Die Fiescherhornnordwand | Club Alpino Svizzero CAS
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Die Fiescherhornnordwand

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Erste Begehung durch eine Schweizer Seilschaft ( 28./29. 6. 1947 ) ( Interlaken ) Die Rotglut der Eisriesen wird schwächer. Düster und unaufhaltbar naht die Nacht. Das sorgsam behütete kleine Feuerchen ist erloschen. Jeder starrt vor sich hin, und seine Gedanken mögen nicht recht in diese Umgebung passen. Noch liegt sie vor uns, die grosse Fahrt durch die Wand, über deren Führe seit Urzeiten nie eines Menschen Fuss gegangen ist. Wir haben uns diesem Locken gestellt.

Eine grüne Insel inmitten grosser Eisströme, das ist der Zäsenberg. Vereinzelt trifft man im oberen Teil die steinernen Biwakumrandungen, von Männern erstellt, die den grossen Berg angingen. Farrar, Lammers, Schumacher, Weizenbach, Vörg und Hermann Etter. Alle kamen und gingen, ob Sieger oder Besiegte, nur ihre Spuren blieben zurück. Dahinter erhebt sich erschreckend aufgetürmt die gewaltige Fiescherhornnordwand aus Eis und Fels, 1300 m hoch bis zu ihrem Gipfel. Der Zdarskisack hält uns alle drei schön warm, Ernst Reiss, Dölf Reist und mich. Unruhig funkeln die Sterne am Himmel. Hin und wieder fallen Eis oder Steine mit dumpfem Gepolter, oder es kracht drüben im Gletscherbruch.

Die Alpen - 1948 - Les Alpes24 DIE FIESCHERHORNNOKDWAND, 4049 m Der anbrechende Tag findet uns am Fusse der Nordwand. Langsam tasten die ersten Sonnenstrahlen ihre Fluchten ab. Wir prüfen ein letztes Mal die Aufstiegsroute. Drüben, gegen den Ochs, donnern Eis und Felsbrocken die Wand hinab. Ständig ist es lebendig dort, und das schon am frühen Morgen! Grosse Mengen sind unterwegs und stossen ein Delta von Eis und Fels in das harte Gletscherbecken vor. Der Firn zeigt uns die steinschlagfreie Rippe an, rechts neben der Gipfelfallinie, welche wir zum Einsteigen benützen. Kurz nach dem Passieren des Bergschrundes geht der Aufstieg in steilem, losem Fels rasch in die Höhe, wobei wir alle sich nur bietenden Sicherungsmöglichkeiten ausnützen. Rotbraune Felsbänder wechseln mit grauem, kaltem Gneis. Aber bald wird der Fels besser, doch vom Eis belegt. Nur allzu trügerisch sind oft.Tritte und Griffe. Der Pickel findet hier reichliche Arbeit, und klirrend saust das Eis in die Tiefe. Morscher, fauler Fels wechselt mit eisglasig überzogenen Platten. Meter um Meter rücken wir aber aufwärts. Wo sich keine Sicherungsmöglichkeiten bieten, muss der Mauerhaken helfen. Läuft einmal das Seil durch den Karabiner, dann ist die Sicherheit der Seilschaft doch erhöht. Mit zunehmender Höhe verschwindet der Fels langsam unter dem Eis, und vor uns liegt eine endlos steile weisse Flanke, links abgeschlossen durch eine senkrechte Eisbarriere, und rechter Hand verhüllen Wolken jede Sicht.

Es ist Mittagszeit. Wir sind erst in halber Wandhöhe. Dolf sammelt'mit Mühe im Feldflaschenbecher einige Tropfen Schmelzwasser. Plötzlich bietet sich, etwa 200 m zur Linken, ein grandioses Schauspiel: über die Wand herab fegt ein schwerer Eisschlag. Die Luft zittert. Es donnert und brüllt. Fast endlos stürzen riesige Eisbrocken die Wand hinunter, schlagen auf, zerstäuben in zahllose Stücke und fegen zur Tiefe in den Firnkessel. Der Berg zeigt uns seine gefährlichste, heimtückische Waffe.

Knirschend krallen sich die Zehnzacker in das Eis. Die Knöchel springen fast aus den Gelenken. Wir hofften, hier gut begehbaren Firn anzutreffen, und werden nun leider bitter enttäuscht. In schmutziges, zerbröckelndes Eis schlagen wir unsere Stufen. Stundenlang geht es durch dieses steile Blankeis in zäher, harter Arbeit hinauf, und langsam nähern wir uns einem riesigen, blaugrün schimmernden Eiswulst. Ein Hindernis, das selbst unsere kühnsten Erwartungen übertrifft! Jetzt, wo wir schon die Nasen an der steilen blanken Wand haben, scheint es uns fast unmöglich, über diese Barriere zu kommen. Aber ein Auskneifen gibt es nicht mehr, wir müssen hinüber. Wolken und Nebel hüllen uns nun ganz ein und verbergen auch die grausige Tiefe. Ernst formt Tritte und Griffe. Die herausgeschlagenen Eisstücke trommeln mir auf Kopf und Schulter. Aber auch Dolf ereilt weiter unten das gleiche Schicksal. Er steht in einer grossen Standstufe, als letzter Garant der Sicherheit. Die Seile sind nass und laufen schlecht durch die Karabiner. Umständlich versuche ich, einige verbogene Eishaken wieder zu richten, was in dieser Lage etwas schwierig ist. Ernst ruft: « Achtung, die Eisnägel halten hier nicht! » Die morsche Unterlage ist nicht fest gefroren. Aber wir trösten uns damit, dass die Haken nötigenfalls doch halten... Aufmerksam verfolge ich die Arbeit des Führenden. Längst färbt Blut seine Spur. Seine Hände sind aufgerissen vom Eis und von einem gelegentlichen Fehlschlag mit dem Eis-pickelhammer. So ist die Umgebung der Haken rot markiert. Langsam, ganz langsam nähert sich Ernst der obern Kante des Wulstes. Das Wetter verschlechtert sich. Ein kalter Fallwind fegt herab, und es beginnt zu graupeln, unablässig und dicht. Aber die Eisnase ist überwunden!

Nacht ist geworden. In zwei Stunden brechen Ernst und ich eine Biwak-stufe in das steile Eis. Es ist Mitternacht, da sie bezugsbereit ist. Dolf bringt noch die letzten Sicherungen an; abgekämpft sitzen wir im Zdarskisack. Der Höhenmesser zeigt auf 3800 m. Dei Gipfel ist also nicht mehr fern. Noch sind wir zum Essen viel zu müde. Donnerrollen und Blitze erhellen uns sekundenlang die schaurige Umgebung. Am Mittellegigrat fahren die Feuer-bündel in den Fels.

Proviant, Schuhe, nasse Socken, nackte Füsse und anderes mehr, alles steckt einträchtig im Rucksack. So geht nichts verloren, denn was über den Rand des kleinen Biwakplatzes gestossen wird, stürzt Hunderte von Metern die Wand hinab. Nach Stunden melden sich Kälte, Hunger, Durst. Mit Sardinen, Speck und Traubenzucker « heizen » wir unsere Körper auf. Das Hochgewitter verzieht sich und macht einem leichten Schneefall Platz. Doch auch nach dieser endlosen Nacht naht aus dem Osten endlich der herbeigesehnte junge Tag.

Wieder schlagen wir im Nebel durch das Eis eine endlose Spur von Stufen. Kurz nachdem ich in der Führung Ernst abgelöst habe, stossen wir auf Firn, gut begehbaren Firn! Eine Seillänge — und wir stehen vor der überhängenden Gratgwächte, die links gut zu umgehen ist. Die Wand verliert hier von ihrer Steilheit, was ein sehr rasches Hochkommen ermöglicht, so dass wir um 10.00 Uhr den Gipfel erreichen.

Still, stumm und verlegen stehen wir da. Wir haben den Berg bezwungen. Aber er hat von uns das Letzte gefordert. Der Himmel hellt auf, und grell und heiss brennt die Sonne. Drohend steht aber über dem südlichen Eigerjoch eine schwarze Wolkenwand. Ein dumpfes Rollen verrät Ungutes. Der Himmel wird grau, und die Sonne verfinstert sich. Und plötzlich ist der Wetterumsturz da. Wir streben eilig dem Fieschergrat zu. Über Joch und Pässe jagen Wolken wie grosse Tiere ins « Ewigschneefeld » hinab. Die Hitze weicht wieder der Kälte, und Schneeflocken wirbeln im tollen Reigen. Ab und zu fällt einer von uns in den weichen Firn. Nass und knietief ist dieser Schnee, und unsere Spuren gleichen dem Weg Betrunkener. Trügerisch sind Spalten und Löcher überdeckt. Die Fäuste umklammern starr das Seil, um sofort den fallenden Körper des Kameraden aufzufangen...

Hart am Walcherenhorn ( 3705 m ) geht es vorbei über Schrunde und Eisabbrüche in Richtung Unteres Mönchsjoch. In der fünften Nachmittagsstunde stossen wir die Hüttentüre im Bergli auf. Der heisse Tee, die trockenen Decken und das frische Stroh wirken Wunder. Gott möge dem ein Königreich schenken, der hier oben eine Hütte erbauen liess! Aber auch dem, der dort drei Suppenwürfel zurückgelassen hat. Sie waren unsere einzige Nahrung. Wir fanden hernach tiefen, stärkenden Schlaf.

Spät noch suchten wir dann im Hüttenbuch die Namen der Männer, die diese Wand erstmalig auf anderer Route durchstiegen. Längst ruht der grösste dieser Kämpfer im kühlen Eisgrab des unermesslichen Nanga Parbat. Aber nach ihnen kamen andere, und nach uns kommen wieder andere...

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