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Blicke in den Bau der westlichen Berneralpen

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Blicke in den Bau der westlichen Berner Alpen.* )

Von

Gottfried Ischer, Pfarrer in Mett.

Die westlichen Berner Alpen, so weit sie in den Bereich dieser Arbeit fallen, erstrecken sich vom Lötschenpasse im Osten bis zum Sanetsch im Westen, umfassen also die Gipfelreihe vom Balmhorn und Altels bis zum Wild- und Arbelhorn sammt ihren nördlichen und südlichen Vorketten. Zweck der hier gegebenen Erörterungen ist, im Bilde eines grösseren Theiles unserer vaterländischen Alpenkette die Schichten der Erde in der — freilich fort und fort durch das Nagen der Gewässer veränderten — Form vorzuführen, in der sie sich heute als entwickeltes Gebirge vor unsere Augen stellen. Was ein Architekt anstrebt, wenn er die Gestalt eines Domes nicht nur nach äusseren Formen der Schönheit, sondern auch aus baugesetzlichen und cul-tischen Grundgedanken zu würdigen sucht, das verfolgt der Freund der Berge in der geologischen Forschung: Verständniss der Felsarten nach Ursache und Form. Alle die hundert Einzelheiten des Gebirges, die Hörner und Joche, Hochplateaux, Tafelsätze, Flühe und Thäler, so wichtig für die Gestaltung des Landes und den Lauf der Gewässer, für Einwohner, Jäger und Touristen, sollten sich ihm als Abspiel grosser einfacher Bewegungen der Niederschläge ergeben, gleichsam als losgelöste und erstarrte Locken am schön geordneten Haupte des Gebirges; das pflanzliche, thierische und menschliche Leben sollte in dem Zusammenhang begriffen werden, in dem es sich an die Formen des Gesteins anschmiegte, an denselben emporwuchs und gedieh, und es sollte zur Klarheit kommen, wie sehr dasselbe durch die Vorgänge und Bewegungen der Vorwelt bedingt ist, welche jene geschaffen haben.

Zu gründlicherem Verständniss und zu umfassenderer Uebersicht ist es nothwendig, drei sogenannte Centralmassen in das Auge zu fassen, welche zwar unser Beobachtungsgebiet zum grösseren Theile nur umgrenzen und nur zum geringsten eigentlich in demselben auftreten, nichtsdestoweniger aber den allergrössten Einfluss auf die Gestaltung seiner Felsen gehabt haben dürften. Wir verstehen dabei unter Centralmassen — wenigstens für unsre schweizerische Geologie — jene krystallinischen Kerne der Alpen, welche zu allen übrigen gehobenen Felslagern unsrer Ketten eine Mittelstellung einnehmen und die Punkte darstellen, von welchen aus entweder ein zugleich seitlicher und hebender Druck auf die übrigen Massen ausging oder aber, an welchen sich der Druck der letzteren brach. Jene drei Centralmassen sind: 1 ) diejenige der Dent Blanche mit der mächtigen Vorzone des grossen St. Bernhard, 2 ) die des Finsteraarhorn und 3 ) die doppelte des Mont Blanc und der Aiguilles rouges.

Die Gebirgsstöcke der Dent Blanche und des grossen St. Bernhard streichen südlich von unserm Gebiet und südlich der Rhone als ein Stück der penninischen Alpen, etwas nordwestlicher gewendet als der Verlauf des Walliserhauptthales von Leuk nach Martinach, und stellen gleichsam die südliche Stützmauer dar, von der aus sich die vorliegenden gleichlaufenden Ketten in ihren gewundenen Felslagern nach Norden fortsetzen. Im schieferigen Vorsysteme des St. Bernhard liegen Grand Golliaz, Mont Vélan, Grand et Petit Combin, Mt. Fort, Becs de Bosson, Bella Tola. Der erstgenannte ist Anthracit, der letzte trägt eine Decke von Quarz und Kalk, die übrigen sind krystallinische Schiefer. Aus dem eigentlichen Centralmassiv der Dent Blanche nenne ich neben dieser Mt. Faroma, Mt. Redessau, Dent d' Hérens, Mont Gelé, Otemma, Pigne d' Arolla, Grand et Petit Colon, Rothhorn, Weisshorn, bestehend theils aus Talkgneiss, Arollagneiss oder Arkesin, theils aus Gabbro.

Von Osten her reichen die gewaltigen Gneissmassen des Finsteraarhorn über Schreckhörner, Mönch, Jungfrau, Viescherhörner, Gross-, Bietsch-, Hockenhorn an den Lötschenpass und setzen ihren Westfuss unter das Balmhorn und in das östliche Torrentmassiv. Eine Linie von Niedergampel über Leukerbad — Altels — rechts hinter dem Fisistocke durch dürfte die westlichste Grenze andeuten, unter der dieser Gneiss in grössere Tiefen verschwindet.

Diesem östlichen Kerne antwortet im Westen die durch das Chamounix getrennte Doppelcentralmasse des Mont Blanc und der Aiguilles rouges. Ihr granitener Ostfuss sticht in zwei Rippen bei Fully und Outre-Rhone in die Nordwand des Wallis, den Fuss der Dent de Morcles und deren östliche Verlängerung.

Ziehen wir eine Gerade vom Mont Blanc nach dem Finsteraarhorn, so wird damit — wenn auch mit einer Abweichung von circa 10 ° im westlichen und östlichen Theil — die ungefähre Streichrichtung der Gneisslager beider Centralmassen angegeben sein.. Die Kalklager vom Lötschenpass bis zum Sanetsch und weiter bis zur Morcles stellen eine Unterbrechung dieser Linie dar, und diese Mittellücke im Gneiss findet in der ersterwähnten, dieselbe südlich begleitenden Masse der Dent Blanche ihre ergänzende Vertretung. Nur dass die letztere ihrer Gesteinart nach bedeutend von den zwei ersteren abweicht.

Das Ganze können wir uns im Bilde dreier parallel von Südwest nach Nordost gerichteter Stäbe vorstellen, von denen zwei fast in gerader Linie, aber weit von einander getrennt liegen, der dritte kaum eine Stunde südlich davon mit ihnen im Quincunx steht.

Bilden diese drei Centralmassen gleichsam das umgebende Grundgerüste unsres Felsenbaues, so denken wir nun diesen selbst in buntester Form von Gewölben, Mulden, stark geringelten Schlingen vorerst in den Zwischenraum derselben eingebettet, zugleich aber zwischen den beiden nördlichen Gneissmassen hervorquellend, und die letzteren selbst im Norden ebenfalls von wellenförmigen gleichlaufenden Quarz-, Gyps-, Kalk-und Mergellagern begleitet. So gross das Gewirre der Massen auf den ersten Augenblick erscheint, so lassen sich denselben doch bald ordnende Gedanken entnehmen. Vorerst ergibt sich, dass diese ein-, auf- und angelegten Schichten, grossartige locale Störungen vorbehalten, in überwiegender Mehrzahl in ihren Stellungen die gleiche Längs- oder Streichrichtung haben wie die Gneisslager der Centralmassen. Herr Professor B. Studer, mein hochgeehrter Lehrer, hat z.B. schon vor Jahr-zehnden die scharfsinnige Beobachtung gemacht, dass die Schichten der Niesenkette genau die Streichrichtung der Gneisse des Mont Blanc haben. Treffen wir also, um verständlicher zu reden, im heute zu besprechenden Gebiete eine hängende Felsschicht, so werden wir in der Mehrzahl der Fälle die Längenfortsetzung derselben durch Schluchten, Rasen- und Waldbedeckung hindurch in der Richtung von Südwest nach Nordost — Mont Blanc-Finsteraarhornh. Nord 60—70 Ost ) glücklich verfolgen können, ihre Steig- und Fallrichtung dagegen in derjenigen von Südost nach Nordwest, d.h. etwa Leuk-Murten suchen müssen.

Behalten wir zunächst eben diese letztere im Auge und überschreiten wir in diesem Sinne von Südost nach Nordwest die Reihen hinter einander liegender Gewölbe und Mulden, so möchte ich vom Nordfusse der Dent Blanchemassen bis an den Südfuss der Stockhornkette sechs verschiedene Zonen unterscheiden, die sich Mulden oder Gewölbezonen, Ringelmulden- oder Ringelgewölbe-Complexe nennen liessen, sich also hauptsächlich nach ihrer Lagerung von einander abheben, aber zum Theil auch nach dem Character ihrer Gesteine von einander verschieden sind. Sie sind von Süd nach Nord folgende:

Erstens die Anthracit- und triasische Schieferzone, welche die Sohle des Walliserthales von Turtman bis ungefähr Riddes bildet und den Zwischenraum zwischen der Dent Blanche und der Berneralpenkette ausmuldet.

Ihr folgt zweitens die vielfach gewundene und mehrfach gesprengte Kalkdecke des Westfusses der Centralmasse des Finsteraarhorns, man könnte sagen, der Schuh derselben. Es gehören dahin alle Kalkgipfel zwischen den Linien Gampel-Lötschenpass im Osten, Leukerstadt-Kandersteg im Westen, z.B. Fisistock, Altels, Balm-, Rinderhorn, Plattenhörner, Torrenthorn, Ferden-, Resti- und Faldunrothhorn. Da sich der Fuss der Centralmasse auskeilt, so thut es auch ihr Schuh, und diese Zone ist die einzige, welche nicht den übrigen parallel nach Westen durchläuft, sondern nur im Osten die zweite und dritte eine Strecke weit auseinander sprengt.

Die dritte besteht aus der eigentlichen Hochgebirgskette mit den Pässen Gemmi, Rawyl und Sanetsch. Sie stellt in der Breite ein mächtiges Ringelgewölbe dar und schwingt sich in der Länge vom Frutig-Mittag-horn im Osten — über Lohner, Steghorn, Wildstrubel in das Wild- und Arbelhorn und setzt westlich über unser Gebiet hinaus durch Oldenhorn und Diablerets in die Morcles fort. Eine Reihe südlicher und nördlicher Spitzen begleiten die Hauptkrone.

Dem Ringelgewölbe der Hauptkette entspricht viertens eine nördlich folgende ebenso verschlungene grosse Mulde. Es ist die grüne Zone der Pässe von Hahnenmoos, Trüttlisberg, Brüchli, Pillon mit den dazwischenliegenden Thalgründen und Dörfern von Adelboden, Lenk, Lauenen, Gsteig.

Die Mulde begrenzen nördlich als fünfte Zone die so ganz eigenartigen, feierlich ernsten, tafligen Pyramiden der Niesenkette mit den hier einschlagenden Hauptgipfeln Männlifluh, Gsür, Albrist-, Flösch-, Wystätt-, Lauenen-, Gifferhorn, Wasserengrat und Saanenwindspillen.

Den Schluss bilden sechstens die der Niesenkette nördlich anliegenden Kalklager, der Spielgerten zwischen Diemtigthal-Zweisimmen und St. Stephan und ihre westliche Fortsetzung südlich der Zweisimmen-Saanen-strasse, der Rinder- und Homberg.

Um für den Ueberblick unseres ganzen Gebietes Anmerkung. Auf der Südseite von der Gemmi an, von Ost nach West gezählt und erst mehr noch östlich gewendet: Gelli-, Felsen-, Dauben-, Lämmernhorn, dann eigentlich südlich: Trubelnstock, Sex-au-bon-vin, Mont Tubang, Rohrbachstein, Rawilhorn, Sex rouge, Cretahessa, Fava und Sublage: auf der Nordseite: Fitzer und Höchst im Adelboden, Ammertengrat, Ammertenhorn, Laufbodenhorn, Ober-laubhorn, Hohberg an der Lenk, Niesenherghorn, Hahnen-scbritthorn, Vollhorn, Spitzhorn an der Lauenen und bis Gsteig.

»»s » ein weiteres Licht zu gewinnen, müssen mir noch einmal auf die Gneissrippen des Montblanc und der Aiguilles rouges im Westen und diejenigen des Finsteraarhorn im Osten zurückschauen. Es ist zwar nicht mehr als eine Vermuthung von Herrn Professor Studer, muss aber bei der bekannten diesem Gelehrten eigenen Vorsicht und Besonnenheit des Ausdruckes immerhin in das Gewicht fallen, dass Montblanc und Aiguilles rouges unter der Kalkkette unseres Gebietes hindurch mit der Finsteraarhornmasse zusammenhängen dürften. Ja, Herr Studer fragt sich, ob nicht die zwischen Montblanc und Aiguilles rouges eingerollten, auf der Spitze der letzteren selbst noch aufgesetzten Kalklager des Chamounix in jenem merkwürdigen Hornblendeband, welches die ganze Finsteraarhornmasse durchzieht, ihre stärker gepresste und metamorphisirte Fortsetzung haben. In diesem Falle würden beide Centralmassen Doppelmassen sein und etwa zwei neben einander herlaufenden, im Osten näher als im Westen zusammentretenden Seilen verglichen werden können, deren stark eingesunkener Mitte die Kalklager zwischen Lötschenpass und Dent de Morcles Tüchern gleich in wunderlich zusammengebauschter und verknäuelter Form übergelegt wären. Beachtenswerth in diesem Sinne sind die gleichmässige Breite und flache Spannung der Passhöhen von Sanetsch, Rawyl, Gemmi und einigermassen auch von Lötschen. Auch die höheren, begletscherten Theile des Hochplateau legen in ihrer fast constanten Doppelkrönung, Gabelung oder Schalung den Gedanken an ein unten — wenn auch in beträchtlicher Tiefe — durchziehendes Doppelgerüste nahe. Am schönsten ist diese Form in den Diablerets ausgeprägt und in der Plaine morte am Wildstrubel; aber auch die Kuppe des Wildhorns schwingt ihr Eisfeld in dieser Weise in das Steinberg- und Rawylhorn hinüber. Man denke auch an das Lämmerngletscherthal. Wie dem auch sei, offenbar haben die erwähnten beiden Centralmassen in ihrem mächtigen Aufquellen im Westen und Osten einen starken nachweisbaren Querdruck auf die zwischen ihnen liegende Hoch-gebirgskalkkette ausgeübt. Dieser Querdruck ist die Ursache, dass diese nicht wie ein monotoner Jurarücken als gleichförmiges Gewölbe verläuft, sondern auch im Sinne der Längsrichtung in eine vielgezackte Gipfelkrone zersprengt ist. Ebenderselbe hat die früher genannten Pässe auf dem Hochrücken der Kette auch seitlich muldenförmig ausgeschalt, hat den von der Morcles bis zum Wildstrubel gerade laufenden Hoch-gebirgswall vom Steghorn an über den Lohner hinaus plötzlich nach Osten gewendet und genauer geredet mit dem Fusse der Finsteraarhornmasse dorthin seitlich abgeschoben; mehr, er hat die von der Bernerhoch-wand rechtwinklig nach Norden auslaufenden Ketten, welche die Thäler von Adelboden, Lenk, Lauenen und Gsteig von einander scheiden, aufgetrieben und endlich durch Knickung der Hochwand selbst jene prächtigen vier Amphitheater gebildet, welche den vielbewunderten Hintergrund der genannten vier Gemeinden bilden. Es entstanden so ferner die nördlichen Querrippen: Regenbolshorn — Albrist — Spielgerten am Wildstrubel, Trüttlisberg — Wystätthorn — Zwitzeregg — Amselgrat — Rinderberg an der Schneeschneide, Blicke in den Bau der westlichen Berner Alpen. 4^1 Niesenberg — Rothhorn — Lauenenhorn — Gifferhorn — Homberg am Pfaff, HahnenschrittVollhorn — Holzersflue — Wasserengrat am Wildhorn — SchafSpitzhorn — Wallis- und Saanenwindspillen am Arbelhorn, und es lässt sich nachweisen, dass die vorerwähnten vier Hauptthalgründe der Nordseite nicht Erosions-, sondern — wenn ich so sagen darf — Quermuldenthäler sind. Man beachte nur die zu beiden Thalseiten der Lenk am Albrist nach Nordwest, am Flösch nach Nordost dem Grunde zusinkenden Schichten. Gleich verhält es sich mit dem Diemtigthal und mit dem Frischenwert zwischen Wystätt-,.Lauenen- und Gifferhorn. Dagegen folgen Kilei-, Fermel- und Turbachthal, sowie der untere Haupttheil des Simmenthals, der von Zweisimmen westwärts gewissermassen über die Saanenmöser fortsetzt, der Richtung der Zonen von Ost nach West, mithin dem südlich-nördlichen Hauptdruck, und sind also Längsmuldenthäler. Auch auf der Walliserseite hat der Querdruck in kürzeren Rippen gewirkt, und die Wandungen der Schluchten der Morge, Sionne, Rière, Raspily, Dala und der Bachalp würden zu ähnlichen Beobachtungen Anlass geben.

Nach dem Gesagten macht unser Gebirge den Eindruck eines quadratischen Netzes, in welchem Haupt- und Querpressung die Felslager rechtwinklig gegen einander aufgeworfen und so in durchgehenden Wellen gekreuzt haben, wobei aber die erstere stärker war als die letztere. Werfen wir jetzt Streiflichter auf die einzelnen Zonen, soweit es die Zeit erlaubt. Wir wollen von Süden nach Norden fortschreiten.

Die Centralmasse von Mont Colon und Dent Blanche 31 steigt nirgends in das Hauptthal des Wallis nieder. Ihr nördlicher Fuss verschwindet hoch in den südlichen Seitenthälern, an den Gletschern von Otemma, Breney, Gêtroz über Bagnes — Cheillon über Hérémence — Aroila, Miné und Ferpècle über Hérens — Zinal über Anniviers. Ihr mächtiger Vorwall dagegen, die Schieferzone des grossen St. Bernhard, durchzieht die Sohlen und — mit Ausnahme von Bagnes — die Mündung all' der genannten Thäler, bildet von Turtman bis Saxon die Schale des Rhonebeckens selbst und kleidet auch dessen nördlichen Fuss aus. Die Anthracit- und Schieferzone, die ich als die südlichste und erste unseres Gebietes bezeichnet habe, ist nichts Anderes als der Nordrand des östlichen Flügels der Schieferzone des grossen St. Bernhard. Die Hauptgesteine derselben treten in ihrer Lagerung von unten nach oben in folgender Reihe auf. 1 ) d.h. zu unterst: alte, glänzende Glimmer- und Talkschiefer, sog. Casannaschiefer; 2 ) darüber: der Anthracit, mürbe, vorherrschend dunkle, kohlige Schiefer; 3 ) Quarzit, bald rein, bald unrein, milchweiss, grau, grünlich ( Verrucano4 ) Cipollin, unten weissgrüne, oben dunkle Glimmerkalke; 5 ) meistens röthlicher, dann blauer Marmor, zucker-artig, mit einer Decke kompacter Kalke; 6 ) harte, 7 ) weiche Brisé, d.h. braun und blaugraue Kalkschiefer mit Chlorit- und Hornblendeschieferlagern; 8 ) intensiv grünrothe Talk- und Thonschiefer; 9 ) Gyps, Rauchwacke, Dolomit; 10 ) graue Schiefer; 11 ) Lias und Jura. Petrefacten finden sich nur in dem letzterwähnten Lager, die unteren Gesteine müssen solche der Dyas und Trias sein.

Die Zone, auf ihrem Ostflügel bei Turtman und Pfyngràben von der Centralmasse des Finsteraarhorn offenbar südwärts gedrückt, setzt zwischen Pfyn und Siders über das Thal auf die Nordseite. Die schöne Terrasse, auf welcher die Dörfer Montana, Chermignon, Lens und die Gemeinden Ayent, Grimisuat, Savièse stehen, ist meist aus ihren Gesteinsgliedern zusammen- gesetzt. Ihr entsprechen auf der Südseite einigermassen die Plateaux von Vex, Nax und Vercorin. Casannaschiefer treten nur auf der südlichen Thalseite hervor; auch der Anthracit springt nur sporadisch auf die nördliche über. Die ganze Felsmasse, düster bei trüber Witterung, in kaltem Stahlglanze schimmernd beim Sonnenschein, wenn auch*-gemildert durch die sie umgürtenden Reben und Wasserleitungen, gibt dem Thale jenen starren, ernsten, markigen Character, der zum Lande des ehemaligen Fürstbischofs und der Matze passt. In den Schluchten, welche die Sionne und die Rière durch oder um fast senkrecht gestellte Felstafeln herum theils gesägt, theils ausgewaschen haben, ebenso in dem tiefen Einschnitte der Borgne am Ausgange des Eringerthales auf der Südseite, entfaltet sich die Natur stellenweise zu wahren Parken. Zahme Kastanien und Feigen wachsen im Grunde, und die Rebe erstirbt hoch oben am schimmernden Gyps, zurückgedrängt von den hochschattigen Nussbaumen und der üppigen Grasdecke von La Place und Drône, von den steilen Hängen über der Einsiedelei am Ausgang der Borgne. Das Ganze rechtfertigt die nicht selten gehörte Bemerkung, Wallis sei das Spanien der Schweiz; und der bischöfliche Schaffner, der in den Reben von Sitten in schwarzem Kleide herumwandelt, das Gesicht der Klosterfrau, das gelegentlich aus denjenigen von Siders hervortaucht, der altburgundische steinerne Thurmhelm von St. Germain bei Savièse vollenden das Bild des geologischen Reliefs.

Der Anfang des Profiles I, von der Bella Tola aus nordwestlich über Borterhorn und die südwestliche Ecke des Illgrabens nach Chippis, nach Granges la Station auf der nördlichen Thalseite gezogen, versucht einen Querschnitt durch diese Lagen. Ich muss gestehen, dass die beiden äussersten Enden dieses Profils, südlich vom Anthracit bei Chippis und nördlich vom Amselgrat am Rinderberg bei Zweisimmen, noch Problematisches und Unsicheres haben und nicht auf die wissenschaftliche Sicherheit Anspruch machen dürfen, welche die Mitte darstellen soll. Schnee und andere Umstände trieben mich zweimal vom Gebiete des Illhorns weg. Der Rückgriff des Durchschnittes bis auf die Bella Tola soll nicht mehr als den Contact der nördlichen Kalklagen wenigstens mit dem krystallinischen Vorgewölbe der Centralmasse veranschaulichen. Genauere Constatirung der zwei Schichten, die mitbelegt sind, muss weiterer Untersuchung vorbehalten bleiben. So viel ist klar, unerwartete, kurze, aber kräftig gepresste Biegungen finden statt. Die Felsmasse fand unter dem ungeheuren Druck, den sie zunächst auszuhalten hatte, nicht Zeit, sich in grosse Schlingen auseinanderzulegen; ihre Windungen sind sehr gedrängte, in sich selbst gekrümmte, massige Hebelarme, gleichsam Kurbeln, an welchen sich die nach Norden rollende Schichtenentwicklung fortbewegte.

In geschwungenem aber stark eingeklemmtem Bogen muss ehemals der Anthracit in die Gegend herausge-quollen sein, welche heute den Hohlraum des Walliser-thales einnimmt. Die Rhone stiess auf diesen Bogen da, wo die Schieferzone heute zwischen Pfyn und Siders die Thalsohle überspringt; sie bohrte sich in der Richtung ein, in welcher ihre Resultante die beste Entwicklung fand, d.h. in derjenigen der weichen Schiefer des Anthracit; sie höhlte diesen zu einem Thal, gleichsam zu einem Schachte aus; sie sägte bei St. Maurice ein Felsenthor und überlegte die selbst-geschaffene Höhlung mit Kies. In natürlicher Folge davon stehen jetzt — links dem Strome bei Turtman, Réchy, Chippis, Bramois — rechts bei Granges la Station — Anthracitgruben; ihr Material wird auf demselben Beton, das sich das Wasser aufgetragen, durch denselben Ausgang, den es sich bei St. Maurice gebohrt, in das Ausland geführt, und wir haben damit ein Bild, wie Vorwelt und Jetztzeit durch eine Reihe innig zusammenhängender Causalitäten in Verbindung stehen.

Das besprochene Anthracitgewölbe hatte die über-'liegende Quarz- und Schieferdecke gesprengt, den einen Schenkel derselben nach Norden geworfen und dort in eingewundenen Formen stehen lassen; sein härteres Gestein widerstand auch den Gewässern der Rhone. Solch ein Stück verschobener Gewölbeschale bilden die Hügel von Tourbillon und Valeria bei Sitten, die westliche Fortsetzung derselben zwischen Sitten und Conthey, die östliche zwischen St. Léonard und Granges, der Burghügel von Réchy und theilweise auch der- jenige von Géronde bei Siders. Eben sie verleihen dem Thale jenen romantischen Zauber. Der Mensch, dieses gramselnde und krabbelnde Wesen, das sich überall da ansetzt, wo nur einige Quadratmeter Lebensbedingung vorhanden sind, fand solche auch hier, denn schon Csesar erwähnt der Sedunenser. Erst bemächtigte sich das militärische, dann das feudale und clericale Interesse jener Felsen; es baute auf den Tourbillon die Burg des Fürstbischoffs, auf die Nordseite des Valeria die chapelle des Tout-Saints, wie man sagt die älteste stehende Kirche des Thales, auf die Spitze dieser Höhe das Priesterseminar. Letzteres steht auf einer Bande milchweissen Quarzes, einem vom Standpunkte des katholischen Glaubens aus hübschen Sinnbilde des Felsens Petri. Dieser Quarz ist der Kern der gewundenen Hügelgruppe. Der Tourbillon, bestehend aus grauem Cipollin und aus Kalkbändern, ist ein davon abgesprungener Gewölbeschenkel; die anmuthige Trennung beider Hügel ist eine sogenannte Combe, d.h. der von dem abgesprungenen Schenkel und von dem unten fortsetzenden Gewölbebogen gebildete Winkel. Weiche, weissgraue Cipollinmergel in der concaven Spitze des letzteren haben den vorweltlichen Thalwassern erlaubt, die Kehle noch romantischer auszuwaschen. Der dem Tourbillon entsprechende südliche Schenkelbruchtheil ist in einem kleinen Kalkriffe bemerkbar, das kaum 100 m vom Südfusse des Valeria aus den Matten der Rhoneebene hervorragt. Nördlich vom Tourbillon klappen die jüngsten Schichten der Trias mit bunten Thonschiefern, Gyps und Rauchwacke in Form einer gepressten Mulde zu einem dritten niedrigen Felsenriff empor, das aber Gletscher und Gewässer stark ab- und angewaschen haben.

Die nördlich sich erhebende Thalterrasse von Grimisuat und Savièse ist Folge einer nochmaligen Gewölbebildung, in der sich aber der Quarz nicht mehr, sondern nur noch die jüngeren Lager des Mar-mörkalkes und der Schiefer bis in den sichtbaren Kern erheben. Hier steht auf hochgehobener Rippe die Tour d' Orge; am nördlichsten Rande der Zone, auf anliegendem Liasflügel, Tour Seon, die Ruine der Burg, von welcher circa 1H75 Bischoff Wischard von Tavelli von den Leuten des Anton von Thurn zu Gestelen zum Fenster hinaus gestürzt worden ist. Der scharfe Kalkschieferzahn, zu welchem sich die Felsenfaltung der Vorzeit gestaltete, wurde dem Menschen zum Verhängniss. Der feudale Besitzer baute sich auf demselben an, Höhe und Abgrund reizten den Feind zu frevelnder That; er stürzte den Besitzer und liess ihn auf die selbstgewählte Rippe, d.h. gleichsam in sein eigenes Messer fallen. Noch steht die Faltung und wartet, was für fernere Vorgänge des Menschenlebens sich an ihrer Felsenzinne abspielen mögen.

Wir verlassen diese Zone und begeben uns hinauf zu Eis und Schnee, d.h. zu den Kalklagern, welche den Westfuss der Finsteraarhornmasse bedecken. Herr von Fellenberg, an dessen Beobachtungsgebiet ich hier streife, hat in diesen Hochgegenden reiche Petre-factenlager in Erfahrung gebracht, welche er ausbeutet. Er wird der Wissenschaft bald ungleich Gründlicheres zu melden im Stande sein. Hier von meinen eigenen Beobachtungen nur so viel, als zum flüchtigen Ueberblicke nöthig ist.

Stellen wir uns vor, es sei gleichsam der linke Fuss, welchen die Gneisse und krystallinischen Schiefer des Finsteraarhorns unter die Sedimentmasse des Balmhorns und der zwischen diesem und Gampel gelegenen Gypse, Rauchwacken, Sandsteine und Kalke einsetzen, dann würde der Gneiss, welcher das Balmhorn in geschwungenen Windungen unterteuft ( siehe Profil II ), die grosse Zehe darstellen; drei weitere links, d.h. südlicher hintereinander auftauchende Gneissschieferrippen böten uns die drei folgenden; die kleinste, fünfte müssten wir in einer Abzweigung nach Gampel suchen. Zwischen dem Daumen und den drei krystallenen Fingern, an welchen hie und da Sphene und Bergkrystalle wie Brillanten leuchten, ist der Gebirgsschlamm hoch emporgepresst und zu respectabeln Berggipfeln ausgebildet. Sie bestehn aus Trias, nämlich Brisé, Gyps, Eauchwacke und Dolomit, aus Lias, unterem und etwas oberem Jura. Der Volksmund unterscheidet treffend zwischen diesen eingeklemmten Lagern und den Gneissrippen: er nennt die letzteren Gräte, die ersteren Rothhörner, weil die Hauptmasse derselben, der rostig -verwitternde Liassandstein ( Acieten- und darüber wohl Belemnitenlias und Posidonienschiefer ) sie wirklich rothbraun erscheinen lässt. Wir erhalten so vom Balmhorn weg südwärts gezählt das Ferden-, Resti- und Faldunrothhorn, dazwischen gelegt und mit ihnen wechselnd den Resti-, Faldun- und Nivengrat. Die Falten, Windungen und Brüche, in welche die drei Rothhörner in Folge der Pressung durch den Gneiss zu- sammengelegt sind, gehören zu den lehrreichsten Erscheinungen im Gebiete der alpinen Stratographie. Namentlich bietet die in neun zierlichen Schwingungen ausgebaute Pyramide des Ferdenrothhorns eine werthvolle Studie für die Frage über die Art der Hebung der Gebirge. Schon die leichtgeschwungene Form dieser Falten lässt die Annahme einer Entstehung derselben durch stetige, unsichtbar langsame Bewegung als unwahrscheinlich, folgende Betrachtung eine solche als völlig unmöglich erscheinen. Wären nämlich die Schwingungen das Resultat von Jahrtausenden, so müssten alle jetzt horizontal liegenden Schlingen im Laufe der Zeiten und in Folge der Drehung auch vertical gestanden haben; es musste Schutt in die dazwischen liegenden Thälchen oder Mulden fallen und sich schliesslich in Folge Weiterdrehung mit denselben einklemmen und jetzt noch sichtbar sein. Da sich kein solcher vorfindet, überhaupt Windungen selten solchen aufweisen, so ist nur an eine möglichst schnelle Bildung zu denken. Die Gneissunterlage des Balmhorn und der Restigrat sind die zwei krystallinischen Pressbalken, zwischen welchen diese Lagen des Ferdenrothhorns emporgedrängt wurden, in sich zusammenfielen und darüber sich wanden, gleich einer durch eine Spritze gestossenen weichen Butterstange. Derselbe Berg gibt uns zugleich den Durchschnitt für Maing- und Torrenthorn bis zu den Leitern bei Leukerbad; denn diese drei Gipfel sind dieselbe Kette; nur dass diese Windungen gegen Bad Leuk zu schwächer werden, weil die pressenden Gneissrippen hier in der Tiefe verschwinden. Nicht zu übersehen ist, dass auck die Therme von Leuk eben dieser Klemmung zu entströmen scheint, als entspräche den herausgewundenen Schichten ein ebenso grosser Hohlraum in der Tiefe.

Die hinterste Sohle des Dalathales gleicht wieder für sich in 's Besondere einem schwach aufgebauschten Schuh, dessen Oberleder Lias ist. Ferdenrothhorn und Balmhorn, theils aus Lias, theils — und letzteres vorherrschend — aus unterem Jura bestehend, sind mächtige Rosetten auf beiden Seiten des Gerispes, als welches wir die Regizifurka betrachten wollen. Der Fuss selbst, der Gneiss, tritt nur am Lötschenpass zu Tage. Hier, am Kreuz, erscheinen«zwischen dem Fuss und der Liasdecke Quarzit, Marmor, Brisé, Rauchwacke, Gyps; sie sind gleichsam das ausfütternde Pelzwerk. Zehn Minuten oberhalb Leukerbad, bei der Brücke unter dem Wasserfalle der Dala, ist das Oberleder des Lias aufgesprungen, und es treten auf wenig Quadratmetern Kalkschieferbrise, entwickelter die Rauchwacke hervor. Da die Brisé am Kreuz des Lötschenpasses wenige Meter über dem Gneiss liegt, so ist wahrscheinlich, dass letztere auch beim Leukerbad noch in sehr geringer Tiefe unter der Oberfläche ansteht. Ein indischer Geologe würde sagen, die Therme fliesse aus dem geöffneten Fusse Brahma's.

Die Mächtigkeit der Balmhorn- und Altelsauf-lagerung auf dem Gneiss erregt Staunen, und man muss erst seine Vorstellung an die schwer übersehbare Grösse der Finsteraarhornmasse gewöhnen, um nachher die Dicke der so plötzlich in Form einer Combe oder eines Gewölbeschenkels anhebenden Kalkdecke mässig und erklärlich zu finden. Uebrigens erheben Win- düngen im Balmhornabfall dessen Höhe. Trennung und Zusammenhang von Balmhorn und Altels beruhn auf einer Windung der Lagen, welche durch Anschauung des Profiles deutlicher wird als durch Worte. Balmhorn trägt, soweit ich entdecken konnte, nicht höhere Schichten als unteren Jura. Altels dagegen in den höheren Regionen oberen Jura, in den unteren des Nordfusses obere Kreide. In den Eingeweiden am Zagengletscher vermag ich nur den unteren Jura und den Lias mit Bestimmtheit nachzuweisen.

Jedermann kennt den glänzenden Eisschild des Altels, der so weit in die Mittelschweiz hinausschimmert. Er ist nichts als ein durch den Aufdruck des Lötschen-passgneisses gehobener, im Balmhorn eingewundener Seestrand, einst so flach wie derjenige von Arcachon bei Bordeaux. Versetzen wir uns im Geist in die Gegend der Wintermatt und des Schwarenbacb.es auf der Gemmi und schauen nach Osten an Altels und Rinderhorn, so bilden Gelli- und Felsenhorn — Lohner, Tschingellochtig- und Thierhorn in unserm Rücken das sehr verwickelt eingerollte westliche Gegenlager dieser steil aufgerichteten Wände. Nehmen wir nun an, der Gneiss des Lötschenpasses und Hockenhornes zöge sich plötzlich zurück, was würde geschehn? Die Westseite der Gemmi bliebe wie sie ist, die Ostseite dagegen würde nach Osten hin in die Tiefe fallen und nicht mehr wie jetzt als gehobene Wand nach Westen, sondern als gesenkte nach Osten schauen. Ein prachtvoller Blick würde sich uns vom Schwarenbach aus in das Lötschenthal, durch die Lötschenlücke nach den Gletschern des Aletsch eröffnen; wir stünden dort am Hochrande einer tief niedersinkenden Kalkbank. Nun, was wir uns hier vorstellen können, das geschieht eine kleine Stunde weiter auf dem südlichen Passrande der Gemmi. Treten wir auf die Daubenplatte, so verlässt uns plötzlich zu ihrer Linken der Abhang des Rinder-hornes und der Plattenhörner, und es entfaltet sich als wunderherrliches Bild zu ihren Fussen das grüne Bergthal der berühmten Heilquelle, während hinter uns die Gebirge westlich vom Daubensee und vom Lämmerngletscherthal die constante Form ihrer Wandung beibehalten, wie westlich vom Schwarenbach. Der Grund davon ist klar. Der Gneiss hat sich bei Leukerbad zurückgezogen, er hebt die Kalklager nicht mehr zu westlich oder nördlich schauenden Felswänden empor, im Gegentheil, dieselben läppen jetzt allmälig in Folge dieses Rückzuges nach Osten und Süden ab — wie in den Felsen von Inden und in den südfallenden Kalkwänden zwischen Varen und Salgesch ersichtlich ist. Letztere sind nichts Anderes als die südlich niedergelegte Wand von Altels, Rinderhorn und Plattenhörnern. Die Daubenplatte ist die ungefähre Drehaxe dieser Ueberlappung, ob auch aufgelegte Schichten im Lämmerngletscherthal noch eine Weile nach Nordwest schauen. Wäre der Gneiss im Fuss der Finsteraarhornmasse über Leukerbad hinaus westlich gegen Siders zu vorgerückt, Inden- und Varnerfelsen müssten wie Altels u. s. w. nach Westen und Norden aufgebogen sein, der Gemmipass müsste sich durch das Lämmerngletscherthal nach Trubeln und den obern Varneralpen hindurchwinden, stets mit den gleichen nördlich und südlich oder westlich und östlich be- gleitenden Felswänden, und die Felskehle von Schwarzenbach wäre um drei Stunden länger.

Indem wir immer einen Querschnitt, durch unsere Zonen von Süd nach Nord im Auge behalten, gelangen wir jetzt zum Südabhange der dritten und weitaus grössten, der eigentlichen Berneralpenkette.

Da bei Chippis und Granges la Station, den Punkten, durch welche unser Profil geht, der Fuss der Finsteraarhornmasse sich bereits ausgekeilt hat, so quillt das Wildstrubelmassiv unmittelbar unter der Schieferzone bei Montana über Granges hoch empor, knickt aber dann gleichsam in seine Schultern zusammen, um seine Hauptlast nördlich in die Berner Thäler hinüber zu wälzen. Dieselbe Bewegung macht dasjenige des Wildhorns über Sitten bei Ayent und Chandolin. Die obersten Schichten, Kreide und eocene Tertiärablagerungen, sind in Kerben zusammengequetscht; der durchbrechende untere Jura hat sie überstülpt und einen grossen Theil der aus dem Abhänge von Wildstrubel und Wildhorn gebildeten Wallisernordseite in umgekehrte Lagerung gebracht. Dieser Umstand ist wichtig für die Fruchtbarkeit. Es gibt kaum einen für die Vegetation undankbareren Boden, als denjenigen des oberen Jura, des Valangien und Rudistenkalkes in der Anmerkung. Von den zwei Profilen, welche als Darstellung dieser Kette dem mündlichen Vortrage vorlagen, kann hier nur das eine veröffentlicht werden, nämlich dasjenige, welches in Fortsetzung des Durchschnittes von Bella-Tola bis Chippis durch das Weisshorn, eine westliche Nebenspitze des Wildstrubel, geht. Das andere bewegte sich von Sitten über das Wildhorn nach den Saanen-Windspillen. Zwischen beiden besteht beachtenswerthe Congruenz.

Kreide; daher das wilde Aussehen der Juragewölbe zwischen Biel und Solothurn, hie und da glücklich gemildert durch aufliegenden Gletscherschutt. Ungleich reicher begrast sind die Mergel des unteren Jura. Indem diese in Folge der erwähnten Ueberstürzung bedeutend vorherrschen, erlauben sie dem Walliser, seine kleine schwarze Kuh bis zu seltenen Höhen empor zu treiben und dem Schafe bloss die obersten Steinwüsten zu überlassen. Der Vegetationsunterschied zwischen den Varnerabfällen und denjenigen der Alpen von Pipinet, Lens und Tsalland wird Jedermann auffallen; die ersteren bestehen aus Valangien, die letzteren aus Oxfordmergel. Der Wechsel der Vegetation je nach dem Gestein und die Anpassung der ersteren auf das letztere sind überhaupt kaum an einem Orte lehrreicher; sie bieten dem Walliser dortiger Gegend eine der reichhaltigsten landwirthschaftlichen Existenzen. In Treppenform vom Grund zur Bergesspitze gewährt ihm die Natur Vieles von dem, was die Cultur anstrebt.. Im Grunde die bischöfliche Hauptstadt mit geistlichei-und weltlicher Civilisation, mit zahmen Kastanien, Mais und einem Anfluge italienischen Pflanzenwuchses überhaupt — an der Schieferterrasse der Wein — hier die Obstbäume, die Pflanzungen, die Korn-, Roggen- und Gerstenfelder. Wir befinden uns unter Gypsen und Schiefern auf eingeklemmten jurassischen Mergeln. Jetzt folgt Wald — dann die Vorsass — der untere Berg — wieder Holz — der obere Berg — der Schafberg — endlich der Gletscher oder Firn. Er speist die Wasserleitung, welche viele Stunden weit an den schwindelnd steilen Felsen der Cretabessa, des Serin, des Lenser- berges hinzieht; deren Bau an gefährlichsten Stellen der Pfarrer unten oft mit Procession begleitet, und deren tägliche Begehung die Aufseher nur unter Anzünden der Kerze in der vorstehenden Betkapelle antreten. Mit ihr hat der Einwohner gleichsam den Regen für alle seine nach unten sich abtafelnden Culturstufen in der Hand. Die eigentlich grasigen Stufen stehen, wie erwähnt, meist auf durchbrechenden Oxfordmergel-gewölben; die Dählenwälder vorherrschend auf härteren Lias- oder Opalinusschiefern, die Tannen auf Neocom oder Oxfordkalk, der Schafberg auf Kreide und Eocen. Aeusserst anziehend ist die Verfolgung der Kreide-und Eocenknickungen in ihrer Streichrichtung längs der Südseite der Bernerkette von Frutigen über die Gemmi an den Abhängen von Wildstrubel und Wildhorn entlang bis Sanetsch: Beide Seiten des Thales von Kandergrund, vom Gipfel des Mittaghorns über Eisigen bis zu demjenigen des Gehrihorns über Kandergrund und Kienthal, tragen die erwähnten Bildungen in prächtiger Entfaltung. Gleich einem über jene zwei Gräte wie über zwei Hochrippen gelegten, in der Mitte bis unter die schäumende Kander eingesunkenen Tuche ist hier besonders die Nummulitenwelt auseinandergelegt und bietet ein reiches Gemälde ihres Zeitalters. Hier findet sich der räthselhafte Taviglianaz ohne deutliche thierische Einschlüsse, nur in den Endüber-gängen seiner Lager von einem Heere von nummuli-tischen Foraminiferen eingesäumt. Dagegen weist die in seine Mulde eingewundene Kohle Cerithium elegans, Turritella, Corbis und Astarte, Farrenkräuter und andere Pflanzen auf. Ein anderes in stark gestörter Lagerung befindliches Band gibt in grosser Zahl Lima, Arca, Opis, Pecten. Fortgesetzter Sammlerfleiss würde überhaupt eine reiche untergegangene Welt zu Tage fördern. Man wird begierig, dieses Blatt alter Geschichte auch nach Kandersteg hinein genauer zu verfolgen. Aber siehe, gegen Mitholz zu rollt es sich plötzlich ein. Die starken Windungen, welche es im Gemmiauftritt bei Eggischwand zugleich mit der unterliegenden Kreide macht, die noch stärkeren nördlich der Wintermatt auf der Bernerseite vom Schwarenbach, zeigen, welche Arbeit das Gebirge hatte, diese Massen in sich zu verschlucken. Westlich über dem Daubensee, in der Kehle des Rothe Kumm-Passweges dürfte der zwei Mal angelegte Bergstock eines Touristen genügen, um die ganze Mächtigkeit der Schichten dieses eben kaum noch aus dem Gebirge hervorblitzenden Zeitalters zu begreifen; aber eine Viertelstunde weiter in südwestlicher Fortsetzung der Felswand nach dem Lämmerngletscherthale hin rollt es sich bereits wieder in vier Gewölbestreifen auseinander, und treten wir erst an den reizenden Lämmerngletschersee, so entwickelt es sich zur herrlichsten Felsengruppe, in welcher die Quarzite und die kohligen, cerithien- und orbitholithen-reichen Tertiärkalke mit ihren characteristischen Formen-unterschieden in rascher Folge wechseln. Doch nur mühsam verfolgen wir es bald wieder als blosses schmales Band durch die eisigen Hänge des Lämmern-thaies bis auf die Krone der Felsen von Inden. Jetzt ermuthigt mich mein unverzagter langjähriger Begleiter und treuer Freund, Lehrer Bratschi an der Lenk, trotz Donner und Regen zu getrostem Niedersteigen in das wilde Amphitheater der Trubelnschlucht und macht mich auf einzelne wie Fündlinge aus dem Abhang stechende Quarzitblöcke aufmerksam, in welchen er in richtiger Würdigung die gleichsam nur in Denkmälern angedeutete Fortsetzung der Tertiärzone erkennt. Gelangt man an den südlichen steilen Felshängen der Schlucht, an welchen ohne die weich anzutretenden Oxfordmergel ein Emporklimmen schwer möglich wäre, auf den Hochrand der mittleren Varneralpen, so freuen wir uns, unsern alten Freund, den Taviglianaz von Kandergrund, wieder anzutreffen. Er bildet hier Gipfel und langgezogene Rippen südlich vom Trubelnstock, und wir werden bald gewahr, dass die mittleren Varneralpen eine meist aus Flyschsandsteinen bestehende weit-ausgelegte Tertiärkerbe sind, welche man einem der tief unten fliessenden Rhone parallel liegenden aufgeschlagenen Buche vergleichen könnte. Unter Sex-au-bon-vin, zwischen den Alpen von Prily und Colombire, ist der südlich ablappende Deckel wieder aufgehoben und durch Oxfordmergel und Oxfordkalke, welche sich von Montana und Pipinet her von demselben empor-drängen, auf den nördlichen zugeschlagen. Unsicher tappt man in den Gräben von Colombire und höher mit dem Hammer auf Tertiärgestein herum und begreift lange nicht die nach oben in ältere Bildungen umsetzende Ueberlagerung. Der Punkt, wo der zwischen Pipinet und Mont Tubang von Oxfordmergeln und Kalken überlegte südliche Deckel der tertiären Kerbe auf den nördlichen zusammenklappt, ist das Furggi. Ganz eigenthümliche, fast kuglig gequetschte Formen nimmt diese Einklemmung im Flysche des Süd-Serin 32 und in den Audannes, südlich vom Rawylhorn, an; noch verwickelter und in gegenwärtiger flüchtiger Schilderung nicht darstellbar ist sie in der Cretabessa.

Bratschi hat sie in seinen Privatexcursionen bis an den Pas de Cheville verfolgt. Ueberschaut man diese ganze, in ihrer Streichrichtung von Ost nach West soeben beleuchtete tertiäre Formenentfaltung in ihrem wechselnden Auftreten und Verschwinden, so lässt sie sich ungefähr mit den Lucken eines Linien-schiffes vergleichen, welche sich abwechselnd halb oder ganz öffnen, oder — wie erwähnt — mit einem Buche, das am Oberrande seinen Inhalt sehen lässt, dann aber neidisch oder spielend ihn bald verhüllt, bald aufdeckt.

Hauptsächlich diese Tertiäreinklemmungen, dann aber auch die andern Comben und Mulden, wie sie durch die starke ßingeluDg und häufige Brechung des südlichen Gewölbeschenkels am Abhänge entstehen, mussten, haben denselben besonders in der oberen Hälfte mit einer Eeihe von Querthälern durchzogen; ich erinnere an das Thal von Nousey, die Leistenkehle zwischen Sex-au-bon-vin und 3000 — En Ehr ( nicht Der, wie Dufour sagtles Eavins — den Serin — les Audannes — den Donin — les Grandes Gouilles. Dieselben sind für das Hauptthal des Wallis von grosser Wichtigkeit; sie halten die abfliessenden Gewässer eine Zeit lang in horizontaler Schwebe, verhindern deren rascheu Niedersturz, vermindern ihre verticale Säge-kraft und bewahren so den Rhonegrund vor einer Ueberführung mit Schuttkegeln, ähnlich demjenigen des Pfynwaldes, und vor den Ueberschwemmungen oder Seen, welche solche zur Folge haben müssten.

Wir treten auf den Hochrücken unsrer westlichen Berneralpenkette und vergessen eben hier nicht, dass dieselbe trotz der Menge gebrochener Faltungen, aus denen sie sich zusammensetzt, im Grunde doch nur ein Hauptgewölbe darstellt. Besann sich der Südabhang gleichsam, ob er in seinen Schulterknickungen überhaupt nach Süden rückfallen, der nördliche, ob er in wilden Windungen nach Norden überrollen wolle, so spannte sich unterdessen die weite Decke der Mitte und sank dann, so weit es Spannung und hohler Untergrund erlaubten, ebenfalls in häufigen Windungen in sich selbst zusammen. Letztere zeigen sich besonders schön in einzelnen Partien der Wände, welche das Hochplateau des Rawylpasses begleiten. Aber es fehlt auch nicht an sanften, nicht gewundenen Schwingungen der Gewölbedecke. Concav und besonders schön ist die der Plaine morte, der Hochfläche südlich von Wildstrubel, ein weisses, tadelloses Schneefeld, zwei Stunden lang und eine breit, umstellt von elf Hörnern, wie von schwarzweissen Wächtern, ein wahrer Geister-platz der Elfen. Domartig, für das Auge fast noch schöner, wölbt sich die Kuppel des Wildhorns, fällt dann aber südlich in gleich vollendeter Hohlform zwischen das Steinberg- und Rawylhorn ein. Tiefere Knickungen mag allerdings der in seltener Reinheit schimmernde Eisschild des Wild- und Steinberg-horngletschers verbergen.

Erinnern wir uns, dass wir auf bedeutungsvoller Wasserscheide sind. Wie das Auge südlich über den Kranz der penninischen Alpen schweift und nördlich über Stockhorn und Ost-Jura hinaus in den Schwarz- wald, so tropft auf scharfem Kamm der Schnee in der einen Hand in das Mittelmeer, derjenige der andern in die Nordsee ab. Die Wasserentleerung der Wild-hornmasse dürfte gleichtheilig, doch vielleicht eher noch zu Gunsten des Wallis sein, denn sie speist Rière, Sionne und Morge zugleich; diejenige des Wildstrubels dagegen entsendet ein unverhältnissmässig grosses Uebergewicht auf die Bernerseite. Die ganze Plaine morte gibt nur spärliche Bäche nach Süden ab. Ihre zwei grossen Wassertrichter sind das Quellengebiet der Simme und der Kander. Fasst man die Grösse des ersteren in das Auge, in seiner Ausdehnung westlich vom Thal der krummen Wasser bis östlich zum Ammertenberg, überragt von Pfaff- und Weisshorn, Rätzli- und Ammertengletscher, so begreift man die Ueberschwemmungen der Lenk.

Den Nordabfall unserer Hochgebirgskette sehen wir auf Tafel III durch eine Reihe von Parallelprofilen veranschaulicht, welche in der Ordnung von Ost nach West, längs der Gebirgswand in möglichst gleichförmigen Distanzen von ungefähr zwei Kilometern gezogen sind, beim Hohwang, einer westlichen Nebenspitze des Mittaghorns bei Frutigen anfangen, im Arbel-und Spitzhorn zwischen Gsteig und Lauenen enden. Sie sollen Worte ersparen, nicht vermehren, und deutlicher noch, als die Südseite es vermochte, hauptsächlich zwei Gedanken klar machen, nämlich einerseits die Einheit der Schichtenbewegung im Ganzen und andererseits das Abspielen derselben im Einzelnen in scheinbar unbedeutende und für Natur und Menschenleben schliesslich doch wichtige Formveränderungen.

Ueberschaut man sämmtliche Profile, so ist es im Grunde nur ein Lied, das aus diesen Felsenformen spricht, aber es bewegt sich Schritt für Schritt in andern Variationen, welche alle den Grundgedanken erläutern und beleuchten.

Zu besserem Verständniss ist es gut, wenn man sich an die schon von älteren Schweizergeologen erörterte Thatsache erinnert, dass die horizontale Ge-wölbestellung des geographischen Jura, in welcher wir das geologische Schulbild der Lagerung zu sehen gewohnt sind, in den Alpen eine Neigung zum Verticalen erhält ( vergl. Tafel III ). Daraus folgt, dass das, was im Juragebirge den Boden oder die sanft ansteigende Fläche darstellt, nämlich die Gewölbefläche und namentlich der nicht gesprungene Gewölbescheitel, in den Alpen Abhang und Fluh wird, und umgekehrt, dass das, was im Jura Fluh ist, nämlich die Gewölbeschenkelbruchfläche, in den Alpen sich als Boden darstellt. Da die Gewölbe-flächen breiter sind und meist breiter zu Tage treten als die Schenkelbruchflächen, so sind auch die Böden im Jura breit, die Fluhhänge kurz; in den Alpen die Fluhhänge hoch, die Böden oder Fluhsätze schmal. Jene im Heu- und Augstmonat smaragdgrün sich begrasenden Tafelsätze der Hochwand, im Hintergrunde der Amphitheater von Adelboden, Lenk, Lauenen und Gsteig, welche auf den unteren Stufen noch Lärchen, Dählen oder Arven tragen, auf den oberen die Wasserfälle in mehrere Glieder brechen, hie und da auch in verborgener Falte einen Alpensee einer Schale gleich hoch in die Felsen hängen, sind selten Anderes als horizontal- gestellte Gewölbeschenkelbrüche. Es ist selbstverständ- lieh, dass senkrecht stehende, zu convexe Gewölbescheitel aus dem Kreisbogen in die gerade Linie zurück-bröckeln, und dass der unten schief über die Senkrechte zurückkippende Gewölbebauch durch abfallenden Schutt verdeckt und gestützt wird. Der classische Ausdruck für diese fast stetig am Fuss der Hochwand anstehende Schutthalde ist « der Geissrebel ». ( So am Kawylpass im Bigenthal, an der Gemmi bei Leukerbad. ) Ein Blick auf die Profile zeigt, dass der obere Theil der ganzen Hochwand vorherrschend aus Kreide und Nummuliten, der untere aus Trias, Lias und Jura zusammengesetzt ist. Die Oeconomie der Ausführung hat mir nicht erlaubt, genauere Unterstufen einzusetzen, für deren Darstellung mir einiges Material zu Gebote steht.

Als der obere Theil der Hochwand sich anschickte, etwas vor, aber mehr noch in seine Windungen zusammenzufallen, quollen, durch den Gegendruck getrieben, die älteren Gebirgsschichten Eingeweiden gleich aus dem Fusse hervor und ringelten die untere Hälfte ungefähr in dem Maasse zurück, als die obere sich her-auszuwinden sich bestrebt hatte. Gerne bildet das mittlere Neocomien in der Höhe den stark zu Tage tretenden Gewölbekern oder -scheitel, während unten auch auf dieser Seite hauptsächlich die Oxfordmergel für die Bildung der Oberfläche von Bedeutung sind. Wenn darum die Vorlagen der Hochwand eine Reihe fruchtbarer Alpen tragen — man denke an Frutig Metsch — Bunder — Höchst — Pummeren u. s. w, die Hoch-felsen dagegen stark entblösste Felspartien zeigen, so ist daran nicht nur die Stellung zur Schneelinie, son- dern auch der verschiedene Character des Gesteines schuld.

Wenige Bemerkungen über die ersten Profile der Reihe mögen als Beispiel für die übrigen dienen. Auf Hohwang bei Eisigen sehen wir im Kerne — hier natürlich nur halb gezeichnet, weil nur eine Bergseite da ist — noch die Normalstellung eines Juragewölbes; die jüngste Schicht fehlt zuoberst, weil gesprengt, und liegt östlich gegen Kandergrund, westlich gegen Adelboden auf den Flanken, mit anderen Worten das Gewölbe ist horizontal. Im Kleinen Lohner dreht es sich bereits langsam vertikal auf, und Bunderspitz, nicht Kl. Lohner, ist der aus Neocom bestehende Kern des Gewölbes. Der Grosse Lohner ist das wahre Schulbild alpiner Lagerung. Er zeigt Neigung zu einem senkrecht gestellten Doppelgewölbe, an dem das Neocom zweimal durchbricht. Der untere und obere Jura drücken auf der Ueschinenseite in die Weichen und drängen so auf derjenigen von Adelboden das ihnen überliegende Neocom bauchig heraus, so dass es seinerseits die ihm aufgelegten Schichten hat sprengen müssen. Je weiter wir südwestlich die Nordwand des Lohner und der folgenden Spitzen verfolgen, desto stärker wird die neocome Blähung; sie muss es, denn auf der Südseite, am Rothe Kummgletscher, sticht schliesslich auch der Lias in der Hinterseite auf. Etwas westlich vom Tschingellochtighorn ist der Neocombogen gesprengt und der Oxfordkalk tritt auch nördlich hervor; aber auch dieser wird getheilt und lässt unter Kindbetthorn in der Mitte Oxfordmergel sehen, welche ihrerseits im folgenden Profil des Thierhorns endlich vom Lias durchbrochen werden; aber im Wildstrubel ermüdet die Blähung in der Mitte, weil sich aus dem gewaltigen Massiv der Plaine morte höhere Gewölbewindungen stärker entwickeln, und wir sehen die Nummuliten- und Flyschdecke über den Ammertengrat hinaus fast ungestört den Abfall der Hochwand überkleiden. Stellen wie die letztere sind solche, wo schwieriger Aufsteig möglich ist.

Die Spitzen zwischen Gross Lohner und Steghorn stellen ein stark zerrissenes, aber lehrreiches Quergewölbe dar. Kindbetthorn ist der aus Oxfordkalk bestehende Gewölbescheitel, Tschingellochtig- und Thier-hornspitze bilden die nächst aufliegenden, in der Mitte zerrissenen Neocomschenkel, Lohner und Steghorn mit Rudisten und Nummuliten die weiter zurückstehenden Schenkel des obersten stärker zerrissenen Gewölbe-bogens. Dieses Gewölbe ist wohl Folge des Haupt-druckes von Süd nach Nord, welcher hier darum quer wirken musste, weil — wie gezeigt — das Finsteraarhornmassiv die Hauptkette vom Steghorn an bis Frutigen in dieser Richtung umgebogen hatte. Möglicherweise aber wirkt der Fuss der Finsteraarhornmasse hier noch als directe unterirdische Hebung. Eine seiner verdeckten Rippen muss Altels und Rinderhorn in der Zagenschlucht auseinander gesprengt haben, ihre Wirkung konnte zwischen Felsen- und Gelligrat durch bis in diese Gegend reichen.

Der weitaus schönste Fluhsatz unsres Nordabhanges ist die Hochebene von Engstligen über dem Amphitheater von Adelboden, mit einem Flächeninhalt von vielleicht drei Quadratkilometer, eine kleine Pampa unsrer Berge, auf welcher muntre Pferdehorden wie wild umher eilen und ihre Haare an den einzelnen Felsenstücken hängen lassen. Sie ist nichts Anderes als eine senkrecht gestellte Juracombe, gebildet durch die wagrecht gelegte, zugleich aber eigenthümlich aufgeblähte Bruchfläche des über dem Oxfordkalk abgesprungenen unteren Neocomschenkels; der entsprechende obere befindet sich in den Hochgipfeln itt wunderschön.

Diesem Plateau entspricht in der Hochwand der Lenk das kleinere aber reizende des Fluhsee, der in der wagrechten Bruchfläche der obersten abgesprungenen Neo-comgewölbeschichten ruht. Oxfordkalk tritt hier nicht zu Tag. Niemand, der ihn nicht kennt, ahnt diesen See vom Thalgrunde aus; Jedermann, der ihn einmal gesehen, muss sich die Stelle merken und ihn gleichsam ungesehen sehen. Die Aussicht von seinen moosbewachsenen Rändern, über welche er den Seebach milchweiss niederschäumen lässt, ist wunderschön.

Noch kann ich diesen Nordabfall nicht verlassen, ohne an dessen oberem Fusse die unterste Tertiär-schlinge als Streifen von Ost nach West zu verfolgen. Südöstlich von den Alphütten von Eisigen, zwischen Hohwang und Stand, öffnet sich ein kleines Thälchen, eine Nummulitenschale, erzeugt durch das Aufquellen der triasischen und jurassischen Schichten am Fusse. Arven und Alpenrosen schmücken es. Sie sind begierig, es nach Osten zu verfolgen; aber es gestaltet sich bald über Metsch und Bunder zum weissbraunen Band, an welchem das Weiss den Rudistenkalk, das Braun die Nummuliten darstellt. Der Bunderbach und ebenso die Wasserfälle von Engstligen perlen über dasselbe nieder. Zwischen Fitzer und Höchst durchdringend erreicht es die Bütschialpen und säumt hier wohl sieben Mal zickzackförmig geschrammt den Fuss der Fitzer- und Ammertengrathochwand ein. Ebenso folgt es auf der Lenkereite den untersten Felsen über Pummeren und den Ammerten-Schafberg; aber siehe, unter dem Fluhsee öffnet es sich, die Nummu-litenschale vom Hohwang und Stand ist wieder da, sie heisst hier das Thälchen des Rätzliberges mit der strahligen Wasserpyramide der Siebenbrunnen, mit dem gewaltigen Kies- und Wasserfange für die Niederschläge des Rätzligletschers. Nur auf kurze Zeit wird die Schale durch die vorliegenden Trias-, Lias- und Juramassen des Oberlaubhorns zur alten Schramme zusammengedrückt; das Iffigenthal, das Becken des Stiereniffigensee, das Thal der krummen Wasser, das Roththal in der Lauenen sind nichts Anderes, als die nur hie und da durch neue Quetschung unterbrochene Oeffnung einer und derselben Tertiärschale. Schliesst sie sich, so gedeihen kaum die Flühblume oder kümmerliche Strünke von Dählen und Lärchen am steilen Hang; öffnet sie sich, so ziehn am einen Orte des Sommers fast 100 Kühe ein, und eine ergiebige Milch- und Alpenwirthschaft findet Platz, am andern, wie imRoththale, weiden mächtige Schafheerden. Das launige Spiel, das uns hier die Natur in ihrer vorweltlichen Bewegung vor Augen stellt, ist das abwechselnde Aufthun und Verhalten einer hohlen Hand, der die Macht zum Geben und Nehmen verliehen ist. Die mächtigen Vorriegel, welche sich am Fusse der Hochwände der Lenk aufstülpen, in welche der Ammertenbach seinen Kessel bohrte, über die die Simmen-und Iffigenfâlle stäuben und welche auch den herrlichen Mittelgrund der Lauenen zusammensetzen, sollen durch die Profilzeichnungen von Tafel III in ihrer Entstehung begreiflich werden.

Die nun folgende grüne Mittelzone zwischen dem Hochgebirge und der Niesenkette, mit den Dörfern, Grundgütern und Weiden von Adelboden, Lenk, Lauenen und Gsteig, mit den Pässen Hahnenmoos Trüttlisberg und Brüchli, ist die geheimnissvollste und verwickeltste von allen. Kaum eine Stunde breit stellt sie in Form einer zu einem sehr starken Schiingen-komplex zusammengeringelten Mulde das Aequivalent zu dem kaum in sieben Stunden zu überschreitenden Ringelgewölbe des Hochgebirges dar. Schon diess lässt von vornherein eine aussergewöhnliche Pressung der Glieder voraussetzen. Wild legen sich die Ammoniten alter Schichten auf deutliche Nummuliten der Tertiär-welt; Gyps und Lias zucken neben Flysch empor. Wehe dem Geologen, der hier mit Studien an der Natur anfangen will, sich ein Schulbild zu entwerfen. Jahre-langes Vergleichen klarerer Lagerstätten anderer Zonen mit den Felsen dieser erlaubt auch hier endlich einiges Licht, aber Vieles bleibt noch dunkel. Starke Begrasung und Schuttkegel erschweren ebenfalls die Untersuchung. Der Geologie gleicht die Vegetation. Die verschütteten und zerriebenen Mergel verwittern hier zu fruchtbarem Humus, dort sinkt der Fuss in weichem Moor; die besten Berge und die nassesten Mähder wechseln rasch. Viele Jucharten in den Griden am Trüttlisberg und an den Walliserwindspillen be- stehn aus nichts als Gypstrichtern; tiefe Wasserrunsen und enge, im Verlaufe der Jahrtausende kuglig ausgewaschene Kesselfänge — man denke an den Wallbach an der Lenk — bilden den Herd von Ueberschwemmungen durch Hagelwetter. Auch die Mystik der Alpenbewohner bohrt sich hier ein, sucht Gold, Kohle, Salz, Marmor, letztere drei Dinge nicht ganz, das erste sicher mit Unrecht. So viel ist klar, dass die triasische Stufe von Rauchwacke und Gyps sich in drei verschiedenen parallelen Wellen meist senkrecht empordrängt, und dass die ausgezeichnete Schwefelquelle des Bades an der Lenk auch in der Trias ihr Muttergestein hat, so sehr der darum liegende starke Schichtenknäuel, dessen Entzifferung nicht ganz leicht ist, erst Anderes vermuthen liess.

Da wo sich endlich auf der Nordgrenze dieser Zone der triasische Gyps klar und hoch zum dritten Male aus dem Gewirre emporschwingt, gehen wir in die fünfte Zone, in diejenige der Niesenkette über. Dass die den Fuss dieser herrlich getafelten Pyramiden südlich und nördlich consequent von Heustrich bis Sépey in den Ormonds, von Diemtigen bis Etivaz einsäumenden zwei Gypslinien der Trias angehören, muss ich desshalb annehmen, weil ich erstens auf der Südseite, zwischen dem Gyps der Daube und dem Niesengestein des Wystätthorns, einen sehr deutlichen Ammonites Bucklandi nebst einer Reihe von Belemnites brevis, acuarius und paxillosus aus dem Lias, darüber Am. punctatus und suevicus aus den Oxfordmergeln ausbrach, und weil sich zweitens an der Ostseite des Lenkerthaies der Durchzug des südlichen Gypslagers unter dem Niesenmassiv des Albrist hindurch in das nördliche mit der geringen Unterbrechung von Bleiken bis Grodei als fast zusummenhängende Schlinge verfolgen lässt. Dagegen lässt sich jetzt die Hauptmasse der Niesenkette, namentlich deren oberer Theil, mit grosser Bestimmtheit als Flysch bezeichnen, wie schon die Herren Studer und Escher ihn stets dahin gerechnet haben. Dieselben charakteristischen Fucoiden, welche den auf Nummuliten liegenden Flysch unseres Hochgebirges auszeichnen und auf dem Süd-Serin, dem Wildstrubelgipfel, dem Ammertengrat und Ammertenhorn etc. vorkamen, finden sich in den oberen Lagern des Wystätthorns und des Albrist.

Grössere Schwierigkeit macht das Entziffern der Lagerung, d.h. der eigentlichen Architektur dieser Kette. Kaum ein anderes Gebirge ist so constant stark geringelt und gewunden und trotzdem nicht zu rundlichen, sondern zu pyramidalen Formen aufgetrieben; kaum eines zeigt eine solche Gleichmässigkeit der Windungen, Falten und Knickungen auf eine Länge von vielleicht 30 Stunden, und dennoch hüllt sich dieser Bau in Betreff seines Anschlusses an die nördlichen und südlichen Nebenzonen in ein gewisses Dunkel. Meine Ansicht, dass der Niesen eine in der Mitte zu einem Gewölbe aufgeblähte Mulde sei, liesse sich kaum anders als durch Verarbeitung des darauf bezüglichen Materials in einer Monographie dieses Gebirges begründen. Nach dieser Annahme würde die Grundform fast aller Niesengipfel diejenige eines grossen griechischen, stark nach Süden übergelegten und darum nach Norden fallenden Omega sein. In Folge ziemlich senkrechter Stellung der Trias zu beiden Seiten wären die dazwischenliegenden Bildungen von Lias bis zur Kreide grösstenteils verschluckt und treten nur auf der Südseite bisweilen hervor. Es müsste hier eine Hebung und eine Querpressung zugleich stattgefunden haben.

Die sechste und letzte Zone, diejenige der Spielgerten, wage ich kaum noch anzustreifen, um so mehr, als ich auch hier nicht abgeschlossene Forschung aufweisen kann. Der nördliche Fuss der Niesenkette muss die südliche, die Strasse von Boltigen über Zweisimmen nach Saanen mag die nördliche Grenze dieser Zone bezeichnen, obschon die nördlich der Simmenthal-Saanenstrasse gelegenen Alpen von Zimmerboden, Hohlass, Schwarzsee bis Abländschen eigentlich zum selben System gehören. Spielgerten, Rinderberg, Homberg sind die erhabensten Punkte. Auch hier bildet meiner Auifassung nach die Trias von Rauchwacke und Gyps die meist in Mulden ausgedrückte Grundform, welche schwarze und graue Liassand-steine, kohlige Kalke des oberen Jura, weisse Diceras-, bunte, gelbroth gefärbte Seewerfelsen und dunkle Flysch-mergel in stark geklappte C-Formen faltete. Selten wird man auch in den Alpen so grosse Kalkmassen mittelst einfacher Klappung zu so leicht, kühn und wild aufgeworfenen Formen bewältigt sehen. Die grosse Spielgerte stellt das Musterbild dar. Schöne Seen, wie der Seeberg- und der Schwarzsee, ersterer mit zierlichem Arvenwalde, fruchtbare Bergweiden mitten im nackten Gestein, machen diesen Gebirgsstrich zu einem lieblichen Gegenbilde der beschriebenen grünen Mittelzone südlich des Niesen, und ein Bergmann, der von der. Spitze des Albrist auf beide Gürtel niederschaut, kann hier mit Grund in die Worte des Simmenthalerkuhreihen ausbrechen:

Hinder em Niese-n-u vor am Niese, Da si die zwo schönste-n-Alpe-n-im Siebethalüeberschauen wir nun an der Hand der vorgelegten Profile nochmals im Ganzen das behandelte Gebirge, so bleibt uns hier, wie bei jedem einigermassen zusammenhängenden geologischen Durchschnitt, in Betreff der Lagerung immer als Haupteindruck derjenige des Gegensatzes von Bewegung und Erstarrung. Es ist unmöglich,wenn wir uns einmal daran gewöhnt haben, ein Gebirge nicht bloss als vorhandene Masse, sondern in seinem Werden aufzufassen, dass uns nicht stets der Gedanke der Bewegung der Gebirgslagen in den Vordergrund trete. Bald mahnt uns der Vorgang, von welchem die Form der gewundenen Schichten zeugt, an das Rollen von Gedärmen, bald an das Aufkippen von Meereswellen, bald endlich, wie z.B. in der Triasschlinge unter dem Niesen, an die sanfte Schwingung einer venetianischen Gondel. Aber ebenso eindrucksvoll als die Bewegung, wenn wir sie einmal aufgefasst haben, tritt uns die Erstarrung entgegen; denn angenommen, dass diese Felsen, unsichtbar allmälig vorrückend wie der Zeiger an der Uhr, sich in stetem Flusse befänden, so schauen wir doch den ungeheuren Weg, den sie bereits durchschritten haben, als vollendetes Ganzes, und die Gegenwart erscheint uns als Ruhe. Wir sehen Meereswogen, die in Stein, anstürmende Regimenter, die in Bronze verwandelt worden sind. Wir denken an das Märchen vom Dornröschen, da der Knappe, müde von der Jagd, sich eben auf die Steinbank niedersinken lassen will, als der Stab der Zauberin ihn trifft und das sich senkende Haupt in Stein verwandelt. Betrachtet man von einzelnen seitlichen Punkten aus das Laufbodenhorn ( die First ) an der Lenk, so empfindet man eine Art von Tantalusselmsucht, dass diese Schichtenrolle sich weiter drehen, der lockere Aufsatz zu Falle kommen möchte, und wiederum eine Freude, um die uns Sisyphus beneiden würde, dass es dem Gebirge gelungen sei, solch leicht klebenden Feistheil auf seinen Gipfel zu wälzen und dort wirklich festzuhalten. Das ist es, was ich jedem wirklich naturliebenden Gebirgs-reisenden -wünschen möchte und was an der Hand sehr weniger geologischer Kenntnisse möglich wäre: Einsicht in das erstarrte Leben, die versteinerte Bewegung des Gebirges durch Auffassen seiner Architectur. Nicht minder fördernd wäre dieselbe dem Gebirgsmaler. Das schönste Berggemälde thut weh, wenn die Lagerungsgrundsätze verletzt sind. Ein Begriff nach dieser Seite hin, und wenige Pinselstriche werden der Darstellung eine doppelte Wahrheit verleihen, ja, wenn richtig verwendet, im Stande sein, den eigentlichen Kunstwerth zu erhöhen. Ueber die muthmassliche Zeit des Vorganges dieser Bewegung und Erstarrung, wenn letztere wirklich eine solche ist, nur folgende Bemerkungen: Serpentin und Gabbro, im Flysche meines Gebirges gefunden, lehren, dass ein Feldspathgebirge, sei es nun ein Theil des heute im Wallis anstehenden oder ein früheres, am Nord- rande unserer Alpen befindliches, gehoben gewesen sein musste, ehe unsere oberste Bergesdecke dem Meere entrissen worden war; hätten doch sonst keine Trümmer desselben auf unsere Niederschläge gelangen können. Dagegen lässt die Seltenheit dieser Gesteine vermuthen, dass keine lange Ueberführung hat stattfinden können, sondern dass sie durch Hebung unseres Gebirges unterbrochen wurde; diess um so mehr, als einzelne Gabbrogeschiebe, die ich fand, wohl 30°n Durchmesser hatten, mithin nicht aus grosser Ferne kommen konnten. Finden wir nun in der Nagelfluh der Mittelschweiz so grosse Massen Serpentin und Gabbro abgelagert, so ist anzunehmen, dieselben fehlen auf unserem Gebirge nur desshalb, weil sich dieses durch Hebung einer solchen Ablagerung entzogen habe. Mithin musste eine Hebung zu Anfang des Niederschlages der Nagelfluh der Mittelschweiz stattgefunden haben; dagegen konnte das Gebirge dabei noch nicht seine jetzige Gestalt erreicht haben, und es mussten noch spätere Hebungen folgen, was deutlich aus der mehrfachen Biegung der Molasseschichten hervorgeht, welche ohne entsprechende Vorgänge in den Alpen nicht vor sich gehen konnte. Zum Schlüsse seien dem Ueberblicke über den Bau des behandelten Gebirges hier noch einige Gedanken über die Anpassung des thierischen Lebens auf den steinernen Untergrund beigefügt. Vorübergehend wurde der Pflanzenwelt und vorgreifend hie und da auch des Menschen in diesem Sinne gedacht. Eingehendere Berücksichtigung des letztern unter diesem Gesichtspunkt möge einer spätem Mittheilung vorbehalten bleiben.

33 Eine merkwürdige Uebereinstimmung besteht zwischen der Farbe des Steinhuhns ( Perdrix saxatilis ), das man so häufig in der von rundlichen Hügeln und Vertiefungen überlegten Steinwüste des Rawylpass-plateau antrifft, und zwischen derjenigen des Nummu-litenquarzes und Rudistenkalkes dieser Gegend. Die bräunlich grauen Sprenkel auf dem Gefieder dieses Huhnes entsprechen dem rostigen Aussehen der dortigen Nummulitenbildung; der weisse Untergrund hat den Ton des oft sehr weissen Rudistenkalkes, und es ist auffallend, wie sehr diese zierlichen Thiere auf dem Schutte, welcher beide Gesteine vereinigt hat, dem beobachtenden Auge in nächster Nähe entgehen. Nimmt man an, Hennen früherer Zeiten hätten alle möglichen Farben ausgebrütet, so müsste der räuberische Geyer eher jede andere ausgemerzt haben als die zwei erwähnten, welche sich in der gleichsehenden Unterlage am besten verbergen konnten. An der Hand einer fortgesetzten Vernichtung der gegen das Gestein abstechenden Individuen mussten sich im Gegentheil eben diejenigen fortpflanzen und als Art befestigen, welche in der treusten Farbenähnlichkeit mit jenem die sicherste Deckung fanden. Hält sich nun auch gegenwärtig das Steinhuhn in Felsen jeder beliebigen Farbe auf, so Messe sich vielleicht doch sagen, sein Geburts- und Vaterland müssen, wenn auch nicht die beschriebenen des Rawyl, doch ähnliche gewesen sein.

Zu ganz ähnlichen Betrachtungen gibt auch der Alpenhase Anlass, nur dass sich seine Eigenart in keiner besondern Weise mehr auf unser vorliegendes als auf jedes andere Alpengebiet zurückführen lässt; aber wandert man des Sommers über Itton, das Hoch-feld südlich vom Rohrbachstein, so ist zu auffallend, um nicht erwähnt zu werden, wie sehr die braungraue Sommerfarbe dieses Thieres mit derjenigen der eben vom Schnee entblössten Moose und Gräser übereinstimmt, welche das dortige Kreide- und Eocengebiet bedecken. Dass dieser Hase im Winter schneeweiss ist, weiss man. Bedenkt man nun erstens, wie oft er im Jahr Junge erzeugt, und zweitens, dass er im Frühling und Herbst beim Fellwechsel Farbenübergänge trägt, welche wieder mit der Natur übereinstimmen, die ihn umgibt, so könnte unter steter Voraussetzung fortgesetzter Vernichtung abstechend gefärbter Individuen durch das Raubthier die Entstehung der jetzigen Farben dieses Thieres, als Speciesfarben und ebenso ihre Vertheilung auf die verschiedenen Jahreszeiten erklärlich werden.

Die Gypsbildung ist da, wo sie sich, wie in den Griden und an der Daube, nahe dem Passe des Trüttlisberg, am Tschachtlisberg, westlich von Hahnenmoos, an der Zwitzeregg zwischen St. Stephan und Saanen, zu Trichtern auswaschen liess, ein vorzugsweise beliebter Aufenthalt der Füchse, Marder und Dachse. Auch die grosse Ohreule findet sich hie und da in den Löchern der Griden, nähert sich in kalten Nächten dem Thale der Lenk und lässt ihren kurzen, dumpfen Ruf erschallen, der ungefähr denselben geheimnissvollen Eindruck macht, wie der einförmige, gedämpfte Tronimelschlägelstreich im Todtenmarsch.

Höhere Falken- und kleinere Adlerarten habe ich hauptsächlich um die Gneissschieferrippen von Faldun- und Restigrat, westlich Lötschenthal, beobachtet, wo übrigens auch die anstossenden Gyps- und Rauchwacke-massen die erwünschten Horste bieten mögen. Grössere und kleinere Geyer planen häufig um das Wystätthorn, nördlich Trüttlisberg.

Die ungemein stark und mannigfach gebrochenen Formen des Hochgebirgs mit ihrer Unzahl von Quer-thälchen, Plateaux und Schluchten sind ebenso sehr der Erhaltung der Gemse und des Murmelthieres als der Hochjagd auf diese Geschöpfe günstig. Die Wirkung der « Freiberge » auf das Hochwild ist überraschend. Am Donin, südlich Wildhorn, beobachteten Bratschi und ich verflossenes Jahr 19 Gemsen. Im Roththal, nördlich Wildhorn, sahen wir 12 theils erwachsene, theils junge Murmelthiere in einer Truppe über die Felsen niederkollern. Einmal ward uns eine romantische Begegnung zu Theil: ein Gemsbock im herbstlichen Morgengrauen auf den begrasten Felsensätzen am Stiereniffigen-see. Jetzt schneuzt er, durch uns erschreckt, seinen wilden Doppelpfiff durch beide Nüstern, stampft zornig und ferne hörbar den Boden; ein zweites, ein drittes Mal pfeift und stampft er, dann hört man seinen scharfen, dumpfen Galoppschlag auf dem dröhnenden Alpenrasen. Gebt Acht, sagt Christen Jaggi, wir werden ihn noch einmal sehen; und richtig, hoch in den Felsen des Niesenberghorns schaut er, mit gespreizten Vorderbeinen und vorgebogenem Kopfe auf uns spähend, in das Thal der krummen Wasser nieder, während einige Geissen im Flankenmarsche gravitätisch unten durch das Gand schreiten. Wunderlieblich ist der Anblick, wenn eine Geiss mit ihrem Jungen hinter den Felsensätzen des Rawyl hervorkommt; erst cabrirt sie in freiem Schritt, wie ein arabisches Pferd; dann, wenn sie sich unbeachtet glaubt, spielt sie mit dem Jungen und gleitet mit ihm, rollenden Kugeln gleich, über uns um die Steinblöcke. Die Flucht gleicht wieder der des Pferdes. Hundert Schritte rasender Eile, dann scheues Zusammenschrecken und Rückschauen, wieder eilende Flucht u. s. f. Am Hohberg nördlich Iffigenthal gewahrte ich etliche Male eine dunkle, ungleich grössere Art, Jaggi nannte sie Waldgemsen. Die Leistungen im Springen und Klimmen an einer wohl 500 Fuss hohen vom Hohberg gegen den Stiegelberg vertical überhängenden Schicht von Rudistenkalk, welche Bratschi und ich einmal an einer Waldgeiss und ihrem Jungen zu beobachten Gelegenheit hatten, versetzten uns in Staunen. Von jedem Zacken aus, auf welchem die Mutter in schrägem, oft von platter Wand absetzendem Sprunge anlangte, pfiff sie dem nachfolgenden Jungen in wilder Hast.

In den Tagesstunden, während welchen die Gemsen zu « schattnen » gewohnt sind, würde ich sie eher in den Oxford-, Neocom- und Flyschmergeln suchen, weil dort die Auswitterung der weicheren Zwischenlager jenes Ueberhängen härterer Bänke, mit andern Worten kleine Balmen schafft. Dagegen scheinen oberer Jura, Rudisten- und Nummulitenkalk vorwiegend jene kurzen Kräuter zu liefern, welche man diese Thiere oft stundenlang von einem Gesteine abweiden sieht, das aus der Ferne völlig kahl erscheint. Ich denke beispielsweise an die Oxfordkalkfelsen der Grandes Gouilles, südlich Sanetsch, die Rudisten des Donin, an diejenigen des Thierberges zwischen Gletscherhorn und First. Die schmalen Gewölbedurchbrüche der Oxfordmergel mit ihren steilen Schutthalden und anschliessenden Comben sind an vielen Stellen von Jägern gesuchte Gemspässe, so die Combe zwischen Eawyl-und Steinberghorn, die Thierbergsichel nördlich Weisshorn gegen den Rawyl.

Dass die Murmelthiere vorzugsweise die der Humusbildung günstigen Schutthalden der Sonnseite mit naheliegendem Quellwasser aufsuchen, ist wohl bekannt.

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