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Auf die Orgel- oder Laaserspitze

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Bisher unveröffentlichter Aufsatz von J. J. Weilenmann ( 1819—1896 ). Gedruckt zum Gedächtnis der diesen Juli auf Silvretta eingemauerten Erinnerungstafel.

Vorwort.

Wenn heute der Wanderer nach froher Fahrt zum gastlichen Heime auf Silvretta zurückkehrt, so winkt ihm nun an der Ostseite der alten Hütte das in Granit gehauene Relief von J. J. Weilenmann entgegen.

Ohne Festreden wurde der Stein in die Mauer eingefügt; dafür aber sandten die Gipfel aus weiter Runde ihre Grüsse dem Gedenken des Mannes, der manchen von ihnen erstmals bezwungen. Nach mehrjährigem Suchen wurde dieser Standort gewählt. Die Mittel, um das Werk künstlerisch ausführen zu können, legten die Senioren der Sektion auf den Weihnachtstisch.

Die Erinnerungstafel steht nun in einem Lieblingsgebiet des grossen Bergfreundes und Pioniers unserer Alpen. Sonne, Sturm und Regen werden an diesem Werke nagen und es einst vernichten. Unauslöschlich verbleiben dagegen der Nachwelt die Werke Weilenmanns, und damit hat er sich selbst ein Denkmal gesetzt, das die Erinnerung an ihn aufrechterhalten wird und durch keine Tafel aus Stein oder Bronze übertroffen werden kann.

Im Jahrbuch XXXII des S.A.C. hat ein Freund Weilenmanns, Stadtammann Dr. E. Scherrer, St. Gallen, eine mit Wärme und Sachkenntnis verfasste Biographie veröffentlicht, und in der Festschrift der Sektion St. Gallen, die zum 50jährigen Jubiläum im Jahre 1913 erschienen ist, hat Andreas Ludwig dieses Mannes gedacht. Schon 1835 stieg Weilenmann als 15jähriger Bursche allein über den Bundgrat und die Sefinenlücke nach Lauterbrunnen und 1836 ebenfalls allein auf den Säntis. Bei der 1863 erfolgten Gründung der Sektion St. Gallen nahm er regen Anteil; 1886 ernannte ihn die Generalversammlung in Winterthur zum Ehrenmitgliede des S.A.C. Weilenmann starb am 8. Juni 1896 in seinem 77. Altersjahre. Er hatte den Bergen bis ans Ende die Treue bewahrt.

In den Jahren 1872, 1873 und 1877 erschien das dreibändige Hauptwerk Weilenmanns « Aus der Firnenwelt » ( Liebeskind, Leipzig ). Seine übrige schriftstellerische Tätigkeit hat Walter Flaig anlässlich der Neuausgabe eingehend gewürdigt. Im Mai 1923 Hess Flaig in einem ersten Bande eine Auswahl der Weilenmannschen Schriften « Aus der Firnenwelt » in Neuauflage erscheinen ( Bergverlag Rudolf Rother, München ), worin besonders Rhätikon, Silvretta und Ferwall enthalten sind. Im Sommer 1924 erschien im gleichen Verlage der II. Band « Aus der Firnenwelt », der dem Wallis und Berner-Oberland gewidmet ist. Die gesamte Bergsteigergemeinde und ganz besonders die Sektion St. Gallen des S.A.C. ist Flaig herzlichen Dank schuldig, dass er die Neuauflage der Weilenmannschen Schriften ermöglichte.

Die Erinnerungstafel ist eingemauert. Lassen wir die Festrede Weilenmann selbst halten! Sie ist aus dem unveröffentlichten Nachlass dieses Pioniers der Alpen entnommen, der Verfasser hat wohl nie an eine Drucklegung dieser Arbeit ernstlich gedacht.

Es ist keine Erstbesteigung, von der diese vergilbten, kaum noch leserlichen Blätter erzählen, wohl aber war Weilenmann einer der ersten, als er auf jedenfalls noch nie begangenem Wege ( 1860 oder 1861 ) die Laaser- oder Orgelspitze als Alleingänger erkletterte. In dem Werke « Die Erschliessung der Ostalpen », das 1894 erschienen ist, wird erwähnt, dass die 3303 m hohe Spitze frühzeitig von Martellern besucht und mit einem riesigen Steinmann versehen worden war, den der Trigonometer J. Feuerstein schon im Jahre 1855 vorgefunden hat. Am 16. Juli 1882 erstiegen die Brüder Zsigmondy mit einem dritten Touristen, Wächter aus Martell, führerlos den Gipfel, und zwar von Bad Salt aus über das Göfler-Schartl. Auch in dem 1884 erschienenen Führer von A. Waltensberger ist die Laaser- oder Orgelspitze erwähnt. Sie wird dort auch Argelspitze genannt, und nach Payer ist dies die richtige Benennung. Sie ist die Wetterspitze des Martell, die Anzeichen des herannahenden Unwetters sollen sich auf ihr zuerst einstellen, daher: Arge Spitze. Auch der « Hochtourist » von Purtscheller und Hess beschreibt im Band 1 ( Leipzig 1903 ) die Laaserspitze. Beide Führer erwähnen nur den unschwierigen Zugang von der Schluderscharte aus und heben den Gipfel als vorzüglichen Aussichtspunkt hervor, jedoch von Weilenmann und seiner Ersteigung von Thal aus ist nirgends die Rede.

Die Laaserspitze, in den Martelleralpen gelegen, gehört noch zur Ortlergruppe und bildet den Eckpfeiler in dem Kamm, der sich nach Nordosten zieht und unvermittelt in den Vintschgau abbricht.

Wenn wir die nachstehende Bergfahrt lesen, so festigt sich in uns aufs neue die Achtung vor Weilenmann, dem nicht nur die Bezwingung des Gipfels sondern auch die Ausschau von hoher Warte zum tiefempfundenen Erlebnis wurde. Er war ein feinsinniger Beobachter von Natur und Menschen. In Ehrfurcht gedenken wir dieses alpinen Vorkämpfers, dem wir so vieles zu verdanken haben.

Im Auftrage der Sektion St. Gallen: K. Kleine.

Das Vorhaben, diese Höhe zu besteigen, liess mich die folgende Nacht vor Aufregung kaum zum Schlafe kommen. Der Himmel wurde wieder und wieder zu Rate gezogen. Kurz nach Mitternacht funkelte er noch im schönsten Sternenglanze. Um 2 Uhr aber umflogen schon leichte Silberwölklein, von Westen her getrieben, die Mondessichel. Darauf verdichtete sich von Minute zu Minute die Wolkendecke, so dass bald kein Stern mehr zu sehen und ich wieder einmal sehr verlegen war, was beginnen. Indes brach ich auf — es war kaum 3 Uhr — und erreichte bei Tagesanbruch schon den Saum des Waldes. Wie gestern wurde durch den Hang hinangestiegen und dann, wo es leicht tunlich schien, der zur Linken sich erhebende, steinige Rasenhang des Kammes erklettert, welcher, von der Orgel nach Thal sich absenkend, die Weidenmulde südwärts umschliesst. Hoffte nämlich, über den Kamm schreitend, direkt auf die Spitze zu gelangen.

Es ging lange steil hinan. Oben zeigte sich, dass der klippige Kamm eine gute Strecke weit leicht zu begehen, der Spitze sich nähernd jedoch schmaler und zuletzt so scharf wurde und so schroff nach beiden Seiten abfiel, dass nicht daran zu denken, ihn zu überklettern. Westwärts erhebt sich ungemein jäh, von der Spitze südwestwärts abgesandt, ein anderer, wild zerrissener Grat, welcher mit demjenigen, auf dem ich stehe, beinahe gleichläuft, kaum halb so lang, aber höher ist und steil abstürzend endet. Tief, zwischen beiden Kämmen versenkt, steigt eine öde Schneemulde zur Spitze empor. Diese überragt ziemlich bedeutend die von ihr ausgehenden Felsengrate. Sie über die Mulde hinauf zu erreichen, ist wohl der ausserordentlichen Steilheit der Schneewände wegen, in welche sie abfällt, kaum möglich. Bleibt somit nichts anderes übrig, als in das tiefe Schneetal hinabzusteigen, es zu überschreiten, dann die hohe Wand des jenseitigen Grates zu erklimmen und zu versuchen, über ihn auf die Spitze zu gelangen. Begann jetzt einzusehen, dass ich besser getan hätte, der Idee zu folgen, die ich beim Anblick des Berges von der Taltiefe aus und nach Zu-Rate-ziehen der Karte zuerst hatte, nämlich die linksseitige Tallehne bis zum Weiler Greit zu verfolgen und von dort erst, mit Umgehung der beiden Kämme, über die Alpweiden hinan und von der Westseite des westlichem derselben der Spitze mich zuzuwenden. Ein Umweg wäre es freilich gewesen, und die Richtung, die ich eingeschlagen, war die allerdirekteste. Der zweite Grat wäre von der Tiefe der Schneemulde aus selbst jetzt noch zu umgehen gewesen.

Erst über schroffe Felsen, dann durch eine enge, tiefe Kluft und über jähe Rasen- und Schutthänge stieg ich nach dem kleinen Schneetal hinunter. Zurückschreckend hoch türmten sich jetzt seine jenseitigen Hänge auf. Wenn nur am Ende ihre Ersteigung nicht auch wieder vergebens ist! Es wäre gar zu arg und entmutigend! Fast am Ende des Kammes wurde an hoher, steiniger Halde, die spärlich mit Rasen bedeckt und noch von Schafen besucht wird, emporgestiegen. Mehr nordwärts der Orgel zu wird der Abhang so schroff und felsig, dass er kaum oder nur mit grosser Mühe erklommen werden könnte. Endlich ist das Schneefeld erreicht, welches den gegen sein Ende breiten Kamm deckt und etwas über den Abhang hinabreicht. Die untersten eisigen Partien überwunden, geht es leicht darüber hinan. Um eine Übersicht zu gewinnen und zugleich Schutz vor dem beissend kalten Wind zu suchen, stieg ich nordwärts zu den ersten hohen Klippen hinauf. Dort fand sich wirklich eine enge Felsenrinne zum Rasten, wo der Wind weniger fühlbar war, um so empfindlicher aber mit der aufhörenden Bewegung, und nachdem die Sonne hinter Wolken verschwunden, die Kälte wurde. Bei einer Höhe von wenigstens 9000 Fuss war sich hierüber nicht zu wundern.

Und was sah ich nun? Was hatte ich nach so manchem mühevollen Schritt gefundenWohl entfaltet sich in schönster Pracht, rings um das Martelltal herum eine Schar eisumgürteter Gipfel. Von gewaltigem Eindruck zumal ist die in mächtiger Erhebung aufsteigende Gebirgskette, welche das Tal gegen Süd vom Val di Sole ( Sulzberg ), Val di Rabbi und dem Ulten-Tale trennt. Der Grat, auf dem ich stehe, stürzt westwärts in grauenhaft verwitterter Felswand schroff und tief ab. Ihr zu Füssen breiten sich weite Schneegefilde aus, die in langer, allmählicher Steigung bis zur Orgel hinauf und zum hohen Kamme sich erheben, welcher südwestwärts von ihr absteigt und mit ihr dieses Tal vom Laasertale scheidet. Über diese Schneehänge hinauf, die von Greit aus leicht zu erreichen, wäre es freilich ein Spass gewesen, auf die ersehnte Spitze zu gelangen. « Wenn ich ein Vöglein war und auch zwei Flüglein hätt ', flog ich hinab und weil 's aber nicht kann sein bleib'ich allhier » und klettere einstweilen auf der Westseite des Grates an den schmalen Gesimsen den hoch sich türmenden Felsquadern entlang, zu sehen, ob der Grat zu überklettern. Da hapert 's jedoch, und ich mache die unerfreuliche Entdeckung, dass es allem Anschein nach seiner furchtbaren Scharfheit und Zerklüftung wegen eine pure Unmöglichkeit ist. Schlotternd und frierend, dass es die Steine erbarmen möchte, in grösserer Verlegenheit denn je stehe ich da. Um das Mass des Peches voll zu machen, hat sich die Orgel ganz verstohlen von der Laaserseite her eine Nebelhaube übers Haupt gezogen.

Was nun tun? Wäre ich doch hübsch ruhig im Tal geblieben! Immer noch schöner, ins sonnig-schmunzelnde Gesicht der breitlendigen Wirtin zu schauen als an diese eiskalten, unheimlichen Steinmauern. Kannst mir nachsehen, sollst mich nicht länger foppen! war ich im Begriff, zur Orgel zu sagen und ihr den Rücken zu kehren.

Ist man indes einmal so hoch, so überlegt man zweimal, bevor man eine Partie aufgiebt, und ist geneigt, das Äusserste zu versuchen. Der Nebel kann sich wieder heben, auch ist 's noch früh am Tage. Wie schauerlich der blosse Blick über die wilde Trümmerwand hinunter ist, so muss doch versucht werden, da hinabzuturnen. Es geht leicht, so weit die aufeinander getürmten Felsquadern reichen, nur schwindelfrei muss man sein. Wie aber diese aufhören, abschüssige, mit glattem Eis überkrustete Felsplatten kommen, die hie und da rasch abstürzen und über welche nur mit grösster Vorsicht, mit unsäglicher Mühe rutschend und kriechend zu gelangen ist, da wird die Sache bedenklich. Wollte nur die Sonne wieder einmal ihr wärmendes Antlitz zeigen! Denn die langsamen Bewegungen lassen keine Erwärmung zu. Die beständig ans kalte Gestein geklammerten Finger sind dem Erstarren nahe, beginnen mir den Dienst zu versagen. Hätte schon Handschuhe, sie sind aber zu wulstig, um sie hier gebrauchen zu können, wo man oft mit den blossen Fingern kaum Halt in den schwachen Ritzen findet. Wäre es nur, die grausig düstere Wand etwas zu erhellen, so käme die Sonne willkommen!

Gut, dass ich endlich tief genug bin, auch die untersten Partien des Abhanges zu übersehen, denn bisher ging es fast ganz auf Geratewohl hinab. Mit lebhafter Befriedigung gewahre ich jetzt, dass Aussicht, da mit heikler Haut hinabzukommen. Und wie froh war ich, bald darauf die untersten Schnee- und Geröllhalden und endlich auch die weiten Schneehänge erreicht zu haben, welche zur Orgel emporsteigen!

Rasch ging es über die noch gefrorene Fläche dem Fuss des Grates entlang hinan und einem Einschnitte desselben entgegen, der südwärts von lotrecht aufsteigenden, ungeheuerlich zerrissenen Felsenfirsten, nordwärts von dem mehr abgerundeten Rücken der Spitze überragt ist. Der Hang wurde bald sehr steil, so dass es ratsam schien, dem Fuss der Gratwand zuzusteuern, welchem entlang der Schnee, tief weggeschmolzen, eine ausgerundete Rinne bildete. Nach dem Abhang zu erhob sich diese in scharfer Schneide, so dass man ganz sicher darin emporstieg.

Ein wahres Glück, dass ich nicht versucht, den Grat zu überklimmen, denn so furchtbar schroff, so glattflankig fällt er auf die Einsattelung ab, dass keine Möglichkeit, herabzusteigen, selbst wenn es gelungen wäre, so weit zu gelangen.

Der schmale Rücken der Orgel, Schnee und Felsplatten weisend, war streckenweise ganz leicht zu überschreiten. Missliche Passagen, über abschüssige, ritzenlose Steinplatten, wo Hand und Fuss nur sehr unsichern Halt fanden, während dicht daneben, ost- und westwärts, tief der Abgrund gähnte, blieben indes nicht aus. Doch wurde um 9 Uhr, also etwa 6½ Stunden nachdem ich Thal verlassen, wohlbehalten aber sehr erschöpft, die lang ersehnte Höhe erreicht. Sie hatte ihre Nebelkappe bald wieder verloren, der Himmel aber — wie unendlich schadeverdunkelte sich zusehends und gönnte mir nur eine sehr unvollkommene Ansicht des unermesslichen Rundbildes, das an klaren Tagen von dieser erhabenen Gebirgswarte sich entrollen muss, denn wo Wolken und Dunst nicht den Gesichtskreis decken, verliert sich der Blick in unendliche Fernen.

Über den ganzen nördlichen Teil der Umschau, wo sonst ein Heer von Spitzen auftauchen müsste, schwebt topf eben eine seeartig, einförmige Wolkenschicht, die, langsam sich nähernd, bald den Gipfel, auf dem ich stehe, einzunehmen und auch unter dem südlichen Himmel sich auszudehnen droht. So genau stehe ich in ihrem Niveau, dass ich die obere und untere Fläche übersehe. Oben ist sie von lichtem Grau und wollig, unten zerzaust und bleifarben. Nebelfetzen, von gelblichem Schimmer grauenhaft erhellt, hängen davon herab. Gegen den Horizont wird sie dunkler und verläuft zuletzt in unheilverkündende Finsternis. Über der Malserheide und den Gebirgen des Unter-Engadin entfahren ihr jetzt dichte Regengüsse oder wohl gar Schneestürme. Bangen und Besorgnis umfangen die Brust bei solchem Anblick. Und doch ist noch vieles zu schauen! Bleibt ja der ganze südliche und östliche Horizont, mild und heiter lächelnd, die chaotisch zu ihm empor sich türmende, reichgezackte Gebirgswelt und zu Füssen sich windend der Vintschgau, dem Blicke noch offen. Selten nur ist dem Alpenwanderer vergönnt, eine Spitze von so bedeutender Höhe zu betreten, niedriger denn 10,000 Fuss wird sie kaum sein, wo nicht allein starre Bergmassen, von denen der Winter nie weicht, kahles Felsengerippe, ebenso tot und erstorben, mit ihren Schneetriften ihn umringen, sondern dicht ihm zu Füssen, aus ihrem tiefsten Schoss, mit allen Reizen, all der Lebensfülle ausgestattet, die eine fruchtbare Natur und Kultur ihm zu geben vermögen, auch weite Talgründe freudig ihm winken, die den fruchtbaren Ernst jener Eis- und Felsgebilde mildern, Abwechslung zwischen sie bringen und die wunderbarsten und wohltuendsten Kontraste hervorrufen.

Versuchen wir, mit dem Bilde uns vertraut zu machen, bevor die immer näherrückenden Wolkenmassen alles umdüstern und uns zum Rückzug drängen. Zwei gewaltige Gebirgskörper, jener der Ötztalerferner und die Ortler-Alpen, tief und weit durch den Vintschgau voneinander getrennt, strecken wie Riesenpolypen ihre Felsenarme nach allen Richtungen aus, so weit fast, als das Auge reicht, sie nehmen den grössten Teil der Rundschau ein. Es möchte ein leichtes sein, die Einzelheiten jener Gruppe, die wir 1 ) in den letzten Tagen teilweise durchreist und in der wir schon manche Anhaltspunkte haben, zu entziffern, wenn wir ihre Gliederung im Zusammenhang übersähen und der Nebel nicht gerade ihre höchsten Regionen uns entzöge. Wohl schimmert da und dort das Bruchstück eines Gletschers oder Firnhanges daraus hervor, eine dunkle Felspartie enthüllt sich, unmöglich aber zu sagen, wohin sie gehört. Im Hintergrund des tiefen Taleinschnittes von Schlandernaun türmt sich in hohen Schneeflanken die Salurnspitze. Ihr zur Rechten blinkt der Firnrücken 2 ), der gen Norden das Schnalsertal schliesst und weiterziehend das Hochjoch und seinen Ferner überragt. Von letzterm ist wenig zu sehen. Seine südliche Abdachung ist zur Rechten von schwarzen Felswänden umschlossen. Der Blick verfolgt die lange Talschlucht von Schnals, dringt in die wüsten Schluchten, die zwischen den hohen Felsenkämmen, in welche der Salurn südwärts sich verzweigt, nach dem Vintschgau herabsteigen. Schwarzrötliche Felsmauern, wild sich zackend, umschliessen ihren Hintergrund. Lieber doch ergeht sich das Auge auf den lachenden Gründen des Vintschgaus, der sich ihm in seiner ganzen Länge, von der Malserheide bis Meran, weit erschliesst, wo aus dem freundlichen Grün der Matten, dem Gold der Kornfelder blinkend Dorf an Dorf gefällig sich reiht, alte Burgen und Kirchen die Vorsprünge der Vorberge krönen. Nur die Reschenscheideck, der höchste Punkt des Tales, wo die Etsch entspringt, ist nicht sichtbar, wohl aber die Höhen, die sie umschliessen. Darüber sieht man in den Tiefen das obere Inntal sich auftun.

Burgeis ist die erste Ortschaft, die sich auf dieser Seite zeigt. Von der Anhöhe zur Linken erglänzen die weiten Mauern der Benediktinerabtei Marienberg, wo Beda W. Ordensgeistlicher war. Etwas näher liegen Schleiss und Mals. Bei ersterm Dorfe öffnet sich das Tal von Schlinig mit seinen hohen, grünen Alpengründen. Man überschaut den Pass, der es vom bündnerischen Val d' Uina scheidet, blickt ins einsame Avignatal, das bei Taufers ausmündet, schweift über die kahlen Weidehöhen, welche den Hintergrund des Scarltales bilden, sieht den Eingang zum Münstertal und davor das Dorf Laatsch und das alte Städtchen Glurns. Am Fusse des jenseitigen Berghanges blicken hinter ausgereiften Getreidefeldern die Häuser von Tartsch. Drüben an der dunkeln Wand der rechten Talseite erglänzt die kastellähnliche Ruine von Lichtenberg, und ihr zu Füssen guckt aus dichtem Obsthain das gleichnamige Dörfchen. Man erkennt das weite Kiesbett des Bergwassers, das, vom Piz Ciavalatsch herabkommend, den Ort mit seinen Verheerungen heimsucht. Den Gletscherschründen des Ortler und des Suldentales entsteigend, bricht aus der Schlucht von Trafoi der Praderbach verwüstend hervor. Er hat die grüne Talsohle weithin zur unfruchtbaren Sandfläche gemacht. An dem nördlichen Hang des nun gen Osten umbiegenden Tales sich schmiegend, von frischem Wiesengrün und Kornfeldern umgeben, grüsst das Dorf Eyers. Ein Fleck dunklen Waldes breitet sich davor aus. Darob am Rande wilder Kluft schimmert die Kirche von St. Peter und gegenüber auf hoher Terrasse Tanas. Plötzlich steigt jetzt ein kahles, langgezogenes Felsenriff 1 ) zu Füssen auf und entzieht eine kleine Strecke weit den Anblick der Talsohle. Es ist durch einen Grat, der eine Einsenkung bildet, mit der Orgel verbunden. Die Ortschaften Laas und Kortsch bergen sich dahinter. Schlauders, schön an der Ausmündung der tiefen Schlucht gelegen und von Obstbaumwald umhüllt, zeigt sich zuerst wieder. Das tiefere Laatsch dagegen ist beinahe verdeckt durch den breiten, wilden Kamm, den die Orgel ostwärts sendet. Seine Nordseite ist tief durchfurcht und zerrissen, die Südseite dacht sich weniger steil nach Martell ab und tiefer unten magere Weide und Wald. Ein Schuttal von schauerlicher Öde birgt sich zwischen dem Kamm und jenem Riff. So sind auch die Schlösser Martell und der Eingang des Martelltales durch denselben Kamm verdeckt. Bei Laatsch sieht man das helle Strassenband nach der linken Talseite hinübersetzen und am Fusse des Trumsberges vorbei nach Tschars und Naturns sich ziehen. Die Wässer der Etsch, in der Sonne glitzernd, schlängeln sich in vielfachen Windungen durch die prächtige Talweite, die, je tiefer sie fällt, um so reicher sich färbt. Sonnenblicke und Wolkenschatten treiben ihr Spiel auf den frischen Wiesen und goldigen Fruchtfeldern, an den sonnverbrannten Felshängen und dunkeln Wald-lehnen. Gegen die Toll und das Etschtal hinunter werden Dörfer und Felder, Fluss und Strasse allmählich undeutlicher und verschwimmen zuletzt im Dunst der Tiefe. Meran liegt verbergen zu Füssen des hohen, waldigen Bergrückens, in welchen der Gebirgszug ausgeht, der erst Martell von Ulten, dann dieses vom Vintschgau scheidet. Nordwärts aber sieht man, von Schloss und Dorf Tirol und von der Brunnenburg beherrscht, das sonnige Rebgelände des Küchelberges aufsteigen, darüber erhebt sich, in bläulichen Duft gehüllt, die Muttspitze. Man erkennt die kleine Terrasse, dicht unter den obersten Weidhängen, wo die letzten Wohnhütten stehen und sich zu Füssen ein Landschaftsbild von wunderbarer Schönheit und Anmut entfaltet, das jedem, der sich an einem klaren Sommernachmittag daran geweidet, gewiss unvergesslich bleiben wird.

Wenden wir uns nun zu dem Teil des Rundbildes, der südwärts vom Vintschgau sich ausbreitet und in dessen Mitte wir stehen, so suchen wir vergebens den Beherrscher dieses Gebietes, der die Gebirgszüge entsendet, welche uns umziehen und als riesige Ländermarke zwischen der Lombardei, Tirol und der Schweiz sich aufrichtet. Und doch haben wir ihn, den Ortler und sein hohes Gefolge, ganz nahe. Sonst prunkt er gerne mit seinem Mantel von strahlendem Eiskristall, mit seiner zierlich gemeisselten Schneekrone, und oft schon aus West und Nord, aus nächster Nähe und aus der Ferne haben wir seine stolze Gestalt bewundert und in seinem Anblick geschwelgt. Nur von Ost und Süd war uns noch nicht vergönnt, ihn zu sehen. Wären es etwa seine schwachen Seiten, dass er sie so beharrlich uns entzieht? Dieselbe Wolkenschicht, die unter dem ganzen nördlichen Himmel sich ausbreitet, lastet mit bleierner Schwere auch auf ihm. Durch das Suldental von ihm getrennt, öffnet sich tief zu Füssen, furchtbar übergletschert und rings von mächtigen Höhen umragt, das Laasertal. So klein es ist, sucht es seinesgleichen an Wildheit. Fast alle Kämme und Höhen, die es umringen, nur die südlichsten ausgenommen, fallen schreckhaft jäh ab, auf dieser Seite in Firnhänge, da und dort von Fels unterbrochen, westwärts in wilde, schwarze Felsmauern, zwischen denen, grauenhaft zerrissen, bläuliche Eisströme herab sich wälzen. Talabwärts wird gletscherbeladener Hintergrund grösstenteils von senkrechten Felswänden getragen, die tief nach der schauerlichen Schlucht abstürzen, in deren bläulichen Duft und Dunkel das von Entsetzen erstarrte Auge haltlos sich verliert. Der Saurüssel tritt als stattliche Kuppe auf, seine tiefern Hänge tragen abschüssige Weiden und eine Sennhütte. Auf allen Höhen des Grates, der das Tal von Martell scheidet, selbst auf den höchsten, stehen, von dem mit der Aufnahme der neuen Karte betrauten Ingenieur errichtet, Stangen oder Steinmannli. Nur die spitze, schwarze Nadel 1 ) mir zunächst hat nichts. Ebenso reichlich sieht man diese Signale auf allen andern Kämmen, fast möchte man glauben, die österreichischen Ingenieure seien gewissenhafter verfahren als gewisse schweizerische, für den eidgenössischen Atlas arbeitende, die hie und da recht oberflächlich zu Werke gingen, und was nicht eben leicht zu erreichen war, unbesucht liessen, wahrscheinlich denkend, es komme doch niemand hin, der ihre ungenaue Arbeit aufdecken könne. Freilich sollen hier meistens junge, erprobte Leute dazu verwendet worden sein, die das Klettern nicht scheuten. Ein etwa 12 Fuss hoher Steinmann, sorgfältig aus dünnen Steinplatten errichtet, die von der Südostseite der Spitze aus dem Schnee treten, steht hier oben. Er ist so schlank, dass man glauben sollte, er vermöchte den Stürmen die hier toben müssen, nicht zu widerstehen. Ausser den Ingenieuren, die es errichtet, besuchte wohl selten jemand diesen Punkt, wenigstens ist nicht die Spur von Besuchern zu sehen.

Kommt auch jetzt erst die Reihe an das Martelltal, so bildet es wenigstens jetzt, wo noch Schöneres im Gewölk verborgen sein mag, nebst dem Vintschgau wohl den fesselndsten Teil der Umschau. Wie freundlich die sonnigen Wiesenhänge von Thal und seine Kirche zu uns empor schauen! Die Messe ist wohl zu Ende, der einzige Gast von Salt wird wieder beim Schoppen sitzen!

Wollte, ich wäre auch wieder unten! Denn immer ungestümer, drohender rückt es an, das finstere Wolkenheer. Es hat seine Gleichmässigkeit allmählich verloren. Dichte Regenschauer, wenn nicht Schneestürme, entfahren ihm und verhüllen den ganzen obern Vintschgau. In den Untiefen des Laasertales stürmen Nebel wirr umher und haben sich bald des ganzen Talkessels bemächtigt. Über den wildgezackten Grat aber, der es von Martell trennt, haben sie sich noch nicht gewagt. Da hat bisher noch die Sonne ihre Herrschaft behauptet, wenn auch schwach und nahe daran, sie aufzugeben. Sie spiegelt sich noch im Plimabach, im tiefen Wiesengrund von Gand, bescheint noch das jenseitige, saftiggrüne Mattengelände. Zerstreute Wohnhütten blicken von dort zu uns herauf. Und auch die weissen Mauern der Badegebäude glänzen noch in ihrem Strahl. Ein Gebirgskamm von schauriger Pracht, Gipfel an Gipfel entsendend, die wie die Wogen einer hochgehenden See sich jagen, umschliesst gen Süd und West das tiefe Alpental. Eine Spitze 1 ), sie mag sich direkt südwärts von Thal erheben, türmt sich auffallend höher und verwegener als die andern, die nur wenig das Massiv des Kammes überragen. Ununterbrochene Eis-und Firnfelder, grell am schwarzen Himmel leuchtend, decken fast die ganze Nordseite und gewinnen an Ausdehnung, wie sie dem Talschluss sich nähern und der Abhang weniger steil wird. Ewiger Winter mit all seinen Schrecknissen haust da hinten. Darüberhin taucht der Blick in bläuliche Täler, weilt auf duftigen Bergen, die im fernen Süden noch mächtig hoch am milden Himmel sich gipfeln, und verliert sich zuletzt in endlose Weiten. Auch ostwärts weit hinaus über den Tiefen des Etschtales, das sich in den es umschliessenden Gebirgszügen von Meran bis Bozen verfolgen lässt, entfaltet sich, einem leichten Duftmeer entsteigend, ein unentwirrbares Chaos von Hörnern und Zacken, so luftig zart, so ganz wie hingehaucht, dass man glauben möchte, sie gehörten eher dem Himmel als der Erde zu. Dort wissen wir freilich nicht den mindesten Bescheid, was über Meran und die nahe Langenspitze hinaus liegt, ist uns eine fremde Welt. Gegen Mittag dringt das Tosen der Gletscherwasser in den verborgenen Schluchten immer lauter zu uns herauf. Ein plötzliches Krachen und der hallende Donner niederstürzender Lawinen übertönt auf Momente ihr monotones Lied. Nur zu bald jedoch wird ihnen in dem beängstigenden Pfeifen und Stöhnen des endlich der Spitze sich bemächtigenden Sturmes eine nimmerendende Begleitung. Nord- und ost- und westwärts umringt uns dichter Nebel. Kleine Schneekörner peitschen uns unangenehm das Gesicht. Ein matter Sonnenschimmer durchdringt noch das Gewölk, aber bald ist er verblichen, und grauenhaftes Düster und schaurige Kälte umgeben uns. Dennoch haben wir nicht jede Hoffnung aufgegeben, der Himmel möchte wieder sich auftun. Wir wollen versuchen, noch bis 12 Uhr auszuharren!

Gen Süden vergönnt uns der momentan sich verteilende Nebel Ausblicke nach dem jenseitigen Talhang von Martell. Enge Schluchten, hochliegende kleine Seitentäler, vom Tale aus nicht sichtbar und bisher noch in dunkle Schatten gehüllt, werden endlich auch von der Sonne erhellt. Aus dem kurz bevor noch so gleichmässigen Dunkel der Felswände blitzen jetzt im hellen Sonnenstrahl kleine, verborgene Rasenterrassen und Grasbänder.

Mittag ist indes da. Alles, was wir gewonnen, ist, dass der Nebel eher dichter als bevor. In tiefer Finsternis bangt es uns vor einigen Passagen, die wir beim Erklettern der Spitze getan. Weiter unten, wo man sie und ihre südlichen Schneehänge ganz übersah, hätte es geschienen, als ob über den südwestwärts von ihr absteigenden Kamm 1 ) ebensogut und vielleicht noch leichter auf diese Hänge hinabzukommen wäre. Wollen daher einmal diesen Weg versuchen. Wir gehen nicht auf der Höhe des Kammes, der furchtbar schroff nach dem Laasertal abfällt, sondern an seiner sanftabfallenden, südlichen Abdachung. Der Schnee ist sehr aufgeweicht, nur wenig weiter unten sinkt man knietief ein. Wie wir nun südwärts über den hohen Abhang hinabsteigen wollen, der abschüssiger wird und hie und da Klippen hat, bemerken wir noch zur rechten Zeit in geringer Entfernung unter uns den schwarzen Rand eines Felsabsturzes, der uns aus der Tiefe schon aufgefallen. Da zugleich der Schnee fester wird, beeilen wir uns, das gefährliche Terrain zu verlassen, und gehen etwas mehr westwärts. Aber auch dort wird der Hang, wie wir abzusteigen versuchen, immer jäher, der Nebel dichter. Kaum sieht man einige Schritte tief. Schnee und Nebel gehen so vollkommen in eine weissgraue Masse über, dass wir keinen Moment wissen, was uns bevorsteht. Einige Schritte noch, da spüren wir den Schnee schnell an Tiefe abnehmen, darunter hartes Eis! Grün und blau flimmert 's plötzlich vor den Augen! Alle Gefahren des Hinabgleitens und Zerschellens an den Klippen blicken uns drohend ins Auge. Nicht immer möchte es so gnädig ablaufen wie das erstemal, wo wir eine solche Fahrt bestanden. Daher rasch wieder emporgestiegen und den Gipfel gesucht.

Wie froh wir sind, ausser dem Bereiche des Eishanges zu sein! Kein anderer Weg bleibt uns nun, so ungern wir ihn machen, als den, den wir gekommen. Wie wir es anzugehen suchen, das Überschreiten der abschüssigen Steinplatten ist misslich, und wir sehen uns genötigt, Vorsicht halber die Schuhe auszuziehen. Leichter atmen wir, wie die Einsenkung am Fusse der Spitze gewonnen und wir uns als geborgen betrachten können. Im Fluge geht 's über die Firnwände hinab nach den sanft sich neigenden, weiten Schneefeldern. Sie sind tief aufgeweicht und mühsam zu begehen. Einmal ums andere sinkt man unversehens bis übers Knie ein. Nebel liegt hier nicht mehr, die Orgel aber ist immer noch dicht umhüllt. Auf weiter Schneeterrasse, die wir rechts liegen lassen, breitet ein kleiner See 2 ) seine indigoblauen Gewässer aus, Schnee bildet den Grund und die Ufer. Man nähert sich einer Vertiefung, welche von den bisher überschrittenen Schneefeldern durch einen niedrigen, verwitterten Felsenkamm getrennt ist, unter welchem der Abhang wieder rasch abfällt. Mit Windeseile geht es hinab über den gelblichen, alten Schnee. Über jähe Fels- und Rasenwände, wo Gentianen, Primeln, Anemonen und Astern freundlich uns bewillkommen, wird dann hinabgeklettert, und bald sind die obersten steinigen Weiden erreicht. Gegenüber öffnet sich, als waldige Schlucht erst hoch ansteigend, dann zur Weidemulde sich ausweitend und von milchschäumendem Bach durchschossen, an dessen Seite ein Pfad empor sich schlängelt, das kleine Murtiertal1 ). In der Höhe, am Fuss des rechtsseitigen Hanges der Mulde, liegt in der Mitte sonnigen Grüns eine Alphütte. Nach der Karte führt aus jenem Tälchen der Weg nach S. Gertraud im Hintergrunde des Ultentales hinüber; zuerst über den jähen, fast schneelosen Kamm, welcher südwärts der Hütte sich erhebt, und dann über das Soyjoch.

Absteigend überschreitet man das Leichenfeld eines Waldes. Kreuz und querübereinandergestürzt, gebrochen und vermodernd, liegen sie zu Hunderten zwischen Felstrümmern umher, die einst stolzen Waldesriesen. Die wenigen, die dem Sturm und den Elementen trotzten und sich noch aufrechthalten, tragen statt des Nadelschmuckes gelbe Moose und lange, schwarze Bartflechten um ihr zersplittertes, rindenloses Gerippe. Bald aber betreten wir das Reich des Lebendigen, frisch grünender Alpenwald mit seinen Wohlgerüchen, seinen geheimnisvollen Schauern umgibt uns. Er deckt weithin den Abhang und erstreckt sich über den ganzen Rücken des nach Thal abstürzenden Kammes. Da tragen exccop.sich ästende Lärchen mit glühendrotem Stamm ihr helles Nadelkleid zur Schau. Gradstämmige Tannen richten sich stolz daneben empor. Wie wohltuend fürs Auge, das sich an den blendenden Schneegefilden müde gesehen, ihr dunkles, warmes Braungrün. Dazwischen drängt sich das mattere Nadelwerk der Arve, das kalte Grau der Fichte, und wo eine Lichtung, da glühen Alpenrosenbüsche oder deckt das zarte Grün der Heidelbeeren den Boden. Hinter den flechtenbeladenen Wipfeln starren trotzig, von weissen Bachrunsen durchfurcht und spärlich mit zackigem Tannkleid behangen, die dunkelvioletten Felswände des Tales. Wie sachte, wie zauberisch schön sie dem bläulichen Duftschleier sich entheben. Wie stattlich die breite, schneegefleckte Kuppe darüber am klaren Äther thront!

Verlässt man den Wald, so erschliesst sich unvermutet eine überaus malerische, grossartige Gebirgsansicht. Eine reichbeblumte Wiesenterrasse, darauf einige gebräunte Hütten, bildet den Vordergrund. Tief unten, im Schosse violettgefärbter, waldumdüsterter Felswände, breitet sich sonniggrün der Talgrund aus. Aus dunkler Kluft stürzt der Plimabach hervor und fliesst hellfunkelnd in zierlichen Schlangenwindungen daher, während im Hintergrund des Tales eine Gletscherwelt von hehrer Pracht aus Tannendunkel aufsteigt. Die weisse Kuppe, welche am tiefsten in den Himmel taucht, links und rechts von andern Schneegipfeln umgeben ist und einen graziös sich windenden Gletscherstrom herabsendet, der abzunehmen scheint, ist wohl die " Vlatschspitze. Und das massige, rötliche Felsenhaupt, welches westwärts die blauen Eiszungen hoch überragt, die Rothspitze! Weiter hinten erheben sich andere, tief gerötete Felsenpfeiler, ausgedehnte Ferner tragend, und es zeigt sich der südliche Teil des unter den Eislasten des Zufallferners begrabenen Talschlusses.

Der Weg von Greit nach Thal, hoch oben dem steilen Abhang entlang-führend, bald über Weide und Wiesen, wieder durch Wald und über chaotischen Trümmerhang, ist äusserst lohnend. Selbst im Walde erschliessen sich zwischen den Baumwipfeln hindurch beständig Ausblicke auf die jenseitige Talwand, die mächtig stolz empor sich türmt, und schaust du zurück, so glänzt dir aus dunklem Tannenschoss immer noch der tiefe Talgrund entgegen. Hinter den riegelartig vorgeschobenen Absenkern öffnet sich allmählich auch die hinterste, dufterfüllte Talschlucht. Auf den abgelegenen Alpweiden gehen Gänse mit dem Vieh. Die Tannennadeln werden hier als Streue benützt, man sieht sie zu 5—6 Fuss hohen Pyramiden angehäuft. Beim Weiler Greit ging es nun gemächlich auf vielbegangenem Pfad dem Abhang entlang und auf das Trümmer-kar, auf das ich kurz bevor herabgesehen. Ein furchtbarer Bergsturz hat einst hier stattgefunden. Der ganze Abhang ist mit gigantischen Blöcken dicht überdeckt und bietet einen schauerlichen Anblick. Nachher fällt der Weg sehr pittoresk an Abgründen vorbei, schlängelt sich durch Wald hinab und mündet endlich auf die Wiesenhänge von Thal aus. Wie froh bin ich auch, bald darauf das Dorf erreicht zu habenJ.J. Weilenmann

Altes und Neues von der Jungfrau.

( Korrektur. ) Das Bild « Fellenbergflühli » bei Seite 212 ist von August Mottet aufgenommen worden, nicht von Hans Lauper.

Auf Seite 217 muss es bei ( 5 ) heissen Rotbrettsattel, nicht Rottalsattel.

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