Ein Vorstoss in den Hohen, Mittleren und den Sahara-Atlas | Club Alpino Svizzero CAS
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Ein Vorstoss in den Hohen, Mittleren und den Sahara-Atlas

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In der breit nordwärts ausladenden Westflanke seiner Nordküste gewinnt der afrikanische Kontinent die meist nach europäischem Bauplan geformten Züge seines Antlitzes. Hier treffen wir das alte Mauretanien von nach alpinem Muster angelegten Gebirgssystemen, jungtertiären Faltengebirgen durchzogen; europäisch-asiatischer Bauplan fügt sich hier wie ein trait d' union zwischen den gewaltigen, alten und südwärts anschliessenden afrikanischen Kontinentalblock und die alpinen Faltengebirge; europäischer Bautypus greift in Algerien und Marokko nach Afrika hinüber.

Als solche, den Alpen vergleichbare Faltengebirge erkennen wir längs der Mittelmeerküste das marokkanische Rif, welches seine orographische und geologische Fortsetzung im algerischen Telr hat; die südwärts gerichtete Front des Rif schaut gegen die ausgedehnte marokkanische Meseta, das alte Zwischenland, das den Hauptanteil an Marokkos Aufbau nimmt; dieser Rumpf fügt sich seinerseits südwärts an den Rückgrat des ganzen Landes: den mächtigen Gebirgsstamm des marokkanischen Atlas, der auf eine Erstreckung von zirka 850 km von Südwesten nach Nordosten das marokkanische Stammland von den saharischen Plateaus scheidet.

Der Atlas im weiteren Sinne gliedert sich in einzelne, einander ablösende Teilstücke: mit erst bescheidenen, lang sich hinziehenden Gebirgsrücken entsteigt dem atlantischen Ozean das ausgehende Westende des Gebirges, das landeinwärts nach ungefähr 100 km zu den einen guten Teil des Jahres schnee-tragenden Hochgebirgsketten des Hohen Atlas anwächst; wie ein südlicher Stützpfeiler schart sich unter spitzem Winkel an diesen Hauptstamm der Anti-Atlas, und nördlich vor den Hohen Atlas stel't sich in dessen östlichem Abschnitt als mächtiger Vorwall der Mittlere Atlas. Hoher und Mittlerer Atlas gehen nach Nordosten in eine schon an saharisches Plateauland erinnernde Tafellandschaft über, womit der Atlas im engeren Sinne sein östliches Ende findet. Aus diesem Tafelland gehen aber ostwärts neuerdings zahlreiche Faltenstränge hervor, die das algerische Bergland formen und zwischen sich das ausgedehnte Plateau der Schotts einschliessen; ihre südliche Randzone, der Sahara-Atlas, besäumt die in die Sahara überleitenden Kreideplateaus.

Ein unabsehbares Gewoge von Ketten und Gipfeln, von Höhen und Tiefen, dort aufragend in die nordisch kalte Zone, hier in die Glut des Wüsten-sandes sich hinabsenkend, erfüllt dieses als Ganzes die Alpenlänge — über 2000 km — bedeutend übertreffende Bergland. Noch sind dessen Teile wissenschaftlich und turistisch recht ungleich erschlossen. Während die algerischen Gebirge schon recht eingehend erforscht und bekannt sind, harrt im marokkanischen Atlas noch ein mächtig grosses Neuland der Erschliessung. Doch schon haben die dem Lande reichen Segen bringenden Auswirkungen des noch jungen französischen Protektorates bis weit hinein ins Gebirge sich fühlbar gemacht. Für verschiedene Teile desselben bestehen schon topographische Karten, die in recht rascher Folge in Blättern von 1:200,000 erscheinen, und Strassenzüge, teils erst im Bau und im wesentlichen der strategisch-administrativen Beherrschung des Landes dienend, dringen keck und herausfordernd bis ins Herz des Gebirgslandes vor. Immerhin kann noch nicht von einer Eröffnung des Gebirgslandes für freie Forschung und turistische Unternehmungen gesprochen werden, da einerseits politisch-administrative Erwägungen, andererseits die abweisende Haltung dissidenter Stämme eine freie Bewegung hindern; zudem ist Expeditionsausrüstung für grössere Unternehmungen unerlässlich.

Im Frühjahr 1926 hatte ich Gelegenheit, mit diesem Gebirge an einigen wenigen Stellen Bekanntschaft zu machen, und dies als Teilnehmer an einer schweizerischen wissenschaftlichen Expedition, welche unter der Leitung des Pflanzengeographen Dr. J. Braun-Blanquet ( Montpellier ) dank seiner Organisation und der wirksamen Unterstützung durch M. Liouville des « Institut scientifique chérifien » in Rabat einen vollen Erfolg hatte und aus dem interessanten Lande des Sherifen reiche Ausbeute mit nach Hause brachte. Wenn auch das Gebirgsland nicht das Hauptziel der Expedition ausmachte, so war es den beiden Geologen der Expedition und ihren « zugewandten Orten » dennoch möglich, recht tief in dasselbe einzudringen, weshalb in den « Alpen » eine kleine Plauderei von diesen Streifzügen mit Ausblicken auf Bau und Bild dieses Gebirges nicht unangebracht erscheinen mag.

Über flachwelliges Gelände, welches auf unabsehbare Strecken das zarte Grün der spriessenden Getreidefelder anmutig kleidete, ging die Reise in den letzten Märztagen Marokkos Westküste entlang südwärts. In eiliger Folge reihte sich Bild an Bild aus dem Leben des an und für sich so friedliebenden marokkanischen Bauern: da Gruppe an Gruppe kleiner Strassenkarawane, angeführt durch das gemütlich einhertrabende Kamel, das hochnäsig dem flüchtig an ihm vorbeigleitenden Auto den Tribut der Verachtung zollt, dort mitten in freiem Felde das Gewühl eines Marktes, Volk und Vieh ein buntbewegtes Auf-und-Nieder, oder dort wieder ein hochbeiniges Storchenpaar, das sich am Strassenrand niedergelassen und nur ungern sich von dem fremden Vehikel aus seiner Beschaulichkeit stören lässt. Gleich weissen Zuckerhäufchen im grünen Gelände, das Steilufer des Ozeans überragend, nehmen sich die ersten Stadtsiedelungen aus: Azemmour, Mazagan, Safi.

Schon trennen uns mehr als 430 km Südwärtsfahrt von Casablanca, als uns beim Oued Tensift, dem Hauptwasserlauf Südmarokkos, der erste Atlasblick zuteil wird. Alsbald stellen sich auch die nördlichsten, im weiten Vorland ausklingenden Wellungen der Atlasfaltung ein. Es sind kurz gezogene Jurakalkfalten, übereinkommend mit kleinen, grünen Bergzügen, die in Aufbau und Formationsfolge — Djebel Hadid: Jurakalkgewölbe mit aufgebrochenem Triaskern — unseren Jurabergen ähnlich sehen. Der Djebel Hadid hält Botaniker und Geologen eben für eine kurze Erkundung fest.

Fig. 1. Orientierungsskizze für Marokko und seine Gebirge.

Von der die Küste um gut 600 m überragenden Höhe schweift der Blick seewärts dem weissen Schaumbande des Ufers entlang bis Safi mit seiner wilden Brandung oder in entgegengesetzter Richtung bis zu den Sanddünen von Mogador, ein zitternd gelblich weisses Band am südlichen Horizont. Unwillkürlich gefesselt bleibt aber das Auge durch den landeinwärts gerichteten Blick. Der Hohe Atlas als ein bis in beträchtliche Tiefe ( etwa 2800 m ) noch als Schneegebirge sich ausnehmender Bergwall tritt mächtig hinter dem im Frühjahr schön grünen Vorland hervor. Vergeblich aber sucht man in dem hier auf eine Längserstreckung von über 200 km sich präsentierenden Gebirgswall nach alpin-scharfen Formen. Auch dieses Hauptgebirge nimmt sich auf unseren noch grossen Abstand — zirka 100 km — mehr als ein Juragebirge, zu grossen Höhen emporragend und in langgestreckten Zügen sich aneinander-reihend, aus. " Wohl lässt der Zeiss aus der weissen Kammlinie da und dort einen behäbigeren Genossen sich hervorheben, hier näher dem Westende notiert man sich nach Gestaltsähnlichkeit ein « Stätzerhorn » oder ein weisses « Zuckerhütl » und dort mehr im Hauptknoten des Gebirges gar einen « Titlis » oder « Clariden »; nach alpinen Kraftgestalten erster Ordnung späht man jedoch vergeblich.

Das in den Ozean hinausstreichende Westende des Hohen Atlas gab den ersten Einblick in dieses afrikanische « Alpenland ». Schneeige Häupter bleiben hier weit landeinwärts. Langgezogene Bergrücken, in ihrem allmählichen Niedrigerwerden als Ganzes schon das Ausgehen des Gebirgssystems gegen den Atlantik zu andeutend, zwingen den Fahrweg von Mogador nach dem 180 km weiter südlichen Agadir zu mannigfachen Kurven und Windungen über Passlücken und längs Bergeslehnen, reich an schönen Ozean- blicken. Bevor wir jedoch in das Bergland der ersten Kreide-Jurafalten eintreten, ergötzt eine nach den fast baumlosen nördlicheren Flächen besonders anmutige Landschaft das Auge und gebietet durch die Eigenart des Vegetationstypus das respektvolle Interesse der Naturkundigen. Erst in einzelnen Exemplaren, dann in einer eigentlichen Baumsavanne überwiegend, stellt sich der immergrüne Arganbaum ( Argania Sideroxylon ) ein, ein Typus-baum des westlichen Atlasvorlandes, der nebst einer verwandten Art auf Madeira als Relikt einer weit mächtigeren Entfaltung und Verbreitung im jüngeren Tertiär allein in dieser Gegend übrig geblieben ist. Seine Familie enthält zur Hauptsache tropische Formen. Es ist ein gedrungener, eher niedriger Baum, höchstens 6 m hoch, nicht unähnlich in Wuchs und Blattfarbe dem Olivenbaum; aus dem etwas knorrigen, graurindigen Stamm entwickelt sich in geringer Bodenhöhe eine fast pilzförmig breit ausladende lichte Krone. Dem Marokkaner ist dieser interessante Baum ein ausgesprochener Nutzbaum ( Arganöl, Holzkohle, Viehfutter ). Auf unserer Südwärtsfahrt macht im Hügelgelände der Arganbaum allmählich den Eichenbeständen ( vorwiegend die Grüneiche, Querem Hex ) Platz, welche in Höhen von etwa 800 m wieder von dem Thuyabaume ( Callitris quadrivalvis ) abgelöst werden. Welcher Besucher von Mogador wird sich nicht anhand seiner sicherlich dort angekauften zierlichen Holzartikel, die aus dem vornehm braunen, ast- respektive wurzelaugendurchsetzten Thuyaholz angefertigt sind, dieses schlanken, zypresseähnlichen Baumes erinnern! Und wieder eine andere Vegetationsgruppierung fesselt längs dem schmalen Küstensaum, längs welchem wir die erste Querung des hier in seinen äussersten Kalkfalten nur mehr 45 km breiten Atlas durchführen können: Euphorbiaceen ( Wolfsmilchgewächse ), im Gewände von Kakteen auftretend, umgürten in typischem Vegetationsverband die Steilgehänge beim Kap Ghir, woselbst wir den westlichsten Punkt des marokkanischen Stammlandes erreicht haben. Sinnend steht der Beschauer hier vor der mächtig anschlagenden Brandung, die, aus dem weiten Atlantik ihre Kraft schöpfend, stets bestrebt ist, das aus diesem geborene Festland wieder zurückzugewinnen. Wir stehen am westlichsten Punkt, wo heute alpenverwandte, tertiäre Falten in den Ozean hinausstreichen, wo sie hinausweisen nach ehemaligen Festlandszusammen-hängen, da wo heute grosse Ozeantiefen das scheinbar ewig Gleiche der weiten See vortäuschen. Die Spuren dieser erst in jüngster geologischer Vergangenheit zertrümmerten Brücke ragen noch in den Kanaren, grösstenteils unter vulkanischer Aufschüttung verborgen, über die Meeresoberfläche.

Mit Erreichen des vor Jahren viel genannten Agadir ist das Westende des hier kaum mehr Höhen von 1000 m erreichenden Hohen Atlas gequert. Weit schaut über Küste und Meer und die südwärts sich öffnende Ebene des Oued Sous die Bergfeste von Agadir. Nicht viel mehr als ein Trümmerhaufen elendiger Steinwürfel, seine Häuser überragt von dem kleinen Minaret seiner Moschee und dem Anachronismus der hohen Radiogerüste und eingezwängt in seine zinnengekrönte Umfassungsmauer, erweckt dieses Bergnest so recht den Eindruck eines alten Räuberhorstes. Und nicht allzu weit von Agadir scheint auch noch heute die Reisesicherheit nicht aller Zweifel Fig. 2. Der « Hauptknotenpunkt » des Hohen Atlas südsüdöstlich Marrakesch.

erhaben zu sein; wenigstens war die Strecke schon 100 km nördlich Agadir für den allgemeinen Reiseverkehr geschlossen und eine Affiche nannte den Vorstoss gegen Agadir « fortement imprudent de s'y aventurer ». Das neue Agadir ( Founti ) entwickelt sich am Fusse des hohen Festungsberges und ist der Ausgangspunkt für den fruchtbaren Sous und den weiteren Süden.

Glaubt man, dass hier der Südrand des Atlas schon unter dem heissen Atem saharischer Winde und stets glühender Sonne versengt wäre, dann ist man angenehm enttäuscht, weite grüne Getreidefelder, Zucker- und Baum-wollanpflanzungen zu begegnen und die lehmfarbigen kubischen Häusergruppen der zahlreichen Orte aus einem sattgrünen Rahmen von Dattelpalmen hervorgucken zu sehen. Ein Blick in die Ferne, woselbst einige schneeige Häupter in diese afrikanische Landschaft hinabsehen, verrät den wasserspendenden Segenbringer des Sous. Andere Berge, deren steriles Gepräge deren grössere Wüstennähe anzeigt, begrenzen den Südrand des Sous; es ist der Anti-Atlas, der mit einer wenig ausgesprochenen, schwach geschwungenen Kammlinie den südöstlichen Horizont begrenzt. Sein Inneres ist noch nahezu unerforscht, seine Höhen ragen in der südlichen Begrenzung des Sous kaum sehr wesentlich über 2000 m empor.

Vom Westende des Hohen Atlas tun wir den weiten Sprung nach Nordosten, 200 km Vogelflug über Hügel und Berge, Savanne und Steppe vor die Tore der alternsten Sultansstadt Marrakesch. Hier stehen wir wie im Schweizer Molasseland vor dem Zentralteil des Gebirges, in welchem Abschnitt der Hohe Atlas seine grössten Höhen erreicht. Der Atlasblick von Marrakesch formt bei günstiger Beleuchtung und Sicht ein Gemälde, das durch gegensatzreiches Kolorit sich tief der Erinnerung einprägt. Steht man weit draussen vor der mauerumwallten Medina auf einer der zeugen-bergartig aus der steppengleichen Ebene aufragenden Anhöhen der Djebel Gueliz, so erlabt sich das Auge am wirksamsten am Genüsse dieses einzigartig schönen Bildes. Der Vordergrund erscheint belebt und bewegt durch das wohltuende grüne Gesprenkel der graziös zu Gruppen sich zusammenfindenden Dattelpalmen; sie leiten nach dem Hintergrund zum geschlossenen Palmwald über und verdecken hinter ihren Palmwedeln die profane Neustadt Gueliz, die in respektvoller Ferne dem Bild der maurischen Stadt keinen oder nur wenig Abbruch tut; einzelne Minarets, dazu etwa ein massig plumper Eckturm der Stadtumwallung und das Wahrzeichen von Marrakesch, die schlanke Koutoubia, entragen dem Palmgrün, über welches hinweg eben noch die fernsten östlichen Hochgipfel mit kleiner Schneehaube in die Milde des Vordergrundes hineinglänzen. Der Hauptwall des Hohen Atlas, der Knotenpunkt seiner höchsten Berge, berändert, von unserem Standpunkt aus gesehen, mehr das südwärts anschliessende Steppenland, das sich bei Wasserzufuhr in den üppigsten Garten und ertragreichste Getreidefluren verwandelt; aus diesem Vorland erheben sich die ersten Atlasberge recht unvermittelt. Deutlich erkennen wir eine Art zentralmassivisches Zentrum mit Häufung hoher Schneegipfel und rechts und links davon einige isolierte Einzelmassive; deren östliches, der massig breite, zu zirka 3600 m aufragende Bou Ourioul, sollte noch unsere Bergvisite erhalten.

Vorab der Bergfahrt jedoch noch einige Worte der Orientierung über die Orographie und den Grundbauplan des Gebirges.

Südsüdöstlich Marrakesch erreicht der Hohe Atlas seine bedeutendste Massenerhebung. Nur mit geringen Unterbrechungen bleibt die Hauptkette auf über 50 km in einer Höhe von über 3200 m ( vgl. Kartenskizze Fig. 2 ) und baut sich mit ihren nördlichen und südlichen Konterforts eine recht breite Gebirgsflanke auf. Obwohl in diesem Abschnitt des Gebirges die älteren Strukturlinien des Aufbaues beinahe Nord-Süd gerichtet sind, bleibt die durch die jüngere alpine Faltungszeit bestimmte WSW—ENE-Richtung nicht nur für die aus jüngeren Formationen aufgebauten Randgebirge die herrschende Richtung der Bergketten, sondern prägt sich auch dem inneren, älteren Hochgebirge auf. Eine nähere Zusieht auf die Bauelemente gestattet, die strukturellen Beziehungen zu den Alpen ins richtige Licht zu bringen.

Die langgezogenen Jurakreidefalten, die das eben traversierte Westende bei Agadir gebirgsbildend aufbauen, sind im Zentralteil südöstlich Marrakesch zu einer relativ schmalen Randzone geworden; tiefere Formationen bauen den eigentlichen Gebirgskörper auf. Durch ihre roten Sandsteine und Konglomerate, die in gewaltiger Mächtigkeit auftreten, wird die Triasformation in ähnlicher Weise und Ausbildung, wie sie Schwarzwald und Vogesen umrandet, zu einem Hauptbildner der äusseren Bergketten; in ganz ungleichen Mächtigkeiten kommen dann weiter einwärts die unserem Verrukano vergleichbaren Zwischenbildungen zum Vorschein; stark gefaltete, in ihrer Formationszugehörigkeit noch wenig bestimmte ältere paläozoische Formationen ( kristalline Schiefer etc. ) nehmen die breitere Zone des Hochgebirges ein und werden stellenweise von den Verrukanobildungen überbrückt. Auf dem Südhang des Gebirges dürfte ein analoger Zonenbau vorhanden sein.

Wir erkennen somit im Hohen Atlas eine ähnliche Anordnung wie in den Alpen: das Auftreten zentralmassivischer Formationen, eine ältere als die alpine Faltung zeigend, die sogenannte herzynische, und diese Zentralzone begleitet von jüngeren, mesozoischen Formationen, beide im Kontakte miteinander verfaltet. Ein grosser struktureller Unterschied trennt aber beide Gebirge voneinander; während wir in den Alpen das grossartige Über-schiebungsphänomen bewundern, wobei gewaltige Schichtkomplexe bis über 100 km einander deckenförmig überfahren haben, stellt schon eine flüchtige Durchquerung des Hohen Atlas das Fehlen dieses grosszügigen Baues fest; die Auffaltung des Atlas ist, wie man sich geologisch ausdrückt, eine « autochthone », eine an Ort und Stelle wurzelnde. Der Atlas zeigt also im Grunde genommen mehr den Bauplan unseres Jura mit dem Unterschied, dass mit den Sedimenten deren tiefere und ältere Basis mit in die Auffaltung einbezogen wurde; er ist gewissermassen ein « übertriebenes Juragebirge »; es wird denn auch in der neueren geologischen Forschung der Atlas nur mehr als eine südliche Rücklandfaltung zu den eigentlichen mächtigeren alpinen Gebirgssystemen, den sogenannten Alpiden, angesehen.

Bei der relativ beschränkten Breitenentwicklung des Hohen Atlas und dem starken Sichherausheben des Zentral teiles hat die Talbildung eine recht einfache Entwicklung genommen. Wir sehen die Haupttäler und ihre Flüsse von der Wasserscheide ziemlich konsequent dem Vorland von Marrakesch zustreben. Von den auf die Haouz, die Ebene von Marrakesch, ausmündenden Atlastälern sind deren schon zwei mit Strassenanlagen versehen: ins Herz des Hochlandes leitet jenes von As ni, den Übergang nach der Südseite des Atlas vermittelt jenes von Zerekten, woselbst der Tizi n'Telouet ( Tizi = Pass ) im Atlas ungefähr die gleiche Verkehrsrolle spielt wie der St. Gotthard in den Zentralalpen.

« Politische » Erwägungen leiteten unsere Expedition in das Tal von Zerekten, wo unsere Bestrebungen dank des grossen Entgegenkommens des kommandierenden Generals von Südmarokko, M. Dougan, zu einem vollen Erfolg führten. Eine militärisches Kampement bei Zerekten, das damals der für Autos weitest bergwärts vorgeschobene Punkt an der in Bau befindlichen Strasse war, gab den Ausgangspunkt für unsere Unternehmungen.

Während botanischer und entomologischer Forschereifer in den nächsten Tagen die näheren Gehänge in Angriff nahm, wandte sich eine fünfköpfige Stosstruppe gebirgseinwärts nach dem hier hervorragendsten Hochgipfel, dem Djebel Bou Ourioul oder, wie ihn die nächsten Anwohner nennen, dem Djebel Aouldjdid ( 3576 m ) zu.

Zu dieser kleinen Truppe, die das Schweizerfähnlein bis auf die Atlaswasserscheide zu bringen gedachte, gehörten natürlich die geologischen Spürnasen, Freund Dr. Rudolf Staub und Frau, mein Hammer und sein bescheidener Träger und als schätzenswerte botanisch-turistische Hilfstruppe Dr. D. Dutoit ( Lausanne ) und M. Roch ( Genf ). Doch zwei weitere « Säulen des Atlas » seien nicht unerwähnt. Als Träger und Dolmetscher waren uns vom Kommando in Zerekten zwei wetterharte eingeborene Soldaten zugeteilt worden, zwei treue, ergebene Seelen, hilfsbereit und dienstfertig in jeder Hinsicht, die so recht die guten Seitendesso oft geschmähten Mauren zeigten. Da unsere Expedition in die Zeit des Ramadan, den mohammedanischen Fastenmonat, fiel, war Trägerdienst wie überhaupt anstrengende Arbeit nicht à l' aise; doch ohne Murren und mit einer bewundernswerten Ausdauer, Rauchen und Essen bis zum Sonnenuntergang verschmähend und begraben unter einem Berg mitgeschleppter Militärdecken, taten sie das Ihrige zum Gelingen des auch ihnen neuen Vordringens ins Gebirge.

Für dieses Vordringen war der obere Teil des Tales von Zerekten die gegebene Richtung; dieses Tal des Oued Rdat repräsentiert das Reusstal des Hohen Atlas. Sein rechtseitiger Seitenast führt nach der niedrigsten Passwasserscheide ( Tizi n'Telouet 2460 m ), die die südlichen Atlasländer und die angrenzenden saharischen Plateaus an das nördliche Stammland knüpft und daher stets einen hochwichtigen Verbindungspfad enthielt. Längs dieser hervorragenden Linie, zwar unter Einhaltung einer mehr direkten Nord-Süd-Linie nach dem etwas höheren Tizi n'Tichka, der auch in unserer Richtung lag, wurde denn auch zur Zeit unseres Einwärtsmarsches mit grosser Eile an der Erstellung des ersten Fahrweges durch das Gebirge gearbeitet. In einzelne Etappen verteilt trafen wir überall die am Strassenbau beschäftigten Gruppen Eingeborner. Ihr respektvoller Bonjour-Gruss, zu dem sie durch die Besetzungsbehörden angehalten werden, machte unser Passieren gelegentlich zum reinsten Parademarsch. Geleitet und beaufsichtigt werden diese zur Arbeit verpflichteten, aber auch angemessen belöhnten Berber Arbeiter durch Fremdenlegionäre, unter welchen wir bis zu den berginnersten Stationen freundliche Schwaben und Österreicher, gelegentlich auch einen Schweizer antrafen. Der Arbeitskreis dieser Fremdenlegionäre, ihre Wohn-und Lohnverhältnisse scheinen derart befriedigend zu sein, dass die Leidensgeschichte, die man stets geneigt ist, mit dem Leben eines Fremden-legionärs zu verbinden, für diese marokkanischen Exponenten nicht zuzutreffen scheint.

Der Vormarsch durch das Tal von Zerekten hatte von dem Einschwenken in dasselbe stetsfort längs roten Sandsteingehängen geführt; lang sich hinziehende, dachfirstförmige Bergrücken von Höhen von 1500 m bis weiter einwärts zu 3000 m ansteigend, flankieren mit wenig Formenabwechs- lung den Tallauf. Eine karge Vegetationsdecke überkleidet die des geschlossenen Waldbestandes entbehrenden, recht steilen Abhänge; da und dort erregt noch ein Bestand prächtiger, wetterstarker Grüneichen, die dem Vernichtungs-werk von Weidgang und Rodung entronnen, die Bewunderung, und bescheiden wird das Mattgrün der macchiaartigen Gesträuchvegetation durch die in ihr verteilten blauvioletten Büschel des blühenden Lavendel und die hellweiss leuchtenden Kelche der Cistusrosen belebt. Und zwischenhinein scharen sich als rote oder, je nach dem Gestein der Umgebung, auch grauschwarze Würfelhäufchen die kubischen Berberhäuser zu kleinen Dörfern oder Weilern zusammen; meistens erscheinen sie dort errichtet, wo dem Schutzbedürfnis eine günstige Verteidigungsposition zustatten kommt; das Liebliche des Bergdorfes geht solchen Siedlungen in der ohnehin schon eher düsteren Landschaft vollkommen ab; sie gleichen vielmehr feindlichen Festungsbauten oder dräuenden Wegelagerers Höhlen. Von ihren spärlichen Bewohnern lässt sich wenig blicken; das ganze Mannesvolk scheint dem Strassenbau pflichtig zu sein.

Das rote Triasland liegt in Tabahougat hinter uns. Den inneren Talabschnitt durchsetzen nunmehr mächtige Kalkschiefer, Tonschiefer, Grauwacken und tiefere kristalline Schiefer. Alsbald erscheint auch, scheinbar im südlichen Talende, ein breites Bergmassiv, dessen tiefere Gratrippen strebe-pfeilerförmig allseitig nach der schneegekrönten stumpfkonischen Gipfelmasse zustreben. Es ist unser Bergziel, der Bou Ourioul, der, noch in sein weisses Frühjahrskleid gehüllt, sich den Anschein eines behäbigen alpinen Grossen gibt; seine Isolation ohne höhere Nachbaren erhöht seine Bedeutung.

Welches sollte nunmehr die Einstiegsroute in das Bergmassiv sein? Links, das ist ostwärts, abschwenkend über den Tizin'Tichka oder aber in gerader Linie von der Talbasis ab schon gipfelstrebig? Rücksichtnahme auf die für diese Bergunternehmung beschickbare Zeit und die Kräfte der sonst willigen Träger, die zwar schon in ergänzender Weise durch einen äusserst widerspenstigen « Ibrahim » des Tales vermehrt worden waren, bewog zum kürzesten Anstieg, geradlinig en face. Schwierigkeiten schienen keine zu warten, eine leise Unruhe bewirkte allein die Wahrscheinlichkeit eines noch sich zwischenschaltenden Tales. Und wirklich, wie in den späten Nachmittagsstunden die trocken-ariden Höhen der hintersten Verzweigungen unseres Zugangstales erreicht waren, standen wir vor einer landschaftlichen Überraschung: ein Längstälchen, das Tal von Afrah, grün und geradezu üppig nach der Sterilität der letzten Talverzweigungen, von Wasser durchrieselt und von Gerstenfeldern und Nussbaumgruppen lieblich durchsetzt, lag vor uns — und glücklicherweise in beinahe gleicher Höhe wie der eben erstiegene Gratrücken; wir waren vom « Bergell » ins « Engadin » hinaufgestiegen. Und der Vergleich, wenn auch in bedeutend kleinerem Massstabe, deckt sich anscheinend auch in talgeschichtlicher Hinsicht; auch hier ein kleiner Taltorso, das höher gelegene Tälchen von Afrah, das in seinem höheren, mehr südöstlichen Oberlauf durch die hintersten Verzweigungen unseres « atlassischen « Bergells », unserm Anstiegstal, angezapft, geköpft zu sein scheint.

Nicht geringes Staunen weckte unser Erscheinen in dem kleinen Berberdorf Azib, das wir als höchste Siedlung ( zirka 1850 m ) alsbald passierten. Dräuend finster schienen die kubischen Mauerwürfel seiner primitiven Behausungen die plötzlich auftauchenden « nesrani » ( Christen ), die die Beschaulichkeit des Ramadan stören kamen, anzuglotzen. Doch seine Bewohner schienen friedlicher Natur zu sein, und mit dankbar stürmischer Umarmung bedankte sich einer der « Gottesgelehrten », mit einer unserer Schneebrillen auf der Nase in den vergilbten Blättern seines Korans lesen zu dürfen.

Vor uns lag nun der Steilanstieg zum Bou Ourioul, von welchem die Schmelzwasser in verschiedenen weissen Strängen herunterrannen, das liebliche Grün des Afrahtales, das so wirksam mit dem düsteren Landschafts-ton der nördlichen Täler kontrastierte, bewirkend. Ein Dorfbiwak für die Nacht schien uns nicht allzu ratsam, und gegen die gute Sitte verstossend, dem Dorfscheich unsere Aufwartung zu machen, zogen wir weiter bergwärts, um dort ein Biwak zu beziehen. Keiner liess es merken, etwas « gruselig » schien es doch jeden zu beschleichen, als wir wohlüberlegt vom Talpfad abgelegen unter einigen Wacholderbäumen in zirka 1950 m ein Nachtlager bezogen, waren wir doch eben noch zuvor gewarnt worden, vor « Salaudparden » ( Räuberbanden ) auf der Hut zu sein. Unser Lagerfeuer wurde baldigst gelöscht, und eine stille, dunkle afrikanische Gebirgsnacht legte sich friedvoll über diese fremde Bergwelt. Ein drückendes Glied, ein kitzelndes Gefühl, ein unerklär-bares Rascheln machte noch einigemal forschend den Blick durch das Dunkel richten, aber nur die Umrisse der Gesteinsblöcke, zwischen welche unsere Gruppe sich kreuz und quer eingenistet hatte, und darüber der scharf gezogene Umriss der nächsten Bergkulisse zeichneten sich stets unverändert — sonst Ruhe und Frieden und sicherlich in jedem gespannte Erwartung für den kommenden Tag.

Des Propheten Gunst begleitete unsere Bergreise, denn volle Sonne verscheuchte bald die Morgennebel. Bis zu den ersten vorgeschobenen Gräten begleiteten lichte Bestände von Juniperusbäumen ( Wacholder ) den Anstieg; ihre höchsten Pioniere standen in etwa 2850 m. Lang sich hinziehende Felszüge zeigten bald grüngraue Sandsteine, vielleicht tuffo-gener Natur, vorwiegend aber rot- und violettbraune Quarzporphyre und Quarztrachyte, mancherorts auch Lagen von Melaphyrmandelstein, alles vulkanische Ergussgesteine. Diese permischen Ergussgesteine scheinen offenbar die Hauptmasse des Bou Ourioul zu formen und durch ihre grössere Widerstandsfähigkeit den Berg gegenüber seiner Umgebung so sehr herauszuheben. Die äussere Übereinstimmung mit den ebenfalls permischen Ergussgesteinen der Schweizeralpen ( Luganeserporphyre etc. ) ist bemerkenswert.

Auf den steileren unteren und mittleren Felssockel des Berges folgte eine mehr sanfter geneigte Gipfelpartie. Aus der Schneefleckenlandschaft, die in 2800 m eingesetzt hatte, entwickelte sich ein « Schneeberg », der leider aber auch zum « Kuhberg » wurde, dessen lahme Gipfelkuppe nicht mehr stark dem imponierenden Gebaren des Berges auf grösseren Abstand entsprach. Gut fünf Stunden Anstieg hatten uns ohne bergsteigerische Schwierigkeiten auf die hier 3576 m hohe Atlaswasserscheide gebracht ( 9. April ).

Im Schutt des flachen Gipfels nistete noch reichlich Vegetation, vorwiegend dornenbesetzte niedrige Kugelbüsche, an denen zur wannen Sommerszeit wohl bis hier hinauf steigende Ziegen ihr nicht anspruchvolles Labsal finden. Dauernden Firnschnee kennen auch die höchsten Atlasgipfel nicht, und auch in der Diluvialzeit scheint die Vergletscherung, wenigstens an unserem isolierten Bou Ourioul, in ganz bescheidenen Rahmen geblieben zu sein.

Von der Gipfelsicht nur einige Punkte des Eigenartigen. Weitab von alpiner Majestät, zeigte sich der zu übersehende Atlas als ein eher ermüdendes Gewoge gleichartiger Ketten: kahl und wenig anziehend, weder lieblich noch wuchtig alpin, in mancher Hinsicht an ein mittleres andines Bergland erinnernd. Allein im nahen Westen gesellte sich eine Reihe höherer Schneehäupter zu einer Versammlung gewichtigerer Gestalten zusammen; es ist dies der zentrale Hochteil des Hohen Atlas zwischen dem Tale von Asni und unserem Standpunkt, worin die höchsten Gipfel um die 4000 m herum varieren ( vgl. Kartenskizze Fig. 2 ). Neuartig ist der südostwärts gerichtete Tiefblick; hier erspäht er in grosser Tiefe die ruhigen Linien der Plateauberge, die in das saharische Vorland überleiten; ein zartes Gelb und Violett tönt sich milde ab gegen den in unendliche Weite auslaufenden Horizont. Und wie ein weisslicher schwebender Schleier hebt sich in weiter SSW-Ferne da, wo man schon Wüstenland vermuten möchte, die noch Schnee tragende Kuppe des vulkanischen Djebel Siroua ( 3250 m ) ab, das Bindeglied zwischen Hohem Atlas und Anti-Atlas.

Der Abstieg vom Bou Ourioul vollzog sich in gleicher Richtung wie der Anstieg. Noch gab es eine zweite Biwaknacht drunten im sandigen Bett eines trockenen Oued, dann eilige Fahrt über Zerekten hinaus nach Marrakesch, wohin uns die übrigen Expeditionsgenossen schon vorangezogen waren. Zwei Tage später, als die Fahrt von Marrakesch nordwärts ging, stand der Atlas in schimmernder Verklärung über der Steppe; Palmenoase und Schneegebirge fügten sich in den gleichen Rahmen und, um dieses kontrastschöne Bild dem Gedächtnis recht einzuprägen, blieben uns die höchsten Atlasberge über die grünen Felder der Meseta hinweg bis über 160 km Nordwärtsfahrt ihre letzten Grüsse nachsenden.

Vom Hohen Atlas wenden wir uns dem Mittleren Atlas zu. Gegenüber dem Hohen Atlas nimmt sich dieses auch noch auf fast 400 km sich hinstreckende Gebirge wie ein mächtiger hoher Vorwall aus. Dessen Kenntnis ist aber noch ungleich lückenhafter als die des Hohen Atlas. Das kristalline Gebirge kommt im Mittleren Atlas nicht mehr als ein über weite Erstreckung sich hinziehendes Massiv zutage, wie überhaupt ältere als mesozoische Formationen nur selten in den Faltenkernen zum Vorschein zu kommen scheinen. Die grössten Höhen liegen im Nordostende ( Djebel Bou Iblan, etwa 3200 mdie Richtung unserer Durchquerung kommt mit einer das Gebirge durchsetzenden transversalen Depression überein, wo die höchsten Kalkberge nicht viel über 2500 m hinausragen.

Als Ausgangspunkt für den Mittleren Atlas diente die so anziehend gelegene Residenz Meknès. Vornehmster Zweck des Vorstosses ins Gebirge war der Besuch der Zedernwaldungen in der weiteren Umgebung von Azrou. Der Übergang vom flachwelligen Vorland ins Bergland ist auch hier recht scharf gezogen. Wie man vom Rhein jurawärts wandernd erst die Kalktafeln des Tafeljura zu durchsetzen hat, so lagert sich dem Mittleren Atlas in ähnlicher Weise ein ausgedehntes, durch Brüche und Erosion zerteiltes Kalkplateau vor. Azrou, am Fusse seiner prächtigen Waldungen, liegt in einem Längstal dieses Plateaugebirges, woselbst noch der alte paläozoische Sockel darunter zum Vorschein kommt. Zu dessen landschaftlicher Variierung kommt aber noch ein neues Moment hinzu. Der Aufteilung in Brüche in der allerjüngsten Tertiärzeit war der Erguss vulkanischer Gesteine ( Basalte ) gefolgt; von Bruchspalten aus oder vom Zentrum kleiner auf dem Plateau sich aufbauender Vulkankegel ergossen sich stromförmig ausgedehnte Lavadecken über eine Landesoberfläche, die schon eine dem heutigen Relief gleiche Durchtalung aufwies. Es ist diese Vulkanlandschaft von Azrou nach Entstehung und Gestalt eine Landschaft, die stark an die uns benachbarte Auvergne erinnert; als Ganzes wirkt aber die dortige chaîne des Puys doch viel instruktiver als ihr Pendant im Mittleren Atlas.

In diese Vulkan- und Waldlandschaft zogen tags darauf die Atlas-gänger, angeführt durch den ehemals aus dem Glarnerland stammenden Kommandanten Vögeli, der als inspecteur des forêts der rationellen forstlichen Bewirtschaftung dieses wertvollen Waldlandes vorsteht. Das Bild der Atlas-landschaft, dem bis anhin die kahlen Gehänge des Hohen Atlas den Grundton gaben, wird nach Genuss des wohltuenden Waldesgrün der Zedern von Azrou ein wesentlich anderes. Die Atlaszeder ( Cedrus libani var. atlantica ) ist wie unsere Arve, der sie in Gestalt recht ähnlich sieht, ein typischer Gebirgsbaum und hat allein im Mittleren Atlas zwischen 1300—2500 m ihren Hauptverbreitungsbezirk. Zu edlen Gestalten, die gelegentlich 40 m Höhe erreichen, erhebt sich dieser schöne Baum; den lichtdurchwirkten Waldesschatten durchsetzt eine niedrigere Gesträuch Vegetation: junge Zedern, Goldregenarten ( Cytisus ), Weissdorn und andere, und leuchtend rot stechen daraus die vollen Blüten der Pfingstrosen ( Paeonia corallina ) hervor. Lieblich wieder gestaltet sich das Bild der offen gerodeten Lichtung, wo sich die zu Tausenden zählende Schafherde um die braunen Zelte ihrer Hirten schart. Wenn wir das 1800 m hohe Kalkplateau südlich Azrou erreicht haben, lichtet sich der Waldbestand schnell, kahles Hochplateau gewährt nochmals einen Ausblick auf die östlichen Schneekämme des Hohen Atlas.

Unter den zahlreichen, dem Hochplateau warzenförmig aufgesetzten, längst erloschenen und begrünten kleinen Vulkankegeln wird der Djebel Hebbri ( zirka 2030 m ) bestiegen. Mattgedämpftes Zederngrün kleidet den Vulkanmantel und das einer weiten Waldhalle gleichende Kraterinnere mit der lieblichen Wiesenrondelle, da wo einst die Vulkanesse ihren speienden Mund öffnete.

Ein noch recht verschlossenes Stück Land bedeuten die weiter südwärts gelegenen Ketten des Mittleren Atlas, das eigentliche Faltengebirge.

Hier liegen von der französischen Okkupation noch ganz unberührte Strecken, wie überhaupt in weiser Überlegung von den französischen Behörden gegenüber den in sich abgeschlossenen, für die ökonomische Erschliessung des Landes vollkommen belanglosen Berberstämmen ein gewisses Desinteresse-ment beobachtet wird und sie meist zu ihrem eigenen Nachteil als kleine Berg-republiken weiterbestehen lässt. Eindringen in jene Gegend ist für Fremde wenig ratsam. Immerhin führt aber nicht weit davon schon ein leidlicher Fahrweg quer durch das Gebirge und knüpft das jenseitige grosse Längstal der oberen Moulouya an das nördliche Stammland.

Und auch hier war es den Geologen vergönnt, dank gütiger Unterstützung unseres Landsmannes Ch. Brown ( Baden ) ihre Fühler etwas weiter südwärts auszustrecken. Über Timhadit, dem letzten festungsartigen Militärposten hinaus, konnten die erst hier in Steilfront sich erhebenden Jurakalkfalten des Mittleren Atlas gequert werden. Durch kahles, wenig hohes Bergland und über weite Ebenen, teils bedeckt von alten Lavaergüssen, wurde die Passwasserscheide am Tizi Taghzeft ( 2210 m ) erreicht; die durchsetzte Breite des Mittleren Atlas ergab 82 km.

Einzigartig bleibt auch hier der Blick von der Wasserscheide des Tizi Taghzeft südwärts. Als wie an etwas kaum Glaubwürdigem bleibt das Auge an den schneegekrönten Bergrücken dieses Südblickes haften. Über ein weites Tiefland, es ist das Tal der Moulouya, das schon ganz saharische Einstrah-lungen in Klima und Flora aufweist, ragt aus zitternder Ferne die Schneelinie des Ari Aïachi, in welchem sich der Hohe Atlas zu einer letzten und östlichsten Massenerhebung von etwa 3900 m aufschwingt. Dessen Fuss verliert sich im Wüstensand der Moulouyaebene, unseren Vordergrund beschatten einige windzersauste Zedern, die sanften Gehänge nach den Moulouyaniederungen hinab begrünen lichte Bestände von Grüneichen.

Unsere Atlasfahrten waren erledigt. Städte und Berge des Vorlandes boten noch reichliche neue Anregungen für Beobachtungen und Unternehmungen. Meknès und seine nördlichen Bergketten der Zerhoun und Zerhana, das so malerische Fès, das « trouée » von Taza, Oudjda, wo eben die Friedensverhandlungen mit dem streitbaren Abd el Krim stattfanden, und Tlemcen bedeuten die nächsten kurzen Etappen. Oran lässt die bunt zusammengesetzte Expedition sich in einzelne Gruppen auflösen. Als kleinste und als letzt zurückgebliebener « Afrikaner » trieb es mich noch in eine andere Gasse der Atlasberge, nach deren Südrand.

Ein weitgespreizter Schritt von einigen 100 km führte über Ostalgerien, sein Plateau der Schotts, hinweg auf die Südseite des Sahara-Atlas, allwo in Beni Ounif, im Angesicht der Wüste, ein modern, aber doch stilgemäss maurisch angepasstes Hotel der « Compagnie Transatlantique » einen schätzenswerten Stützpunkt liefert. Mustern wir von Beni Ounif aus dieses neuartige Landschaftsbild: Von Südwesten bis Südosten unendliche Weite; hinter dem geradlinigen Wüstenhorizonte, mit den unruhig zitternden Luftschichten sich verbindend, eben noch der Saum langgezogener Tafeln oder klotzförmiger Berge; es ist der Rand der der Wüste angehörigen Hammada mit ihren Sanddünen; den weiten Vordergrund nehmen kahle Salzkrustenböden ein oder aber die ausgedehnte Kieswüste, der sogenannte Serir; nordwärts blickend begleitet eine bizarre Bergkette den Wüstensaum; bunt leuchten bei guter Beleuchtung rote Kreidesandsteine längs der Bergschulter, überragt von den sie ungleichförmig ( diskordant ) überlagernden, einen zackigen Felskamm bildenden, schwarzblauen Jurakalken; der Bergzug repräsentiert die letzte, hier südwärts gerichtete und überstürzte Falte der Atlasbewegung, es ist gewissermassen die südlichste Brandungswoge des nördlichen Faltenlandes an dem starren afrikanischen Rumpfe.

Durch die nächste Lücke der in regelmässige Einzelberge gescharteten Kette drängen sich die versprengten Ausläufer des Palmenwaldes der dahinter versteckten Oase. Figuig, diese Palmenoase von angeblich über 200,000 Exemplaren, bedeutet einen jener Kontrastblitze der Landschaft: verschwenderisches Grün am benetzenden Wasserlauf, trostlose Lebensfeindlichkeit in der umgebenden Kieswüste. Inmitten dieser grünen Insel drängt sich die volkreiche Oasenstadt. Wie ein Bienenwabenstock schaut aus den Palmwedeln Zenaga hervor mit seinen ineinander geschachtelten Häusern mit ihrer loggiaartigen Frontseite, einige Minarets in ihrer massig gedrungenen maurischen Form vervollständigen dieses afrikanisch-saharische Bild, dessen nördlichen und westlichen Abschluss die plumpen Kalkmassen des Djebel Maiz und Djebel Grouz formen.

Die folgenden Tage wurden zu einigen Bergwanderungen ( Djebel Taghla, Djebel Grouz ) verwendet. Grenzenlos einsam erscheint eine solche Bergfahrt am Wüstenrand. Diese scharf individualisierten Berge erheben sich steil-geböscht aus dem umgebenden Flachland800 m ), das sie 300—700 m überragen. Bei ihrer scheinbaren Vegetationslosigkeit machen sie, gleich nordischen Bergen, eine viel gebirgsernstere Miene, als dies ihrer Höhe zukäme. Doch nicht, dass man etwa von einem völligen Fehlen belebender Flora und Fauna reden darf. Der « Serir » wird von den halbkugelförmig dem kahlen Boden aufsitzenden, harten und stechenden Polstern des sogenannten chou-fleur ( Anabasis aretoid.es ) durchsetzt, und insbesonders die Nordseite der Berge zeigt zu dieser Jahreszeit ( anfangs Mai ) noch manches schneidend kieselige Gras — meist die horstförmigen Büschel des Haifagrases —, alles Formen, die von ihrer Anpassungsfähigkeit an die Hitze und Trockenheit und das Sandgebläse des afrikanischen Sommers zeugen. Wenn auch auf meinen kurzen Bergfahrten keine von den hier heimischen Schakalen oder Gazellen oder gar Pantern gesichtet wurden, so entgingen bei der Offenheit des Geländes die zahlreichen Rebhühner, Felstauben und die auf dem Steinboden hurtig weghuschende Schlange nicht der Beobachtung.

Und was an wachsendem und treibendem Leben diesen Bergen abgehen mag, das wird an Lebendigkeit und Eindringlichkeit ersetzt durch die so deutlich gezeichneten Linien des inneren Aufbaues. Blickt man von einem der gezackten Felsgrate des Djebel Grouz über diese Landschaft, über ihre Bergformen hinweg, so ist es, als ob eine geologische Karte vor dem Beschauer läge. Wäre deren bunte Farbenlegende zur Darstellung der einzelnen Formationen noch nicht gefunden, der Ausblick gäbe die Anleitung dazu; der meilenweit verfolgbare Schichtverlauf, die Schärfe der Formen und Säume drücken geradezu den Stift zur Nachbildung in die Hand. Hier anregend durch die Klarheit der Schrift, dort im Hochgebirge des Atlas oder gar der Alpen durch die Wucht und Grosse und verschlungene Ornamentik der Zeichen, entfaltet sich das Buch der Erdgeschichte vor dem, der von der Bergeshöhe über Hoch und Tief hinwegblickt. Und wer sinnend darin zu lesen trachtet, den lohnt doppelter, tiefer Berggenuss. Moritz Blumenthal.

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