Cima Vermiglio - Direkte Nordwand | Club Alpino Svizzero CAS
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Cima Vermiglio - Direkte Nordwand

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Erich Vanis, Wien

Blick auf die Cima-Vermiglio-Nordwand 149 Die Cima-Vermiglio-Nordwand stand stets schon im Schatten ihrer unmittelbaren Nachbarin, der Cima-Presanella-Nordwand. Vielleicht, weil sie für den Felskletterer zu viele Eispassagen und dem Eisgeher zuviel Fels aufweist. Zahlreiche Bergsteiger, die letztere im Auge hatten, eilten auf ihrem Weg dahin an ihr vorbei, ohne sie nur zu beachten. Auch bei mir war die Cima-Vermiglio-Nordwand erst eine

Wohl durchziehen einige Routen die Wand. So zum Beispiel die Führen Kehrer/Winkel-mann ( 1894 ), Pfeiffer/Reif ( 1934 ), die Nordwestkante ( Hohenleitner/Plattner, 1911 ) und die Nordeisrinne ( G. und L. Weixelbaumer, 1955 ). Bei letzterer handelt es sich, wie schon der Name sagt, um eine reine Eistour, deren Attraktivität jedoch durch den Umstand geschmälert wird, dass sie sich stark von der Fallirne abweichend diagonal nach links zu einem flachen, langgezogenen Sattel hinzieht. Es fehlt ihr damit sozusagen der notwendige ( Schwung ).

Wie aber sieht es aus, wenn man die Wand auf möglichst direktem Weg besteigen möchte? Hier stösst das Auge des ( Steigei-senjüngers> in der Gipfelzone auf eine gut 100 Meter hohe und ihn entsprechend abschreckende Stufe aus schwarzem Tonalitgestein.

Erhält die Nordwand der Cima Vermiglio damit nicht fast menschliche Züge? Ihre grosse Schwester, die strahlende Presanella, wird heiss begehrt, umschwärmt und erobert. Sie dagegen, nur wenig niedriger, jedoch viel unscheinbarer und weniger anziehend aussehend, blieb lange Zeit völlig unbeachtet.

Heinz Steinkötter und Clemente Maffei waren es schliesslich, die die ( graue Maus> zu einer wahren Prinzessin erweckten. Berge und Am Beginn der Gipfeleisrinne In den Steileis-Seillän-gen des ( Canalino ) Wände sind tote Materie, die der Erschliessung durch den Menschen bedarf, um sie - für ihn - zum Leben zu erwecken. Maffei und Steinkötter entdeckten nun in der dunklen Gipfelwand eine feine, weisse Linie, in der sie richtigerweise eine verborgene Durchstiegsmöglichkeit erkannten. Am 7. Juli 1974 eröffneten sie mit der ( Direkten Vermiglio-Nord-wand> einen modernen und logischen Eisanstieg, den ich zu den elegantesten dieser Art im ganzen Ostalpenbereich zählen möchte.

Auch bei meinem dritten Besuch der Denza-Hütte ( 1983 ) stand diese attraktive Route immer noch nicht auf unserem Programm, sondern erneut die Nordwand der Presanella, diesmal jedoch mit dem Ziel, sie über den Grandi-Crugnola ( ebenfalls eine Eisroute ) zu erklettern. Erst beim Abstieg über den Freshfieldpass und den Presanellagletscher kam bei uns ganz plötzlich Begeisterung für die Vermiglio-Nordwand auf. Und schon einen Tag später, am 5. Juli, wandten wir uns unserer neu entdeckten Liebe zu. Der Einstieg in die 650 Meter hohe Wand ist mit lediglich 45 Grad Steilheit noch recht harmlos, was uns ein gleichzeitiges und ungesichertes, aber auch ziemlich schweisstreibendes Vorankommen erlaubte. Nach 300 Höhenmetern - die Neigung beträgt in diesem Teil bereits um 50 Grad - lösten uns Marianne Zimmermann und Heinz Regele beim Spuren ab. Über eine Firnrippe bewegten sie sich in gerader Linie auf die abweisende schwarze Felszone zu. Obwohl die Wand sich hier nochmals aufsteilt, vermochten wir unser Tempo noch etwas zu steigern. So gelangten wir schon nach zwei Stunden und ohne auch nur einmal vom Steinschlag belästigt worden zu sein unter die Schlüsselstelle, den engen Eisschlauch in der Gipfelwand. Es wurde Zeit zum Sichern, und damit Zeit, den ersten Standplatz am Fusspunkt der Rinne einzurichten. Die Möglichkeiten dazu waren allerdings nicht überwältigend: Die zwei, um nur wenig vorstehende Felsköpfchen gelegten Bandschlingen vermochten bloss einer Belastung nach unten standzuhalten. Trotzdem - wir mussten weiter. Mein Seilpartner, Walter Knezicek, stieg nun über mich hinweg, und querte dann rechts haltend zur felsigen Begrenzung des Eisschlauches, wo sich ein solider Sicherungszacken als nächster Standplatz anbot. Nun folgten die drei schönsten, aber auch schwierigsten Seillängen der ganzen Tour. Durchschimmerndes, jedoch relativ weiches und somit auch gut griffiges Blankeis von 60-70 Grad Steilheit führte mich in den nur drei bis vier Meter breiten ( Canalino ) hinein. Damit aber standen wir auch gleichzeitig am Ende des ( klassischen ) Abschnitts und dem Einstieg zum Teil der Route.

Denn von jetzt an konnten die Steigeisen nicht mehr in der für den konventionellen Eisgeher üblichen Art eingesetzt werden. Hier musste vielmehr im Eis geklettert werden, was zu einer ähnlichen Form der Fortbewegung führt wie im Fels. Nach zehn Metern setzte ich als erste Zwischensicherung eine Eisschraube, und nach weiteren fünfzehn Metern gelang es mir, in den Begrenzungsfelsen einen Klemmkeil zu legen. Das beruhigte die Nerven bereits beträchtlich, verhinderte ein allzu hohes Ansteigen des Adrenalinspiegels und sorgte -was vor allem wichtig ist - auch für einen ruhigen und kontrollierten Bewegungsablauf. Zugleich durchzuckte mich der Gedanke, dass ohne moderne Eisgeräte sich in einer solchen Passage noch andere Probleme stellen würden! Die einwandfrei im Eis sich verbeissen-den Anker-Pickel und die sich verkrallenden starren Steigeisen sind hier tatsächlich Gold wert. Bereits war es wieder an der Zeit, mich nach einem geeigneten Standplatz umzusehen. Da, links oben, bot sich eine komfortable Felskanzel an. Sozusagen ein . Diese geradezu fürstliche Einstufung musste dann aber doch noch etwas ab-gewertet werden, als ich beim Versuch, es mir hier besonders bequem zu machen, mit dem sehr scharfkantigen Tonalitgestein Bekanntschaft schliessen musste. Nun konnte Walter nachsteigen. Voll Begeisterung über die prächtige Eiskletterei erreichte er mich und nahm unverzüglich die Fortsetzung des in Angriff, der in ähnlicher Form über unseren Köpfen himmelwärts zu streben schien. Steiles Blankeis wechselte mit kurzen, zwei bis drei Meter hohen und annähernd senkrechten Aufschwüngen. Als nun Walter an einer solchen, durch eine Verengung der Rinne gebildeten, besonders steilen Stelle kurz einhielt und sich des zu seinen Füssen sich öffnenden Abgrundes gewahr wurde, entdeckte er gleichzeitig in den Randfelsen einen vertrauenerweckenden Haken. Obwohl nur wenige Schritte davon entfernt, befand sich dieser jedoch bereits in unerreichbarer Tiefe.

Selten hatte ich schon während des Kletterns eine Tour so genossen wie heute. Welch freudiges Gefühl hat mich erfüllt, als ich beim letzten Spreizschritt in der Gipfelrinne einen Blick in die Tiefe warf und dabei die Ausgesetztheit der Passage in mich aufnahm! Unten, im Dunkel des Bergschattens, dann die Freunde zu sehen und anschliessend, den Kopf nach oben wendend, die Nähe des von der Sonne beschienenen Gipfels wahrzunehmen - herrlich!

Marianne, dieses Teufelsmädchen, hatte auf dieser Tour wieder voll ihren Mann bzw. gestellt. Stets pflegt sie ihre Seillängen zu führen, ein Recht, das ihr aber auch alle ihre männlichen Partner ganz logisch zugestehen. Warum überhaupt jemals von einem ( Problem ) Frauen-Bergsteigen gesprochen wurde, ist mir immer rätselhaft geblieben. Wo die Leistung stimmt, kommt eine solche Diskussion ohnehin nicht in Gang.

Eine prächtige Tour lag damit schon fast hinter uns. Die Harmonie in unseren Seilschaften war vollkommen gewesen, und selbst in den schwierigen Seillängen sind wir immer rasch und sicher vorangekommen. Jetzt, wo diese Schlüsselstelle der Wand hinter uns lag, trennte uns praktisch nur noch eine halbe Stunde vom Gipfel. Und so war es auch. Und wie immer bei solchen Gelegenheiten zauberte Heinz eine Flasche Weisswein und einen Silberbecher aus den Tiefen seines Rucksackes, so dass er den edlen Tropfen in einem ebenso edlen Gefäss kredenzen konnte. Was sind wir doch für alpine Snobs geworden, seit damals, als Heinz und ich auf unserer ersten gemeinsamen Bergfahrt die Roseg-Nordostwand durchstiegen haben! Und doch: wie damals vor beinahe einem Vierteljahrhundert bereitet es uns immer noch grosse Freude, über Eisflanken und -rinnen gipfelwärts zu streben - heute höchstens mit dem Unterschied, dass ich dies alles bewusster erlebe. Denn immer mehr schwingt nun auch ein wenig Abschiedsschmerz mit, steht doch jedesmal die Frage im Hintergrund, wie viele solcher schöner Tage im Kreise der Freunde das Leben noch bescheren mag.

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