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Die Cresta di Santa Caterina am Nordend

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Mit 3 Bildern ( 130—132Von Hans Oertli

( Basel ) Vom Oberen Findeier Rothorn her sah ich zum erstenmal die Nordseite des Monte Rosa und die Schönheit des Grates, der sich vom Nordend zum Jägerjoch senkt. Sanft geneigte Firnfelder führen zu einem gezackten Felsabsturz, der in der edel gerundeten Linie des schneebedeckten Joches endet. Sie war es vor allem, die mich eigentümlich bewegte, wie der Faltenwurf eines Mantels von Raffaels Hand. Das gleiche Bild sah ich ein Jahr später im Aufstieg zum Rimpfischhorn am frühen Morgen. Im rötlichen Gold der ersten Sonne strahlend, schwebte der Monte Rosa fern und hoch über den dunklen, nebligen Tiefen, dem Himmel näher als der Erde.

Das waren wunschlose Freuden der Augen und des Herzens, ohne alpinistische Nebengedanken, denn dass ich den Berg einmal von Norden besteigen könnte, ahnte ich nicht. Auch als mir mein Freund Alexander Taugwalder vorschlug, aufs Jägerhorn zu gehen, dachte erst er im geheimen daran, ich nicht. Mir lag nur der Blick auf die geliebte Ostwand im Sinn und der Wunsch, einmal dem mächtigen Felsenfuss des Nordend nahe zu kommen, dem nördlichen Abschluss des Monte Rosa, wie man ihn vom Gornergrat aus sieht. Der erste Versuch endete weit unter dem Jägerjoch im tiefen Schnee und dicken Nebel. Aber ihm folgte ein wolkenloser Tag auf dem Jägerhorn. Lange verweilten wir auf ihm und konnten uns nicht satt sehen am Wunder der Ostwand. Dank ihrer leichten Einbuchtung, die durch die vorgeschobene Lage der Signalkuppe und des Jägerhorns entsteht, gewährt dieser kleine, verborgene Berg aus nächster Nähe eine unvergleichliche Schau auf die grösste und schönste Wand der Alpen. Doch immer wieder und immer mehr fesselte der Grat meine Augen, der gerade vor uns vom Jägerjoch zum Firn des Nordend aufspringt in riesigen Sätzen, wie zu Granit erstarrte Wasserwogen, scharf und steil, oft senkrecht, manchmal überhängend, zur Linken in ungeheurer Flucht hinabschiessend in die Tiefe der Val Anzasca. « Eine schwindelnde Brücke, hinausgebaut in die leere Luft », schreibt Kugy von ihm. Für mich war er zuerst nur eine erregende Vision, denn ich sah nicht sogleich die — andere — Leidenschaft des forschenden, suchenden Bergsteigers in Alexanders Augen. Zudem stand die Einsicht in die Grenzen meiner « Kletterkunst » in schroffem Gegensatz zum Aspekt des Grates und zur Angabe von Marcel Kurz im Walliserführer: « Plus difficile que tout ce qui a été fait dans le massif du Mont Rose jusqu' à présent » ( 1937 ).

Selbst als wir vom Jägerjoch noch über den leichten Schnee- und Felsgrat bis gegen den Fuss des ersten Absturzes hinaufstiegen und ich, fröstelnd im kalten Wind, zu seinem überhängenden Dach hinaufschaute, wagte ich Nachdem der obige Aufsatz, ohne meine Kenntnis vielfach abgeändert, in « Berge der Welt » ( 1. Band, 1946 ) erschienen ist, bin ich der Redaktion der « Alpen » dankbar, dass sie ihn in der primären Form hier zum Abdruck bringt.Dr. H. Oe.

37ÓQDIE CRESTA DI SANTA CATERINA AM NORDEND kaum zu hoffen, dass mir diese « schwierigste » Tour am Monte Rosa einmal beschieden sein werde. Aber Alexanders passioniertes Verlangen, sie zu versuchen, übertrug sich ganz allmählich auf mich, und meine Bedenken zerstreuend, erklärte er sich sogar bereit, einen zweiten kleinen Alpinisten mitzunehmen, meinen fünfzehnjährigen Sohn Hans, der sich nach anderen grossen Touren en attendant an der Nordwand des Breithorns bewährt hatte. Einzig verlangte er, dass ein zweiter Führer mitkomme Dieser war in Alexanders Schwager Karl Biner schnell gefunden, und so wanderten wir vier am 16. Juli 1944 in die Betempshütte, mit vergnügten Sinnen und in jener freudigen Erregung, wie sie die Spannung am Vorabend einer grossen Fahrt erzeugt. ich möchte sie am liebsten mit der erwartungsvolle! Seligkeit des Kindes vor Weihnachten vergleichen, vielleicht ein ganz klein wenig gemischt mit der halb angenehmen, halb ängstlichen Ungewissheit vor dem « Santiglaus ».

Auf dem schon vertrauten Weg zum Jägerjoch am nächsten Morgen beflügelte wohl die Ungeduld unsere Schritte. Um 2 Uhr verliessen wir die Hütte, querten nach einem kurzen Aufstieg gegen das Obere Plattje in dunkler Nacht die apere Zunge des Monte-Rosa-Gletschers und legten das Seil erst an, nachdem wir das felsige Grätchen « Ob See » überschritten hatten, das ihn vom oberen Gornergletscher trennt. Als wir auf dem harten Schnee seiner weiten, welligen Hänge eilenden Fusses aufwärts stiegen, erschien über ihnen die schmale Sichel des abnehmenden Mondes, der eben aufging, während schon die Dämmerung den Himmel um ihn erhellte und die dunkle, schwere Granitbastion des Nordend zu unserer Rechten rötlich färbte. Die hohen Regionen des Berges sind dem Auge noch verborgen, und doch ahnt es aus diesem gewaltigen Fundament seine ganze Grösse.

Erst unter dem Jägerjoch hielten wir an, denn jetzt trafen die Strahlen der Morgensonne den Monte Rosa, und langsam ergoss sich ihr Glanz über die Eis- und Felsflanken des Nordend, dass sie geheimnisvoll aufleuchteten wie von innen her. Gegen Osten reichte unser Blick über das Fillarjoch in weite Fernen, und plötzlich trat aus ihrem Dunst die lohende Sonne hervor und zeichnete auf dem ebenen Firnfeld vor uns ein goldig glitzerndes Band, wie ich es nie gesehen hatte. Aber auch die Cresta di Santa Caterina ist vom Licht überflutet, und verweilen durften wir nicht. Schon vor 6 Uhr erreichten wir das Joch und stiegen sogleich bis unter die erste Gratstufe. Hier banden wir uns in neuer Reihenfolge ans lange Seil. An der Spitze Alexander, als einziger in Kletterschuhen und mit Mauerhaken und Karabinern. Wir verwendeten vielleicht deren vier, alle am ersten Ressaut und nur zur Sicherung. Hinter Alexander kam Karl Biner mit dem schwersten Sack, auf den er an den schwierigsten Stellen noch den leichteren seines Schwagers lud, dann ich, der als bescheidenen Beitrag an die Tour den Transport von drei Pickeln übernahm, und zu hinterst der kleine Hans als unbeschwertes Glückskind.

Etwa um halb 7 Uhr gingen wir weiter und standen nach wenigen Schritten vollends am Fuss des turmgleich sich aufrichtenden Grates. Achtzig Meter hoch ist dieser Turm und so steil, dass man den Kopf stark zurückbiegen muss, um zu seiner überhängenden Spitze hinaufzublicken. Von ihr fällt zur Linken eine glatte Wand fast lotrecht in den Abgrund von Macugnaga, und nicht weniger steil und glatt ist die Kante des Turmes, während die Felswand zur Rechten von Bändern und Rissen durchzogen ist, ohne die selbst den geschicktesten menschlichen Händen und Füssen jede Möglichkeit einer Besteigung benommen wäre.

Zunächst führten uns ansteigende Traversen nach rechts und entzogen einen Teil der Ostwand unserem Blick. Aber auch so ist die ferne wie die nahe Welt von einer Grossartigkeit ohnegleichen. Immer wieder schauten wir hinüber zum Weisshorn und in die unermesslichen Weiten Italiens. Über uns leuchtet blau und weiss der gewaltige Eisgürtel, der sich um das Nordend schlingt, und bezaubernd schön ist der vielfarbige Fels, in dem wir klettern. Auch er hat Grosse. Die mächtigen Blöcke und Platten sind wie für die Ewigkeit gebaut und zusammengefügt, und berauschend ist die Pracht ihrer Ecken und Kanten, wenn sie sich abheben vom tiefblauen Himmel. Mein Bub und ich haben Musse, die Lust des Schauens auszukosten, während Alexander langsam hinauf- und vorwärtsdringt. Steil ist zwar die Wand und der Platz oft schmal, auf dem wir stehen. Aber unerschütterlich wie der rauhe Fels, an den wir uns lehnen, ist das Vertrauen in die Meisterschaft unserer beiden Führer. So fühlen wir uns sicher und empfinden sorglos den eigentümlichen Reiz, die Welt von einem luftigen Adlernest aus zu betrachten und auszuruhen zugleich von den freudvollen Mühen des Kletterns.

Weder den alten noch den jungen Adler tragen die Schwingen leicht von einem Nest zum andern. Auf bisweilen heikle Quergänge mit kleinsten Griffen und Tritten folgen steilste, anstrengende Aufstiege, einmal, hoch oben schon, über eine sehr schwierige Platte. Doch gerade hier bewies uns ein alter rostiger Haken, mit welcher Sicherheit Alexander die Route wählte. Dieser Haken, ein Paar eingefrorene Steigeisen und ein Tuchfetzen, den mein Bub mitnahm als Reliquie, waren die einzigen menschlichen Spuren in der sonst unberührten Wand. So erfüllte zu allen anderen Freuden die Spannung des Ungewissen unsere Herzen und das ganz besondere Glück des « hors des chemins battus ». Es strahlte wohl auch aus dem Lächeln Biners, wenn er — wie ein Tibetaner anzuschauen mit der wolligen Kappe und dem verbrannten Gesicht — hoch über mir vor dem Himmel mit geduldiger Nachsicht den behutsamen Kletterer betreute.

Nach der schweren Stelle hielt uns eine tückische Verwicklung des Seiles lange auf. Selbdritt auf engstem Raum zusammengedrängt, mühten wir uns um die Entwirrung der Schlingen und Knoten. Dann leiteten uns leichtere, jedoch mit Schnee und Eis bedeckte Platten zurück zum Grat und auf die Höhe seiner ersten Riesenstufe. Fast drei Stunden hatten uns ihre achtzig Meter aufgehalten, und ohne Säumen setzten wir unseren Weg fort.

Nach der jähen Wand schien uns der Grat leicht und nicht steil, und sogar die zweite, kleine Stufe, die uns wieder ein wenig nach rechts abdrängte, bemerkten wir kaum. Aber keinen Augenblick verliert die « schwindelnde Brücke » ihren grossen Charakter, und mit unerschöpflicher Phantasie sind die gewaltigen rohen Granitblöcke geformt und aufgetürmt, über die wir klettern. So schön ist alles, dass keine Steigerung mehr möglich scheint, Die Alpen - 1947 - Les Alpes30 und doch kommt sie. Noch einmal bäumt sich der Grat leidenschaftlich auf in einem senkrechten Turm. Zwar ist er nur halb so hoch und nicht so schwierig wie der erste, aber viel mehr als er « hinausgebaut in die leere Luft » und von der Welt losgelöst. Das freundliche Joch, das uns mit ihr verband, liegt tief und viele Stunden unter uns, und es sind andere, einsame Bezirke, denen er angehört. Unnahbar ragt er in den Himmel, und die fast überirdische Klarheit der grossen Höhen umleuchtet uns, während wir aufwärtssteigen in eine wilde, zugleich erhabene und unheimliche Einsamkeit, immer nahe oder auf der Kante des Grates, von dem die Ostwand zweitausend Meter hinunterstürzt in die oberste Val Anzasca.

Kein Ton dringt aus dem Tal mehr zu uns empor. Nur das Geräusch fallender Steine unterbricht die tiefe Stille des Mittags, dessen Wärme die winterlich verschneite Ostflanke des Nordend auftaut. Der Anblick dieser Felsenwildnis ist von einer beklemmenden Grossartigkeit: ein Chaos steilster Rippen und Wände, zwischen denen schwindelnde Couloirs in den Abgrund schiessen, bald enge Risse, bald riesige, tief in den Berg eingegrabene Rinnen. Um so bedrückender wirkt das Bild auf uns ein, als ein Teil der Wand uns noch überragt. Aber das leise Gefühl des Grauens, das sie erregt, wird gemildert durch die Schönheit der funkelnden Séracmauer über ihr, der wir jetzt so nahe gekommen sind, dass wir den ganzen Reichtum ihrer Eisskulpturen mit blossem Auge sehen können, und über dem blendenden Weiss breit ausladender Wächten leuchtet der tiefblaue Himmel Italiens. Weithin dehnt sich das gesegnete Land unter einem lichten Dunst, in dem die Konturen zahlloser Berge und Hügel sich abzeichnen und die Seen — kleine blaue Striche — in unendlichen Fernen, und in einem unbegreiflichen Glanz erstrahlt die Gletscherpracht des Colle delle Loccie.

In dieser grossen Welt nimmt uns die Spitze des Turmes auf zur ersten ruhigen Rast. Es ist ein schmaler Felsenvorsprung, auf den wir uns setzen, gleichsam schwebend über der Tiefe der Ostwand. Bewegten Herzens, denn zur schier übermächtigen Fülle der Gesichte und Gefühle kommt das selige Bewusstsein des sicheren Gelingens. Wir wissen, dass das Schwerste hinter uns liegt, und Alexander mag mit uns der Wärme danken, die uns ohne Handschuhe klettern liess, aber auch dem kalten Wind, der uns gerade jetzt, zur rechten Zeit, aufscheucht aus unserem wunschlosen Frieden.

Der Gang über den Firngrat, der an den Fuss der letzten Stufe hinaufführt, ist wie ein mildes, ruhevolles Interludium zwischen den leidenschaftlichen Passagen der Felsen, doch schön und gross wie alles an der Cresta di Santa Caterina. Dass nichts an ihr unbedeutend, kleinlich ist, hebt sie so weit empor über viele grosse Grate der Alpen.

In den guten Stufen Alexanders, die notwendig sind, weil wir des Gewichtes wegen nur ein Paar Steigeisen mitgenommen haben, wanderten wir auf der dünnen Firnbrücke, hoch über den Abgründen der Ostwand, zur Basis des letzten Felsenturmes, der uns noch einmal zum Ausweichen in die Risse und Bänder zur Rechten zwang. Nach allem, was vorangegangen, erschienen sie uns zwar nicht mehr schwierig, aber es war doch ein seltsamer Augenblick, als wir endlich aus der schwindelnd schmalen und steilen Welt des Grates auftauchten und plötzlich, von einem Moment zum andern, die weite Ebene des Nordendfirns betraten, wo wir uns wieder frei und ohne auf unsere Füsse zu achten, bewegen konnten. Vom Grat sahen wir jetzt nur noch die in die Luft hinaushängende Spitze des dritten Turmes. Der ganze Teil unter ihm ist so steil, dass er dem Auge verborgen bleibt; erst die 450 Meter tiefer gelegenen Schneehänge jenseits des Jägerjoches sind wieder sichtbar. Ein unvergleichlich phantastischer Blick und — ein grosses Tageswerk für unsere langsame Vierergemeinschaft. Fast acht Stunden hatte uns der Grat in Atem gehalten. Aber ich meine, durch die lange Mühe und Anstrengung, die sie von uns forderte, lebe die Cresta di Santa Caterina um so grosser und schöner in unserer Erinnerung.

Die Freude, einen solchen Weg zu gehen mit dem Kinde, in dessen Herzen der Funke zu glühen beginnt, der das eigene Leben wärmend überstrahlt, will ich nur andeuten; ich kann sie Alexander, dem guten Freund, nie genug danken.

Nach einer kurzen Rast stiegen wir über die Firnfelder auf den Gipfel, durften aber leider auch auf ihm nicht lange verweilen; denn der Grat zum Silbersattel hinunter, der sonst den nächsten und schnellsten Abstieg vermittelt, bestand aus Eis. So wäre das Problem der acht Füsse und zwei Steigeisen nur durch einen zeitraubenden Stufenpfad zu lösen gewesen, und wir entschlossen uns zum längeren, doch sicheren Heimweg über die Nordwestbastion, die wunderschöne, leichte Route, über die ich ein Jahr zuvor mit Alexander und Hans hinaufgestiegen war.

Nebel brandeten aus den heissen südlichen Tälern zum Monte Rosa empor, während wir heimwärts schritten, und hüllten uns bald ein in ein lähmendes Grau, das die breiten Firnhänge uferlos machte. Dank Alexander und Karl fanden wir zwar nach einem kleinen Irrweg den Abstiegsgrat. Aber schon hatte uns das Einsinken im weichen Schnee des späten Nachmittags so sehr ermüdet, dass mein Bub und ich das Auf und Ab der Gratfelsen den unangenehmen Umgehungstraversen im abschüssigen, rutschigen Schnee der Nordflanke vorzogen.

Noch lieber als die leichteste Kletterei wäre uns jetzt ein braver und guter Weg gewesen, auf dem wir träumend hätten wandern können, denn die Nebel waren gewichen, und unter uns lag der unendlich ruhig fliessende, breite Strom des Gornergletschers. Doch wir waren noch nicht am Ende unserer Mühen. Über die warmen Felsen einer niederen Wandstufe mit erquickenden Bächlein stiegen wir vom Grat zum Monte-Rosa-Gletscher hinunter, der, durch und durch aufgeweicht und überreich an Spalten, besonders von unserem kleinsten Bergsteiger einen letzten schweren Aufwand von Energie und Aufmerksamkeit verlangte, bis wir uns auf dem festen Boden des Oberen Plattje des Seiles entledigen konnten. Die Sonne war untergegangen und die grosse, stille Nacht der Berge schon hereingesunken, als vier müde Wanderer endlich die Hütte wieder erreichten.

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