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Wanderungen im Südosten der Ofenpaßgruppe

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Von ( ?. Kamiah ( Section Monte Rosa ).

Die Hochgebirge zwischen der Stilfserjochstraße und dem breiten Querthal von Nauders werden wenig von Touristen durchwandert. Die Mehrzahl der Letzteren kommt nur flüchtig mit dem Südosten der Ofenpaßgruppe in Berührung: auf den Piz Umbrail wird ein Spaziergang gemacht und vielleicht, um von Tirol in das Engadin zu gelangen, das Münsterthal im Wagen durcheilt. Die Nähe gewaltigerer Erhebungen — Bernina-, Ortler- und Oetzthalergruppe — hat die Aufmerksamkeit von den bescheidenem Bergen des bezeichneten Gebiets abgelenkt. Demjenigen aber, welcher nicht auf den breit getretenen Pfaden zu gehen liebt, und das Gebirge nicht lediglich nach der Höhe seiner Spitzen über der Meeresfläche zu beurtheilen pflegt, bieten die aussichtsreichen Gipfel und die grünen, weltentrückten Hochthäler eine Fülle reinen Genusses.

St. Maria im Münsterthal ist am besten zum Standquartier für den, welcher den Süden der Ofenpaßgruppe durchstreifen will, geeignet. Mehrere Thäler kreuzen sich hier. Von Süden her mündet Val Muranza, von Südwesten her Val Vau in das Hauptthal ein, welches ebenfalls hier seine südöstliche Richtung verläßt und sich nach Nordosten wendet. Zwischen den Thalfurchen erheben sich selbständige Gebirgsmassen, die viel Eigenartiges haben. Von Bedeutung sind namentlich Val Muranza und das Thal des Rambachs von St. Maria aufwärts. Oestlich derselben gehört das Gelände dem Urgebirge an, im Westen aber erheben sich Dolomit und Kalkberge, gar böse Nachbarn für das Münsterthal. Mitten unter diese wilden Gesellen — den Gebirgsstock zwischen Buffalorapaß, dem Münsterthal und den Thälern von Vau und Mora und die Grenzkette von Piz Umbrail bis Piz Murtaröl — führt uns der an malerischen Scenerien so reiche Weg von St. Maria zu den ausgedehnten Münsteralpen. Durch wohlgepflegte Wiesen und einen prächtigen Lärchenwald gelangt man binnen Kurzem zur Ausmündung von Val Vau. Auf beiden Seiten treten die Ausläufer der vorher genannten Gebirgsmassen nahe zum Thalbach heran. Sie sind verhältnißmäßig gut mit Wald bestanden, der vernünftiger Weise sehr geschont wird. In mäßiger Steigung geht 's auf leidlichem Alpweg bergan. Leicht wird der Bach, welcher im Sommer wenig Wasser führt, überschritten. Bald wird die Gegend freier, das weite Gelände von Vau öffnet sich. Es ist eine Art Voralp; Weiden, lichter Wald und eingezäunte Wiesen nehmen die Fläche ein, die zur Rechten und zur Linken Steilabfälle umgrenzen. In mächtigen Fällen stürzt auf der Südseite der Ausfluß des Lai da Rims herab, weithin tönt der Schall der zu Thal donnernden Wildwasser.

Still und einsam ist 's jetzt in Vau. Vordem war es anders, das zerfallene Gebäude auf den Wiesen war ein vielbesuchtes Gasthaus; denn der alte Weg aus dem Vintschgau und dem Münsterthal nach dem Oberengadin und Puschlav führt hier vorüber. Seit Erstellung der neueren Straßen ist er verödet. Merkwürdig ist es, daß nicht Touristen, die vom Ortler in das Gebiet des Piz Bernina wandern, häufiger diesen Weg statt der staubigen Landstraße wählen. Aufs Neue beginnt unser Pfad zu steigen, rechts desselben liegt auf höherer Thalstufe die Klosteralp ( Alp Clastra, Siegf. ), auf der entgegengesetzten Seite führt in vielen Kehren ein schmaler Steig hinauf zum Lai da Rims. Auch dieser wird wenig besucht, der interessanteste Weg vom Piz Umbrail nach St. Maria geht an den blumenreichen Ufern des See's vorüber. Hinter Vau treten die Bergzüge wieder nahe aneinander. Steiniger und steiler wird der Weg. Das Bett des Baches ist fast trocken, die weißen Dolomit-blöcke in demselben geben indessen Kunde, welche Kräfte hier bei Hochgewittern entfesselt werden. Gewaltiger entwickelt sich die Dolomitkette zur Linken, noch eine kurze Steigung und der Wiesengrund von Dössradond, die Oberstufe des Val Mora, ist erreicht. Eigenartige Landschaftsbilder gewährt dieses Hochthal. Im Süden des Thalbodens steigen wild und schroff die fast unbekannten Spitzen zwischen dem Passo dei Pastori und dem Hauptgipfel, dem Piz Murtaröl, auf. Hie und da lugt ein Gletscherlein aus dem Hintergrund trümmerreicher Kare, welche sich zum Hauptkamm emporziehen, hervor. Das bläulich grüne Eis hebt sich scharf von dem hellfarbigen Gestein ab. Die Gipfel der Dolomite von Val Mora sind indeß keineswegs so zerfressen, zeigen keine so groteske Gestalten, wie es anderwärts — wenigstens im Süden und Osten Tirols — bei derartigen Gebirgen der Fall. Auch finden an ihren unteren Theilen Schafe und Ziegen noch eine dürftige Weide. Freilich bezeugen auch hier zahlreiche Rüfenzüge die Macht der zerstörenden Naturgewalten. Aus dem grünen Rasen schimmert nur zu oft das scharfkantige Geröll hervor. Den Abfall des Piz Turettas bekleiden vielerlei Stauden; wo nicht das nackte Kalkgestein zu Tage tritt, entfaltet sich auf der Sonnenseite im Frühsommer ein wahres Blüthenmeer. Die Thalsohle selbst ist zuoberst oft sumpfig, die Dolomittrümmer haben die zu Tage tretenden Wasser aufgestaut. Binnen Kurzem bildet sich ein Bach, von der Schattenseite flattern vielerorts dünne Wasserfäden hinab, eine willkommene Verstärkung.

Etwa eine Stunde lang führt unser Weg fast eben durch das Gelände dahin. Stuten mit ihren Füllen tummeln sich darauf. Wie Vau und die Klosteralp gehört es den Benedictinerinnen von Münster. Der lichte Kieferwald, der weiter unten fast die Breite des Thales einnimmt, bildet die Grenzmark zwischen den Münsterer Gemeindealpen und den Besitzungen des Klosters. Der Weg nach Livigno führt weiter am Ufer des immer tiefer sich eingrabenden Baches. Rechts mündet der Fußpfad zu den ebengenannten Alpen ein. Die Hütten derselben bieten für Besteiger des Piz Murtaröl die beste Unterkunft, dieselben sind ziemlich geräumig und die Sennen — Vintschgauer — höfliche, gastfreundliche Männer. Zum Buffalorapaß gelangt man von hier auf leidlichem Weg über Giufplan. Um ins Münsterthal direkt auf neuen Steigen zu gelangen, hat man in nördlicher Richtung abzuschwenken, den Sattel ( 2600m ) zwischen Piz Dora und Piz Turettas — den Uebergang von Val Mora nach Fuldera — zu erreichen. Steil und pfadlos, aber unschwierig geht es über Rasen und Geröllhalden hinauf zur Höhe des Joches. Inmitten magerer Schafweiden liegt ein kleiner See, der Lai de Chazfora, dort oben. Die Aussicht gen Süden auf die westliche Ofenpaßgruppe und die umfassendere nach Norden und Osten ist höchst lohnend. Der Bergsteiger wird sich damit nicht begnügen, sondern die Rundschau von einem der beiden den Sattel überragenden Gipfel genießen wollen. Der freier liegende Piz Turettas ( 2958111 ) ist sowohl dem Piz Dora wie dem höhern Piz Daint ( 2971 m ) bezüglich der Aussicht vorzuziehen. Den Anstieg zu jenem erleichterte im Sommer 1884 ein großes, firnhartes Schneelager. An den obern Lehnen leuchteten die rothgelben Blüthen des Pyrenäenmohns in Menge aus dem weißlichen Geröll. In einer Stunde ist die Spitze erreicht. Die wild zerklüftete Osthälfte des Berges liegt vor uns. Interessant ist der Einblick in die Dolomitkette von Umbrail bis Piz Murtaröl, :3 westlich vom letzteren ragen einige mächtige Schneeberge hervor. Scharf hebt sich östlich des Wormser-jochs in Form und Farbe der Zug der Schieferberge von der Röthspitze bis zum Glurnser Köpfel von den Nachbarn im Westen ab. Hinter ihnen steigt der Ortler empor, eine Reihe firnbedeckter Gipfel tauchen neben ihm auf. Jenseits des untern Mlinsterthals und der breiten Ebene der Etsch bei Glurns zeigen sich einige der schöngeformten Spitzen der Oetzthaler. Im Norden schaut man auf die alpen- und mattenreiche Gruppe zwischen dem Münsterthal und den Oberstufen des Scarlthals von dem Uebergang von Costainas bis zum Avignathal, hinter denen die wilderen Gestalten der Unterengadiner Hochgebirge vorragen. Doch genug hievon. In Kurzem ist der Sattel wieder erreicht. Ein alter Hirt aus dem Vintschgau, der dort oben die Schafe von Fuldera hütete, klagte, daß der große „ Tnifeler meinte das Schneefeld — seit einigen Jahren dort fest liege und dem armen Vieh die spärliche Weide schmälere. Nicht mit Unrecht mahnte er mich, den schmalen Schafweg, der zur Alp Sadra herunterführt, nie zu verlassen, um nicht in die wilden „ Gander " zu kommen. Von der kräuterreichen großen Alpe ab führt ein steiler Weg durch dichten Wald ins freundliche Thal. Selbstverständlich ist von St. Maria aus Piz Turettas auf diesem Wege in kürzerer Zeit von St. Maria über Fuldera in 4x/2 Stunden zu erreichen, als auf dem vorhin beschriebenen Wege über -Val Mora.

Auch die breite und massige Gebirgskette, welche nördlich von St. Maria aufsteigend den Raum zwischen.

13 Münsterthal, Durezzatobeldem Uebergang von Costainas, dem oberen Scarl- und dem Avignathal bis zur Cruchetta|, letzteres Joch trennt sie vom Ses-vennamassiveinnimmt, ist des Besuches wohl werth, zumal die Besteigung ihres am meisten lohnen-deu Gipfels, der Urtiolaspitze oder Piz Terza ( 2911 m ), recht gut mit der Tour von St. Maria nach Scarl und Schuls verbunden werden kann.

Von Craischtas, das hoch ob der Thalsohle des Kambachs liegt, kommt man durch sehr dünnen Lärchwald zu ausgedehnten, aber allzu wasserarmen Alpen. Von den obern Hütten — Alp sura — steigt man direct nördlich empor, unfern der Spitze sind Geröllhalden, die leicht zu überwinden sind. Der Glanz* punkt ist auch hier die hinter den dunkeln Bergen der Südseite des Münsterthals hervorleuchtende Ortlergruppe. Die Oetzthaler Spitzen zwischen Matscher-und Schnalserthal überblickt man trefflich. Die wild zerrissene Flanke des Piz Turettas im Südwesten und das grüne Avignathal auf der Gegenseite sind scharfe Contraste. Der Abfall zu diesem Thal ist übrigens steil, zahllose Trümmer reichen weit hinab auf die magere Alp Mangiz. Von unserm Berge steigt man am besten zur Fuorcla Sassalb hinab, unschwierig ist 's von dort hinab zu dem großen Alpengelände von Costainas zu gelangen. Der Piz Starlex ( 3081 m ), die bedeutendste Erhebung in diesem Gebiet, ist um Vieles mühsamer zu machen und soll keineswegs eine schönere Rundschau gewähren. Ohne Zweifel werden die Gebirge im Norden und Osten mehr zur Geltung kommen.

Dem Grat dieser Kette entlang läuft die Grenze; dasselbe gilt ( bis zum Piz Chavalatsch ) von der an aussichtsreichen Spitzen so reichen Kette, die von der Eöthspitze ( 3O30m ) zum Glurnser Köpfel streicht. Die österreichischen Finanzwächter haben allerdings wenig Freude daran. Von der Alp Prasüra, die auf lohnendem Wege — schöne Fälle bildet der am Val Costainas nach Val Muranza herabstürzende Wildbach — leicht erreicht wird, kann der Tourist entweder, sich mehr östlich haltend, den wegen seiner Rundsicht berühmten Piz Minschuns ( 2936 m ) unschwierig ( von St. Maria in 38/4 Stunden ) ersteigen, oder aber in das ernste, von steilen Schieferbergen umgebene Hochthal Val Costainas einbiegen, um von hier aus über Schneefelder und wilde Trümmerhalden hinaufzuklettern auf die höchsten Punkte des Gebirgszuges: Korspitze und Röthspitze ( 3030™).Auf der Südseite sind diese Berge berast; es sind sehr trockene und abschüssige Schaf berge. In Ausdehnung stehen die Aussichten zwar gegen die 0 Auf Blatt Stilfserjoch ( 429bi8 ) Siegfried tragen die beiden Spitzen keine Namen, erstere auch keine Quote; auf der Specialkarte der Ortler-Alpen von J. Meurer und G. Freytag ( Wien 1884 ) heißt der Punkt 3030 Rötheispitze, der Punkt 2929 Korspitze und das zwischen beiden gelegene Joch ( 2869 m Siegfried, 2900 m Meurer und Freytag ) Seejoch.

Anm. d. Bed.

des Piz Umbrail zurück, sind dagegen aber künstlerisch schöner. Die Uebergänge von der Stilfserjochstraße nach Costainas dienen hauptsächlich Wilderern und Schmugglern, nur 1884 zwang die Grenzsperre Italiens hie und da einen harmlosen Touristen, diese Pfade einzuschlagen. Nicht viel anders steht 's mit dem angenehmen und an malerischen Scenerien so reichen Joch südwestlich des Chavalatsch, der kürzesten Verbindung zwischen dem Münsterthal und Sulden, obwohl es allerdings auch von den Leuten von Stilfs, von denen ja eine Menge in Graubünden Arbeit suchen, häufig benutzt wird. Der nahe Chavalatsch gewährt neben dem herrlichen Blick auf die Ortlergruppe auch eine treffliche Aussicht auf das breite, sonnenhelle Vintschgau. Die Seeen der Maiser -haide, wie die warmen grünen Obstbaum- und Kasta-menhaine unterhalb Schlanders, sind sichtbar. Neuerdings hat man ein Schutzhaus auf dem Berge errichtet, und von Glurns aus ist ein eigener Steig über das Grlurnser Köpfel zum Chavalatsch erstellt worden. Solcher Aufmerksamkeit haben sich die Berge der gegenüberliegenden Seite des vom Massiv des Piz Sesvenna ausstrahlenden Gebirgszuges, welcher das Avigna- und untere Münsterthal vom einsamen Alpenthal von Schleiss trennt, freilich nicht zu erfreuen. Vom Dorfe Latsch aus ist in 3 Stunden auf schmalen Schafwegen der Grat erreicht. Die Wanderung auf demselben ist wegen der abwechselnden Bilder — zur Linken das Münsterthal und dahinter der Ortler und Umgebung, zur Rechten der felsstarrende Hintergrund des grünen Schleisserthals — sehr interessant.

Die Erhebungen, wie der Tellakopf ( 2525 m ) und der Krippland ( 2715 m ), welcher sich dort erhebt, wo der Grat fast rechtwinklig sich nach Norden wendet, sowie auch der höhere Arundakopf ( 2879 m ), lohnen die leichte Mühe der Ersteigung sehr. Der Wald-aschlikopf dagegen — die österreichische Specialkarte bezeichnet mit diesem ebenso wie Krippland jedenfalls corrumpirten Namen den Punkt 3250 ( P ) direct südlich von Piz Maipitsch ( 3162 mscheint von unserm Grat aus nur sehr schwer zu nehmen. Soweit der dürre Rasen reicht, weiden Schafe an den Hängen. Ihre Hirten haben nicht unbegründete Besorgniß wegen eines Besuches von Bären. Auch die Sennen unten auf den Alpen von Schleiss und Latsch wissen viel davon zu erzählen. Sie haben alte Gewehre in den Hütten. f Nachts wird zur Verscheuchung der Bestien ab und zu geschossen. Neben dem tosenden Bach läuft ein guter Alpweg hinab gen Osten dem Schli-nigerthal zu. Schluchtenartig ist der Ausgang. Ein breiter, mäßig hoher Rücken, den mehrere kleine Seelein zieren, trennt die beiden Parallelthäler von Schleiss und Schlinig weiter oben. Er läuft vom Maipitsch aus.

Das Hochthal von Schlinig zieht sich in nordwestlicher Richtung von der Einmündung des vorhin erwähnten Wildbachs an bis zur Schweizergrenze, dem Sursasspaß, ( Ob der Wand. Siegfr. ) empor. Der großartige Hintergrund, wie ihn andere Thäler des Vintschgau, z.B. die von Matsch und Langtaufers, bieten, fehlt zwar, um so reicher aber ist Schlinig an idyllischen Bildern; zumal der Wanderer, der aus dem dürren, verbrannten Gelände des obern Etschthals kommt, wird freudig überrascht durch das üppige Grün der Wiesen und Weiden und durch den guten Waldbestand, den wenigstens die untere Thalhälfte aufweist. Getreide wird nur sehr wenig an sonnigen Lehnen gebaut, liegt doch das Dörflein Schlinig selbst bereits 17O6 m hoch. Uebrigens stehen die Bewohner der kleinen Gemeinde wirthschaftlich weit besser, als die große Mehrzahl der tiefergelegenen Dörfer des so stark übervölkerten Vintschgaus.

Auf der Westseite fallen im obern Theil des Thales rauh und steil die unwirthlichen Abhänge des östlichen Sesvennamassivs zu den Schafbergen von Schlinig ab. Einen instructiven Einblick in diese wohl nur von Jägern besuchte Gegend gewähren die Spitzen der Gebirgsmasse der Gegenseite, welche unser Thal von der Malserhaide trennt. Im südlichen Theil derselben herrschen ruhige Formen vor, ausgedehnte Alpengelände nehmen den breiten Rücken, dessen Durchwanderung der großartigen Aussichten halber außerordentlich lohnend ist, fast ganz ein. In Menge schmücken die violblauen Blüthen der Primula glutinosa die höhern Punkte. Auch die Daphne striata mit ihren wohlriechenden, aber unscheinbaren Blüthen, der Jochampfer der Vintschgauer, tritt auffallend zahlreich auf. Nördlich der tiefen Mulde — kleine Seelein sind zuoberst darin — des Quellgebiets des zum Haidersee hinabeilenden Zerzerbachs geht der Bergrücken in einen förmlichen Grat über, der nordwestlich streicht und Remüs gegenüber zum Inn abstürzt. Aussichtsreiche Gipfel entragen ihm und den beiden Seitenästen, die er nach Nordosten entsendet. Die Vernnng- ( 2801 m ) und die Rassasspitze ( 2939 m ) fallen in unser Gebiet. Die letztere ist ein wunderschöner Punkt, von der Höhe des Sur-saßpasses aus wird sie auf dem kürzesten Wege erreicht. Anstrengend ist freilich der steile Anstieg, die losen Blöcke und Gneißplatten des Gipfels erfordern vorsichtiges Klettern.

Die umfassende Rundsicht der Rassasspitze hier zu schildern — schon die Karte zeigt, welche Aussicht der Berg bieten muwürde zu weit führen. Ziemlich mühsam kann man ins alpenreiche Rojenthal herabsteigen und binnen wenig Stunden bei Reschen und seinem herrlichen See anlangen. Die bekannte Straße über die ausgedehnte Malserhaide, ihre Seeen und ihren bedeutenden Hintergrund, die Ortlergruppe, zu beschreiben, ist selbstverständlich hier nicht der Ort.

Mit Recht hat einer der besten Kenner der Alpen — General von Sonklar — darauf hingewiesen, daß das Querthal von Nauders — das Thal des Stille-bachs und das der obern Etsch, die ja erst nach der Einmündung des Suldenbachs eine östliche Richtung einschlägt — in Folge der in paralleler Richtung mit ihm streichenden Gebirgszüge den Character eines Längenthals annimmt, und daß lediglich das Verhältniß zur Hauptmasse des Gebirges es zu einem Querthal erster Ordnung macht. Auch in anderer Weise, nämlich in klimatischer Beziehung, macht sich dieser Umstand bemerkbar.

Mit den großen Längsthälern der Alpen, wie denen des Inn und der Rhone, hat unser Thal die geringe Menge der Niederschläge gemein, freilich aber auch die häufigen, den Boden ausdörrenden Winde. Nicht ohne Grund haben die Bewohner des Vintschgau so viele und kostspielige Wasserleitungen — Wale nennt man sie — angelegt. Selbst die Roggen- und Gerstenäcker bedürfen an den Sonnenseiten der Bewässerung. Wie im Wallis ist auch die letztere streng unter den Gemeindegenossen geregelt. Das Münsterthal ist weit mehr vor den Winden geschützt, und die Dörfer von St. Maria aufwärts empfangen reichlichere Niederschläge. Heute hat man dort die alten Wasserleitungen fast durchweg verfallen lassen. Die Temperaturverhältnisse sind im Gebiet der obern Etsch keineswegs so ungünstig, als sie oft dargestellt. Die meteorologische Station Kloster Marienberg ( 1323 m ) weist eine Wintertemperatur von —1,7° C. und eine Sommertemperatur von -j-14,5° C. auf. Unterhalb Mals gedeiht bereits recht gutes Obst.

Bei St. Maria, also in einer an 1400 m über dem Meere gelegenen Gemeinde, werden noch feine Gemüse, namentlich ausgezeichneter Blumenkohl, gezogen. Die hochgelegenen Berghöfe, wie Craischtas u.a., bauen noch mit Erfolg Getreide. Im Vintschgau hat vielerorts die kurzsichtige Geldgier der Bäuerlein an den Bergen der Sonnenseite öde, der Walliser Felshaide ähnliche Hänge geschaffen. Nur eine kurze Zeit des Jahres mildert eine spärliche Vegetation mit ihrem Grün das häßliche Grau des karstartigen Geländes. Eine Wiederbewaldung ist nur möglich mit Hülfe künstlicher Bewässerung, mithin nur an wenig Berglehnen durchzuführen. Besser als ihre Tiroler Nachbarn haben die Münsterthaler bislang die Wälder zu erhalten verstanden. Das aufgeweckte Völklein kennt den Werth der letzteren besser, als die blut-armen, seit Langem von Staat und Kirche so arg vernachläßigten Bewohner des Vintschgau, in dessen Dörfern vielfach — ich erinnere nur an Stilfs, Matsch, Planail, Lichtenberg — Zustände herrschen, wie sie sonst nur in den ärmlichsten italienischen Gemeinden zu finden sind. Für die Tüchtigkeit der Leute im Münsterthal spricht namentlich aber ihre Ausdauer, die sie im Kampfe wider die ihre Heimat bedrohenden wilden Naturgewalten bewiesen haben. Werke wie die Wildbachverbauungen der kleinen Gemeinde Valcava sind Zeichen von Thatkraft und Gemeinsinn, die Achtung einflößen müssen.

Distanzen von St. Maria aus:

Piz Turrettas über die Münsterthaler-Alpen 53/* Stunden ( 21/2 bis zur Wasserscheide zwischen Etsch und Inn, ( Val da Vau und Val Mora ), 3V4 bis zur Spitze. Ueber Fuldera 4 Va Stunden.

Piz Urtiola über Craischtas 4 Stunden.

Piz Minschuns über Prasüra 33/4 Stunden.

Eöthspitze durch Val Costainas .8 Stunden.

Piz Chavalatsch 3 Va Stunden.

Von Glurns aus:

Arundakopf über den Grat ( Tellakopf, Krippland ) 6V4 Stunden ( durch Avigna- oder Schleisserthal bedeutend näher ). Sursasspaß über Schlinig ( 2 Va Std. ) 4 Va Stunden. Rassaskopf 6V4 Stunden.

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