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Der gelbe Eisenhut und die Hummel

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Mit 4 Bildern ( 155—158 ) und 1 SkizzeVon Gerhart Wagner

( Bern ) Wer von Grindelwald aus das Wetterhorn besteigen will, wählt als Anstieg zur Glecksteinhütte meist den kürzeren und alpinistisch interessanteren Weg durch das Milchbachloch und über den von Jahr zu Jahr tiefer einsinkenden Oberen Grindelwaldgletscher. Wer aber den gemächlicheren Weg über den Lauchbühl und die Enge einschlägt, der wird für den etwas grösseren Zeitaufwand reichlich entschädigt werden, sofern er nicht nur für die Herrlichkeit der Berge, sondern auch für ihre blühenden und fliegenden Bewohner ein offenes Herz und offene Sinne hat.

Eine gute Viertelstunde oberhalb des Lauchbühls, bevor der Fussweg den Schneekegel der Gutzlauenen überschreitet, quert er einen mächtigen Hang alten, längst zur Ruhe gekommenen Schuttes. Der Felsuntergrund besteht hier aus dem grauen Kalkstein, der die gewaltigen Nordabstürze von den Engelhörnern bis zum Eiger aufbaut. Doch davon ist nicht viel zu sehen: die zahllosen kleinen und grossen Steine und Blöcke, die den gewachsenen Fels verdecken, sind zum grössten Teil dunkelkörnig verwitternde Granite, die vom untern Teil des Wetterhorn-Westgrates über eine Höhendifferenz von wenigstens 800 m heruntergestürzt sein müssen. Nur wenig Kalkschutt findet sich dazwischen.

Es lohnt sich, hier einen Augenblick zu verweilen. Denn die ganze Schutthalde ist von einer üppigen und sehr artenreichen Alpenflora überwachsen, die eine Menge von honigsuchenden Insekten beherbergt. Die Pflanze, die dem ganzen weiten Gebiet das Gepräge gibt, ist der gelbe Eisenhut oder die DER GELBE EISENHUT UND DIE HUMMELN Wolfswurz ( Aconitum Lycoctonum, Abb. 156 ). Ihre im Durchschnitt etwa meterhohen, schlanken Blütenstände überragen die übrige Vegetation bei weitem und beherrschen das ganze Gesichtsfeld. Auf einer Fläche von 10 m2 stehen an den dichtesten Stellen bis 50 Stengel. Ihre Gesamtzahl mag demnach an die 100 000 betragen, bedeckt doch das ganze Eisenhutfeld eine Fläche von mindestens 2 Hektaren ( Abb. 155 ).

Auf den zahllosen Blüten des bunten Teppichs herrscht ein reges Hin und Her von Insekten. Am auffälligsten und wohl auch am zahlreichsten sind die Hummeln. Viele von ihnen bleiben im untern Blütenstockwerk und sammeln den Nektar der niedrigen Goldruten, des Klappertopfs, des Wiesen-klees, des Alpenthymians, der Alpendistel oder einer der zahlreichen andern Immenblumen, denen sie als Gegenleistung den Dienst der Bestäubung erweisen. Einige sind aber auf den gelben Eisenhut spezialisiert. Da sind vor allem die schwarzen Steinhummeln ( Bombus lapidarius ) mit der leuchtend orangeroten Hinterleibspitze. Sie fliegen von einer Eisenhutkerze zur andern und kümmern sich nicht im geringsten um die vielen anderen Blumen. Doch halt... was macht er da eigentlich, der schwarze Geselle? Er streckt ja seinen Rüssel gar nicht in den Blüteneingang, wie sich 's gehört, sondern er setzt sich oben auf den hohen gelben Heim hin und streckt hier den Rüssel durch ein unförmliches Loch, direkt zu den Nektarbehältern, die er so viel müheloser erreicht und leert als auf dem langen Weg durch den Blüten- eingang ( Abb. 157 ). Und wahrhaftig — alle offenen Eisenhutblüten fast ohne Ausnahme haben unter der Helmspitze ein Loch als untrügliches Zeichen schon geschehenen und immer neu geschehenden Einbruchs. Jetzt kommt die Hummel an eine junge Blüte, deren Eingang noch geschlossen ist und die auch noch kein Loch an der Helmspitze besitzt.

Blüte des gelben Eisenhutes, ca. 2 54 X vergrössern Eines der beiden Nektarblätter ist punktiert hineingezeichnet. Der untere Pfeil deutet den « legitimen », der obere den « illegitimen » Zugang zum Nektar an.

Ohne Zögern kriecht das Tier zur Helmspitze — ein paar entschlossene Bewegungen mit den starken Kiefern, und schon gleitet der Rüssel durch das neu gebissene Loch — unfehlbar auf dem kürzesten Weg zum Honig. Alle diese tausend und abertausend Löcher in den Helmen sind also von den Steinhummeln gebissen worden. Nur selten kommt eine andere Art, die Gartenhummel, und tut es der Steinhummel gleich. Und noch seltener siehst Du eine Steinhummel, die sich am « legitimen » Blüteneingang abmüht, jedoch ohne grossen Erfolg. Dies deutet darauf hin, dass das merkwürdige Verhalten der Steinhummel nicht angeboren, sondern durch Erfahrung gelernt ist.

Was sagt aber der Eisenhut dazu? Schauen wir uns zunächst seine Blüte etwas näher an! ( Vgl. Skizze. ) Die Wolfswurz gehört, wie alle Eisenhutarten, zu den typischen « Hummelblumen », d.h. zu denjenigen Pflanzen, die nur von Hummeln ausgebeutet und bestäubt werden. Die Blüte besteht aus 5 Kronblättern, deren eines den schlanken, etwa 2 cm hohen Heim bildet. Staubbeutel und Narbe stehen dicht hinter dem Eingang am untern Ende der Blüte. Die posthornförmigen Nektarbehälter aber befinden sich, von langen Stielen getragen, zu oberst im Heim, eben dort, wo die Steinhummeln ein Loch in den Heim beissen. Es braucht freilich einen sehr langen Rüssel, um den Nektar vom Blüteneingang her zu erreichen, der Rüssel der Steinhummel reicht dazu nicht aus. Sie « muss » sich daher anders behelfen, wenn sie sich die ergiebige Nektarquelle nicht entgehen lassen will. Da sie auf die beschriebene Weise aber weder Staubbeutel noch Narbe berührt, leistet sie der Blüte keinen Gegendienst für den süssen Nektar, ihr Verhalten ist « illegitim » und kommt einem Diebstahl gleich. Die Blüte bliebe unbestäubt und unbefruchtet — wenn es alle Hummeln so machten wie die Steinhummel.

Doch dem ist nicht so. Eben fliegt eine mächtige, gelbbraune 1 Hummel heran, setzt sich unten an einen Blütenhelm, versenkt den langgestreckten Kopf tief in den Blüteneingang, und durch das Steinhummelloch an der Helmspitze kannst Du das Rüsselende beobachten, das die Nektarbehälter ausleckt ( Abb. 158 ). Sie macht es auch bei der nächsten und übernächsten Blüte so und niemals anders, obschon jede Blüte ein Steinhummelloch besitzt und auf diesem Weg bequemer ausgebeutet werden könnte.

Diese Hummelart gehört mit der Gartenhummel zu den grössten von allen. Sie heisst Bombus Gerstaeckeri — Gerstäckers Hummel. Sie würde den Namen « Wolfswurzhummel » verdienen. Denn sie besucht kaum eine andere Pflanze als die Wolfswurz, und diese wird von keiner andern Insektenart regelmässig und zuverlässig bestäubt. Nennen wir sie einmal die « gelbe » Hummel2. Frey-Gessner schreibt in der grossen « Fauna Insectorum Helvetiae » über sie:

« Wie bekannt, hat Gerstaecker die ausgezeichnete Art zuerst im Unterengadin gefunden und B. opulentus benannt. Weil aber dieser Name von F. Smith anno 1862 schon an eine chinesische Art vergeben war, änderte Morawitz denselben in Gerstaeckeri um. Zugleich berichtete Morawitz, wie er an der Pfaffenwand bei Engelberg auf Aconitum eine grössere Menge Weibchen und Arbeiter erbeutet hatte. Wie ich später selbst an derselben Stelle die damals noch unbekannten Männchen erhielt, überhaupt den B. Gerstaeckeri um Engelberg überall da zahlreich fand, wo viel Aconitum wächst, nachher noch an verschiedenen Stellen im Wallis, auf der Gemmi, auf dem Moléson, auf den Rochers de Naye, habe ich in verschiedenen Exkursionsberichten zur Genüge erzählt, so dass ich behaupte, der B. Gerstaeckeri sei in den Schweizeralpen überall zu finden, wo Aconitum lycoctonum und napellus in genügender Anzahl wachsen. Dr. A. von Schulthess erbeutete einmal ein Stück auf dem Uetliberg. Auf dem Jura habe ich Gerstaeckeri noch nirgends beobachtet, ich habe aber nirgends grössere Strecken mit Aconitum bewachsen gesehen. » Wäre es nicht interessant, das Zahlenverhältnis der « legitimen » zu den « illegitimen » Besuchern der Wolfswurz festzustellen? Doch dazu müssen wir 1 Brust und 1. Hinterleibsegment gelbbraun, 2. und 3. Hinterleibsegment schwarz, hinterste Segmente weiss behaart.

2 Ich beobachtete Ende Juli 1950 nur grosse Königinnen. Nach Knuth, Handbuch der Blütenbiologie, besuchen diese ausschliesslich den gelben, die Arbeiterinnen ausschliesslich den blauen Eisenhut. Das Verbreitungsgebiet der Gattung Aconitum und das der Gattung Bombus decken sich — ebenfalls nach Knuth — fast vollkommen.

unseren Halt noch etwas länger ausdehnen. Nahe bei unserem Rastplatz steht ein grosser Stock mit 9 Blütenstengeln ( Abb. 156 ). Zählen wir einmal, wie oft und von welchen Hummelarten er angeflogen wird! Für jeden Neuanflug des ganzen Stockes — nicht der einzelnen Blütenstände — machen wir der betreffenden Art einen Strich. Da ist das Ergebnis einer solchen Zählung nach Ablauf einer Stunde 1:

Steinhummel 10 x, illegitim gelbe Hummel 1 x, legitim andere Arten 0 Das heisst also, dass hier rund 90 % des von der Pflanze erzeugten Nektars für sie ohne Nutzen verloren gehen. Nur der kleine Rest von etwa 10 % dient dazu, eine Bestäubung herbeizuführen. Da werden wir nachdenklich. Was hat denn eigentlich das alles für einen Sinn? Wozu der Nektar? Wozu die Blüte? Beides hat doch sonst den « Zweck », Insekten anzulocken, die die Blüte bestäuben, aber nicht solche, die sie nur plündern! Stehen wir da nicht vor einer Fehlleistung der Natur? Doch nein! Der gelbe Eisenhut wird ja bestäubt! Grosszügig kann er sich den häufigen « Diebstahl » durch die Steinhummel und andere Arten gefallen lassen, solange es die gelben Hummeln gibt. Und es gibt sie zum Glück! Sollte diese Art aus irgendeinem Grunde verschwinden oder sollte sie nur dazu übergehen, die Wolfswurz wie die andern Hummeln an der Helmspitze aufzubeissen, dann wären freilich die Tage des gelben Eisenhuts gezählt.

Aber noch blüht er am Fusse des Wetterhorns und an vielen andern Orten! Und wenn wir nächstes Jahr wiederkommen, so wird er auch wieder blühen. Denn das Bündnis zwischen dem gelben Eisenhut und der gelben Hummel wurzelt so tief und dauert so lange wie die Berge.

Wir haben lange gerastet am Fusse des Wetterhorns. Was tut 's? Wir werden die Hütte trotzdem noch erreichen. Und morgen früh geht 's auf den Gipfel!

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