Auf den Spuren des Höllbachs | Club Alpino Svizzero CAS
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Auf den Spuren des Höllbachs

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vVon Hugo Nünlist

( Hölloch Muotatal ) Mit 4 Bildern ( 117-120 ) und 1 PlanLuzern ) Zwei Tage später erfolgt der Vorstoss über den Burkhaltersee. Mangels eines Bootes gab ich dort ein Jahr zuvor auf. Der Zettel ist an der Wand noch vorhanden. Folglich ist es keine Stausenke, trotz einem unergründlichen Schlot im Seilgang. Der 18 m lange See wird nur von einem Sinterbächlein gespiesen, das wie manches andere selbst in Regenzeiten unverändert bleibt. Baur, Burkhalter und Hegnauer gondeln im Boot hinüber, beobachten diesmal einen auffallend kalten Wind und landen am Schlammufer der Gegenseite. Die Verwerfungszone war somit letztes Jahr bereits überwunden. Nach 200 m ein ärgerlicher Tümpel, der kein Ausweichen gestattet. Sie holen das Boot und setzen über. Der Gang scheint in Breite und Höhe zuzunehmen und sendet starke Äste aus. Sie nennen ihn SAC-Gang und vermessen bis P. 77,1500 m weit. Überall Deckenbrüche, darauf sogar Stalagmiten; Trockenlehm, nirgends Wasser; zuletzt blanker Boden, doch wird er nicht mehr überschwemmt. Nach zwölfstündiger Fahrt treffen sie begeistert im Lager I ein.

Eine Stunde zuvor ist wider Erwarten die Hitzkircher Gruppe1 unter der Leitung Dr. Böglis auf neuem Weg vom Himmelsgang her erschienen. Sie erstrebte eine zweite Verbindung mit unserm Titanengebiet, einerseits um die Vermessungsarbeit im Sommer 1952 zu überprüfen, anderseits um einen noch kürzern Zugang zum SAC-Biwak zu finden und dadurch den aufreibenden Umweg über den Isisstollen zu vermeiden. Es gelang ihr denn auch, vom Trait d' Union aus, vor dem Pas de l' Echelle, durch den Altarstollen, der unter dem Marterstollen hindurchführt, den Polypgang und damit den Titanenabschnitt zu gewinnen. Es ist ein ebenso überraschendes wie willkommenes Ergebnis, weil jetzt, bei Überflutung des Styxganges, vom Riesensaal her eine kürzere und bequemere Verbindung zum SAC-Lager besteht. Wir bedauern, dass uns die Hitzkircher Gruppe, da sie keine Biwakausrüstung mitgebracht hat, um Mitternacht verlässt. Sie erreicht ihr Lager im Glitzertor bei der Regenhalle erst um 7.30 Uhr morgens.

Am 30. Dezember verlassen zwei Gefährten die Höhle. Wir übrigen unternehmen auf Anraten Dr. Böglis den grösstmöglichen Vorstoss. Nach vier Stunden rasten wir kurz bei P. 77. Baur/Burkhalter folgen dem SAC-Gang, Gygax/Schönbächler und ich untersuchen dort den Südzweig, der einen Bogen beschreibt und wieder in den Hauptgang einmündet. Wir überholen daher bald die erste Gruppe in Staugeröll und Deckenbrüchen. Endlos hebt und senkt sich die Hauptader an den Hochburgen vorüber, bis sie, feucht und wurmbesät, in den Schuttdom übergeht. Wasser tropft hier von der Wölbung und unterbricht die feierliche Ruhe. Wir lenken sofort in den Wirbelstollen ein. Die Kolke an Decke und Boden benützend, um uns möglichst wenig zu bücken, steigen wir in Windungen über ausgelaugten, mit unzähligen Wasserschüsseln gesprenkelten Fels hinan zu einer Quelle und lassen dort die Säcke zurück, um nur noch flüchtig den jetzt niedrigen Stollen zu erforschen. Welches Staunen erfasst uns! Wir geraten nach 365 m in einen mächtigen Quergang mit nassem Lehm und Tropfnäpfen.

Den Wind im Rücken, vermessen wir vom Steinmann aus ostwärts. Nach einer Senke öffnet sich ein Schlot, wo die Luft hinaufschwebt. Die zweite Senke enthält den Dreiecksee.

1 Dr. A. Bögli, A. Gauch, R. Hänggi, R. Jegher, J. Scherer, O. Schneider ( Zürich ).

Man erkennt in der Nähe von Schloten jedesmal sommerliche Stauräume. Wir dringen auf Borkenlehm leicht weiter vor. Der Gang ist ja 5-10 m breit, 3-4 m hoch und mit geraden Strecken von 75 und 90 m versehen. Man sichtet nur selten Abzweigungen. Bei einem Wasserband auf flachem Boden vernehmen wir Rufe und fahren zusammen; denn unsere Gefährten springen hinter uns her. Woher kommen sie wohl? Allmählich klärt sich die Lage auf. 130 m nach dem Schuttdom gebot ihnen im SAC-Gang eine lotrechte Mauer Halt. Baur erkletterte die Faule Wand, musste aber 2 m unter der Kanzel im Bruchgestein aufgeben und entschloss sich nachzusehen, wo wir steckten. Beim Steinmann in unserm unbekannten Quergang wusste er sofort, dass wir uns in der Fortsetzung des SAC-Ganges befanden. Gemeinsam erreichen wir schliesslich das Münster, 3600 m vom Burkhaltersee entfernt. Hier Schlot und Staugebiet. Ohne Rucksäcke und Karbidvorrat eilen wir so schnell als möglich zum Wirbelstollen zurück. Ihrer zwei holen meinen Sack bei der Quelle. Dann raffen wir uns noch auf, die Zwischenstrecke vom Steinmann zum obern Rand der Faulen Wand zu vermessen. Halbwegs ein gewaltiger Schlot, daher ist die Umgebung Stauungen unterworfen, mit Abfluss durch den Wirbelstollen. Um Mitternacht hasten wir zum Schuttdom hinab, und um 6 Uhr morgens, nach 20 Stunden Abwesenheit, langen wir im Biwak I an, schlafen den Silvestertag hindurch und begrüssen abends drei neuerschienene Freunde.

Den nächsten Tag widmen wir den Abzweigungen des SAC-Ganges. Henseler und Schönbächler wählen mit mir den Sturzgang. Hinter einer Kriechstrecke erklimme ich in einer Stausenke und unter einem Schlot eine 5 m hohe Stufe. Der zweite berührt beim Aufstieg eine Felsnase, die nur ausgewaschen, also zuverlässig scheint. Sie löst sich unverhofft und wirft ihn mitsamt meiner dort angehängten Lampe auf den Kiesgrund hinab. Der letzte steht unter dem fallenden Block! Finsternis. Ein Unglück? Das Ersatzlicht leuchtet mir nur undeutlich nach unten. Nun blitzt ein Strahl auf, noch einer. Beide sind aufrecht und vergewissern sich, dass der Körper unverletzt ist. Der Brocken ist derart schwer, dass er kaum beiseite geschoben werden kann. Er hatte Ernsts Kopflampe gestreift. Mein Inneres ist aufgewühlt: erst der Schreck, dann die Freude über das unvorstellbare Glück! Dieses Ereignis mahnt uns erneut, dass man nie vorsichtig genug sein kann. Nach einer längern Erholungspause ersteigen sie doch noch die Wand. In einer Kluftspalte, nur 10 m weiter, verwehrt uns ein Abbruch das Vordringen, weil das Seil fehlt.

Wir wechseln deshalb zum Rätselgang, der mehr als 800 m zur Tiefe zieht. Alte Decken-trümmer werden im Mittelteil durch dicke, feuchte Lehmschichten abgelöst. Wir sind im Stauraum des Grossen Höllbachs und wandern oder gleiten lautlos über Böschungen und Mulden. Man gewöhnt sich bald ans Zertreten von Würmern, wenn es nicht zu vermeiden ist. Der schwarze Lehm scheint selbst unsere Worte zu verschlucken. Unheimlich wirkt ein niedriger Saal mit seltsamen Gespinstfäden an der Decke. Der Ruf verhallt fast ohne Echo. Hinter dieser Halle endigt die Kluftspalte im Geröllschloss, im Machtbereich des strömenden Höllbachs und nur wenig über dem vermuteten Grundwasser. Es wird spannend. Vier von den fünf köpf hohen lebenden Zweigen erkunden wir nur der Übersicht halber; denn sie verlaufen waagrecht oder ansteigend. Der letzte aber senkt sich vorerst und ist mit Geröllhaufen, die nahezu die Decke berühren, angefüllt. Es geht gegen 23 Uhr. In Kurven schlängelt sich auch dieser Gang ebenaus fort. Wie gern hätte ich das Grundwasser gesehen oder den verlorenen Anubisgang wiederentdeckt. Wir müssen mitten in Schuttwällen verzichten und vernehmen nur noch ein dumpfes Wassergrollen in der Ferne. Im Eilschritt und verschwitzt treffen wir um Mitternacht, wie vereinbart, beim Kleinen Burkhaltersee mit den Gefährten zusammen.

Gygax, Jeger und Badertscher haben einen langwierigen Kriechschlauch, den Jegerstollen, hinter sich. Baur/Burkhalter untersuchten das Lehmtal zur Grundwasserzone und begegneten ähnlichen Verhältnissen wie wir im Rätselgang, ausgenommen einige verschlickte Grotten und merkwürdige Kluftspalten. Alle sind redlich müde. Ich fahre über den Grossen Burkhaltersee und vergesse die Lampe. Henseler stösst falsch ab, landet auf dem Bootwulst, der kippt, und durchspült sich die Hosen. An der Bösen Wand im Seilgang löst der Führende drei aufeinanderliegende Steine, während ich an der stotzigsten Stelle nur einen Rundgriff halte. Der erste schlägt mir auf die Schulter, der zweite reisst mich fast weg, der dritte lässt sich mit dem Unterarm ablenken. Sie poltern an den Nachfolgenden vorbei, ohne jemand zu verletzen. Als ich gar in einen Strudeltopf platsche, ohne rechtzeitig das Wasssr zu erkennen, einer in den Tuffrosensee plumpst und zwei auf Platten im Titanengang gleichzeitig ausgleiten, begreifen alle, dass auch bei Übermüdung äusserste Vorsicht walten muss. Nach sechzehn Stunden, morgens um 4 Uhr, sind wir glücklich im Biwak I zurück. Wir schlafen tagsüber, räumen in der nächsten Nacht das Lager und gewinnen nach zehn Tagen ernster Erlebnisse am 3. Januar den Ausgang der Höhle.

An Fastnacht 1953 möchten wir1 das Ende des SAC-Ganges finden, wühlen uns durch beintiefen Schnee zur Höhle, nächtigen am Abend des ersten Tages im SAC-Biwak I und erreichen am zweiten Tag mit gewichtigen Säcken den Schuttdom. Während Henseler und Bucher das SAC-Biwak II errichten, vermessen Baur und ich den widrigen Zwergstollen, der sich schliesslich nach 260 m an einem Seelein mit einem Zweig des Lehmtals vereinigt. Hernach ruhen wir im Lager vier Stunden, quer über einem Schlauchboot hegend, und begeben uns nach Mitternacht zum Münster, das um 2.30 Uhr betreten wird. Baur überwindet hier eine 5^ m hohe, morsche Wand, wonach wir durch das Seil gesichert folgen. Der Gang neigt sich breit und hoch abwärts zu einem heimtückischen Schlammpfuhl. Nach einer herrlichen Geraden zeigt sich der Gang zerrissen, voll feuchten Lehms und mit Deckenstürzen, zwischen denen ich beide Schuhabsätze verliere. Hinter einem verschütteten Stautrog packt uns ein beklemmendes Gefühl: Wassertosen im Abgrund! Rasch unter einem Schlot dieses Donnertal hinab, über glatten Schrattenkalk zu einer Quelle, die stürmisch hervorbricht. Weiter unten dröhnt es noch lauter. Ein leises Grauen ergreift uns. Wir sichten einen Wasserstrahl, der aus einem Seitenriss senkrecht niederbraust und sich nachher im flachen Kiesteppich verliert. Um sich verständlich zu machen, muss man sich anschreien. In einem zerfallenen Verlies kehren wir um und vermessen den SAC-Gang weiter. Nach wenigen Metern der letzte Schlot mit entweichender Luft. Dann wird eine Bodenwelle in Schuttgewirr und Windstille überschritten, wonach ich plötzlich, in der nächsten Senke, ins Wasser hineintrete. Leider ist die Mulde bis zur Decke gefüllt. Wir haben das Boot also vergeblich hieher getragen. Ein unsichtbarer Bach rauscht schräg über uns vorbei und beeinflusst wohl den Wasserstand der Senke. Das vorläufige Ende des gewaltigen, 4325 m langen SAC-Ganges ist erreicht. Er übertrifft an Länge die Strecke Eingang bis Burkhaltersee. Der Abschluss befindet sich auf 709 m Höhe, fast 8500 m vom Eingang entfernt, genau 1000 m unter dem Roggenstöckli, und ist örtlichen Wassereinbrüchen, vielleicht auch dem Höllbachaufstoss unterworfen, denn er liegt tiefer als der Höhleneingang ( 740 m ).

Auf dem Rückweg, nach dem Besuch des Pfeilerganges, rasten wir zwei Stunden im Biwak II und stolpern um 15 Uhr den Schuttunnel hinab. Eigenartig ist der Nadelbogen:

1 Bruno Baur, Anton Bucher, Ernst Henseler und der Verfasser.

Pfeilergang 100 m Titanen - Gang Hochb'-g zum Ausgang C- Gang Himmelsgang:

t - Salle Anglaise 2 -Galerle des 800 m.

3 « Surprise 4 « Galerle des 1001 nuits 5Couloir Granges 6Umgehungsstollen 7Pas de l' Echelle 8Trait d' Union 0 - Hairachen 1 0 » Verbindungsgang 1 1 * Schlundstollen S - Schlote SAC-Biwak I = ca. 2750 m vom Eingang entfernt Titanengang:

1Klettepstollen 2Schlitzgang 3 » Galerle du Ruisseau rouge 4Tuffrosental Seilgang:

1Absellwand 2Böse Wand 3Grosser Burkhaltersee 4Kleiner Burkhaitersea Nach Überspringen eines Weihers geht es in entgegengesetzter Richtung weiter. Nichts als Geschiebe und Wurmhügel. Nur zwei Kammern bieten Abwechslung. Der kopfhohe Gang gehört samt dem Schuttdom zum Stauraum des Höllbaches. Eine Deckensturzzone, Schleuse genannt, vermittelt das Tor zu lebenden, ziemlich säubern Gängen. Unser drei empfinden seit etlicher Zeit quälendes Kopfweh. Ist es die Überanstrengung, die schwache Luftströmung oder der Todesraum des Grundwassers, den man einstweilen noch zu wenig kennt? Sobald dieser berührt wird, verlaufen die Gänge waagrecht oder aufwärts. Die Säcke zurücklassend, suchen wir nur noch einen auffälligen Ort für das Vermessungszeichen und geraten aus einem niedrigen schlickigen Stollen auf der Höhe von 666 m unvermutet in einen Quergang. Es ist 21 Uhr. Mehr vermögen wir nicht zu leisten. Es muss ein Ende nehmen. Mancher Schweisstropfen wird noch fallen, bis man Bescheid weiss über den unterirdischen geheimnisvollen Lauf der Silberngewässer. Sind die untersten Gänge, fast ohne Lehmniederschlag, bereits die Schlagadern des Höllbachs, der in Engpässen und Gegensteigungen örtliche Stauung und Geröllwälle bildet? Wird man ausgedehnte Becken mit Grundwasser entdecken? Einstweilen ist auf der Höhe von 666 m kein ständiges Grundwasser aufgespeichert, was sich auf künftigen Vorstossen günstig auswirken wird.

Wir legen uns nach einem vierundzwanzigstündigen Tagwerk um Mitternacht ziemlich erschöpft, jedoch ohne Kopfschmerzen, im SAC-Biwak II nieder. Alle zwei Stunden wird ein Getränk gebraut. Wir hinterlassen am Vormittag Vorräte und bedenken leider zu spät, dass sie im nächsten Winter verschollen sein werden. Auf dem Rückmarsch dringen wir noch in den Lehmschollengang ein, der zu Beginn recht gross ist, dann rasch zusammensinkt und uns nach 318 m bei einem Schlot und 20 m hohen Abbruch den vollen Erfolg verwehrt. Fast alle Südzweige sind uralt, in gelben Lehm gebettet, bald sehr knapp oder verstopft. Wir beziehen nach 18 Uhr das SAC-Lager I, ruhen ein wenig, erheben uns um 2 Uhr und tauchen am fünften Tag um 9 Uhr, zur festgesetzten Zeit, aus der Unterwelt auf.

Nachdem schon im November 1952 die Gruppe Zug im Orkus neue, mannhohe Gänge, die gleichfalls auf Grundwasserhöhe liegen und dementsprechend ausgesetzt sind, auf dem Plan eingetragen hat, dürfen wir mit der dieswinterlichen Forschung sehr zufrieden sein. Ergänzt sei noch, dass auch die SSS fünf Tage, vom 19. bis 23. Januar 1953, im Himmels-gangabschnitt zugebracht hat.

Rückblickend auf meine 800 Stunden Aufenthalt im Hölloch muss ich gestehen: Diese Höhle ist keine Schaugrotte im üblichen Sinn. Es mangelt an eindrücklichen Hallen, prunkhaften Tropfsteingebilden, brausenden Wassersprudeln, lieblichen Seen. Nur selten offenbaren sich Wundernischen, die sich überdies mit Vorliebe erst hinter nassen, verschlammten oder widerwärtigen Schleichstollen auftun. Was spornt mich denn an und fesselt uns gar? Es sind des Höllochs aussergewöhnliche Länge, seine zerschnittene Gestalt, die eiszeitlichen und heutigen Geheimstränge der unterirdischen Wasserläufe der Bödmern und Twärenen, der Blick unter einen Berg auf unberechenbaren Pfaden sowie der Beitrag an ein Kartenbild, das sowohl dem Geomorphologen als auch dem Bergsteiger dient, sofern es diese verlockt, in den einsamen, öden Grüften des Gebirges die Schauer der Urwelt zu verspüren.

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