Der Irniserkrieg von 1478
Der Irniserkrieg von 1478 Von Cr. Meyer von Knonau.
In die für die schweizerischen Eidgenossen so ruhmreiche zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts fallen neben den großen Ereignissen kriegerische Begebenheiten, die sich nur über eine kurze Zeit erstrecken und die ohne bedeutendere politische Nachwirkungen geblieben sind, denen aber doch um ihrer selbst willen die Aufmerksamkeit geschenkt werden darf. Eine derselben ist der nach dem einzigen Gefecht genannte Irniser-Krieg von 1478.
In ungünstiger Jahreszeit macht sich ein beträcht- Anmerkung. Am 14. Januar 1887 sprach ich über dieses Thema vor der Section Uto, unter Benutzung einer Arbeit, die ich im Kriegs-Sommer 1866 zu Göttingen ausführte und dort meinem unvergeßlichen Lehrer Georg Waitz in dessen historischen Uebungen vorlegte. Doch wurden jene Ergebnisse nach der sehr bemerkenswerthen historischen Untersuchung von Dr. Th. von Liebenau in Luzern ( in Uebersetzung: La Battaglia di Giornico, im Bollettino storico della Svizzera Italiana, Anno 1, 1879, der von Em. Motta begründeten und nun schon bis zur Vollendung des achten Jahrganges energisch durchgeführten historischen Zeitschrift des Cantons Tessin ) einer Revision unterworfen. M. v. K.
üehes Heer, zu welchem mehrere Abtheilungen nur sehr widerwillig von den Obrigkeiten entlassen werden, über das Gebirge gegen einen ansehnlichen Feind auf. Zu den Ursachen, um deren wijlen eine begonnene Belagerung abgebrochen wird, zählt besonders auch die heftige Kälte. Aber nachdem nun die Hauptmacht sich in die Heimat zurückbegeben hat, wird ein kleines zur Bewachung der Grenze zurückgelassenes Häuflein in glücklichem Kampfe der angreifenden Uebermacht Meister.
Dazu kommt der Umstand, daß die Ereignisse dieses Krieges in mehrfacher Hinsicht als Nachwirkungen des großen Kampfes gegen Herzog Karl den Kühnen angesehen werden dürfen.
Obschon die Eidgenossen im Jahr 1467 mit dem Herzog Galeazzo Maria Sforza in einem neuen Capitulate ältere Vertragsbedingungen neu festgesetzt hatten,war es doch zu abermaligen Reibungen gekommen, weil die mailändische Regierung sich an die Punkte des Vertrages nicht hielt. Ganz insbesondere war der Artikel nicht gehalten worden, daß kein Theil einem Feinde des anderen irgendwie Vorschub leisten dürfe. Denn während des Burgunder-Krieges sahen die Eidgenossen die mailändischen Httlfstruppen in den wichtigsten Schlachten auf gegnerischer Seite, und mochte nun auch am Ende des Jahres 1476 durch die Ermordung des Herzogs Galeazzo Maria der eigentliche Schuldige beseitigt sein, so war es doch ein Kampf gegen einen Bundesgenossen Karls des Kühnen, als zwei Jahre später der Krieg jenseits des St. Gotthard ausbrach.
Andererseits aber trifft der Irniser Krieg in einen Zeitraum heftiger innerer Erregung in der Eidgenossenschaft, welche ebenfalls aus den Ereignissen des-burgundischen Krieges herausgewachsen war. Die Verwilderung und Kampflust, der ungezügelte Hang zu abenteuerlichen Thaten, die Gewöhnung an Beute und an Gold ließen zahlreiche junge Kriegsleute auch in der Friedenszeit nicht zur Ruhe kommen. Dieses-Treiben war lebhafter in den Ländern, deren Obrigkeiten der Einwirkung von Seiten der Gemeinden mehr ausgesetzt waren, während die einheitlicheren, strenger geschlossenen städtischen Regierungen ihre-Leute mehr im Zügel hielten. So war denn im Frühjahr 1477, ganz kurz nach der Schlacht von Nancy, eine ungeordnete Volksbewegung im Gange, welche die Städte besorgt machte. Es schien eine Pflicht der Selbsterhaltung, solchen unberechtigten Versammlungen und regellosen Strömungen einen Damm entgegenzustellen, und so schlössen am 23. Mai Zürich, Bern, Luzern, Freiburg und Solothurn das ewige Bnrgrecht unter einander ab, als ein gegenseitige* Schutz- und Trutz-Bündniß. Aber die Länder mußten-die mit Besorgniß verbundene Erkenntniß gewinnen, daß dieses städtische Sonderbündniß thatsächlich auch gegen sie gerichtet sei, und nun ergriffen sie gegenüber der einen der fünf Städte das vertragsmäßig; ihnen zustehende Recht der Anfechtung des Burgrechtes. Luzern nämlich war durch seinen Bundesbrief von 1332 verpflichtet, nicht ohne Wissen und Willen der drei Länder eine weitere Verbindung einzugehen. Verhandlungen begannen mit lauten Ein- Wendungen von der einen und der andern Seite, in welche auch die übrigen Städte hineingezogen wurden. Dazu erhoben sich peinliche Mißverständnisse zwischen Obwalden und Luzern; die Stadt glaubte Aufhetzungen in ihrem Gebiete, im Entlibuch, auf die Spur gekommen zu sein, von denen Fäden nach Sarnen hinüberzulaufen schienen. Der angesehenste Entlibucher, ein Verwandter des Landammannes von Obwalden, wurde im November 1478 hingerichtet, und ein innerer Krieg stand drohend in Aussicht. Da trat mitten in der Aufregung und Verwirrung jene Kriegsfrage auf, welche bald die gesammte Aufmerksamkeit von den inneren Angelegenheiten ab und gegen den äußern Feind lenkte.
Gerade in der Zeit der Ermordung des Herzogs Galeazzo Maria, am Ende des Jahres 1476, war die Aufregung über die Vertragsbriichigkeit der mailäu-dÌ8chen Regierung in einigen eidgenössischen Orten sehr groß geworden; vorzüglich die Urner, welche als Gebieter im Livinenthal und Herren des St. Gott-hard-Passes in erster Linie betroffen waren, waren nahe daran, die Waffen zu erheben. Aber man fand auf einer Tagsatzung zu Luzern, im Januar 1477, die Dinge, mit welchen die Eidgenossen es gegenwärtig zu thun hätten, seien ohnehin schon schwer genug, und einer neuen Verwickelung bedürfe man nicht; dagegen wolle man gern gemeinsam dazu helfen, daß den Leuten von Uri und den anderen Eidgenossen ihr Recht werde. Dazu schien auch die vor-mundschaftliche Regierung für den im Knabenalter stehenden Erben, Gian Galeazzo, die Herzogin Wittwe Bona, den besten Willen zeigen zu wollen. Besonders durch die Hülfe von Luzern kam ein neues Capitulât am 10. Juli zu Stande, welches den Vertrag von 1467 zu ergänzen und zu befestigen bestimmt war. Das 1439 durch Uri eroberte, 1441 von Mailand abgetretene Thal Livinen wurde den Urnern in bestimmtester Weise bestätigt. Ebenso sollte Uri im ungestörten Besitze des Hospitales in Poleggio, dem untersten Dorfe von Livinen, und im Genüsse aller Zinse, Zehnten und Einkünfte dieser Stiftung aus dem mailändischen Gebiete bleiben. Andere Artikel bezogen sich auf Zölle, auf Fragen wegen des Geleites, wegen des schiedsrichterlichen Verfahrens, und auf weitere Dinge, die schon in früheren Verträgen behandelt worden waren. Doch sehr bald entstanden neue Streitigkeiten. Eine im Vertrage ausgemachte Zahlung der mailändischen Regierung wurde verzögert, und so kam es, daß die Besiegelung des Vertrages auf Schwierigkeiten stieß und die Urner durch eine förmliche Botschaft anderer Orte gebeten werden mußten, sich zu dieser Handlung herbeizulassen. Aber bis zum Herbste hin waren die hauptsächlichsten Schwierigkeiten dem Anscheine nach geebnet. Einer schweizerischen Gesandtschaft, die in Mailand selbst erschien, wurde am 12. October durch Cecco Simonetta, den Staats-secretär der Herzogin, die feierliche Zusicherung freundschaftlicher Gesinnung ausgesprochen, und schon am 10. des Monats war endlich auch die Urkunde ausgestellt worden, in welcher eine nothwendige weitere Bestätigung des Besitzes von Livinen für Uri ent- halten war. Unter Oberhoheit des Herzogs hatte nämlich das Domcapitel von Mailand die Grund-liurrschaft im Thale besessen, und eben am 10. October leistete das Stift zu Gunsten Uri's auf Livinen Verzicht. Allein schlie0lich band die überlegene Kunst der italienischen Diplomaten die eigentliche Erfüllung der für die Urner wichtigsten Vertrags-Artikel an Clausein, welche das ganze Resultat wieder als trügerisch herausstellten. Die Abtretung des Thales wurde an die Zustimmung des heiligen Vaters gebunden, und es war ein geringer Trost für Uri, daß die Versicherung gegeben wurde, das urnerische Siegel werde vom Vertrage abgelöst und zurückgegeben werden, falls sich die Unerfüllbarkeit der mailändischen Zusagen ergeben werde.
Die schlimmsten Voraussetzungen waren eingetroffen, ehe die Hälfte des folgenden Jahres 1478 verstrichen war. So wurden denn schon im Juni und darauf wieder im Juli auf eidgenössischen Tagen die lautesten Klagen der Urner vorgebracht, die raai-ländische Regierung halte den Vertrag nicht. Aber Huch von Bern, von 8t. Gallen und anderswo her liefen Beschwerden ein, und es war jedenfalls der am unrichtigsten gewählte Augenblick, als die Herzogin Ende Juli um Zuzug eidgenössischer Söldner gegen Genua bat. Die Luzerner Tagsatzung schlug das Begehren rund ab, da ja Mailand noch stets mit Uri im Streite liege, und in unangenehmer Weise wurde die Herzogin daran erinnert, daß die Eidgenossen im Burgunder-Kriege überall die Lombarden sich feindlich gegenüberstehend gefunden hätten.
Noch einmal machten die Urner den Versuch, durch eine eigene Gesandtschaft in Mailand zum Ziele zu kommen. Nun aber sahen sich diese Boten in der abstoßendsten und übermiithigsten Weise behandelt. Nachdem man sie Anfangs scheinbar freundschaftlich aufgenommen und dann vierzehn Tage lang hingezogen hatte, wurden sie mit dem Bescheide entlassen, die Urkunde, auf welche sich die Boten mit ihren Forderungen stutzten, müsse falsch sein, sammt den Siegeln, da der mailändische Gesandte niemals zu solchen Einräumungen die Vollmacht gehabt habe.
Natürlich lag in dieser Antwort an Uri auch eine Beleidigung der Schweiz überhaupt, und es sollte sich als ein verhängnißvoller Fehler der mailändischen Regierung herausstellen, daß sie gerade jetzt, trotz der in Italien selbst aufgetauchten Feindseligkeiten, sich eine weitere kriegerische Gefahr von der Eidgenossenschaft her heraufbeschwor.
Auf dem Tage zu Luzern nämlich, welcher am Tage vor Allerheiligen zusammentrat, erschien vor den eidgenössischen Boten eine päpstliche Gesandtschaft, welche diese mailändischen Fragen noch von einer anderen Seite her in helles Licht zu rücken den Auftrag hatte.
Der damalige Papst Sixtus IV. hatte den Willen, in ausgesprochenster Weise italienische Politik zu treiben, den Kirchenstaat herzustellen, zugleich freilich auch für seinen Sohn Girolamo Kiario eine Familien-herrschaft zu bilden. Doch dabei war er auf heftige Gegnerschaft gestoßen, welche die medicäischen Brüder ihm von Florenz aus bereiteten. An der Verschwo"- rung der Pazzi, welcher am 2. Mai 1478 Giuliano Medici zum Opfer fiel, war der Papst betheiligt. Aber der Zweck derselben wurde nicht erreicht; denn der überlebende Bruder Lorenzo sah durch Niederwerfung der Gegner seine Herrschaft um so mehr befestigt. Aber Sixtus excommunicirte nun die Florentiner und begann, verbündet mit dem Könige von Neapel, den Krieg. Florenz dagegen sah die Republik Venedig und die herzoglich mailändische Regierung auf seiner Seite. Da lag es im Interesse des Papstes, der Herzogin Bona im eigenen Lande Schwierigkeiten zu erregen, um sie zu zwingen, die Hülfstruppen, welche für Lorenzo bestimmt waren, zurückzuziehen. Zuerst wurde ein solcher Versuch in Genua gemacht; jetzt, Ende October, begannen ähnliche Anstrengungen der päpstlichen Politik gegenüber den Eidgenossen.
Der päpstliche Orator Gentilis de Spoleto, Bischof von Anagni, hielt vor der Tagsatzung einen Vortrag über die vielfachen Widerwärtigkeiten, welche die heilige Kirche durch die von Florenz und deren Burger, Laurenz von Medicis, welchen der Papst für einen Ungläubigen und Wucherer ansehe, erleide, sowie darüber, daß auch Venedig wider den Papst sei und beabsichtige, von den Eidgenossen Söldner angeblich gegen die Türken zu verlangen, diese aber thatsächlich gegen den heiligen Stuhl zu gebrauchen. So verlange er — damit schloß seine Rede — im Namen Sixtus'IV .Hülfe und Beistand für die Kirche. Aber außerdem war auch der gewöhnliche Unterhändler der Eidgenossen am päpstlichen Hofe, Bnrk- hard Stör, der Propst des im Berner Gebiet gelegenen Chorherrenstiftes Amsoldingen, mit dem Bischof erschienen. Auch der Propst ließ nun lockende Worte hören: der heilige Vater gebe denjenigen, welche den apostolischen Stuhl beschirmen, Fürsten und Herren, alljährlich große Summen. Er versprach nun im Auftrage des heiligen Vaters den Eidgenossen 30,000 bis 40,000 Ducaten jährlich, wenn sie das auch thun wollten.
Aus weiteren Verhandlungen mit dem Legaten geht klar hervor, daß der Papst ein Bündniß mit den Eidgenossen zu schließen gedachte, so daß dieselben als seine Verbündeten gegen Mailand zögen und ihr Unternehmen mit den Plänen Sixtus'IV .und seiner Partei in Italien sich verbinden würde. Damit sollte sich ein geheimes Unternehmen mailändischer Verschworener vereinigen, welches durch den Legaten in heimlicher Sitzung den eidgenössischen Boten eröffnet wurde: die Mailänder hätten die Absicht, sich mit Hülfe der Eidgenossen von der Herrschaft der Sforza zu befreien und diesen ihren Kettern aus der Knechtschaft zu Händen des deutschen Reiches zn huldigen.
Aber alle diese Berechnungen wurden nun durch den kriegerischen Ungestüm des schweizerischen Ge-birgsvolkes zerrissen, das sich durch seine natürliche Lage und jetzt vollends durch die erlittenen Beleidigungen stets zuerst zu Kriegsläufen nach dem schönen Welschland aufgefordert fühlen mußte. Jenes Wort, das der gelehrte Albrecht von Bonstetten, der dieser Zeit angehörende erstmalige Beschreiber der Eidgenossenschaft, schrieb, wurde wieder einmal wahr:
„ Harten Nackens sind die Urner und von kräftigem Leibe, stark in den Waffen; sie lieben es, gegen den Feind zu gehen, und wuthschnaubend beschreiten sie die Pässe des Hochgebirges ". Auch in diesem Male wurden durch die Urner die größtentheils dem Kriege ganz abgeneigten eidgenössischen Orte in den Kampf hineingerissen.
Wie so leicht in solchen Fällen, sind neben dem allgemeinen Gegensatze gewiß noch locale Streitigkeiten hinzugekommen, wenn auch deren Bedeutung nicht überschätzt werden darf. Zoll Streitigkeiten, vielleicht auch Fragen über die Verpflichtungen wegen des Unterhaltes des nach der Paßhöhe hinaufführenden Thalweges, reizten die Gemüther. Dazu kam noch eine Reibung von Dorf zu Dorf. Die beiden Dörfer Iragna und Lodrino, welche, schon außerhalb Livinens, auf dem rechten Tessinufer in der Kiviera liegen, waren durch die Capitulate unter Mailand belassen worden. Aber an die Kastanienwälder bei diesen Ortschaften glaubten die Liviner Ansprüche zu haben, und so herrschte schon längere Zeit ein Rechtsstreit wegen des Holzschlages. Als nun die Herzoglichen von Neuem, wie auf ihrem eigenen Boden, Bäume fällten, kam der Streit zum Ausbruch, und die Liviner beklagten sich bei ihren Herren in Uri.
Jedenfalls waren die Urner schon im Herbst zum Aeußersten entschlossen, und auf demselben Tage zu Luzern, auf welchem die Botschaft aus Rom angehört wurde, erfuhren die Abgeordneten der eidgenössischen Orte, daß man unmittelbar vor einer kriegerischen Entscheidung stehe. Die Urner forderten von gemeiner Eidgenossenschaft Hülfe und Beistand; denn sie seien zum Kriege entschlossen, weil vielfache ver-tragswidrige Belästigungen der Mailänder ihre Angehörigen diesseits und jenseits des Gebirges betroffen hätten. Man wußte in Luzern, daß allbereits viele Knechte den Urnern gegen Mailand zu Hülfe ausgezogen seien, und es war sicher zu erwarten, daß die Dinge sich nicht mehr zum Stillstand bringen ließen. Dennoch siegte noch einmal die Kriegsunlust der Mehrzahl der Orte: man hat sich daran zu erinnern, daß ja gerade in diesen Wochen der Streit wegen des Burgrechts fast zur Siedehitze angewachsen war, und nun sollten die Städte ihre Zuzüger dem Rufe des unbesonnenen Volkes von Uri folgen lassen! So wurden fünf Orte, darunter die zwei Städte Zürich und Luzern, aufgefordert, an die Landsgemeinde zu Uri auf den St. Martinstag ihre Boten zu schicken und die Urner zu bitten, den Kriegszug noch zu verschieben: man wolle durch ein Schreiben von Mailand Genugthuung verlangen, dann aber freilich, wenn solche nicht erhältlich wäre, mit Leib und Gut aller Eidgenossen zu Hülfe kommen. Angesichts der harten Jahreszeit schien es insbesondere unräthlich, den Ausmarsch zu wagen.
Aber Uri war nicht mehr zurückzuhalten. Schon am 13. November schrieben Landammann und Eäthe, daß sie sich durch die Botschaften nicht hätten abschrecken lassen, in ihren Vorbereitungen für den Krieg fortzufahren. Schon seien urnerische und andere Kriegsgesellen aus der Eidgenossenschaft vorangezogen, und diese dürften sie nicht im Stiche lassen, sondern müßten ihnen folgen. So wollten sie denn morgen Samstag mit ihrer ganzen Macht und dem Landespanner ausziehen und gegen den Feind gehen. An diese Anzeige war die dringende Bitte geschlossen, daß auch die übrigen Eidgenossen mit ihren Rüstungen folgen möchten.
Das war die Lage, welche die am St. Otmarstag — 16 November — in Luzern zusammentretende Tagsatzung vorfand. Zwar wurde noch einmal der Versuch gemacht, zurückzumahnen; denn wegen der rauhen Winterszeit und aus anderen Ursachen erschien der Krieg im gegenwärtigen Augenblick allzu ungelegen. Wenigstens drei Boten von jedem Orte wollte man den Urnern nachschicken, sie zu mahnen, daß sie wieder heimzögen und das Ergebniß einer Unterhandlung mit der Herzogin abwarteten. Auch in der Antwort, welche die Tagsatzung der Bitte des Vogtes zu Baden, eines geborenen Urners, gab, tritt diese Abneigung gegen den Krieg zu Tage. Es wurde ihm gesagt, für seine Person dürfe er wohl in den Krieg ziehen; doch solle er gehörig für seine Stellvertretung sorgen und die Mannschaft seiner Vogtei zu Hause lassen. Allein noch während der Tagsatzung muß man erkannt haben, daß dem Kriege kein Riegel mehr vorgeschoben werden könne, und so wurden für den Zug nach der Lombardei die Mannschafts-contingente für die gemeinen Herrschaften — also nun auch für Stadt und Grafschaft Baden ( hundert Mannund die zugewandten Orte festgesetzt, im Ganzen 1095 Mann.
In den nächsten Tagen müssen die Absagebriefe 18 an Mailand abgeschickt worden sein, und zwar hielten sich nun auch die Städte nicht mehr zurück. Wenigstens erging am 27. November schon eine heftige Antwort aus Mailand an Zürich. „ Was denn ", sa hieß es da, „ den Zürchern, ihren Kaufleuten und Angehörigen, geschehen sei, daß sie sich dem groben, unvernünftigen Bergvolke von Uri, welches sich schon längst gegen alles göttliche und menschliche Recht verfehlt habe, anschlössen? Etwa, daß den Eidgenossen, wider den mailändischen Nutzen, große Vortheile und Freiheiten im herzoglichen Gebiet eingeräumt seien? Jetzt, nach kaum geschlossenem Frieden, wollten sie die herzoglichen Angehörigen, welche sich soeben erst theuer genug die Ruhe erkauft, wieder mit Krieg überziehen? Man sehe wohl, die eidgenössischen Städte seien vom gleichen Geiste beseelt, wie die Länder, ehenso begierig und blind heißhungrig nach fremdem Gute ". Am Schlüsse wurde mit allerdings berechtigtem Stolz darauf hingewiesen, daß derselbe Bote, der nach Mailand geschickt worden sei, unversehrt diese Antwort zurückbringe, menschlicher behandelt, als jener Briefträger Mailands, welchen die Urner in Verletzung des Völkerrechtes unter schwerer Mißhandlung zurückgeschickt hätten.
Auch Bern und seine Bundesgenossen von Freiburg, Solothurn und Biel sagten auf den 1. December den Aufbruch ihrer Truppen an, machte aber dessenungeachtet noch einmal am 22. November den Versuch, welcher freilich vergeblich war, den Frieden zu erhalten. Am 28. dann zeigte die Obrigkeit von Bern nach Luzern die bevorstehende Ankunft von 2500 Mann an.
Schon am 19. November hatten sich Hauptmann und gemeine Gesellen von Städten und Ländern der Eidgenossen, unter dem Commando des Landammanns von Uri, Andreas Beroldinger, an den unteren Grenzen Livinens auf herzoglich mailändischem Boden gezeigt. Iragna hatte eine Brandschatzung erfahren und augenscheinlich huldigen müssen; dafür wurde dem Dorfe ein Zeugniß ausgestellt, daß es künftig wie ein Glied der Eidgenossenschaft behandelt werden solle. Aber auch Biasca und das Thal Blegno wurden besetzt und mußten Treue und Gehorsam schwören. Inzwischen aber sammelte sich allmählich das gesammte eidgenössische Heer auf der Südseite des St. Gotthard.
Jedenfalls war es eine sehr ansehnliche Macht. Die 1000 Zürcher führte Hans Waldmann. Wohl doppelt bis dreifach so stark waren die Berner, Freiburger und Solothurner, die unter dem Schultheißen Adrian von Bubenberg zuletzt einrückten. Die Höhe der weiteren Contingente der einzelnen Orte ist nicht bekannt. Dagegen weiß man, daß der Abt von St. Gallen und die Stadt, ferner Schaffhausen, Rottweil, der Bischof von Cur, das Land Appenzell im Heere vertreten waren. Jedenfalls hatten auch die gemeinen Herrschaften ihre Truppen geschickt So waren vielleicht schließlich 10,000, nach einer mailändischen Nachricht sogar 14,000 Mann beisammen.
Der Platz, um welchen der Kampf sich zunächst entzünden mußte, war der Schlüssel zum St. Gotthard von der Südseite her, die durch ihre Lage, sowie durch starke Mauern und Gräben und die eine weitere Umgebung beherrschenden Castelle wohl geschützte Stadt Bellinzona. Die mailändische Regierung machte die kräftigsten Anstrengungen, den wichtigen Platz zu halten. Hatte schon immer eine Besatzung zu Bellinzona gelegen, so wurde nun trotz der anderweitigen kriegerischen Verwickelungen dafür gesorgt, daß von verschiedenen Seiten her in der ersten Hälfte des December Verstärkungen nach Bellinzona gelegt wurden. Je mehr die Zahl der Vertheidiger in der Stadt wuchs, um so geringer war die Hoffnung für die Eidgenossen, dieselbe zu gewinnen.
Ein erster thatkräftiger Anlauf zwar war gemacht worden. Es war am 30. November, und noch hatte sich bei Weitem nicht das ganze eidgenössische Heer zusammengefunden, da ja besonders die Berner und die Ihrigen noch weit jenseits der Berge waren. Aber auch die Besatzung von Bellinzona war noch durchaus nicht auf die spätere ansehnliche Höhe gebracht. Es befanden sich sogar noch eidgenössische Vermittler in Bellinzona, um im Auftrage der Obrigkeiten von Bern, Freiburg und Solothurn den Frieden wo möglich aufrecht zu erhalten, was allerdings im Widerspruch mit der schon geschehenen Verwüstung und der Aussaugung der Riviera durch die eidgenössischen Knechte stand. Manche im eidgenössischen Lager hatten es gar nicht gerne gesehen, daß die Boten nach Bellinzona hineingeritten waren. Aber auch jetzt verleugnete sich der tumultuarische Charakter dieses gesammten Krieges nicht. Während noch die Verhandlungen in Bellinzona im Gange waren, kam es an dem bezeichneten Tage auf einmal zu einem Angriff auf die Mauern der Stadt. Plötzlich liefen Gesellen aus dem eid- genössischen Lager, das sich nördlich der Moesa-Brücke befand, über den Fluß südwärts gegen Bellinzona vor: es sollen besonders Zürcher gewesen sein, die den Anfang machten. Einige lombardische Reisige stellten sich ihnen entgegen, und so kam es ungefähr auf derselben Stelle, wo 56 Jahre früher bei Arbedo die Mailänder einen gewaltigen Sieg errungen hatten, .zu einem Zusammenstoß von ungefähr. Die Lombarden wurden bis in die Thore zurückgejagt, die Stadt rings umschlossen. Auch die Vorstädte, der auf dem jenseitigen Ufer des Tessin liegende Monte Carasso wurden besetzt, und der Vorstoß machte sich bis zum Monte Cenere geltend. Aber noch mehr wäre möglich gewesen. Nach zürcherischen Nachrichten, die aus der nächsten Umgebung des Oberanführers Hans Waldmann stammen, wäre es in diesem Augenblicke der Verwirrung möglich gewesen, was etliche verwegene Knechte im Sinne hatten, Bellinzona mit stürmender Hand zu gewinnen; denn bei dem Sturm sei ein Stück der Ringmauer zwischen dem einen Schlosse und dem Berge gewonnen und ein großes Loch in die Mauer gelegt worden, so daß man durch dasselbe fahren und mit Saumthieren ziehen konnte. Da aber wurde, obschon auch die Luzerner schleunigst nachgerückt waren, auf eine weitere Ausnützung des Erfolges Verzicht geleistet. Nach unserem zürcherischen Gewährsmann Edlibach trug der Umstand die Schuld, daß es Einige im Felde gab, welche viel Kaufmannsgut in Bellinzona aufgestapelt liegen hatten, so daß sie für dasselbe Furcht hegten, wenn es bei einem Sturme den Knechten in die Hand fiele. Ueber dieser Un- einigkeit wurde der günstige Augenblick versäumt, welcher nicht mehr zurückkehrte.
Denn allerdings kamen nun die Berner nachgerückt und lagerten sich an einem besondern Orte nahe bei der Stadt; aber auch die Besatzung von Bellinzona wuchs in entsprechender Weise. Freilich geschah noch mancher Antrag, wie man die Stadt erobern wolle, und mehrmals war Alles zum Sturme geordnet, und gerüstet, der Angriff bestimmt beschlossen, so daß Jedermann wußte, wo er angreifen mußte. Doch niemals wurde etwas daraus, und als das ganze Heer etliche Tage so beisammen gewesen war, fiel arge Kälte ein. Niemand konnte es im Freien mehr aushalten; Menschen und Pferde begannen zu leiden, zumal da auch Speise und Trank zu fehlen anfing, weil Schnee und Unwetter den Saumrossen den Weg über den Berg verdorben hatten. Dazu entbehrte das eidgenössische Heer alles Belagerungszeuges; es war durchaus kein Geschütz da, um der Stadt zuzusetzen.
So wurde nach der Mitte des December nach einer Belagerung von siebzehn Tagen nächtlich der Aufbruch vollzogen, welcher in gegnerischen Berichten geradezu als schimpfliche Flucht ausgelegt worden ist. Aber auch ein Luzerner Bericht redet mit Unmuth von diesem unrühmlichen Abzüge, daß man vergebens große Kosten gehabt habe. Großartige Anstrengungen waren gemacht worden, ohne daß irgend ein Erfolg sich eingestellt hatte, und das war einem kriegs-berühmten, kampfgewohnten Volke geschehen, welches seit seinem Siege über Karl den Kühnen gewöhnt war, die Augen aller umwohnenden Fürsten und Völker auf sich geheftet zu sehen.
Aber auch ein Unglücksfall störte noch den Rückmarsch. Muthwillige Gesellen waren, wahrscheinlich im Val Tremola, nach der Höhe des Gebirgspasses hin jubelnd und schreiend, ohne die ihnen drohende Gefahr zu beachten, und auf Verbote nicht hörend, ihrem Haufen vorangezogen. Da riß sich durch die Lufterschütterung von den Bergwänden ein Schneesturz ab und begrub die Leute, so daß die Mehrzahl gleich todt blieb, Andere den Unfall nur kurz überlebten. Ueber sechszig Knechte hatten den Mangel an Vorsicht mit dem Leben bezahlt; aber auch Rosse und allerlei Geräthe waren zu Grunde gegangen.
Um das Weihnachtsfest, oder wenigstens ganz sicher gleich nach demselben, war der größte Theil des ansehnlichen Heeres in der Heimat wieder angekommen. Vielleicht hatten noch nicht alle Abtheilungen ihre Rückkehr bewerkstelligt, als nun ein über dem Berge zurückgelassenes Häuflein noch am 28. December über eine große Üebermacht des Feindes einen prächtigen Sieg davontrug, welcher allerdings den im Großen verlorenen Erfolg nicht herstellte, aber wenigstens die Ehre in vollem Maße zurück-gewann.
Das ist der Kampf von Giornico oder, wie die deutsche Zunge sich den Namen zurechtgemacht hat, von Irnis.
Bei dem Abzüge war zu Giornico eine Abtheilung von 175 Eidgenossen zurückgelassen worden, worunter 100 Mann von Uri, je 25 Mann von Zürich, Luzern und Schwyz; den Rest stellten in größerer Zahl die Bewohner des Thales Livinen selbst. Weiter abwärts befanden sich im untersten Theil des urnerischen Gebietes, bei Poleggio, einige kleine Befestigungen, zum Verschluß des untern Einganges des Thales. Aber Giornico schien für die Vertheidigung der Zugänge zum St. Gotthardpasse besonders günstig gelegen zu sein. Der größere Theil des Dorfes, auf der linken Seite des Tessin, auf welcher auch die Straße sich hier gegen Faido emporzieht, und verbunden mit der rechtsseitigen Abtheilung der Ortschaft durch eine Brücke, verschließt den Eingang zur alsbald oberhalb folgenden Thalenge der Biaschina, über welcher die nächste Thalstufe beginnt.
Die Mailänder wußten schon am 20. December durch zwei Einwohner von Lodrino, daß höchstens 200 Mann von dem eidgenössischen Heere diesseits des Gebirges zurückgeblieben seien. Aber obschon auf ihrer Seite sieh die ganz unvergleichliche Uebermacht befand, unterschätzten sie die Schwierigkeiten eines Angriffes in diesen kürzesten Tagen des Jahres und bei der Beschaffenheit des Landes keineswegs. Es wurde sogar ein gefangener Geistlicher aus dem Livinenthal an den herzoglichen Hof nach Mailand geschickt, um der Regierung einen Angriff abzurathen; dazu kam, daß unter den in Bellinzona liegenden Söldnern, welche zwar in der letzten Zeit wieder verstärkt worden waren, Murren entstand und der Wunsch nach Rückkehr laut wurde. Dessenungeachtet wurde auf den 28. December durch den Oberanführer Mar- silio Torello ein Angriff vorbereitet; denn man wußte im mailändischen Lager, daß an diesem Tage, demjenigen der unschuldigen Kindlein, die eidgenössischen Knechte vor Kampf sich scheuten und gerne ohne Beunruhigung geblieben wären. Der Luzerner Chronist, welcher die Schlacht erzählt, berichtet: „ Ich han von alten löten jewelten gehört, daß uff der Kindlinentag nit glücklich syg, krieglich oder ander groß Sachen, das bluotvergießen mag bringen, anzefahen oder für zenämen ". Zu diesem Zwecke wurden von mailändischer Seite am 27. die bis dahin zerstreuten Truppen-theile zusammengenommen und am 28. früh durch eine Zahl von wohl 14,000 bis 15,000 Mann — andere Ziffern greifen tiefer — der Vormarsch thalaufwärts begonnen. Dazu wurde noch eine Umgehung über die Berge, welche das Blegno-Thal von Livinen trennen, beabsichtigt, um das kleine Häuflein auch von den das Dorf Giornico östlich überragenden Bergen zu umfassen.
Es ist gar keine Frage, daß die Ueberraschung in ihren Anfängen vollständig gelang. Die Eidgenossen mußten die vorgeschobenen Posten bei Poleggio räumen, deren Bewachung sich thalaufwärts über Bodio gegen Giornico zurückzog. Leichte Erfolge harrten der Herzoglichen zu Poleggio. Da wurde eine der Jungfrau Maria geweihte Capelle geplündert und der an die Mauer des Hospitals gemalte Stierkopf des urnerischen Wappens weggehackt; in Viehraub und Fällung von Fruchtbäumen ließen die Angreifenden ihre Wuth aus, und einige Häuser gingen in Flammen auf. Aber inzwischen war die Besatzung von Giornico, welche mit den hinzugekommenen Leventinern etwa 500 bis 600 Köpfe betrug, aus der Ruhe aufgeschreckt, in Kampfordnung getreten. Die weiter unten stehenden Posten waren in das Dorf gelaufen und hatten Lärm-gemacht. Die Besatzung — die Ersten, welche sich erhoben, trotz der Winterkälte noch fast unbekleidet vom Lager aufgesprungen, wie sie waren — hafte sich gerüstet, gesammelt. Der Führer ordnete seine Schaar in zwei, nach einer andern Nachricht in drei Haufen, wobei man wohl annehmen darf, der eine sei gegen die mit der Umgehung beauftragte Abtheilung bestimmt gewesen. Die zunächst zum Kampfe beorderte Schaar eilte thalabwärts aus dem Dorfe hinaus gegen Bodio hin und besetzte etwa in der Mitte zwischen Giornico und Bodio, bei den Sassi grossi, die schmale Uferstrecke, wo eine schroffe Bergwand, von der einmal ein Bergsturz herniedergebrochen sein muß, nahe an den Fluß herantritt und die Straße ein-engt1 ). Es scheint auch, daß es gelang, noch einen von der Höhe kommenden Bergbach zu stauen und sein Wasser zu zwingen, daß es sich über den Weg ergoß, wo es alsbald gefror und das Vordringen für die Berittenen und Schwergerüsteten noch schwieriger machte. Zuerst braehten wohlgezielte Schüsse die vorwärts dringende Masse der Mailänder zum Stillstande; dann begannen von der Höhe herab die Steine zu rollen und in die gedrängten Reihen sich zu ergießen. In langem Zuge, enge in einander gekeilt, auf der ansteigenden beschneiten Straße, den wilden Fluß neben sich, waren nun die Tausende an jeder freien Bewegung gehemmt; alle Vortheile der Uebermacht waren verloren, ja in das Gegentheil verkehrt. Und nun bedurfte es nur noch eines letzten kräftigen Stoßes, so waren die bisherigen Angreifer gezwungen, einzig an den Versuch der rettenden Flucht zu denken. Unter furchtbarem Geschrei warfen sich die Eidgenossen auf die weichenden Truppen; in der Verwirrung erhöhte der Lärm dazu die Vorstellung von der Größe des soeben noch verachteten feindlichen Haufens; mit Hieb und Stich, unaufhaltsam vorwärts drangen die Hunderte und jagten die ungeordnete Masse der Tausende vor sieh her. Da war kein Halten mehr. Viele hatten den Feind gar nicht gesehen und eilten, ohne an Gegenwehr zu denken, nachdem sie die Waffen fortgeworfen, davon; dazwischen steigerten Maulthiere, welche sich losgerissen hatten, die fürchterliche Unordnung. So fielen Hunderte; andere fanden im tiefen Schnee ihren Tod. Manche ertranken in den Gewässern des Tessin und des Brenno; denn bis zur Brücke über diesen Bach, bei Biasca, reichte die Verfolgung. Weiter gingen die Sieger nicht vor. Was aus der Abtheilung, welche die Umgehung beabsichtigte, wurde, ist nicht bekannt. Höchst wahrscheinlich wurde sie durch den Schnee und die Unwegsamkeit der Pfade aufgehalten und kehrte dann, nachdem der Hauptschlag mißlungen war, ebenfalls unverrichteter Sache zurück.
Der Erfolg war ein ganz erstaunlicher, wie schon aus der Beute hervorging. Acht Schlangen, dreihundert Handbüchsen, fünfhundert Armbrüste, zahlreiche Hakenbüchsen wurden zurückgelassen; ferner gewannen die Sieger viele Pferde und Maulthiere. An Todten zählte man anderthalb tausend, und sehr werthvoll war die Gewinnung von 28 Gefangenen vornehmer Abstammung, welche reiches Lösegeld ver-hießen. Eine rechte Erwiderung auf das Hohngeschrei, mit welchem die Angreifer herangerückt waren, daß vor Bellinzona viele leer gewordene Gräber seien, welche sie wieder füllen möchten — eine Anspielung-auf die eidgenössische Niederlage von Arbedo —, war die Verfügung, daß die Leichname auf dem Schlachtfeld bestattet werden müßten. Der amtliche Bericht, welcher alsbald nach der Schlacht, Mitte Januar 1479, der Tagsatzung zu Luzern mitgetheilt wurde, spricht sich darüber in bezeichnenden Worten aus: „ Die unsern liant ouch die doten lichnam nit wollen lassen abfüren, sunder die im veld uff der wallstatt begraben, damit die von Belletz, die vil jar iren spott und liochmuot mit den Eitgenossen getriben hant, nu von hin ir jarzit ouch wissent ze began zwüschent Girnis und dem Clösterly, da die iren begraben ligen ".
Es scheint glaubwürdig zu sein, daß die Urner, Zürcher und Luzerner keinen Todten verloren hatten; ein Schwyzer starb kurz nachher. Dagegen hatten die Leventiner, welche wacker mitgeholfen hatten, einen viel bedeutenderen Verlust zu beklagen.
Die Besiegten haben ihre Niederlage gänzlich zugegeben. Schon um 2 Uhr in der Nacht meldete der Rath von Bellinzona an die herzogliche Regierung, daß durch nur 20Ü Schweizer eine schändliche Niederlage erlitten worden sei. Kurz nachher legte Pani-garola, welcher als mailändischer Gesandter im Hauptquartier Karls des Kühnen schon frühere schweizerische Siege hatte mit ansehen müssen, einläßlichen Bericht über das Unheil ab, immerhin so, daß die Schande auf einzelne Namen abzuladen versucht wurde, deren Träger durch ihr übles Verhalten die klägliche Flucht verschuldet hätten.
Der Luzerner Geschichtschreiber Diebold Schilling, dessen Schilderung zu den anschaulichsten Mittheilungen über die Schlacht zählt x ), schließt seine Er- Zählung mit dem derben Worte ab: „ Und also mit disser manlichen tat was dem krieg der halß ab ". Wie der ganze Krieg etwas Rasches, Unvorhergesehenes, zeitweise Tumultuarisches in seinem Beginn und Verlauf aufweist, so. ist auch diese Schlacht ein völlig improvisirtes Ereigniß gewesen. Uns kann hier die Fortsetzung dieser Begebenheiten nicht weiter beschäftigen. Der Friede, um dessen Vermittlung viele Bemühungen geschahen, kam erst nach schwierigen Verhandlungen im Mai 1480 zu Stande. Die Streitpunkte wurden geordnet, Livinen nun endgültig von augenscheinlich geborsten ist, wie die unordentlich übereinander liegenden Balken verrathen sollen. Höchstens auf zwei Dinge ist etwas Gewicht zu legen. Ein auf einer Felskuppe stehender Knecht läßt in ruhiger Arbeit gewaltige SSteinblöcke aus der Hand fallen und in die Tiefe sausen; andererseits wendet eine größere Zahl von Knechten, welche durch die Form ihrer Eisenhüte als Eidgenossen bezeichnet sind, am oberen Ende des Dorfes dem Beschauer des Bildes den Rücken zu und drängt mit gefällten Spießen und Hellebarden durch Hohlwege bergaufwärts. Ist das die Abtheilung, welche die Umzingelungstruppe abwehren sollteSchilling leidet an sehr starken chronologischen Verschiebungen, und so läßt er auch dieses Ereigniß von 1478 gleich auf ein solches von 1487 folgen, was ihn hinwieder nicht abhält, so fortzufahren, daß der in diesem Capitel zu 1478 bei Giornico in seiner Rüstung besiegte Herzog von Mailand am Schluß des Abschnittes den Tod durch Meuchelmord findet, welcher Tod thatsächlich im December 1476 einem Herzog von Mailand, nur einem anderen, dem Vater des 1478 regierenden, widerfahren ist. Nun aber hat Schilling in den Capiteln vorher viel von einem Bischof von Sitten, Jost von Silenen, gesprochen, welcher, 1482 erwählt, nachher nach seiner Wahl, von Wallis her Händel mit Mailand hatte.
Mailand abgelöst; den Eidgenossen sicherte die herzogliche Regierung ihre Zollfreiheiten und stellte die Zahlung einer anständigen EntschädigungssummeinAussicht. Dagegen ist hier noch eine Frage hinsichtlich des Verlaufes der Dinge am 28. December zu erörtern. Denn es wäre erwünscht, ganz genau zu wissen, wer durch die thatkräftige Beherrschung des Augenblicks das schon fast verlorene Glück der Waffen für das Häuflein Eidgenossen am Tessin gesichert hatte. Die Liviner selbst allerdings und, seit es nun einen Canton Tessin gibt, mit Vorliebe die Tessiner überhaupt, Dieser Jost von Silenen hatte selbstverständlich mit der Schlacht von Giornico nichts zu thun, weil ja seine Mailänder Händel neun Jahre später fielen. Dessenungeachtet flattert aber auf unserra Bilde des Gefechtes, wie über den Mailändern die Fahne mit der Schlange der Visconti, so über den Eidgenossen eine solche mit dem Löwen des Bischofs und seinem Bischofshut und Bischofsstab. Eine solche tolle Verwechslung erhöht natürlich die Glaubwürdigkeit des Bildes nicht.
In dem Artikel des „ Bollettino ", p. 131, ist von einem Bilde des Stanga Ticinese die Rede, das sich in der kleinen Kirche San Pellegrino bei Giornico befinden soll. Der wohl-erfahrene Kenner der Tessiner Kunstdenkmäler, Herr Prof. Rahn in Zürich, welcher auch dieses Kirchlein besichtigt hat, fand von einem solchen Bilde absolut nichts vor. Er selbst redet in seinen „ Neuen Tessiner Fahrten " ( Zürcher Taschenbuch auf 1887, p. 23 ) von einem al fresco gemalten Bilde eines Cavaliers in einem Hause zu Giornico selbst, das vor einigen Jahren für ein Bildniß Stanga's ausgerufen wurde: es stellt einen Mann vor, der jedenfalls hundert Jahre nach Stanga lebte. Dagegen sind allerdings in der Apsis der St. Nikolaus-Kirche Malereien aus dem Jahr 1478 welche aber mit der Schlacht durchaus nichts zu thun haben.
fordern die Ehre der Anfuhrerschaft für den Hauptmann der Liviner, Stanga, welcher nach dem Kampfe zum Tode verwundet auf der Schwelle seines Hauses gestorben sein soll. Ganz gewiß soll dessen Name seiner Ehre nicht beraubt werden; es ist auch sehr leicht möglich, daß die Tradition Hecht hat, wenn sie Stanga's klugen Rathschlägen einen Antheil am Siege beimißt. Daß aber die 175 eidgenössischen Zuzüger sich unter das Commando eines Liviners gestellt hätten, ist ganz ausgeschlossen. Vielmehr hatte wohl Uri, um dessen Sache es sich in erster Linie handelte, welches ganz abgesehen von den unter-thänigen Livinern ein ganzes Hundert seiner Leute auf dem Platze hatte, den Oberbefehl. Mag auch immer von Neuem der Luzerner Frischhans Theiling als der oberste Leiter genannt werden, so ist es doch im höchsten Grade unwahrscheinlich, daß Luzern, welches durch nur 25 Mann repräsentirt war, der ganzen etwa 600 Mann zählenden Schaar das Haupt gegeben habe. Wohl aber ist ganz sicher, daß Theiling in der Schlacht anwesend war, wahrscheinlich als der Führer jener Luzerner Abtheilung, und das Beste in derselben that.
Daß der Name Theiling's sich so untrennbar mit dem Siege von Giornico verband, hängt wohl nicht zum Geringsten mit den letzten Schicksalen dieses tapferen Mannes zusammen, dessen Gedenken auf alle Zeit in einen bestimmten Gegensatz zu demjenigen des Zürcher Helden Hans Waldmann gebracht ist. Während Waldmann, wenn auch nicht mit Recht, vielfach von bösen Zungen das Mißlingen der Belage- rung von Bellinzona vorgeworfen wurde, so sollte des Luzerners Theiling Name um so nachdrücklicher mit dem Erfolge verbunden werden, welchen die Hand voll Tapferer nach dem Abzüge des Hauptheeres davontrug. Waldmann und Theiling waren ja in der Auffassung politischer Fragen jener Zeit, der Behandlung der Angelegenheiten des Kriegsdienstes, welcher .zum Hauptgewerbe der Eidgenossen geworden war, einander entgegengestellt. Theiling war der Vertreter der Auffassung des gemeinen Kriegsknechtes, welcher den Kampf als sein Handwerk, die Beute als seinen Erwerb zu betrachten sich gewöhnt hat, welcher Mißtrauen hegt gegen die Staatsklugheit, der es gefällt, der dem gemeinen Manne innewohnenden ungestümen Tapferkeit Zügel anzulegen, und die demselben verbieten will, sich zu vermiethen, wo und wie es ihm beliebt. Auch Waldmann war zwar ein solcher freier Reisläufer gewesen; aber er war zum vornehmen Pensionsherrn emporgestiegen, der in staatskluger Weise die Anknüpfungen mit den fremden Staaten abwog und in bindenden Verträgen dem freien Gelüsten geschlossene Bahnen anzuweisen sich bestrebte. Die Erinnerung an die Ereignisse von 1478 brachte bekanntlich Theiling dazu, noch nach Jahren ein unbesonnenes Wort vor zürcherischen Ohren über das Zürcher Panuer und den stolzen Bürgermeister Zürichs fallen zu lassen, und so kam es, daß er 1487 in Zürich gefangen gelegt und als Staatsverbrecher hingerichtet wurde. Umsonst hatten Boten von Luzern ihre Fürbitten für ihren Landsmann eingelegt; die Beleidigung mußte gerächt werden.
19 So war auch in diesem persönlichen Gegensatze noch einmal jener Widerspruch zwischen der geschlosseneren städtischen Politik und dem freieren ungebundenen Treiben des Einzelnen zum Ausdruck gekommen, jener Streit, welcher in der Frage de » Burgrechtes im Jahre des Irniser-Krieges die gesammte Eidgenossenschaft getrennt hatte, welchen aber der ungestüme Aufbruch der Urner, in dieser Hinsicht zum Besten der entzweiten Orte, gerade im bedrohlichsten Augenblick für einige Zeit zurückschob.
Der Irniser-Krieg fällt in jene Jahrzehnte des fünfzehnten Jahrhunderts, in welchen die Anfertigung von Liedern über historische Ereignisse durch zeitgenössische Sänger sich wenigstens in einzelnen Leistungen zu künstlerischer Vollendung erhoben hatte. Allerdings-wird der poetisch hochbegabte Veit Weber von Freiburg in Breisgau, welcher als Sänger von Beruf und Krieger zugleich die Jahre der Kämpfe gegen Karl den Kühnen verherrlichte, von anderen Dichtern nicht erreicht. Aber auch diese schufen manches wackere Lied. Besonders war Luzern reich an solchen Schlachtliederdichtern, welche an den Dingen selbst theilnahmen und nachher entweder aus sich oder auf Bestellung Lieder dichteten und denselben im Volke bekannte Melodien unterlegten, wobei wohl der Eine und Andere selbst durch das Land zog und für Geld seinen Sang hören ließ.
Ein solcher Luzerner war nun auch Hans Viol, welcher zuerst ein Lied von der Schlacht bei Murten sang und hernach, gleich nach dem Ereignisse, den Kampf bei Giornico verherrlichte. Er stellt sich selbst als Dichter in der Schlußstrophe vor:
Der dis liedli am allerersten sang, Hans Viol ist er 's genant; zuo Luzern es ze lob erklang den Eidgenossen allen sant.
Er hat 's gesungen uß friem muot; er spricht, es war menger gerne rieh und lebte ander lüten glich:
so vermögen wir 's nit all am guot!
In allen diesen Liedern spielen die Wappenzeichen als Personificationen der verschiedenen Staaten eine bedeutende Kolle. Die einzelnen Kämpfenden auf befreundeter Seite werden gelobt, in rühmenden Worten hervorgehoben; auf den besiegten Feind, vollends, wenn er sich vorher ttbermttthig erhob, fällt Spott und Hohn. So ist hier die Schlange von Mailand dem Stier von Uri gegenübergestellt:
Die schlang von Mailand ist zogen uß, dem stier von Uri in sin land; deß ist die schlänge komen ze schand; nun merkend uf disen struß!
Denn dafür ist Mailand schwer gezüchtigt worden:
O Mailand, wärstu daheim bliben mit dim großen übermuot, hettest nit z'groß hoffart triben! Man spricht, es si nit guot. Man hat in gen der Kindlintag zuo einem nnwen jare.
Den Livinern dagegen wird ganz besonders für ihre wackere Mithülfe gedankt. Die Thalleute werden gelobt als „ die fromen Laviner ":
Die sind gewesen bi der selben schlacht so gar mit ritterlicher macht; des habend si pris und êr.
Die Hauptvorgänge des Kampfes sind klar nach einander geschildert: — zuerst „ bim Klösterli ", wie die Mailänder „ den büffelskopf an der mur " sehen: „ si staltend sich gar sur, si bickten in herab mit g'walt, mit lüejen und mit boßen, als ob s' in weltind stoßendann die Verwüstungen, die Drohungen des anrückenden Feindes, und hinwiederum die besonnene und ermuthigende Haltung des eidgenössischen Hauptmanns: „ Frisch umb ir knaben alle! ob got will, so gewinnen wir hüte guot und êrder Auszug der Knechte, kaum 600 Mann: „ gar ritterlich und gar stille nach ires herzen wille griffend vierzechen tusent anjetzt das wilde Kampfgetümmel: „ Schuß, stich, schlach in schümel! wir mâchent d'finde tür so gar mit ritterlichem muotund endlich die gewaltige Beute und die vielen feindlichen Leichen.
Ein letzter Punkt, den solche Dichter gerne hervorheben, ist der Preis der Gnade des Himmels, welcher den Sieg gab, das Lob der Heiligen, etwa des Schutzpatrons des Landes, wo die Schlacht geschah, oder der Stadt, welche die Schlacht gewann, häufig auch des Tages, in dessen Stunden der Sieg gewonnen wurde. Auch dieses thut Hans Viol:
Sant Gotthard sol man prisen; er schwebt im land so fri, er tet sin kraft bewisen: den sinen wonet er bi.
Aber auch der unschuldigen Kindlein wird gedacht, an deren Tag nun so Ernstliches hatte gewagt werden müssen:
Des dankend wir dem Herren Christ und Marien der viel reinen und den helgen Kindlin kleinen, ä an der tag es g'schehen ist.