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Bäume und Menschen

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Von Ernsf Mumenthaler.

Glücklich der Mensch, der Bäume liebt, besonders die grossen, freien, die wild wachsen an der Stelle, wo die unendliche Kraft sie gepflanzt hat, und die unabhängig geblieben sind von der Fürsorge der Menschen.Prentice Mulford.

Die Beziehungen des Menschen zu den Bäumen sind alt, weitaus älter als zu den Bergen. Jahrhunderte bevor die Schönheit der Berge erkannt wurde, liebte und verehrte man Bäume als Symbole der Fruchtbarkeit und des Lebens. Die Wertschätzung des Waldes ist vor allem auf praktische Ursachen zurückzuführen. Dem noch auf niederer Kulturstufe stehenden Menschen bedeutete er wohl am meisten, denn er gab ihm, wessen er zum Leben bedurfte: Nahrung, Feuer und Herd. Aber auch sonst fühlte er sich dem Baum, als wesensverwandtem Gebilde, verbunden und in den Kreislauf der wechselnden Zeiten, in das Geborenwerden, Wachsen und Verwelken mit-hineinverflochten. Aus dieser alles Lebende erfassenden gemeinsamen Schick-salsverkettung des Naturgeschehens, dem jene Menschen ratlos gegenüberstanden, erwuchs die Vorstellung, dass die ersten Menschen aus Bäumen oder Pflanzen hervorgegangen oder geschaffen seien. Mithin mussten, überlegten sie, die Bildungen der natürlichen Erscheinungen dem Menschen ähnlich, mit Blut von seinem Blute und Geist von seinem Geiste versehene, somit beseelte und mit Empfindungen begabte Wesen sein. Aus dem Glauben an diese Naturbeseelung entstanden die Baummythen, der Baumkult. Die Bäume wurden entweder Sitz von Gottheiten oder einer der Körperlichkeit eines zeitlichen Wesens entrückten Seele. Dieser Mythus ging in das Gedankengut mancher Völker ein und fand in Dichtung und Sage seinen poetischen Niederschlag. Vergleiche des animalischen und vegetabilischen Lebens haben sich aus der Urzeit der Baumverehrung bis in die aufgeklärte, dem Übernatürlichen abgeneigte Gegenwart erhalten. Dafür sind wir aber realistischer, gemütsärmer geworden, auch deshalb, weil wir Heutigen uns dem Naturgeschehen mehr und mehr entfremdet, es entseelt, es materialisiert haben. Trotz alledem hat die mythische Baumverehrung sich behauptet. Die Erinnerung an die tiefe Verehrung des Waldes, an seine gewaltigen Bäume und heiligen Haine, ruht in der Volksseele wie in einem lebendigen Born verankert, deshalb wird die Sehnsucht nach seinen grünen Hallen nicht untergehen, solange Bäume stehen und ihre Kronen wölben. An wie vielen Orten weiss man noch von seltsamen mit Bäumen verknüpften Begebenheiten zu erzählen, die auch den modernen Menschen nachdenklich stimmen. Es lebt irgendwie noch etwas von jener alten Baum- und Waldreligion im tiefsten Empfinden eines wo immer mit der Natur verwachsenen Volkes wie ein schöner Traum, den Ahnen den Enkeln weitererzählten und der als köstliches Vermächtnis sorgsam behütet wird.

Dieses Erbgut alter Baum- und Waldverehrung hat in neuerer Zeit eine nach meinem Gefühl wertvolle Bereicherung und Verfeinerung erfahren, indem sie in die Gefilde schöngeistiger Wertung eingegangen ist. Wir sind so viel erkennender geworden! Das Naturschöne ist, wie alles Schöne, eine frieden-und freudebringende Macht, der namentlich Alpinisten die Tore des Verstandes und des Herzens weit aufgetan haben. Seien wir deshalb nicht allzu einseitig! Wie wir von Bergpersönlichkeiten reden, die sich durch ihre Form, Linienführung, Grösse, dem Gedächtnis einprägen, so dürfen wir auch von Baumpersönlichkeiten charakteristischen Ausmasses sprechen; sie sind im Rhythmus des Landschaftsbildes von betont ästhetischer Bedeutung. Namentlich alte, allem Wind und Wetter preisgegebene Bäume sind oftmals Zeugen einer gewaltigen Erhabenheit und in ihrem Durchhalten von heroischer Lebensgrösse. Solchen Bäumen begegnet man nicht nur im Mittelland und Jura, sondern bis weit hinauf in die Nähe des ewigen Schnees. Dieses Baumvolk ist mir auf meinen Wanderungen besonders lieb geworden, und es dürfte zum eingestimmten verstehenden Gemüte immer noch eine vernehmliche und zu beherzigende Sprache reden:

« Was von Menschen nicht gewusst, oder nicht bedacht, Durch das Labyrinth der Brust wandelt in der Nacht. » I.

Die natürlichen Schönheiten des Waldes sind unerschöpflich, Künstlern schenkt er Motive, Dichtern und Sängern erhabene Gedanken, frohe Lieder. Zu jeder Jahreszeit empfängt er, wie ein gütiger Gastgeber, mit offenen Armen, denn jeden will er beschenken. Sei es im Frühling, wenn sich die Buchen in ihren hellgrünen Blattschmuck werfen, die Blütensterne der weissen Anemone den Boden bedecken und von allen Zweigen das Jubilieren der Vögel erschallt; sei es im Sommer, wenn seine Kühle lockt, seine Schönheit voll entfaltet ist und im Glanz der Sonne Buche mit Tanne und Fichte in malerischem Kontrast zueinander stehen; im Herbst, wenn das Laub fällt und das Vergängliche alles Geschehens sich sinnfällig aufdrängt; oder sei es schliesslich im Winter mit seiner weissen Pracht, wenn die Sonne blaue Schatten auf den Schnee zaubert und das Warten in den Zweigen liegt, das Warten auf warme Winde und neues Leben.

Die Bedeutung des Waldes im Wirtschaftshaushalt des Landes ist ein Gebiet für sich, wogegen seinem ästhetischen Einfluss keine Grenzen gezogen sind. Namentlich dann nicht, wenn seine berufenen Heger ihn so zu gestalten vermögen, dass er nicht nur nach der ertragswirtschaftlichen Seite, sondern auch als Produkt des Schönheitsempfindens befriedigt. Mit unzerreissbaren Banden sind Wald und Menschheit miteinander verbunden, sie zehrt von seiner Kraft und gesundet an seiner Grösse. Wo ihm Unverstand Wunden schlug, folgte Reue, ja selbst Verzweiflung, auf dem Fusse nach. Wo Berghänge von der schützenden Macht des Waldes entkleidet wurden, übten entfesselte Elemente eine tyrannische Herrschaft. Die geschändete Natur rächt sich namentlich im Gebirge unerbittlich, sie straft durch Schneelawinen, Steinschlag, Erdrutsche und verheerende Wassermassen.

Die Schweiz blieb bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts vor den Folgen ausgedehnter Kahlschläge und Misswirtschaft, deren Spuren an vielen Orten immer noch erkennbar sind, nicht verschont. Die heute geordneten waldbaulichen Verhältnisse und durchgeführten Wiederbestockungen danken wir der forstlichen Gesetzgebung des Bundes ( das erste Bundesgesetz datiert vom 24. März 1876 ) und der Kantone sowie der sorgenden Hand des schweizerischen Forstpersonals.

Die Schönheit unseres Landes ist wesentlich durch seinen Waldbestand bedingt. Die Waldfläche im Verhältnis zu seinem produktiven Boden von 3,202,938 ha nimmt 974,791 ha = 30,4% ein. Dem Bergwald fällt durch seine Schutzwirkung im Kampfe gegen die Unbilden der Hochgebirgsnatur eine wichtige Aufgabe zu. Im Gebirge befinden sich die Vorposten rüstiger Baum-kämpen, welche die heftigsten Angriffe zu bestehen haben. Dort ist die Wahlstatt, wo die Elemente im mehr oder weniger geschlossenen Wald und in aufgelösten Baumgruppen Opfer heischen. Mit dem vollen Einsatz seiner Kraft und zähem Lebenswillen müht sich jeder Baum um seine Existenz, meisselt ihm die Natur in Sturm und Drang die Merkmale seiner Eigenschaft ins Antlitz. Wie pulsiert hier heisses, drängendes Leben im kurzen, kargen Bergsommer! Es dehnen sich Wurzeln und Wipfel der trutzigen Baumgestalten, um aus lebenspendenden Boden- und Lichtquellen aufbauende Kräfte zu gewinnen. Was unten im Tal im Rhythmus eines reich bedachten Zeitabschnittes sich vollzieht, das drängt sich im Gebirge in kurzen Sommerwochen zusammen. Später kommt der Frühling, früher tritt der Winter ein, und in dieser kurzen Spanne Zeit muss der Baum Leben und Aufbau zimmern. Darum wächst er in den Alpen nur langsam heran; eng sind seine Zuwachsringe, um die er sich Jahr um Jahr weitet, denn auch der Boden kargt mit Nahrung. Deshalb vermag sich hier nur das Kräftige, Eigenwillige zu behaupten, das Lebenstrotzige, das sich nicht scheut, den Kampf mit den Naturgewalten allein auszufechten, ein Kampf, den die Gesellschaft der dicht zusammengeschlossenen Genossen im Tale gemeinsam besteht. Darum kommen die besondern Eigenschaften des Baumes hier voll zur Geltung. In der obersten Kampffront bildet und bewährt sich die Auslese der Starken. Alle zum Widerstand weniger gut bewehrten Bäume, die schwach, schadhaft und gebrechlich gewordenen, scheiden bei diesem Ringen um Wohnstatt und Leben mit der Zeit unerbittlich aus: kampfessatt stürzt einer nach dem andern zu Boden oder bleicht stehenden Fusses in Sonne und Wetter. Doch aus dem unversiegbaren Schoss der Erde, wo immer noch fruchtbarer Stoff einem Sämling Grund zum Keimen gewährt, sucht eine junge, lebensdurstige Baumgeneration den Platz der Altvordern zu erobern und zu behaupten, denn der Same von Heldeneltern hat den Kampfund Siegeswillen von den Vätern ererbt. Generationen kommen und gehen im Wechsel der Zeiten. Unbegreiflich und geheimnisvoll sind Leben und Tod, die hier ihr stilles Werk tun, gleich wie unter dem Menschengeschlecht. Reisst die Natur nach ihren ehernen Gesetzen noch so erbarmungslos Lücken, so schafft sie wieder Ersatz, sie fällt die Edelsten unter Menschen wie unter Bäumen, lässt Schwache aufkommen, Starke sterben, zerstört und baut Neues auf.

Es geht ein wundersames Weben namentlich um alt gewordene Bäume. Sobald man sich bewusst wird, dass Bäume in den Tagen des Sommers voll pulsierenden, treibenden Lebens sind; das Ohr auf ihr Raunen im Winde eingeübt ist; der Mensch die Zusammenhänge im Naturgeschehen mit dem eigenen Leben erfühlt hat, da beginnt man mit dem Baum in ein vertrauteres Verhältnis zu treten. Das Wissen um ihn lässt Gedanken laut und zu Begriffen werden. Es kann da geschehen, dass man vor einem Baum sich und die Gegenwart vergisst.

Für den Bergsteiger hat er eine allerdings nur mittelbare Bedeutung. Sein Ziel ist der Gipfel, seine Wege sind Fels und Eis. Vorher aber schreitet er durch Wald, über grüne Matten, an Bergahornen und Rottannen vorbei, bis sich schliesslich der Baumwuchs in zerstreute « Grotzentannli » oder « Droslen-gebüsch » auflöst.

Vielleicht erst, nachdem die erste alpine Sturm- und Drangperiode abgeflaut ist, wird man inne, wie stark unsere Liebe zu den Bergen vom Saum ihrer grünen Matten und Wälder beeinflusst wird. Erkennen wir doch hier, mit welch starken Banden unser Heimatgefühl mit diesem lebenskräftigen Boden verbunden ist, aus dessen Schoss unsere eisgekrönten Berggipfel in die Wolken ragen.

Im Zusammenklang aller die Schönheit einer Landschaft bestimmenden Töne und Farben bildet der Baum an sich wohl eine untergeordnete Rolle, denn er taucht in der Erscheinungen Flucht, namentlich bei Tief- und Ausblicken, völlig unter. Anders aber, wenn wir ihm wie einem freundlichen Alten begegnen, da merken wir uns seine Gestalt und bestimmen seine Art. Wie unter Menschen gleicht keiner dem andern, jeder Baum besitzt sein besonderes individuelles Gepräge, seine ihm eigene Form, und jeder sucht Wohnraum, sucht Licht, will leben. Die Grossen, Starkgewordenen sonnen die Wipfel im wohligen Licht der ersten und letzten Strahlen des Tages. Diese Veteranen kümmern sich nicht um das noch junge Baumvolk, das ihnen sehnsüchtig entgegenhungert, weil auch es von ihnen leben möchte, leben muss, wenn es gross und stark werden will. Doch ein gesunder Baum der Berge kann warten, bis seine Zeit kommt, wo die alte Tanne, sei es durch baum-fällenden Sturm, sei es durch pflegliche Hand, weichen muss und endlich Luft und Licht den Baumjüngling zum Wachsen rufen.

Unser Interesse am Baum soll sich aber nicht nur auf Vertreter des Hochgebirges — also Nadelhölzer — beschränken. Gleich wie auf unsere Altvordern machen immer noch Laubbäume in ihrem stattlichen Kronen-schmuck einen nachhaltigen Eindruck und erwecken im Betrachter ein Gefühl starken Wohlgefallens vor der Grösse der Schöpfung.

Diese natürliche Einstellung des Geschöpfes zum Geschaffenen war im Altertum ganz besonders lebendig vorhanden und hat in kultischen Zeremonien ihren weihevollen Ausdruck gefunden. Bäume und Haine waren Gegenstand göttlicher Verehrung.

Es würde zu weit führen, auf diese aufschlussreichen Überlieferungen und Gedanken an dieser Stelle näher einzutreten. Die Geschichte der Hellenen, Latiner, Meder, Chaldäer, Kanaaniter, Germanen, Kelten u.a. gibt hierüber Bescheid. Ebenso das Alte Testament über das Volk Israel. Der Baumkult erhielt sich bis ins 8. Jahrhundert nach Christi. Er dauerte vereinzelt weiter, nachdem Götterbilder und Tempel vom Schauplatz längst verschwunden und die heiligen Eichen der Germanen unter dem Beile Winfrieds und seiner Eiferer gefallen waren.

In der Phantasie der Zeitgenossen aber ist die Baumverehrung lebendig geblieben. Nur in anderer Form. Die Sprache der Bäume ist nicht verstummt, noch reden sie im Rauschen des Windes, im Flüstern, wenn der Tag sich neigt, sie raunen und tun geheimnisvoll, wenn das silberne Licht des Mondes geistert und es still geworden und aller Laut versunken ist. In zahllosen Sagen und Märchen, in Dichtung und Wahrheit lebt der Baumglaube weiter, treiben Baumgeister ihr spukhaftes Wesen. Die Sage von der Weltesche Yggdrasill im Heldenepos der Edda hat eine überdichterische Bedeutung. Das Bestehen eines magischen Verhältnisses vom Baum zum Menschen ist nicht weg-zudeuteln. Das Pflanzen vieler Bäume wird, wie bekannt, öfters auf wichtige Begebenheiten in der Geschichte eines Landes, eines Volkes, einer Dorfschaft oder einer Familie zurückgeführt, ist selbst mit dem Geschicke ihrer Gründer mitunter auf Gedeih und Verderb eng verknüpft. Ein verbürgtes Beispiel erwähnt Mannhardt:

« Die drei Familien Linnaeus ( Linné ), Lindelius und Tiliander Messen angeblich nach einem und demselben Baume, einer grossen Linde mit drei Stämmen, welche zu Jonsboda Lindegard in Hvitarydssocken, Landschaft Finveden, wuchs. Als die Familie Lindelius ausstarb, vertrocknete einer der Hauptäste der alten Linde; nach dem Tode der Tochter des grossen Botanikers Linné hörte der zweite Ast auf, Blätter zu treiben, und als der Letzte der Familie Tiliander starb, war die Kraft des Baumes erschöpft. » Der Mensch steht vor dem Rätsel des Werdens und Vergehens noch so fassungslos wie am ersten Tage. Deshalb hat der Blätter treibende Baum vom Frühjahr bis zum herbstlichen Welken des Laubes, im Kommen und Gehen der Jahre, für unser eigenes flüchtiges Leben eine so tiefe, verwandte Saiten anklingende Symbolik.

Im Anschluss an vorstehende Erörterungen sei von zwei Bäumen an der Grenze ihres hochalpinen Vorkommens die Rede, denen ich in Begleitung nur meines photographischen Werkzeuges Stunden liebevoller Betrachtung gewidmet habe, nämlich von Lärche und Arve. Es sind Bäume, die den Bergfahrer am längsten hinauf begleiten, ihre ganz eigenartige Schönheit, Eleganz und Wucht, Kraft und Tragik besitzen und auch ihre besondere zu Herzen gehende Sprache zu reden vermögen.

Unser Wald. Dem Schweizervolk und seiner Jugend gewidmet vom Schweizerischen Forstverein. Bern, 1928.

Boetticher, Carl, Der Baumkultus der Hellenen. Berlin 1856.

Mannhardt, Wilhelm, Wald- und Feldkulte. 2. Aufl. Berlin 1904.

Meyer, Karl Alfred. Über die Verehrung der Bäume und Wälder. « Der Praktische Forstwirt », Nr. 4/5, 1924.

Seidensticker, August, Waldgeschichte des Altertums. Frankfurt a. O. 1886.

II.

Die Lärche ( Larix decidua Mill .) steigt als waldbildende Holzart bis etwa 2200 m ü. M., in vereinzelten Exemplaren bis ca. 2400 m hinauf. Sie liebt mineralisch kräftigen, lockeren Boden, bevorzugt Urgestein und deren Moränen, meidet aber nebelreiche Lagen. Sie ist in der Jugend raschwüchsig. Wenn man sie mitunter, wie im Oberengadin auf der linken, nach Süden gerichteten Talseite, auf ausgesprochenen Geröllhalden, wo es scheinbar an Humus mangelt, zahlreich antrifft, ist der Laie versucht, sich zu fragen, wo und wie die Wurzeln Stand und Nahrung finden. Durch ihren jährlichen Nadelabfall verbessert sie sich zwar selbst den Boden, der immerhin oft mager genug aussieht. Trotzdem bildet sie sich selbst dort zu charakteristischen Baumformen aus, baut Zweige und Äste mit reicher Benadelung und vermag, wo sie sich in klimatisch günstiger Lage befindet, bis zu 50 m hoch und 600 Jahre alt zu werden. Ihre Lebenskräfte heischt die Lärche nicht vom Untergrund allein, sondern auch vom umgebenden Luftraum. Sie zehrt vom Tau der Sommernächte, der feuchten und nassen Tage. Sie lebt, als lichthungrige Holzart, namentlich von Licht und Wärme, wenn lebenfördernde Sonnen-gluten über die Berge streichen, die Poren der Erde öffnen und tausendfältiges Leben wecken. Sie freut sich, ohne ihn zu wollen, des Sturms, der über die Höhen braust und sie zwingt, in geheimnisvollem Fordern und Suchen neue Nahrungsquellen aus der Tiefe ihres Standortes, in verborgenen Bitzen zu suchen, Stützpunkte, um den Elementen mit Erfolg zu trotzen. Die Lärche bewährt sich als widerstandsfähige Holzart an exponierter Lage wie ein Kämpe und Held und nimmt mit wenig Wohnraum fürlieb. Unter ihrem Schirm gedeiht das Kleinvolk des Waldes, sie schützt, unterdrückt nicht, sie festigt und verjüngt den Boden, stemmt sich Stein- und Schneeschlipfen entgegen, bietet dem Wild Schutz und nötigt dem Menschen Bewunderung ob ihrer stolzen Schönheit und Kraft ab. Gleichen solche Bäume nicht Menschen an verantwortungsvollen Posten, die bescheiden und doch stark, lebenstrotzig und ihrer Schwäche leidvoll bewusst sind?

Auf der vom hohen Felsgrat bis zum Talweg steil abfallenden Geröllhalde haust der Baumtod. Alles pflanzliche Leben, das im Bereich des Steinschlags hochkommt, wird von ihm unerbittlich bekämpft. Zu beiden Seiten des Blockfeldes rücken Vorposten von Lärchen weit hinauf, doch sieht man es ihnen an, wie schwer es ihnen wird, sich zu behaupten. Knorrig, verbogen ist der ab und zu mehrschäftige, vom Wipfel entkronte Stamm und struppig das Astwerk. Die Geschosse haben ihm vielfältige Wunden geschlagen, die rostbraune, bis zu 20 cm dick werdende geschuppte Borke zerspellt. Mitten in deren Flugbahn siedelten sich vereinzelt Pflänzlinge wagemutig an, junges Leben will siegreich vordringen, dem Tode den Boden abringen. Zuunterst, dort, wo die fallenden, springenden Steine ihre Stosskraft eingebüsst haben und zur Ruhe gekommen sind, haben sich dichte Horste gebildet. Oberhalb davon sind die Wipfel talwärts gebeugt, als ob die Pflanzen erschrocken fliehen, Schutz suchen wollten vor den Geschossen, Gesellschaft bei den stärkeren Genossen unten im Frieden des Hanges. Und doch, wo sich so ein leichtes, geflügeltes Samenkorn zwischen die Steinblöcke hingesetzt und keimfähigen Grund gefunden hat, da muss es bleiben, da gibt es kein Entfliehen mehr, es muss dulden, leiden, wachsen und gross werden, so gross und so gerade oder krumm, verkümmert oder leidlich gesund, wie es die naturgewollten Umstände erlauben. Solange es noch Keimling ist, mag ihn nur Schnee beschweren, wächst er aber zum Bäumchen heran, will selbständig sein Stämmchen mit dem Hellgrün seines Astwerkes über das Gestein emporrecken, gerät es in die Flugbahn der fallenden Steine, die ihm das Leben sauer werden lassen und vielfältige Bedrückung, ja Tod ihm bringen. Kümmerlich darbende, hohe und niedrige Lärchen sah ich am Hang, von den Geschossen zerfetzt, hangseits von der Borke entblösst, Überreste mit kaum mehr wachendem Leben und Baumleichen in allen Altersstufen. Sie sind auf dem Schlachtfeld geblieben und als Helden gefallen. Ihr Knochengerüst bleicht in Sonne und Wetter und, wer weiss, beginnt erst jetzt ihre eigentliche Aufgabe, nämlich Schutz und Grund dem kommenden Sämling zu bieten, der in zeitlosem Ringen den sterilen Boden für den Wald abtrotzen will.

Generationen von Bäumen, die ein unfassbarer Machtwille in den Steinschlag des Lebens pflanzt, kommen im Rhythmus der Natur wie Menschengeschlechter, sie grünen, verwelken, um wieder neu zu erstehen.

III.

Im Gegensatz zur frohmütigen, sonnigen Lärche versinnbildlicht die ihr gerne verschwisterte Arve ( Pinus cembra L. ), ähnlich der Zypresse, ent-sagenden Lebensernst. Sie ist der Baum der alpinen Hochregion, beheimatet ( vereinzelt bis 2500 m ) an der Grenze des Baumwuchses. Hier, wo die feindlichen Naturkräfte sich ungehemmt fühlbar machen, wo der Alpenwald allmählich locker wird, zurückzubleiben beginnt, selbst die Lärche das Feld räumt, da herrscht die Arve, ein Baum aristokratischer Prägung, als Königin. Sie hat auf vorgeschobenem Posten die heftigsten Kämpfe zu bestehen und ihr Leben in beständiger Abwehr in die Schanze zu schlagen. Solange kostbares Blut als lebenerhaltender Saft in einer Ader rinnt, ihr noch ein grüner Ast bleibt, solange gibt sie sich nicht verloren, sondern bildet ihn um so kräftiger aus und trägt Blüten und Früchte als tröstliche Verheissung ihrer Fortdauer im kommenden Geschlecht. Zwar, eines Tages wird auch ihre Stunde schlagen, wo sie auf das Brausen des Sturmes nicht mehr hören, das Lied in ihren Zweigen verklungen sein wird. Dann wird sie ihre blutleeren Bettler-arme wie bittend ausstrecken, weil ihr nichts mehr, weder Kleid noch Leben geblieben ist.

Die Arve ist ein Baum von charakteristisch ausgeprägter Eigenart; einsam steht sie auf hoher Warte in leidenschaftsloser, gelassener Grösse. Alles Schwere tut sie allein. Dafür atmet sie die Bläue des Himmels, träumt das Dunkel märchenhafter Sternennächte.

Im Bestandesschluss ihres natürlichen Verbreitungsgebietes, wie z.B. am Südwesthang des Eifischtales ( Val d' Anniviers ), wo sie sich in Gesellschaft von Lärche und Fichte befindet, da geht es ihr zwar gut, fühlt sie sich geborgen, in gemeinsamer Abwehr geschützt. Da reckt sie ihren wundervollen grau- braunen, weit hinauf astreinen Stamm, wie Halm an Halm, stolz in die Höhe, und ihre Krone trinkt flutendes Licht.

Sobald sie aber diesen Hort verlässt, ja schon im lückiger werdenden Wald, verändert sie ihre schlanke, hoch aufgerichtete Gestalt. Sie wird gedrungener, ausdrucksvoller, ihre tief angesetzten Äste erscheinen wie kräftig bewehrte Arme, und die rötlich- bis silberbraune Borke des Stammes ist rissig, runzelig, wie ein vor vieler Arbeitsmühe abgehetzter Leib.

Die Arve ist ein Baum und eine Welt für sich, kraftvoll, eigenwillig, unabhängig. Sie ist stark allein. Dem Berggänger ist ihre markige Gestalt vertraut, er freut sich im Vorübergehen dieses letzten Wahrzeichens kämpfenden Lebens an der Grenze von Schnee und Eis. In solcher Umgebung bildet die Arve ein Element von überaus malerischem Reiz, namentlich, wo sie mit ihrem zuweilen düstern Nadelkleide in Kontrast steht zum lichtvollen Hellgrün der lebensfreudigen Lärche.

Die etwa auch als Zeder der Alpen bezeichnete Arve liebt tiefgründige, feuchte, mit Steintrümmern durchsetzte Humusböden, bevorzugt also geschützte Lagen. Hier weist der Wald gewöhnlich einen reichen Bodenteppich von Alpenrosen- und Heidelbeerstauden, Ericaceen, Alpenerlen usw. auf, in dem die abgefallenen, vom Tannenhäher oder Eichhörnchen verschleppten Arvennüsschen ein geschütztes Keimbett finden. Deshalb tritt ihre natürliche Verjüngung hier am zahlreichsten auf. An den von Viehherden beweideten, trockenen Südhängen ist der Boden in der Regel verfilzt, verschlossen, er versagt oder erschwert dem Samen Keimung, den eifrig suchenden Wurzeln des Pflänzlings Nahrung und Feuchtigkeit. Viehtritt und Viehverbiss trachten ihn überdies zu vernichten oder in seiner Entwicklung empfindlich zu stören. Überall sieht sich die Arve und ihr Nachwuchs von feindlichen, ihr Leben bedrohenden Mächten umgeben. Auf mitunter exponierten felsigen Standorten kommt sie, in malerischen Einzelexemplaren, ebenfalls häufig vor, obwohl sie die vorerwähnten Bodenverhältnisse nicht in gleich günstigem Masse vorfindet. Trotzdem vermag sie sich, dank ihrer in humusreichen Felsritzen Nahrung findenden Wurzeln, hier zu halten und zu vermehren, dank aber auch dem in der Nähe der Gletscher vorhandenen Feuchtigkeitsgehalt der Luft, dessen sie nicht entbehren kann. Die Arve kommt also vorzugsweise in Lagen vor, wo der lange liegen bleibende Schnee für ausreichende Bodenfeuchtigkeit sorgt; ihre Vegetationszeit beschränkt sich auf nur 3 Monate. Sie beansprucht weit weniger Luftwärme als die Lärche, wächst dementsprechend aber viel langsamer als sie und wird daher auch nicht so hoch, nur etwa 25 m. Als Beispiel sei angeführt, dass die Pflanze im Mittel mit 10 Jahren nur 1 m, mit 20 Jahren 1,50 m, mit 60 Jahren 7 m hoch wird und erst mit 70 bis 80 Jahren reife Zapfen trägt. Samenjahre gibt es jedoch im Durchschnitt nur alle 5—8 Jahre. Sie vermag ein Alter von 600 bis 700 Jahren zu erreichen.

Keinem andern Baum der Alpenwelt wie der Arve stellt sich die Natur mithin mit ähnlichen Keimung und Entwicklung so empfindlich hemmenden Bedingungen entgegen. Erreicht sie, auf gut Glück, das späte Mannbarkeits-alter von 70 Jahren und trägt endlich Zapfen mit durchschnittlich 50—100 Stück bergenden Nüsschen, so werden ihr diese von Mensch und Tier geneidet und dem Nachwuchs die Wohnstatt streitig gemacht, abgesehen davon, dass namentlich Älpler ihr mancherorts mit Feuer und Axt nachstellen. Die Arve ist deshalb der Baum, dem vorweg der Naturfreund Verehrung zu zollen und ihn zu schützen berufen ist.

Erdverwachsen, schollentrotzig, mit weitausgreifenden knorrigen Wurzeln und der massig aufgebauten Architektur ihres Stammes, hat sie im Kreislauf der Jahre ihr Dasein gerundet. Stolz trägt sie ihre imBestandesschlussschlanke, buschige Krone, die mächtigen im Winde wippenden Äste. Sie erscheint wie ein Symbol priesterlicher Erhabenheit, als Dulderin, in deren Antlitz ihre Geschichte mit gewaltigen Runenzügen eingeritzt ist. Zwar, nicht jeder Baum, nicht jede Einzelarve ist den Heimsuchungen der feindlichen Natur in gleichem Masse ausgesetzt. Je nach Standort gibt es im schweizerischen Alpengebiet zahlreiche Arven, die ihre Vollgestalt wie eine Trophäe, ihre kräftige Individualität unverletzt erhalten haben. Sie sind keineswegs kräftiger bewehrt als ihre Leidensgenossen an der äussern Front, nur hat die Natur in ihrer Launenhaftigkeit sie besser gebettet, ihnen eine friedliche, sorgenfreie Existenz gegönnt, die Unbilden der Natur gingen an ihnen schonend vorüber.

Wie stolz, selbstgenügsam, fett, stehen sie da, wähnen aus besserem Holz, von edlerer Rasse zu sein als die andern auf der Wetterseite des Lebens stehenden Bäume. Und doch sind diese es, die unendlich mehr zu sagen wissen, uns menschlich so viel näher stehen, diese Schwerarbeiter, diese abgemühten, tragischen Gestalten des alpinen Baumgeschlechtes! Welch titanischer Lebenswille und Trotz spricht doch aus den meisten dieser Veteranen, die allein am Hang, auf allen Winden und Wettern preisgegebenen Posten stehen. Hier gilt es standzuhalten, wenn die Dämonen des Ungewitters heranstürmen, um zu zerstören, zu zerbrechen, was sich ihnen entgegenzustemmen wagt, sich nicht willig vor ihnen beugt. Da geht es nicht ohne Wunden ab, doch Wunden heilen, vernarben, das Aussehen des Baumes aber verändert sich mit der Zeit merklich. Die Gewalten der Natur und der Widerstand des Baumes drücken ihm seine charakteristische, vielsagende Physiognomie auf, die ihn zum Helden stempelt. Man kann an ihm nicht achtlos vorübergehen, ohne zu staunen ob seiner oftmals bizarren, verwetterten Gestalt. Denn zersplittert der Blitz den Wipfel, so schafft er sich Ersatz und setzt zwei, drei, ja mehr neue, zur Lyra sich formende Gebilde an, wird mit der Zeit sogar fâcher- oder besenförmig. Drücken Eisanhang, Schnee oder Sturm Äste ab, entformen ihn zum Invaliden, zum hoffnungslosen Krüppel, dem der Tod scheinbar an der Wurzel sitzt, er gibt nicht nach, er weiss Hilfe. Solange noch ein Funke Lebenskraft in ihm glüht, will er grünen, blühen, Zapfen tragen, lacht er des Todes, glaubt an das Leben und gesundet an neuen Trieben. Bleicht der Baumtod von oben nach unten Wipfel und Stamm, grünt die Arve, wenn immer eine noch gesunde Wurzel Kraft aus dem Urgrund der Scholle zu spenden vermag, schicksaltrotzig von unten üppig in die Höhe. Stirbt sie, so stirbt sie ungebeugt, ergibt sich nicht dem Zwang, der wie Nachtschatten über sie kommt. Sie kämpft den Kampf bis zuletzt aus, und die Übermacht vermag sich ihres Sieges nicht zu freuen, denn morgen schon spriesst ein neuer Keimling aus ihrer Ruine.

Unergründliches Leben, wie bist du heilig und gross! Welchen Reichtum schüttest du aus dem Füllhorn deiner Liebe und entzündest geheimnisvolle Lichter in deiner überwindenden Gnade. Mögen tausend Tode schrecken, der Tod stirbt selber, und die Lebendigkeit der Hoffnung gebiert neues Leben!

Hess, Emil, La forêt d'Aletsch, monument naturel. Bulletin de 1a Murithienne. St. Maurice 1934.

Klein, Ludwig, Charakterbilder mitteleuropäischer Waldbäume. Jena 1905.

Rikli, Martin, Die Arve in der Schweiz. Ein Beitrag zur Waldgeschichte und Waldwirtschaft der Schweizer Alpen. Basel, Genf und Lyon 1909.

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