mehr sein Dasein frei von Sorgen wird, so dass er Musse zur Betrachtung findet. Da erscheint ihm die Natur nicht mehr als Feind; sie ist ihm Gegenstand liebevoller Beobachtung, ja Freund- und Schicksalsgenosse. Er sieht die Blätter fallen und denkt dabei an das eigene Geschick. Das stete Werden und Vergehen alles dessen, was um ihn ist, drängt sich vor allem seiner Seele auf. In dieser Stimmung schafft er, wenn er Grieche, das Wort, wenn er Römer, das Wort natura, d. i. der im Werden begriffene Stoff, die werdende und wieder vergehende Kraft. Die Natur wird ihm zum Spiegel, darinnen er das eigene Schicksal sieht. Nun spricht das Blatt, das mild und matt zur Erde niederrieselt, nicht mehr bloss zum Auge. Eine sanfte, stille Wehmut steigt darob in uns auf: wir trauern scheinbar um das Blatt, in Tat und Wahrheit um das eigene Leben. Auf der Welle, die an unserm Blick vorüberrauscht und schwindet, gleitet der leise Schmerz mit ob der Flucht und Nimmerwiederkehr der Tage. Es ist etwas Verwandtes um die Trauer, mit der das Auge an einer Gegend haftet, über die machtvolle Schicksale hingezogen sind, so die römische Campagna; und etwas Ähnliches ist 's um das Heimweh. Unzählig oft legen wir etwas, das eigentlich nur uns gehört, in die Natur hinein, so dass sie uns der Widerschein der eigenen Seele wird; das um so mehr, je individueller sich der einzelne entwickelt. Man weiss, wie ein Dichter Lenau es verstand, sein reiches Innere in die Natur hineinzudeuten. Sie erhält durch solche Angleichungen einen höhern Wert, sie tritt uns näher. Was in grauer Vorzeit noch naiv sich äusserte ( der Mensch sah in der Aussenwelt nur das Gegenbild des eignen Leibes, sprach demgemäss von einem Rücken und einem Fuss des Berges, einem Arme und einem Mund des Flusses ), das vollzog sich jetzt, auf höherer Stufe der Entwicklung, in geistiger Beziehung: der Mensch erkannte in der Natur den Reflex, die konkrete Andeutung dessen, was er im Grund der Seele barg. So besonders in religiösem Sinne. Die Natur wird so zur Offenbarung Gottes, ja dem poetisch trunkenen Sinne wohl Gott selber. Das Naturgefühl ist dabei nicht mehr objektiv, es ist tendenziös. Aber die Tendenz ist ja so weihevoll, ob sie im Monotheismus oder Pantheismus münde, dass immer und immer wieder ein grosser Teil der Menschen sich ihr zuneigen wird.

Gehen wir zum objektiven Naturgefühle über, also zur selbst- und ab-sichtslosen, liebevollen Betrachtung der Natur. Sie ist innerhalb der historischen Zeiten, je nach dem Grade der Kultur, merklich verschieden gewesen, doch wohl nicht in dem Umfange, als früher öfters angenommen wurde. Bekannt vor allem ist der Ausspruch Schillers, es falle auf, dass die Griechen, sonst so feinen Sinnes und mitten in so wundersamer Landschaft, sich, wie ihre Poesie beweise, sogar gleichgültig wider die Natur verhalten hätten.

Allein aus Homers Gedichten lässt sich doch ein gewaltiges Bild des Gebirges und Meeres herauslesen.

Es scheint ja wohl, sie hätten die Kunst und den Menschen schon ergründet gehabt, bevor sie ihr Auge der Natur zuwandten, und warum nicht? Das Leben, der Mensch an sich, war ihnen so interessant, dass sie vor ihm nicht Reissaus nahmen, sich nicht, wie wir, voll Sehnsucht der Natur zuwandten. Der antike Mensch — der Hellene — war bleibenden und intensiven Interesses eher würdig als der moderne Durchschnittsmensch: er war ein wirklich freies Individuum, schon an und für sich Natur; wir sind schablonenmässig eingeengt, sind Zwang und Unnatur. Sie standen auch in anderem Bezüge der Natur noch näher als wir Modernen: wir sind ein Stubenvolk, eingeschlossen in unsere Häuser, uns künstlich helfend mit stillen, grünen Wildnissen, die wir auf Leinwand malen — man beachte, dass die grössere Zahl der neuen Maler Landschafter sind. Jene aber waren ein Volk der Gasse, der Agora, der offenen See, des freien Feldes. Ihre Arbeit hielt sie nicht gefangen an Bureautisch und Katheder. Daher können sie die Sehnsucht nach der Natur nicht mit derselben Kraft wie wir empfunden haben. Sie waren noch gesund, bedurften noch nicht all der Sommerfrischen, mit denen wir unserm schwachen, abgequälten Leib zu Hilfe kommen müssen. Denn das sei gleich gesagt: es dürfte irrig sein, unsern Hang zu Bergbesteigung, Landaufenthalt, Anlagen, freien Plätzen auf selbstlose Hingabe an die Natur zurückzuführen. Bei der neuen Art des Lebens nützen wir uns rascher und stärker ab als die Alten mit ihrer Lebensführung. Abgesehen von allem Unfuge, der sich in die moderne Lebensweise eingeschlichen hat, wurde den Alten das Leben nicht so sauer gemacht als uns, denen, wes Standes einer immer sei, eine ungezügelte Konkurrenz im Nacken sitzt. Der moderne Mensch entbehrt der Ruhe und Zufriedenheit, die Begehrlichkeit steht obenan; er ist geistig, aber auch leiblich oft nicht gesund: dieses nicht, weil er unendlich oft der Natur entgegenhandelt; jenes nicht, weil alles Wissen und alles Glauben von tausend Zweifeln unterwühlt und unterfressen ist. Vielleicht lebten zu keiner Zeit ( es ist nur von Gebildeten die Rede ) so wenig vollkommen glückliche Menschen als heutzutage. Nun suchen wir im unmittelbaren Verkehre mit der Natur fern den Städten, die wie Pilze wachsen, die lang entbehrte Ruhe, den Frieden, die Frische wieder, die wir verloren haben. Daher entrinnen wir dem Gewühl der Strassen, ziehen hinaus auf die luftige Bergeshöhe, in den grünen Wald, an die sandige Düne.

Unsere Poesie ist überreich an Liedern, die der Verherrlichung der Natur gewidmet sind. Aber man hüte sich vor übereiltem Schlusse. Wie vieles fällt auf Kosten unserer Schreib- und Leseseligkeit. Anderseits, was ist denn von der Poesie der Griechen, zumal der lyrischen, geblieben? Ärmliches Gebröckel, aber freilich auch so noch schön, wie eine Trümmerstatue vom Parthenon. Die griechische Literatur enthält Bruchstücke naturbeschreibenden Inhaltes von seelenvollster Empfindung und überquellender Schönheit. Daher nichts ungerechter, als den Alten das Naturgefühl abzusprechen 1 ). Es war vorhan- den, gesund und wahr, frisch und kräftig, Empfindung, nicht Empfindelei, nicht Mondscheinsucht und Schäfertändelei. Die kam erst, als der griechische Mensch sich völlig ausgegeben hatte, so dass er seiner selber und des Staates überdrüssig ward. Man könnte sich versucht fühlen, Schillers Anklage gegen die Hellenen auf die Römer auszudehnen. Die Römer sind jahrhundertelang über die Alpen hin- und hergezogen; aber keiner spricht von ihren Gletschern und ihren Abgründen, von ihren Matten und ihrem Abendglühen. Noch fehlten die Strassen, die Führer, die Gasthöfe, und wo jetzt frohe Hirten friedlich walten, da schritt damals der wilde Räter, der Schrecken Roms.

Aber auch nachdem die Alpen ihre Furchtbarkeit verloren hatten, blieben sie noch lange Zeiten unbekannt. Wie viele Tausende deutscher Reisiger und deutscher Geistlicher sind das Mittelalter über dieselben Wege gegangen; und doch hat erst der grosse Berner Dichter Albrecht Haller, man erlaube mir das Wort, die Alpen entdeckt! Und auch von da an verging fast ein Jahrhundert, bevor die Welt nun wirklich kam und sah und staunte. Ferner: welche Fülle landschaftlicher Schönheit leuchtete dem Rittertum entgegen, das droben auf stolzen Burgen sass, das wieder über Land und Meer zum heiligen Grabe zog! Aber nirgends in der Literatur Ausbrüche eines leidenschaftlichen Naturgefühles. Doch vergesse man nicht: der Ritter war in erster Linie Krieger. Dann führte lange Zeit ja nur der Burgkaplan, der Kleriker, die Feder; der schrieb Vigilien und Hymnen. Wohl machte bald einmal die kirchlich-geistliche Bildung der höfisch-ritterlichen Platz. Von Mai und Minne sang 's von Burg zu Burg; aber weiter erging sich das Naturgefühl noch nicht. Wie sollte den Rittern, denen Berg und Tal ja stets zu Füssen lag, das Auge in gleichem Masse nach freiem Ausblick lechzen als uns, die wir den grössern Teil des Jahres nur weisse Wand und graue Strasse sehen. Der Blick war für den Gegensatz noch nicht geschärft, und weiter: das Individuum noch nicht erwacht. Kennt man einen Minnesänger, so kennt man fast alle; das Mittelalter fühlte noch nach Ständen, nicht nach Individuen. Wie anderwärts, hat die italienische Renaissance auch hier der Welt die Augen aufgetan! Sie hat das Individuum von mehr als tausendjährigem Schlummer geweckt. Damit kam das individuelle Naturgefühl. Man kennt die weitere Entwicklung: die Reformation nahm für ein Jahrhundert die europäische Welt für sich gefangen. Das Ende war ein allgemeiner Despotismus, in Süd und Nord, im Staat und in der Kirche.

Er knechtete die Geister, schlug sie in die Ketten des Zwanges und der Unnatur, schuf enge, steife Kleidung, schrieb die Gesinnung vor; die Etikette fesselte das Leben. Da schüttelte England die Stuarts, seine Tyrannen, ab. Von den Niederlanden, wo sie sich ein Asyl errungen hatte, kam die Freiheit über den Kanal und wallte in feierlichem Zuge durch das Land. Dort war, während die übrige Welt im Blute watete, durch Ruysdaels Pinsel das Naturgefühl zu so erlauchtem Ausdruck gekommen wie seither vielleicht nimmermehr. In England ward es laut in umfangreicher Poesie. Deutschland blieb nicht zurück. Scheint es doch, als sei von Anfang an der innige Zusammenhang von Freiheit und Natur hier eindringlicher empfunden worden als anderswo. Denn wie schal klingt, um nur mit dem Franzosen zu rechten, dessen « je quitte la maison, je vais à l' air » unserm « ich gehe in das Freie » gegenüber. Jawohl, nur ausser dem Hause werden und sind wir wahrhaft frei.

Das 18. Jahrhundert sprengte die Ketten. Man kehrte zur Natur zurück. Zuerst nur zagend, wie zur Entschuldigung, unsichern, schüchternen Schrittes, man denke an Salomon Gessners « Idyllen ». Oder es gefiel sich das Naturgefühl an Bildern aus dem fernen Urwalde — Paul et Virginie — an der halbwegs erträumten Schönheit ferner Eilande: man sprach von den Südsee-inseln als von Inseln der Glückseligen. Andere aber blieben in der Nähe und priesen mit lauten Worten die Schönheit der umgebenden Natur. Rousseau, mit Gott und der Welt zerfallen, rief sein: « Weg, weg von den Menschen, sie sind alle Teufel, weg in die Einsamkeit !» — Er wurde der unübertroffene Herold der Schönheit des Genfersees.

Aber neben dem gefälschten und weinerlichen Naturgefühle steht nun auch das echte und gesunde. Es kommt mit dem Sturm und Drang des vorigen Jahrhunderts, zumal mit seinem grossen Chorführer. Mit welcher Hingebung und welcher Energie spricht Goethes Werther von den Herrlichkeiten der Natur. Man lese etwa den Brief vom 18. August. Nichts entgeht seinem Blicke, alles ist ihm sehenswert, alles von Interesse: der Stein zu seinen Füssen, das Moospflänzlein, das an demselben wuchert, die Ameise, die durch die Halme krabbelt. Es ist nicht ein manieriertes Naturgefühl, das nur an hohlen, zerrissenen Weidenstrünken, verwitterten Bäumen, abenteuerlichen Felsgespenstern Gefallen findet. Es ist aber auch nicht jenes, ich möchte sagen Gourmand-, oder besser noch jenes blasierte Naturgefühl, dem nur noch das Heroische, Gewaltige, Gefeierte behaglich ist; das, um nur zu sein, den Golf von Neapel, den Rheinfall, die Spitze des Matterhorns nötig hat. Bei Goethe und später ähnlich bei Gottfried Keller erfreut sich die Natur einer vollen, kräftigen Gesundheit, und sie reizt und fesselt seinen Sinn, ob sie ihm auch nicht mit einem Prachteffekt entgegentrete.

Das sogenannte Kleine und Unbedeutende, das Gewöhnliche und deshalb Unbeachtete ist, sobald man es genauer ansieht, voll Symmetrie, Zweckmässigkeit und Schönheit. Man braucht deshalb nicht mit dem Auge des Naturforschers hinzuschauen. Mag das Auge naiv und unbefangen sich mit dem äussern Schein der Dinge begnügen. Immer wird es auch so noch des Neuen und Reizenden genug zu sehen finden.

Das immer Wechselnde und immer Bleibende, das frei sich Bildende und doch Gesetzliche zieht uns immer und immer wieder zur Natur hin. Wenn alles bricht und alles endet, was der Mensch gegründet, da bleibt doch die Natur fest und sicher, nah und offen, immer bereit, uns Gesellschafter zu sein, an guten wie an bösen Tagen, ein unversieglicher Born edelster Erholung, immer derselbe treue und uneigennützige Freund bis an die Marke unseres LebensJ. Werder.

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