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Wetter und Bergsteigen

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von J. C. Thams

( Locarno-Monti ) Wer die vielen Bände dieser Zeitschrift durchblättert, wird zahlreiche Berichte von beglückenden Bergfahrten finden, auf denen bei strahlendem Sonnenschein hohe Gipfel erstiegen oder neue Routen begangen wurden. Aber auch die traurigen Nachrichten fehlen nicht. Sie erzählen uns von dem schweren Kampf, den Bergsteiger zu bestehen hatten, wenn Fels, Eis und Wetter-gewalten sich gegen sie verbündeten. Und nur zu oft war der Mensch in diesem Ringen der Unterlegene!

Wir heute Lebenden haben zum ganzen Wettergeschehen ein völlig anderes Verhältnis als unsere Vorfahren. Die Entwicklung der Schweiz vom Agrarland zum hochentwickelten Industriestaat, die damit einsetzende Landflucht und Verstädterung haben es mit sich gebracht, dass ein immer grösser werdender Teil unserer Bevölkerung Beschäftigungen nachgeht, die weitgehend vom Wetter unabhängig sind. Auch auf unserem Wege zur Arbeit sind wir heute gegen die Unbilden des Wetters weitgehend geschützt; wir besteigen das im Winter gut geheizte Verkehrsmittel, und die paar Schritte von der Haltestelle zum Arbeitsplatz sind nicht der Rede wert. So interessiert das Wetter viele Menschen heute wirklich nur noch an Sonn- und Feiertagen, wenn sie nach einer Woche anstrengender Arbeit in Fabriken und Büros endlich ins Freie hinaus können, sei es auch nur, um an einem « weltbewegenden » Match das gute Funktionieren ihrer Stimmorgane zu prüfen. Dieser Drang ins Freie macht es begreiflich, dass heute wohl mehr denn je Bergtouren auch dann unternommen werden, wenn die Wetterverhältnisse nicht gerade günstig sind.

Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass manche Enttäuschung und auch mancher Unglücksfall in den Bergen unterblieben wäre, wenn man der Wetterentwicklung grössere Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Es wäre ungewöhnlich lehrreich, einmal zu untersuchen, welchen Anteil das Wetter bei Bergunglücken gehabt hat. Man hat solche Untersuchungen bei Lawinen- 1 Egger C, Aiguilles. Ein Bergbüchlein. Verlegt bei Orell Füssli, Zürich.

Unglücken bereits mit Erfolg durchgeführt und wertvolle Erfahrungen sammeln können. Kaum ein Sport ist so eng mit den atmosphärischen Verhältnissen verbunden wie das Bergsteigen!

Nun, die Berücksichtigung des Wetters bei Touren in unseren schönen Bergen scheint doch eine höchst einfache Angelegenheit zu sein. Man steckt zwanzig Rappen in einen Telephonautomaten und hört ab Stahlband die Schilderung der allgemeinen Wetterlage und die Prognosen, oder man lässt sich von einem Fachmann der Meteorologischen Zentralanstalt beraten. So wertvoll und geradezu unentbehrlich diese modernen technischen Einrichtungen heute sind, so sehr muss doch darauf hingewiesen werden, dass sie den Bergsteiger und vor allem den Führer nicht von der Aufgabe entbinden, die Wetterentwicklung auf Touren mit eigenen Augen aufmerksam zu verfolgen.

Die wissenschaftliche Meteorologie hat in den letzten Jahrzehnten einen gewaltigen Aufschwung genommen. Ein Netz von Tausenden von meteorologischen Beobachtungsstationen umspannt den Erdball, und wir können uns heute mit Hilfe der modernen Übermittlungstechnik in einigen Sekunden über das Wetter in irgendeinem Teil der Erde orientieren lassen. Auch die Verhältnisse in den höchsten Atmosphärenschichten kennen wir dank der Radio-sondenaufstiege recht gut. Heute verlässt kein grosses Verkehrsflugzeug unsere Flughäfen, ohne dass es über das Wetter auf seiner Flugroute und an seinem Landeplatz orientiert würde, und es handelt sich hier zuweilen um sehr lange Flugstrecken. Der meteorologische Dienst ist heute wohl eine der grössten und am besten funktionierenden internationalen Organisationen. Trotz unserer stets wachsenden wissenschaftlichen Erkenntnis und trotz einer hervorragenden Organisation gibt es aber immer noch einen bestimmten Prozentsatz von Wetterprognosen, der nur teilweise richtig oder auch ganz falsch ist. Wegen dieser « Nieten » aber den ganzen Wetterdienst verurteilen zu wollen, ist gewiss nicht berechtigt. Wir sind leider so veranlagt, dass ein verregneter Sonntag viel stärker in unserem Gedächtnis haftet, als zehn schöne es tun. Betrachtet man die ungeheure Mannigfaltigkeit der meteorologischen Vorgänge, die man nur mit jener der Lebensvorgänge vergleichen kann, so muss man sich doch wundern, wie viele richtige Prognosen von den Wetterdienststellen herausgegeben werden.

Die Schwierigkeit der Wetterprognose besteht vor allem in folgendem: Oft kennt der Meteorologe den Ablauf der Ereignisse, d.h. er kann uns sagen, dass z.B. eine Kaltfront mit Gewitter und Regen von Nordwesten heranrückt, aber er kann den Zeitpunkt des Eintreffens nicht genau genug abschätzen. Oder aber der Zeitpunkt war richtig, aber das Ausmass der Störung konnte nicht bestimmt werden, z.B. fiel die Temperatur stärker als angenommen wurde, oder die Niederschläge waren heftiger. Diese Schwierigkeiten, mit denen alle Prognostiker zu kämpfen haben, werden bei uns noch durch die Vielgestaltigkeit des Landes, vor allem durch das mächtige Strömungshindernis, die Alpen, vergrössert.

In unserem durch Berge und Täler zerklüfteten Gebiet sind die Wetterverhältnisse von einer geradezu unvorstellbaren Kompliziertheit. Die gleiche Wetterlage, die auf der Alpennordseite tief herabhängende Wolken mit schauerartigen Niederschlägen verursacht, lässt auf der Südseite den Himmel im herrlichsten Blau erstrahlen. Viele Reisende, die durch den Gotthardtunnel fahren, sind von diesem Wechsel der Szenerie immer wieder überrascht. In einem Tal zieht sich die Nebeldecke weit hinauf, während das benachbarte vollkommen frei ist.

Es ist nun aber aus einleuchtenden Gründen nicht möglich, für alle Wettergebiete unseres Landes Spezialprognosen herauszugeben. Heute wird bei uns mindestens zwischen dem Wetterablauf auf der Alpennord- und Alpensüdseite unterschieden. Aber es würde zu weit führen und eine ungewöhnlich grosse Organisation erfordern, wollte man die Prognose getrennt für das Ober-und Unterwallis, das Engadin, das Lötschental, das Bergeil, den Jura usw. geben.

Hier kann nun der meteorologisch interessierte Laie und vor allem der Berggänger eine ebenso reizvolle wie zweckmässige Aufgabe übernehmen. Die allgemeine Wetterlage hat in jedem Winkel unseres Landes ihre besonderen Auswirkungen; es kommt nur darauf an, diese sorgfältig zu beobachten und zu studieren. Dazu bedarf es keines kostbaren Instrumentariums; ein paar scharf beobachtende Augen genügen! Wer noch Wetterglas und Thermometer zur Hilfe nehmen will, kann seine Beobachtungen damit bereichern. Es sind vor allem die Wolken und die Winde, die uns Auskunft darüber geben, was in der Atmosphäre vor sich geht. Und hier kann man auch bei unseren Alpinisten die merkwürdigsten Erfahrungen machen. Für die meisten Menschen sind Wolken eben Wolken; sie können die einfachsten Formen voneinander nicht unterscheiden. Nicht selten trifft man sogar auf dem Lande hochbetagte Leute an, die noch nie in ihrem Leben den grossen Sonnenring, einen Halo, gesehen haben. Er ist eines der sichersten Zeichen für eine Wetterverschlechterung innerhalb von 24 Stunden. So wie man unsere jungen Alpinisten lehrt, mit Seil, Pickel und Ski umzugehen, so notwendig erscheint uns, ihnen die elementarsten meteorologischen Kenntnisse zu vermitteln. Ich kenne ein altes Mitglied des SAC, das — seines Zeichens Kaufmann — in seinen Jünglingsjahren für sich eine kleine meteorologische Station eingerichtet hat und sie heute mit 85 Jahren immer noch betreut. Er hat einen beträchtlichen Schatz von Erfahrungen sammeln können und mir oft erzählt, wie er eine Tour abgebrochen habe zu einer Zeit, da seine Kameraden Anzeichen einer schweren Wetterverschlechterung noch nicht erkennen konnten, die aber dann wirklich eintrat. Alpinisten, die schwere Hochgebirgstouren unternehmen, sollten beim Anblick des Wolkenhimmels einigermassen entscheiden können, ob für die nächsten Stunden gefahrvolles Wetter im Anzuge sei oder nicht. Im Aktivdienst des vergangenen Weltkrieges haben viele Berufsmeteorologen die überraschende Erfahrung machen können, dass viele Laien, einmal mit den einfachsten meteorologischen Grundbegriffen vertraut gemacht, und vor allem mit Hilfe sehr genauer Augbeobachtungen, im Stande waren, erstaunlich gute Lokalprognosen zu stellen. Man musste sich oft wundern, wie diesen meteorologischen Detektiven auch die leisesten Veränderungen im Wetterwinkel nicht entgingen. Während des Krieges war der internationale Austausch der meteorologischen Meldungen praktisch ganz unterbunden; die Schweiz erhielt nur einige wenige Meldungen aus Spanien und Portugal; man war also zur Hauptsache auf das angewiesen, was man selbst sah.

Gewiss verfügen unsere alten, erfahrenen Bergführer über ein grosses Wetterwissen in ihrem Gebiet; sie haben geradezu einen Wetterinstinkt. Souverän deuten sie die Vorgänge am Himmel. Aber dieses Wissen ist nicht lehrbar. Wird der Bergführer aus seiner engern Heimat in ein ihm unbekanntes Gebiet der Alpen versetzt, so werden seine Prognosen unsicher. Und dann werden heute doch viele Touren ohne den wetterkundigen Führer unternommen!

Ganz abgesehen von dem eminent praktischen Wert eigener Wetterbeobachtungen, stellen diese auch eine grosse innere Bereicherung dar. Man betrachtet die Vorgänge am Himmel mit anderen Augen, wenn man weiss, was die Metamorphose der Wolken zu bedeuten hat. Es ist ein spannendes Erlebnis, im Gebirge das Vorrücken einer Wetterfront in allen Phasen zu verfolgen. Wetter ist ja nichts anderes als ein Kampf verschiedener Luftmassen miteinander, und die Zonen, in denen sie aufeinanderprallen, nennen wir Fronten. Es gibt heute zahlreiche gute, allgemeinverständliche Werke über Wetterkunde, die, mit vielen Wolkenphotos ausgestattet, den Leser in die Geheimnisse der Meteorologie einführen, und dann sollte man Meteorologen bitten, Vorträge zu halten und Demonstrationen zu geben, um die Vorgänge am Himmel zu erklären. Leider fehlt in der Literatur immer noch ein kleines Büchlein über Wetterkunde, das sich speziell mit den Wettererscheinungen in unseren Bergen befasst. Aber es sollte wirklich ein Taschenbuch mit vielen charakteristischen Wolkenbildern sein.

Oft werden die Meteorologen gefragt, ob es nicht möglich sei, ein paar Regeln zusammenzustellen, mit deren Hilfe man die Wetterentwicklung voraussagen kann. Nun, es gibt zahlreiche Regeln, aber der Charakter des Wetters ist zu komplex und die Gefahr der schablonenhaften Anwendung dieser Regeln ist zu gross, als dass sie einen wirklichen Wert haben könnten. Es braucht viel mehr zur Erfassung der Wetteryorgänge, und nur langsam und durch dauernde Beobachtung bekommt man ein Gefühl für dieses wundervolle Spiel in der Atmosphäre.

Die Meteorologie kann heute mit ihrem gewaltigen Beobachtungsapparat hinreichend sichere Prognosen nur für eine Gültigkeitsdauer von 24 Stunden geben, in besonderen Fällen auch wohl für zwei bis drei Tage. Was bisher nicht gelungen ist, das ist eine einigermassen sichere Vorhersage für mehrere Wochen oder gar Monate, also eine sogenannte Langfristprognose. Obgleich die Bedeutung einer solchen Prognose für viele Zweige der Wirtschaft und des Verkehrs nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, sind wir trotz einiger Einzelerfolge doch noch sehr weit von diesem Ziel entfernt. Besonders in unserem Lande stellen sich der Lösung dieses Problems fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Wir müssen also in unseren Anforderungen viel bescheidener sein und fragen, ob die Meteorologen uns dann nicht sagen können, ob es gewisse kurze Perioden im Jahre gibt, die z.B. für Bergsport ungeeignet sind. Viele mögen hier an das berüchtigte Weihnachtstauwetter denken, das schon manchem Skifahrer die Winterferien verdorben hat und sich mit einer geradezu erstaunlichen Regelmässigkeit einstellte. Singularitäten nennen die Meteorologen diese Erscheinung. Nun, dieses weihnachtliche Tauwetter, diese kalender-mässige Bindung des Wetters war besonders in der Periode 1906-31 ausgeprägt; nachher verschwand diese Regelmässigkeit. Und so ist es auch mit vielen anderen Singularitäten. Für den kronkreten Fall nützen sie nichts. Empfiehlt man den Hochtouristen, in diesem Jahre keine Skiferien um die Weihnachtszeit zu machen oder Hochtouren im ersten Drittel des Monates August zu unterlassen, so kann es einem passieren, dass just zu diesen Zeiten das günstigste und prachtvollste Wetter herrscht.

Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als jeden Fall besonders zu behandeln, uns durch Meteorologen beraten zu lassen und alle unsere Sinne zu öffnen, um selber Einblick in die verwickelten Witterungsvorgänge zu gewinnen, um im konkreten Fall aus eigener Anschauung Entscheidungen treffen zu können. Das ist gewiss eine schöne und lohnende Aufgabe in unserer von zu vieler Technik beherrschten Welt!

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