Auf dem Nabel der Welt, Gunung Agung oder Piek v. Bali | Club Alpino Svizzero CAS
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Auf dem Nabel der Welt, Gunung Agung oder Piek v. Bali

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( Gunung Agung oder Piek von Bali ) Mit 1 Bild ( 24 )

Skizze von Wolf Maync

( Gunung Agung oder Piek von Bali ) Mit 1 Bild ( 24 ) Das kalte Sternenfunkeln ist verblichen. Graues Dämmerlicht breitet sich über die erwachende Insel, und ein duftigzarter Dunst schwebt über satt-hellgrünen, schlafenden Reisfeldern.

Da, auf einmal zittern goldene Strahlen am östlichen Himmel, lodern glühende Flammenbündel empor.

Es ist heller Tag geworden.

Unten in den Dörfern ist man schon längst rege. Hinter den dicken Lehmmauern, die böse Dämonen, Geister und die krankheitsbringenden Leyaks ( Hexen ) fernhalten sollen, verbergen sich kleine Hütten unter schlanken Kokospalmen, ruht der Pura dessa ( Dorftempel ) unter blütenschweren Hibiskuszweigen. Noch kauern kalte, nasse Schatten unter dem heiligen Waringinbaume, bei der in Stein gefassten Quelle.

Federnden Schrittes eilen Balinesen mit ihrer Last dem Markte zu. Fröhlich lachende Frauen tragen früchteschwere Körbe auf dem Kopf, aufrecht und leichten Ganges. Nackte, braune Kinder mit blitzenden Augen und hervortretenden Reisbäuchen tollen am Wegrand in schmutzigen Pfützen, wo schwarze, dickgefressene Schweine wühlen. Sehnige Ochsen ziehen langsam hochräderige, ächzende Karren, und aufgeregte Hühner flattern gackernd und in Todesangst noch schnell vor ihnen quer über den Weg.

Wie ein Geschmeide blitzt die Sonne in den bewässerten Reisfeldern, die terrassenförmig bis hoch in die Täler und Bergrunsen klimmen und sich an steile Vulkankegel lehnen. Mit schwarzen Lavakrusten bedeckt, erhebt sich der öde, rauchende Gunung Batur aus einem riesenhaften, kahlen Krater empor. Neben ihm spiegelt sich der breite, mit Urwald bewachsene Gunung Telukbiu Abang im geheimnisvoll tiefen Batursee wider. Und aus der grünen, fruchtbaren Ebene von Süd-Bali ragt mit blauvioletten Schatten der heilige Gunung Agung in den klaren Morgenhimmel, wo Schiwa, die oberste Gottheit des balinesischen Hinduismus, als Sonnengott Bhatara Suria thront, fern über der unbedeutend kleinen Welt der Menschen.

« Heilig ist der Berg, und er wird verderben, wer sich ihm nähern wollte », so warnt der Padanda ( Priester ), drohen Dewa und Gusti, die Fürsten, und glauben die Sudras, die Angehörigen der niedrigsten balinesischen Kaste, das Volk. Denn auf dem Gunung Agung, dem Dach der Erde, steht der ewige Thronsessel Bhatara Surias, und seinen tiefen Krater nennen die Balinesen ja den Nabel der Welt, wo Rangda, die grauenhafte Königin der Leyaks, haust und sie ihre dem Menschen Verderben bringenden Pläne schmiedet. Siehst du nicht, wie die gelben Schwefeldämpfe und spukhaften Rauchsäulen, wie die stossend-zischenden Nebel des Unheils dem Berges-schlund entweichen, um sich dann bei Einbruch der Dunkelheit auf die friedlichen Dörfer Balis zu wälzen?...

In der weiten Fläche von Süd-Bali schwanken schwellende Reishalme im Winde. Tausend Tempel, sowohl fürstliche Bauten mit wunderbar orna-mentierten Pforten und Höfen, wie kleine Dorftempel und bescheidene, pagodenartige Merus ( Weiheplätze der Berggottheit ), sie liegen über die fruchtbare, grüne Insel verstreut wie vergessenes Spielzeug auf einer verlassenen Wiese. Und aus dieser lieblichen Landschaft wächst in vollendeter Regelmässigkeit der Kegel des majestätischen Gunung Agung in den Himmel hinauf, und sein kahler, einsamer Felsengipfel mit dem unbekannten Krater ragt mit seinen 3142 m hinein in die segelnden Wolken.

Der Berg lockt, wie die unberührten Berge Grönlands es getan haben, er ruft, wie die herrlichsten Gipfel meiner Berner Heimat nie aufhören werden, mich zu rufen, so dass das Herz bei ihrem Anblick anders zu schlagen scheint als vordem und du unmittelbar zu fühlen vermeinst, was andere nur ahnen oder glauben...

— Ein wunderbarer Morgen ist angebrochen.

Voll Unruhe und Erwartung sitzen wir im Auto, das uns dem Berge näher bringt. Ist es nicht, als ob ein Käfer dem Fusse eines schlafenden Riesen entlang kröche?

Nach langen Unterhandlungen mit dem Dorfältesten von Rendang zeigt es sich, dass wir froh sein müssen, wenn fünf Kulis und drei Reitpferde mittags zur Stelle sein werden, die uns hinauf nach dem Bergdörfchen Lebih bringen sollen.

So steigen wir hinauf nach Besakih, zum Muttertempel Balis, der heiligsten Stätte der ganzen Insel ( Pura Sad Kahjàngan ). Siebzig Treppenstufen führen zum eigentlichen Schiwatempel, der Pura Panataran Agung, empor. Zahllose dunkle Merus, die Inkarnationsstätten von Schiwa und Berggöttern, stechen hinauf in den lichtblauen Himmel. Ringsherum spürst du unendliche Einsamkeit und Stille, man fühlt sich nahe dem Höheren, dem Unerfasslichen und doch Allgegenwärtigen, vor dem sich ein jeder, der überhaupt empfinden kann, hier in diesem Tempelhof, hoch über fruchtbaren Reisfeldern und angesichts des fernen, brausenden Ozeans, einfach beugen muss in der Erkenntnis seiner eigenen Kleinheit und Bedeutungslosigkeit...

Im Dörfchen Muntjan stehen unsere Pferde bereit: erbärmlich abgemagerte Kreaturen, über deren Knochen sich ein wundgescheuertes Fell spannt. Elendige Tiere sind es, die uns mit ihren entzündeten Augen trübselig, fast vorwurfsvoll, anblicken. Im ganzen Ort ist kein Sattel aufzutreiben, so dass wir unsere Decken und Jacken auf die hervorstechenden, scharfkammigen Pferderücken binden müssen. Und dann beginnt der fast unerträgliche, zweistündige Folterritt hinauf nach Lebih, wo sich die Schinder-mähren bis zum folgenden Tage ausruhen können.

Hinauf durch dichten, lichtarmen Urwald und vorbei an lianenumschlun-genen Riesenbäumen schlängelt sich der Pfad. Über tiefe, sonnenlose Schluchten, wo gewaltige, umgestürzte Fikus-Stämme modern, wölben sich breite, lichtgrüne Fiederzweige von Baumfarnen. Doch höher oben lichtet Die Alpen - 1947 - Les Alpes9 AUF DEM NABEL DER WELT sich der Wald allmählich. Sonnenstrahlen fallen durch die hohen Baumkronen und tanzen zu unseren Füssen. Stunden vergehen.

Unvermutet erblicken wir vor uns den kahlen Felsenwall von Balis höchstem, geheimnisumwobenem Berg. Staunend stehen wir still. Links und rechts erheben sich uralte, flüsternde Tjemaras mit haarigen, graugrünen Bartflechten und moosbewachsenen Ästen, wie unsere heimatlichen Bergföhren. Dazwischen wächst kniehohes, rauschendes Gras.

Sonnenuntergang! Leuchtende Wolken ziehen am goldenen Abendhimmel entlang — doch plötzlich ist ihr goldroter Saum erloschen und bleigraue, tote Wolkenballen hängen im Nichts. Düstere Schatten kriechen den Berg hinan. » Bald erreichen wir eine kleine Bambushütte ( 2200 m ). Wie ein Sammet-vorhang senkt sich die tiefdunkle Tropennacht über unsere Welt.

Ein prasselndes Holzfeuer verbreitet Licht und mildert die bittere Kälte. Grell zirpen die Grillen im Walde. Zahllose Feuerfliegen kreisen durch die Nacht. Tief unter uns blitzen die Lichtlein der Dörfer, Inseln in der Dunkelheit. Und über uns wölbt sich der ewige, schwarzsamtene Himmel mit den glitzernden Sternen, den Boten des Jenseits. Unmittelbar vor uns blinkt das Sternenkreuz des Südens wenig über dem Horizont. Gespenstische Wolkenfetzen segeln lautlos über den Mond hinweg ins Unendliche.

Das Feuer ist erloschen. Zitternd vor Kälte kriechen wir hinein in die baufällige Schutzhütte. Eng aneinander liegen wir in unsere Decken gehüllt. Und starren ins schwarze Nichts. Die Gedanken überstürzen sich in wirrer Folge. Gefühle von gestern, Empfindungen von heute und Erwartungen von morgen kreisen durcheinander, ohne Zusammenhang scheinbar...

Die Kulis flüstern noch lange, wie Verschwörer in ihre Sarongs ( Lenden-tücher ) gewickelt; ihr Tuan ( Herr ) begreift schon, worum es geht: entweder bezahlt er morgen bedeutend mehr als unten im Dorf verabredet wurde oder die Kulis weigern sich einfach, weiterzugehen. Aber der erbärmliche Tuan tut, als ob er schliefe!

Der Tag dämmert leise in weltenferner Stille.

Tief unter uns hat die Sonne schon die nächtlichen Schatten verscheucht, und über die jungen, zarten Farben der Ebene hat der Gunung Agung seinen blauvioletten Riesenschatten geworfen.

Ameisen gleich klettern wir an der steilen, schattenkalten Bergflanke empor. Meine Hände liebkosen den nackten Fels. Was für eine Lust, endlich wieder kahles Gestein zu fühlen, das nicht unter einer unsinnig dicken Tropenvegetation verborgen ist! Wie lang ist es her, seit ich fern in den Bergen meiner Heimat solch harten, blossen Fels durchklettern durfte, in den Bergen, die nicht aus meinem Leben wegzudenken sind?

Sieh, da leuchten rote Alpenrosen, wurzeln in Felsspalten die Stauden des silbernen javanischen Edelweiss! Wer zweifelt daran, dass meine wehmütigen Gedanken von den einsamen Felsen in Bali über Seen und Länder hinweg dem unvergleichlichen Berglande galten, das ich meine Heimat nennen darfEin monotones Gemurmel ruft mich jählings aus meinem traumvollen Gedenken. Die Kulis haben begonnen, vor sich hin zu singen und zu beten; denn bald werden wir den Kraterrand des Götterberges erreicht haben, wird der öde, unerforschte Kraterkessel zu unseren Füssen liegen, Rangdas unberührte und unheilbringende Gesteinswüste. Wird Schiwa die Vermessenen in seinem göttlichen Zorn zerschmettern?

Aus losen, schwarzbraunen Vulkanschlacken zischen heisse, zersetzende Dämpfe hervor. « Der Berg wird bersten », höre ich eine furchtsame Stimme hinter mir flüstern...

Über steile, glatte Felsen habe ich den Kraterrand überklettert. Grelles Sonnenlicht blendet für Sekunden meine Augen.

Unten im Tiefland breitet sich ein wolliges Wolkenmeer aus gleich einem brandenden Ozean, woraus unser Berg in vollendeter Form herauswächst, dem Himmel, der Sonne entgegen. Schiwas ewiger Thron hoch über der Welt. Im Osten ragt der lockende Gunung Rindjani ( 3775 m ) von der Insel Lombok in den lichtgoldenen Morgenhimmel hinauf.

Überwältigende Ruhe und Verlassenheit. Nur mein Herz pocht und bebt. Bergglück über der sorgenreichen, lärmenden Welt. Was kann schöner sein?

Nackte Wände stürzen in jäher Flucht in den Krater hinunter, wo aus kleinen Vulkankegeln und weissgelben Klüften ruhige Rauchwolken und Dampfsäulen aufsteigen und verfliegen.

Wie schwer ist der Abschied von einem Berggipfel, von dem man weiss, dass man ihn nie mehr betreten wird! Und doch kommt der Augenblick, wo man sich losreissen muss vom Gipfelerleben und vom herrlichen Träumen über den Dächern der Welt. Als ein Reicherer steigst du hinunter und zehrst vom erschauten Bergglück und seinem Frieden, den dir zu rauben keine menschliche Gewalt je imstande sein wird.

Sollte es Bergsteiger geben, die je vergessen können, dass sie Bevorzugte sind, Bergsteiger, die nicht erfassen, dass nur sie allein einen unvergänglichen Schatz besitzen, den zu halten sich ihr ganzes Leben gelohnt hat?

Drei Stunden später steigen wir in einem tropischen Platzregen auf unsere jämmerlichen Pferde, die uns unter gehörigem Rütteln und Straucheln nach Muntjan hinuntertragen.

Der heilige Berg hinter uns ist in den Wolken verschwunden, in seiner eigenen Welt zurückgeblieben, in die wir einen kurzen, wonnevollen Blick tun durften. War's nicht ein Blick ins wunschlose Jenseits?...

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