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Zur Ersteigungsgeschichte des Olymp

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Ing. Edwart Richter ( mit Einführung von Marcel Kurz, Sektion Bern ).

Einführung.

Die Leser des Jahrbuchs erinnern sich vielleicht noch, in den Zeitungen vom Juni-August 1911 von den Mühsalen gelesen zu haben, welche sich die ottomanische Polizei auferlegen musste bei der Suche nach einem deutschen Reisenden, der in die Hände der Räuber am Olymp gefallen war.

Dieser Reisende war kein anderer als Herr Edwart Richter, ein Mitglied des S.A.C. und heute noch Ingenieur der Firma Zeiss in Jena. Gegen ein ungeheures Lösegeld freigelassen und in die Heimat zurückgekehrt, veröffentlichte Richter bei Born in Leipzig eine kleine Schrift, betitelt: « Meine Erlebnisse in der Gefangenschaft am Olymp. » Diese unter dem lebhaften Eindruck der ausgestandenen körperlichen und seelischen Leiden verfasste Schrift ist eine fesselnde Lektüre und gibt ein anschauliches Bild von der Organisation und dem Leben der Klephten. Der Leser findet weiter unten eine Zusammenfassung dieser Schrift in des Autors eigenen Worten. Bevor er in die Hände der Räuber geriet, hatte Richter zweimal den Olymp bereist, in den Jahren 1909 und 1910; aber die Resultate dieser beiden Forschungsreisen waren niemals veröffentlicht worden.

Der Redaktor des Jahrbuches hat mich beauftragt, die Leser darüber aufzuklären, wie es zuging, dass die Berichte über die Reisen Richters hier zum Abdruck kommen und warum ihnen der Rahmen fehlt, den ihnen der Unterzeichnete in der Form einer vollständigen Erforschungsgeschichte des Olymp zugedacht hatte. Anlässlich meiner topographischen Reisen im Olympgebirge im August 1921 ( siehe Alpina 1921, Seite 176-177 ) hatte ich keine Zeit gehabt, mich zum voraus über die Besteigungsgeschichte dieses Gipfels zu orientieren. Ich hatte wohl von den Abenteuern des Herrn Ing. Richter gehört und Vorkehren getroffen, um nicht die gleiche Gefahr zu laufen. Während meines kurzen Aufenthaltes in Kokkinoplos, dem höchstgelegenen walachischen Dorfe des Massivs, machte ich die Bekanntschaft des berüchtigten Liolios, des Hauptes der Bande, deren unfreiwilliger Gast Richter während drei Monaten gewesen war. Man hatte mir seine Anwesenheit im Dorfe angezeigt, und nach längerem Zögern entschloss er sich zu einem Besuch in unserem Biwak. Bei dieser Gelegenheit gelang es mir, ihn in Gesellschaft eines andern Klephten der Gegend zu photographieren.

Ich hatte erfahren, dass vier von seinen Anhängern mit ihrem Anteil am Lösegeld nach Amerika geflohen waren, ein fünfter die benachbarte Gegend von Sarandaporos bewohnte, und dass er selber, nachdem er erst Räuber, dann Distriktsförster in hellenischen Diensten gewesen war, nun friedlich in der Nähe von Tirnavos ( Thessalien ) von seinen Renten lebte. Er war nach Kokkinoplos hinaufgestiegen in die Sommerfrische und wohnte augenblicklich bei Freunden. Man versicherte mir, dass er in der ganzen Gegend einen ausgezeichneten Ruf geniesse, ebenso gefürchtet wie geachtet, und dass er wegen seiner frühern Missetaten niemals belästigt worden sei.

Man mag sich darüber wundern, dass ein Mann, dessen Gewissen so mit Verbrechen belastet ist, sich unbestraft frei bewegen darf. Man muss sich aber vor Augen halten, dass diese ganze Gegend seit 1912 zu Griechenland gehört und dass Liolios von der türkischen Polizei nichts mehr zu fürchten hat.

Nach Saloniki zurückgekehrt, gelang es mir, die Richtersche Broschüre zu erwerben und mit dem Autor in Briefverkehr zu treten, indem ich ihm die Photographie von Liolios zuschickte. Richter benachrichtigte mich, dass er zwei Jahre mit dem Studium der Bibliographie des Olymp zugebracht habe und dass seine Reiseberichte nur in Handschrift vorhanden seien. Ich redete ihm lebhaft zu, seine Arbeit zu veröffentlichen, und wir beschlossen, uns zu einem historischen Überblick der Erforschung des Götterberges zu vereinigen. Diese Studie war für das gegenwärtige Jahrbuch bestimmt. Unterdessen veranlasste mich meine Wissbegierde, in der Geschichte des Olymp weiter hinaufzugehen. Nach mehreren Monaten der Forschung in den Schätzen der Nationalbibliothek in Athen hatte meine Studie einen solchen Umfang angenommen, dass ich nicht mehr daran denken konnte, sie im Rahmen des Jahrbuches unterzubringen. Verglichen mit der Geschichte eines unserer Alpengipfel, ist die des Olymp ungleich verwickelter, geheimnisvoller und aufregender, denn sie umfasst einen Zeitraum von beinahe dreitausend Jahren, von Homer bis heute. Ich habe mich daher entschlossen, die Resultate meiner Expedition und meiner Nachforschungen in der Form einer Monographie zu veröffentlichen, welche wahrscheinlich zu gleicher Zeit wie dieses Jahrbuch erscheinen wird * ).

Der Artikel von Herrn Richter erscheint also im nachfolgenden wörtlich und ausführlich, wie er im Manuskript steht, während er in dem ihm ursprünglich zugedachten Zusammenhang hätte stark verkürzt werden müssen.

Dieser Artikel führt uns ungefähr 15 Jahre zurück, in eine Zeit, wo die griechisch-türkische Grenze noch auf dem Untern Olymp verlief, von den Schluchten von Tempe, welche der Peneios durchfliesst, bis zum Melunapass, welcher Larissa mit Elassona verbindet. Die ganze Gipfelregion des Olymp war also türkisch und zwischen den Vilayets von Saloniki und Monastir geteilt. Man wird sich also nicht verwundern, im Text einer grossen Menge türkischer Wörter und Einrichtungen zu begegnen, welche seitdem bedeutend vereinfacht worden sind.

* ) Le Mont Olympe, par Marcel Kurz; un volume grand 8° avec de nombreuses illustrations hors texte; 4 panoramas, 3 plans et une carte au 1: 20,000 du Haut-Olympe.

Man weiss, dass der Olymp zu jener Zeit sehr wenig bekannt war, Richter hatte zu seiner Wegleitung die veraltete, wenn auch recht genaue Beschreibung von Barth, der das Massiv im Oktober 1862 von Kokkinoplos nach Litokhoro durchquerte, und als Karte die des österreichischen Generalstabes im Massstab 1: 200,000, welcher grobe Fehler anhaften.

Zeitlich fallen die Reisen Richters zwischen die geologischen Forschungen des Serben Professor Cvijic ( 1904—1905 ) und die Expedition unserer Genfer Kollegen Boissonnas und Baud-Bovy(1913 ), und es kommt ihnen ein nicht zu verkennender geographischer Wert zu. Abgesehen von seinen sehr genauen und ausführlichen Beschreibungen, hat Richter die Höhe einer beträchtlichen Anzahl wichtiger Punkte festgestellt und so viele Mängel und Irrtümer der österreichischen Karte behoben.

Was er anderseits seine Misserfolge nennt, sehe ich im Gegenteil als wahre Leistungen an, besonders seine erste Traversierung ( 1909 ), die er zum grössten Teil allein und unter ungünstigen Verhältnissen durchführte.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass der wackere Forscher, wenn er den Olymp zur günstigsten Jahreszeit, d.h. im Juli oder August bereist hätte, bis zur höchsten Spitze gelangt wäre. In dieser Hinsicht könnte man vielleicht erstaunt sein, nicht mehr Einzelheiten zu finden über die höchsten Gipfel, die Richter doch zu wiederholten Malen gesehen und deren Bezwingung ja das Ziel seiner Reisen gebildet hat.

Marcel Kurz.

Edwart Richter. Meine erste Reise zum Olymp.

( Auszug aus einem Manuskript. ) Im Jahre 1909 war es mir vergönnt, der mich seit frühester Jugend erfüllenden Sehnsucht nach Griechenland, als dem Lande der bisher höchsten Kulturen twicklung, folgen zu können. Die Reise wurde ausser von dem kulturhistorischen Interesse auch von meiner Vorliebe für Geographie geleitet. Letztere bestimmte mich, zur Hinfahrt den ungewöhnlichen Landweg zu wählen. Die Eisenbahn endete damals in Salonik ( türkisch Selanik, griechisch QsaattXovi'xrj ). Der sich anschliessende Landweg führt am Götterberg der alten Hellenen vorbei. Als begeisterter Alpinist beschloss ich, ihn unterwegs zu besteigen. Durch die liebenswürdige Vermittlung des Präsidenten vom Deutschen Klub in Salonik, Herrn Fridolin Jenny ( eines Schweizers ), fand sich dort eine kleine internationale Gesellschaft zusammen, welche mich bei der Besteigung begleiten wollte.

Wir hatten eine Barke gemietet, die uns über den Thermäischen Golf bis zum Fuss des Olymp tragen sollte. Am Nachmittag des 14. Mai, um 4% Uhr, wurden die Anker gelichtet. Es war fast windstill, und wir verbrachten eine unvergleichlich schöne, laue Sommernacht auf dem Ägäischen Meere. Erst am Mittag des nächsten Tages erreichten wir unser Ziel, die Skala Agios Theodoros, den Landeplatz für die Ortschaft Litóchoron ( Ai&c'x'OQo ). Vom eigentlichen Fuss des Berges ist man an der Küste noch durch ein etwa 5 km breites, nur wenig ansteigendes, dürftig mit krüppelhaftem Gestrüpp der Kermeseiche ( Quercus coccifera L. ) bestandens Geröllfeld getrennt. Der österreichische Geologe Neumayr schrieb über den Anblick, den der Berg von hier gewährt: « Die Szenerie, die man bei Agios Theodoros vom Meeresstrande aus vor sich sieht, hat auffallende Ähnlichkeit mit derjenigen, welche die Berge nördlich von Hall bei Innsbruck bieten. » Ein anderer Reisender, Major Baumann, sagt: « Der Olympos erinnerte mich auf der Nord- und Ostseite stark an das Wettersteingebirge, das zufällig eine ähnliche Höhe erreicht, doch ist der Abfall der Zugspitze weniger beträchtlich, da ja der Eibsee bereits nahe an tausend Meter hoch liegt, der Olymp aber von der Meeresküste direkt ansteigt. » Beide Aussprüche, besonders der erstere, sind geeignet, übertriebene Vorstellung von der Imposantheit des Anblickes zu erwecken, denn die Hochgipfel liegen noch 18 km vom Meeresstrande entfernt, während die Bettel-wurfgipfel von Hall nur 6 km entfernt sind.

Litóchoron liegt bereits auf einer kleinen Vorterrasse des Olymp, zu der das veilchenblaue Ägäische Meer herauf leuchtet; ich bestimmte seine Höhenlage auf 275 m. Es ist ein freundliches Dorf von ziemlicher Ausdehnung, die Häuser sind solid gebaut und sehen behaglich aus. Es wird, abgesehen von den wenigen türkischen Regierungsbeamten, nur von Griechen bewohnt, die anscheinend verhältnismässig gut situiert sind. Der englische Reisende Tozer berichtet aus dem Jahre 1865, dass dort Skotia ( oxozia ), eine Art grober Ziegenhaarloden, fabriziert wurde. Es bestand damals bereits eine von einem Priester gut geleitete Schule mit 250 Schülern: « Sie lasen in den höhern Klassen Thucidides und Demosthenes, und einige lernten sogar Latein. » Wir erfuhren vom Mudir des Ortes, dass unsere Reisepläne von der vorgesetzten Behörde nicht gemeldet worden waren. Er war aber bereit, unser Vorhaben zu unterstützen, indem er einen Sabtië zur Bedeckung beorderte. Als er erfuhr, dass ich vom Gipfel gegen Süden absteigen wolle, gab er mir auch ein Empfehlungsschreiben an einen dort wohnenden Arzt mit. Der Dhimarchos ( Bürgermeister ) verschaffte uns zwei Maultiere für den Transport des Gepäckes, wir selbst mussten von Litóchoron ab zu Fuss gehen, weil uns ein steiler und zum Reiten ungeeigneter Weg bevorstand. Ausserdem wurden nach langen Verhandlungen zwei Männer aufgetrieben, die uns am folgenden Tage als Träger dienen sollten. Sie lamentierten, eine Besteigung des Berges sei schon im Sommer fast unmöglich, jetzt aber würden wir alle bis an den Kopf im Schnee versinken und elend darin umkommen. Wir stiessen also gleich zu Anfang auf jene Schwierigkeiten, die jeder Orientreisende zu überwinden hat. Dass auch für Einheimische das Reisen im Olympgebiet nicht leicht ist, sehen wir aus einem Bericht von Geher. Der Jenenser Gelehrte erzählt, dass der Bischof von Xanthopolis ihm « hochdramatisch seine Visitationsreise nach dem im Mavrolongotal gelegenen Kloster schilderte. Der Bischof hatte grosse Mühe, Agiogaten ( Agoyaten ) und die nötigen Maultiere zusammenzubringen, weil wegen der zahlreichen Klephten die Treiber für ihre Tiere fürchteten. Auch er selbst meinte einmal, zu Fuss die Reise fortsetzen zu müssen. » Bei Litóchoron tritt eines der grössten der nach Osten abfliessenden Gewässer aus dem Gebiet der Hochgipfel in das steppenartige Vorland. Frühere Forscher haben es mit To mavro nero ( to [iccvqo vsqó ), das schwarze Wasser, bezeichnet. Die vom Wiener Militärgeographischen Institut herausgegebene Karte 1: 200,000, Blatt Larisa, nennt das Flüsschen Mavrolongo. Vermutlich ist es identisch mit dem Enipeus der Alten; die Beschreibung, welche Livius ( XLIV ) von letzterem gibt, entspricht dem jetzigen Mavrolongo.

Wenige hundert Meter vom Dorfe bricht der Bach aus einer langen, unzugänglichen Schlucht hervor und gräbt dann sein Bett etwa fünfzig Meter tief in die Schotterterrasse ein, auf der Litóchoron liegt. Ein ungemein malerisches Bild bietet eine halbverfallene Mühle, überschattet von einer uralten Platane, am Ausgange der Schlucht.

Das Tal des Mavrolongo sollte uns als Zugangsroute dienen. Um in sein Inneres zu gelangen, folgten wir einem schlechten und stellenweise steilen Pfad durch den Geröllgraben und stiegen dann an den nördlich des Baches gelegenen Abhängen mühsam hoch hinauf. Nach reichlich zwei Stunden war die Höhe von etwa tausend Metern erreicht. Der Weg führt dann annähernd horizontal gegen Westen taleinwärts und ist nun gut gangbar. Vor uns enthüllte sich die majestätische Schönheit eines alpinen Hochgebirges. Vom brausenden Bach in der unsichtbaren Talsohle klettert prächtiger Urwald die steilen Halden hinauf zum grauen Geschröf trotziger Felsen, deren Köpfe von dem weiten Firnmantel umflossen werden.

Bei Beginn der Dämmerung erblickten wir vor uns in der Tiefe der Schlucht das Kloster Agios Dionysios ( AyioçJiovimoç ). Bald darauf zweigte ein enger Pfad von unserem Talwege links ab und führte steil über Stufen und Baumwurzeln mehr als 200 m hinab. Das Hinabgeleiten unserer Maultiere verursachte infolge des schwierigen Geländes grosse Mühe. Es war 7% Uhr und völlig finster, als uns einige Mönche in feierlicher Amtstracht am Klostertor willkommen Messen: « KaXa'ç wçi'aait ».

Das umfangreiche Kloster war damals von fünf Priestern und einem Knechte bewohnt. Drei der erstem machten den Eindruck von ungeschlachten Riesen; man musste unwillkürlich vermuten, dass sie absichtlich hierher versetzt seien, um das Kloster gegen Überfälle von Klephten zu schützen und um im Winter einen Kampf mit den vor den Toren lungernden Wölfen aufnehmen zu können. Mit Ausnahme des Igumenos waren sie naiv wie Kinder und ihre Bildung gering. Sie rückten ihre Stühle um unsere ermüdete und erschöpfte Gesellschaft und baten: « Nun erzählt uns etwas! » Auf unsere Gegenfragen nach den Hochgipfeln des Olymp erhielten wir, wie zu erwarten war, keinerlei Belehrung. Aus ihren Antworten ging hervor, dass es für die Mönche nur einen Gipfel, den Heiligen Elias ( 6 " Ayioç'HXiaç ), gibt. Auf diesem Gipfel steht eine primitive Kapelle, zu der, wie Heuzey aus dem Jahre 1855 berichtet, die Mönche alljährlich am Agios-Apostolitage ( 12. Juli ) wallfahrten, um oben eine Messe zu lesen. Sie treten dann in der Nacht bei Fackelschein ihre anstrengende Hochtour an. Gelegentlich meiner zweiten Reise zum Olymp ( im Jahre 1910 ) erfuhr ich von den Mönchen, dass die Wallfahrt auch jetzt noch üblich sei. Zweifellos ist aber nur eine kleine Anzahl von Jüngern Leuten diesen Anstrengungen und Schwierigkeiten gewachsen. Der älteste unserer Gastgeber war in jungen Jahren auch einmal auf dem Elias-gipfel gewesen. Er erzählte, die Besteigung sei schrecklich, man würde vom Schwindel ergriffen, wenn man oben stehe, in der Erinnerung schaudere er noch jetzt. Auch den übrigen Mönchen flössten die Hochgipfel mit ihrem Schnee Grauen ein. Sie waren überzeugt, dass unser Unternehmen verwegen und zu dieser Jahreszeit unausführbar sei; wir möchten im Sommer wiederkommen, dann würde der eine der Riesen uns gern begleiten.

Die Nachtruhe auf den türkischen Teppichen, die man für uns auf den Steinfliesen ausgebreitet hatte, wurde vom Ungeziefer sehr beeinträchtigt, so dass wir am 16. Mai, um l%TJhr nachts, gerne unser Lager verliessen. Drei unserer Kameraden waren von dem Marsch des vorigen Tages derart erschöpft, dass sie sich entschlossen, zurückzubleiben. Einer der beiden gedungenen Träger war nicht zum Mitgehen zu bewegen, er schützte Krankheit vor; tatsächlich dürfte ihn die Furcht vor dem Hochgebirge zurückgehalten haben. Der Igumenos gab uns dafür den Klosterknecht mit.

Es war 2x/4 Uhr geworden, als wir vier Touristen mit den beiden Trägern und dem Sabtië in dichter Finsternis das Kloster verliessen. Der als Träger dienende Knecht führte uns mit einer Laterne auf verwachsenem Pfade unweit des Baches talauf. Das üppige Dickicht musste oft mit Gewalt durchdrungen werden, und mein Eispickel leistete dabei gelegentlich Dienste, für die er nicht bestimmt ist. Um 33/4 Uhr erreichten wir eine barackenartige Sägemühle, die Prioni genannt. Sie liegt nach dem Mittel aus meinen barometrischen Messungen in diesem und im folgenden Jahre 1015 m hoch. Die Sägemühle dürfte ausser dem Kloster das einzige Bauwerk des Tales sein. Professor Barth erwähnt zwar mehrere solcher Mühlen, sie sind deshalb auch auf der österreichischen Karte eingetragen, aber ich habe weder damals noch im folgenden Jahre mehr als die eine gesehen.

Als wir uns hier zu einer Rast niederliessen, brach der Tag an. Wir konnten bemerken, dass das Ende des Tales nicht mehr fern war. Es verzweigt sich hier in zwei Arme. Der von Nordwesten kommende Bach ist auf der Karte Visos genannt. Der von Süd-Südwesten kommende, etwas stärkere Wasserlauf führt die Bezeichnung Prina. Die Schlucht der Prina hatte Heuzey im Jahre 1855 im Auf- und Abstieg benutzt. 1862 ist Professor Barth hier abgestiegen. Ich entschloss mich, der Route der Genannten zu folgen. Der kleine Pfad hatte bei der Prioni geendet. Weiter talaufwärts trifft man zwar gelegentlich noch undeutliche Pfadspuren; sie verlieren sich aber stets bald wieder wie Schafsteige in den Alpen. Auch einzelne halbverfallene Holzreissen lassen sich auf kurzen Strecken noch als Weg benutzen. Während der halbstündigen Rast meiner Gefährten hatte ich die Gangbarkeit der Prina-Talsohle festgestellt, während meine Kameraden in geringer Entfernung flüchtende Gemsen entdeckt hatten. Meine spätem Beobachtungen bestätigen, dass dieses Wild am Olymp ziemlich zahlreich ist.

Gleich hinter der Sägemühle müssen einige grössere Felsstufen erklettert werden. Unser Gendarm zeigte hier auf seine Opanken, die bereits halb zerfetzt waren. Wir schickten den Mann zurück, denn das eigentliche Felsgebiet, welches hier erst beginnt, hätte ihm bald den letzten Rest der ungenügenden Fussbekleidung zerrissen. Oberhalb der Felsstufen wird die Talsohle zunächst wieder gut gangbar; wir wanderten in dem Grunde noch eine halbe bis dreiviertel Stunden bequem aufwärts. Unterwegs kamen wir an einem unbewohnten, primitiv aus Stangen und Buschwerk erbauten Hüttchen vorbei, dessen Aussehen an unsere Köhlerhütten erinnerte. Es dient zweifellos als Unterschlupf für Holzfäller und für Räuber. Unweit davon, in einer Seitenschlucht, sprudelt eine Quelle aus dem Kalkgestein; Spuren verrieten, dass hier oft Wasser geschöpft wird. Auch wir füllten alle Behälter, denn wir vermuteten, wie sich später herausstellte mit Recht, dass dieses die letzte Gelegenheit dazu sei. Als die Talsohle ungangbarer wurde, verliessen wir den Grund und stiegen gegen Süd-Südosten die steilen, bewaldeten Abhänge hinan. Gestürzte Baumstämme, oft schwer durchdringbares Unterholz und gelegentliche Felsstufen von geringerer oder grösserer Höhe verlangsamen und erschweren den Aufstieg, das Vordringen erfordert einen erheblichen Kräfteaufwand und Ausdauer. Jedoch bietet dieser Aufstieg, wenigstens in seinem untern Teile, keine alpinen Schwierigkeiten. Einen sich ballenden und schlüpfrigen Boden, der Heuzey viele Mühe verursacht hat, haben wir nicht angetroffen. Dagegen kann ich Barths Schilderung dieses Abhanges und der ihn durchziehenden Rinnen als zutreffend bestätigen. Glücklicherweise waren wir bei frischeren Kräften als Barth, so dass wir in keine so missliche Lage geraten sind wie unser deutscher Vorgänger auf dieser Route.

Bald nach Verlassen der Talsohle trafen wir vereinzelte Schneeflecken an, und von etwa 1700 m ab trug der Boden eine zusammenhängende Schneedecke, die im seltsamen Widerspruch zu dem zarten, frischen Grün des Buchenwaldes stand, der hier den Abhang bedeckt. Bald darauf warfen unsere Träger ihre Lasten, ein Paar Rucksäcke und das Seil, ab und weigerten sich energisch, weiterzugehen. Weder Drohungen noch Versprechungen vermochten ihre abergläubische Furcht vor dem Schnee der Hochregion zu bannen. Als sie nach langen vergeblichen Verhandlungen eine geringe Entlohnung erhalten hatten, stürmten sie jubelnd, über den Schnee gleitend und sich oft überschlagend, zutal.

Es vergingen Stunden, bis wir die Region der höchstgelegenen, sturmzerzausten Kiefern erreicht hatten. Die Waldgrenze liegt hier in einer Höhe von etwa 2000 m. Fast unmerklich waren die Hänge steiler geworden. Wenn an freien Stellen das Auge zur Tiefe irrte oder der Blick zur lichten Höhe schweifte, dann mochte für meine nicht alpin geschulten Begleiter schon einige Nervenstärke erforderlich sein, um mit Seelenruhe die weitere Fortsetzung unseres Unternehmens zu erwägen. Unter den alten, wetterharten Baumriesen waren manche prächtig gelegene und geschützte sichere Plätzchen, die zur behaglichen Rast einluden. Einer der Teilnehmer blieb hier zurück.

Wir hatten zuletzt einen sich zwischen zwei steilen Rinnen erhebenden Rücken zum Anstieg benutzt. Als dieser Rücken in schlecht gangbare Schrofen auslief, kletterten wir, die Hände zu Hilfe nehmend, in die Rinne zur Linken hinab. Sie war ziemlich breit, alle Unebenheiten waren tief im Schnee vergraben, so dass sie einer glatten Hohlkehle glich, aus der nur ein einziger breiter Felszahn herausragte. Unsere Rinne musste schräg aufwärts durchquert werden, um in eine für den Aufstieg günstige Schneemulde zu gelangen. Die Neigung der Rinne war bereits bedenklich, auch war die Oberfläche stellenweise vereist. Wir verbanden uns deshalb durch das Seil. Gerade als wir alle drei gleichzeitig einen unsichern Stand hatten, sausten einige kopfgrosse Eisstücke durch die Rinne herab. Glücklicherweise schössen die Blöcke hart an uns vorbei, ohne zu verletzen, und es folgten keine weitern nach, so dass wir unbeschädigt das Schneekar erreichten. Von dort aus gelangten wir schliesslich mit Aufwand unserer letzten Kräfte mühsam aber gefahrlos hinauf auf ein grosses, welliges Schneefeld zwischen den nördlichen und südlichen Gipfeln. Es ist wahrscheinlich der von Barth ( im Sommer ) als « schönes, grasreiches, eingesenktes Hochplateau namens Bara » bezeichnete Ort. Um 121/4 Uhr liessen wir uns dort, wo dieses Plateau an die Abstürze zum Mavrolongotal anschliesst, zur gründlichen Rast nieder. Die Höhe des Platzes beträgt 2190 m. Übersichtlich breiten sich die Verzweigungen des obersten Mavrolongo-tales zu unsern Füssen aus. Zur Linken ( nördlich ) steigt eine abschreckende, grauschwarze Wand fast senkrecht aus der hintersten Schlucht auf und strebt zu der anscheinend höchsten, wild zerklüfteten Spitze des Olymp empor. Diese Felswand ist von Salonik aus sichtbar und erscheint von dort wie ein schwarzes Schild inmitten eines Eispanzers. Heuzey schrieb darüber: « Einen auffallenden Anblick in diesem ungeheuren Zirkus ( des Talschlusses ) gewährt ein breiter, oben zerklüfteter Felsen, der wie eine Muschel geformt ist. Es ist der zweite der Olympgipfel, der höchste unter denen, die die Südgruppe bilden. Man nennt ihn Kaloghéros ( den Mönch ), und die Sage berichtet, dass er dem Heiligen Dionysius als Grab diene. » Barth, der, als er diesen Absturz zu Gesicht bekam, bereits mit Sorge wegen seines Abstieges erfüllt war, berichtet kürzer von « dem merkwürdigen Rückblick auf die hohe Mauerwand sowie der wunderschönen Aussicht in die Schlucht. » Schweift der Blick von dieser Felswand weiter gegen Süden, so trifft er auf eine Anzahl ganz gleichförmig gerundeter Gipfel, « gruppiert wie die zahlreichen Kuppeln einer byzantinischen Basilika » sagt Heuzey zutreffend. Der französische Forscher war im Hochsommer hier und sah das nackte, graue Gestein; bei unserer Anwesenheit leuchteten die Kuppeln infolge ihres Schneemantels wie Gebilde aus weissem Marmor.

Mit bewundernswerter Ausdauer hatten die beiden bei mir gebliebenen Kameraden die ihnen ungewohnten Schwierigkeiten des Aufstieges überwunden. Jetzt lockten auf den vor uns ragenden Kuppen die Fernsicht und die zu erwartenden Aufschlüsse über die noch unbekannte Gipfelregion und spornten zum weitern Vordringen an. Aber der Tag war bereits zu weit vorgeschritten, er erlaubte meinen Begleitern die Besteigung einer der verführerischen Gipfel nicht mehr. Die knappe Zeit, welche den meisten Saloniker Herren zur Verfügung stand, die Verabredung, am Abend wieder zu den Zurückgebliebenen in das Kloster zurückzukehren, und die Gefahren einer im Freien zu verbringenden Nacht geboten, hier Abschied voneinander zu nehmen. Es war für sie ein schwerer Entschluss, denn der Aufstieg von unserem Rastplatze konnte nach meiner Schätzung nur noch 20-30 Minuten dauern. Herr von Ostman schenkte mir seinen überflüssigen Proviant, wollte mir auch noch seinen Mantel für das in dieser Höhe in Aussicht stehende Freilager überlassen — gegenseitige Glückwünsche für die beiderseits nicht unbedenkliche Fortsetzung unserer Reise, ein Händedruck, und « bald sahen wir Richter wie einen kleinen, schwarzen Fleck fern auf dem sonnigen Schneefeld einsam dahinschreiten », hat später Samuelson in der « Weserzeitung » berichtet.

Mühsam durch den tiefen Schnee watend, überschritt ich das weite Plateau. Es herrscht hier eine ergreifende Einsamkeit, der durch die hohen « byzantinischen Kuppeln » eine gewisse Erhabenheit gemischt ist. Kein Bewohner dieses Landes wagt es, im Winter hier heraufzusteigen, selbst im Sommer sollen die Hirten nur ein einziges Mal bis in diese Höhen vordringen. Nicht einmal eine Tierfährte ist im Schnee eingegraben. Der letzte « Europäer » ( Barth ) war mehr als 46 Jahre vor mir hier.

Mein Interesse konzentrierte sich zunächst darauf, den Südabhang dieses Plateaus zu Gesicht zu bekommen, hatte ich doch bisher nicht die geringste Auskunft über seine Gestaltung bekommen können. Nach dreiviertelstündiger Wanderung erreichte ich über einen schwach ausgeprägten Pass die obere Ausmündung eines Tales, vermutlich jenes, in dem die Klöster des Südabhanges ÇAyia TQiaç und Jnacfiog ) liegen. Man konnte etwa einen Kilometer weit darin hinabblicken; es schnitt, soweit sichtbar, mit nur massiger Neigung zwischen die südlichsten Hochgipfel ein. Weiter unten schien die Talsohle steiler abzufallen. Ein Überblick über den Südabhang des Olymp war von meinem Standpunkt aus aber nicht zu gewinnen, denn ich befand mich noch zu weit im Innern des Gipfelgebietes. Die Höhenlage dieses Standortes betrug 2250 m. In der Nähe erhoben sich die genannten runden Kuppen. Barths Karte bezeichnet die höchste davon als Heiligen Antonios. Heuzey ( Seite 134 ) nennt denselben Gipfel Itchouma. Ich beschloss nach einer einstündigen Rast, diesen Gipfel zu besteigen 1 ).

Die Besteigung bot keine Schwierigkeiten, die Beschaffenheit des Schnees war sogar günstiger als auf dem überschrittenen Plateau. Aber die relative Höhe hatte ich stark unterschätzt. Als ich oben angelangt war, erschien mein am Rastplatz zurückgelassenes Gepäck nur noch als ein winziges Pünktchen. Ein Blick auf die Uhr belehrte mich, dass ich von dort 1 y2 Stunden zum Aufstieg gebraucht hatte, und der Barometer zeigte 2720 m Höhe.

Befriedigt der Umblick auf die übrigen Olympgipfel vom Itchouma aus wenig, so ist der Ausblick in die Ferne desto erhabener: Gegen Westen die fast ganz unbekannten Chassiaberge und das schwer zugängliche Pindosgebirge. Gegen Süden Othrys, Parnassos und bei klarem Wetter wahrscheinlich noch die vielgestaltigen Berge des Peloponnes. Im Norden scheinbar eine weite Ebene und darüber, in grosser Ferne, wie in den Wolken schwebend, ein Schneegebirge, ich vermute den Schar-Dagh. Am meisten aber wird der Blick im Osten gefesselt: das leuchtende Ägäische Meer mit seinen Inseln und der reich gegliederten Halbinsel Chalkidike, die gekrönt wird von dem zuckerhutförmigen, direkt aus dem Meere nahezu 2000 m aufragenden heiligen Berg Athos. Man erblickt ihn durch den blauen Schleier der Ferne, denn fast 170 km Abstand trennen uns von ihm.

* ) Herr Richter verwechselt hier den Ag. Antonios von Barth mit dem Itchouma von Heuzey. Dies ist aber nicht ein und derselbe Berg. Der erste heisst heutzutage Palimanastri und hat eine Höhe von 2815 m. Er schliesst sich direkt dem Skolion an und erhebt sich dicht nördlich der von Richter erreichten, breiten Einsattelung, deren Höhe auf 2400 m festgestellt ist. Der Itchouma von Heuzey wird gegenwärtig Sardi ( Palast ) genannt. Er ist ein selbständiger Gipfel von 2703,7 m Höhe, liegt aber weit südlich der Einsattelung, und seine Besteigung hätte viel mehr Zeit gekostet. R. hat also den Palimanastri ( 2815 m ) bestiegen, indem er von der Einsattelung aus sich rechts ( nördlich ) wendete und den Gipfel über seine südlichen Abhänge erreichte. Wenn der 1830 von Urquhart bestiegene San Stephano dem Itchouma von Heuzey entspricht ( was allerdings zweifelhaft bleibt ), so wäre die Besteigung von R. wirklich eine erste. Derselbe Gipfel wurde später nochmals besucht, und zwar von Farquhar und Phoutrides im April 1914.M. K.

Infolge der Ungewissheit, der ich entgegenging, duldete es mich nur 20 Minuten auf dem Gipfel. Nachdem ich einige photographische Aufnahmen gemacht hatte, verliess ich ihn um 4% Uhr. Wahrscheinlich war ich der erste « Europäer » gewesen, der diesen Gipfel betreten hatte. Der Abstieg bis zu meinem Gepäck dauerte 3/4 Stunden. Noch unentschlossen, ob ich am folgenden Tage einen andern Hochgipfel des Olymp besteigen solle, musste ich vorläufig nach einem Nachtlager Umschau halten. Da hier weit und breit kein schneefreies und geschütztes Plätzchen sichtbar war, begann ich 20 Minuten vor 6 Uhr mit Gepäck in das oberste Sparmostal abzusteigen. Um 7 Uhr in 1740 m Höhe wurden die letzten Ausläufer des Waldes erreicht. Das Tal ist hier bereits durchzogen von kleinern Felsstufen, die Sohle ist kaum noch begehbar, und die Talflanken sind hin und wieder von Felsrinnen zerrissen: es ist der Übergang des trümmererfüllten öden Hochtales in eine schwerer passierbare, vegetationsreiche Schlucht. Hier nächtigte ich im dichten Buchsbaumgebüsch.

Am nächsten Morgen ( dem 17. Mai ) verliess ich diesen Biwakplatz um 5 Uhr. Meine Glieder waren in der Kälte steif geworden, so dass ich mich nur mit Mühe bewegen konnte. Damit war auch meine Unternehmungslust gesunken, zumal ich mit dem schweren Gepäck wieder über tausend Meter hätte hinaufsteigen müssen und ausserdem mein Vorrat an Getränk nur noch gering war. Ich verzichtete deshalb auf die Rückkehr zu den Hochgipfeln und entschied mich für den Abstieg zum Gebiet des Untern Olymp ( fiarw " Ok urog ). Wegen der Räubergefahr wollte ich bewohnte Gebiete möglichst vermeiden. Deshalb musste ich den höhern Regionen des Südabhanges entlang ostwärts wandern, bis ich, etwa in der Fallirne des Berges, nach Kozköj ( Kccqvó ) absteigen konnte.

Bald zeigte es sich aber, dass der Abhang, auf der Karte Mesola genannt, nicht frei von Hindernissen war. Gleich nach Verlassen der Talflanke traf ich auf einen grossen Plattenschuss, der den Berghang wie ein glatter Panzer umgab und so stark geneigt war, dass man ihn nicht überschreiten konnte. Ich stieg höher hinauf, um ihn zu umgehen. Etwas später gelangte ich an eine Rinne, deren Seitenwände fast senkrecht in den Hang eingeschnitten waren. Man hätte sie in exponierter Kletterei mit Zeitverlust durchqueren können. Ich zog es aber vor, abermals aufwärts steigend, sie zu umgehen. Auf diese Weise erreichte ich nach einiger Zeit annähernd wieder 2000 m Höhe. Später entdeckte ich unter mir eine üppig grüne Wiese, die aus dem ziemlich gleichmässig abfallenden, geröllbedeckten Hang nach Süden altanartig hervortrat. Sie war etwa eine halbe Hektare gross und lag 1690 m hoch. Dorthin stieg ich ab.

Vom Rand dieses Rasenplateaus aus gewann ich zum erstenmal einen freien Tiefblick nach Süden. Vor und unter mir lag im bläulichen Dunst ein ziemlich grosses Tal mit einigen Ortschaften. Das obere Ende dieses Tales lag im Osten, wurde aber noch durch den einen, etwas vorspringenden Abhang des Olymp verdeckt. Um keinen Höhenverlust zu erleiden, durfte ich nicht hinabsteigen, sondern musste das Tal an seinem noch nicht sichtbaren obern Ende umgehen.

Es war 71/* Uhr, als ich die Wiese wieder verliess. Meiner Absicht, in etwa gleicher Höhe am Abhang entlang weiter nach Osten zu wandern, stellten sich jedoch abermals Schwierigkeiten entgegen. Ich traf wieder auf mehrere Erosionsfurchen, denen ich, nochmals höher hinaufsteigend, auswich. Hatte ich eine Rinne glücklich an ihrem obern Ende umgangen, so folgte die nächste und zwang mich, noch höher hinaufzuklettern. Erst in der Höhe von 2100 m hatte ich alle Hindernisse überwunden. Aber die Last des Gepäckes, die unerwarteten Beschwerden und die senkrecht auf den kahlen, gegen Süden geneigten Geröllhang brennende Sonne hatten meine Kräfte bis zum äussersten erschöpft. Zudem litt ich an quälendem Durst, denn mein Getränk war aufgebraucht.

Besorgniserregend, unregelmässig arbeitete das Herz, ein verdächtiger Stirnkopfschmerz gesellte sich hinzu: die Vorboten eines Hitzschlages. Schweren Herzens Hess ich das Gepäck deshalb bei einer Steindaube, die ich durch Aufrichten grösserer Platten kenntlich machte, zurück. Einige hundert Meter weiter musste ich mich entschliessen, auch noch meinen Rock zurückzulassen.

Nach unsäglichen Mühen hatte ich endlich den Berg so weit umgangen, dass das Ende des Tales sichtbar wurde. Der Talschluss mochte noch zwei bis drei Kilometer entfernt sein, aber der Abhang zeigte keine weitern Schwierigkeiten. Am Ende des Tales entdeckte ich durch meinen Feldstecher ein kleines, frischgrünes Rasenfeld, vermutlich war dort also Wasser zu finden. Diese Hoffnung hob meine Lebenskräfte; ferner hatte die freiere Lage eine leichte Luftbewegung zur Folge, welche die von der Hitze verursachten Beschwerden ein wenig linderte. Die frohe Zuversicht, bald den qualvollen Abstieg überwunden zu haben, stärkte mich sogar so weit, dass ich umkehrte, um den Rucksack und den Rock zu holen. Ich habe aber fast eine Stunde gebraucht, bis ich abermals das verheissungsvolle, grüne Feld im innersten Talwinkel erblickte.

Um 1 Uhr mittags betrat ich endlich an einem breiten Sattelpass den lang ersehnten Talschluss. Mein Barometer zeigte 1328 m Höhe an, doch dürfte diese Angabe wahrscheinlich um 100 bis 150 m zu hoch sein. Nach Wasser brauchte ich nicht zu suchen, denn oberhalb des Feldes plätscherte der Wasserstrahl eines Brunnens. Ich hatte seit 4 bis 5 Stunden die Qualen eines in einer Wüste Ver-schmachtenden ausgestanden; nie habe ich zuvor in meinem Leben den Segen des Wassers so schätzen gelernt als bei der Entdeckung dieses Brunnens!

Eine Art primitiver Pfad führt in südöstlicher Richtung über den Sattel. Der jenseitige Abhang ist so steil, dass der Pfad sich in zahlreichen, unregelmässigen Schleifen hinabschlängeln muss. Hier treten viele Quellen zutage und überziehen den ganzen Hang mit ihren Rinnsalen, so dass er vollständig zerfurcht und der Pfad zerstört ist.

Am Fusse dieses Abhanges liegt Kozköj ( griechisch Kagva ), ein Dorf mittlerer Grosse mit ( nach Baumanns Angaben ) zwei Kompagnien Besatzung. Vom Abhang gesehen, fallen einige Bäume in der Ortschaft durch ihre aussergewöhnliche Grosse auf. Da ich aber nicht in ihre Nähe kam, kann ich nicht sagen, von welcher Gattung sie sind. Der untere Teil des Dorfes liegt 840 m hoch. Von dem Brunnen bis Kozköj hinunter hatte ich eine Stunde gebraucht.

Der türkische, französisch sprechende Arzt, an den mein Empfehlungsschreiben mich wies, war durch mein Erscheinen keineswegs überrascht, so dass ich vermuten muss, dass meine Reise von Litóchoron aus gemeldet worden war. Er führte mich zum Bimbaschi ( Major ), dem Platzkommandanten. Dieser begrüsste mich zu meinem Erstaunen in deutscher Sprache, die er, wie viele türkische Offiziere, auf der Kriegsakademie erlernt hatte. Beide Herren nahmen mich freundlich auf.

Leider konnte ich nur 3/4 Stunden verweilen, denn ich wollte an diesem Tage noch über die griechische Grenze.

Ein Reisender zu Fuss ist im Orient eine so seltsame Erscheinung wie bei uns etwa ein Tourist zu Pferde. Der Bimbaschi stellte mir denn auch ein vortreffliches Militärpferd zur Verfügung, beorderte einen Leutnant, der mich bis zur Grenze begleiten musste, sowie einen Unteroffizier und einen Gemeinen zur Bedeckung. Letzterer musste zugleich meinen schweren Rucksack tragen.

Kozköj liegt im Tal der Ziljana ( ZrjXiâva ), das hier eine mehrere Kilometer breite, etwa 800 m über dem Meere gelegene, Konispâleos ( KoviottoIswç ) genannte Ebene bildet. Die Bergkette, welche das Tal im Süden abschliesst, ist 400 bis 500 m höher, sie bildete damals die Grenze zwischen der Türkei und Griechenland.

Um 31/4 Uhr verliessen wir Kozköj. Der Nordabhang der Grenzberge ist mit dichtem Buschwald bestanden, der im Kriegsfall gute Deckung bietet, der aber auch den Räubern vorzügliche Schlupfwinkel gewährt.

In \y2 Stunden hatten wir die Höhe des Grenzgebirgskammes erreicht und stiegen vor einem kleinen Karakol ( Militärwachthaus ) vom Pferde. Mein Begleiter nannte diese Militärstation Châmtepe; sie liegt nach Angabe der griechischen Generalstabskarte 1239 m hoch, mein Barometer zeigte 1150 m. Leutnant Zia liess von der Mannschaft Decken herausbringen, auf die wir uns lagerten, um die prächtige Aussicht über den Wald und das grüne Tal hinweg auf die gewaltigen, schneegekrönten Abhänge des Hohen Olymp zu geniessen.

Etwa einen Kilometer südlich vom Karakol und ein wenig bergab liegt das Dorf Neserós ( NE'Eeóc ). Hierher begleitete mich der Kommandant des Karakols, nachdem er seine Waffen abgelegt hatte. In Neserós empfahl er mich seinem griechischen Kameraden, der mir daraufhin am nächsten Tage auch eine Bedeckung mitgab. Er führte mich in das Xenodochion ( Gasthaus ), informierte den Wirt über meine Absichten und Wünsche, wobei er ihm eindringlich empfahl, mir seine grösste Fürsorge zu widmen, und war beim Mieten eines Maultieres für den nächsten Tag behilflich, indem er die Verhandlungen mit dem Keradschi ( in Thessalien übliche, türkische Benennung des Maultiertreibers ) führte.

Soldat und Maultiertreiber waren zur verabredeten Zeit zum Abmarsch bereit, so dass ich früh ß1^ Uhr Neserós verlassen konnte. Der türkische Unteroffizier, welcher mich am vorhergehenden Tage in das Gasthaus geführt hatte, war wieder zur Stelle, um sich zu überzeugen, dass die Abreise ordnungsgemäss und meinem Wunsche entsprechend verlief. Es bereitete mir Freude, dass ich ihm nochmals meinen Dank sagen und Grüsse für die türkischen Offiziere und den Arzt in Kozköj auftragen konnte.

Vom Dorfe fällt das Gelände allmählich etwa 40-50 m zu dem etwa einen Kilometer südlich von Neserós gelegenen Neseróssee, auch iaxoqiç ( Askuris, altgriechisch ) genannt. Dieser See ist fast kreisrund, nach Angabe der Karte beträgt sein Durchmesser etwa 3 km, sein Spiegel liegt 1006 m hoch. Als ich vorbeikam, war der Umfang des Sees sehr zusammengeschrumpft, das Ufer war wohl einen Kilometer zurückgetreten; man sah, dass der See eine sehr geringe Tiefe gehabt hatte, auch der jetzige Überrest des Sees schien grösstenteils mit Schilf bewachsen zu sein. Unser Weg führt am Ufer auf einem schmalen, ebenen Landstreifen am Fusse des 1590 m hohen Metamorphosis ( Mfrafioccpwaic ) entlang, ein kleiner Steinwall trennt ihn vom ehemaligen Seeufer. Die ganze Gegend ist fast baumlos. Im Osten und Süden umsäumen gerundete, kahle Berge den See, sie erheben sich 150—200 m über den Wasserspiegel.

Nach einem Ritt von reichlich einer Stunde war das Südostende des Seebeckens erreicht, von dem zum 100 m höher gelegenen Militärwachthaus Pantsólo ( IJavzÇvlo ) hinaufgestiegen wurde. Hier wurde meine Bedeckung um einen zweiten Soldaten verstärkt.

Zehn Minuten nach acht Uhr bestieg ich mein Maultier wieder, meine zwei Soldaten gingen zu Fuss hintendrein. Das Gelände, welches wir in südlicher Richtung durchzogen, war wenig übersichtlich, die Bodengestaltung glich einer Dünenlandschaft; hier konnten Karawanen leicht von Räubern überrascht und aufgehoben werden. Deshalb war ich froh, dass ich jetzt zwei Mann zur Bedeckung bei mir hatte.

Nach etwa einer Stunde öffnete sich vor uns der Tiefblick in das Tal des Rewma dhio Dhendhron ( Peïfia Jvo Jt'vâçwv ). Es ist etwa 7 km lang, sein Ursprung liegt etwa 1000 m hoch, während die Mündung in den Peneios ( ürjveiog ) sich nur noch 24 m über dem Meere befindet. Dort, wo unser Pfad den Abhang erreichte, standen wir etwa 600 m über der Talsohle. Der Weg läuft dann am östlichen Talhang schräg abwärts und erreicht den Bach erst an der Stelle, wo er in das Flachland tritt, bei dem grossen Dorfe Dhereli ( JeQeXr- ). In der Höhe von 855 m ( 815 m nach eigener Messung ) fanden wir die obersten Kermeseichen. In 370 m ( barometrisch 335 m ) Höhe bot eine herrlich grüne Oase mit grossen Nuss- und Feigenbäumen erquickende Rast. Ein paar kleinere Karawanen und eine Ziegenherde hatten sich bereits in dem Schatten an der Quelle gelagert und verliehen dem Plätzchen ein äusserst malerisches, typisch orientalisches Aussehen.

Die Sonne stand am höchsten, als wir in Dhereli einzogen. Eine weitläufig angelegte Ortschaft mit vielen alten Platanen; man wird an ein Walddorf erinnert. Da hier eine kleine Garnison unterhalten wurde, besuchte ich den Kommandanten, einen Herrn, den man, wenn er keine griechische Uniform getragen hätte, wegen seines blonden Vollbartes für einen Germanen hätte halten können. Er bot mir nach dem obligaten Kaffee und der Zigarette eine weitere Bedeckung bis zur nächsten Station an. Ich glaubte jedoch, von jetzt ab auf Schutz verzichten zu können, und lehnte sie dankend ab.

Als ich bald darauf aus dem Dorfe Dhereli hinausritt, verliess ich zugleich das Olympgebiet; die letzten Abhänge des Götterberges blieben zur Linken, vor mir ausgebreitet lag die weite thessalische Ebene.

Es war am Dienstag, dem 18. Mai. Meine Überschreitung des Gebirges von Litóchoron bis Dhereli hatte also drei Tage gedauert.

Ich war zweimal in Lebensgefahr geraten, hatte aber nicht die geringste Spur einer Räuberbande gesehen. Meine Begleiter hatten jedoch mit Besorgnis auf Nachricht von mir gewartet. Der deutsche Konsul von Salonik schrieb mir später: « Es ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, als ich die Karte erhielt, welche mir Ihre glückliche Ankunft in Volo meldete. » Zur Ersteigungsgeschichte des Olymp.

Meine zweite Reise zum Olymp.

Die Reise im Jahre 1909 hatte mein lebhaftes geographisches Interesse für den Olymp wachgerufen.

Im folgenden Winter bemühte ich mich angelegentlich, alle Literatur über den Berg, soweit sie geographische Bedeutung hat, zusammenzustellen. Zu meiner Überraschung zeigte sich, dass er überhaupt erst von sehr wenigen Fremden betreten worden und geographisch fast ganz unbekannt ist. Dieser Umstand veranlasste mich, für 1910 eine zweite Reise zu planen, die sich auf den nördlichen Teil, den Hohen Olymp, beschränken sollte. Ich wollte in erster Linie versuchen, die Gestaltung der Gipfelregion topographisch festzulegen sowie ferner nach Möglichkeit auch andere geographische Forschungen anzustellen.

Hierzu fand ich mancherlei Ermunterungen und Unterstützungen. Prof. Dr. Alfred Philippson, einer der besten Kenner des nördlichen Griechenlandes, interessierte sich für mein Unternehmen. Geh. Regierungsrat Prof. Dr. A. Penck schrieb mir: « Ihr Vorhaben ist wissenschaftlich bedeutsam. » Die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin überliess mir zuverlässige Siedethermometer mit Zubehör zu genauen Höhenbestimmungen, und mit den meteorologischen Stationen, welche dem Olymp am nächsten liegen, wurden Verbindungen gesucht. Die Firma Carl Zeiss lieh mir ein Instrument zum Winkelmessen. Die Geographische Gesellschaft für Thüringen zu Jena gewährte mir einen Beitrag zur Bestreitung der Reisekosten. Für alle diese freundlichen Unterstützungen sei hier öffentlich mein Dank ausgesprochen.

Besondere Bemühungen unternahm ich, um die Erlaubnis zum Bereisen des Landes und die Unterstützung der türkischen Behörden zu gewinnen. Sie sind mir gewährt worden, und ich sage hierfür auch der kaiserlich-osmanischenRegierung meinen Dank.

Die Fremdenkolonie in Salonik nahm abermals lebhaften Anteil an meinem Unternehmen, eine Anzahl Herren äusserte wieder den Wunsch, sich anzuschliessen. Als ich in Salonik ankam, waren zwei Herren bereit, mit mir zu gehen der tapfere und ausdauernde Herr Arnold Samuelson aus Bremen, der mich bereits 1909 neben Herrn von Ostman bis zum grossen Schneefeld Bara in 2190 m Höhe begleitet hatte, und ein in Salonik ansässiger Malteser, Herr Henry Cauchi, der unserem Unternehmen durch seine vorzüglichen Sprachkenntnisse genützt hat.

Es war geplant, mindestens vier bis fünf Tage in grosser Höhe zu bleiben. Demgemäss wurde unsere Ausrüstung vorbereitet. Besonders wichtig war die Gewinnung des Wassers. Zu diesem Zwecke wurde ein grosser Spirituskochapparat zum Schneeschmelzen mitgenommen. Schlafsäcke und Decken sollten uns ermöglichen, wenn erforderlich, auf den Schneefeldern nächtigen zu können. Für die Begleitmannschaften hatte ich ausserdem eine grössere Anzahl Schneebrillen beschafft. Unser Gletscherseil vom vorherigen Jahre wurde in Salonik wieder aufgefunden und bereitgehalten.

In diesem Jahre wollte ich den Olymp von Westen aus besteigen, und zwar sollte von dem Dorfe Kokkinoplos ab der Route von Barth gefolgt werden. Um Kokkinoplos auf dem nächsten Wege zu erreichen, musste man den nördlichsten Zipfel des Thermäischen Golfes überqueren und das Vorland des Olymp bei Katerini betreten.

Am Abend des 9. Mai wurde in einer Barke der Hafen verlassen. Eine schöne, linde Nacht hindurch schaukelten wir sanft auf dem Meere. Während die Astronomen in Deutschland vergeblich ihre Instrumente richteten, erblickten wir mit freiem Auge den berühmten Halleyschen Kometen. Ernst, fast feierlich stand der leuchtende Schweif am südlichen Himmel, indessen der Kern hinter dem Kap Kara Burun verborgen blieb.

Gegen 8V4 Uhr morgens wurde vor der Skala Vromeris, dem Landeplatz für Katerini, der Anker ausgeworfen. Der Strand ist vollständig flach und die Tiefe des Wassers so gering, dass wir die letzten paar hundert Meter ein Boot benutzen mussten.

Wir wurden von zwei Soldaten erwartet, die den Auftrag hatten, uns nach der 5—6 km entfernten Stadt zu führen. Das ebene, gut bestellte und fruchtbare Land, welches wir bis dorthin durchquerten, ist der Schauplatz jener Kämpfe gewesen, die im Jahre 168 v. Chr. die Selbständigkeit Mazedoniens vernichteten.

Das Städtchen Katerini ( oder Katerina ), griechisch AixatsQi'vrj, hat nach meiner Schätzung vielleicht 6000 Einwohner. Es macht einen durchaus guten Eindruck; die Strassen sind breit und meistens mit Bäumen bestanden; ein paar Plätze verleihen dem Ort ein fast stattliches Aussehen. Die Häuser sind grösstenteils sehr einfach gebaut, und viele bestehen nur aus Erdgeschossen, nirgends sieht man irgendwelchen Verfall. Der Gasthof bietet ganz gute Unterkunft und Verpflegung; er steht hinter einem Gasthof durchschnittlicher Güte in einem gleich grossen deutschen Städtchen wenig zurück, nur der griechische Wirt ist mehr auf Ausbeutung der Fremden bedacht, als sein deutscher Kollege es sein würde. In diesem Xenodochion stiegen wir um 9J/4 Uhr ab.

Es wurden die üblichen Besuche beim Kaimakam ( entspricht etwa dem Landrat ) und beim Arzt, der zugleich den Posten des Dimarchos ( Bürgermeister ) innehat, gemacht. Gegen 12 Uhr waren wir zur Weiterreise bereit. Aber jetzt weigerten sich die Maultierverleiher, die bereitstehenden Tiere mit uns ziehen zu lassen, indem sie hohe Mehrforderungen gegenüber dem vereinbarten ( nicht geringen ) Preis stellten. Das geschah auf dem freien Platze vor dem Xenodochion, und bald waren mehr als hundert Neugierige um uns versammelt. Herr Cauchi hatte einen schweren Stand. Der Wirt und eine Anzahl der Umstehenden ergriffen die Partei unserer Widersacher, alle redeten auf ihn ein und stritten, als handle es sich um ihr Leben. Unsere türkische Bedeckung stand stumm dabei und erklärte, nicht zum Einmischen berufen zu sein, der Bürgermeister war nicht zu finden. Als die heillose Zänkerei auf dem Höhepunkt angelangt war, kam unserm tapferen Wortführer eine treffliche Idee: « Wenn Ihr uns Eure Maultiere nicht zum bedungenen Preise vermieten wollt, dann nehmen wir sie Euch im Namen des Padischah mit Gewalt ab! », sprach 's und schwang sich in den Sattel, ebenso wir und unsere drei Bedeckungssoldaten — das Gepäck war glücklicherweise schon vorher auf ein Maultier verpackt, und fort ging 's im Trab zur Stadt hinaus. Die Besitzer waren verblüfft, und der Treiber musste notgedrungen hintenherlaufen.

Wir benützten eine der wenigen fahrbaren Strassen, welche die Türkei mit Griechenland verbinden. Sie führt im Tal des Mavroneri, d. i. Schwarzwasser ( nach Heuzeg der von Plutarch Aeson genannte Fluss ), aufwärts, über einen unbenannten Pass nach Elasson ( EXaoowv ), von dort über den Melunapass ( Jidßaaic Mslovvuc ) und die griechische Grenze nach Tirnavos ( Tvcvaßoc ) und Larissa ( AttQioa ). Sie darf wohl als die bedeutendste Strasse, welche die beiden Länder verbindet, bezeichnet werden. Auf dieser Strasse zogen im Altertum oft grosse Heeresmassen am Olymp vorbei. Am bekanntesten ist der Einfall des Xerxes von hier nach Thessalien. Die Nachrichten von andern Heereszügen, die sich hier durchwanden, hat Heuzey ( S. 150—152 ) zusammengestellt. Der genannte Forscher sagt auf S. 145, dass vor ihm noch kein Fremder diesen Reiseweg beschrieben habe. Nach meinen Feststellungen aus der Literatur scheine ich der erste Deutsche gewesen zu sein, der diese Strasse betreten hat. Die Beschaffenheit der Strasse ist sonderbarerweise im fast ebenen Vorland vom Olymp schlechter als später im engen Tal, trotz der dortigen Bodenschwierigkeiten; hier entspricht die Güte etwa jener der Kunststrassen II. Klasse in Deutschland, und das ist für die Balkanländer erstaunlich gut. Der erste Teil der Strasse dagegen löst sich oft in mehrere Fahrrinnen auf, etwa wie ein Fluss mit unbefestigten Sandufern. Bäche, deren normaler Wasserstand etwa einen halben Meter nicht übersteigt, sind auf dieser Strecke nicht überbrückt; man durchreitet oder durchfährt sie einfach, Fussgänger dürften sie freilich kaum trockenen Fusses überwinden können.

Die Vegetation ist fast als üppig zu bezeichnen. Anfangs wechselt Steppenland mit bebauten Feldern und Buschwald, letzterer wird, je weiter wir kommen, mehr und mehr vorherrschend und geht allmählich in Hochwald über. Dieses Steppen- und Waldland ist mit überraschend vielen Singvögeln bevölkert. Der Türke liebt die Natur, er zerstört den freien Pflanzenwuchs nicht und stellt den Tieren nicht nach, infolgedessen gleicht die Türkei in einigen Gegenden einem Naturschutzpark, so auch hier. Ab und zu begegnet man einem zerlumpten und verwildert aussehenden Hirten mit einer kleinen Ziegenherde. Sonst ist die Strasse fast unbelebt. Aus diesem hier 16 km breiten Vorlandgürtel erhebt sich fast ohne Vorberge, nahezu 3000 m hoch, der mächtige, schneebedeckte Olymp, dessen höchste, schroffe Felszinnen von hier gesehen besonders auffallend hervortreten.

Zwei Stunden nach unserem Aufbruch erreichten wir die erste Wohnstätte an dieser Strasse, die Herberge Hani Miljas, etwa 14 km von Katerini entfernt. Bis hierher hatte die Strasse eine kaum merkbare Steigung gehabt, jetzt ging es aber in Serpentinen steiler hinauf. Der etwa 8—9 km lange Strassenabschnitt, welcher hinter Hani Miljas folgt, wird auf der österreichischen Karte Stena tis Petras ( die Enge von Petra ) genannt. Es ist der an Naturschönheiten reichste Teil unseres Weges sowie an der Nordseite des Olymp überhaupt. Mühsam windet sich die in den Fels gehauene Strasse durch Eichenwald hinauf in das Tal des Mavroneri, dessen Tosen aus der Tiefe herauftönt. Der grösste Teil dieser Strecke musste wegen der Steigung zu Fuss zurückgelegt werden, zumal es unsere Begleiter vorzogen, die Kehren auf steilen Saumpfaden abzuschneiden. Die Soldaten prüften die Schussbereitschaft ihrer Gewehre, zwei ritten etwa 10 m voraus, einer folgte in kurzem Abstand; sie waren hier also auf einen Zusammenstoss mit Räubern gefasst.

Etwa 5/4 Stunden waren wir gestiegen, als die Strasse sich wieder ein wenig hinabwand und wir gegen 4 Uhr Petra erreichten. Eine kleine Anhöhe dicht an der linken Strassenseite ist gekrönt von einer Ruine, der eines ehemaligen Karakols, wie unsere Begleiter sagten. Hier lag die Befestigung, welche zur Zeit der mazedonischen Könige wie der Kaiser von Konstantinopel den Weg sperrte. Andere Jahrbuch des Schweizer Alpenclub. 57. Jahrg., Spuren menschlicher Wohnstätten sieht man von der Strasse aus nicht. In der Nähe, wohl in dem dichten Wald versteckt, befindet sich aber noch ein Kloster.

Kurz darauf erreicht man unmittelbar an der Strasse eine vorzügliche Quelle. Hier wurde 10 Minuten gerastet. Die Quelle liegt 380 m hoch.

Oberhalb von Petra wird die Steigung der Strasse eine gleichmässigere, auch springen weniger Felsriegel gegen den Bach vor, so dass sie in annähernd gerader Richtung geführt werden konnte. Dabei bleibt das Tal eng und prächtig bewaldet. Der Bach braust anfänglich in einer tiefen Felsschlucht zur Linken, je weiter wir vordringen, desto mehr verringert sich aber der Höhenunterschied zwischen Bachbett und Strasse. An einer Stelle war ein Stück der Strasse fast bis zu ihrer Mitte abgebrochen und den Steilabfall zur Schlucht hinabgestürzt. Der Anblick und die Aussicht auf die wahrscheinlich dauernde Vernachlässigung berührt besonders einen Ingenieur schmerzlich, denn mit verhältnismässig geringen Mitteln könnte dem weitern Verfall Einhalt getan werden, wenn die Ausbesserung sofort vorgenommen würde. Dort, wo die Schlucht sich ausweitet, so dass sich auf dem alluvialen Absatz neben dem Bach ein schmaler Wiesenstreifen bilden konnte, fallen eine grössere Anzahl kreisrunder Ringe aus Steinblöcken von einigen Metern Durchmesser auf. Unsere Begleiter belehrten uns, dass dieses Fundamente seien, auf denen seinerzeit Hütten für die Erbauer der Strasse gestanden hätten.

Etwa 18 km hinter Hani Miljas trifft man die nächsten menschlichen Wohnstätten, das aus etwa 50 Häusern bestehende Dorf Agios Dimitrios. Es liegt nach meinen Messungen 750 m hoch. Die hier einige hundert Meter breite Talsohle wird teils von Wiesen, teils von kleinern Ackerfeldern bedeckt; die Bergabhänge sind auch hier noch gut bewaldet. Das Dorf macht einen behaglichen Eindruck. Zwischen Obst- und andern Bäumen Häuser aus verwittertem, auffällig grau aussehendem Holz, aber nicht verfallen oder vernachlässigt. Blaue Rauchwölkchen über den Dächern verliehen dem Gesamtbilde einen Anschein des Friedens, als wir abends 6 Uhr 20 dort einritten. Bei einem der Dorfbewohner fanden wir bereitwilligst Unterkunft und einige Verpflegung.

Früh um 5 Uhr 35 ( am Mittwoch, dem 11. Mai ) verliessen wir das Dorf mit zwei andern Soldaten zur Bedeckung. Agios Dimitrios hat eine kleine Militärstation, es liegt an der Bezirksgrenze; die Macht des Wali von Salonik reicht nur bis hierher, das südlich anschliessende Gebiet gehört zum Bereich des Wali in Monastir. Deshalb kommt der Reisende hier auch leicht in Verlegenheit, das ihm zugesagte Geleit reicht nur bis zu der Bezirksgrenze, und es bedarf oft zeitraubender Verhandlungen, um weiterzukommen. Zugleich wird der Schutz auch dürftiger; je grosser die Entfernung, desto schwächer das Machtwort.

Das Tal des Mavroneri wird oberhalb von Agios Dimitrios allmählich flacher und flacher, auch der Wald tritt mehr und mehr zurück und wird dürftiger, schliesslich endet es in ein kahles Hochtal mit verlorenen Resten von Baumvegetation. Man wird lebhaft an die Ausläufe von Hochtälern in den Alpen erinnert. Etwa 7 km hinter dem Dorfe erreicht die Strasse den unbenannten Pass, als dessen Höhe ich in diesem Jahre 957 m, im nächsten 953 m ablas ( die österreichische Karte gibt 805 m an ). Wir erreichten diesen Punkt um 6 Uhr 45 Minuten. Jenseits des Passes senkt sich die Strasse in Windungen hinab an den Han Fuskinadzik vorbei in den ausgedehnten Talkessel von Elasson. Die Entfernung bis Elasson beträgt noch gegen 25 km.

Um nach Kokkinoplos zu gelangen, verlässt man die Strasse etwa einen Kilometer bevor der Pass erreicht wird. Es ist ein rauher Naturweg, zu dessen Verbesserung sich kaum jemals menschliche Hände gerührt haben. Der Weg führt, massig bergansteigend, um die ziemlich steilen Südabhänge des auf der österreichischen Karte Karotia und Vurgar genannten, langgestreckten Berges herum. Besondere Sorgfalt erfordert die Durchquerung der zahlreichen kleinern Erosions-gräben, die unsern Weg durchschneiden und ihn oft ganz zerstört haben. Man muss mehrmals von den Reittieren absteigen, wenn man sich nicht der Gefahr eines Absturzes aussetzen will. Die Entfernung von der Strasse bis Kokkinoplos beträgt etwa 5-6 km, wir brauchten 2 Stunden und 10 Minuten ( im folgenden Jahre 1 Std. 50 Min. ) für dieses beschwerlichste Wegstück unserer bisherigen Reise.

Kokkinoplos ( KoxxivcortXwç ) liegt unmittelbar am Westabhang des Hohen Olymp. Eine ungefähre Höhenbestimmung ergab 1079 m; die Höhe wurde im nächsten Jahre genau bestimmt ( siehe dort ). Der Abhang besteht vorwiegend aus Kalkgeröll und ist völlig kahl. Erst einige hundert Meter höher unterbricht ein schmaler Gürtel von lichtem Nadelholzbestand den sonst eintönigen Hang. Darüber erblickt man zu dieser Jahreszeit kleinere und grössere Schneeflecken. Infolge der grauen Schindelbedachung seiner Häuser und des Mangels von Gärten hebt sich das Dorf in der Farbe von dem Abhang gar nicht ab; aus einiger Entfernung gesehen, könnte man glauben, es sei eine Ansammlung von grossen Felsblöcken, die als Überreste eines Bergsturzes sich dort aufgehäuft haben. Unmittelbar unterhalb des Dorfes breiten sich abwärtsziehende, grüne Viehweiden aus, hier sammelt sich das Wasser einiger Quelladern des Kserias, türkisch Hisar éagi, des altgriechischen Titaresios {Tnaqiqaiog ). Das nur von Walachen ( Mazedo-Romanen ) bewohnte Dorf hat eine ansehnliche Grosse, Heuzeg zählte 200 Häuser. Die Häuser ähneln einander so sehr, dass es mir sowohl in diesem wie auch im folgenden Jahre schwer fiel, nach kleinen Spaziergängen das Haus meines Gastgebers wieder zu finden.

Über die Hochgipfel des Olymp konnten wir von den Bewohnern fast gar keine Auskunft bekommen. Ich wusste darüber mehr als sie selbst. Nur ein alter Hirte kannte einige der von mir genannten Örtlichkeiten. Wegen meiner Ortskenntnis stieg ich bald bei der Bevölkerung und später bei den uns begleitenden Soldaten in Ansehen, und man legte mir den türkischen Titel Babusch, d. i. der Alte, in dem Sinne von dem Erfahrenen, dem Chef, bei.

Wir bemühten uns, für den Weitermarsch so schnell wie möglich Träger zu bekommen. Bis gegen Mittag waren drei Mann gefunden, die uns gegen ziemlich hohes Entgelt begleiten wollten. Sie hiessen Christo Nascho Sriano, Wasil Nicola cocol und Nicola Jani Velis. Ihre Körperkonstitution und ihre Kleidung und Ausrüstung schienen mir freilich den Beschwerden des Hochgebirges nicht gewachsen zu sein. Meine Befürchtung hat sich später als begründet erwiesen. Nur der Erstgenannte verfügte über einige alpine Fähigkeiten und hatte auch Freude am Hochgebirge.

Wir hätten also mittags unsern Aufstieg zum Gebirge beginnen können, hatten aber nicht mit der Saumseligkeit der Behörden gerechnet. Die uns begleitenden beiden Soldaten waren sogleich nach Agios Dimitrios zurückgekehrt. In Kokkinoplos befindet sich zwar auch ein Karakol ( kleine Militärstation ), aber es war zurzeit nur ein Askari anwesend, und der hatte keinerlei Befehl bekommen, sondern nur die Instruktion, niemanden, vor allem keinen Fremden, weiter vordringen zu lassen. Es musste erst eine weitere Bedeckung vom Kaimakam in Elasson erwirkt werden. Und das war langwierig. Bis die Bewilligung zur Weiterreise und neue Bedeckung eintraf, waren wir tatsächlich wie Gefangene an Kokkinoplos gefesselt. Da uns sehr an Zeitersparnis gelegen war, versuchten wir erst mit guten Worten den Soldaten zu überreden, entweder mit uns zu gehen oder uns allein ziehen zu lassen. Vergeblich. Dann mit Geschenken. In Westeuropa glaubt oder glaubte man ja immer, in der Türkei mit Bakschisch alles bewerkstelligen zu können. Aber man ist bei uns diesbezüglich sehr im Irrtum, bestech-lich mögen einige höhere Beamte in frühern Zeiten gewesen sein, der gemeine Mann und jeder Soldat ist vollkommen ehrenhaft, es gelingt nicht, ihn zu irgendeiner Pflichtwidrigkeit zu verleiten. Auch unser Askari blieb unbeugsam. Herr Cauchi fragte ihn, was er tun wolle, wenn wir gegen seine Instruktion handeln würden. Er würde uns mit Gewalt zurückhalten, dabei umspannte er liebevoll sein in Deutschland oder Österreich hergestelltes Gewehr. Es wurde Abend, und wir mussten gegen unsere Absicht in Kokkinoplos übernachten. Der alte Hirt riet uns, in der Nacht durchzubrennen. Im Laufe des Nachmittags war uns unter anderem berichtet worden, dass während der verflossenen Woche unweit des Dorfes eine Räuberbande zerstreut worden sei, wobei zwei Räuber von Soldaten erschossen wurden. Unter diesen Verhältnissen war der Rat des alten Hirten nicht verlockend, und wir blieben in Kokkinoplos.

Am nächsten Morgen ( Donnerstag, den 12. Mai ) waren zwei Soldaten zu unserer weitern Bedeckung angekommen: Der Onbashi ( Unteroffizier ) Emin, Kommandant vom Karakol Agios Dimitrios, und der Gendarm Said Raschid aus Vlakholivadi. Der Erstgenannte trug Abzeichen, welche bekundeten, dass er bereits drei Räuber erschossen hatte. Beide waren vorzüglich ausgerüstet. Wenn man sie mit der mangelhaften Bekleidung des uns im vorigen Jahre begleitenden Soldaten verglich, konnte man den Schluss ziehen, dass die Regierung sich seit dem inzwischen erfolgten Sturze Abdul-Hamids sehr gebessert habe. Sittlicher Ernst, strenge Manneszucht, Mut, Ausdauer, unbedingte Zuverlässigkeit, Treue und freundliches Benehmen zeichnete die Braven wie alle andern muselmännischen Soldaten, die ich früher oder später auf meinen Reisen kennengelernt habe, aus. Ich gedenke dieser Begleiter gerne. Bei den türkischen Soldaten christlichen Glaubens scheinen die genannten guten Eigenschaften jedoch nicht durchgängig vorhanden zu sein, wie das Verhalten von zweien meiner Begleitmannschaften im nächsten Jahre bewies.

Um 63/4 Uhr verliess unsere Gesellschaft bei bedecktem Himmel Kokkinoplos. Ich folgte möglichst genau der Route von Prof. Barth. Südlich des Dorfes tritt eine von Osten sich herabziehende Schlucht aus dem Hochgipfelgebiet heraus; sie dient zum Aufstieg. Um in die Schlucht zu gelangen, überquert man auf einem guten Pfad den Ausläufer des Abhanges, der die Schlucht gegen Norden begrenzt, in südöstlicher Richtung. Man vermeidet auf diese Weise den untersten Teil der Schlucht, der schlecht gangbar ist. Eine halbe Stunde nach Verlassen der Ortschaft hatten wir die höchste Stelle des Pfades erreicht, sie liegt etwa 1300 m hoch, wenig unterhalb der Baumgrenze. Dann senkt sich der Pfad allmählich zur Sohle der Schlucht hinab. Nach einer Viertelstunde war sie in 1230 m erreicht. Nun wandert man zunächst unbeschwerlich in der Schlucht aufwärts. Barth fand hier eine mannigfaltige und reichliche Busch- und Baumvegetation, die er näher beschreibt. Wir entdeckten nur noch kümmerliche Überreste davon.

Um 9x/4 Uhr gelangten wir zu jener Stelle, wo zwei verschieden einfallende Felsschichten zusammentreffen. Die Stelle liegt etwa 1700 m hoch. Hier wurde die Talsohle verlassen und nach Süd-Südost angestiegen. Nach 3/4 Stunden standen wir in etwa 1895 m Höhe am Rande jener « runden, fast trichterförmigen Aushöhlung », die Barths Begleiter Smeos genannt haben. Der darin enthaltene Wasservorrat trug noch eine Eisdecke, und die ganze Umgebung war in einen Schneemantel eingehüllt. Von hier ab habe ich infolge des uns jetzt zeitweilig einhüllenden Nebels Barths Route verloren.

Von Smeos ab schlugen wir eine östliche Richtung ein und traversierten massig ansteigend immer der Nordseite eines Hanges entlang, dabei blieben wir vermutlich stets in annähernd gleichem Abstande vom Grat Der Hang war an einer oder zwei Stellen derartig steil, dass ich in den harten Schnee auf längere Strecken Stufen schlagen musste, um uns gegen die Gefahr des Abrutschens zu sichern. Das Wetter verschlechterte sich beständig, es wurde windig und regnerisch, zuweilen setzte auch Schneegestöber ein. In etwa 2060 m Höhe ragten mehrere grössere Felsblöcke aus der Schneedecke hervor, hier machten wir von 11 bis 12 Uhr Rast. Es gelang uns trotz des ungünstigen Wetters noch, auf den Spirituskochern warme Speisen zu bereiten.

Abgesehen von der stellenweisen Steilheit des Abhanges, scheint dieser ganze südwestliche Teil des Hochgipfelgebietes gut gangbar zu sein, man trifft nur gelegentlich auf kleinere Felsstufen, die sich leicht überwinden lassen; grössere Wände habe ich nicht gesehen; wahrscheinlich ist der grösste Teil dieses ausgedehnten Bergrückens mit Geröll bedeckt. Das Gestein besteht überall aus Kalk. Am Fusse unseres Abhanges breiten sich nach Barths Bericht grosse und vorzügliche Alpentriften aus, die sich zum Teil auch noch an unserem Abhang hinaufziehen. Wir sahen jetzt gegen Norden nur eine ausgedehnte Schneewüste mit einigen Gipfeln. Von der tief eingerissenen Schlucht, dem « breiten, wüsten Felsbett, Xero Lako genannt », die von Norden her in das Hochgipfelgebiet einschneidet, sowie von ihren obern Verzweigungen, von denen Barth viel spricht, war nichts zu sehen Von unserem Rastplatz aus hielten wir uns zunächst südöstlich und waren bald auf dem breiten Kamm des Höhenzuges, den wir nun weiter nach Osten verfolgten. Gegen Süden fällt er als gewaltiges, massig steiles Geröllfeld wohl 600-800 m ab. Unterhalb des Geröllfeldes schliesst sich ein breiter Waldgürtel an, dessen Fuss hinabreicht zur Ziava. In der Waldzone, fast an der obern Baumgrenze, erblickten wir von unserem hohen Standpunkte aus das grosse Kloster Agia Trias. Anscheinend hätte man das Kloster in einer halben Stunde erreichen können, aber der Höhenunterschied dürfte etwa 700 m betragen. Am Südabhang hielten sich auch Gemsen auf. Zwei unserer Träger borgten sich von dem gutmütigen Onbaschi das Gewehr und stiegen über hundert Meter weit ab, es gelang ihnen aber nicht, eines der Tiere zu erlegen.

Das Wetter verschlechterte sich noch mehr, vor allem nahm die Stärke des Windes zu. Der Scheitel des Rückens war zum Teil schneefrei geweht, Geröll und anstehender Fels wechselten ab und verursachten wenig Schwierigkeiten. Wir stiegen allmählich zur höchsten Erhebung hinan. Einige Male wurde sie uns vorgetäuscht. Wenn wir den vermeintlichen Gipfel betraten, erkannten wir, dass weiter östlich eine noch höhere Erhebung folgte. Mit der Höhe und der Stärke des Windes nahm auch die Kälte schnell zu. Sie wurde sogar sehr lästig, indem die Finger trotz der dicken Wollhandschuhe derart erstarrten, dass es fast unmöglich wurde, irgendwelche Gegenstände aus dem Rucksack zu nehmen; es gelang mir auch nicht mehr, meine Uhr oder den Barometer aus der Tasche zu ziehen, geschweige denn Aufzeichnungen zu machen. Es wird gegen 3 Uhr gewesen sein, als wir endlich auf der letzten und höchsten Erhebung standen. Hier herrschte ein eisiger Sturm, der mich in der Nähe des Gipfels zweimal umwarf, denn man sank bei jedem Schritt etwa 20 cm in den Schnee ein und konnte sich dann nicht genügend frei bewegen, um dem Druck des Windes standhalten zu können. Unter diesen Verhältnissen konnten wir nur wenige Minuten auf dem Gipfel verharren. Es wäre auch zwecklos gewesen, denn obwohl wir nicht im Nebel standen, war doch wenig zu sehen und das Wenige unterschied sich kaum von dem, was wir während der letzten Stunden auf unserer Wanderung schon gesehen hatten: links ( im Norden ) eine verschwommene und unklare Schneewüste, aus der sich einige Gipfel erhoben, deren Höhe und Lage sich infolge der ungünstigen Witterungsverhältnisse nicht feststellen liessen; rechts ( im Süden ) der geschilderte, ausgedehnte Geröllhang. Nur gegen Nordosten erschloss sich beim Erreichen dieses Gipfels ein neuer Anblick: In Wolken und Schneegestöber verschwommen, erhoben sich in ziemlich geringer Entfernung die mir vom vergangenen Jahre her wohlbekannten, mächtigen Kuppen, die « Kuppeln einer byzantinischen Basilika », wie Heuzey sie genannt hat. Auf der höchsten hatte ich damals gestanden, diese lag uns jetzt am nächsten. Sie überragte unsern Gipfel nach meiner Schätzung um 100—200 m; daraus habeich geschlossen, dass unser Standpunkt etwa 2600 m hoch sein musste 1 ). Wir drei Reisenden waren durch den langen Aufstieg und die Ungunst des Wetters sehr erschöpft. Noch mehr als wir aber unsere Träger. Sie fingen an, laut zu jammern und uns Vorwürfe zu machen, diese Strapazen würden sie mit dem Leben bezahlen müssen! Ihre armen Angehörigen! Und so fort. Am schlimmsten stand es mit Nicola Jani Velis. Seine Kameraden hatten ihm das Gepäck abgenommen und führten ihn. Wir gerieten in eine bedenkliche Lage, denn unsere Kräfte waren nahezu erschöpft. Zur Erleichterung unserer Gepäcklast liessen wir das Seil im Schnee zurück. An eine Rast war in dieser Schneewildnis, bei Sturm und Kälte und der vorgeschrittenen Tageszeit wegen nicht zu denken. Sollten wir zum Kloster Agia Trias absteigen? Von hier aus war das nicht mehr so leicht ausführbar, wie vor einigen Stunden, und es hätte uns vor allem ganz von der geplanten Route abgebracht. Zudem mussten wir der starken Erschöpfung Rechnung tragen, und so entschieden wir uns für einen teilweisen Abstieg nach Osten. Die einzigen, welche anscheinend gar nicht erschöpft waren, waren die beiden Türken. Sie ermahnten uns stets, sobald sich einer zu kurzer Rast im Schnee niederliess, mit « Haidi », Vorwärts!

1 ) Tatsächlich war die Partie auf dem Gipfel des sogenannten Kafenio ( 2681 m ). Dieser Gipfel ist ein Ausläufer des Skolion ( 2905 m ) und bildet die Wasserscheide zwischen Xero-lakki, Stalamatia und Dhiava ( Ziava ). Im Oktober 1862 hatte die Saumkolonne von Barth diesen Gipfel auf einem leichtern Weg überschritten, um sich nach Bara zu begeben, währenddem Barth selber die Besteigung des Skolion versuchte.M. K.

Den ganzen südlichen Teil des Hochgipfelgebietes kann man als ein unregelmässiges Hochplateau betrachten, dessen wellige Oberfläche etwa in der Höhe zwischen 2000 und 2200 m verläuft. Aus diesem Hochplateau erheben sich die einzelnen, voneinander getrennten Südgipfel noch um etwa 500 m. Infolge solcher Bodengestaltung kann man das ganze südliche Gipfelgebiet, ohne nennenswerte Geländeschwierigkeiten anzutreffen, durchstreifen. Wir umschritten den Südostabhang des von mir im voraufgegangenen Jahre betretenen Gipfels. Zahlreiche kleine Lawinenzüge hatten die Riesenkuppel mit auffallender Regelmässigkeit gefurcht. Während eines nebelfreien Augenblicks entdeckte ich die schwach ausgeprägte Einsattelung, welche überschritten werden musste, um zu dem von Barth Bara genannten Teil des Hochplateaus zu gelangen. Diese Entdeckung verscheuchte alle Sorge um die einzuschlagende Route. Mit Aufwand der letzten Kräfte überstiegen wir diesen, kaum noch 100 m höher liegenden Sattel. Ohne Mühe entdeckte ich jenseits jenen Punkt am Rande von der Hochfläche, an dem meine Begleiter sich im vorigen Jahre von mir verabschiedet hatten. Fast an derselben Stelle liessen wir uns jetzt zu einer Rast nieder, um uns von der Gefahr zu erholen, in der wir infolge unserer Erschöpfung und des schlechten Wetters während mehrerer Stunden geschwebt hatten. Auch bedurften wir dringend der Stärkung für den Abstieg, dem sich von hier ab grössere Schwierigkeiten entgegenstellten.

Der Umstand, dass jetzt zunächst ein steiles und weit hinabreichendes Schneefeld vor uns lag, kam mir sehr gelegen. Die gedrückte Stimmung wurde allerseits gehoben, als ich meinen Begleitern das « Abfahren » auf dem Schneefeld, wie es in den Alpen üblich ist, vormachte, als sie sahen, dass keine Gefahr damit verbunden sei, und sie nun versuchten, es mir nachzumachen. Infolge der bessern Übersicht, die man von oben geniesst, konnte die vereiste Rinne, welche uns im vorigen Jahre beinahe verhängnisvoll geworden war, leicht vermieden werden. Wenn man eine günstige Route findet, stellen sich dem Abstieg von Bara zum Mavrolongo überhaupt keine alpinen Schwierigkeiten, keine Wände, Kamine, Platten und dergleichen entgegen. Aber der Abstieg ist steil und endlos mühsam. Das grosse Schneefeld, auf dem wir abfuhren, ist im Sommer sicher ein Geröllfeld. Unterhalb dieses Feldes wird das Hinabsteigen zu einem fast ununterbrochenen Ausweichen gegenüber kleinen Hindernissen. Es stellen sich zahlreiche kleine Felsstufen bis zu wenigen Metern entgegen, Geröll- und trockene Wasserrinnen mit senkrechten, canonartigen Flanken wechseln ab mit weichem, rutschendem Humusboden. Und das alles in einem Urwalde. Fast bei jedem Schritt müssen, ausser dem Ausweichen gegenüber den genannten Hindernissen, in die Luft ragende Baumwurzeln und gestürzte Stämme überklettert werden. Selbstverständlich gelangt man dabei nicht ohne öfteres Stolpern und Fallen, Hautabschürfungen und beschädigter Kleidung zur Tiefe.

Die Dämmerung war bereits fast völlig der Finsternis gewichen, als wir eine Höhle entdeckten. Sie hatte etwa den Umfang eines massig grossen Zimmers und war an einer Seite vollkommen offen. Ihre Höhenlage beträgt, wie ich später feststellte, etwa 1150 m. Es war etwa 8 Uhr, und wir waren völlig erschöpft, dazu wurde der weitere Abstieg gefährlich; man hätte bei einem der kleinen Stürze, an die wir nun schon gewöhnt waren, infolge der Dunkelheit leicht einen Fuss verstauchen oder ein Bein brechen können. Ich bestimmte deshalb, dass in der Höhle übernachtet werden sollte. Emin erhob Widerspruch. Erst unsere ent- schiedene Erklärung, dass ein weiterer Abstieg infolge Müdigkeit und Erschöpfung vollkommen unmöglich sei, beruhigte ihn. Später, als ein Holzstoss in der Höhle loderte, uns erwärmte und die Kleider trocknete, glaube ich erraten zu haben, was Emin zu dem Widerspruch veranlasst hatte: das Lagerfeuer beleuchtete uns äusserst vorteilhaft für etwaige herankommende Räuber, sie hätten uns mit Sicherheit niederknallen können, während unsere Beschützer, durch das Feuer geblendet, wohl vergeblich das Ziel für ihre Gewehre gesucht hätten. Die Nacht blieb regnerisch und kühl.

Am folgenden Morgen ( Freitag, den 13. Mai ) wurde uns das Aufstehen und Inbewegungkommen recht schwer; durch die Kälte und den harten Boden waren die Glieder fast steif geworden. Früh 4 Uhr 45 Min. verliessen wir die Höhle und waren nicht wenig überrascht, als wir bereits nach einer Viertelstunde die vom vorigen Jahre wohlbekannte Prioni ( Sägemühle ) erreichten. Die Mühle musste wohl im Betrieb sein, denn sie war von einem Mann mit seiner Tochter bewohnt. Wir erhielten die Auskunft, dass die Höhle bekannt sei und oft von Holzarbeitern wie auch oft von Räubern als Unterstand benützt werde. Auch die rauchgeschwärzten Felsen, welche die Höhle nach oben abschlössen, hatten mir beim Tagesgrauen die öftere Benützung verraten.

Im Jahre 1913 haben die beiden bekannten Genfer Herren Fred. Boissonnas und Baud-Bovg den Olymp bereist und dort prächtige photographische Aufnahmen gemacht. Darunter befindet sich auch unter dem Titel « Défilé de la caverne » die von uns benützte Höhle.

In der dürftigen Hütte konnte unsere siebenköpfige Karawane weder Unterkunft noch Verpflegung finden. Wir verliessen den Ort deshalb bereits nach einer Viertelstunde und wanderten das Mavrolongotal hinab. Bereits 6 Uhr 15 wurde das Kloster Agios Dionysios erreicht. Zunächst legte sich die ganze Gesellschaft nieder, um den uns in der vorigen Nacht entgangenen Schlaf nachzuholen. Samuetson und mir waren die kleinen Plagegeister im Kloster noch in guter Erinnerung; wir zogen es deshalb vor, uns ausserhalb der Klostermauern im Wald zu lagern, was Emin nur höchst ungern sah; er beschwor uns, ja nicht die allernächste Nähe des Klosters zu verlassen. Unser Tatendrang war jedoch zu lebhaft, so dass uns das Schlafen nicht gelang. Anstatt dessen schickten wir uns an, die von Ussing erwähnte Grotte und die kleine Kapelle aufzusuchen, die der Sage nach der heilige Dionysios mit eigenen Händen erbaut haben soll. Zu dem Zwecke wanderten wir am rechten Bachufer talabwärts. Schliesslich, vielleicht nach 20 Minuten, wurde uns das Unternehmen aber doch bedenklich, und wir kehrten ohne Erfolg, aber unangefochten zurück.

Die Besprechung betreffs der Fortsetzung unserer Reise führte zu einem Ergebnis, das für mich und Samuelson die bitterste Enttäuschung brachte. Emin hatte den Befehl, uns auf und über den Berg zu begleiten und dann bei der ersten Gelegenheit unsern Schutz andern Gendarmen zu übertragen und sofort zurückzukehren. In Anbetracht der ausserordentlichen Schwerfälligkeit und Langwierigkeit amtlicher Verhandlungen in der Türkei im allgemeinen und in dem entlegenen Olympgebiet im besondern, war ein Gesuch um Bedeckung zu einem nochmaligen Besuch der Hochregion vollständig aussichtslos. Allenfalls hätten wir die beiden unerschrockenen Türken gewinnen können, auf der Route, auf der wir hierher gelangt waren, wieder mit uns nach Kokkinoplos zurückzukehren, aber dann wäre jeglicher Aufenthalt in grösserer Höhe nicht durchführbar gewesen und solches Unternehmen hätte uns keinen Gewinn gebracht. Noch aussichtsloser war es, die drei Träger für eine nochmalige Besteigung zu gewinnen. Sie erklärten aufs entschiedenste, nicht um alle Schätze Salonikis würden sie nochmals auf den verderbensvollen Olymp steigen, sie dankten Gott, dass sie mit dem Leben davongekommen seien. Das immer noch herrschende trübe und regnerische Wetter und die dichte, finstere Nebelschicht der Gipfelregion bestärkte sie dabei noch in ihrer abergläubischen Furcht, und mit schmerzlichem Bedauern musste ich mir das Scheitern meiner diesjährigen Reise eingestehen.

Wir mussten also unsere Reise talabwärts fortsetzen, beschlossen aber, nicht Lithóchoron am Ausgang des Tales zu berühren, sondern die nächste Nacht in einem Klostergut, der Metoche, Metochara oder Metochia ( auf der österreichischen Karte: Mth. A. Zionisios ) zu verbringen. Dieses Gut liegt etwa 3 km nördlich von Litóchoron und ( in der Luftlinie ) etwa 5 km nordöstlich vom Kloster Agios Dionysios entfernt.

Die Aufforderung an die drei Träger, unser Gepäck noch bis zur Metoche zu tragen, löste wieder eine der widerlichen Szenen aus, die man im Orient, wenn man mit Griechen, Juden oder Armeniern ( niemals bei den Türken !) zu verhandeln hat, so oft erlebt; sie weigerten sich, noch weitere Dienste zu tun, obwohl wir ihre Dienste nicht einmal für die volle akkordierte Zeit in Anspruch nehmen wollten. Es gab eine sehr heftige Auseinandersetzung, bei der Nicola Jani Velis der Wortführer war und die beiden andern aufhetzte.

Um 3 Uhr nachmittags verliess unsere Karawane das Kloster. Der Weg ist während der ersten 1 y2 Stunden derselbe, auf dem wir im vorigen Jahre das Kloster erreicht hatten, ein schlechter und ganz schmaler Fusspfad und führt zunächst steil am nördlichen Talabhang hinauf. Durch den wiederholten Besuch hatte ich die Genauigkeit meiner Höhenmessungen verbessern können; das Mittel aus den Ablesungen für das Kloster betrug 782 m. Nachdem man sehr mühsam reichlich 200 m hinaufgestiegen ist, erreicht man den breitem und fast horizontal verlaufenden, eigentlichen Talweg.

Von der Stelle ab, wo der Weg nach Litóchoron abzweigt und zur Tiefe führt, verfolgt man den bisherigen Weg in horizontaler Richtung zunächst noch weiter. Es nähert sich der Austritt des Tales, und der Weg schlägt allmählich eine nordöstliche Richtung ein. Etwa 50 m rechts des Weges liegt ein kleines Häuschen, einem Heustadel ähnlich. Es ist auf der österreichischen Karte eingetragen und mit Marina ( Marula ) bezeichnet. Bald darauf der Abstieg aus der Höhe von 800-900 in in gerader Richtung gegen das Meer. Und welch ein Abstieg! Dieses Stück des Weges wird von den Mönchen Kaki Skala x ) genannt. Und wahrlich, es ist ein sehr böser Weg, geeignet zum Arm- und Beinbrechen, ein Seitenstück zu den « Schindern » im Tirol.

Um 6 Uhr standen wir vor der Metochara, die noch etwa 390 m über dem Meere liegt. Das Klostergut besteht aus mehreren freundlichen Gebäuden, die von einer starken Mauer umgeben sind. Kastanien- und Obstbäume sowie bebaute FelderMit Skala wird nicht nur ein Landungsplatz, sondern auch ein Gebirgsweg bezeichnet.

umgeben es und verleihen der Gegend ein im Olympgebiet sonst ungewohntes, geordnetes und gepflegtes Aussehen, man könnte sich hier nach Deutschland versetzt fühlen.

Am nächsten Morgen ( 14. Mai ) erblickten wir durch unsere Ferngläser ein paar Barken, die an der Skala von Agios Theodoros ankerten. Nach Angabe der Mönche war anzunehmen, dass eines der Schiffe an diesem Tage nach Salonik fahren würde. Nachdem sich wieder ein Soldat zu unserer weitern Bedeckung eingestellt hatte und die uns von den Mönchen besorgten Maultiere bereitstanden, verliessen wir das Klostergut morgens 7x/4 Uhr. Die Skala Agios Theodoros liegt etwa 7 km nordöstlich. Ein schlechter Landweg führt hinab, die Steigung ist fast gleichmässig verteilt, daher gering. Das Land ist anfänglich bebaut, geht dann aber allmählich in das sterile Steppenland der Küste über. Unterwegs sahen wir eine grosse Anzahl Pferde frei umherlaufen, offenbar betrieb man hier eine ausgedehnte Pferdezucht.

Um 9 Uhr wurde der uns vom vorigen Jahre wohlbekannte Landeplatz erreicht. Der uns begleitende Soldat war — wie die frühern — ausserordentlich wachsam. Selbst bei den kleinen Strandwanderungen, die wir bis zur Abfahrt des Schiffes unternahmen, begleitete er uns mit geladenem Gewehr stets in zehn Schritt Entfernung, obwohl man den völlig flachen und kahlen Strand kilometerweit ungehindert überblicken konnte.

Mittags 11/4 Uhr wurden die Anker gelichtet. Diesmal war das Wetter nicht so günstig wie bei unsern frühern Fahrten über das Ägäische Meer. Es war windig, kühl und regnerisch. Am nächsten Morgen um 8 Uhr lief unsere Barke in den Hafen von Salonik ein.

Das Wetter besserte sich auch an diesem Tage noch nicht. Da die mir zur Verfügung stehende Zeit knapp bemessen war, konnte ich einen Witterungsumschlag nicht abwarten und verliess deshalb Salonik am Vormittag des 16. Mai.

Meine dritte Reise zum Olymp und meine Gefangenschaft.

Der Misserfolg im Jahre 1910 Hess mich nicht ruhen, ich bereitete mich vor für eine dritte Reise im Jahre 1911. Meine Ausrüstung wurde vervollständigt, weitere Literaturstudien gemacht und abermals die bisher so langwierigen Verhandlungen wegen der Reiseerlaubnis und der Bedeckung mit den türkischen Behörden geführt. Ich fand übrigens in diesem Jahre ein besseres Entgegenkommen, denn das Misstrauen gegen meine Absichten war gewichen. Mir war bereits im Vorjahre offiziell mitgeteilt worden, dass die osmanische Regierung keine Garantie für meine Sicherheit übernehmen könne. Wenn ich auch nicht mehr weiss, ob ich 1911 daran erinnert worden bin, muss ich doch annehmen, dass dieser Vorbehalt erneut galt. Die Gesellschaft für Erdkunde in Berlin, die Geographische Gesellschaft in Jena und die Firma Carl Zeiss unterstützten mein Vorhaben wieder wie im Vorjahre, wofür ich hiermit öffentlich meinen Dank ausspreche.

Als ich vor Beginn der dritten Besteigung in Salonik den Generalgouverneur ( Wali ) aufsuchte, war er nicht anwesend; sein Vertreter versicherte mir aber, dass alles Erforderliche zu meiner Sicherheit veranlasst worden sei. Begleiter hatten sich in diesem Jahre nicht gefunden. So fuhr ich nun am Morgen des 24. Mai allein mit dem kleinen Lokaldampfschiff über das Ägäische Meer nach Katerini {AixcnsQÌvrj ). Unterwegs fiel mir auf, wie ich von einem der Mitreisenden halb neugierig, halb spöttisch gemustert wurde. Am Landungsplatz Vromeri übergab ich mein Gepäck einem Manne, der verhältnismässig vertrauenerweckend aussah und etwas weniger zudringlich als die andern war. Wir fuhren dann zusammen nach Katerini in einem Wagen, der noch mehrere Personen beförderte. Den neugierigen Schiffsgenossen, den dienstfertigen Gepäckträger und einen der Mitfahrer im Wagen habe ich später als Mitglieder der Räuberbande ( Antonios, Dymno und Liolios ) wiedererkannt; vermutlich waren auch die übrigen bereits in der mich umgebenden Gesellschaft. In dem Städtchen stattete ich dem Kaimakam und dem mir bereits bekannten Arzt Besuche ab. Am nächsten Morgen verliess ich Katerini mit einer Bedeckung von vier Gendarmen. Wir waren sämtlich zu Pferde. Über Nacht war ein Wettersturz eingetreten, der Olymp leuchtete bis 900 m herunter im prachtvollen Schneekleide. Ohne Zwischenfall wurde gegen Mittag das Dorf Agios Dimitrios, die Bezirksgrenze, erreicht, an der die Begleiter umkehren mussten. Während ich im Wachthaus rastete, kam zufällig der Gen-darmeriekommandant des nächsten Bezirkes, Hauptmann Mehmed Ihsan-Bey. Er hatte die Liebenswürdigkeit, mich selbst nach Kokkinoplos zu bringen; mehrere Gendarmen zu Pferde begleiteten uns. Dort beorderte er dann zu meiner weitern Bedeckung vier Gendarmen aus der nächsten Bezirksstadt Elasson; sie trafen am folgenden Morgen in Kokkinoplos ein. Zwei davon waren Christen. Der Hauptmann wollte mir durch diese Auswahl offenbar ein besonderes Entgegenkommen bekunden, hatte aber gerade das Gegenteil erreicht, denn nur die mohammedanischen Soldaten kannte ich als unbedingt zuverlässig.

Der viele Neuschnee gebot, einige Tage im Dorfe zu verweilen, bis ich erwarten konnte, mit Erfolg in die Gipfelregion vordringen zu können. Währenddem habe ich dort eine genaue Höhenbestimmung mit meinem Siedethermometer gemacht. Das Haus des Kaufmanns IwavMaçoviârj, bei dem ich wohnte ( ungefähr in der mittlern Höhenlage des Ortes ) lag demnach 1176,9 m hoch. Die Zeit nützte ich ausserdem durch einige kleinere Erkundigungsgänge in der Nähe aus. Zuerst ging ich allein. Einige hundert Meter vom Dorf hielten sich einzelne Leute auf, denen ich nicht traute. ( Eine dieser Personen glaube ich später als Dymno wiedererkannt zu haben. ) Darauf nahm ich meine Bedeckung mit. Für den Nachmittag des 27. Mai bestellte ich die Gendarmen, um den Abhang westlich des Ortes zu ersteigen. Zur festgesetzten Zeit waren die beiden Christen ( ein Sergent und ein Unteroffizier ) so sehr ins Kartenspiel vertieft, dass ich nach einigem Warten auf ihre Begleitung verzichtete und mit den beiden Mohammedanern allein fortging. Es waren junge, liebenswürdige Burschen, einer war bereits Korporal; leider sprachen sie nur türkisch, so dass ich mich mit ihnen nur schwer verständigen konnte. Wir waren bis nahezu 2000 m hinaufgestiegen und hatten beim Abstieg zwischen 6 und 7 Uhr die Baumgrenze ( hier etwa 1540 m ) wieder erreicht. Der weitere Abstieg bis Kokkinoplos hätte also noch 3/4 bis eine Stunde erfordert. An dieser Stelle befindet sich eine Quelle, die Roudi genannt wird. Wir waren 100 bis 200 m von der Quelle entfernt, da krachte dicht vor uns aus dem etwa 60 bis 70 cm hohen, dichten Gestrüpp ein Schuss, und einer meiner Begleiter brach mit einem Todesschrei zusammen. Wir warfen uns sofort nieder und mein zweiter Begleiter schoss in die Richtung des uns unsichtbaren Gegners. Unmittelbar darauf, kaum eine Minute nach dem ersten Schuss, wurde auch der zweite brave Gendarm getroffen. Es fielen von jeder Seite noch vier »bis sechs Schüsse. Die Räuber blieben aber unsichtbar und sind nicht verletzt worden. Nachdem das Feuer auf unserer Seite schwieg, krochen sie wie sprungbereite Raubtiere vorsichtig heran und feuerten noch aus nächster Nähe auf die bereits Bewusstlosen.

Ich habe die nun beginnende Gefangenschaft in der Broschüre « Meine Erlebnisse in der Gefangenschaft am Olymp » ( Leipzig, Oskar Born, 1911 ) ausführlich geschildert. Eine grössere Anzahl Nachträge liegen als Manuskript vor; sie würden bei einer eventuellen zweiten Auflage eingeschaltet werden und sind auch im folgenden berücksichtigt worden. Das folgende ist ein kurzes Referat, welches sich auf die äussern Umstände der Gefangenschaft beschränkt.

Mir gegenüber standen sechs wild und verwegen aussehende Räuber; ich lernte sie in den nächsten Tagen kennen unter den Namen: Antonios ( ein Walache ), Jannis, Delyannis ( der gelegentlich als Albanese bezeichnet wurde ), Jorgis Liolios, Athanas Stratis und Dymno. Sie waren sämtlich griechischer Nationalität und Christen. Liolios und Stratis waren die Hauptleute. Ihre Persönlichkeiten und Charaktere, ihre orientalische Phantasie und Verschlagenheit, ihre Mystik und ihr Pietismus sind ausführlich auf Seite 30—44 der genannten Broschüre geschildert worden.

Nach einer kurzen Rast und Stärkung an der Quelle wurde die Flucht angetreten. Sie führte den steilen Geröllabhang nach Süden hinab in die Schlucht, welche dann bis zu ihrem untern Ausgang verfolgt wurde. Die Schlucht ist schlecht gangbar, und besondere Mühe verursachten ausserdem Schneeüberreste, die wegen der zu hinterlassenden Spuren nicht betreten werden durften, sondern umklettert werden mussten. Wo sie in das Hügelland ausläuft, bogen wir gegen Süden ab und umzogen in der Folge den Südwestfuss der Hochgipfel. Oberhalb des Dorfes Selos wurde zum erstenmal gerastet. Währenddem trug einer der Räuber einen Brief mit der Anzeige meiner Gefangennahme und der Lösegeldforderung hinab in das Dorf. Die Nacht war angebrochen. In dem nur wenige Kilometer entfernten Kokkinoplos loderte ein mächtiges Alarmfeuer, desgleichen in der nächsten Militärstation Vlacholivadhi, ein Zeichen, dass der Überfall schnell bekanntgeworden war. Gegen Mitternacht bogen wir in eines der bewaldeten Täler ein, die sich von den Hochgipfeln gegen Süden hinabziehen. Bei Tagesanbruch wurde eine vom Gebüsch eingefasste, ebene Wiese erreicht, in deren Umrandung wir uns lagerten und den 28. Mai verbrachten. Die Wiese lag etwa 1300 m hoch. Die Fortsetzung der Flucht während der nächsten Nacht war für die Räuber besonders gefahrvoll; das unweit entfernte Kloster Agia Trias war mit Militär besetzt ( so hatte uns im Laufe des Tages ein Helfershelfer gemeldet ), das Betreten mehrerer Strassen liess sich nicht vermeiden, und der Weg zur griechischen Grenze war zweifellos so gut wie möglich durch eine Postenkette abgesperrt, die durchbrochen werden musste. Mit beginnender Dämmerung stiegen wir pfadlos und mühsam durch dichten Wald in das Tal hinab, vorbei an dem wenige hundert Meter von unserer Route entfernten Kloster. Im Tal wurde die Richtung gegen Südwesten eingeschlagen. Wir gingen teils auf Strassen, teils parallel mit ihnen. Es wurde mit grösster Vorsicht vorgerückt. Oft ging einer als Kundschafter voraus, während wir, völlig unter den grossen Mänteln verborgen, selbst von in nächster Nähe etwa Vorbeikommenden in der Dunkelheit von Felsblöcken nicht zu unterscheiden gewesen wären. Elasson, von dem ich einige Lichter sah, blieb wenige Kilometer entfernt westlich von uns liegen. Die Strasse vom Melunapass ( Jiäßaaic MsXovva0 wurde noch in der Ebene nördlich des Passes überschritten. Da dämmerte das Frührot. Die Räuber konnten ihren Plan, noch während dieser Nacht Griechenland zu erreichen, nicht durchführen, und wir mussten uns in einem Wäldchen nordwestlich des Passes, in etwa 480 m Höhe, verstecken. Hier wurde der 29. Mai verbracht.

Nach Sonnenuntergang stiegen wir hinauf zu den Höhen des südwestlichen Olympgebietes, einer welligen, wenig bewachsenen Hochfläche mit unbedeutenden Erhebungen. Wir erreichten einige Kilometer westlich von der Passhöhe einen Punkt, der eine weite Fernsicht bietet. Von dort erblickte man eine grosse Anzahl von Alarmfeuern. Es war auch bemerkbar, wie von einem Orte aus durch methodisches Schwingen von Fackeln telegraphiert wurde. Sowohl türkisches als auch griechisches Militär war im ganzen Lande vom Ägäischen Meere bis zum Pindosgebirge alarmiert worden und suchte uns. Währenddem rasteten die Gesuchten unbehelligt in der lauen Sommernacht auf der Höhe. Um uns herrschte tiefster Frieden, nur die Grillen hatten ein Konzert angestimmt.

Es wurde dann in grossem Bogen der Melunapass umgangen. Südlich der Passhöhe kletterten wir durch ein trockenes, felsiges Bachbett, überschritten die Strasse und erreichten, wieder auf der Höhe angekommen, einen wegähnlichen, breiten, gerodeten Streifen, der ab und zu mit Steindauben besetzt war. Dieses war offenbar die türkisch-griechische Grenze, aber — wie ich später durch die inzwischen erschienene griechische Generalstabskarte belehrt wurde — nicht die damals gültige Grenzlinie vom Jahre 1898, sondern die ehemalige, 1881 festgelegte, unweit des Kammes verlaufende. Dann wurde bequem auf einem mit spärlichen Kräutern bewachsenen Hochland nordostwärts gewandert. Im Laufe der Nacht mussten mehrere, nach Süden sich senkende Talfurchen rechtwinklig durchkreuzt werden. Sie hatten eine relative Höhe von mindestens 100 m, und die Abhänge waren steil; man musste beim Klettern zuweilen die Hände zu Hilfe nehmen, es war, wenn auch nicht schwierig, so doch anstrengend. Beim Durchqueren des dritten oder vierten Tales, das auch das tiefste war, mussten die Räuber mich führen und stützen, denn ich war völlig erschöpft. Vielleicht ist dieser Umstand Veranlassung gewesen, die Fortsetzung der Wanderung für diese Nacht abzubrechen. Noch vor Beginn der Morgendämmerung des 30. Mai bezogen wir ein Lager in etwa halber Höhe des östlichen Abhanges von dem zuletzt betretenen Tal. Nach Angabe meines Barometers befand sich unser Lager 590 m hoch. Ich habe später auf Grund der griechischen Generalstabskarte festgestellt, dass wir uns im Tal des Kanaras ( Kavagâç ) befunden haben müssen.

Am nächsten Tage wurde ein Hammel geschlachtet und das Fleisch nach griechischer Art in kleinen Stückchen auf Spiesse gereiht und daran gebraten. Von der thessalischen Ebene zogen mehrere Gewitter gegen den Hohen Olymp herauf, und es wurde kühl und regnerisch. Um nicht in der Nässe zu liegen, wurden Büsche umgeknickt, auf denen wir uns lagerten. Zum Zudecken diente mir hier wie auch später einer der schweren Ziegenhaarlodenmäntel von den Räubern. Leider haben die Mäntel Ungeziefer auf mich übertragen, unter dem ich bald sehr zu leiden hatte.v Wir blieben auch den folgenden Tag noch in diesem Lager; erst am Abend des 31. Mai wurde wieder aufgebrochen. Der Abhang wurde völlig erklommen und unsere Wanderung in der bisherigen Richtung fortgesetzt. Wenn nicht der schwere, seelische Druck auf mir gelastet hätte, würden diese nächtlichen pfadlosen Wanderungen im unbekannten Gebiet über die von Kräuterduft umspielten Höhen durch Busch und Fels und finstere Schluchten mit ihrer Romantik und Gefahr mir reiche Anregung geboten haben. Doch der Gedanke an die bange Sorge meiner Angehörigen benahm mir jedes Interesse an der Umgebung und liess nur tote Beobachtungen zu.

In der Frühe müssen wir nahe an dem weltvergessenen Dörfchen Argiropuli ( AqyvqotcovXì ) vorbeigekommen sein, wir stiegen dann hinab in das Tal des Rewma Suvlismenis ( Pe'v/Acc 2ovßXiafisvic ); im Gebüsch der Talsohle wurde der 1. Juni verbracht. Unser Lager befand sich diesmal in 620 m Höhe. Einen halben bis einen Kilometer nordöstlich von uns, auf der Höhe oberhalb der östlichen Talflanke, lag ein Karakol. Die Räuber bemühten sich, mir einen Platz anzuweisen, von dem aus ich es nicht erblicken konnte.

Am späten Nachmittag nahte Befreiung. Fünf Gendarmen oder Soldaten kamen, eifrig umherspähend und das Gebüsch durchsuchend, wobei sie beständig Feç/iavéç ( Deutscher ) riefen, das Tal herauf. Die Klephten nahmen ihre schussbereiten Gewehre zur Hand. Liolios musste mich bewachen, er zog seinen Hand-schar, um sofort zuzustossen, falls ich unsere Anwesenheit verraten würde. Die Verfolger sahen uns nicht und zogen suchend weiter zum Karakol hinauf. Später habe ich oft bedauert, bei dieser Gelegenheit mein Los nicht zur Entscheidung gebracht zu haben.

Sobald die Soldaten in das Karakol eingetreten waren, brachen wir auf, talabwärts nach der thessalischen Ebene. In das enge Felsental münden noch zwei von Nordosten kommende Bäche, worauf der Bach Migntemi rewma ( MiyvTs'fu Qevfia ) genannt wird. Er mündet kurz nach seinem Austritt aus den Bergen in den Mati ( Man ), und dieser fliesst dann in den Peneios ( llrjvsioç ). Gegen Mitternacht traten wir in das Flachland hinaus. Es wurde lange Zeit gerastet, während zwei Mann vorausgingen. Nachdem einer zurückgekommen war, wurden mir die Augen verbunden, und ich wurde geführt. Ich merkte, dass wir in ein Dorf kamen, über einen Hof gingen und in ein Haus eintraten. Als die Binde entfernt wurde, befanden wir uns in einem leeren Zimmer, welches sinnreich so beleuchtet war, dass kein Lichtschein durch die Fugen der geschlossenen Fensterläden ins Freie dringen konnte. Dymno sass bereits, eine Zigarette rauchend, in einer Ecke auf einer Strohmatte. In diesem Ort sind wir fast zwei Wochen geblieben. Das Dorf war zweifellos Kutavi ( Kovcaßi ), mein Barometer zeigte 30 m Höhe an, nach der Karte soll es 87 m hoch liegen. Von ferne hörte ich zuweilen den Pfiff der Lokomotive auf der Strecke zwischen Tempêtai und Larissa. In der Nacht vom 4. zum 5. Juni zogen wir um in ein anderes Haus und in der Nacht vom 8. auf den 9. abermals, und zwar zurück in die erste Wohnung. In beiden Häusern habe ich an bestimmten, unauffälligen Stellen Zeichen angebracht, um die betreffenden Häuser später einwandfrei ermitteln zu können. Allnächtlich wurden von den Dorfbewohnern warme Speisen zur Verpflegung geliefert. Ich litt sehr unter der Plage von Wanzen und noch mehr, bis zur Unerträglichkeit, von den Mücken, die wegen der nahen Sümpfe sehr zahlreich waren.

Am ersten Tage unseres Aufenthaltes kam eine Streifwache und durchsuchte das Dorf. Die Räuber waren kurz vorher, ebenso wie am Suwlismenis, von Genossen darauf vorbereitet worden. Sie bekamen Angst und durchsuchten das Haus nach Verstecken. Aber in unsere Wohnung ist kein Militär gedrungen. Grosse Freude und Eitelkeit herrschte, als sie griechische Zeitungen in die Hand bekamen und lasen, welches Aufsehen ihre Tat erregte und wie ihre Namen in aller Munde waren.

Während unserer Anwesenheit in Kutawi hat — wie ich aus den Gesprächen der Räuber entnahm — die türkische Regierung ein Lösegeld von 20,000 türkischen Pfund bezahlt. Später habe ich auch in deutschen Zeitungen die Meldung von der Zahlung dieser Summe gefunden. Der Verbleib dieses Lösegeldes ist mit höchst seltsamen Begebenheiten verknüpft, die in meiner Broschüre erzählt sind. Nach der Zahlung verliessen uns die beiden Hauptleute mit Antonios. Sie kehrten drei Tage später zurück und Athanas sagte mir, nun sei alles gezahlt, der deutsche Konsul würde mich an einer andern Stelle abholen. Gleich darauf verliessen wir das Dorf. Das war am Abend des 13. Juni.

Die Umgebung des Ortes war von griechischem Militär besetzt. Unser Abzug, daher gefahrvoll, geschah unter eigenartigen Umständen. Anscheinend hat dabei ein griechischer Posten sein Leben lassen müssen.

Wir durchschritten in westlicher Richtung das gefürchtete Fiebergebiet des Mati. Eine schwüle Sommernacht lagerte über den Sümpfen mit ihren zerstreuten Platanen. Nach etwa zwei Stunden lag dieses Land hinter uns, und wir erklommen nun den Abhang der Kritiri oder Karadagh genannten Höhen. Als wir fast ganz oben waren, wurde mehrere Stunden gewartet. Ich habe vermutet, dass ich hier einer Vertrauensperson ausgeliefert werden sollte. Was sich ereignet hat, weiss ich nicht, jedenfalls wurde ich nicht freigelassen, sondern wir bezogen eine Höhle an dem Abhang westlich der Matiquelle. Die Höhle lag etwa 150 m über dem Sumpfland, das Gestein besteht aus einem Konglomerat hauptsächlich von Kalken, in dem u.a. Pyrit eingeschlossen ist; es gleicht jenem, auf dem die Meteoraklöster stehen. Der Ort hatte gegenüber der bisherigen Behausung den Vorzug, dass wir immer in frischer Luft waren und die drückende Hitze des Sommers uns weniger belästigte; aber es hauste dort neben uns allerhand unheimliches Getier, unter anderem Skorpione. Diese Höhle haben wir bis zum Abend des 22. August bewohnt. Als ich später aussagte, dass ich fast während der ganzen Zeit meiner Gefangenschaft auf griechischem Boden verweilt habe, hat das in Griechenland allgemeine Entrüstung hervorgerufen und ist bestritten worden. Damit man meine Behauptung nachprüfen könne, habe ich eine genaue Beschreibung der Lage unserer Höhle angefertigt; man hat sie aber niemals von mir verlangt.

Meine Erlebnisse während des fast ein Vierteljahr dauernden Aufenthaltes in der Höhle beruhen auf den Gesprächen der Gefährten und ihren Rückwirkungen auf mich. Sie sind ausführlich in meiner Broschüre wiedergegeben worden. Äussere Umstände haben unsern Aufenthalt daselbst nicht gestört. Ein Flucht-versuch misslang bei den Vorbereitungen.

In der Frühe des 22. August brachten die Hauptleute, als sie von dem üblichen nächtlichen Ausflug heimkehrten, etwa 1500 türkische Pfund, vier goldene Uhren und vier grosse, goldene Ketten mit; es war das von deutscher Seite gezahlte Lösegeld oder, wie sich später herausstellte, ein Teil davon, denn es waren im ganzen 4000 Pfund gezahlt worden. Bei Beginn der Dämmerung wurde die Höhle verlassen. Gegen Mitternacht befanden wir uns auf den Höhen, welche sich westlich vom Melunapass weithin ziehen; der Ort lag auf türkischem Gebiet und dürfte 4—5 km vom Pass entfernt gewesen sein. Etwa 6—8 km nordwestlich von uns erblickte man einen Lichtkomplex in der Tiefe. Unvermutet händigte Liolios mir zehn türkische Pfundstücke ( unter denen aber — wie ich glaube mit der Absicht des Betruges — eine minderwertige Münze war ) aus, und mit einer gewissen zeremoniellen Höflichkeit reichte mir jeder mit ( ( Addio » die Hand. Ich war frei.

Man hatte mir gesagt, ich solle auf den Lichtschein zugehen. Dort hinab schluchtet sich ein Tal, in dem einige Wölfe heulten. Der Melunapass, auf dem ein türkisches Wachthaus steht, musste näher sein; deshalb wendete ich, aus dem Gesichtskreis der Räuber entkommen, meine Schritte dorthin. Nach ein bis zwei Stunden kam ich, aufs äusserste erschöpft, dort an. Der Wachtposten rief mich von ferne an und infolge der Unmöglichkeit, mich in türkischer Sprache verständlich zu machen, geriet ich nochmals in Gefahr, nämlich vom Posten erschossen zu werden. Die Freude des türkischen Militärs, als man mich erkannt hatte, war gross. Es war viel Militär zusammengezogen worden, um mich zu suchen. Eine besondere Zeltstadt war entstanden, um die Soldaten aufzunehmen. In der Morgendämmerung des 23. August ritten wir dann hinab in die Bezirksstadt Elasson ( EXatracov ). In Begleitung eines deutsch sprechenden, türkischen Leutnants und unter Bedeckung von etwa 25 Mann zu Pferde verliess ich Elasson in der Nacht auf den 27. August. In Kozani überreichte mir der dortige Kamaikam im Namen der türkischen Regierung 1000 Piaster als Reisegeld bis Salonik. Ich geriet noch einmal in Gefahr, indem in dem Gebiet, durch welches unsere Reise führte, die Cholera ausgebrochen war und sich sehr schnell verbreitete. Mit Mühe rettete ich dabei mein Gepäck. Die Bahn ( von Monastir nach Salonik ) wurde von Sorowitsch ab benützt, der Zug blieb aber wegen der Epidemie in Ostrowo liegen. Hier mussten wir eine Quarantäne durchmachen. Es waren mir einige Landsleute entgegen-gereist. In ihrer Begleitung kam ich am Abend des 30. August in Salonik an. Ich fand im Hause des braven Schweizer Kaufmanns Fridolin Jenny Unterkunft und von seiner lieben Familie beste Pflege. Auf der Rückreise begleitete mich ein türkischer Polizist bis zur serbischen Grenze. Am 12. September traf ich wieder in Jena ein, freudig begrüsst von denen, um die ich am meisten gelitten hatte.

Meine Gefangenschaft hatte ungeheures Aufsehen erregt. Alle Zeitungen hatten fast täglich Berichte, Gerüchte und Vermutungen über meine Gefangenschaft verbreitet; selbst in Afrika, Amerika und Ostasien hatte man mein Schicksal verfolgt.

Das Klephtentum ist einst eine Entartung von griechischem Patriotismus gewesen und steht wohl auch jetzt noch mit ihm in Verbindung. Die Türken sind überzeugt, und auch Neutrale geben die Möglichkeit zu, dass die Tat von der griechischen « NationalgesellschaftEih>îxov'EcaiQi'a ) ausgegangen sei. Ohne diese Möglichkeit bestreiten zu wollen, muss ich doch bekennen, dass der Verdacht durch keinerlei eigene Erlebnisse bestätigt worden ist. Trotzdem dürfte meine Gefangenschaft ungewollt die Bestrebungen der Nationalgesellschaft gefördert haben. Denn das Ereignis hat dem Ansehen der Türkei geschadet und hat somit vielleicht mittelbar zum Ausbruch des Balkankrieges im Jahre 1912 beigetragen.

Meine Erlebnisse und Erfahrungen lassen darauf schliessen, dass die Gefangenschaft nicht von den Personen ausging, welche sie bewerkstelligt haben. Plan und Leitung sind allem Anschein nach dem Kopfe eines Mannes entsprungen, der nähere Beziehungen zur Gesellschaft hatte als die beiden verhältnismässig ungebildeten Räuberhauptleute.Vielleicht hat er in Salonik gesessen, mindestens gute Verbindungen dorthin gepflegt. Ihm dürfte auch der Hauptanteil an der Beute zugefallen sein. Ich habe das deutsche Auswärtige Amt vergeblich gebeten, um Einsichtnahme in die Akten über die Verhandlungen mit den Vertretern der Räuber. Wäre mir der Einblick gewährt worden, so hätte er wahrscheinlich zur Ermittlung des Hauptschuldigen geführt. Ebenso habe ich vergeblich um Auskunft über die Spender des grössten Teiles vom Lösegeld gebeten. Ich weiss nicht, wem ich die Befreiung zu danken habe. Meinen Dank kann ich hier nur allen jenen aussprechen, die sich um meine Befreiung redlich, oft aufopfernd bemüht haben, vor allem dem tapferen Militär.

Die Gefangenschaft hat mir Erlebnisse gezeitigt, die zu den furchtbarsten gehören, die einem Menschen beschieden sein können. Sie waren als solche see-licher Art, sind deshalb in dem vorliegenden Bericht nicht erwähnt, aber der Leser meines Buches lernt sie kennen.

Ich erachte es als meine Pflicht, allen jenen, die sich in eine gleiche oder ähnliche Gefahr begeben wollen, davon dringend abzuraten, wenn ihr Leben und Dasein Stolz und Stütze liebender Eltern oder einer eigenen Familie bilden. Wohl ist es kühn und bewundernswert, der Gefahr nicht auszuweichen, aber nur der Unabhängige darf sich ihr freiwillig aussetzen.

Edwart Richter.

Jahrbuch des Schweizer Alpenclub. 57. Jahrg.

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