Dreimal Bedretto | Club Alpino Svizzero CAS
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Dreimal Bedretto

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Von Frithjof Stüssl

Mit 2 Bildern ( 36, 37Wädenswil ) /. Durchhalten oder - als noch keine Cristallinahütte stand « Einsteigen - Départ - Partenza! » Langsam rollt der Zug über die Geleise aus dem Bahnhof Göschenen ins schwarze Loch. Mein Freund Geni schliesst das Fenster, und für die nächsten dreizehn Minuten übertönt das dumpfe Tunnelgetöse das Schwatzen der gesprächigen Mitreisenden. Wir zwei sind in Gedanken einige Kilometer voraus und sprechen vom Wetter auf der andern Seite: Ist's wohl klar drüben? Für unser Vorhaben ersehnen wir Glanzwetter während der nächsten 24 Stunden, sonst gelingt es nicht. Das Tunnelgebrumm klingt plötzlich heller - wir reissen das Fenster herunter - der Wagen flitzt aus dem Loch -das Herz im Leib lacht: schönster Abend! Hoffentlich hält 's ( denn beide haben wir hinten am Corno die Wolkenwand bemerkt, aber keiner spricht davon !).

Mit geschulterten Ski wandern wir ins Bedretto hinein und in den herrlichen Frühlingsabend. Vorbei an Fontana. Kurzer Halt in Ossasco, um im Hotel Nufenen den Schlüssel für die Basodinohütte zu übernehmen, für alle Fälle... ( Wir sind uns zwar über das « Wo » unserer Nächtigung noch nicht im klaren. ) Hinter dem Dörfchen schnallen wir die Ski an und steigen steil bergan, durchschreiten den Waldgürtel und erreichen über die sanften Hänge den Fuss des Buckels unterhalb der Alpe di Cristallina. Es beginnt zu dunkeln, und damit kommen die Schwierigkeiten, die kräftesparendste Route zu erwischen. Wir haben Glück und finden uns ohne weiteres zu den noch tief verschneiten Hütten der Alp hinauf. Ein Liebäugeln mit dieser - allerdings primitiven - Notunterkunft erstickt im Keim. Weiter geht 's! Es folgt die Traversierung der beinhart gefrorenen westlichen Talhänge, und ziemlich abgekämpft erreichen wir eine Art Terrasse, dort, wo das Val Torta im Knick nach Westen abbiegt. Wir stehen bei einem knapp mannshohen Steingebilde: drei Wände, ein improvi- Die Alpen - 1956 - Let Alpes5 siertes Dach, wahrscheinlich der sommerliche Schutz eines Ziegenhirten. Das Wetter hat sich verschlechtert. Bewölkter Himmel. Wir beratschlagen und beschliessen, hier zu nächtigen, um uns am Morgen früh, je nach Wetter, für den Weitermarsch oder Rückzug zu entschliessen. Während mein Freund am verschneiten Bach unten sich mit Wasserholen zu schaffen macht, versuche ich, ein Lager herzurichten. Die Schneeschicht am Boden ist rasch herausgescharrt ( eine Türe hat es ja keine ) und darunter findet sich eine dünne, wenn auch feuchte, stinkende Heuschicht. Der zweiplätzige Ballonstoffsack wird daraufgelegt, zwei Baumwollsäcke in diese Schutzhülle gesteckt, und schon ist ein fürstliches Lager bereit. Inzwischen rückt Geni mit Wasser und - nassen Hosen bis zum Bauch - an; er ist in der Dunkelheit durchgebrochen und wäre beinahe jämmerlich ertrunken! Frische Unterwäsche, warmer Tee und gute Laune, nicht zuletzt das Gefühl von - allerdings bescheidener -Geborgenheit sorgen aber dafür, dass es uns « nirgends besser gehen könnte », und bald schlummern wir in den andern Tag hinüber.

Das Erwachen bringt eine kleine Enttäuschung, denn es hat leicht zu schneien begonnen, was uns aber nicht hindern soll, wenigstens zum Cristallinapass vorzustossen. Punkt 6 Uhr schalten wir auf der Fuorcla eine Frühstücksrast ein und freuen uns am Ausblick auf unser weiteres Ziel: Basòdino. Es hat zu schneien aufgehört, und im Süden heitert es mächtig auf. Auftrieb! Wir reissen die Felle ab und schwingen in den Morgen hinein, was die Knochen halten. Erst unterhalb des Lago Bianco gebietet der gefährlich verschneite Bach Vorsicht und zwingt zu aufmerksamem Weiterfahren. Tiefe Löcher und riesige Gwächten entlang des heimtückischen Tälchens lassen uns ahnen, was uns geblüht hätte, wenn wir diese Stellen des Nachts ahnungslos passiert hätten. ( Einige Jahre später ist hier ein prächtiger Kamerad in nächtlicher Abfahrt zugedeckt und ins Wasser gedrückt worden. ) Wir kennen beide die Gegend vom Sommer her und finden uns schliesslich zur Basodinohütte durch, wo wir die verschlossene Türe öffnen und uns zum Znüni niederlassen. Es scheint kein Mensch weit und breit zu sein. Aber noch ist das Ziel allzuweit entfernt, weshalb uns nur eine kurze Rast vergönnt ist. Wir lassen alles Entbehrliche zurück und spuren in dem hier über Nacht gefallenen Neuschnee in einem weit nach Nordwesten ausholenden Bogen dem Basodinogletscher zu. Es wird warm. Die Sonne scheint unbarmherzig auf die zwei schwachen Menschlein hinunter, die sich im Spuren durch den weicher werdenden Schnee immer häufiger ablösen. Ob die Sonne wohl das leise Fluchen der zwei winzigen Punkte auf dem Gletscher unten vernommen hat? Sie brennt deshalb noch heisser! Unter den Fellen bilden sich Stollen. Die zwei Menschlein werden noch « kleiner »! Ab und zu schnallen sie die Ski ab, um die Stollen über und das Eis unter den Fellen abzukratzen. Aber sie bleiben fest entschlossen, den Grat zu erreichen, und da hat auch die Sonne ein Erbarmen: sie versteckt sich hinter einer riesigen Wolke!

Es ist wie ein Erwachen aus einem Traum, als wir den Gipfelgrat und damit das Skidepot im dichten Wolkentreiben erreichen. Erleichtert atmen wir auf. Wir verzichten angesichts der vorgerückten Zeit und des in Wolken gehüllten Gipfels auf den Gang zum Signal und rüsten uns eilig zur Abfahrt, die uns Erholung gibt. Wie schnell sind die Aufstiegsstrapazen doch vergessenEs ist 3 Uhr nachmittags, als wir die Basodinohüttentüre wieder verschliessen und frisch gestärkt den Wiederanstieg zum Cristallinapass antreten. Inzwischen aber hat die Sonne ihre Wirkung auch auf den Schnee in den Steilhängen zwischen den Laghi Bianco und Sfundau ausgeübt, und was uns hier oben erwartet, ist nicht nur beschwerlich! In knietiefem Pflotsch spuren wir im Zickzack hinauf, sehen aber bald ein, dass einzelne Hangpartien zu gefährlich sind. Wir halten deshalb auf möglichst ausgeaperte Steilrippen zu und steigen zu Fuss, die Ski auf den Säcken, über die Schrofen. Auch wenn einer dann und wann wieder bis zur Hüfte einsackt, gewinnen wir doch an Höhe, und beim Lago Sfundau treffen wir auf bessern Schnee. Ein herrliches Abendlüftchen - es ist inzwischen 5 Uhr geworden - hilft uns, die letzte einstündige Steigung mit allerletztem Kraftaufwand zu überwinden. Glücklich, aber am Ende unserer Kräfte, stehen wir wieder auf dem Cristallinapass. Jetzt gibt es nur noch ein Rezept: Beine zusammen, im Schuss durch den Bruchharsch bis zum nächsten Salto! Denn die Muskeln sind zu müde und zu nichts anderem fähig und müssen sich während des ersten leichten Teils der Abfahrt erholen... Und sie tun es auch, wie vorher auf dem Basodinogletscher. Wir hetzen einander gegenseitig zu Tal, um noch vor Einbruch der Dämmerung die steilen, kniffeligen Waldpartien hinter uns zu bringen. Und wir haben, wie schon so oft, wieder Glück in allem. Mit ganzen Knochen erreichen wir Ossasco, das Schlüsseldepot, nicht mehr aber den letzten Zug in Airolo! Ein mitternächtlicher Roter Pfeil mit lustiger Gesellschaft, welcher eigentlich nur zufällig in Airolo hält, nimmt uns aber freundlich auf, und während des geruhsamen Heimwärtsrollens haben wir Zeit, über unsere gut gelungene Tour zu sinnieren. Und beide denken das gleiche: an die Schönheiten des verflossenen Tages!

II. Pulverschneemärchen Ich sitze in einer Ecke des wärmsten aller Kachelöfen, den die freundliche Pia für ihre Touristen von jeher extra gut « vorbereitet » hat. Vor zwei Tagen feierten wir unsere erste Soldatenweihnacht, und mit dem zweiten Kontingent unserer Kompagnie durfte ich heute den Weihnachtsurlaub antreten. So bin ich abends durchs Bedretto hierher nach Villa in den Albergo Turista gezogen. Die Schneeverhältnisse scheinen ausgezeichnet, die körperliche Verfassung ebenso; also freue ich mich auf eine grosse, hochwinterliche Tour. Nur ungern vertausche ich den heimeligen Ofenplatz mit dem eiskalten Schlaf gemach; aber vor einem anstrengenden Aufstieg soll man tüchtig schlafen, um ausgeruht zu sein!

Durch den tief und frisch verschneiten Tannenwald ziehe ich schräg hinauf ins vertraute Val Torta hinein. Die höhern Bergspitzen sind aus ihrem kalten, blassvioletten Schlummer erwacht und lassen sich von der neues Leben spendenden Morgensonne rosarot anhauchen, was in mir, trotz eisiger Kälte, ein Gefühl von Wärme erweckt. Exzelsior!

Ein Begleiter - ebenfalls ein Einzelgänger - hat sich angehängt, was mich aber nicht hindert, meinen eigenen Tramp durch die hochwinterliche, in reinstes Weiss verzauberte Landschaft einzuschlagen. Über den Passo di Narèt erreiche ich nach kurzer Abfahrt den gleichnamigen See, und weil die herüberglänzenden Hänge des Pizzo del Lago Scuro so unberührt verlockend schimmern, ziehe ich meine Spur zu einem Abstecher dort hinauf weiter. Die kurze, aber wundervolle Pulverschneeabfahrt zurück lässt mich ahnen, welche späteren Freuden mir noch bevorstehen. Ich rüste beim Lago di Narèt sofort zum Weiteranstieg und möchte heute, da es die Verhältnisse gestatten, einmal von Osten her auf die Cristallina. Mein Begleiter scheint jedoch für diesen Lauf keine Lust mehr zu haben, verabschiedet sich und kehrt in unserer Spur über den Naretpass zurück. So bleibt mir allein die Spurarbeit durch die langen Hänge zum Gipfel! Mit entsprechendem Tempo fahre ich los. Der lockere Neuschnee zwingt am riesigen Gipfelhang zu äusserster Vorsicht. Behutsam kehre ich in den Zickzacks die Spitzen, um ja keine grossen Erschütterungen auszulösen, und halte links gegen den steilen Südostgrat. Die letzten Spitzkehren lege ich auf der exponierten Kante, aber hier bin ich eher sicher, dass nichts abrutscht. Um 3 Uhr stosse ich die langen Hölzer schräg durch die kleine Gipfeigwächte. Die vorhandenen Spuren « menschlicher Würde » lassen auf regen Besuch schliessen. Aber kein Mensch ist mehr sichtbar, was für mich bedeutet: du bist auf dich selbst angewiesen, also vorsichtig abfahren!

Ich versorge die Felle, trete in die Bindung und versuche, noch etwas steif, den ersten Schwung ins Gipfelcouloir. Das Zeug hält, und ich gewinne Vertrauen. Nun kann 's losgehen! Ein unbeschwerliches Schwingen in lockerstem Pulverschnee auf einer Idealunterlage hebt an. Fast glaube ich, Flügel zu besitzen, so leicht und lautlos erscheint mir das Abwärtsgleiten. Aber auch nicht des geringsten Windes Hauch hat den glitzernden, staubzucker-ähnlichen Schnee verdorben. Die weisse Masse liegt noch so, wie sie bei Windstille gefallen ist, und verändert sich auch nicht, je tiefer ich die Spuren ziehe. Den Cristallinapass lasse ich rechts liegen und steige eilig zur Vallegialücke auf, um über den gleichnamigen Gletscher traversierend das Val Cavagnolo zu erreichen. Die nun folgenden tausend Meter Höhendifferenz stehen dem bisher Erlebten nicht nach: es ist ein einziges befreiendes Schwingen und Schwelgen durch flaumigen Pulverschnee! In diesem Riesenkessel wahrlich ein grandioses Finale!

4 Uhr ist 's, als ich das kleine Brüggli bei der Zollstange All'Acqua überschreite, und auf gut verschneitem Strässchen gleite ich mit grosser Befriedigung das Bedretto auswärts, Airolo und meiner Kompagnie zu.

///. Gipfelrast im Sonnenglast Erinnerst Du Dich, lieber Freund, der Du an jenem föhnigen Dezembertag dabei warst? Als Klubtour erstiegen wir auf bekanntem Weg den Cristallinagipfel. Weisst Du noch, wie wir uns in den Granitquadern des Gipfels sonnten, die entblössten, durch den kalten Nord-flankenaufstieg erstarrten Füsse auf die warmen Felsen ausstreckten, Zigaretten schmauchend dahindösten und mitsummten zu den fibrierenden Tönen aus Heinis Muhdorgel? Dazu die unendliche Fernsicht in alle Himmelsrichtungen und das wogende Wolkenmeer zu unsern Fussen italienwärts? Was konnte uns da der Bruchharsch auf der Abfahrt schon verderben? Diesmal begann und endigte unser grosses Erlebnis auf dem Gipfel!

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