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Weisse Berge - Blaue Fjorde. Neuland auf 72° Nord

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

VON HANS GSELLMANN, SEMRIACH ( ÖSTERREICH )

ÖSTERREICHISCHE GRÖNLANDEXPEDITION 1957 Mit 8 Bildern ( 269-276 ) Seit der denkwürdigen Tat von de Saussure und Paccard/Balmat hat der Bergsteiger von allen Erdteilen Besitz ergriffen. Das Ursprungsland dieser Bewegung - der Alpenbogen - ist erschlossen und lässt nur noch spitzfindiger und wagemutiger Phantasie Raum für Neufahrten. Selbst die einst so unerreichbaren Achttausender des Himalaya sind selten geworden, und der Mensch geht eben daran, den letzten unter ihnen den Nymbus der Unbezwinglichkeit zu rauben.

Und in dieser Zeit der Vollendung dehnen sich in den Weiten des arktischen Raumes noch immer Gebirge, die nur selten menschlichen Besuch erhielten. In dem Kranz gebirgiger Inseln und Länder, der sich um den Nordpol schliesst, nimmt Grönland einen hervorragenden Platz ein. Vor allem die Ostküste der Rieseninsel, die rund 52 mal grösser als die Schweiz ist, stellt ein Reich dar, in dem kein alpinistischer Wunsch offen bleibt. Eine Kette von mehr oder weniger zusammenhängenden Berggruppen zieht von « Kap Farvel », der Südspitze Grönlands, bis hinauf ins unmittelbare Vorfeld des Nordpols. Blaue Fjorde schneiden von der Küste her tief in die Bergwelt ein. Auf ihren klaren Wassern spiegeln sich die Reinheit des arktischen Himmels und die Formschönheit der Berggipfel hoch über den Ufern.

Nach zwei Spitzbergensommern und einer Fahrt in die Gebirgswelt Alaskas war in mir der Wunsch nach neuen Erlebnissen in der Welt der hellen Sommernächte - und vor allem dem sagenhaften Grönland - übermächtig wach geworden. Im Österreichischen Alpenverein fand ich die notwendige Förderung und das richtige Verständnis für den Plan wie auch die passenden Kame- raden für ein solches Unternehmen. Bei der Wahl des Gebietes war vor allem das Problem der Anreise ausschlaggebend. Wir mussten uns diesen Bergen zuwenden, die in erreichbarer Nähe eines erreichbaren Punktes der Ostküste lagen. Und wir fanden eine glückliche - nein, die vielleicht glücklichste Lösung: Die « Stauningsalpen » lagen am günstigsten! Nur eine Tagesreise im Motorboot von Mestersvig, einer kleinen dänischen Bleimine, übrigens der einzigen Mine an der Ostküste, entfernt.

Nach Verhandlungen mit der Minendirektion in Kopenhagen erreichten wir die Zusicherung, dass wir im September mit einem Erzschiff von Mestersvig nach Europa zurückreisen könnten. Blieb also « nur noch » die Anreise zu lösen. Da die Erzschiffe infolge des späten Öffnens des Eis-gürtels vor der Ostküste oft erst anfangs oder mitten im August an die Ostküste gelangen, schied das Schiff als Reisemöglichkeit aus. Wir charterten daher auf Island eine « Chatalina », ein zweimotoriges Land- und Wasserflugzeug, mit dem wir auf einem Fjord landen konnten. Diese Lösung erwies sich als taktisch richtig und sehr wertvoll für unser Unternehmen, denn wir landeten bereits am 21. Juli auf dem innersten « Alpefjord », dem besten Ausgangspunkt für Touren in den Stauningsalpen, zu einem Zeitpunkt, da die Ostküste durch das Eis so blockiert war, dass noch kein einziges Schiff durchgekommen war!

An diesem Morgen des 21. Juli 1957, als wir aus dem schwankenden Flugzeugleib die letzte Ladung unseres Gepäcks in das Schlauchboot hoben, um sie ans Ufer zu rudern, und die Maschine wieder nach Island zurückflog, hatten wir viel hinter uns, obwohl wir erst am Anfang standen: Die Reise von Graz nach Kopenhagen, den herzlichen Empfang durch unsere Gesandtschaft und die dänischen Bergsteiger, die Reise auf « M. S. Dronning Alexandrine » nach Island mit zwei erlebnisreichen Tagen auf den Färöers und schliesslich den Flug nach Grönland Herrschte schon während des ganzen Fluges grosse Spannung in jedem von uns, so steigerte sich dieses Gefühl mit jeder Meile, die wir der Küste näherkamen Genau um 4 Uhr überflogen wir die Ostküste, gerade in der Zeit, in der das schräge Licht aus Nordost die Landschaft besonders plastisch erscheinen lässt. In wilden Kurven flogen die Piloten unser « Skyfaxi » ( Himmelspferd ), wie sich die Maschine stolz nennt, durch enge Schluchten und über atemberaubende Bergspitzen der « Staunings », die unser Ziel waren. In Sekundenschnelle huschten die Gipfel an uns vorbei, die durch frühere Expeditionen, durch Mitglieder der dänischen staatlichen Expeditionen unter der Leitung von Dr. Laughe Koch und durch eine dänisch-norwegische Expedition 1954 erstiegen wurden. Diese Berge lagen im zentralen und nördlichen Teil der Stauningsalpen, während wir uns dem südlichen Teil des Gebirges zuwandten, der bergsteigerisch noch völlig unerschlossen war.

Unser Gepäck lag in kleinen Haufen am Strand, und wir standen wortlos umher. Nass durch das Entladungsmanöver und nun, nachdem die Maschine wieder abgeflogen war, von der Aussenwelt so lange abgeschnitten, bis wir selbst wieder mit ihr in Verbindung traten, entweder zu Fuss über das Gebirge oder mit den Faltbooten den Fjorden entlang. Nach all dem Lärm im Flugzeug und den sich überstürzenden Ereignissen der letzten Stunden fanden wir uns nicht so schnell zurecht in der unsagbaren Stille dieser friedlichen Fjordwelt und der unangetasteten Wildheit der Gipfel über unseren Häuptern. Ein Seehund äugte neugierig nach den acht fremden Gestalten am Ufer. Der erste Eindruck, den diese Landschaft vermittelt, ist der, in einem Land zu sein, das am Anfang der Schöpfung steht. Die Beklommenheit, das ehrfürchtige Gefühl, ein Eindringling zu sein in dieser gottbelassenen Welt, wurde allmählich abgelöst von einer Begeisterung, die ein einziger Jubel war. Bald danach verliess ich mit dem ersten Trupp unser Lager am Strand, um den Hauptlagerplatz zu suchen. Schwer bepackt mit Zelten und sonstiger Ausrüstung stiegen wir zu dritt die steilen Hänge über das Ufer hinauf. Etwa 100 m über dem Fjord setzte mit einem Schlag die Vegetation ein. Wohl waren auch zwischen den Steinen der untersten Zone zaghaft Moospolster und Blütenpflanzen hervorgekommen, aber hier war der Boden auf einmal mit dichtem Gras, Moos und Blumen bedeckt. Ein Blick dem Fjordufer entlang gab auch die Erklärung: Die beiden Gletscher, Sefström und Gully, die aus zwei verschiedenen Tälern kommen und sich kurz vor dem Fjord vereinen, fliessen als eine mächtige Eistafel weit hinaus auf den Fjord. Vor dem Gegenufer ist eine schmale Wasserrinne gebildet, jedoch zeigt das Bild der Strandlinien sehr genau, dass diese Gletscher einmal das Ende des Fjordes vom Hauptfjordteil abgetrennt hatten. Durch die Ergiebigkeit der Gletscherflüsse war der Fjordrest wesentlich höher als das Meeresniveau, etwa 100 m über dem heutigen Wasserspiegel. Durch die Eisrückgänge der jetzigen Periode ist der Eisdamm soweit abgeschmolzen, dass das gestaute Wasser in den Fjord abfliessen konnte und sich die Wasserspiegelhöhe ausglich. Wir sollten noch oft solche klar sichtbaren Zeichen des raschen Gletscherrückganges zu sehen bekommen.

Wie verschieden war doch dieses Bild hier zur Laienvorstellung über die Verhältnisse in Grönland; während man immer an flache Eiswüsten denkt, dehnt sich tief unter uns ein grüner See, umrahmt von kühn geformten Gipfeln, brennt die Sonne heiss vom Himmel - und peinigen uns Scharen lästiger Stechmücken. Unter den zahlreichen Blumen seien hier nur einige genannt: der Silberwurz ( dryas octopetala ), der mit seinen festen Polstern zwischen den Moränenblöcken sitzt, das Breitblättrige Weidenröschen ( chamaenerion latifolium ), das uns schon seit dem Ufersand herauf begleitete. In kleinen Büscheln, wie zum Schenken zurechtgemacht, stand die rundblättrige Glockenblume ( campanula rotundifolia ) da. Es gäbe noch viele Boten des Lebens an der Grenze zum ewigen Eis zu erwähnen, wie das Stengellose Leimkraut ( silène acaulis ), die Rosa-rote Fetthenne ( sedum rosea ), die Glöcklrenheide ( cassiope tetragona ) oder das Arktische Hornkraut ( cerastium alpinum ) u.a.... « Die Arktis ist ein blühender Garten », sagte einmal ein Mann zu mir, der sein Leben dort oben verbracht hatte. Nach etwa einer Stunde erreichten wir eine kleine Wiese am Rande eines hellgrünen Moränensees. Das ist ja die schönste « Märchenwiese », rief Hermann Köllensperger begeistert aus, der als Teilnehmer der Nanga-Parbat-Expedition 1953 das « Original » kannte. Wir anderen stimmten freudig ein. 10 Stunden später standen hier die Zelte unseres Hauptlagers und waren die notwendigsten Vorräte an Proviant und Ausrüstung herauf geschafft. Tief befriedigt sassen wir vor den Zelten auf dem weichen Tundraboden. Die halbe Nacht lang sahen wir dem Spiel der Lichter zu, die die Sonne von ihrer Reise über den nördlichen Horizont in die Täler und auf die Gipfel sandte. Die Mücken waren nun auch « zur Ruhe gegangen », und so war uns seit langem, eigentlich seit wir das Schiff in Island verliessen, die erste besinnliche Stunde gegeben. Eine Stunde, in der man vor dem Zelt sitzt, das Auge über diese gnadenreiche, vollkommene Landschaft schweifen lässt und sich dem traumhaft süssen Gedanken hingibt: jetzt bist du wirklich da, und was auch nun immer kommen mag, der Ausgang des Unternehmens ist in unsere eigene Hand gelegt. Papierene Genehmigungen, Kontoauszüge, die vielen « Aber » - wie fern war dies doch mit einem Mal. Morgen würden wir einen Berg ersteigen - einen Grönlandberg!

Am darauffolgenden Tage starteten drei Gruppen in drei verschiedenen Richtungen. Eine Mannschaft überquerte den Sefströmgletscher und folgte dem Unterlauf des Gullygletschers, um dessen Gangbarkeit für einen eventuellen Übergang nach Mestersvig zu untersuchen. Diese Untersuchung jedoch ergab, dass dieser Gletscher durch seine Zerrissenheit für unser Vorhaben nicht mehr in Betracht gezogen werden konnte. Eine zweite Seilschaft, Hermann Köllensperger und Dr. Fuchs, folgte dem Sefströmgletscher volle 25 km und erstieg an seinem Ende, am Ostabfall der Stauningsalpen, einen 2750 m hohen Gipfel. Als die Kameraden oben auf dem Gletscher standen, schätzten sie die Distanz bis zu ihrem Berg auf nur wenige Kilometer und rechneten in etwa 5-6 Stunden dort zu sein. Aber es wurden 12 Stunden daraus, und ihr Weg betrug 25 km in einer Richtung! Wir mussten erst lernen, Entfernungen in der klaren Luft richtig einzuschätzen - was uns übrigens nie richtig gelungen ist. Selbst erfahrene Seeleute haben in den Gewässern um Grönland immer wieder aus diesem Grunde Schwierigkeiten, und es fällt ihnen oft schwer, der unbestechlichen Radarscheibe zu folgen und nicht dem eigenen Gefühl. Köllensperger und Fuchs kehrten nach 35 Stunden wieder ins Hauptlager zurück. Der Sefströmgletscher wurde vor ihnen nur einmal von drei Mitgliedern der dänisch-staatlichen Grönlandexpedition unter Doktor Lauhge Koch betreten. Jedoch die herrliche Gipfelwelt war völlig unangetastet. Die dritte Gruppe, Ing. Sepp Huber, Kurt Gilg und der Verfasser, erwählten einen mächtigen Berg zwischen dem Fjordende und « Furesö », einem See, der durch den mächtigen Sperrgletscher aufgestaut wird. Nachdem wir mit unseren Faltbooten, einem Klepper Aerius und einem Klepper T6 den Fjordrest - der « Dämmen » genannt wird - überquert hatten, erreichten wir über Moränen und den Sperrgletscher hinweg den Fuss eines 2500 m hohen Berges, dessen Flanken mit zerrissenen Hängegletschern bewehrt waren. Die Gletscher schieden infolge ihrer Steilheit als Anstiegsweg aus, und wir folgten daher dem nördlichen Hauptgrat, der uns nach 23stündiger Kletterei auf die kleine Spitze führte. Der Aufstieg war zum Teil überaus schwierig und zwang zu ständigem Wechsel zwischen Eis- und Felsarbeit. Dieser Gipfel schenkte uns einen hervorragenden Einblick in die südlichen Teile des Bergkranzes, in dem meiner Meinung nach die grössten bergsteigerischen Aufgaben liegen. Die Wildheit aber der Gletscher, die in diesen Gebirgsteil führen, die bis ins innere Fjordsystem des Scoresbysund reichen, wird allen Versuchen grosse Schwierigkeiten entgegensetzen. Gegenüber dem Haupttal mit dem Fjord und dem Furesö breitet sich das Nathorst-land vor uns. Ein mächtiges Gletscherplateau mit einem in viele Gipfel aufgesplitterten Rand. Es sind interessante Felstürme mit dem für Restberge charakteristisch abgeflachten Gipfel, die meist mit dicken Eishauben bedeckt sind. Bergsteigerisches Neuland von geradezu unerschöpflichen Möglichkeiten! Deutlich zeigt sich uns auch der Foresö in der Tiefe. An seinem Ufer ist klar erkenntlich ein heller Streifen sichtbar, der vegetationsarme Ufergürtel, der die zeitweilige Höhe des Wasserspiegels im See anzeigt. Der See füllt sich periodisch an und stürzt dann auf den 70 m tiefer gelegenen Fjord hinunter. Wie wir später feststellen konnten, reicht die Höhe der obersten Strandlinien bis 100 m über den See hinauf. Während unseres Aufenthalts am See stieg der Wasserspiegel in 48 Stunden um ca. 1,30 m!

Der Abstieg von unserem Berg, den wir das « Eckhorn » nannten, bereitete uns beträchtliche Schwierigkeiten. An einigen Stellen mussten wir über überhängende Felsen abseilen, und wir erreichten mit dem letzten Mauerhaken die Schneerinnen der unteren Bergzone, die uns ein leichtes Tieferkommen ermöglichten. 72 Stunden nach dem Aufbruch erreichten wir wieder das Hauptlager. Während der Tour hatten wir uns insgesamt 5 Stunden Rast gegönnt. Das anhaltende Tageslicht ermöglicht einen viel wirkungsvolleren Einsatz der physischen Kräfte, da durch das Wegfallen der Biwaknotwendigkeit viele Kräfte frei werden. Bei vorausgesetzter guter Kondition können Bergstöcke überschritten werden, die vielleicht sonst unter den gegebenen Verhältnissen nicht einmal versucht werden könnten. Hias Koglbauer, der mit Dr. Hoff und Gillis Billing auf dem Gullygletscher war und vor uns ins Hauptlager zurückkehrte, hatte mit dem Glas lange nach uns Ausschau gehalten. Als er endlich die beiden Boote als winzige Pünktchen tief unten am Fjord auftauchen sah, eilte er uns mit einer Feldflasche voll Tee entgegen. Welch ein herrlicher Kamerad!

Nachdem nun unsere ersten Erkundungserfahrungen beisammenlagen, dem, was wir aus Büchern und Luftphotos wussten, unseren eigenen Eindruck hinzufügen konnten, legten wir das Programm für die nächsten Schritte fest. Koglbauer, Gilg und Dr. Hoff errichteten oben auf dem Sefströmgletscher in einzigartiger Position ein Hochlager. Köllensperger und Billing erstiegen einen Gratgipfel, der direkt über unserem Hauptlager stand und Einblick in die nächsten Täler gewährte. Der Rest der Mannschaft, Ing. Huber, Dr. Fuchs und ich, setzte über den Fjord und schleppte die Boote über den Sperrgletscher, um auf dem Furesö bis an sein Ende, der Mündung des Violinbrae ( brae = Gletscher ) vorzudringen. Interessante geologische Detailstudien und geographische Beobachtungen sowie ein schöner Gipfel waren der Lohn für diese Anstrengung. Während dieser Woche erlebten wir einige Male Schlechtwetter, stürmische Winde, Nebel und leichte Niederschläge. Am Fjord Regen und in den Bergen Schneefall. Diese Wetterstörung sollte, abgesehen von einigen anderen unbedeutenden Eintrübungen, die einzige Unterbrechung des stets herrschenden Schönwetters bedeuten. Nachdem diese Aktion abgeschlossen und alle Mann wieder erholt waren, setzte der Aufstieg ins neu errichtete Hochlager ein. In zwei Trupps wurde mit Hilfe von « pulkas », das sind den Lappenschlippen nachgebaute Schlitten, wie sie die schwedischen Bergsteiger bei Wintertouren in den entlegenen Gebirgen Lapplands verwenden, die restliche Ausrüstung hinaufgeschafft Das Lager war etwas in das dritte nordöstlich verlaufende Seitental gelegt worden. Von diesem idealen Punkt aus konnten wir mit den Ski rasch und mit nur geringem physischem Aufwand an interessante Gipfel herankommen und lernten systematisch alle Seitentäler des Sefströmgletschers kennen. Insgesamt erstiegen wir von diesem vorgeschobenen Stützpunkt aus noch 14 Gipfel. Die wilde Zerrissenheit der Stauningsalpen - und diese sind wieder nur ein kleiner Teil der ostgrönländischen Gebirgswelt - übertrifft die kühnsten Erwartungen. Die prachtvolle Gletscherwelt ist umstanden von zahllosen Gipfeln, deren Formen nur mit den schönsten der Alpen verglichen werden können. Der grobkörnige Granit, die hellen Sommernächte und die mit Ski sehr gut befahrbaren Gletscher haben sich hier zu einem wahren Bergsteigerparadies zusammengefunden. Alle Teilnehmer unserer Expedition hatten Fahrten im Himalaya, in Kleinasien, in Spitzbergen und Alaska oder Touren, die zum Grössten und Schwersten der Alpen gehören, hinter sich. Ich erwähne dies hier nur, um zu zeigen, dass wir wirklich Vergleichsmöglichkeiten besassen, da unser Urteil über die Staunings leicht für übertrieben empfunden werden könnte.

Während des Tages weichte die Sonne den Schnee auf den Gletschern stark auf. Dies veranlasste uns, die Touren während der Nacht zu unternehmen. Um 20 Uhr, wenn die Sonne vom Lager wich, zogen wir allabendlich in kleinen Trupps mit den Ski los, um am nächsten Vormittag wieder zu den Zelten zurückzukehren. Auf diese Weise durchstreiften wir die interessantesten Teile der Bergwelt des Sefströmgletschers und erstiegen die jeweils übersichtlichsten Berge. Natürlich spielte die zu erwartende Schwierigkeit bei der Auswahl des Gipfels eine erhebliche Rolle. Denn wir wollten bergsteigerische Schwierigkeiten so gut es ging vermeiden. Trotzdem mussten an einzelnen Aufstiegen Stellen mit Schwierigkeiten bis zum 5. Grad bewältigt werden. Da wir das Glück hatten, in einem Teil der Stauningsalpen tätig sein zu können, in dem vor uns noch keine Gipfel erstiegen waren, war die Auswahl an Gipfeln einfach überwältigend. Unser erstes Bestreben war es daher, einen Überblick über dieses Gipfelgewirr zu erhalten und es weitgehend photographisch festzuhalten. Während der Nacht fanden wir an den Bergflanken meist idealen Hartschnee, der mit den Steigeisen ein zügiges Vorwärtskommen ermöglichte. Da die Touren meist die ganze Nacht dauerten, gelangten wir immer erst am Vormittag zur Abfahrt, gerade in der Zeit des ersten Auffirnens, was nicht nur weitestgehend unfallsicheres Fahren ermöglichte, sondern kaum zu beschreibenden Hochgenuss bereitete. Wir erlebten die vollendete Harmonie zwischen Bergsteigen und Skilauf. Eisbrüche, die ohne Ski nur durch langwieriges Sondieren und sorgfältiges Sichern bewältigt werden könnten, konnten so rasch und sicher passiert werden. Nur dadurch, dass uns zeitraubende und mühselige Rückmärsche erspart blieben, konnten wir unser reichhaltiges Programm erfüllen.

Der Plan jedoch, die Stauningsalpen zu durchqueren und Mestersvig zu Fuss mit all unserer Ausrüstung zu erreichen, konnte nicht ausgeführt werden. Die Übergänge zu den ins Skeldalen abfliessenden Gletschern ( vor allem Bersaerker brae ) waren von solch schwieriger Beschaffenheit, dass wir nur unter Verzicht auf wertvolle Ausrüstung das Ziel erreicht hätten. Dies bewog uns, den Plan zu ändern und den Fjordweg nach Mestersvig zu wählen.

Als nach einer sehr ergiebigen Periode von acht Tagen der Proviant im Hochlager zur Neige ging, fuhren wir ins Hauptlager ab und stiegen weiter zum Strand, um neue Vorräte hinaufzuschaffen. Ich selbst stieg bei diesem neuen Vorstoss in die innerste Berggruppe nicht mit auf, sondern bestieg mein Faltboot ( Klepper T6 Einer ), um die etwa 120 km lange Strecke zur Mine hinauszupaddeln. Meine Fahrt führte durch den Alpefjord, Segelsällskapets Fjord und Kong Oscars Fjord immer entlang einer gebirgigen Küste, von der reissende Flüsse in den Fjord stürzten und an geschützten Stellen unbewohnte Fangsthütten ( Jagdhütten ) zu sehen waren. Das schwierigste an dem Unternehmen war die Durchfahrung der schmalen Wasserrinne vor der Stirnfront von Gully- und Sefströmgletscher. An einer Stelle betrug die Wasserbreite kaum 100 m, was angesichts der 40 m hohen Gletscherfront sehr eng war. Dadurch aber, dass sich die beiden Gletscher aneinander abstossen, erfolgen die meisten Kalbungen nicht gerade nach vorn, sondern nach beiden Seiten, wo durch das Zurücktreten der Eismauern der Fjord viel breiter ist und keine unmittelbare Gefahr für mich bestand. Die zweite Schwierigkeit bereitete mir die Strömung an der Mündung des Segelsällskapets Fjord in den weit mächtigeren Kong Oscars Fjord mit seiner direkten Meeresströmung. Es gab dort sehr hohe Wellen, die ich schräg überfahren musste, und ausserdem wurde mein Boot durch die Gewalt des Wassers kurz vor der ebenfalls unbesetzten Fangstation Kap Petersen in ein Gewirr aus dem Wasser ragender Felsbrücken getrieben. Es war ausserordentlich schwierig, durch das gischtende Wasser, das an schwieriges Wildwasser auf Alpenflüssen erinnerte, wieder auf das freie Wasser hinauszukommen Nach einer Nächtigung in der Fangsthütte am Eingang des Skeldals erreichte ich nach insgesamt 15 Fahrstunden mein Ziel, Mestersvig. In der Minensiedlung traf ich Landsleute, Österreicher, die hier als Bergleute und Ingenieure beschäftigt waren. Von der Minendirektion erfuhr ich, dass der Schiffahrtsplan durch das frühe Schliessen des Treibeises in diesem Jahr völlig verändert sei. Man erwartete nur noch zwei Schiffe anstatt vier oder sechs, und selbst die Ankunft dieser zwei schien äusserst fraglich. Für uns ergab sich dadurch die Notwendigkeit, rasch nach Mestersvig zu kommen, um nicht die letzte Gelegenheit der Heimreise in diesem Jahr zu versäumen. Herr Schiffsreeder Knud Lauritzen erklärte sich liebenswürdigerweise bereit, uns und unser Gepäck mit seinem Motorboot « Vippa Dan » von Dämmen abzuholen. Herr Lauritzen ist während des ganzen Sommers in Mestersvig und leitet die Operationen seiner Schiffe, die das gewonnene Zink- und Bleikonzentrat nach Europa verschiffen. Hauptsächlich gehen die Ladungen nach Deutschland und Belgien. Mein kleines Kajak wurde auf « Vippa Dan » vertäut, und nach genussreicher eintägiger Fahrt waren wir wieder im Hauptlager, wo fast gleichzeitig mit uns die Truppe vom Hochlager eintraf. Herr Lauritzen und seine beiden Begleiter waren einen Tag lang Gäste in unserem Lager. Zur Überraschung der Kameraden öffnete Herr Lauritzen eine Kiste mit Orangen, Äpfeln und Bananen - für diesen Punkt der Erde ein ganz aussergewöhnlicher Anblick und für uns, die wir nach frischen Früchten ausgehungert waren, wohl die denkbar schönste Abwechslung zu den Konserven und Haferflocken.

Die Kameraden hatten in der Zwischenzeit 5 Gipfel erstiegen, darunter den kühnsten der Bergwelt am Sefströmgletscher. Herr Lauritzen fuhr mit « Vippa Dan » am nächsten Tag wieder ab, um in einem Fjord Lotungen durchzuführen, und versprach uns nach einigen Tagen wiederzukommen In der Zwischenzeit räumten wir das Hochlager und brachten alles an den Strand, was mitgenommen wurde. Zurück blieb, was durch die Abnützung nicht mehr die Transportkosten in die ferne Heimat lohnte, Steigeisen, Pickel, Eishaken usw. Wie es in der Arktis üblich ist, haben wir die Lage der Gegenstände durch Steinmännchen bezeichnet.

Es war der richtige Augenblick, die Expedition zu beenden, denn von den Bergen flössen nun in dichten Schwaden graue Herbstnebel hernieder. Es begann leise zu schneien. Das Schönwetter hatte während eines Monats kaum wahrnehmbare Störungen erlitten, nun aber war es mit einem Schlag vorbei.

Nachdem uns « Vippa Dan » nach Mestersvig gebracht hatte, schlugen wir unsere Zelte nahe der Siedlung auf und warteten auf das Schiff zur Heimreise. Gillis Billing und Dr. Hoff flogen mit einem zufällig vorbeigekommenen Flugzeug über Island nach Kopenhagen. Wir 6 übrigen unternahmen Touren an den Ostrand des Gebirges oder fuhren mit den Faltbooten an der Küste entlang. Bei diesen Fahrten hatten wir öfters packende Erlebnisse mit den Moschusochsen. Der « umingmak » - « der Bärtige » -, wie die Eskimos den Moschusochsen nennen, ist ein Überbleibsel aus der Eiszeit und lebt heute nur noch in den unbewohnten Gebieten Nordamerikas und auf Grönland Schon während der ganzen Expedition hatten wir die weiche Unterwolle der Tiere, die sie im Sommer abstreifen, gefunden, aber nie die Tiere selbst. Erst hier in den weiten Gras-tälern, zwischen Küste und Gebirgsrand, begegneten wir einigen Herden. Es gehört zu jenen Urwelterlebnissen, die heute schon so selten geworden sind, diesem Tier, das bis zu einer halben Tonne schwer wird, in freier Wildbahn waffenlos gegenüberzustehen.

Als dann Ende August die beiden eisbrechenden Frachtschiffe « Kista Dan » und « Thora Dan » durchkamen, war die Sonne schon wieder so weit nach dem Süden gewandert, dass es während der Nacht völlig finster wurde. Die Arktis bereitete sich auf die lange und harte Winternacht vor.

Anfangs September fuhren wir durch das dichte Treibeis vor der Ostküste der Heimat entgegen. Langsam manövrierte das Schiff durch ein Labyrinth von Eisschollen und sich rasch verändernder Wasserrinnen. Das Schiff war rot gestrichen, um von den Eisaufklärungsflugzeugen leichter gesehen zu werden. Kapitän und Mannschaft hatten alle Hände voll zu tun, um bei den schwierigen Verhältnissen das Schiff heil hindurchzubringen. Am dritten Tag der Fahrt erreichten wir vor der Küste des Liverpoollandes Wasser, das nur noch spärlich mit Eisschollen bedeckt war.

Nun konnte das Schiff gegen Osten abdrehen und erreichte bald das eisfreie Wasser des Nordatlantik. Gegen einen Himmel unsagbarer Farbtönungen hoben sich schwarz und kantig die zahllosen Felspyramiden der Gebirge ab. Langsam wurde der Zackensaum kleiner, entschwand -und erstand im Reiche der Erinnerung neu und unvergänglich. Wir hatten eine Bergwelt kennengelernt, die noch ganzen Reihen von Bergsteigergenerationen jenes erlesene Glück zu schenken vermag, das wir « Neuland » nennen.

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