Das Verstanklahorn | Club Alpino Svizzero CAS
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Das Verstanklahorn

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W. Paulcke ( Sektion Davos ).

i ' .Von

Litteratur.

Notizen über Ersteigungsgeschichte mit kurzen geolog.-topograpiscben Angaben finden sich in:

1. J. Coat: „ Das Silvrettagebirge ", Jahrbuch S.A.C. III, 1866, pag. 21 ff., mit Holzschnitt der alten Silvrettaclubhütte. Ï. G. Studer „ Über Eis und Schnee ", Bd. III, 1871, pag. 124 ff.; Bd. IV, 1883, pag. 376. 3. O. v. Pfister: „ Die Silvrettagruppe. Erschließung der Ostalpen*, Bd. II, pag. B. Mit Zinkdruck nach Photographie von Rzewuski: Verstanklahorn vom Silvrettagletscher, ders. I. c, Nachtrag, pag. 497.

Außerdem wurden mir folgende Einzelarbeiten und Notizen be kannt: 4r „ Chronik der Silvrettahütte ", Alpenpost III, 1872, pag. 48 ff., von Coaz zusammengestellt 5. Geißler; Brief von, „ Über die erste Besteigung des Verstanklahorns von Vereins aus ", Neue Alpenpost, $d. XIV, 1881, Nr. 23, pag. 177. Notizl hierüber Alpine Journal X, pag. 405. 6. A. Rzewuski „ Aus der Silvrettagruppe ", Jahrbuch S.A.C. XXIII, 1887, pag. 165-176, mit Lichtdruck: Verstanklahorn und Schwarzkopf vom Ob. Vernelathal nach Phot. v. Verf. 7. A. Rzewuski „ Drei Bergtouren im Sommer 1892 ", Jahrbuch S.A.C. XXVIII, 1892, pag. 356 ff. Notiz darüber Jahrbuch S.A.C. XXVIII, pag. 323. B. A. Reewmhi: „ Auf neuen Pfaden in der Silvretta^. Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Sektion Leipzig. Leipzig 1894, pag. 150-159, mit Helios gravure nach Phot. v. V.: Schwarzkopf und Verstanklahorn vom Gipfel des Piz Fliana. 9. v. Rydzewsky: „ Verstanklahorn " und „ Traversierung des Verstanklahorns auf neuem Wege ", Mitt. des D. Ö.A.V. 1890, pag. 294. 10. v. Rydzewsky: „ Eine Traversierung des Verstanklahorns " ( 3302« » ), Mitt. des D. Ö.A.V. 1891, pag. 16 ff., mit Skizze des Ver-stanklamassivs von Heilmann und eingezeichneter Anstiegsroute. Notiz »k darttber: Jahrbuch 8. à.C^XXTO, 1Ô91; pj^*18. 11. Blodig, Heß, Purtscheller: „ Östliches Verstanklahorn " ( cirka 3260"> ), Ö.A.Z., 1888, Nr. 258, pag. 315. Notiz hierüber: Jahrbuch S.A.C. XXIV, 1888, pag. 396. 12. C. R. Seiler: Notiz über Abstieg. Mitt. des D. Ö.A.V. 1889, pag. 196. 13. O. Schuster: „ II. Traversierung des Verstanklahorns ". Mitt. des D. Ö.A.V. 1892, pag. 185. 14. Aug. Näf: „ Aus der Umgebung der Clubhütte in Vereina ". Alpina 1897, pag. 77 ff. 15; i>attlc*e: „ Verstanklahorn von Norden ". Ö.A.Z. 1898, Nr. 498.

Über die Hütten verweise ich auf folgende Publikationen: 16. A. RzewutM: „ Die Silvrettahütte ". Jahrbuch S.A.C. XXVII, 1891, pag. 386, mit Lichtdruck nach Phot. d. Verf. 17. Dr. E. Walder: „ Aus den Bergen ". Zürich, F. Schuttheß, 1896. „ Vereina ", pag. 76 ff., mit Holzschnitt nach Phot.

Als Führer für Hochtouristen geben Auskunft: 18. Purtscheller und Meß: „ Der Hochtourist ", Bd. I, pag. 70, 71. 19. E. Imhof: Itinerar; 8, JLC. 1898.

An Karten sind zu erwähnen: 1. Österreichische Specialkarte 1:75,0°°, Zone 18, Kol. 2. 2. Exkursionskarte des 8. A. C. 1865, 1: 50,000. 3. Topographischer Atlas der Schweiz 1: 50,000, Blatt 420, Ardez. Die letztgenannte ist die neueste und auch beste und zuverlässigste.

Allgemeines.

Das Verstanklahorn bildet den östlichen Eckpfeiler eines in der Hauptsache von Ost nach West verlaufenden Kammes, in welchem ferner die Verstanklaköpfe, Koggenhorn, Weißhorn und Canardhorn die bemerkenswertesten Erhebungen sind. Durch diesen Bergzug werden Ver-stankla- und Sardascathal im Norden vom Vernelathal im Süden getrennt. Unser Berg bildet im großen und ganzen eine dreiseitige Pyramide; an seinem Aufbau beteiligen sich die in der Silvretta vorherrschenden Gesteine: Gneis, Glimmer- und Hornblendeschiefer. Am Fuße einer jeden seiner drei Flanken sind Gletscher eingebettet, im Südwesten der zahme, kleine Vernelagletscher, der sich gegen das Thal gleichen Namens absenkt, im Südosten der Maisasgletscher, ebenfalls ein Gletscher von geringer Ausdehnung, dessen schmale Zunge jedoch in prächtig zerrissenen Séracs zum obern Teil der Val Lavinuoz abstürzt. Im Norden schließlich strömt, parallel mit dem größern Silvrettagletscher, in ruhigem Flusse der Verstanklagletscher fast in ostwestlicher Richtung unter den jähen WSnden entlang.

Am unscheinbarsten sieht das Verstanklahorn auf seiner Südwestseite vom Vernelathal aus. Hier erscheint es als „ eine große, mit Schneeflecken gezierte, oben abgerundete Pyramide ". Von dem seine Felswände anf dieser Seite uwjsäuwenden Vernelagletscher fljhrt era« steile Scbneekehle hinauf saia. Vernelasattel, eine Bezeichnung, die ieh " als praktisch für die Einsattelung zwischen dem Verstanklahprn und dem sich y

Von dieBer; Seite wirkt das Verstanklahorn am mächtigsten; hier zeigen seine schroffen Felsabstörze ihre größte Entfaltung an Höhe und Breite, ©en Eindruck, den dieser Anbliek von Norden macht, schildert H. Heß in treffender plastischer Darstellung mit folgenden Worten, als gelegentlich einer Groß-Litzner-Besteigung jder Gipfelkranz der Silvretta in wunderbarer Klarheit vor ihm lag: „ Unser Blick flog bewundernd hintlber zn dem edeln Felsbau der Verstanklahörner, der, eine Dent Blanche in verkleinertem Maßstabe, durch Kühnheit und Ebenmaß der Formen die Bewunderung herausfordernd mit schwarzbraunen Strebepfeilern dem blinkenden Gletseherbecken entsteigt, und unbedingt die vornehmste Gestalt in dem förmenreichen Gipfelkranze genannt werden muß. Die Größe der Pyramide des Pia Linarcl, der massige Bau d«« Pia Buin und der Zackengrat des fernen Fluchthorna treten weit zurück neben dieter edeln Erscheinung, deren dunkles Felsgerüst mit kühnem Schwung in den blauen Äther empordringt, und an dem vorbei das Auge in ferner Tiefe die lebendiggrünen, vom goldenen Sonnenlichte verklärten Tnalwiesen des Engadin und des Prätigau itrifft "

Ersteigungsgeschichte.

Über die ersten Ersteigungen liegen nur sehr spärliche und unvollkommene Notizen vor. Für die näheren Angaben, welche ich hier bringen kann, ist Führer Christian Jann mein Gewährsmann. Persönliche Mitteilungen und die Einträge in Janns Föhrerbuch waren die Quellen, m$a denen ich einiges Neue schöpfen konnte, besonders über die drei ersten Besteigungen. Bei der Erschließung des Yerstanklahorns, wie bei derjenigen des schweizerischen Teiles der Silvrettagruppe überhaupt, gebohrt tSasà£;iis- !:. ' ^.,siï^Si*,»^-i-M< y. Das Verstanklàhorn.S 1 das Hauptverdienst dem Klosterser Führerveteranen Christian Jann, was hier ausdrücklich anerkannt werden soll.

Die ersten Expeditionen nahmen alle ihren Ausgang von der damals neu erbauten Silvrettahütte, und die Ersteigung des Gipfelmassivs setzte eigentümlicherweise auf der von Klosters abgelegensten, der Südostflanke, an, welche nach Überschreitung des Verstanklathores vom Maisasgletscher aus erreicht wurde.

Die erste Ersteigung führte Christian Jann und Jegen mit Herrn J. Jacot und Landammann F. Brosi am 7. September 1866 aus; ihr Weg führt direkt durch die Felsen der Südostwand empor ( Route a ) x ). Denselben Weg folgte die zweite Partie, die Herren Georg Sand jr. aus St. Gallen und C. H. Cawood ( England ) unter Janns Führung und in Begleitung eines zweiten Führers, Joh. Gort. Aus den Notizen auf dem Wahrzettel, welchen wir 1897 noch im Steinmann vorfanden, ist zu ersehen, daß man damals inkl. Kasten von der Silvrettahütte bis zum Gipfel 7V2 Stunden brauchte. Die Tour wurde am 12. September 1867 ausgeführt. Die Notiz des Herrn von Pfister ( 3 ), daß Herr A. Hoffmann-Burckhardt der dritte Ersteiger gewesen sei, beruht auf einem Irrtum, der aus Studer ( III, pag. 125 ) übernommen ist. Vergleicht man den citierten Aufsatz Hoffmann-Burckhardt im Jahrbuch S.A.C. V, pag. 369, 80 findet man, daß der genannte Herr am 18, Juli 1868 das Silvrettahorn, nicht aber das Verstanklàhorn, bestiegen, und auch in Janns Führerbuch findet sich unter den von ihm eingetragenen Gipfeln der Name unseres Berges nicht.

Aus dem oben Gesagten geht auch hervor, daß Herr Aug. Näf ( 14 ) irrt, wenn er annimmt, die von ihm 1. c. unter 1 beschriebene Route sei der älteste Verstanklaweg. Die von Näf geschilderte Route wurde in dieser Kombination, wie wir später sehen werden, erst im Jahre 1892 begangen. ( Cfr. Route Jann-Rzewuski-Tauscher. ) Einen neuen Weg ' ), ebenfalls an der Südostflanke, führte Chr. Jann am 20. Juli 1874 Herrn Dr. Emil Burckhardt aus Basel, indem man diesmal weiter südwestlich vom Einstieg der ersten Besteigungen die Felsen anpackte und dann ein langes, steiles Schneecouloir bis fast zum Gipfel verfolgte. Es scheint dies die dritte Besteigung gewesen zu sein. Zu erwähnen ist noch ein zweimaliger Versuch, den Gipfel auf einer Variante zwischen den beiden genannten Routen zu erreichen, welcher beidemal mißlang ( 5 ).

Die Besteigungen der nun folgenden Periode spielen sich großenteils auf der Südwestflanke ab. Von dieser Seite erreichte Führer L. Guler allein zum erstenmal den Gipfel, als er rekognoszierte, nachdem sein Tourist, Rechtsanwalt Geißler, Freiberg i. S., wegen ungünstiger WitteEine Beschreibung derselben fehlt mir leider.

Jahrbuch des Schweizer Alpenclnb. 33. Jahrg.

rung mit Führer Schlegel am Fuße des Berges umgekehrt war; am 20. August 1881. Herr Geißler gelangte dann unter Gulers alleiniger Führung am 24. August 1881 von Vereina aus in 6 Stunden als erster Tourist auf diesem Wege zur Spitze. Im großen und ganzen wurde die unten sub d genau beschriebene Koute innegehalten. Den Namen des zweiten Touristen, der diese Tour wiederholte, konnte ich nicht ermitteln. Als dritter folgte A. Rzewuski am 27. August 1887 unter Gnlers Führung. Ezewuski fand diesen Weg sehr schwierig, da man durchweg den Südwestgrat innehielt, während man dicht unterhalb des Grates, auf seiner Südwestseite, alle nennenswerten Schwierigkeiten vermeiden kann. Nebenbei bemerkt handelte es sich damals um neue Normierung der Führertaxen durch die Sektion Davos, deren Vizepräsident Rzewuski ist.

Eine Verbindung des alten Weges von der Silvrettahütte aus mit dem eben genannten führte am 8. August 1892 Chr. Jann die Partie A. Kzewuski und das Ehepaar Dr. Tauscher-Geduly mit dem zweiten Führer P. Allemann ( 7, 8 ). Neu an diesem Weg ist die Ersteigung und Überschreitung des Vernelasattels vom Maisasgletscher aus. Vom Sattel aus erreichte man auf Route d leicht den Gipfel. Frau Hermine Tauscher-Geduly gebührt die Ehre, als erste Dame den Berg bezwungen zu haben.

Am längsten blieb die Nordflanke von Versuchen, von hier aus den Aufstieg zu erzwingen, verschont.

Nach einem fehlgeschlagenen Versuch am 29. Juli 1890 geleiteten am 17. August desselben Jahres Chr. Jann und L. Guler Herrn A. von Rydzewsky vom Verstanklagletscher durch die große Schneerinne zum Verstanklasattel, zum Teil an den Nordwänden entlang, zum Teil über den Nordostgrat in 8 Stunden von der Silvrettahütte aus zum Gipfel. Unter bedeutend ungünstigeren Verhältnissen wiederholte am 3. Juli 1892 Oscar Schuster ( 13 ) unter Joh. EngisJ ) Führung diese Route ( e ), welche seither nicht wieder begangen wurde. Es waren dies die beiden ersten Überschreitungen des Berges.

Eine sechste, selbständige, neue Route ( f ) eröffneten schließlich am 28. August 1897 W. von Frerichs und W. Paulcke direkt über die Nordwand und den nordwestlichen Schlußgrat. Bei der durch schlechte Verhältnisse erhöhten großen Schwierigkeit dieses Weges benötigte man von der Silvrettahütte aus 13 Stunden 40 Minuten bis zum Gipfel.

Dieselbe Partie schlug beim Abstieg zum Vernelagletscher einen fast durchaus neuen Weg ( c ) ein, so daß auch auf der Südwestflanke jetzt zwei Routen existieren.

Diese Tour war zugleich die erste führerlose Überschreitung ( dritte überhaupt ) des Verstanklahorns.

Anschließend an die Besteigungen des eigentlichen Verstanklahorns sind hier noch drei Touren zu erwähnen: Das ist erstens der Übergang aus dem Vernelathal ( nach einer Besteigung des Verstanklahorns ) durch das große Winterthäli und unter dem Medjekopf durch zur Silvrettahütte, welcher am 9. Juni 1889 durch Herrn C. R. Seiler mit L. Guler ausgeführt wurde. Falls man nach einer Verstanklahornbesteigung zur Silvrettahütte gelangen will und die Schneeverhältnisse auf dem Gletscher schlechte sind, dürfte sich dieser Übergang als praktisch empfehlen.

Zweitens ist hier die erste Ersteigung der Thorwache zu erwähnen. Diese nordöstlich vorgeschobene Bastion des Verstanklahorns, auch östliches Verstanklahorn genannt, fand ihre ersten Ersteiger in den Herren Dr. C. Blodig ( Bregenz ), Heinrich Heß ( Wien ) und L. Purtscheller ( Salzburg ) am 5. September 1888.

Drittens soll hier die erste Überschreitung des Verstanklathores angeführt werden, welche Führer Chr. Jegen von Klosters am 23. Juli 1865 allein ausführte. Er stieg über den Tiatschagletscher in die Val Lavinuoz ab. Als erster Tourist wiederholte Herr Rud. Zeller von Zürich am 18. Juli 1867 diese Tour ( 4 ) mit Chr. Jegen.

Touristischer Teil.

1. Südostflanke ( von der Silvrettahütte [eventuell Vereinahütte] aus ).

Route a: Von der Silvrettahütte ( 2344 m ) bequem über den Silvrettagletscher zu den Krämerköpfen ( 2812 m ) 2 Stunden. Von da über Gletscherkehle zwischen diesen und westlichen Felsausläufern des Gletscherkamms zum Verstanklagletscher hinab und südöstlich zum Verstanklathor 45 Min. bis 1 Stunde. Im Bogen südlich um das Bergmassiv herum, über einen Firnrücken hinauf, dann wieder abwärts und zu den Felsen der Südostwand. In dieser direkt zum Gipfel über Felsen empor. Nach J. Jacot sehr schwierige Felskletterei. Bei der zweiten Ersteigung von der Hütte zum Gipfel 7 Va Stunden. Nur zweimal durchgeführt. ( Quellen: Notizen vom Wahrzettel der zweiten Ersteigung und Chr. Jann. ) Boute b: Von Silvrettahütte bis Südostwand wie bei a, dann wird noch weiter unter der Wand über den Maisasgletscher gequert, die Felsen ungefähr bei der 2 der Zahl 2976 ( S. A. ) betreten und dann das schräg aufwärts ziehende, steile ( cirka 50—60° ) Couloir bis dicht unter den Gipfel benutzt. Nur einmal gemacht. Gewährsmann Chr. Jann.

NB. Zwischen Route a und b wurde zweimal eine Variante vom Einstieg a ausgehend ohne Erfolg versucht.

2. Südwestflanke ( von der Vereinahütte aus ).

Route d: Von der Hütte anf schlechtem Pfade stets am ( orogr. ) rechten Bachufer durch das einförmige Vernelathal bis zum Fuße des »4 W. Paulcke.

zahmen Vernelagletschers 2 Va—3 Stunden. Über diesen zur Randkluft ( bisweilen schwierig ) der vom Verstanklasattel herabstreichenden Schneekehle ( 45°Klin .) cirka 1 Stunde. In dieser, je nach Verhältnissen Stufen schlagend oder tretend, gegen den Sattel empor, stets links gegen die Verstanklahornfelsen haltend. Kurz vor Erreichung des Sattels quert man scharf nach links und betritt den Fels. Von nun ab stets unterhalb des Südwestgrates empor. Weiter oben hat man dann ein langes Schneecouloir dicht zur Linken. Dieses wird an seinem Kopfende gequert; schließ- 3Ì6«v y^rstcLntiütsaitci.

O. TlarvKe v. PitTiuxtio, ums.

Mit " Route a vw*. b.

lieh über die Gratkante oder südlich dicht unterhalb derselben leicht zum Gipfel. Vom Sattel cirka IV2 Stunden. Summa 6—7 Stunden. Gewöhnliche Route; nicht schwierig. ( Quellen: 5, 7, 8, 13. ) Gewährsmann Rzewuski.

Anmerkung. Wenn man über die Gratkante selbst den Weg nimmt, sollen die Schwierigkeiten bedeutende sein. ( Quellen: 5, 6. ) Route c: Nur einmal im Abstieg begangen; für den Fall, daß die Schneekehle vereist ist, von praktischer Wichtigkeit. Vom Gipfel schräg südlich hinab über leichte Schrofen gegen das lange Schneecouloir ( siehe Route d ); über eine Felsrippe an dessen westlichem Rande abwärts.

Das Verstanklahorn.

Querung des Couloirs tief unten an seiner schmälsten Stelle nach links, östlich in cirka 3 Stufen zu einer zweiten Felsrippe, die von nun ab verfolgt wird. Kurz vor Erreichung der großen Schneekehle über Steilstufe etwas schwierig hinab, eventuell abseilen. Abseilring vorhanden. Dann leicht auf den Schneehang dicht über dem Bergschrund. Vom Gipfel bis Bergschrund cirka 1 Stunde 45 Min. Gewährsmann Paulcke ( s. pag, 97 ). Von der Silvrettahütte aus kann folgende Kombination des alten Weges ( sub a ) mit dem Vereinaweg ( sub d ) ausgeführt werden: Man geht wie bei a und b durch das Verstanklathor, steigt ein kurzes Stück von demselben hinab, überschreitet den von unterhalb des Verstankla-sattels gegen Punkt 2967 ziehenden Firnrücken, gewinnt über Punkt 3042 durchgehend den Maisasgletscher und erreicht durch das linke, südliche, zweier vom Vernelasattel herabstreichender Schneecouloirs den Sattel, von wo aus man Route d benutzt ( von der Silvrettahütte cirka 7 Stunden ). Abwechslungsreichste Route. Abstieg erfolgt dann am besten nach Vereina. ( Quellen: 7, 8. ) Gewährsmann Rzewuski.

W. Paukke.

3. Nordflanke ( von der Silvrettahütte ).

Route e: Wie bei a zu den Krämerköpfen, 2 Stunden, und zum Verstanklagletscher hinab; hinüber zum Schrund des vom Verstanklasattel herabkommenden Schneecouloirs. In diesem ( 32-50° Klin. ) empor zum Sattel IV2-2 Stunden. „ Vom Sattel nach rechts südwestlich. Nach 10 Minuten Kletterns eine sehr scharfe, weit vorspringende Felsrippe hinauf. Hier beginnt die Traversierung der Wände von Ost nach West, Verst. Sattel unterhalb des nordöstlichen Vorgipfels durch bis zu einer Schlucht, die den ganzen Berg durchschneidet. Sodann links hinauf über einen Grat und von Nordosten her auf den Gipfel. " Sehr schwierig, doch, wie die zweite Ersteigung zeigte, auch bei ziemlich schlechten Verhältnissen möglich. ( Quellen: 9, 10, 13. ) Gewährsmann Rydzewsky.

Zweimal durchgeführt. Abstieg am besten nach Vereina auf Route c oder d.

Route f: Wie bei a zu den Krämerköpfen und zum Verstanklagletscher. Von Punkt 2812 in fast genau südlicher Richtung ( Verstankla- couloir bleibt links ) zu der Stelle des Nordwandfnßes, wo der Fels in spitzem Winkel am tiefsten zum Gletscher herabreicht. Etwas links davon bequemer Einstieg in die Felsen und zu kleiner Geröllterrasse ( I ). Von da in der Falllinie fast direkt zum Grat empor. Zuerst durch markanten, sehr schwierigen Riß ( ein Mauerhaken, einmal menschlicher Steigbaum ) zu einer weitern, etwas größern Schuttterrasse ( II ) hinauf. Jetzt Querung einer kleinen Eisrinne ( cirka 12 Stufen ) schräg aufwärts zu kleinem Kamin, dann wieder gerade empor zu sehr schwierigem Riß und äußerst exponierter Wandstufe ( menschlicher Steigbaum ). Hierauf etwas besser zum Grat, welcher eine Strecke weit verfolgt wird, dann zweimal verlassen und zweimal wiedergewonnen, da ungangbare Partien links nördlich umgangen werden müssen. Nach der letzten Umgehung zweier riesiger, charakteristischer Grattürme leicht über den Schlußgrat zum Gipfel. Äußerst schwierige Kletterei bei brüchigem Gestein. Gelegentlich der Begehung dieses Weges wurden vom Fuß der Felsen bis zum Gipfel 10 Stunden gebraucht, wovon 1 x/a Stunden für Rasten abgehen; der Berg war damals mit leicht verkrustetem Neuschnee bedeckt. Gewährsmann: Paulcke.

Thorwaehe.

Über die Ersteigung der Thorwache liegen folgende Daten vor: Vom Madienerhaus über den Fermuntferner auf einen Sattel westlich ( Fuorcla del Confin ) 4 Stunden 15 Min., unter dem Gletscherkamm durch links am Verstanklathor vorbei ( bequemer hierher natürlich von der Silvrettahütte ) zur Nordseitesoll wohl Ostseite heißen. W. P. ) der Felsen. Zuerst Querung eines Couloirs ( Stufen in Eis ), Erkletterung eines etwa 6 Meter hohen Absatzes; durch den obera, stark vereisten, durch brüchiges Gestein sehr unangenehmen Teil des Couloirs zur Gratschneide und mittelst spannender Kletterei zum östlichen Vorgipfel, 2 Stunden. Von da Thorwache als kühner, nach Süden überhängender Turm erscheinend. Auf der überhängenden Südseite mittels sehr exponierter Kletterei etwas absteigend zur westlichen Fortsetzung des Grates; Umgehung einiger schroffer Türme auf der Nordseite über eine lange Platte zum Grat; diesen entlang zum Gipfel, 45 Min. Direkt von Norden, vom Verstanklagletscher, scheint die Ersteigung leichter zusein. ( Quelle: 11. )

Auf neuem Wege über das VerstanklahornJ ).

Die Lampen sind ausgelöscht; Freund Frerichs und ich liegen auf den Matratzen in der bequemen Silvrettahütte, um in der Ruhe des Schlafes Kräfte für den kommenden Tag zu sammeln, denn es wird harte Arbeit geben. So zwischen Wachen und Träumen tönt es wie ein heller ferner Juchzer an mein Ohr, halb aufgerichtet lausche ich; in der Hütte ist alles still, und die ruhigen, regelmäßigen Atemzüge von Frerichs künden seinen festen Schlummer. Da jauchzt es wieder, diesmal schon näher, ganz deutlich; ich rufe hinunter und der anwesende Knecht, sowie Maria Guler, der Hütte emsige Wirtin, gehen vor die Thür; auf ihr Rufen kommt Antwort. Hurra! das ist Freund Alex'Stimme! Aufspringen, in die Hosen fahren, die steile Stiege beinahe hinunterfallen, ist das Werk einer halben Minute. Wahrhaftig, da ist er! Er hat meine Karte aus Klosters erhalten und kommt nuu, mir frohen Willkomm zu bieten auf uhsrer lieben Silvrettahütte, wo wir schon so manche frohe Stunde miteinander verlebten. Und während Maria ihm geschäftig etwas Abendbrot richtet, giebt 's ein Fragen und Erzählen, so daß die Worte sich jagend fast übereinanderpurzeln. Wie rasch so ein Jahr vergeht, seit wir zuletzt beisammen waren! Gemach geht der wirbelnde Sturm der Rede in langsamere Bahnen über, es wird vor allem von den Zukunftsplänen berichtet; in erster Linie vom Vorhaben am kommenden Morgen. „ Du kommst doch mit! Du mußt! Weißt du, mein alter Plan vom Verstanklahorn; etwas « Besseres »! Und neu ist der Weg, funkelnagelneuAch nein, das ist nichts mehr für mich, ich werde jetzt alt und pump-lich ", ist seine resignierte Antwort.Hallo, Freund Alex, nur nicht schon den alten Herrn spielen wollen! Denke mal die Wand, so eine, giebt 's ja in der ganzen Silvrettagruppe nicht wieder! Und dann der Weg, so schön direkt, so schön plattig, da kommt uns nicht jeder Lämpel nach! Und da schau'mal hinaus, der sternenklare HimmelNichts hilft, er will durchaus „ alt und pumplich " sein, trotzdem man 's ihm nicht glaubt. Aber photographierai will Rzewuski wenigstens die Wand, wenn wir sie zwingen.

Beim Plaudern mit lieben Freunden scheinen uns die Uhrräder statt einer zwei Umdrehungen zu machen; rasch ist 's spät geworden, nun heißt es eben auch, in rascherem Tempo schlafen, um das Versäumte nachzuholen. Doch nur zu bald rasselt der Wecker seine unschöne Melodie herunter. Schnell wird zusammengepackt und gefrühstückt; der Rucksack nimmt seinen gewohnten Platz auf dem armen Rücken ein. Nun noch Seil umhängen und den Pickel zur Hand. Ein Zündholz flammt knisternd auf, die Laterne brennt, „ Glück auf !" tönt es uns nach in die sternklare Nacht.

Raschen Schrittes gehen wir auf dem kleinen Pfad gegen den Silvrettagletscher; bald verliert sich das Steiglein im Moränenschutt; unverdrossen stolpern wir vorwärts auf die uns in hellem Weiß entgegenschimmernde, neuschneebedeckte Gletscherzunge zu. Ein kühler Luftzug weht vom Eis herab uns entgegen und kühlt die Stirn und die Wangen. Schweigend Das Verstanklahorn.8Q gehen wir Schritt um Schritt auf der eintönigen, sanft ansteigenden Schneefläche dahin; keine Spalte, kein steiler Hang rüttelt uns zu gespanntem Interesse auf. Leise beginnt es zu dämmern, doch mit langsamer Stetigkeit hat sich von Westen her eine riesige, einförmige Wolkendecke in ungebrochener Gleichmäßigkeit vorgeschoben, unaufhaltsam und unbarmherzig vor unseren Blicken vom blinkenden Sternenhimmel ein Stück nach dem anderen verdeckend. Nur im Osten leuchtet in wunderbarer Klarheit gerade über dem Silvrettahorn, dem ersten Gipfel, den ich vor Jahren in der Silvretta betrat, ein Stern. Er soll unser Leitstern sein, ein Stern der Jugend! Vor ihm muß das neidische Dunkel der düsteren Wolkenbank Halt machen, bis die Sonne ihren Kampf mit den dunstgeborenen Wolkenmassen siegend aufnimmt. Und wie wir zu den Krämerköpfen kommen, flutet das Licht durch das Verstanklathor, und dicht vor uns, kühn emporstrebend, wächst in wuchtiger Architektonik der stolze Gneis-bau des Verstanklahorns empor. Schräg fallen die Strahlen der aufgehenden Sonne auf die riesige, mit wenig Tage altem Neuschnee bedeckte Nordflanke, so daß jede Einzelheit des jähen Absturzes durch die klaren Lichter und die scharfen Schlagschatten energisch modelliert hervortritt. Gar winzig erscheint Iink3 neben dem Verstanklahorn der Gipfel der Thorwache. In Gedanken verfolgen wir die Jann-Guler-Rydzewsky'sche Route vom Sattel zum Gipfel; vor allem aber gilt unsere Aufmerksamkeit dem geplanten neuen Wege. In den Hauptzügen ist er uns beiden sofort klar und durch folgende charakteristische Merkmale gekennzeichnet. Links, dicht neben der Stelle, wo der Fels mit einer Rippe am tiefsten zum Gletscher herabreicht, ist der Bergschrund ganz geschlossen und der Einstieg in die Felsen bequem möglich. Von da giebt uns ein schnurgerade sich hinaufziehender Riß, der zu beiden Seiten mit grünen, von der Sonne hell beleuchteten Pflanzenpolstern besetzt ist, die Richtung an. Da scheint es ganz gut hinaufzugehen, dann fast immer gerade empor zum Grat; die beiden riesigen Grattürme müssen links umgangen werden, der Schlußgrat scheint wieder gut gangbar. Wir sind in allem über die Anstiegslinie einig, einig aber auch in dem Bewußtsein, daß es heute noch schwere Arbeit giebt; der Weg verspricht, unsere Wünsche nach Schwierigkeiten voll und ganz zu befriedigen.

Nach kurzer Rast auf den Krämerköpfen gelangen wir über die Firnkehle vom Silvrettagletscher hinab zum Verstanklagletscher, lassen das zum Verstanklasattel führende Couloir zur Linken, passieren einige große Spalten und gehen direkt auf die vorher bezeichnete Einstiegstelle los, die wir früh 6 Uhr 50 Min., also 3'/2 Stunden nach Verlassen der Silvrettahütte, erreichen. Der Übergang auf den Fels ging, wie erwartet, prächtig von statten; doch die folgenden Felsen sind plattig, mit schlechten rundjichen Griffen und nach abwärts fallender Schichtung; über einige Felsstufen kommen wir empor und befinden uns auf einer kleinen Schneeterrasse ' ). Von hier erreichen wir, nach rechts haltend, eine vorspringende kleine Felsbastion, auf der ein Steinmann errichtet wird, den wir mit einem roten Bande, dem Zeichen des A.A.C.Z., zieren. Ein kurzer Imbiß, dann geht 's weiter. Von nun ab wird strengste Arbeitsteilung eingeführt, und eifrig giebt ein jeder acht, daß die „ schönen Stellen " gerecht verteilt werden, das heißt, daß er beim Vorangehen nicht zu kurz kommt. Frerichs beginnt und nimmt zuerst den Vortritt. Wenige Schritte nach links bringen uns unter den erwähnten, durchweg wenig vertieften Eiß, in dem mein Freund emporklimmt, bis ein Überhang Halt gebietet; ich klettere nach, bis ich bei ihm stehe; nun sucht er den Überhang zu forcieren, doch ein Griff nach dem anderen bricht aus dem faulen Gestein, und große Blöcke stürzen polternd in die Tiefe; es geht nicht. Während nun Frerichs so gut als möglich im Riß eingeklemmt bleibt, klettere ich seitlich nach links, ein kleiner Mauerhaken, der rasch eingetrieben wird, hilft Griffspielen, doch rate ich keinem Nachfolger, sich demselben anzuvertrauen; eine kurze schwierige Traverse bringt mich aus dem Riß hinaus, dann geht es links neben demselben empor, bis er selbst wieder den besten Weg zu bieten scheint. Über schwere Platten gelangt Frerichs wieder hinein; nun, allzubequem sieht er mir aber nicht aus, er ist oben wieder mit einem Überhang geziert, dazu liegt in den kleinen Rissen auf allen Unebenheiten leicht verkrusteter Schnee. Frerichs legt seinen Rucksack ab, ich bin ihm dicht nachgefolgt, berge denselben und versichere meinen Kameraden, so gut dies geht, mit dem Seil. Nun setzt er an; Zug um Zug rückt er empor, Stein um Stein saust mir um die Ohren. Ein Arm ist hinter einer kleinen Felsnase, die in den Riß ragt, verklemmt. .„Ja wenn ich einen Griff hätte, " höre ich ihn rufen, „ aber oben ist alles glatt und plattigKommen Sie zurück, dann schaffen wir uns einen Griff. " Sobald er wieder in Reichweite ist, gebe ich ihm einen soliden Mauerhaken und einen Stein zum Festklopfen; damit klettert er empor, verklemmt wieder den linken Arm, mit dem rechten treibt er mit wuchtigen Schlägen, daß die Splitter fliegen, das hülfreiche Eisen in einen Felsspalt; eifrig hämmert er, nachdem er sich einen neuen Stein geholt, drauf los, bis der Haken so fest sitzt, daß man sich ihm unbedingt anvertrauen kann. Nach kurzer Ruhe und Atempause packt er den neuen Griff, Zoll um Zoll entschwindet er meinen Augen, sein Fuß benutzt das Eisen als Tritt, dann höre ich nur noch das kreischende Kratzen der Nagelschuhe am Fels, und die tiefen stoßweisen Atemzüge zeugen von energischer Anstrengung. „ Kein einziger vernünftiger Griff !" tönt es von oben herab; doch langsam gleitet das Seil durch meine Plände empor. „ Nachkommen, " schallt es herab, „ aber nicht ausrutschen, ich stehe sehr schlecht.Achtung, ich komme !" Mit zwei Ruck- sacken klettert sich 's doch miserabel! Die Riemen schneiden an den Schultern ein, das Gewicht zieht nach hinten, mit verdoppelter Anstrengung packe ich die kleinen Griffe und arbeite mich empor, ich muß meiner Bürde wegen außen über den Überhang, die Lungen keuchen, die Finger umkrampfen den Stein; jetzt kommt der Mauerhaken; ja solche Schlemmer-griffe läßt man sich gefallen! Dann aber folgt gleich wieder ein Tasten ins Grifflose. „ Oh, es geht schon ", meinte Frerichs, als ich ihn frage, wie er da hinaufgekommen sei, und es ging.

Der Riß wird zu einer flacheren, plattigen, glatten Verschneidung. Mit angespanntesten Kräften geht es hinauf, als Halt müssen die kleinsten Rauhigkeiten gelten, und es ist ein Glück, wenn man mit einiger Phantasie solche entdeckt. In solchen Fällen muß der frei Vorauskletternde seine ganze Kraft und Energie einsetzen, da zeigt es sich, wie es mit den Kletterkünsten bestellt ist. „ Das war eine ,bessere'Stelle ", sage ich keuchend zu meinem Freunde, als ich bei ihm angelangt war. „ Nun nehmen Sie mir aber den zweiten Rucksack ab, das verflixte Ding nimmt mir den Atem beim Klettern und außerdem komme ich mir hinten unnatürlich voluminös vor. " Von meiner Last befreit, blicke ich in die Höhe: schon wieder ein Überhang; das scheint hier so der Brauch zu sein. Nun, vielleicht läßt er sich umgehen. Diesmal entledige ich mich der süßen Last und klettere dann ohne Rucksack vorsichtig mit ruhigen, überlegten Bewegungen nach links hinaus auf eine abschüssige Platte, die unten in einem senkrechten Absturz abbricht. Mittelst kleiner, aber wenigstens fester Griffe quere ich behutsam schräg empor und stehe unter einem senkrechten Wandl, dessen oberer Rand gerade in Reichhöhe ist; da ist auch ein guter Griff; ein Riß zieht sich ein Stück weit abwärts, doch er ist mit Erde und Steinen erfüllt; ich putze und kratze ihn mit der linken Hand aus, während die rechte einen kleinen Griff umklammert hält. Doch bei der schlechten Behandlung fängt die Linke bald an zu bluten, und ich klettere ein Stück zu Frerichs hinunter, der mir einen Pickel reicht, mit dem die Räumarbeit fortgesetzt wird. Dat flutscht bäter! während die Linke einen hohen Griff packt, die Füße sorglich mit den Schuhkanten auf die schmalen Tritte gesetzt sind, kratzt die Rechte mit der Spitzhaue des Pickels den Riß aus. Hurra! was da für Brocken fliegen; einer nach dem anderen saust polternd in die Tiefe hinunter auf den Gletscher. So, jetzt hat ein ganzer Arm Platz, sich tief in den Spalt hineinzuzwängen. Sorglich wird der Pickel an die Wand gelehnt, die Füße frisch in die Tritte gestellt, die bisher hochgehaltenen Arme lasse ich eine Weile am Körper herabhängen, um sie auszuruhen. Jetzt auf! Hohe Griffe werden gepackt, der rechte Arm findet Halt im Riß, aber vergeblich suchen kratzend und schabend die Füße einen Stützpunkt an der glatten Wand. Nun denn ein Klimmzug! Hoch! Oh weh! Oben ist kein einziger guter Griff; vergeblich tastet die Hand danach, und an einem minimalen Griff den Körper ohne Unterstützung eines Trittes aufwärtszuziehen, wag'ich nicht; ich kehre zu Frerichs zurück. Also doch über den Überhang! Oder umkehren !? Umkehren hier unten? Über uns das lockende ersehnte Ziel und jetzt schon entsagend verzichten? Gesprochen hat keiner davon, nur blitzartig schießt mir das leidige Wort durch den Kopf; und wer hat seine Bitternis nicht schon empfunden! Vor mir ein hohes, herrliches Ziel, in mir ein heiß pulsendes Herz und Kraft und Mut, zu kämpfen und zu trotzen, bis alle Hindernisse berstend weichen. Oh Jugend! Wer kennt nicht dein stolzes Siegesbewußtsein! Wohl dem, dem nicht das rauhe Leben diese frohe Kampfesfreudigkeit in dumpfem Philistertum erstickt oder mit schweren Schicksalsschlägen zertrümmert, wer sich bis ins Alter ein junges Herz bewahren kannWir wollen auf unsere Wünsche nicht verzichten, solange nicht unübersteigliche Mauern sich entgegentürmen, solange beide Hände noch zupacken und arbeiten können, solange die froh atmende Brust noch hoffende Begeisterung hebt und das Auge noch klar und ungetrübt umher-blickt. So lange wollen wir nach vorwärts blicken, nach oben, zu den Zielen, die wir uns gesteckt, die uns erreichbar sind, solange wir nicht verzagen.

Und wenn im Leben, wie jetzt an der jähen Bergwand, der Ungewißheit Nebel uns umflattern, wenn kalte Regenschauer unser heißes Sehnen zischend zu erkalten drohen, so ringen wir uns frei von solchen düstern Geistern, empor zum Licht der Sonne, die strahlend unser Ziel verklärt.

Hier müssen wir hinauf; der Überhang muß nachgeben, nicht wir. Beide Pickel werden mit ihren Spitzhauen in Felsritzen verankert, das sind zwei prächtige Stützpunkte. Nun duckt sich Frerichs, indem er sich an den Stielen der festverankerten Eisbeile festhält, ich steige ihm auf die Schultern und packe am Fels, was zu packen ist. „ Jetzt! auf !" Langsam erhebt sich mein Kamerad aus der Kniebeuge, ich suche ihm die Last nach Möglichkeit durch Anklammern an die minimalen Griffe, die mir zu Gebote stehen, zu mindern. So, jetzt steht er aufrecht, da ist ein Prachtsgriff; ich greife zu, jetzt Tritte her! Im Eifer des Gefechts trete ich mit einem Fuß höher, der Tritt bewegt sich ja, ich ziehe mich mit aller Kraft empor. „ Au, das war mein Schädel !" höre ich eine Stimme von unten; diesmal hatte mir der Kopf eines anderen weitergeholfen. Jetzt wird die Neigung geringer, der Riß hat sich wieder zu einer Verschneidung ausgeflacht. „ Achtung unten, hier ist wieder alles locker! Mit den Fingern kratze, ich den Schnee weg, um nach Griffen auf die Suche zu gehen. An jedem wird gerüttelt, denn trügerisch festgefrorene Steine täuschen oft hinterlistig falsche Festigkeit vor. „ Achtung, Steine !" Dieser Ruf scheint heute überhaupt Losung zu sein. Polternd, prasselnd jagt ein solcher Hagel hinunter, von einer leisesten Berührung in Bewegung gesetzt. Sofort duckt sich der unten Stehende, so gut er kann — in solchen Fällen sind die Überhänge ein wahrer Segen — nach Kräften klammert er sich fest, bis es wieder ruhig geworden ist. Hier muß der Geschickteste Steine loslösen. Manch blauer Fleck zeugt auch davon, daß die Deckung nicht immer ganz ausreichend war. Endlich wird es besser, die Haltepunkte für die Hände kann man wenigstens mit gutem Gewissen Griffe nennen, ohne zu übertreiben. Sowie ein Ruhepunkt erreicht ist, ziehe ich das Seil ein. „ Um Gotteswillen! Halt, Frerichs, nicht nachkommen; das Seil ist an einer Stelle fast ganz von einem Stein zerschnitten, während ich vorankletterte.Das nennt man „ moralische Sicherung ". Behutsam hole ich das Seil empor, schneide die letzten Fasern noch vollends durch und knüpfe die beiden Enden mit einem zuverlässigen Knoten zusammen. Dann kommt Frerichs mit den beiden Rucksäcken beladen nach. Wenig links haltend geht es besser, aber immer noch schwierig vorwärts zu der ersten Stelle, wo wir nach fast dreistündigem Klettern uns wieder einmal setzen können. 10 Minuten wird verpustet, dann gelangen wir über schneebedeckte Stufen zu einer größeren Terrasse ( II ), wo wir uns am Fuße einer markanten überhängenden, glatten Platte einen FrühstUcksplatz herrichten. Jetzt lag der lange untere Riß glücklich hinter uns. Nach 25 Minuten geht 's wieder weiter. Ein kleiner Kamin jenseits einer schmalen Eisrinne ist unser nächstes Ziel. Frerichs ist im Vorangehen an der Reihe; er schlägt hurtig die nötigen Stufen. Krächzend fährt der Pickel durch die verkrustete Schneeschichte, mit hellem Ton trifft der blanke Stahl auf das harte, dunkle, untergelagerte Eis, das klirrend umhersplittert. 12 Stufen genügen, dann klettern wir Über gestuften Fels gerade empor in kleinen Zickzacks auf dem durch die verhältnismäßig beste Gangbarkeit vorgezeichneten Wege. Bessere Griffe, festeres Gestein helfen uns rascher aufwärts, wir streben einem auffallenden, schwarzen Kamin zu. Eine glatte Platte zur Linken desselben erweist sich als ungangbar, der Kamin selbst ist oben überhängend und Wasser überronnen. Zur Not wäre er vielleicht zu erzwingen. Ein Stück weit klettert Frerichs darin empor. Da wird rechts von ihm, durch eine riesige Felsplatte, die vom Massiv des Berges etwas abgesprengt ist, ein zweiter Riß gebildet. In diesem klettert Frerichs bis zu einem schmalen, abschüssigen Gesimse; dort macht er Halt, denn hier reicht wieder einmal eine Mannslänge nicht aus; ich komme zu ihm, Pickel und Rucksäcke werden vorsichtig geborgen, behutsam drücke ich mich an ihm vorbei. Dann wird das Steigbaum-manöver wiederholt, jetzt aber ist unsere Lage noch heikler als beim erstenmal. Frerichs Stand ist äußerst prekär. Doch vorwärts müssen wir jetzt! Mein Freund klammert sich mit aller Kraft an den Fels. „ Festhalten und feststehen, Frerichs, jetzt gilt esMit der linken Hand fasse ich in die obere schmale Fortsetzung des Risses. Das Wandl, dem es gilt, ist unten ausgebaucht, oben senkrecht, dabei äußerst exponiert. Vorsichtig steigt der linke Fuß auf Frerichs linke Schulter, es folgt der rechte auf die andere Achsel. Vorsichtig taste ich nach oben, doch glatt wie die obere Fläche eines Würfels springt der Fels wagerecht zurück. Auch links kann ich nicht höher greifen. Ein paar große Steine habe ich von dort schon mit der Linken in weitem Bogen hinausgeschleudert, doch suche ich die größeren Felsbrocken, die noch oben liegen, beiseite zu schieben, so stürzen sie meinem Freund direkt auf den Kopf; ich taste und taste, kein Griff für die Rechte zu finden. Mein Freund beginnt unter dem Druck der Nagelschuhe zu ächzen. „ Sie müssen auf jeden Fall noch aushalten !" rufe ich mit gepreßter Stimme hinunter; „ Sie müssen! Sonst habe ich keinen Halt mehrAlle Sehnen, alle Muskeln straffen sich, der linke Arm zieht kräftig an, die rechte Hand ist flach oben auf die wagerechte Terrasse gelegt, ein Ruck und der Oberkörper beugt sich über die Wandstufe, die Beine sind frei, beide Arme sind nach vorn ausgestreckt, mit Schwimmbewegungen sucht der Körper auf die flache Terrasse zu rutschen. Mit der rechten Hand faßt Frerichs eines meiner in der Luft strampelnden Beine und schiebt von unten nach, die Hände finden Halt, es war gelungen. Ein Knie nach dem anderen ruht auf der ebenen Fläche, und tief aufatmend stehe ich oben. Unfern winkt der Grat, er ist jetzt sicher unser. Pickel und Rucksäcke werden aufgeseilt. Frerichs folgt, vom Seile kräftig unterstützt, nach. Ohne ausgiebigste gegenseitige Hülfe zweier Leute von großer Statur dürfte diese Stelle, welche hart an die Grenze des Möglichen streift, unpassierbar sein. Man wird uns sagen, solche Experimente solle man überhaupt unterlassen, das sei frevelhafter Wahnwitz, da heiße es eben umkehren. Hier fragte es sich jedoch diesmal, was ist besser, den Aufstieg bis zu Ende durchsetzen, oder all die bisher glücklich überwundenen Schwierigkeiten unter den erhöhten Gefahren des Abstiegs nochmals durchkosten in dem niederschlagenden Bewußtsein, daß alle Arbeit umsonst war. Wir blickten hinab, woher wir gekommen. Unser Weg war durch rote Zeugfetzen genau markiert, und beim Einstieg unten war der Gletscher übersäet mit Blöcken und Steinen aller Größe, als ob eine große Steinlawine heruntergekommen sei. Wir waren nicht fern vom Grat und jenseits auf der Vernelaseite winkte uns ein bequemer Abstieg. Da liegt es tief in der Natur des Menschen, daß er lieber einer Ungewissen, wenn auch vielleicht gefährlichen Zukunft entgegengeht, als daß er die Frucht harter Arbeit Stück um Stück opfert unter großer Mühsal und Gefahr, die er eben erst durchgekostet, um, jedes Erfolges bar, wieder dort zu stehen, wo er begann.

Die eben geschilderte Wandstufe war auch die letzte große Schwierigkeit, die wir zu überwinden hatten; eine flache, schneeerfüllte Verschneidung bringt uns zum Grat ( 1 Uhr 55 Min. bis 2 Uhr 10 Min. ), den wir direkt in der Falllinie über unserm Einstieg betreten. Ein rotes Band wird am Fels befestigt. Rittlings sitzen wir auf der Gratschneide und halten zum erstenmal wieder Umblick, wozu uns die gespannteste Aufmerksamkeit, die wir ausschließlich dem Wege widmen mußten, bisher kaum Zeit gelassen. Ein eigenartiges Bild wird uns zu teil. Wir selbst und die nahe Umgebung sind im Schatten der riesigen Wolkendecke, welche heute früh heraufzog, die wie ein mächtiger, flach ausgespannter Schirm hoch über uns ausgebreitet ruht, rings im Kreise scharf abgeschnitten. Und ringsum erblicken wir von der Sonne hell beschienen den leuchtenden Kranz der Berge; da schimmern die Gipfel der Albulagruppe traulich grüßend herüber, und unter uns ruht das Auge auf dem Prätigau mit seinen saftgrünen Matten, über welche Häuser und Stadel teils einzeln ausgestreut liegen, teils zu freundlichen Dörfern und Weilern dicht zusammengehäuft. Zum Greifen nahe steigen im Vordergrund ( Südwest ) die Platten- und die Ungeheuerhörner auf, und im engen Halbkreis leuchten die Firnengestalten der Silvretta zu uns herauf. Abseits von ihnen ragt stolz und kühn der Großlitzner empor. In der Ferne heben sich die charakteristischen Formen des Patteriol und der Roten Wand aus dem Gipfelmeere deutlich ab; die Gipfelkrone des Fluchthorns taucht in die Wolkendecke hinein.

Nach kurzer Rast geht es weiter, zuerst rittlings ein Stück über den Grat, der bald wieder verlassen werden muß. Wir betreten abermals die Nordwand, bis wir, nach Querung einer Eisrinne, in geschlagenen Stufen die Grathöhe wieder gewinnen können. Hohe Steilstufen führen uns empor, großartige Felsscenerien fesseln den Blick, beiderseits jähe Abstürze; zur Linken schießen die schroffen Wände zum Verstanklagletscher ab, zur Rechten haben wir die steilen Wände der Vernelaseite.Vor uns, über uns recken sich zwei riesige Felstürme drohend aus dem Grat empor. Der untere ist weit überhängend nach unten vorgebeugt; es scheint, als müsse er jeden Augenblick berstend zusammenstürzen und alles, was bei seinem Falle ihm in den Weg kommt, mit zermalmender Wucht zerquetschen und zertrümmern. Hier werden wir wieder nach links in die Nordwand gedrängt, im Bogen umgehen wir die beiden Türme, dann klimmen wir wieder hinauf zum Grat. Noch ein Blick gilt den beiden merkwürdigen Gesellen, denen wir eben ausweichen mußten. Es sind abenteuerliche Gebilde; der eine von ihnen trägt einen scharfgespaltenen Gipfelblock, dessen beide spitzige Teile klaffend auseinander stehen, einer riesigen Krebsschere vergleichbar.

Da umflattern uns Nebelfetzen, ein Regenschauer bringt eine ganz unnötige Erfrischung, doch das stört uns nicht weiter, das frohe Gefühl der Gipfelnähe beginnt sich in unser Herz einzuschmeicheln. Leicht geht es über den Schlußgrat empor, und punkt 5 Uhr nachmittags erreichen wir den Gipfel, der jubelnd begrüßt wird. Der Sieg war schwer errungen. 10 Stunden waren seit dem Einstieg in die Felsen verflossen. Und was wir nun sahen? Vor allem den Steinmann, und den blickten wir immer wieder und wieder an, als ob etwas ganz Besonderes daran wäre. Und doch war 's nur ein ganz gewöhnlicher Steinmann. Uns aber ist er das Sinnbild des Erfolgs, wir haben durchgesetzt, was wir wollten. Es ist etwas Eigenartiges um so einen Berggipfel! Warum die Menschen da hinaufgehen? Gar mancher kann das nie erfassen, weil ihm die Sinne fehlen, zu begreifen und nachzufühlen, was der Nächste fühlt. Schon oft ist versucht worden, diese Frage zu beantworten, und doch läßt sich nicht mit Worten alles sagen; da versagt die Sprache, wenn es gilt, klar und verständlich die Seelenregungen zu analysieren, die im Menschenherzen auf- und niederwogen, die in uns arbeiten, bestimmend, ja zwingend auf unser Thun einwirken, ohne daß wir uns selbst der treibenden Ursachen voll bewußt werden. Nur ein Dichter vermöchte das, und der ist dem Hochgebirge noch nicht erstanden. Nur ein solcher vermöchte packend zu schildern, wie die stolzen Gipfelgestalten mit magischem Zauber auf den Menschen wirken, wie es ihn mit dämonischer Gewalt lockt, hinaufzuklimmen an den jähen Wänden, immer höher und höher.Und je kühner der Gipfel, je schroffer der Absturz, desto ungestümer pulst das Herz, den Hindernissen zu trotzen, ihnen keck die Stirne zu bieten in frohem Wagen, bis sie besiegt zu unsern Füßen liegen, bis wir jauchzend den Scheitel des umworbenen Berges betreten. Ein Ziel ist erreicht, ein Vorsatz durchgeführt, der Wille hat gesiegt, denn das Können war ihm gewachsen, und wohl dem, der nie mehr will, als er kann. Wie starkes Wollen, sicheres Können uns Erfolge erringen lassen, das lehren uns die Berge. Wir werden aber oft scharf in die Schule genommen von diesen unerbittlich harten Lehrmeistern, die mit unnach-sichtlicher Strenge und Raschheit unüberlegtes Handeln und Fehlgriffe uns büßen lassen, und oft gilt 's da das Leben.

Während wir auf dem Gipfel des Verstanklahorns rasten, wogt um uns der Nebel, nur hie und da uns weitere Ausblicke auf das großartige Rundbild vergönnend. Ein kalter Wind macht uns frösteln.

Viertel vor 6 Uhr treten wir den Abstieg an. Der gewöhnliche Südwest-Weg war geplant, leichte, schrofige Platten verleiten uns jedoch, sofort rechts ( südwestlich ) abzubiegen, denn jetzt heißt es rasch hinunter, bevor uns die Dunkelheit in den Felsen überrascht und zum Bivouakieren zwingt. Wir gelangen in die Nähe einer Schneerinne, die uns zur Linken bleibt, während wir über eine Felsrippe abwärts klettern. Tief unten wird die Rinne schmal; in drei Eisstufen ist sie überschritten, weiter geht es auf einer zweiten Felsrippe hinab, die unten einen steilen Abfall bildet. Frerichs geht voran; ich mache mir dann rasch eine Abseilvorrichtung, wobei ich mein norwegisches Tolleknife in einem Felsriß vergesse. An das doppelte Seil mit der Linken greifend, klettere ich schnell abwärts. Bei trockenem Fels wird man auch frei dort gut hinunter- kommen können. Heute hatte ich keine Lust mehr, mich auf Experimente einzulassen, und zog daher die sicherste Methode der eleganteren vor. Leicht gelangen wir zu dem Schneecouloir, das vom Vernelasattel steil herabschießt, dicht oberhalb des Bergschrundes, der in 1 Stunde 45 Minuten nach Verlassen des Gipfels, bei Beginn der Dämmerung, hinter uns liegt. Wir haben einen fast durchweg neuen, im allgemeinen leichten Weg durch die Felsen gemacht, der besonders eine lange Strecke des großen Couloirs, das sonst gewöhnlich benutzt wird, vermeidet, was bei schlechten Schneeverhältnissen große Vorteile bringen dürfte. In raschen Sprüngen eilen wir über den Vernelagletscher hinab. Mehr und mehr bricht die Dunkelheit herein, im unsicherem Zwielicht wird über steilere Flächen stehend abgefahren; eben wollen wir über den Abbruch eines alten Lawinenkegels auf eine ebene Fläche hinabspringen, da bemerken wir trotz der Dunkelheit noch rechtzeitig, daß wir fast in einen kleinen See gepatscht wären, und suchen seitlich davon unsern Weg. Anfangs behelfen wir uns ohne Laterne.

Nebel ist inzwischen im Thale heraufgezogen, schwere Tropfen beginnen zu fallen; es wird stockdunkel. Weiß heben sich nur die umherliegenden Steine vom schwarzen Moorboden ab. Wir springen von Stein zu Stein. Da zuckt ein fahlgelber Schein durch die Finsternis, dumpf rollt nach langen Sekunden der Donner, und stärkerer Regen setzt ein. Jetzt aber Laternen anzünden, bevor es der Gewitterregen unmöglich macht. Sprühend teilt das Sturmzündholz der Kerze die leuchtende Flamme mit, die von jetzt ab mit ihrem freundlichen Schein uns zeigt, wohin wir den Fuß setzen. In gigantischer Verzerrung begleiten uns unsere auf den Nebel geworfenen Schatten. Es ist, als ob wir uns in einem engen Raum befinden, der stets mit uns wandert, eine runde Nebel-kammer, die so groß ist, als die Leuchtkraft unserer Laterne reicht; außerhalb davon herrscht tiefschwarzes Dunkel. Der Vernelabach giebt uns die Richtung an, er muß stets zu unserer Linken bleiben. Wir gehen nach dem Gehör; tönt das Rauschen schwächer, so müssen wir uns mehr nach links halten, was oft der Fall ist, denn die Neigung, rechts abzuweichen, ist auffallend stark. Die auf der Karte verzeichnete Wegspur ist für uns ein schöner, aber leerer Wahn. Unzählige Viehspuren führen kreuz und quer, und jeweils, wenn wir uns einer besser ausgetretenen anvertraut haben, sind wir genarrt, sie führt sicher bald steil bergan, so daß wir wieder dem Bache uns zuwenden müssen, dessen stellenweise breites, versandetes Bett wir zum Teil zum Vorwärtskommen benutzen; es ist ein nasses Vergnügen. Das verflixte Seil saugt sich mit Regenwasser voll wie ein Schwamm. Blitze zerteilen für Sekunden die greifbare Finsternis, der Donner rollt schwer und dumpf hinterdrein, schwer und dumpf erwidert das Echo von den Wänden der Ungeheuev-hörner. Das hätte ein gemütliches Bivouac abgeben können! Schritt für Schritt tappen wir vorwärts, durch Morast, über Steine, im Bachbett, über Wiesen. Da steht eine Hütte, sie ist verlassen, wir treten ein, um zu rasten. Wie weit mögen wir thalauswärts sein? Karte und Uhr werden befragt. Von den Hüten herab fallen Tropfen auf den heißen Deckel der Laterne und verdampfen mit lautem Zischen. Sollen wir hier bleiben, bis der Morgen anbricht? Ach was, vorwärts! Vielleicht giebt 's doch noch ein trockenes Nachtlager, obschon keiner von uns die Lage der neuen Vereinahütte genau kennt. Wir stapfen weiter, das Vernelathal scheint aber kein Ende nehmen zu wollen, noch immer rauscht der Bach zu unsrer Linken, doch streckenweise wird wenigstens die Wegspur besser. Da schlägt ein Hund an! Jetzt wieder! Ein wahrhaftiger, richtiger Hund! Froh über diesen Laut von einem lebenden Wesen, beschleunigen wir unsere Schritte und stehen bald vor einer großen Alphütte. Das kleine Hundevieh bellt drinnen munter weiter, denn, daß es ein kleiner Kerl war, hörte man an seiner lebhaften hellen Stimme. Wir klopfen an die Thür, worauf ein verschlafenes Brummen antwortet; wir klopfen stärker mit dem Pickel, das Brummen geht in artikulierte Laute über: „ I kumme ". Ein Lichtschimmer dringt durch die Fugen, schlur-fende Schritte in Holzpantoffeln kommen zur Thüre, ein bärtiger Hirte öffnet uns freundlich seine Behausung und macht erstaunte Augen über den späten Besuch. Wir treten in den ärmlichen, von einer kleinen Lampe spärlich erleuchteten Raum, vor Nässe triefend und dampfend. Wir fragen, ob er uns bis zur Clubhütte bringen will, wozu er gern bereit ist. In 10 Minuten von hier sollen wir dort sein. Er zieht sich Schuhe an, wirft seinen großen Mantel um und zündet sich seine Laterne an. Dann folgen wir beide führerlosen Verstanklafahrer dankbaren Herzens unserm freundlichen Wegweiser, der uns nachts'/al2 Uhr im dicken Nebel rasch und sicher zur gastlichen Vereinahütte geleitet, die wir ohne seine Führung in dieser Nacht wahrscheinlich nicht mehr zu Gesicht bekommen hätten.

II.

Freie Fahrten.

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