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Der Jura

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Von Max Oechslin

Im frühen Morgen fuhren wir zur Mittellandstadt hinaus in den Jura hinein und hielten dann in einem dieser Dörfer, die diesem eigenartigen Bergland ihr Gepräge geben und von ihm ihren Aspekt erhalten haben; denn alle Dinge, die der Mensch im Einklang mit der Natur schafft, sind von ihr geformt und fügen sich in sie hinein, als wären auch sie vom ersten Tag an da gewesen. Das Juradorf hält in seinen graugelben Steinhäusern die Kühle fest, wenn die sommerliche Hitze über den Feldern und Waldhängen lagert, und wenn der rauhe, kalte Winter durch das Land streicht und aus dem Westen die Schneewolken herüber-jagen und die Schneemassen auf die weitausladenden Dächer schütteln, wenn die Bise aus dem Norden in die Täler streicht und in den Tann den Glanz des Rauhreifs hängt, dann ruht die Wärme im Wohnraum dieser Häuser, in deren Kamin die Scheiter glimmen. Auf dem Dorfplatz steht der Brunnen und plätschert sein Lied, das die Strasse auf und ab raunt, um das Summen dieses Lebensspenders in Ställe und Häuser zu tragen. Und wir sind das Dorf hinausgewandert, querfeldein. Der Frühling hatte das satte Grün zwischen die Mauern und Hecken gelegt, und bimmelnd schritten Kühe in ihrem abgemessenen Schreiten durch das frische Gras, den Kopf am Boden hinschiebend und mit regelmässiger Zungenbewegung das Futter fassend und ins Maul führend, die Beine wie Stelzen gestrafft und doch von der Bewegung durchströmt, die weidendem Vieh diese Schönheit von Rhythmus und Ruhe verleiht. Es liegt eine eigenartige Weite in diesen Tälern des Juras, die von Waldhängen gesäumt sind. Die Dörfer liegen einsam in ihre Mulden gebettet oder wieder in der so artigen Sichtweite, dass man von Kirchturm zu Kirchturm sieht und durch sie von der trauten Nachbarschaft weiss.

Wir stiegen in den Waldhang hinein, wo das Laubgehölz von der Vielfalt dieser grossen Pflanzengemeinschaft erzählt, in der alle Lebewesen dieses Einmalige bilden: den Wald! Wo immer du deinen Blick hinwendest, siehst du das Wachsen und Blühen der Natur, und selbst da, wo die im Herbst gefallenen Blätter vermodern und die verdorrten Kräuter unter sich betten, da keimt es und steigt der Duft satter, nährender Erde empor. Käfer und Würmer sind da. Und lauscht dein Ohr, so hört es die Musik der unermüdlich hin und her summenden Insekten hundertfältiger Art, und aus den Büschen tönt das Piepen der Vögel und aus den Kronen ihr Singen und Jubilieren. Durch diesen Wald stiegen wir den schmalen Fussweg hinauf, der abseits der Strasse in weitausholendem Zickzack uns hinauf führte, an einem Bächlein vorbei, über eine Felsbandstiege, durch eine Klamm, als sei sie der Eingang in eine Märchenwelt, hinauf in den Tannwald. Er scheint eintöniger zu sein, der Nadelwald der Fichten und Weisstannen, zu denen sich längs felsigen Kuppen die knorrige Föhre gesellt und in die hinein sich so oft die herrischen Ahorne stellen, breitkronig, als wollten sie sagen: Platz da, für mich, der ich im Frühling das frische Grün und im Herbst das herrliche Gold meiner Blätter in euer dunkles Nadelkleid trage! Wieviel Schönes finden wir aber immer wieder im stillen Nadelwald, wenn wir ihn über steinigen Weg durchschreiten oder kreuz und quer, weglos sein Nadel- und Moospolster betreten und fast den Atem anhalten möchten, um nicht diese wunderbare Stille des Waldes zu stören. Der Vögel Lieder vertonen hier ganz anders, und der Mücken und Fliegen Summen verströmt im Halbdämmern des Nadelwaldes fast feiner. Wo ein Strahl durch die Kronen fällt, da ringelt sich der Sonne Spielen zwischen den Stämmen und kündet Wärme und Licht.

Die Alpen - 1953 - Les Alpes23 Wortlos durchstiegen wir den Wald und traten in die Weidlichtungen, in diese einzigartige Landschaft der Juraweiden, wo Wald und Wiesen sich zu einem Ganzen mengen, wie man es in solcher Ausgeglichenheit in unsern Gemarken allein im Jura trifft. Mitten in die Weite der Wiesenweiden stellen sich vereinzelte, breitkronige Ahorne, deren Stämme Individuen gleichen, jeder ein Stamm, jeder ein Charakterbaum. Und die Tannen vereinigen sich zu Gruppen, alte Fichtenstämme, die Jahrhunderte an sich vorübergehen sahen, Jahre reicher Ernten und der Freude, aber auch Jahre der Not. Aber unter ihrem Geäst finden weidende Kühe Schutz und Schirm, wenn die Sonne heissen Sommertages über der Weide brütet, Gewitter mit rollendem Donner und peitschendem Regen und Hagel über die Höhen jagen, oder wenn die Stille der Nacht die letzte Ruhe in diese Einsamkeiten bringt. Und ab und zu stellen sich zu diesen altehrwürdigen Wetter- und Weidtannen die jungen Fichten, wie ein grosser Kreis von Kindern, die sich schützend unter den Schoss der Mutter stellen. Wie eine Hecke sehen sie aus, benagt von den Weidetieren, von den Kühen und Ziegen und Schafen, bis endlich ihre Gipfeltriebe von diesen nicht mehr erreicht werden und sie aufzuwachsen vermögen, oft mitten ins Geäst der Mutterbäume hinein, als wollten sie mit ihren feinen Zweigen die knorrigen Äste der alten Bäume liebkosen.

Auf den Weidwiesen leuchten die goldenen Sterne der Osterglocken-Narzissen, deren Blüten so königlich vom hellgelben Kelchkragen gesäumt sind und deren Blätter wie ein Szepterstab neben ihnen stehen. Blaue Enziane gesellen sich zu ihnen und bilden mit den Primeln, den gelben und roten, und mit all den vielen Blumen einen bunten Teppich, dass man fast zögernd über die Wiese hinwegschreitet, um nicht bösen Tritt zu tun.

Einsam steht ein Gehöft mitten in dieser Waldwiesenlandschaft, neben sich den ein-gehagten Garten und das Fettwiesenpferch, von der Steinwallmauer gesäumt. Eine Ferme im wahren Sinn des Wortes, etwas Geschlossenes: Stall und Haus und ab und zu ein Nebengebäude und der Sodbrunnen zum Gehöft vereinigt. Ruhe und Stille gehen von ihm aus, Freundlichkeit und Güte von ihren Menschen, die wortkarg sind, Kinder ihrer Landschaft.

Weiter sind wir gestiegen, Wald und Weide, Haus und Menschen zurücklassend, über die mager werdende Weide, weil Wind und Wetter, Sonnenglut und Kälte hier der Vegetation gebietet, sich zu ducken. Aber zwischen Felsbänken und Platten behaupten sich dennoch satte Kräuter und die zu Polstern vereinigten Blüten, Zeichen wahren Berglandes.

Und wir standen auf der Kuppe des Juraberges und sahen hinüber zum Kranz der Alpen, zu den Spitzen und Firnen und Gletschern. Wir sahen vor uns das weite Mittelland mit den Wiesen und Äckern und Wäldern, mit den Seen und Silberbändern der Flüsse, den Dörfern und Städten. Und wir erkannten neben uns zu beiden Seiten und hinter uns die Höhenzüge und Täler des Juras, dunkler in ihrem Gesamtbild als alles, was vor uns lag. Wir schauten unsere Heimat Schweiz: gleich einer gewaltigen, fürsorglich und wohlwollend geöffneten Hand liegt sie da. Dort die Fingerspitzen, die Berge, von denen aus der Firne Blut ins Geäder rinnt, das durch fruchtbares Mittelland tausendfältig in Bächen und Flüssen zieht, durch diese herrliche Schale, in der die Seen wie silberglänzende und wieder himmelblaue Perlen liegen und den Rand säumen. Und hier der Jura, die Wurzel dieser Hand, die uns hält und uns erhält, die alle unsere Freude und unser Glück birgt und die besorgt unsere Nöte und unser Leid in sich nimmt und uns mütterlich betreut. Die Grosse Hand unserer Heimat, deren starke, knorrige und doch wieder so gute Wurzel der Jura bildet.

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