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Aiguilles du Diable

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Von Hugo Nünlist

Mit 3 Bildern ( 151—153 ) und 1 ZeichnungLuzern ) Ein weltweiter Abend am Col du Midi, 3593 m. Irgendwo verspätetes Steingeprassel, das in den Grüften des Bossonsgletschers verstummt. Aus dem Taldämmer glitzern mild die Lichter von Chamonix. Im Dunst einer verschwommenen, trüben Ferne schimmert lichtmächtig der Mond.

Um 3.30 Uhr verlassen wir die Arbeiterhütte. Lionel Terray, ein junger Bergführer, der kurz zuvor die Eigernordwand durchstiegen hat, hebt zum Laufschritt an; denn der Firn senkt sich sanft, von vereinzelten Linien durchzogen, zum Col du Gros Rognon und zum Fuss ( 3250 m ) des Grand Capucin, der sich finster als Ausläufer der Arête du Diable zwischen die funkelnden Sterne drängt. Bald hellt sich das Gelände auf. Die Kerze wird gelöscht. Wir dringen durch den harmlosen Eisbruch in den Cirque Maudit. Eine breite Kluft zwingt zum Ausweichen. Dann öffnet sich ein wilder Kessel, an dessen Wänden der Schnee fast überall geschmolzen ist; nichts als Rippen, Trümmer-kehlen, hässliche Eisbänder und einige matte Flecken. Im Süden die Fourche de la Brenva, ein Doppeldorn. Er reckt sich eindrucksgewaltig in die Höhe, am Beginn des feingemeisselten Grates der Tour Ronde zum Mont Maudit, 4471 m. Im Westen die Rabenmauer zum Col Maudit, 4051 m, wo nur der Sattel als graublauer Bogen herabblinkt. Nordwärts, hoch über uns, die zersplissenen Aufschwünge des Teufelsgrates zum Mont Blanc du Tacul, die unwirklich aus schuttbeladenen Gräben und glatten Pfeilern emporstreben. Wie Lanzen stechen sie zum Himmel, die fünf Klippen.

Sie kennen eine eigene Besteigungsgeschichte. Der Col du Diable wurde bereits im Jahr 1902 erreicht. Wegen der schroffen Gestalt packte man die Türme einzeln an, zwischen 1923 und 1926. Allmählich reifte der Gedanke, sie zu überschreiten, was 1928 der Seilschaft O'Brien-Underhill mit Armand Charlet und Georges Cachât gelang. Ebenso ein Jahr darauf der Seilgruppe Belaieff-Roch. Bis 1946 wurde der Grat achtzehnmal begangen, aber nur dreizehnmal vollständig, da bisweilen auf die Besteigung der Corne du Diable und der Isolée verzichtet wurde. Die Zeiten sind, entsprechend der Höhenlage und der Verhältnisse, gänzlich verschieden. Von der Torinohütte aus oder vom Col du Midi müssen mindestens elf Stunden bis zum Tacul gerechnet werden.

Die neueste Ausgabe des Vallotführers1 enthält eine Bewertung in Schwierigkeitsgraden. Er beurteilt die Begehung des ganzen Teufelsgrates als TD ( sehr schwierig ) und gibt für gewisse Stellen, unter Verwendung von Haken, die Grade IV und V an. Dies vermittelt wohl einen Begriff, der aber von einem Tag auf den andern falsch werden kann. Bei ungünstigen Verhältnissen oder auch nur besondern Umständen fällt die Wertung zusammen. Die Schwierigkeiten können sich sofort zum Äussersten, vielleicht zum 1 Verlag B. Arthaud, Grenoble/Paris, 1946.

? ' .; Unmöglichen steigern: heftiger Wind und strenge Kälte lähmen die Kraft der Finger; vereiste Felsen oder Schnee auf der Schattenseite erschweren den Erfolg; alles in Nagelschuhen zu meistern, wie die Erstbesteiger es getan haben, erfordert noch mehr Zähigkeit und Gewandtheit als mit Vibram; ebenso in nassen Kletterfinken ( Belaieff ); desgleichen ohne Haken einzutreiben ( die Erstbesteiger ); ferner mehr oder weniger Eisenstifte zu gebrauchen, als der Einschätzung zugrunde liegt, dürfte gleichfalls den Schwierigkeitsgrad verändern; Körperlänge, Spürsinn, körperlicher Zustand und seelische Verfassung vermögen ebenfalls die Anforderungen zu vermindern oder zu vergrössern, also die Leistung zu beeinflussen, so dass jemand die Bewältigung einer bestimmten Stelle als dritten Grades empfindet oder als vierten, fünften, sechsten Grades; und was ein Wettersturz bedeutet, wie dieser die Anstrengungen vervielfältigt, erlebte die Seilschaft Raymond Lamberts: trotz ungeheuren Strapazen brachte es der ausserordentlich tüchtige Führer fertig, auf einer Winterfahrt über den zerrissenen Grat, allerdings unter Weglassung der Corne du Diable und der Isolée, den Tacul zu erreichen. Die erste, vorgesehene, Beiwacht wurde auf der Médiane bezogen. Während der Nacht fiel Schnee, so dass Lambert für 30 m Aufstieg an der Carmen volle zwei Stunden benötigte. Da auf dem Tacul der Sturm ununterbrochen wütete, mussten sie mehrere Nächte in einer Gletscherspalte ausharren, ohne absteigen zu können, obwohl eigentlich alle Hindernisse längst überwunden waren.

Sogar hochalpine Besteigungen ziffernmässig festzulegen, entspringt dem Bedürfnis nach immer zutreffendem Mitteilungen, fördert aber die Genauigkeit nicht. Ziffern beruhen auf beständigen Bedingungen, sowohl in Hinsicht auf den Zustand des Grates als auch auf Wetterlage, Verfassung dei Bergsteiger und Ausrüstung. Dies alles ist jedoch zu sehr Schwankungen unterworfen. Daher verlieren Zahlen die allgemeine Gültigkeit von Fall zu Fall und werden veränderlich. Nicht nur die Dichter sprechen von Dingen, die sich nicht in Zahlen und Formeln schrauben lassen, sondern auch der Bergsteiger weiss um das glückhafte oder unselige Zusammenspiel geheimnisvoller Ursachen oder verwickelter Umstände, die sich wohl zergliedern, oft aber nicht verhindern lassen. Mit sorgfältigen Zeichnungen oder gar Aufnahmen und ausführlichen Beschreibungen ist dem Bergsteiger mehr gedient als mit Ziffern, die einen erlesenen Fall betreffen, der sich selten wiederholt.

Heute scheint uns das Wetter hold gesinnt zu sein; die Felsen sind trocken; von Kälte keine Spur. So freuen wir uns auf das Bergerlebnis, das uns der türmereiche Grat gewähren wird. André Roch hat seine Gefühle in die Worte gefasst: « Die Überschreitung ist gewiss eine der wunderbarsten, die man in den Alpen finden kann. Diese Fahrt übertrifft an Schönheit, Genuss und Schwierigkeit alles, was man sich vorstellen kann. » Um 4.45 Uhr nähern wir uns dem klaffenden Bergschrund. Ein Eiswall leitet zu Felsen, wo ein kalter Riss auf die ersten Steilstufen führt. Von hier an klettern wir gemeinsam, über grobe Blöcke, Rippen, auf Grus und wackeligem Gestein. In den Eis-stüizen der Brenva beginnt es im Frühlicht zu donnern; doch unsere Steinwüste verhält sich ruhig. Die Grathörner leuchten braunrot auf, scheinbar zum Greifen nah. Wolkenschleier, dünn wie ein Hauch, segeln vom Weissen Berg her une lösen sich auf. Endlich betreten wir den schmalen Schneekamm, den kaum ein Anflug von Wächten säumt. Während der halbstündigen Rast am Col du Diable, 3951 m, verweile ich mich am silbernen Schummerlicht, das im Osten als zarter Glanz über Tal und Bergketten flutet. Drüben ei strahlt die Aiguille Blanche de Peuterey in makellosem Gewand, dessen Saum hingegen, uiter dem Pilier de l' Angle, vom Steinschlag zerfetzt und schmutzig isb.

In wenigen Minuten gewinnen wir die Scharte, wo Lionel unverzüglich über griffige Granitplatten und einen Riss hinauf den ersten Gipfel erklettert. Während er das Abseilen vorbereitet, kauere ich einen Augenblick auf der rauhen, geneigten Tafel der Corne du Diable, 4064 m, und bestaune flüchtig die Zähne, die sich zwischen uns und dem Tacul aus dem Felswall erheben. Von einer Schulter seilen wir ab, unmittelbar in die Bresche zurück. Wie eine Schlange zischt hernach das Seil herab.

Einige Schritte, dann befinden wir uns unter dem Plattenschuss des nächsten Hcrns. Die Griffe werden immer spärlicher, bis man an einem Haken das Seil einklinken kann. Die Schneide ist luftig und wirft sich, aus festem Fels gefügt, jäh zum Himmel auf. Dann lehnt sie sich zurück und bewilligt der hohen Warte der Pointe Chaubert, 4074 m, ein ebenes Plätzchen, das, wie ein Adlerhorst geschützt, fast unnahbar über den Gefilden aus Schnee und Eisströn\en thront. Auf einem Absatz sind Abseilschlingen angebracht. Das Sechzigmeterseil fliegt in die Leere und reicht halbwegs zur Brèche Médiane. Tei ray taucht hinab. Seine Fahrt kann ich nicht verfolgen; die Wand wirkt überhängend. Sich hinauszulehnen, ist nicht gerade verlockend. Nach einigem Warten vernehme ich aus der Tiefe einen unverständlichen Ruf. Das Sei ) hängt schlapp im Ring, also darf ich es im Karabiner der Sitzschlinge einschnappen lassen und über die Achsel stülpen. In Sprüngen gleite ich so behende als möglich, um Kraft zu erübrigen, von Vorspiung zu Vorsprung bis zu einem schneebedeckten Erker. Nochmals Auswurf des Seils, das just in die Lücke, 4017 m, schnellt.

Am Fuss der Pointe Médiane legen wir den Kopf in den Nacken. Irgendwie muss es weitsrgehen. Lionel, der den Grat zum erstenmal begeht, blättert eine Weile in Buch, dann greift er entschlossen an, über leichte Sockel-schichten in sinen Riss, darin 25 m hinauf zu einem Haken, worauf sich ein heikler Pendelgang zu einer Gratkerbe anschliesst. Der Fels schwingt sich haltlos auf. An der Nordseite haften einige Leisten, die schräg aufwärts zu einem Stand führen. Wiederum Quergang in die Wand hinaus. Es verbleibt nun nichts anderes, als senkrecht und sehr ausgesetzt den Grat zu erringen. Schuhe und Arme verkeilen sich in einem handbreiten Riss, während die Finger vergeblich nach verborgenen Stützen tasten. Auf halber Länge muss ich verschnaufen. Dann drücke ich mich vorwärts, bald angeschmiegt, bald in beherzten Klimmzügen; es sind missliche Orte, solang man keinen währschaften Griff packen kann. Wir beide finden diese Stelle als die anspruchsvollste und schwierigste. Kaum ist der Grat gewonnen, versperrt ein Riegel den Weg. Wir steigen auf der Südseite ab und befinden uns nach einem Spreizschritt auf herrlichem Kletterfels, der sich treppenartig aufbaut. Die Die Alpen - 1947 - Les Alpes34 Pointe Médiane, 4097 m, wird gebildet von behäbigen, etwa 5 m hohen Felsbrocken, die zwischen sich Fenster offenlassen. Lionel begibt sich in den westlichen Durchschlupf. Mit dem Rücken an einer Wand, den Fussen an der andern, stemmt er sich allmählich höher. Oben verlagert man das Gewicht, um mit der linken Hand eine Kante zu erfassen und den Körper auf den Gipfelboden zu schwingen. Wieder unten, kriechen wir durch das Tor auf die Westseite und seilen 30 m über die stotzige Felsflucht ab zur versteckten Brèche Carmen. Über uns ein seltsamer, eigenwilliger Ziegelstein, der einen Gratkopf wie ein Dach überragt; unter uns ein ungeschlachter Felsklotz, der sich im Fallen im engen Schacht verklemmt hat.

Sogleich setzt verschneites Gefels zu einer wuchtigen Schöpfung an, die in der Doppelspitze der Carmen, 4109 m, endigt. Zwischen den Zacken gönnen wir uns etwas Ruhe und schauen hinüber zur Isolée, die als mächtiger Kegel fast abseits des Hauptgrates steht und von Süden als schlanke Säule, ja als Nadel erscheint. Wir sehen hinauf zum Tacul, von dessen aufgewühlten Flanken einige Geschosse die Schlucht hinunterprallen. Ungemein zerklüftet weisen all die Wände zum Abgrund. Wir raffen uns bald auf, die höhere Westzinne zu besuchen. Eine stumpfe Kante verläuft bedenklich schräg hinan. Durch Anpressen der Sohlen auf der Nordseite hebt sich Lionel zum höchsten Punkt, wo er sich im Reitsitz übt, bis ich oben und wieder unten bin. Sofort wird das Seil in den Raum geschleudert. Zweimal 30 m schweben wir in kühner Fahrt zur brüchigen Brèche du Diable, 4054 m. Jedesmal gelingt es Lionel, das lange Seil ohne weiteres einzuziehen. Es sind jeweils sorgenvolle Augenblicke, bis es eingeholt ist.

Wir verfügen über ein Sechzigmeterseil aus Nylon, das gute Dienste leistet. Da und dort ist ein Faserbündel angeschnitten; der Federbolzen wird jedoch von den Maschen festgehalten. Terray ist der Ansicht, es nütze sich rascher ab als die bisherigen Seile. Immerhin lassen sich etliche Vorteile aufzählen: kleineres Gewicht; glatte, weiche Oberfläche, so dass das Seil auch zu Beginn des Abseilens und selbst über Wollkleider geschmeidig gleitet; leichteres Einziehen aus der Schlinge; Wasserfestigkeit; verdrussfreies Lösen der Knoten.

Das Joch weist ein verwittertes Grätchen auf, das unter den Fussen Terrays zusammenknickt. Eine Runse schliesst sich an, die zur Brèche de l' Isolée ansteigt. Wir benützen sie bedachtsam; zu viel lose Steine sind bereit, nach der leisesten Berührung hinabzupoltern. Die Gegend liegt im Schatten, so dass es merklich kühl wird. Man erhascht einen zauberhaften Blick zum Mont Maudit, wo die Sonne auf den Schnee fiebert, so dass die Firnhalden über den abweisenden, steinschlagbedrohten Mauern gleissen und die Eisbrüche aufblitzen. Wir begeben uns 15 m zurück unter die Lücke. Lionel überwindet mühelos einige Stufen und zwängt sich dann einen Riss hinan bis unter einen Überhang, wo Seilschlaufen hängen. Dort klinkt er Karabiner und Seil ein. Ein gewagter Querschwung, eine knifflige Schneide, 3 m darüber ein Stand, wo er sichern kann. Mit der Kante will ich mich nicht lange an-biedern. Südlich, 1 m tiefer, befindet sich eine Verschneidung. Ich stopfe die Sohlen in den breiten Winkel, um etwas Reibung zu erzeugen, stütze die flachen Hände auf die Platten zu beiden Seiten und vermag mich so hinaufzuhissen. Es folgen noch 35 m, die in unterhaltsamem Klettern zurückgelegt werden. Darn halten wir uns eine Weile auf der letzten Spitze, der Isolée oder Pointe Blanchet, 4114 m, auf. Vom Überhang weg seilt man bis unter die Scharte ab. Insgesamt haben wir etwa 200 m abgeseilt.

Es verb eibt noch der Gipfelgrat zum Mont Blanc du Tacul mit seinem unzuverlässigen Blockwerk. Von der Ostspitze, 4247 m, treten wir auf einen Schneerücke: l und stehen um 14 Uhr auf dem Westgipfel, 4248 m. Eine Seilschaft wjmdert über den Col Maudit. Aus dem Gebiet der Aiguille Verte der dumpfe " " on eines rauchenden Steinsturzes. Eine Dohle kreist und flattert zu einer Nische nieder, um eine Gabe zu erwarten. Obwohl ich allerhand Leckerbissen in den Taschen verwahre, ist mir die mildtätige Handbewegung zu viel. Ich Dleibe hocken. Heute reut mich diese hartherzige Haltung; denn die arme Ticrseele hätte sich königlich gefreut, in schneidigem Flug nach Süssigkeiten zu pfeilen.

Eine Kehle mündet in den Bergschrund. Dort lassen wir uns hinab und stapfen dann in Tritten, die erst hart, später knietief zur ausladenden Hochfläche führer.. Geräumige Stufen, die niemand leichtsinnig zerstört, senken sich zu Spalten, die ohne Gefahr übersprungen werden. Jetzt nasser Schnee. Eilig geht 's dem Col du Midi zu; denn die frische Rutschbahn inmitten zah loser Eisstücke zeugt von dem Wühlen des Bruches und dessen Tücken.

Von 15 " Jhr an halten wir uns in der schlichten Hütte auf und verlassen sie nach zweieinhalb Stunden, um durch das unübersichtliche Gewirr des Géantbruches die Requinhütte, 2516 m, zu erreichen. Unter einer Leiter, die einen au; gehöhlten Eiswulst überbrücken hilft, verlieren wir zu meinem Ärger die Aufstiegsspur. Der Schnee fehlt. Nur noch Eis umgibt uns, das in tausend Formen zerstückelt ist. Lionel lässt sich nicht aus der Fassung bringen, kreuzt selbstsicher durch all die Widerwärtigkeiten und macht Sprünge bis 3 m tief, die ich wohl oder übel nachahmen muss.

Die Abendglut leuchtet im Bergkranz auf. Das Eismeer verblasst zu einer Mulde voll eintönig grauer Farben. Ich sitze vor der Hütte beim holprigen Steig, der vom Bruch herkommt. Ein langer Blick schweift noch hinauf, weit in den Gletscherhintergrund, dorthin, wo ein zerhackter, trotziger und dunkler Gral einen sonderbaren Pfad zur Gipfelwelt des Weissen Berges weist.

Zeiten am 2. August 1947:

Col du Midi. 3.30 Uhr,Tacu114.00—14.15 Uhr, Col du Diable 6.15—6.45 Uhr, Col du Midi... 15.00—17.30 Uhr, Isolée 12.25 Uhr,Refuge du Requin 19.30 Uhr.

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