Die Geschichte des Splügenpasses. | Club Alpino Svizzero CAS
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Die Geschichte des Splügenpasses.

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Als ich vor 56 Jahren als Gymnasiast von Chur aus zu Fuss in den Rheinwald wanderte und den Splügenpass überschritt, waren die landschaftlichen Eindrücke so überwältigend, dass ich in der Folge viele Dutzend Male dem berühmten Passweg mich zuwandte. Durch eigene Beobachtungen und sorgfältige Umschau in der Literatur sammelte ich allmählich ein reichliches Material, das über die geschichtlichen und kommerziellen Verhältnisse, über die Art der Bevölkerung und den Charakter der Landschaft wichtigen Aufschluss bietet. So glaube ich denn, berechtigt zu sein, in einer kurz gedrängten Monographie die wichtigsten Ergebnisse meiner Studien der Öffentlichkeit mitzuteilen, um so mehr, als solche alpingeschichtliche Studien in unserm Kreise bisher nur selten zum Wort gelangt sind und somit eine vorhandene Lücke ausgefüllt werden kann. Der Aufsatz wird aus dem Chaos der Überlieferungen nur das, was als sicher oder wenigstens als wahrscheinlich sich ergeben hat, herauslesen und im weiteren das weniger Bekannte, das in Handschriften oder nicht leicht zugänglichen Werken enthalten ist, herausgreifen. Auch die älteren Karten gaben oft erwünschten Aufschluss über unklare Verhältnisse. Besondere Rücksicht wurde auf den Vergleich mit andern Bergpässen genommen, um die nimmer ruhende Konkurrenz hervorzuheben. Was den Handel betrifft, war Kürze am Platz, weil für die älteren Zeiten genaue statistische Angaben fehlen und der neuere Verkehr sich leicht überblicken lässt. Ein Hauptgewicht wurde auf die aus früheren Jahrhunderten stammenden Berichte von Reisenden gelegt, die in der Regel schätzenswerte Einzelheiten deutlich darstellen. Die italienische Seite des Passes bis Chiavenna, die sich auch kürzer gestaltet als die schweizerische von Chur an gerechnet, wurde in geringerem Masse berücksichtigt. Die Geschichte des Splügenpasses bietet auch deshalb ein grosses Interesse, weil in ihr vielfach die Geschichte Graubündens und schliesslich der Schweiz sich spiegelt.

Als um den Beginn der römischen Kaiserzeit im Jahre 15 vor Christi Geburt die Feldherren Tiberius und Drusus die im Norden der Alpen gelegenen Länder Rätien und Vindelizien unterjocht hatten, lag es den römischen Kaisern daran, Truppen auf den nächsten Wegen dorthin senden zu können, um diese Eroberungen festzuhalten und zu erweitern. Die rätischen, d.h. Graubündner Alpen stellten nun den nächsten Weg dar zwischen Mailand, dem wichtigsten militärischen Sammelplatz in Oberitalien, und Augsburg, der bedeutendsten Stadt im Südosten Deutschlands, die zur Verteidigung des eroberten Vindelizien und zur Abwehr gegen Angriffe, die aus dem Norden Germaniens drohten, vorzüglich geeignet war. Das rätische Gebirge bot aber durch seine orographische Beschaffenheit den Durchzügen von Truppen Vorteile, die den Zentralalpen weniger zukamen.

Während bei den Zentralalpen das Gebirge vielfach in tiefe, langgestreckte Täler mit engem Grund eingeschnitten ist, wie beim Gotthard und Grossen St. Bernhard, bilden die Graubündner Berge bei ihrer eigentümlichen Massen- erhebung ein Hochland, in dem die Täler oft zu weiten Ebenen sich ausbreiten und die Bergwände weniger hoch emporsteigen. Die Wege führen nur auf kürzere Strecken durch ödes Bergland, die Seitenwände zeigen bis zu einer relativ bedeutenden Höhe eine ansehnliche Pflanzenwelt, so dass für durchziehende Menschen und vor allem für die Lasttiere das Futter nicht mühsam nachgeschleppt werden musste, sondern an Ort und Stelle selber vorhanden war. Gerade beim Splügenweg, wenigstens auf der Schweizerseite, treten diese Vorteile der Massenerhebung, die auch die Ursache eines milden Klimas und frühzeitiger Schneeschmelze ist, deutlich in die Erscheinung.

Der alte, wissenschaftlich hochstehende Geograph Strabo ( zur Zeit des Augustus ) berichtet schon, dass das rätische Gebirge oft von Kriegszügen überschritten worden sei. Aber einen zuverlässigen Beweis für die Begehung von Bündnerpässen in der römischen Kaiserzeit liefern zwei untrügliche Tatsachen. Einmal sind uns aus dieser entfernten Zeit mehrere Itinerarien überliefert, d.h. Reisekarten, auf denen die wichtigsten Stationen und, was eine Hauptsache bildet, die Entfernungen in Meilen angegeben sind. Wir besitzen zwei Itineraria Antonini, nach dem Kaiser Antoninus benannt, Bearbeitungen aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts, und die für uns wichtigere Tabula Peutingeriana aus dem 3. Jahrhundert, in welcher der Splügenpass unzweideutig angegeben ist. Einen zweiten sicheren Beweis für die Benützung desselben durch die Römer liefern die zahlreichen römischen Münzen, die an verschiedenen Stellen dieses Passes gefunden worden sind.

Zunächst ist es notwendig, die Richtung des Weges selbst eingehender zu verfolgen. In mehreren Berichten über Splügenfahrten, die als Handschriften aus dem 16. Jahrhundert in der Zentralbibliothek Zürich sich finden, melden die Reisenden, dass sie von Chur her über Ems und alsdann, den Hinterrhein und die St. Georgskapelle bei Rhäzüns zur Rechten lassend, über Fürstenau nach Thusis gelangt seien. Dieser Weg wurde nicht zu allen Zeiten gewählt, aber bis gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts war der Reitweg, welcher von Ems über Vogelsang an dem steilen Hang, über dem das Dorf Feldis liegt, nach Rothenbrunnen und das Domleschg hinaufführt, der über Reichenau und Rhäzüns auf dem linken Ufer des Rheins sich hinziehenden Verkehrslinie gleichwertig oder sogar ihr überlegen. Er verlor, teils aus politischen, teils aus wirtschaftlichen Gründen an Ort noch vor 1800 seine Bedeutung und wurde dem Verfall überlassen. Auf der Karte von G. Walser ( um 1740 ), welche die Landschaft Raetia mit den Grenzgebieten darstellt, ist von Ems weg bis Thusis auf beiden Rheinseiten je eine « Landstrasse » eingezeichnet, die eine über Rhäzüns, die andere über Fürstenau. Der jüngst verstorbene Chr. Tarnuzzer, Theobalds würdiger Nachfolger in der Erforschung der Graubündner Gebirgswelt, weist nun in seinem Buch 1 ) darauf hin, dass während des letzten Krieges dieser Weg auf der rechten Rheinseite von Soldaten wieder erstellt worden sei. Eine Begehung legte mir die Schönheit des Weges vor Augen. Leider musste ich bei einem zweiten Besuch feststellen, dass einzelne Stellen schon wieder in Zerfall geraten waren.

Bei Thusis steht der Reisende vor steil sich emportürmenden Felsmassen, die von der schauerlichen und ungangbaren Schlucht des Verlorenen Loches durchspalten werden. Aber der Erfindungsgeist der alten Römer war um einen Ausweg nicht verlegen.

Es soll nun zunächst unsere Aufgabe sein, den gewöhnlich benützten Weg von Chur aus bis Chiavenna, wie er nach der Überlieferung und nach gründlicher Erforschung des Geländes sich darstellt, in seinen Einzelheiten zu schildern, soweit es möglich ist. Der Weg führte von Chur über Reichenau nach Rhäzüns, von wo er, um den Engpass von Juvalta zu umgehen, nach rechts hin rasch in die Höhe stieg. Alsdann erreichte er die unter sich in gleicher Höhe gelegenen Dörfer des Heinzenberges, Präz, Sarn, Portein, Flerden, und dann stieg man entweder nach Thusis ab oder überschritt gleich weiter oben die Nolla. Um die tiefe Rheinschlucht zu umgehen, zog sich der Weg steil an den Hängen des Piz Beverin hin gegen Summapunt zu einer Höhe, die der des Splügenpasses gleich kam, an den hoch gelegenen Dörfern des Schamsertales Lohn, Mathon, Wergenstein vorbei und zur Umgehung eines tiefen Tobeis nach Vallatscha bei der schönen Alp Annarosa, welche den Splügenpass an Höhe ebenfalls übertrifft, sodann in östlicher Richtung weiter an der linken Seite des Piz Vizan nach dem Lai da Vau, Perfils und steil hinab nach Sufers. Vom Wege, der direkt aus diesem Dorfe am Fusse des Kalkbergs vorbei nach Splügen führte, zeigen sich noch Spuren, ebenso sind die vielen Kehren, die jenseits des Dorfes in der Schlucht des Häuslenbaches emporleiten, noch deutlich wahrnehmbar. Diese Wegspuren reichen aber offenbar nicht auf die Römerzeit zurück, da die Römer Wege in wasserreichen Schluchten nicht liebten. Auf der Südseite zog der Weg von Chiavenna durch Val Giacomo nach Campo dolcino, von dort über steile Hänge nach dem Dorfe Madesimo und dann leichter nach der Hochebene, wo das Berghaus 1 ) errichtet ist. Später wurde von Campo dolcino ein kürzerer Weg nach Isola im Hintergrund des Lirotales und von dort durch die Schlucht Cardinell nach dem Berghaus hinauf angelegt. Diese Wegstrecke war aber zu allen Zeiten durch Lawinen äusserst gefährdet, bis die neue Strasse durch geschicktere Wahl des Geländes und Errichtung langer Galerien den Reisenden genügende Sicherheit bot.

Hier ist auch der Ort, über einen Pass zu sprechen, der gemäss einer alten Überlieferung parallel dem Splügen nach dem Rheinwald geführt haben soll. Hinter Isola befinden sich bestimmte Spuren einer mit Steinen gepflasterten Strasse, die von Isola links neben dem Tambohorn durch die Alp Areua nach Nufenen zog. Am Fusse des Tambohorns, wo seit undenklichen Zeiten ein grosser Gletscher liegt, stand ein Wirtshaus, aus dem eine kleine Glocke noch aus dem Gletscher hervorgeholt und nach Isola zum Gebrauch getragen worden ist. In Nufenen vereinigte sich diese Strasse mit derjenigen von Misox, ging dann über Medels, durch die Alp Alvana ins Tal Safien und über das Mittagshorn, d.h. beim Güner Kreuz, nach Pitasch und Ilanz hinaus. Noch rühmen sich die Pitascher, dass einst eine saumbare Landstrasse ( Chiavenna-Ilanz ), die nur 16 ½ Stunden lang war, durch ihr Dorf ins Oberland geführt habe. Geschichtskundige Leute in Safien, mit denen ich über diese Überlieferung sprach, erklärten mir, dass auch in Safien hierüber eine bestimmte Überlieferung fortbestehe und an einem solchen Verbindungswege nicht zu zweifeln sei.

In dem einen Itinerar des Antoninus ist zwischen Chiavenna und Curia noch eine Station Tarvesede erwähnt, die Peutingersche Tafel führt daneben noch die Stationen Cuneus aureus und Lapidaria an. Während mit den Distanzen übereinstimmend unter Tarvesede der Ort Madesimo und unter Cuneus aureus das Berghaus ( Dogana ) angesehen werden darf, ist über die Station Lapidaria, die auf Schweizerseite liegen muss, nichts Bestimmtes festzustellen. Nach meiner Ansicht ist sie in der Mitte zwischen Thusis und Splügen zu suchen, in der Höhe oberhalb Andeer, etwa da, wo auf dem Siegfriedatlas bei der Alp Annarosa die Namen « ilg Boign » ( das Bad ) und « Heilquelle » eingetragen sind. Die Annahme, dass wegen der verwandten Bedeutung des Namens die Station Lapidaria nahe beim Maiensäss Saissa unweit oberhalb Thusis anzusetzen sei, scheint mir deshalb unhaltbar, weil Haltestellen nie auf steilen Jochübergängen errichtet wurden. Zudem liegt Saissa zu nahe an Thusis, wo doch offenbar auch eine Hauptstation anzunehmen ist. Schliesslich könnte auch Thusis selbst unter dem Namen Lapidaria verstanden sein.

Als zweite Bergstrasse Bündens in der römischen Kaiserzeit ist nur noch der Julier mit voller Sicherheit ausgewiesen. In den Itinerarien sind auf der Julierlinie zwischen Chiavenna und Chur die Stationen Murus ( Castelmur ) und Tinnetione ( Tinzen ) übereinstimmend genannt. Vom Septimer, der gegenüber dem Julier eine Abkürzung von etwa drei Stunden bedeutet, ist auf den alten Karten noch keine Rede; auch scheint der gänzliche Mangel an Münzfunden darauf hinzuweisen, dass diese Abkürzung zur Römerzeit wenigstens für grösseren Verkehr nicht benützt worden ist, während auf dem Julier im Jahre 1854 und in Burwein bei Conters schon im Jahre 1789 ganz bedeutende Münzfunde sich ergeben haben. Die zahlreichen Spuren einer Strasse in der Schlucht zwischen Septimer und Casaccia stammen nicht aus der Römerzeit, sondern sind Überreste der Strassenverbesserung, die Jakob von Castelmur ums Jahr 1400 ins Werk gesetzt hat. Leider sind nie römische Meilensteine entdeckt worden, und auch über die Bedeutung der Säulen auf der Passhöhe des Julier herrscht noch keine Klarheit.

Von Chur weg, wo die Strassen vom Julier und Splügen sich vereinigen, bestand gegen Norden hin ein Strassenzug, der auf dem rechten Ufer des Rheines über die auf der Peutinger Tafel genannten Ortschaften Magia ( Maienfeld ) und Clunia ( Schaan ) nach Bregenz und weiter gegen Augsburg führte. Bei Sargans wendet sich eine Abzweigung nach Westen gegen Walenstadt. Ein römischer Übergang über den Kerenzerberg wird zwar vermutet, ist aber keineswegs erwiesen. Dass auf dem Walensee Handelsschiffe verkehrten, ist bekannt, und die weitere Route, hauptsächlich auf dem Wasserweg, nach Turicum ( Zürich ) wird sicher überliefert. Dieser Ort war eine bekannte Zollstätte und bildete eine wichtige Station auf der Strasse nach DIE GESCHICHTE DES SPLÜGENPASSES.

Vindonissa, Augusta Rauracorum und den rheinischen Städten Strassburg und Mainz.

Im Strassenbau bewiesen die Römer grosses Geschick, sowohl was die Wahl des Geländes als auch was die Kunst der Ausführung betrifft. Schwer zugängliche Schluchten und Hänge, die durch Lawinen oder Überschwemmungen grossen Gefahren ausgesetzt waren, wurden sorgsam gemieden. Aus-gedehnten Sümpfen, überhaupt feuchten Stellen, wichen sie aus und bevorzugten eine Trasse auf der Sonnenseite und in solchen Gebieten, die den Winden weniger ausgesetzt waren und wo die Schneemassen im Frühjahr bald zu-sammenschmolzen. Vor steilen Auf- und Abstiegen schreckten sie nicht zurück, ja, man findet nicht selten Steigungen von 20-25 und mehr Graden. Beim Maloja gab es zur Römerzeit nur 3 Kehren, die später in 9 umgewandelt wurden; jetzt zählt man deren 22. Was die Römer « Strassen » nannten, waren zum mindesten Wege, die, mit Steinplatten besetzt, sicher und trockenen Fusses begangen werden konnten. Für häufige und umfangreiche Truppen-schube bedurfte man aber einer festeren Bahn. Zahlreiche Überreste von Strassen, vornehmlich im Bergell, zeigen eine Lage von Kugelsteinen, die an beiden Seitenrändern von festgefügten Randsteinen zusammengehalten sind. Die Strassen zeigten durchschnittlich eine Breite von etwa 2 Meter. Spuren von Wagengeleisen bringen bei der Julierstrasse den sicheren Beweis, dass sie mit kleinen Wagen befahren werden konnte. Ob auch der Splügen stellenweise für Wagen benutzbar war, ist weniger sicher, aber ein fester Fahr-damm bestand auch dort.

Ausser für Heereszüge wurden die rätischen Alpenstrassen zur Römerzeit auch für den Handel benützt. Dieser mochte anfänglich in engen Grenzen sich bewegen und hauptsächlich auf die gewöhnlichen Bedürfnisse und Luxusartikel römischer Offiziere und Ansiedler in den germanischen Garnisons-städten sich beschränken. Da aber die Städte in den Donaugebieten, am Rhein und auch in Helvetien, immer mehr zu ansehnlicher Blüte sich entwickelten, so steigerte sich allmählich auch der Handel von Waren, die praktischen Lebensbedürfnissen dienten. Sicher geht der Handel mit Wachs, Honig und Käse, die der Schweiz eigentümlich sind, auf uralte Zeiten zurück, auch Harz und Pech, die aus Nadelholz gewonnen wurden, bilden alte Handelsgegen-stände. Ja, die Waldbäume selbst wurden in den Handel gebracht. So wird berichtet, dass der Kaiser Tiberius Lärchenstämme zum Bau von Schiffen aus Rätien nach Rom habe führen lassen. Der Handel aus Italien nach Germanien nahm aber jedenfalls eine grössere Ausdehnung an als der in umgekehrter Richtung. Öl, Früchte, Wein, auch Kleidungsstoffe wurden nach dem Norden geliefert, während von Norden her der Schub von Sklaven Verkehr brachte.

Über die Art und Weise, wie sich der Verkehr über die beiden Römer-pässe im einzelnen gestaltete, herrscht eine spärliche Tradition. Aber nach den politischen und kriegerischen Verhältnissen jener Jahrhunderte kann nicht bezweifelt werden, dass ein äusserst lebhafter Verkehr sich auf ihnen abwickelte. Dabei muss anerkannt werden, dass damals dem Julier Eigenschaften zukamen, die seine Bevorzugung wahrscheinlich machen. Es kann für unseren Zweck von Interesse sein, noch einen kurzen Vergleich über die Vorteile und Nachteile der beiden Pfade anzustellen, die zum Teil auch noch im Mittelalter und in klimatologischer Beziehung auch in der Neuzeit ihre Geltung haben.

Vor allem kommt es dem Julier zugut, dass er durch Lawinen in keiner Weise gefährdet wird, während der Splügen schon zwischen dem Dorfe Splügen und der Passhöhe, dann aber vor allem auf der Südseite von der Ebene bei Monte Spluga weg bis Campo dolcino den Lawinen in hohem Masse ausgesetzt ist. Auch die Schneeschmelze trifft beim Julier ( 2288 m ) weit früher ein als beim niedrigeren Splügen ( 2118 m ). Ich selbst habe den Julier zu allen Jahreszeiten zu Fuss überschritten und so die Wegverhältnisse, soweit sie von der Witterung beeinflusst werden, kennengelernt. Am 13. April 1921 lag z.B. auf der Engadinerseite, obschon der Pass nicht « geöffnet » war, fast kein Schnee mehr, und unsere Reisegesellschaft konnte sich bei den Juliersäulen auf aperem Boden lagern. Auch mitten im Winter, am 16. Januar 1918, zu einer Zeit, da nur für kleine Schlitten oberflächlich gepfadet war, gelang es mir, zu Fuss durchzukommen, wenn auch mit Mühe, da die Pferdespuren verweht waren. Der Julier zeigt dagegen im Oberhalbstein zahlreiche sumpfige Stellen, so in den Ebenen von Marmorera und von Roffna. Diese sowohl als auch die schwer begehbaren Schluchten bei Mühlen wurden denn auch lange Zeit durch einen Weg umgangen, der bald nach Stalla rechts gegen die Alp Flix ( etwa 2000 m ) hinauf abzweigt und erst kurz vor Tinzen mit der andern Route sich wieder vereinigt. Der Splügenweg läuft bis zum Dorfe Splügen über trockenes Gelände und auf der Sonnenseite, ein Vorteil, der nicht hoch genug gewertet werden kann. In bezug auf Steilheit der Wege dürften sich beide Pässe die Wage halten. Und was nun endlich die landschaftliche Schönheit anbetrifft, die freilich für die ältern Zeiten weniger in Betracht kommt, so ist meines Erachtens im ganzen dem Splügen der Vorzug zu geben. Ich möchte mich aber keineswegs der Meinung vieler Wanderer anschliessen, die über die Landschaft des Oberhalbstein abschätzig urteilen. Vielmehr wende ich meine Schritte auch gerne diesem Tale zu, das durch die freundlichen Ebenen, düsteren Schluchten und zahlreichen Ortschaften so viel Abwechslung bietet. Der berühmte Maler Segantini hat durch seinen jahrelangen Aufenthalt in Savognin zur Genüge bewiesen, dass auch jene Gegend einem aufmerksamen Beobachter zahlreiche scheinbar verborgene Schönheiten enthüllt.

Mit dem Untergang des römischen Reiches trat im Mittelalter in der Benützung der Bündnerpässe ein gewaltiger Umschwung ein. Die strenge Organisation, welche auch das weitverzweigte Strassennetz stets in gutem Stande gehalten hatte, um jederzeit im Falle eines Krieges ungesäumt über die Berge nach Germanien und den Donauländern zu gelangen, löste sich bald auf. Der Besitz der Länder, durch welche die Alpenstrassen führten, zersplitterte sich in kleine Herrschaftsgebiete, von denen jedes besondere Zölle verlangte, so dass die Reisenden schwere Lasten sich gefallen lassen mussten. Die Strassen im Stand zu halten, fehlte das nötige Geld. Es darf behauptet werden, dass nach der römischen Herrschaft nie so vortreffliche Strassen gebaut wurden, bis Napoleon durch den Bau der Simplonstrasse ums Jahr 1800 das Vorbild der römischen Strasseningenieure wieder erreichte und allerdings auch übertraf. Die Germanen, die im Norden für den Übergang über die Bündnerpässe in Betracht kommen, trieben damals nur wenig Handel, und die Landwirtschaft, der sie sich mit Vorliebe widmeten, erzeugte nur spärlichen Verkehr. Doch blieben die Bündnerpässe und damit auch der Splügen nicht allzulange verwaist. Die viele Jahrhunderte dauernde Blütezeit des byzantinischen Reiches, der Araber und anderer Völker des Orients brachte bald einen schwunghaften Handel in rasche Bewegung. Die italienischen Städte Venedig, Genua und Mailand, die mit dem Orient in lebhafter Verbindung standen, leiteten den Handel weiter über die Alpen nach den grossen Städten Augsburg, Nürnberg, Regensburg und über den Walensee nach Zürich und den rasch sich entwickelnden Städten am Rhein, deren bedeutendste Mainz war. Auch in der Schweiz selbst spielten die Städte, die an Talausgängen oder an den Endpunkten von Wasserstrassen lagen, für den Verkehr eine grosse Rolle, unter andern Chur, Zürich, St. Gallen, Basel und Luzern. Unter den Bündnerpässen wurde allerdings zunächst der leicht begehbare Julierweg bevorzugt. Seit dem 9. Jahrhundert aber wird nach und nach auch der Septimer erwähnt, der bald den Julier überflügelte. Er hatte vor diesem den Vorzug, dass er eine Abkürzung von drei Stunden gewährte, und den Splügen stellte er in Schatten, weil sein Weg besser gepflegt war.

Unliebsamen Besuch erhielten im 10. Jahrhundert die Alpenpässe von den wilden Horden der Sarazenen, die aus Arabien und Afrika nach Italien hinüberkamen und sich einige Zeit am Mont Cenis eine feste Stellung geschaffen hatten. Später drangen sie in die penninischen und rätischen Alpen vor, belästigten die von Norden kommenden Pilger und plünderten die Handelsleute aus. Zum Glück gelang es, diese Störenfriede innerhalb kurzer Zeit ganz zu vertreiben.

Viel Leben brachten den Alpenstrassen die Wallfahrten nach den geheiligten Stätten und die Reihe der Kreuzzüge, in denen zahlreiche Ritter mit ihrem Gefolge und auch gewöhnliches Volk in religiösem Eifer oder aus Sucht nach Abenteuern nach dem Heiligen Lande pilgerten.

Ungemein häufig bildeten die rätischen Alpen den Schauplatz des Durchzuges grosser Heere, die von den deutschen Kaisern, hauptsächlich von den Karolingern und Hohenstaufen, nach Italien und wieder zurück geführt wurden. Freilich hatte der Splügenpass an diesen stattlichen Zügen, welche an die Römerzeit erinnern, kaum einen grossen Anteil, indem diese gewaltigen Kriegsscharen neben dem vielfach bevorzugten Brennerpass, wo für die Verpflegung gut gesorgt war, mit Vorliebe den Septimer wählten. So wird berichtet, dass Heinrich II. in nur drei Tagen von Chur über den Septimer nach Chiavenna gelangt sei. Auch der leicht zu begehende Lukmanierpass hat viele Heere deutscher Kaiser nach Italien geführt.

Aus den vorhandenen Verzeichnissen von Zöllen, Weggeldern und andern Abgaben lässt sich ein deutliches Bild über den Verkehr im einzelnen entwerfen. Als die Bedürfnisse der Völker noch einfacher waren, beschränkte sich der Handel auf eine kleine Anzahl von Gegenständen, wie Honig, Wachs und ähnliche Erzeugnisse. Mit der Ausdehnung des Christentums wurden die Bedürfnisse für die Kirche — Balsam, Weihrauch, Weihgegenstände, auch kirchlicher Schmuck — in den Handel gebracht. Aber erst die Steigerung der Kultur, die vom Orient her sich bemerkbar machte, verlieh dem Handelsverkehr reicheres Leben. Den wichtigsten Artikel bildete ohne Zweifel die Wolle. In Konstanz, im Bistum Chur, in Glarus, sodann in den alten Reichsstädten am Rhein wurde die Wollindustrie lebhaft betrieben. Auch aus England kam gute Wolle und noch mehr aus Flandern. Diese Wollstoffe waren in Italien sehr begehrt, weil hier eine schlechte Wolle fabriziert wurde.

Fast ebenso bedeutend war im Norden die Leinenindustrie, vor allem um den Bodensee herum, so in Konstanz und Ravensburg; aus ihr entwickelte sich die Spitzenindustrie von St. Gallen und Appenzell. Umgekehrt bewegte sich der Seidenhandel von Süden nach Norden, wenn auch zunächst noch in spärlichem Umfang. Lange Zeit waren die Byzantiner die einzigen Erzeuger der auch im Abendlande sehr geschätzten Seidenstoffe. Im 13. Jahrhundert fand diese Industrie in Italien Eingang, und so wurden Seiden-gewänder auch nach Norden eingeführt. Der Kornverkehr von Como über den Splügen nach Chur nahm in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einen bedeutenden Umfang an, ein grosser Teil wurde weiter geführt, das Seeztal hinunter und über den Walensee.

Schon frühzeitig werden Säumerverbände erwähnt, ebenso ist von Verkehrsrechten auf dem Zürcher- und Walensee zwischen Zürich, Schwyz und Glarus einerseits, dem Obern Bund, dem Gotteshausbund und Chur anderseits die Rede.

Weil das Mittelalter gewürzte Speisen liebte, so wurden auch allerlei Gewürze vom Orient über die Alpen geführt, vor allem Pfeffer, dann Gewürznelken, Zimt, Ingwer, Muskatnuss. Das Säumen von Weinen aus dem Süden nach Germanien, in erster Linie von Malvasier und Veltliner Weinen, nahm zeitweise grossen Umfang an. Ein wichtiges Handelsding bildete feineres Pelzwerk, das in grossen Mengen aus dem Norden nach Italien hinüber gelangte. Endlich ist nicht zu vergessen der bedeutende Handel mit Salz und Öl, von Vieh und Häuten zur Verarbeitung von Lederwaren. Da in den Ländern am Oberrhein, ja auch in der Schweiz, am Gonzen und in Graubünden kein geringer Bergbau betrieben wurde, so ist es begreiflich, dass in den urkundlich überlieferten Zolltarifen Metalle, Eisen, Waffen, Sicheln eine grosse Rolle spielen.

Einen frischen Antrieb verliehen dem Verkehr über den Splügen die Ansiedelungen, die allmählich von fremden Gebieten her die Rheinwaldtäler bevölkerten. Es besteht eine nicht ganz abgeklärte Überlieferung, dass ein deutscher Kaiser zahlreiche Deutsche in das Tal des Hinterrheins verpflanzt habe.

Weit grössere Wichtigkeit kommt aber der Einwanderung der Walser zu, über die Prof. Karl Meyer aus Zürich in neuester Zeit aus den Urkunden sehr interessante Aufklärungen gewonnen hat. Aus dem Bericht 1 ) über einen Vortrag, den Meyer über diese Walserfrage in Chur gehalten hat, teilen wir folgendes mit: Die Walser in Graubünden, und zwar mit Sicher- heit die Rheinwalder Walser, sind nicht unmittelbar vom Wallis über Furka-Oberalp, sondern aus den ennetbirgischen südlichen Walsertälern eingewandert, besonders aus dem Pommat, wohin sie von den Adligen berufen worden waren zur Bestellung der Felder und zur Teilnahme an Kriegszügen. Sie erschienen in Bünden als entlassene Söldner. Den Anlass bildeten die Kämpfe um das Herzogtum Mailand im Jahre 1277. Also sind die Walser in einer grossen europäischen Periode in die Bündnertäler gekommen. Ihre militärische Tüchtigkeit bestimmte Walther von Vatz, sie im Rheinwald anzusiedeln, dann weiterhin in Davos, Safien und andern Orten. Schon das geographische Bild hat Meyer auf die Vermutung gebracht, die Einwanderung sei von Süden her erfolgt. Dazu kam die rechtsgeschichtliche Lage. Im obern Wallis war die Rechtslage eine schlechte. Die Bündner Walser zeichnen sich aber gerade durch ganz besondere Rechte und Freiheiten aus; auch das weist darauf hin, dass ein Aufenthalt in südlichen Alpentälern vorausgegangen sei.

Im Spätmittelalter, d.h. im 14. und 15. Jahrhundert, steigerte sich der Verkehr zusehends, der dadurch begünstigt wurde, dass die Bewohner des Rheinwalds um diese Zeit zahlreiche Zollvorrechte von Seiten der Mailänder Herzöge besassen. Es schien daher notwendig, dass zur Regelung dieses Verkehrs eine bestimmte Ordnung geschaffen wurde. Es entstanden nunmehr wohlgeordnete Transportgenossenschaften, sogenannte Porten, bei denen die Gemeinden und einzelne Bürger das Säumen der Waren in genau bestimmter Folge übernahmen. Von Chur bis Splügen gab es vier Porten. Der « Teiler », d.h. der Leiter der Porten, hatte dafür zu sorgen, dass die Beförderung nach einer festen Kehrordnung, « Rod » genannt, vor sich ging. Zum Aufbewahren über Nacht waren die « Susten » errichtet, grosse Lagerhäuser, wie man jetzt noch solche im Dorfe Splügen und in Monte Spluga sieht. Die Leitung der Waren von Station zu Station nannte man « Fürleite ». Das Wort wurde dann aber auch für den Fuhrlohn gebraucht. Die Abgaben der Kaufleute waren im einzelnen wohl nicht gross, weil aber nicht nur für das Führen, sondern auch für das Wägen, für verschiedene Zölle in den verwickelten Herrschaftsgebieten Abgaben bezahlt werden mussten, so erreichten alle diese Posten eine ansehnliche Höhe. Um eingerissenem Missbrauch zu steuern, hat unter anderm der Bischof von Chur im Jahre 1499 eine genaue Ordnung 1 ) der Porten für den Septimer aufgestellt, der ohne Zweifel ähnliche Bestimmungen für den Splügen entsprachen. Es wurde unter anderm streng darauf gesehen, dass das Kaufmannsgut ohne jede Verzögerung befördert werde. Wenn es der Kaufmann eilig hat und in der Nacht fahren will, so ist sein Wunsch zu erfüllen, freilich um einen Überlohn. Es soll niemand verpflichtet sein, an den heiligen Tagen, zu denen die vier Hauptfeste, die Marientage, Auffahrt und Fronleichnam gerechnet werden, zu fahren. Man soll in allen Porten Weg, Steg und Brücken in guten Ehren halten. Zur Ausbesserung soll man gute Knechte schicken und nicht Frauen oder junge Knaben; sie sollen von Morgen bis Abend schaffen. Wer nicht tut, was ihm geboten wird, bezahlt 6 Kreuzer, wer nicht sofort bezahlt, DIE GESCHICHTE DES SPLÜGENPASSES.

dem wird von Stund an und ohne Erbarmen gepfändet. Wenn ein Kaufmann sich mit Recht über eine Porte beklagt, sollen die beiden nächsten Porten diese mit einer bestimmten Geldsumme bestrafen und dem Kaufmann einen allfälligen Schaden ersetzen; wenn aber der Kaufmann mit Unrecht sich beklagt, soll er selbst die Kosten tragen.

Diese Portgenossenschaften gehen beim Septimer nicht über das Jahr 1390 zurück, beim Splügen entstehen sie erst um 1470.

Die ängstliche Sorge der Talbewohner, durch eine feste Ordnung die Zufriedenheit der Handelsleute sich zu erwirken, rührte von der sich steigernden Konkurrenz her, und wir werden im folgenden in klarer Weise erfahren, wie mächtig sich durch die Konkurrenz, durch den Umschwung der politischen Verhältnisse und durch die Kurzsichtigkeit der Regierenden die Benutzung der Bergpässe umgestaltete und verschob.

Gegen das Ende des Mittelalters spielt auch der Gotthard, von dem bis jetzt nicht die Rede war, eine immer bedeutendere Rolle im Passverkehr durch die Schweiz. Es gilt als unwahrscheinlich, dass der Gotthard zur Römerzeit einen irgendwie nennenswerten Verkehr aufgewiesen hat. Die wilde Schlucht der Schöllenen und die Lawinengefahr auf weite Strecken hin waren für einen regelmässigen Verkehr ein grosses Hemmnis. Um das Jahr 1200 herum änderten sich freilich die Verhältnisse mit einem Schlag durch die Erstellung der stiebenden Brücke, eines 200 Fuss langen hölzernen Steges, der auf Ketten ruhte, die am Teufelsberg beim obern schmalen Eingang in die Schöllenenschlucht befestigt waren. Auf dem Stege konnten Personen und Saumtiere gefahrlos verkehren, und der weite, beschwerliche Umweg über die Berge fiel dahin. Auch bei diesem Pass ist von einer Säumerordnung die Rede, welche für das Säumen der nach Italien gehenden Waren, Leinwand, Wolle, Tuch, Vieh und Lebensmittel, sorgte. Der Gotthard bildet nun seit dem Bau der Brücke eine um so grössere Konkurrenz gegenüber dem Septimer, als dieser berühmte Pass, dem im Mittelalter weitaus der grösste Verkehr unter den rätischen Pässen zukam, zunehmend vernachlässigt wurde.

Die politischen Verhältnisse spielten damals in der Entwicklung des Passverkehrs eine grosse Rolle. Das Gebiet der Septimerlinie stand von der Landquart bis nach Castasegna unter dem Machteinflusse des Bischofs von Chur. Es scheint aber, dass die Wege schlecht unterhalten und die Reisenden nicht gut verpflegt wurden, und wenn auch, um der drohenden Gefahr vorzubeugen, der Bischof durch Jacob von Castelmur im Jahre 1387 eine fahrbare Strasse von Tinzen über den Septimer bis Plurs bauen liess, so war diese an vielen Stellen, besonders in der Schlucht gegen Casaccia hinunter, so schlecht, dass sich viele Reisende lieber dem Splügen zuwandten. Bischof Ortlieb schreibt 1 ) 1475 dem Podestat und der Gemeinde von Plurs, wie von den deutschen Kaufleuten täglich bei ihm Klagen, « dass sie mit der Fuhr belohnung sehr übernommen würden », eingelegt werden, « und wo nicht reme-diert, sie sich anderer Strassen, wie solches allbereits von vielen mit nicht geringem seinem und ihrer Untertanen Schaden geschehen, bedienen müssten ».

Auch die Kapelle und das Hospiz St. Peter auf dem Septimer, das die Durchreisenden verpflegte, geriet immer mehr in Zerfall, so dass die zwei Kirchen-vögte genötigt waren, für Verbesserungen oder einen Neubau die Mildtätigkeit der Umwohner und Reisenden anzurufen. Die Missstimmung gegen den Septimer hatte sich so sehr gesteigert, dass schon im Jahre 1359 der Bischof Peter von Chur, der Kanzler Karls IV., es für gut fand, von seinem Herrn den Befehl an alle Reichsstädte zu erwirken, sie sollten die bischöfliche Strasse ( den Septimer ) fahren, und dem Bischof soll es freistehen, andere Wege zu sperren, ohne den Schaden zu ersetzen.

Neben dem Bischof von Chur hatten sich zahlreiche weltliche Gebieter Herrschaftsrechte in den Talschaften Bündens erworben. Zu den mächtigsten gehörten die Freiherren von Vatz, in deren Machtgebiet unter anderm der Heinzenberg, Schams und der Rheinwald, also beinahe der ganze Splügenpass, lag. Als im Jahre 1323 das Geschlecht der Freiherren von Vatz erlosch, fielen ihre Besitzungen durch Heirat von Ursula, der Tochter des Donat von Vatz, an die Grafen von Werdenberg-Sargans. Auch dem Grafen Rudolf von Werdenberg wurde vom Kaiser befohlen, er dürfe im Bistum Chur keine neuen Strassen bauen oder Zölle und Weggelder erheben. Die kaiserlichen Befehle wurden aber vielfach missachtet, wie unter anderm eine Urkunde von 1467 aus Chur beweist: Die vier Porten der Septimerstrasse, Vicosoprano, Stalla, Tinzen und Lenz, klagten nämlich die Stadt Chur an, dass sie Kaufleute, die nach der Lombardei fuhren, auf der untern Strasse ( Splügen ) ziehen lasse. Die Abgeordneten von Chur erwiderten, dass sie ja den Kaufleuten nichts zu befehlen hätten, sie liessen jeden, der ihnen Zoll zahle, gehen, wohin er wolle. Sie warfen dagegen den Porten am Septimer vor, dass diese den Kaufleuten zu viel abfordern und dadurch selber den Verkehr schädigen. Der Kaufmann Hans Lienhart von Ravensburg, der einst viel Gut in Maienfeld liegen hatte und mit diesem unter allen Umständen über den Splügen fahren wollte, erklärte, statt über Chur von Maienfeld weg lieber über den Kunkels zu gehen und so dem Machtgebiet der Churer auszuweichen. Der Streit endete zwar diesmal noch mit dem Entscheid, dass die von Chur gehalten seien, die Güter nach dem Befehl des Kaisers Karl, also über den Septimer, zu fertigen. Aber es kam jetzt oft vor, dass die Reisenden von Chur aus gegen Churwalden, d.h. auf der Route gegen den Septimer zogen, dagegen auf der Lenzerheide nach rechts abschwenkten, um über Obervaz und den Schyn in Thusis den Splügenweg doch zu erreichen.

Damit trat nun auch der Weg durch den Schyn in die Erscheinung. Für den Transitverkehr hatte er freilich geringe Bedeutung, er wurde aber von den Umwohnern oft benützt. Der stellenweise schlimme Bergpfad ist nach dem Bau der Schynstrasse zerfallen, vor einigen Jahren aber wieder in guten Stand gestellt worden. Dem Wanderer ist er sehr zu empfehlen, da er, hoch über der Albula an den Felshängen sich hinziehend, einen freieren Blick in die romantische Schlucht hinunter bietet als die Eisenbahnfahrt durch die vielen kleinen Tunnels.

Der Ausgang des Mittelalters war auch die Zeit, da die freiheitsliebenden Rätier zu Bünden sich vereinigten und von der drückenden Oberhoheit geistlicher und weltlicher Machthaber sich unabhängig zu machen suchten. So hatten die Übergriffe und die schlechte Verwaltung des Bischofs im Jahre 1367 zur Gründung des Gotteshausbundes geführt, und im Jahre 1424 folgte die Einweihung des Grauen Bundes zu Truns. Ja, die Verhältnisse kehrten sich mit der Zeit um, indem die Bündner nach der Eroberung ihrer Freiheit selbst auf Eroberungen ausgingen und die ennetbirgischen Landschaften Chiavenna, Veltlin, Puschlav, Misox sich unterwarfen.

Der mächtige Freiheitstrieb und der Rückgang des Verkehrs auf dem Septimer brachten es zustande, dass die Orte Thusis, Cazis und Masein als Genossenschaft zusammentraten, um den Weg zwischen Thusis und Schams, d.h. die Via Mala, vorteilhafter auszubauen. Sie erhielten Unterstützung durch die Leute von Schams, Rheinwald, dem Clevnertal und aus dem Misox. Beim Eingang in die Schlucht unterhalb Zillis wurde eine Brücke über den Rhein geschlagen und dann ein Weg, der auch von Ochsen begangen werden konnte, am Abhang zur Linken des Rheins hingeführt. Da am Eingang damals schon eine Kapelle stand, so ist die Schlucht offenbar von einzelnen Personen, besonders von Schmugglern, schon früher durchwandert worden. Der Weg führte nicht die ganze Schlucht hinunter bis Thusis, sondern wandte sich bei der kleinen Ebene des Hofes Rongellen, wo jetzt die Strasse ist, links aufwärts, um über das Dörfchen Rongellen ( 1016 m ) und über die Höhe nach steilem Abstieg Thusis zu erreichen.

Als die Strasse fertig gebaut war ( 1473 ), bildeten die am Unternehmen Beteiligten eine Genossenschaft, die nicht von der Gemeinde, sondern von einer Vereinigung von Bürgern ausging. Es waren im ganzen 50 Rod-Anteile. Jährlich an St. Georgen wählte die Gesellschaft ihren Teiler. Jeder Teilnehmer haftete dem Fremden, dessen Ware Schaden nahm, bis zu 50 Gulden. Einen wie grossen Einfluss die Genossenschaft ausübte, beweist der Umstand, dass Graf Georg von Werdenberg-Sargans dieselbe bestätigte. Als dann die Besitzungen desselben im Splügengebiet, nämlich Thusis und der Heinzenberg, im Jahre 1475 an den Bischof von Chur übergingen, so hatte dieser kein Interesse mehr daran, den Weg über den Splügen zu sperren.

Gleichzeitig mit dem Ausbau der Via Mala wurde die Rofflaschlucht gangbar gemacht, die den Bahnbrechern viel geringere Schwierigkeiten entgegenstellte. Der Weg führte, wie alte Berichte lauten, von Andeer weg bis Splügen über drei Brücken, und zwar setzte, wie aus der Karte von G. Walser deutlich hervorgeht, die erste oberhalb Andeer auf das linke Rheinufer, die zweite bei Beginn der Schlucht auf das rechte, und die dritte oberhalb dem Felsentor, das durchbrochen wurde, wieder auf das linke Ufer gegen Sufers hin.

Der Ausbau der Splügenlinie vom Jahre 1473 war von epochemachender Wichtigkeit. Wie einst beim Untergang des römischen Reiches, so erfuhren auch jetzt wieder die Verhältnisse der rätischen Alpenpässe eine bedeutende Umwandlung. Durch die Verlegung der Splügenlinie von den Höhen des Heinzenberges und des Schams in das Tal hinunter waren zeitraubende Umwege und mühsame Steigungen beseitigt, so dass der Splügen jetzt mit dem Septimer leichter kämpfen konnte, zumal da beim letzteren durch die notwendige Benützung der Lenzerheide tatsächlich zwei Pässe zu überschreiten waren. Auch die politische Lage erleichterte den Passverkehr über den Splügen, indem die einst verworrenen Besitzverhältnisse durch grössere einheitliche Bünde abgelöst wurden, welche die Zölle und Gebühren weniger masslos eintrieben. Der Verkehr steigerte sich auch aus dem Grunde in hohem Masse, weil die Täler jenseits des Splügen, Chiavenna und das Veltlin, seit 1512 Untertanen der Graubündner waren. Ein beredtes Zeugnis für die Entwicklung des Verkehrs zu Ende des Mittelalters liefert die Stelle in Ulrich Campells Topographie, in der er ( ums Jahr 1571 ) von Thusis spricht: « Der Ort besitzt mit Steinen gepflasterte Strassen und weist schöne, hohe Gebäude auf. Die Bewohner sind wohlhabend infolge des Erwerbs, den die Niederlassung zahlreicher Kaufleute und der Verkehr der zwischen Italien und Germanien mit Saumpferden durchziehenden Handelsreisenden schaffen. » Die geschilderte Umgestaltung der äussern Verhältnisse und der frisch quellende Geist, der vom Zeitalter der Reformation an die für das Neue empfängliche Bevölkerung bis in die abgelegensten Täler erfasst hatte, brachten es mit sich, dass nicht nur Bergreisen häufiger unternommen wurden, sondern auch die Berichte über diese sich mehrten. Zwar sind sie meistens kurz gehalten und kargen mit persönlichen Bemerkungen, doch finden sich in ihnen viele Angaben, die für die Beurteilung des Splügenpasses und die Entwicklung seines Verkehrs von Wert sind.

Es ist bezeichnend, dass eine der ersten Splügenfahrten, die aus der Mitte des 16. Jahrhunderts überliefert wird, nicht einen kaufmännischen oder politischen Zweck verfolgte, sondern zum Vergnügen und allerdings daneben auch zu körperlicher Stärkung und zur geistigen Belehrung ausgeführt wurde. In einer Handschrift der Zentralbibliothek Zürich, welche die Beschreibung einer Reise über den Splügen enthält, wird einleitend bemerkt, dass im Jahre 1545 Hans Fries von Zürich, Präzeptor der 5. Klasse, mit fünf Herren aus dem Geschlechte der Junker Grebel anstatt einer « Baden-fahrt » eine Reise nach Italien gemacht habe, und die Beschreibung beginnt mit dem Satze: « Am 17. Tag Aprellens des 1545. Jars sind Spacierens und Lusteshalb, auch etwas zu sehen und erfaren, sechs Gsellen von Zürich usge-faren, etliche Stett Italiens zu sehen. » Die Reise führte nach Chur, Thusis und über den « Splügenberg » nach Chiavenna, Mailand und viele Städte Oberitaliens bis zum Hauptziel Venedig. Von dort wurde zum Rückweg die uralte, aus den Zeiten des Augustus stammende Strasse nach Trient, Bozen, Meran, Finstermünz, Landeck und über den Arlberg benützt. Die Reiseschilderung schliesst mit der Bemerkung: « Hat also sich verzogen dies Spacieren bis uff 7 Wuchen. Der Weg, den wir zogen, gangen, gfaren und gritten sind, ist 170 Tütsche Milen 1 ) lang. » Die Unterkunftsverhältnisse scheinen damals nicht überall zufriedenstellende gewesen zu sein, denn von einer dürftigen Herberge wird berichtet: « In Campo dolcino lagen wir in einem Hünerstaal uff den Sedlen übernacht, hattend zum nachtmal ein suppen, was mehr denn kleffterig, aber dazu gut win, den wir wol versuchtend. » An einem andern Ort kamen sie bachnass an und mussten in einem Bett liegen, wenn sie nicht auf dem Boden daneben schlafen wollten.

Eine zweite Handschrift enthält den ausführlicher gehaltenen Bericht über eine andere Splügenreise.

Als im Anfang des Jahres 1608 der venezianische Gesandte Padovinus, der in Zürich ein Bündnis mit Venedig in die Wege leiten sollte, die Heimreise antrat, wählte er den Weg über den Splügen. Mit zahlreichem Geleite von Herren aus Zürich und andern Schweizerstädten trat er am 12. Mai die Reise an. Teils zu Schiff, teils zu Pferd, gelangte die Gesellschaft in zwei Tagen nach Chur und in einem weiteren halben Tag auf der rechten Seite des Hinterrheins über Fürstenau nach Thusis. Über den Splügen ritt sie bei tiefem Schnee unter mühevollen Strapazen auf Saumrossen. Im Berghaus war die Bewirtung unerfreulich: « Wir erquickten uns mit dem, so wir da fundend, nämlich Brot, Käs und geringen wyn, anders habend wir da nicht zu verhoffen. » Der Weg vom Dorfe « Splüga » bis Chiavenna wurde in einem Tage zurückgelegt. Ein rucher, kalter Wind, scharfer Riesel und tiefer Schnee hinderten ein rasches Vorwärtskommen, zahlreiche Männer bahnten mit Schaufeln den Weg.

Die begleitenden Schweizer Herren kehrten nach sechs Wochen über Trient, Meran, den Arlberg, also ungefähr auf dem gleichen Weg, den der Präzeptor Fries mit seinen Schutzbefohlenen eingeschlagen hatte, nach Zürich zurück.

Aus dem Berichte über eine Reise, die der Basler Kaufmann Andreas Ryff im Jahre 1599 unternommen hat, dürften noch einige Bemerkungen von Interesse sein: Cleven liegt am Fusse des wilden Gebirgs Splügen, ein böser sorglicher Berg; beim Hinterrhein, zwischen den engen hohen Felsen, sind sorgliche, von Holz gemachte Strassen an die Felsen geklebt wie ein Schwalbennest an einem Tram ( Balken ). Ich wollte lieber über den Gotthard zweimal als über den Splügen einmal reisen. Von Cleven nach Splügen brauchte Ryff 4 schweizerische Meilen.

Frühzeitig traten auch die wanderfreudigen Engländer auf den Plan. Thomas Coryat führte im Jahre 1608 eine fünf Monate dauernde Reise meist zu Fuss durch Frankreich, Italien, die Schweiz und Deutschland aus. Sein Reisewerk 1 ) enthält viele interessante, oft allerdings recht naive Bemerkungen über jene fern liegende Zeit. Der Übergang über den Splügen wird eingehend geschildert und dabei besonders hervorgehoben, dass der Weg zwar äusserst steinig und rauh sei, dass aber nirgends in der ganzen Christenheit die Wanderer mit grösserer Sicherheit reisen als hier.

Ein zweiter Engländer, Gilbert Burnet, Bischof von Salisbury, unternahm in den Jahren 1685 und 1686 Reisen in der Schweiz und in Italien, die er in einem wertvollen Buche beschreibt 2 ). Von einer Reise über den Splügen erzählt der gelehrte Theologe, der Natur und Geschichte scharf ins Auge fasst, folgende Einzelheiten: « Von Chur kamen wir nach Tossane ( Thusis ) und von da über den Weg, der mit Recht Via Mala genannt wird. Er führt durch eine Schlucht, zwischen zwei Felswänden, durch die der Rhein fliesst, aber auf einem grossen Teil des Weges in unsichtbarer Tiefe. Der Weg ist an einigen Stellen in der Mitte der Felswand ausgehauen, und an mehreren Stellen, wo ein Weg wegen der Steilheit der Felswand nicht ausgehauen werden konnte, sind Balken in diese hineingetrieben, über deren herausragende Teile Bretter und Erde gelegt sind. Dieser Weg dauert eine Stunde; nachher folgt für zwei Stunden ein guter Weg, und wir kamen durch zwei beträchtliche Dörfer ( Zillis und Andeer ), in denen man gute Unterkunft findet. Der weitere Weg ( Roffla ) gestaltet sich zwei Stunden lang schrecklich, fast so schlecht wie die Via Mala; dann folgt wieder während einer Stunde ein guter Weg nach Splügen, einem grossen Dorf von mehr als zweihundert Häusern, die gut gebaut sind und deren Bewohner alle in behaglichem Wohlstand zu leben scheinen, obschon sie keine Art von Kulturland, ausser wenig Wiesengrund in der Nähe, besitzen. Hier befindet sich die letzte protestantische Kirche, die wir auf unserem Wege trafen, sie war damals gut dotiert, denn die Besoldung des Pfarrers betrug nahezu zweihundert Kronen. Die Leute dieses Dorfes vermitteln den Saumverkehr zwischen Italien und Deutschland. Es herrscht hier ein beständiges Kommen und Gehen. Die Leute erzählten, dass in der Regel Tag für Tag hundert Pferde dieses Städtchen durchschreiten und über 500 Lastpferde demselben gehören. Von diesem Ort kamen wir nach dreistündigem Anstieg zu der Höhe, wo ein grosses Wirtshaus sich befindet. Hernach zeigte sich der Weg auf zwei Stunden hin leidlich gut, für zwei weitere Stunden senkt er sich beständig und ist meistenteils so steil, wie wenn man die ganze Zeit auf einer Treppe absteigen würde. Am Fusse dieser Wand breitet sich ein kleiner Ort, Campo dolcino genannt, aus. Hier fühlten wir uns in Italien, sowohl wegen des grossen Unterschiedes im Klima als auch wegen der Zahl der Bettler. Hier trifft nämlich das Gegenteil von dem ein, was man erwartet, d.h. die reichste Gegend von Europa, Italien, ist voll von Bettlern, während Graubünden, das doch zu den ärmsten Staaten gehört, gar keine Bettler hat. » Aus den Berichten von Coryat und Burnet erfahren wir neben vielen andern wertvollen Einzelheiten, dass der Verkehr über den Splügen sich recht lebhaft gestaltete und im Dorfe Splügen selbst rege Tätigkeit herrschte. Wir können aus der Beschreibung des Weges deutlich herauslesen, dass dieser von Thusis bis Campo dolcino wesentlich nur für Saumtiere geeignet war. Doch ist nicht ausgeschlossen, dass in den Talschaften, etwa von Zillis bis Dorf Splügen, die Waren auf kleinen Wagen gesäumt werden konnten.

Die Via Mala bildete immer noch ein schweres Hindernis. Es ist daher wohl begreiflich, dass von Zeit zu Zeit Versuche gemacht wurden, den Weg zu verbessern. Endlich in den Jahren 1738/39 wurde die misslichste Stelle des Weges, der bisher ganz auf der linken Seite des Rheins sich hingezogen hatte, dadurch gemieden, dass zwei feste steinerne Brücken, die mittlere und untere, über die Rheinschlucht gelegt wurden, die auf eine Strecke von etwa 10 Minuten den Weg auf die rechte Seite verlegten. Da ungefähr um dieselbe Zeit auch auf der italienischen Seite der Weg über den Cardinell ober- halb dem Dorfe Isola gangbarer gemacht wurde, so konnte sich der Verkehr zukünftig viel ungehemmter vollziehen.

Wir geben nun auch einem Bündner das Wort. Der edle Herr Rudolf von Rosenroll, ein hervorragender Bürger von Thusis, macht in einer Schrift aus dem Jahre 1706, die von den « berühmtesten Bergen des Bündnerlandes » handelt, über unseren Pass folgende Bemerkungen: « Der Splüger- oder Ursler-berg ist der grösste Pass nach Italien, darauf ein Wirtshaus, von diesem ( 2 Stunden vom Dorfe Splügen entfernt ) kommt man durch eine liebliche Ebene ( im Sommer ) zu einem alten Turm und weidereichen Alpen ebenen Weges l½ Stunden. Von dort geht der Weg jäh abwärts, die Landstrasse vielfach in Felsen eingehauen. Das Hinuntergehen bringt entsetzendes Grausen, durch das Getöse der Wasserfälle vermehrt. » Was den Namen des Passes anbetrifft, so wurde der Splügen schon im Mittelalter vielfach « Ursler » genannt, und auch auf der Karte von Aeg. Tschudi ( um 1460 ) und bei Campell ( 1570 ) führt er diesen Namen. Auf der Karte von G. Walser ( um 1740 ) finden wir die Bezeichnung « Splügenberg » ohne Beifügung des alten Namens, der damals offenbar allmählich erlosch. Scheuchzer ( 1703 ) führt bei seiner Gründlichkeit folgende Benennungen auf: Splügen, Splügner, Speluga, Spluga, Ursulus, Ursus, Culmen Ursi Montis, Colmen del Orso, Urschler, Urscheler.

Eine wichtige Rolle kam dem Splügenpass und überhaupt den rätischen Alpenpässen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu. Die drei Bünde hatten sich durch die Unterwerfung von Cleven, Bormio und dem Veltlin den Hass der Regierungen von Österreich und Mailand-Spanien zugezogen. Diese unter sich verbündeten Feinde waren durch die genannten Eroberungen voneinander getrennt worden und suchten wieder mit allen Mitteln in die Gewalt der rätischen Pässe zu gelangen, um ihre Besitzungsgebiete zu vereinigen. Da die Bündner allein nicht imstande waren, die Pässe zu halten, so wandten sie sich an Frankreich, dem die Grossmachtstellung Österreichs schon längst ein Dorn im Auge war. Nach vielen Wechselfällen und Ränken sandte Frankreich den Herzog von Rohan, der die Verdrängung der Österreicher und Spanier aus den rätischen Alpen durchführen sollte. Aus diesen Kriegszügen wählen wir die Beschreibung eines Überganges über den Splügen aus, der über die Verhältnisse des Passes wichtige Aufschlüsse erteilt 1 ): Am 26. März 1635 waren drei französische Infanterieregimenter, zwei Kaval-leriekompagnien, zwei Bündner Regimenter und die Freikompagnie Stuppa in Reichenau zum Abmarsch bereit, den Oberbefehl über das Ganze hatte du Lande. Am 26. März marschierte das Heer bis Splügen. Weil die Kavallerie und die Munition etwas zurückgeblieben waren, konnte das Korps am 27. März erst nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr aufbrechen. Hauptmann Christof Rosenroll war schon morgens früh mit 24 Musketieren bis zu den Bergwirtshäusern vorausgeschickt worden, mit dem Befehl, niemand in der Richtung auf Chiavenna passieren zu lassen. Als dann endlich die Munition angelangt war, begann ein Regiment nach dem andern am Berg emporzu- klimmen, voran eine aus Soldaten aller drei französischen Regimenter zusammengesetzte, von Hauptmann Vieuxpont geführte Abteilung in der Stärke von 200 Mann. Als diese die Häuser erreicht hatte, rückte Rosenroll mit seinen Musketieren durch das St. Jakobstal hinunter, überschritt bei San Giacomo den Talfluss, um an Chiavenna vorbei über Mese nach Pizio unterhalb Cleven zu gelangen. Unterdessen hatte auch das Gros, voran das Regiment Chamblay, mit der Reiterei den Splügenpass bei Mondschein überschritten und war den vorausgesandten Abteilungen das St. Jakobstal hinunter nachgefolgt.

Vieuxpont zog mit seinem Detachement, begleitet von einem Führer, durch Chiavenna, ohne dass die Einwohner etwas merkten, begab sich dann ebenfalls nach Pizio, von wo er vereint mit Rosenroll im Schnellschritt nach der Riva ( am Nordufer des Lago di Mezzola ) marschierte, wo sie bei Tagesanbruch eintrafen. Es scheint, dass die Truppen trotz der schlimmen Jahreszeit ohne allzu grosse Mühe den Berg überschritten; es wurden sogar drei den Bündnern gehörige Feldstücke von Splügen nach la Riva gebracht.

Wie sehr es, offenbar infolge der Kriegswirren, mit der Sicherheit der Reisenden nicht immer zum besten bestellt war, zeigt uns die Fortsetzung des Berichtes: « Am Fusse eines in den Lago di Mezzola hineinragenden Felsens befand sich ein Wirtshaus, dessen Wirt, Pietro Martyr Ferrano, angeblich zu seiner persönlichen Sicherheit, einige Banditen bei sich hatte, welche auf die ankommenden Truppen Feuer gaben. Diese erwiderten dasselbe in der Meinung, Spanier vor sich zu haben. Durch das Schiessen waren die benachbarten Bewohner sowohl als die nachfolgenden Truppen alarmiert worden, und es wurde sogar Sturm geläutet. Als das Schiessen augenblicklich aufhörte, beruhigte man sich wieder, die Banditen waren gefangen genommen worden. Die Truppen sahen sich in einer Räuberhöhle, denn in den Gewölben des Hauses und am Seeufer entdeckten sie eine grosse Zahl von Leichnamen, die von ermordeten Reisenden herrührten. » Während die Truppen ohne Widerstand Chiavenna und Bormio einnahmen, rückte Rohan einige Wochen später, im April, mit einem andern Heer durch die Schweiz nach Chur. Ein Teil desselben zog ebenfalls über Thusis, Schams und den Splügen nach Chiavenna, während Rohan selbst über den Septimer nachfolgte.

Sodann ist auch der Übergang eines Heeres aus dem folgenden Jahre 1636 zu erwähnen. Bei dem Bündnis zwischen den Franzosen und Graubünden ging die Absicht der ersteren dahin, im Kriege gegen Österreich diesen die Bergpässe wegzunehmen, während die Bündner ihre Feinde aus ihren Untertanenländern Veltlin und Umgebung vertreiben wollten. Da aber die Franzosen Miene machten, im Veltlin festzusitzen, schlossen nun umgekehrt die Bündner mit Österreich einen Bund und erhoben sich gegen die Franzosen, die so gezwungen wurden, das Land zu räumen. Unter Verwünschungen gegen die « verräterischen » Bündner verliess der französische Kommandant Lecques Chiavenna und zog mit dem Heer teils über den Splügen, teils über den Septimer ab ( 20. April ).

Von grossem Interesse ist es für uns, zu hören, was der berühmte Naturforscher und Arzt Johann Jakob Scheuchzer von Zürich über den Splügen sagt. Eine seiner neun Schweizerreisen führte den praktischen Gelehrten, der für alle aussergewöhnlichen Erscheinungen, die ihm entgegentraten, ein offenes Auge hatte, im Jahre 1703 über den Kunkelspass nach Tamins und über Fürstenau nach Thusis. Wir entnehmen dem hervorragenden Reisebericht folgende Stellen: « Der Berg ist im Sommer und Winter zu Pferde und zu Fuss wandelbar. Steiget man von Splügen den Berg hinauf, so trifft man hin und wieder aufrechte Stangen an, welche die Pündtner Stazas nennen und zu denen Zeiten, da der Berg mit Schnee beleget ist, den Säumern und andern Reisenden den Weg zeigen. Zu grossem Vorteile der Reisenden ist oben auf dem Berge ein Wirtshaus, welches nebst andern Notwendigkeiten mit einer Glocke versehen, deren Klang den Reisenden im Winter an Statt eines Wegweisers dienet, und sie gegen dem Hause selbst weist, welches oft so ein-geschneyet, dass man es von weitem nicht wol sehen kan und nebst dem durch den schärften Nord-Wind und hellen Glanz des Schnees das Gesicht so vergehet, das man dasselbe in die Weite nicht wol brauchen kan, in welchem Fall demselben ein andrer Werckzeug, nemlich das Gehör, muss zu Hülff kommen. Auf dieser Höhe des Wirthshauses ist eine zwey Stunden lange schöne Ebne, mit fruchtbaren Wiesen. An dem Wege liegen aufgerichtete Stein-hauffen, welche den Reisenden gleichen Nutzen schaffen, wie obbemeldte Stangen. Ehe wir diese Berg-Ebne verlassen, müssen wir uns an lieblicher von Italien her blasender Luft erquicken, welche die Reisenden gleichsam in ein ander Clima führet. » Scheuchzer gelangte dann nach Madesimo und, ohne das Dorf Isola zu berühren, auf einer an vielen Orten in Felsen geschnittenen Strasse nach Campo dolcino und Cleven.

Über den Unterhalt der Strasse werden wir durch eine bemerkenswerte Stelle Scheuchzers unterrichtet: « Hier muss ich im Vorbeigang den Fleiss der Pündtner in Ausbesserung der Strassen rühmen, denn sie unterhalten die gefährlichsten Wege sowol im Sommer als im Winter mit grosser Arbeit und Unkosten offen; mangelt etwas, so ersetzen sie es, und so etwas eingefallen oder verdeckt worden, so stellen sie es alsobald wieder her, den Schnee zertreten sie und das Eis brechen sie. » Über die Wegstrecke sagt Scheuchzer ausdrücklich: « Vor Zeiten gieng der Weg aus dem Domleschger- in das Schamsertal nicht durch die Schlucht, sondern über die sehr hohen, gegen Abend liegenden Berge. Fast mitten an diesem Weg sind noch Überbleibsel von einer alten Kapelle, welche zum Grenzstein dienen. » Wertvoll ist eine Bemerkung Scheuchzers anlässlich seines Überganges über den Julier: « Früher war der Julier eine frequentierte Route zwischen Italien und Deutschland, während man jetzt vielmehr sich des Wegs über den Splügen und Viam malam bedient. » Schliesslich verdient auch noch der Übergang des napoleonischen Generals Macdonald eine Betrachtung. Er hatte von Napoleon den Auftrag erhalten, mit seiner 12,000 Mann starken Armee, die in Graubünden stand, durch einen raschen Vorstoss den Splügen zu überschreiten und den in Oberitalien und im Südtirol stehenden Österreichern in die Flanke zu fallen. Macdonald, der Suwarows Alpenabenteuer frisch im Gedächtnis hatte, suchte Napoleon von diesem Plan abzubringen. Die Antwort lautete aber: « Ich werde an meinen Dispositionen nichts ändern. » Einer Schilderung des denkwürdigen Übergangs entnehmen wir folgende Stelle 1 ): Am 26. November 1800 traf die Avantgarde im Dorfe Splügen ein, und am 27. begann sie den Marsch zum Splügenpass. Ungeachtet aller Vorkehrungen und Anstrengungen erreichte diese Abteilung erst bei Beginn der Nacht die Höhe, eine niederstürzende Lawine hatte unterwegs dreissig Dragoner in den Abgrund hinuntergerissen und mit Schnee begraben. Macdonald, der in dieser armen Gebirgsgegend eine Truppenanhäufung vermeiden wollte, begann dann am 1. Dezember den Vormarsch der Avantgarde von neuem. Um den haushoch gelagerten Schnee wegzuräumen, trieb man vier der grössten Ochsen voran, und denselben folgten dann vierzig Arbeiter mit Schaufeln, worauf eine Abteilung Sappeurs sich anschloss und zwei Kompagnien Infanterie, zu zweien dicht geschlossen, den Schnee feststampften. Die Kolonne erreichte mit Verlust einiger Mannschaften, die in den Abgrund stürzten, nach grossen Anstrengungen das Splügen-hospiz. Der Marsch der zweiten und dritten Staffel am 2. und 3. Dezember ging ohne besondere Störungen von statten; die ausserordentlich starke Kälte festigte den Schneepfad, veranlasste aber auch das Erfrieren einiger Soldaten und bei andern die später notwendig gewordene Amputation erfrorener Gliedmassen. Am 4. Dezember wurde der Marsch der vierten Staffel, mit welcher Macdonald und sein Stab marschierten, wieder sehr schwierig infolge eines grässlichen Schneesturmes. Dieser Schreckenstag brachte einen Verlust von 100 Mann; über 100 Pferde und Maultiere gingen zugrunde, und ebenso entstand bedeutender Verlust an Kriegsmaterial.

In Thusis war am 24. November mit der Demontierung von Geschützen und Fuhrwerken begonnen worden. Die auf Schlitten geladenen Geschütze wurden bis zum Dorfe Splügen durch Ochsen gezogen, dann wurden Räder und Lafetten Maultieren aufgebürdet und die schweren Geschützröhren an Seilen über den Bergpfad geschleift. Munition und Lebensmittel sollten nach den anfangs getroffenen Anordnungen ebenfalls durch Maultiere befördert werden. Da aber diese nichtin genügender Zahl aufzutreiben waren, musstejeder Soldat in seinem Tornister 160 Patronen, sowie Zwieback für fünf Tage aufnehmen. Am 6. Dezember war das schwierige Unternehmen vollbracht. Das ganze Korps stand nun in Chiavenna vereinigt und hatte die scharfe Probe gut bestanden.

Der Verkehr mit Handelswaren steigerte sich am Splügen immer mehr, zumal da die Industrie sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz im 18. Jahrhundert einen grossen Aufschwung erlebte und auch der Handel von den Häfen Italiens aus nach dem Orient zeitweise einen bedeutenden Umfang annahm. Eine grosse Rolle spielten bei diesem Transit die Leinen-und Zwilchfabrikate, die aus dem Norden nach Italien und weiter über das Meer befördert wurden, dann auch die italienische Seide und schliesslich die amerikanische Baumwolle, die zur Verarbeitung nach der Schweiz und nach Deutschland gelangten. Besonders von Zürich aus verbreitete sich ein ansehnlicher Handel nach Italien, vor allem in Seidenwaren. Das Seiden- gewerbe 1 ), das für Stadt und Kanton Zürich bis auf die heutige Zeit so bedeutungsvoll geworden ist, wurde in Zürich selbst ums Jahr 1250 eingeführt. Es entwickelte sich bald zu ungeahnter Blüte, bis es im Beginn des 15. Jahrhunderts durch die Schwierigkeiten der Zeit erlosch, um dann allerdings später, im Jahre 1555, durch die Einwanderung der Reformierten aus Locarno wieder neu zu erstehen. Bezugsquellen für den Rohstoff bildete die Lombardei. Von Corno aus wurde die Seide über die Bündnerpässe, besonders über den Splügen, nach Chur und Zürich gebracht. Vom Beginn des 14. Jahrhunderts wurde hierfür allerdings auch der Saumweg über den Gotthard benützt, indem die Ware von Flüelen her über Küssnacht, Immensee, Zug und Horgen nach Zürich gelangte. Einen raschen Aufschwung nahm der Seidenhandel am Ende des 17. Jahrhunderts, als zahlreiche Refugianten, die sich diesem Gewerbe gewidmet hatten, aus Frankreich nach der Schweiz auswanderten.

Von andern Handelsdingen, die mehr für den Nahverkehr über den Splügen gelangten, kommen noch in Betracht: Wein, Getreide, Reis, Felle, Kastanien. Über den Umfang des Säumens fehlen aus älteren Zeiten bestimmte Angaben. Immerhin geht aus einer statistischen Zusammenstellung hervor, dass in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der jährliche Transit über den Splügen ungefähr 40,000 bis 50,000 Colli, d.h. Saumtierlasten, betrug.

Das Säumen gestaltete sich immer noch nach dem am Ende des Mittelalters entstandenen System der sogenannten Porten. Diese Organisation, die wegen des Mangels einer einheitlichen Staatsgewalt notwendig war, dauerte sogar nach dem Bau der neuen Strasse noch eine Zeitlang fort, bis die mit ihr verbundenen Übelstände die Abschaffung nötig machten. An der untern Strasse bestanden etwa seit 1500 auf Schweizerseite 4 Porten: Im Boden ( die Gegend von Rhäzüns ), Thusis, Schams und Rheinwald. Den Porten kam das ausschliessliche Recht des Säumens von Waren zu, aber nur bis zur nächsten Port, wo die Ware umgeladen und neuen Fuhrleuten übergeben wurde. Später ist die « Streckfuhr » eingerichtet worden, bei der das Frachtstück vom gleichen Fuhrmann von Chur bis über die Grenze geführt wurde. Damit aber die Streckfuhr nicht zum Schaden der einzelnen Portgenossen Überhand nehme, sondern der Verdienst gleichmässig verteilt werde, ist der Fuhr von Porte zu Porte die Hälfte aller durchgehenden Waren zugesichert worden.

Zu den vielen Nachteilen, welche die pedantische Säumerordnung schuf, kamen dann noch Übelstände sittlicher Natur. Verleitet durch die Aussicht auf bare Einnahmen widmete sich eine viel zu grosse Zahl von Bewohnern dem Fuhrgewerbe. Dadurch wurden die Preise nicht etwa herabgesetzt, sondern von der hierfür bestellten Kommission nur um so höher geschraubt. Und abgesehen von der Hemmung des Verkehrs entstand aus diesen Verhältnissen der Nachteil, dass viele von den Leuten, die sich dem Verkehrswesen widmeten, oft keine Beschäftigung fanden und infolgedessen sich dem Müssiggang und dem Trunke hingaben. Der Landbau, der von ihnen besorgt werden sollte, wurde vernachlässigt; wirtschaftlicher und sittlicher Verfall schädigte die Bevölkerung, anstatt dass sie durch das Verkehrswesen sich gehoben hätte.

Einsichtigen Leuten blieb die Gefahr nicht verborgen, die aus solchen Verhältnissen entsprang. Dazu kam der von verschiedenen Pässen drohende Wettbewerb, der zum Aufsehen mahnte. Der Durchbruch der Via Mala und der Roffla hatte allerdings den Septimer aus dem Felde geschlagen. Aber zu jener Zeit, da man mehr auf Sicherheit und Mühelosigkeit der Reise als auf Schnelligkeit sah, konnte der eine oder andere Pass in den Zentralalpen, ja selbst in den Ostalpen, einen Teil des Durchgangverkehrs an sich ziehen. Sogar vom Albula her drohten etwelche Angriffe. Die Gemeinde Bergün liess nämlich im Jahre 1696 das Haupthindernis jenes Weges, den Bergüner Stein, um Fr. 4000 sprengen. Die Albulastrasse war als Fortsetzung einer von Graubünden und Venedig projektierten Strasse, die von Venedig über Brescia, Val Camonica, Apricapass, Puschlav und Bernina führen sollte, in Aussicht genommen worden. Der Plan kam allerdings erst viel später zur Ausführung. Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts waren die Tirolerpässe Brenner und Arlberg selbst für grössere Fuhrwerke fahrbar, während die Bündnerpässe wesentlich nur für Saumtiere sich eigneten. Dazu kam für den Splügen der Nachteil, dass das « Verlorene Loch », der unterste Teil der Via Mala-Schlucht, damals immer noch nicht durchbrochen war, so dass der weite und steile Auf- und Abstieg von Thusis über Rongellen gemacht werden musste.

Als das Ende der Kriegswirren zu Beginn des 19. Jahrhunderts ruhigeren Verhältnissen Platz geschaffen hatte, bot endlich im Jahre 1816 ein äusserer Anlass die erwünschte Gelegenheit, das Projekt eines modernen Strassenbaues, wofür die Simplonstrasse als Vorbild diente, näher ins Auge zu fassen. Durch die Missernten jener Zeit war von den benachbarten Staaten gegenüber Graubünden die Getreidesperre verhängt worden, und alle Versuche, durch Verträge die Schwierigkeiten zu heben, hatten fehlgeschlagen.

Durch den Wiener Kongress waren das Veltlin und die Lombardei, d.h. das Sammelgebiet für den Splügen von Süden her, zu Österreich geschlagen worden, während das Westufer des Langensees und die weitere Gegend bis Genua, mit andern Worten die Fortsetzung der Bernhardinlinie, dem Königreich Sardinien zugehörten. Der Splügenpass wurde als besonders günstig erkannt für den Verkehr nach Mailand, Venedig und Triest, der Bernhardin aber zeigte sich günstiger für den Durchgang nach Genua. Es entspann sich nun während mehreren Jahren zwischen den interessierten Staaten ein heftiger Wettstreit, dessen geheime Ränke zu verfolgen wir füglich unterlassen können. Es gab im einzelnen wohl manche Anstände, die dem grosszügigen Werke hinderlich in den Weg traten, doch vollzog sich der Bau, wie ausdrücklich hervorgehoben wird, in Ruhe, schnell und ohne Prozesse. Das Bündnervolk sah ein, dass die schlechte Beschaffenheit seiner Strassen nicht durch Flickereien, sondern einzig durch einen gründlichen Neubau dauerhaft beseitigt werden könne.

Als Ergebnis der verwickelten Vorbereitungen ergab sich schliesslich die Tatsache, dass beide Strassen, der Splügen und der Bernhardin, im Jahre 1823 vollständig erstellt und selbst für schwere Lastwagen fahrbar waren.

Die auf die Splügenstrasse von Chur bis an die lombardische Grenze aufgewendeten Kosten betrugen beinahe 2 Millionen Franken, von denen der Kanton Graubünden Fr. 500,000, die sardinische und österreichische Regierung zusammen Fr. 584,000, der Churer Speditionsstand Fr. 724,000 und die Portengemeinden Fr. 85,000 übernahmen. Die Breite der Strasse betrug 6 Meter und übertraf damit alle andern Bündnerstrassen. Das Gefälle ist gering, so dass nur wenig Vorspann nötig wird. Der Bau darf mit Recht als ein Meisterwerk an Festigkeit und Schönheit bezeichnet werden.

Die wichtigste Änderung im Strassenzug bestand im Durchbruch des Verlorenen Loches, den der Unternehmer, Staatsrat Poccobelli, mit Geschick und kühnem Wagemut durchführte. Der mühsame Aufstieg von etwa 300 Meter nach dem Dorfe Rongellen fiel jetzt weg, und die neue Strasse konnte ohne erhebliche Steigungen oder Windungen von Thusis gegen die unterste Brücke geführt werden.

So war nun eine in jeder Beziehung vollkommene Kunststrasse geschaffen, auf der sich der Verkehr ungehemmt entwickeln konnte. Der Weg von Chur nach Mailand, der 30 Meilen ( zu l½ Stunden ) sich erstreckte, konnte jetzt durch Eilwagen in weniger als zwei Tagen zurückgelegt werden, von Zürich nach Mailand in weniger als drei Tagen. Lastwagen brauchten von Zürich nach Mailand 14 Tage. Die Linie über den Bernhardin nach Beilenz und Corno war zwei Meilen weiter, aber allerdings durch Lawinen nicht gefährdet. In bezug auf Sicherheit waren beide Pässe aneinander zu wagen. Die Gegend am Monte Cenere stand nicht in gutem Rufe, wie auch in der Nähe von Campo dolcino nicht unbeschränkte Sicherheit herrschte. Die Postwagen boten alle Bequemlichkeit, und selbst im Winter bei Sturm und tiefem Schnee war das Reisen fast ideal. Der Oberförster Kasthofer aus Bern berichtet ( 1826 ) von sogenannten Kastenschlitten, die nicht breiter als ein Sarg und mit einem vollständigen Bett ausgerüstet waren, worin sich eine Person ihrer ganzen Länge nach ausstrecken konnte. Auf der Höhe eines Berges musste man den Kasten jeweils wenden, damit der Kopf oben blieb.

Wie Bavier1 ) mitteilt, entwickelte sich in den ersten Jahrzehnten nach dem Bau der Strasse ein verhältnismässig bedeutender Verkehr. Der Warentransport, der im Jahre 1856 auf 270,995 Zentner an Kaufmannsgütern gestiegen war, sank dann freilich im Jahre 1875 auf 50,000 Zentner herab infolge der zunehmenden Anziehungskraft der Eisenbahnen über den Brenner und Mont Cenis. Allerdings machte sich die Bedeutung der Gotthardstrasse, die 1830 fertig erstellt war, allmählich auch geltend, obschon für Zürich und die Ostschweiz der Splügen günstigere Verhältnisse bot. Immerhin wies der Postverkehr auch weiterhin eine namhafte Steigerung auf. Die Zahl der im Jahre 1876 über den Splügen beförderten Postreisenden betrug 30,205. Ich erinnere mich noch gut aus meiner Jugendzeit, welcher Beliebtheit der Splügenpass sich erfreute, zumal in Zürich, da dieser hauptsächlich für den Personen- und Warenverkehr, insbesondere für den Seidenhandel nach der Lombardei und dem Orient, in Betracht kam. Es war ein gewisser Glanz über dem Namen Splügen, dessen schöne und interessante Landschaft in Wort und Bild 1 ) vielfach dargestellt wurde.

Wie schliesslich alles Schöne ein Ende nimmt, so dauerte auch beim Splügen die Herrlichkeit nicht allzulange. Der Bau der Eisenbahn durch den Gotthard ( 1882 ) gab dem Splügen den Todesstoss.

Die Geschichte hat uns gezeigt, welchen Wechselfällen der Splügenpass unterworfen war, wie in den verschiedenen Zeiten Verkehr und Handel rasche Umwälzungen erfuhren und wie das Leben, das auf der Strasse und in den Tälern sich bewegte, je nach den politischen Verhältnissen stets wechselnde Bilder entwickelte. Rasches Aufblühen und ungeahnter Verfall lösten sich in schneller Folge ab. Aber bei all diesem Wechsel ist sich die Natur gleich geblieben. Immer noch hebt das Tambohorn sein Schneehaupt empor und hält treue Wacht am Ursprung des Rheins. Gleich wie vor tausend und mehr Jahren dehnen sich die stillen Wiesengelände friedlich zwischen den Bergen aus. In gleicher Ruhe fliesst der junge Rhein, nachdem er kaum seiner Wiege entronnen ist, im Rheinwald dahin, nicht ahnend, dass weit draussen in der nordischen Tiefebene entzweite Völker um seinen Besitz sich streiten. Und gleich geblieben ist im Wechsel der Zeiten der biedere und einfache Sinn der Bevölkerung, vor allem ihre Liebe zur Heimat und das Festhalten an den von den Ahnen überlieferten Sitten und an der ererbten Sprache. Hierfür nur zwei Beispiele: Während im Rheinwald durch die Einwanderung der Walser die deutsche Sprache auf die Dauer sich eingewurzelt hatte, war im Schams immer noch die ursprüngliche rätoromanische Sprache herrschend. Offenbar veranlasst durch die Steigerung des Verkehrs, der infolge des Baues der neuen Strasse in Aussicht stand, wurde vielfach, sogar unter Romanen, die Frage aufgeworfen, ob es für den ganzen Kanton nicht besser wäre, nur eine allgemeine Sprache, nämlich die deutsche, einzuführen. Diesem ketzerischen Gedanken trat mit aller Energie der Pfarrer Mathias Konradi aus Andeer entgegen, indem er ausführte: « Weg mit dem vergeblichen Gedanken, unsere Sprache zu verbannen! Nein, nicht ausreuten, wohl aber ausbauen, verbessern, vervollkommnen sollen wir diese unsere gemeinnützige Sprache ( durch Schulbücher, bessere Schulen, Wörterbücher ). » Der begeisterte Patriot liess seinen Worten gleich die Tat folgen, indem er im Jahre 1820 eine « Praktische deutsch-romanische Grammatik » und in den Jahren 1823/26 ein « Taschenwörterbuch der romanisch-deutschen Sprache » herausgab, das jetzt noch seinen Wert hat. Von demselben Verfasser stammt ein Buch: « Geschichte und Gedichte über das Schamsertal. » Von der Macht der Liebe zur Heimat bietet der Doktor Anton Grass von Portein am Heinzenberg ein glänzendes Beispiel. Er hatte in Venedig, Basel, Oxford und Leyden studiert und kehrte nach mehrjähriger Tätigkeit in die Heimat zurück. Sein Ruf als geschickter Arzt verbreitete sich bald auch ausserhalb seiner Heimat. Im Jahre 1741 berief ihn Friedrich der Grosse als Leibarzt nach Berlin. Grass lehnte aber die Ehre ab und zog es vor, als DIE GESCHICHTE DES SPLÜ GENPAS SES.

bescheidener Landarzt in seiner engeren Heimat zum Wohle seiner Landsleute zu wirken, und lehnte auch zwei weitere Berufungen an die Höfe von Frankreich und England ab. Er war mit den klassischen und vielen modernen Sprachen vertraut, ja er lernte sogar arabisch, um die medizinischen Schriften der Araber zu studieren. Er blieb in seinem Portein in der reinen Alpenluft, wo er beinahe das Alter von 90 Jahren erreichte und, wie die Biographen berichten, in seinen letzten Jahren fast nur von Milch und Branntwein lebte.

Als Vorzug der Splügenlinie darf auch ihre landschaftliche Schönheit betrachtet werden, die in einer abwechslungsreichen Reihe einzelner Bilder sich offenbart. Es ist wohl nicht nötig, das Domleschg, das erste geschlossene Landschaftsbild von Norden her, weitläufig zu schildern. Als ich einst von Safien-Neukirch her auf dem wenig bekannten Pischolapass die Höhe des Heinzenberges erreichte, bot sich mir ein so überraschend schöner Blick über das von einer grossartigen Gebirgsszenerie umgebene Domleschg, dass mir unwillkürlich der Gedanke aufstieg, es könne an keinem andern Ort der Welt schöner sein als hier. Eine Wanderung durch dieses wie ein Garten sich ausbreitende Tal mit seinen vielen Schlössern und in Obstbäumen versteckten Dörfern zeigt den Reichtum, den die Fruchtbarkeit des Bodens spendet. Nirgends in der Schweiz gedeiht das Obst so üppig wie im Domleschg. Man hat vor etwa 100 Jahren auch angefangen, bei Baldenstein die Seidenkultur einzuführen, und Versuche versprachen die besten Aussichten. Es zeigte sich, dass die hierländische Seide die italienische an Feinheit sogar übertraf. Doch, sei es wegen klimatischen Schwierigkeiten, sei es, weil die Bevölkerung für die Entwicklung der Industrie zu wenig Verständnis zeigte, der Versuch konnte niemals zu einem dauernden Unternehmen gedeihen. Wie sehr die Auffassung von der landschaftlichen Schönheit im Laufe der Jahrhunderte sich geändert hat, zeigen Aufzeichnungen des bereits genannten Herrn von Rosenroll aus dem Jahre 1706. Während ihm die Berge rauh erscheinen, voll Mühsal und Grausen, preist er dagegen den Heinzenberg in einer nach unserer Empfindung allzu überschwenglichen Art.

Die tiefe, düstere Schlucht der Via Mala mit ihren steil aufsteigenden Wänden wird immer als auserlesenes Kunststück der Natur vom durchziehenden Wanderer bewundert werden, auch nachdem an vielen andern Stellen der Alpen seltsame Wunder erschlossen worden sind.

Und welch freundliches Bild entwickelt nach dem Austritt aus der beengenden Schlucht das an Dörfern reiche Schams, das so viele Spuren eines früheren regen Lebens hinterlassen hat. Wem etwa an einem heissen Sommertage die Wanderung auf der Strasse von Zillis nach Andeer mühsam erscheint, der kann seinen Sinn an dem Anblick der schönen Splügenberge im Vordergrunde oder an den Abhängen des Piz Beverin, über welche die vielen alten Dörfer malerisch zerstreut liegen, erfreuen. Vielleicht entdeckt er auch bei einer Brücke die beim Strassenbau angebrachte lateinische Inschrift, deren Inhalt ihn zum Nachdenken anregen wird. Sie lautet in deutscher Sprache: « Nunmehr steht der Weg offen den Feinden und den Freunden. Seid auf eurer Hut, Rätier! Die Einfachheit der Sitten und die Einigkeit werden uns die von den Vätern ererbte Freiheit wahren. » Die Lieblichkeit des Schams zeigte sich mir einst so recht augenscheinlich beim Übergang von Zillis über den Muttnerpass nach Solis hinüber. Beim Sommerdörfchen Samest genoss ich vor allem die Schau über den alten Römerweg vom Beverin her gegen die Alp Annarosa hin. In Gedanken sah ich die Waffen der stolzen römischen Legionen, die einst dort vorübergegangen sein mochten, in der Sonne funkeln. Es ist freilich ein Gedanke, der das schöne Landschaftsbild trübt: die rasche Abnahme der Bevölkerung in den abseits der Hauptstrasse liegenden Gemeinden. So ergab die Volkszählung von 1835 für Wergenstein 88 Einwohner, im Jahre 1910 waren es nur noch 22. Es ist zu hoffen, dass gute Verbindungswege und die Einführung von geeigneten Erwerbszweigen die einst stärker bevölkerten Talhänge neu beleben.

Wie angenehm und kurzweilig gestaltet sich alsdann hinter Andeer der Weg durch die Roffla. Im Gegensatz zur Via Mala enthüllt diese Schlucht ihre Reize viel offener vor dem Wanderer, der im schattigen Walde von der Strasse aus eine ununterbrochene Reihe von kleinen Wasserfällen bewundert. Bald rücken die Prachtsgestalten der Splügener Dolomiten, die sich über dem vereinsamten Sufers erheben, in die Nähe, und nach einer kurzen bewaldeten Enge öffnet sich das oberste Wiesental, der Rheinwald im engern Sinn, in dessen Hintergrund Gletscher und Berge sich zu einem grossartigen malerischen Bilde zusammenstellen. Stattlich baut sich das Dorf Splügen vom Wiesenplan gegen die Berge hin auf. Wer von Safien her über den Löchlipass kommt und plötzlich das Dorf in der Tiefe erblickt, glaubt, ein mittelalterliches Städtchen vor sich zu sehen mit einer gewissen regelmässigen Anlage, mit hohen palastähnlichen Häusern, die von vergangener Pracht zeugen.

Auf der Splügenlinie haben die Bergfahrer, die gerne von grossen Höhen aus Umschau halten, Gelegenheit, zwei hervorragende Berggipfel zu besteigen. Das kühn in den Äther emporstrebende Felshorn des Piz Beverin 1 ), der schon im Jahre 1707 bestiegen wurde, bietet mitten in der Graubündner Gebirgslandschaft mit seinen 3000 Meter eine grossartige wechselvolle Rundsicht. Und von der Passhöhe des Splügen reckt sich das stolze Schneehaupt des Tambohorns in kühnem Schwunge empor, von dessen Höhe mir einst an einem schönen, reinen Sonntagmorgen vergönnt war, einen weiten Alpenkranz zu überblicken und selbst den Dom von Mailand zu erkennen.

Ich glaube, diese Betrachtungen nicht passender abschliessen zu können, als wenn ich kurz auseinandersetze, welche Würdigung unser Pass in der Dichtkunst gefunden hat. Auf der italienischen Seite ist es kein geringerer als Giosuè Carducci, der in warmen, tiefempfundenen Worten von der erhabenen Natur jener Gebirgswelt sich begeistern lässt. Der genannte Dichter, der glänzendste Lyriker Italiens in der Neuzeit, hielt sich während vieler Jahre regelmässig mehrere Wochen im Badeort Madesimo auf und gab die Eindrücke der ihn umgebenden Natur in verschiedenen Gedichten wieder, von denen hier nur die « Elegia del monte Spluga » erwähnt sei.

Von den Schweizerdichtern ist es hauptsächlich der wanderfrohe J. V. Widmann, der mit Vorliebe den Splügen und die Hinterrheintäler besuchte. Die schön geschriebenen Erzählungen 1 ), die über kurzweilige Reiseerlebnisse berichten, aber auch die Gegenden im Lichte der Geschichte und landschaftlichen Schönheit darstellen, sollte jeder Wanderer lesen, der seine Schritte von Thusis gegen den Splügen hin lenkt.

Aber in noch höherem Grade wirkten die gewaltigen und mannigfachen Reize des Hinterrheins auf das Sinnen und Gestalten C. F. Meyers, des tiefsinnigsten unserer Alpendichter. Im « Jürg Jenatsch » treten uns an vielen Stellen Landschaftsbilder aus jener Gegend vor Augen, das freundliche, milde Gelände des Domleschg und sodann die wilden Szenerien der Rheinschluchten. Doch vor allem für die grosse Novelle « Die Richterin », deren Haupthandlung auf der Burg Malmot verläuft, gab die Landschaft des Rheinwalds den malerischen Hintergrund. Meyer liebte sowohl Farben und Licht der Vorberge als auch die Leben gebärende Natur des Hochgebirges. Wie tief er sich in die Natur hineinfühlte und wie ihre Kräfte in seinem Innern Gedanken und Bilder derart weckten, dass die äussere Natur und des Dichters Seele untrennbar zusammenstimmen, beweisen mehrere Stellen, aus denen wir den Schauplatz der wilden Via Mala erkennen, z.B. wenn er sagt: « Der Jüngling schlug, von dem nahen Tosen des Stromes geführt, den Weg gegen die Schlucht ein, die furchtbarste in Rätien. In dem Schlund, wo der Strom wütete, betrat er eine Hölle; über der rasenden Flut drehten und krümmten sich ungeheure Gestalten, die der flammende Himmel auseinanderriss und die sich in der Finsternis wieder umarmten. Da war nichts mehr von den lichten Gesetzen und den schönen Massen der Erde. Das war eine Welt der Willkür, des Trotzes, der Auflehnung. » In jenen Gegenden entstand auch das schöne Gedicht « Noch einmal », in dem wir dem bekannten Vers begegnen: « O Atem der Berge, beglückender Hauch !» Als ich in den wundervollen sonnenreichen Tagen des vergangenen Oktobers noch einmal über den Splügen wanderte und seine Schönheiten mit Wonne genoss, kamen mir die Freuden des Alpenreisens, aber wohlverstanden des Wanderns zu Fuss, so recht zum Bewusstsein; doch in dieses tiefe Gefühl der Freude mischte sich der Gedanke an die Vergänglichkeit des Irdischen: die einst so beliebte Völkerstrasse ruht jetzt vereinsamt im stillen Gebirge. Und wenn binnen kurzem eine Bernhardinbahn durch die rätischen Schluchten sich winden wird oder gar der dunkle Schoss der Erde für einen grossen Splügendurchstich sich öffnen muss, dann wird der alte schöne Pfad über den Splügen noch mehr vereinsamt werden. Ich gebe mich aber der Hoffnung hin, dass dieser durch landschaftliche Schönheit und geschichtliche Denk-würdigkeit hervorragende Alpenweg auch in Zukunft unter wanderfrohen Bergfreunden Verehrer und Bewunderer finden werde.

1 ) J. V. Widmann: Du schöne Welt! Verlag von Huber & Co., Frauenfeld 1907.

E. Walder.

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