Eine Maifahrt im Clubgebiet. Stimmungsbilder aus dem Topographenleben | Club Alpino Svizzero CAS
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Eine Maifahrt im Clubgebiet. Stimmungsbilder aus dem Topographenleben

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Vou S. Simon ( Section Uto ). )

Eine Maifahrt im Clubgebiet. Stimmungsbilder aus dem Topographenleben Die im Folgenden geschilderten Fahrten sind zu so ungewöhnlicher Zeit unternommen, speciell die Besteigung des Ritzlihorns, daß der denkende Clubist sich wohl der Frage nicht wird enthalten können: „ Warum wurden denn nicht bessere Verhältnisse ab-gewartetDer Grund dafür ist ein sehr triftiger.

Mit den Versuchsaufnahmen für den photographischen Theodolithen betraut, handelte es sich für mich darum, zu erproben, ob diese Aufnahmsmethode für unsere Gebirgsaufnahme bei Schneebedeckung für jene Gipfel zweckmäßig wäre, die sonst infolge ihrer Steilheit großentheils schneefrei sind und daher in der Photographie nur einen allgemeinen, schwer zu ent-wirrenden dunkeln Klecks liefern würden.

Im Winterkleide, wo die Schneebedeckung jedes Gesimschen, jeden Vorsprung deutlich erkennen läßt, Vortrag, gehalten in der Section üto am 10. Dec. 1886.

geben solche Partien ein äußerst klares, reichhaltiges Bild, das für topographische Zwecke wie geschaffen.

Und diesem Umstände zuliebe wurden die Touren zu so außergewöhnlicher Zeit ausgeführt. Da ich zugleich für mein Relief des Berner Oberlandes sehr reicher Details für die Felsgipfel bedarf, so drängten sich mir die nachfolgend geschilderten Fahrten als nicht zu umgehende Aufgaben auf.

Sobald wir eine größere Arbeit anpacken, stellen sich uns eine Menge von Schwierigkeiten entgegen, von denen wir beim Beginne keine Ahnung hatten.

Schritt für Schritt muß gekämpft werden, und Vieles müssen wir mit in den Kauf nehmen, das, hätten wir es zu Beginne geahnt, uns vielleicht den Muth zur Ausführung des Gewagten genommen hätte.

Doch birgt jede größere, geistig inhaltreiche Arbeit so viel innere Genugthuung in sich, daß wir, haben wir einmal den ersten Schritt gethan, gerne die folgenden wagen, wenn sie auch unsern guten Willen oft auf eine harte Probe stellen.

In diesem Sinne, als logische Consequenz reeller Aufgaben, bitte ich auch das Folgende auffassen und beurtheilen zu wollen.

Die Lauinen sind zu Thal. Der Föhn ist durch 's Land erbraust. Vieltausendfarbig sprießt und blüht und grünt es alluni im herrlichen Oberlande.

Die Vöglein schicken grüßend ihren schmetternden Morgengruß zum lichtblauen Aether empor, an dem in wunderbarer Glorie die junge Frühlingssonne empor-schwebt, rings magisch die Firnen vergoldend.

Die Wasserfälle rauschen und tosen, der Wald erbraust, die Stämme ächzen und knarren im Frühlings-sturme, der jugendstark das Morsche zu Boden wettert.

Auch die See'n, sie regen sich und senden in sprühender Brandung weißschäumende Wogen an 's blumige Ufer.

Ein unnennbares Wehen und Weben zieht durch das Land, und Alles jubelt und singt und trillert, und wenn Du eine Stimme hast und im „ Frohsinn " bist und nie die Uebungen schwänztest, so regt es sich wohl auch in Dir, und Du singst frischfröhlich in die herrliche Welt hinaus:

„ Es kommt ein wundersamer Knab'Jetzt durch die Welt gegangen, Und wo er geht, bergauf, bergab, Hebt sieh ein Glast und Prangen. In frischem* Grün steht Berg und Thal, Die Vöglein singen allzumal, Ein Blüthenschnee und -Eegen Fällt nieder allerwegen. "

Fürwahr ein herrliches Liedünd Du singst es vielleicht zu Ende und lauschest dem Echo:

„ Und hüben tönt 's und drüben: Im Mai, da ist gut lieben !"

Gewiß, wem jetzt das Herz sich nicht öffnet, wer jetzt nicht Liebe fühlt zu allem Wahren und Guten und Schönen, der hat seinen Beruf als Mensch verfehlt!

Wohlan, lieber Zuhörer, ergreife wie wir das Eisbeil und folge uns nach in 's herrliche Oberland, den See'n entlang, bis dahin, wo brausend das Urbachwasser dem Gauligletscher entströmt.

Hans Moor und Kaspar Frutiger, beides treffliche Führer aus Innertkirchen, sind unsere Begleiter.

Es ist der 8. Mai 1886, ein herrlicher, viel versprechender Tag, und voll froher Zuversicht auf das Gelingen unserer Pläne treten wir den Aufstieg von Innertkirchen nach dem Gauligletscher an.

In raschem Wechsel ziehen die grandiosen Bilder an uns vorüber, an denen das fast unbekannte, aber, wie Tschudi mit Recht hervorhebt, doch zu den großartigsten Alpenthäleni zählende Urbachthal so reich ist.

Schon liegt der ebene Thalboden hinter uns, schon beginnt der Baumwuchs zu ermatten, und einige armselige Hütten lassen uns schließen, daß wir Alp Schrättern erreicht — da schreit in nächster Nähe entsetzt ein Murmelthier auf und scheucht dadurch ein Gemslein aus seiner Mittagsruhe. Hei, wie das die Felshänge traversirt! Lange sehen wir es die Kanten der Gallauihörner hinanstürmen, bis es mälig dem Auge entschwindet. Was sind wir für armselige Schnecken dagegen!

Da.machen wir uns wieder auf den Weg. Ueber jäh abschüssige Schneehänge, die auf senkrechte Wände ausmünden, führt er uns zuletzt, manche Stufe im blanken Eise erfordernd, bald auf-, bald niedersteigend, zu den Hütten von Matten, der hintersten Alp des Urbachthals.

Ein wunderherrliches Rundbild eröffnet sich uns hier: In nächster Nähe thürmt sich der Gauligletscher prächtig zerklüftet von Terrasse zu Terrasse empor, bis zu den Felsenzinnen des Ewigschneehorn, des Hangendgletscherhorn und wie sie alle heißen. Roth- golden strahlt das blinkende Eis im Lichte der sinkenden Sonne, indeß die langen blauduftigen Schatten der Bergesriesen harmonisch das Lichtmeer durchziehen.

Tiefer und tiefer sinkt die Sonne, lang und länger reckt sich der blauduftige Schatten; schon ist Alp Matten von ihm umfangen und bewundernd blicken wir hinaus durch die enge Schlucht des Gletscherbaches nach den zauberisch schönen Formen des gigantischen Gstellihorns und der Engelhörner, die sich ernst, tiefblau am goldbraunduftigen Abendhimmel zeichnen.

Da erglüht es zu unserer Rechten in magischer Pracht: es ist das Ritzlihorn, dem die Sonne ihren letzten Gruß zusendet. Glühend leuchtet der Schnee den schimmernden, wild gethürmten Kanten entlang, und läßt so recht ahnen, daß die Besteigung des Colosses morgen eine ernste Sache werden dürfte.

Wir halten Kriegsrath, und es wird nach reiflicher Erwägung für morgen definitiv das Ritzlihorn ( 3282™ ) in 's Auge gefaßt. Es soll droben die Rundsicht photographirt werden.

Aber nun rasch an 's Werk; denn es muß noch für Unterkunft für heute Nacht gesorgt werden.

Die Hütten stecken noch sämmtlich bis an 's Dach im Schnee. Es sind äußerst primitive Bauwerke: Rohmauerwerk mit faustgroßen Löchern; defecter, von den Lauinen hart mitgenommener Schindelbelag, statt der Thüre ein luftiges Gatter, das trefflich dazu geeignet scheint, für ausgiebige Ventilation und Rheumatismen zu sorgen. Wir erwarten des Bestimmtesten, daß sich Bettheu in den Hütten vorfinde, und beginnen die diesbezügliche gewaltsame Recognoscirung.

Nicht ohne bedeutende Anstrengung graben wir im Schnee einen Canal, der uns gestattet, in 's Innere der einen Hütte zu gelangen Der tausend, wie sieht's-da aus!

Der Boden ist ganz unter Wasser, stellenweise mehr als decimetertief, zum Theil noch Ubereist. Ringsum aus den Löchern des Rohmauerwerks plätschert es heraus auf Pritsche und Feuerplatte, indeß uns-feuchtkalte Moderluft entgegenweht.

Wir spähen auf der Pritsche nach Heu — kein Halm ist vorhanden, wohl aber eine gehörige Masse von Eis und Schnee, die fußhoch die Pritsche bedeckt, „ Da können wir nicht bleiben !" ist unsere einstimmige Ansicht. Wir arbeiten uns zur zweiten,, zur dritten Hütte durch: dieselbe Entdeckung. Nach langer Arbeit sind sämmtliche Hütten inspicirt,, doch überall das alte Lied: Nichts als Eis, Schnee, Wasser und Zugluft — nirgends eine Faser Heu!

Immerhin hat unser Suchen einige herrliche Funde zu Tage gefördert, die in dieser Lage geradezu unbezahlbar sind: eine alte Pfanne, zwei alte, verwetterte Milchhafen, drei alte, schäbige Kaffeetassen und eine rudimentäre Schaufel — sämmtliche würdig, im Pfahlbautenmuseum zu glänzen. Auch etwas Holz findet sich vor, so daß wir, gestützt auf diese Errungenschaften, es glauben wagen zu dürfen, drei Nächte in einem dieser elenden Schlupfwinkel zuzubringen.

Unser Bettzeug besteht Summa summarum für alle drei Mann aus einer wollenen Bettdecke, wie sie Aev- Alpenhof in Innertkirchen als Ordonnanz gewählt. Diese muß als Collectivdecke für uns Dreie dienen.

Wir wählen die mindest schlechte Hütte als Standquartier, schaffen den Schnee heraus, sammeln etwas Alpenrosenstauden, legen diese als Matraze auf die nasse Pritsche, um Wasserabschluß herzustellen, und zum Schlüsse endlich wird von Hand noch eine Portion Wildheu in den Felsen der Gallauistöcke abgerupft, in der Wolldecke zugetragen und auf die Alpenrosen-matraze als feinstes Linnen ausgebreitet.

Mittlerweile haben meine Hosen für gut gefunden, aus dem Leim zu gehen. Jene fatale Partie, auf die der Mensch gewöhnlich zu sitzen pflegt, zeigt ein eigentliches Loch, und ringsum ist der Stoff so verwegen dünn, daß ich sofort die Prognose auf galop-pirende Hosenschwindsucht stelle. Eine nette Entdeckung! Leider sind beide Flügel angegriffen, so daß mir nichts Anderes übrig bleibt, als zu versuchen, mit allen Kräften die Katastrophe möglichst hinauszuschieben.

Ein Stück hellgelbgrauer Sackleinwand wird in Ermanglung von Besserem kunstgerecht über die schlimmste Stelle genäht — es ist ein Meisterwerk moderner Kunst — aber nicht mir gebührt die Ehre, sondern unserm Kaspar, der seine Aufgabe glänzend löste.

Indeß verwende ich, da ich wie immer in den Bergen keine Unterkleider, keine Weste und nur eine ganz dünne, ausrangirte Blouse trage, mein Keserve-hemd, in dessen Aermel ich mit den Beinen schlüpfe, als Interimshose. In diesem malerischen Aufzuge bewundere ich bei einer Temperatur unter Null nicht gerade schweißtriefend die Virtuosenleistung Kaspar's. Mit Hochgenuß schlüpfe ich in die vom sicheren Tode Geretteten.

Endlich wird zu Abend gekocht: erst schwarzer Kaffee zum Mitnehmen für den folgenden Tag, dann Suppe für heute Abead gebraut. Beide zeigen infolge èev entsprechend imprägnirten, zur Feuerung verwandten Tannäste einen nicht zu verkennenden intensiven Beigeschmack nach jenem Producte der Ziegen, das der gerösteten Kaffeebohne am meisten ähnelt.

Etwas Käse nebst Brod bildet Schluß der lucul-lisehen Mahlzeit.

Nachdem völlige Dunkelheit eingetreten, die letzten Funken auf unserer dem Wasser entragenden Feuerplatte verglimmt, werden die photographischen Platten verladen, und zum Schlüsse endlich wird Nachttoilette gemacht.

Jeder zieht gerade an, was er bei sich führt, nur die Schuhe werden ausgezogen. Ich meinestheils brillire mit drei Paar wollenen Socken an den Füßen, über welche kunstgerecht die Gamaschen geknöpft werden. Um den Kopf wird das photographische Dunkeltuch gewunden und zu guter Letzt über Alles mein Reservehemd gezogen. Nicht minder elegant sieht Kaspar drein: Ein jämmerlich zerrissener, fadenscheiniger Zwilcbsack, den er in einer Hütte aufgetrieben, soll ihm als Nachtjacke dienen. Er schlüpft mit dem Kopf in den Sack hinein, Du siehst Kopf und Bumpf und Arme spurlos darin verschwinden. Jetzt ahnst Du den Kopf im einen Sackzipfel — ein unnennbares Wogen und Weben kündet sich im Sacke — da — kracks fahren plötzlich beide Arme irgendwo an den blödesten Stellen des Sackes heraus, und die Nachtjacke nach dem Herzen Kaspar's ist fertig.

Hans endlich brillirt mit einem vorsündfluthlichen Wichsmantel, den ihm vor undenkbaren Zeiten ein Engländer als Zeichen der Anerkennung geschenkt.

Und nun kann 's mit dem Schlafen losgehen. Leider ist die Pritsche nur für 2 Mann berechnet, und es bleibt uns deßhalb nichts Anderes übrig, als uns auf die eine Achsel hochkant hart aneinander zu legen, wie Sardellen in einer Blechbüchse. Trotzdem sind wir fest zwischen Brett und Mauer eingekeilt und jeder Bewegung unfähig. Daß sich unter solchen Umständen nicht sonderlich schlafen läßt, ist selbstverständlich. Obgleich ich sonst principiell nichts träume, konnte ich mieh diesmal doch nicht davon enthalten. Doch waren es keine erbaulichen Träumesie brachten mir viele Verlegenheiten, und mehr als einmal sah ich inmitten großer Gesellschaft meine defecten Hosen entsetzt in Staub zergehen.

Mälig wird es eisig kalt. Die Kniee scheinen Eisumschläge zu tragen. Von Zeit zu Zeit schattern wir insoweit zusammen, als es die Enge des Raumes gestattet. Durch solch eine Zuckung wiederum geweckt, schaue ich nach der Uhr: es ist 2Vs Uhr Morgens. Da wird Tagwache geblasen.

Nachdem die Morgensuppe abgekocht, gefrühstückt, dann etwas kalter Kaffee und pro Mann 3 Eier verpackt worden, wird 4 Uhr Morgens bei wolkenlosem Himmel der Anstieg begonnen.

Es dämmert bereits. Majestätisch zieht der junge Tag an den schneefunkelnden Gebirgsriesen des Gauligletschers herab, und wundervolle Effecte zaubern Gstelli- und Engelhorn in 's stetig sich klärende Gesammtbild.

Wir dringen rasch empor, direct der Falllinie entlang, erst über Lauinenschnee, dann einer gerade auf den Hauptgrat führenden Kante entlang.

Die Sache geht vorzüglich, nur sind wir Alle der Ansicht, daß ein leichterer Niederstieg nichts schaden dürfte, denn die mit hartem Schnee trügerisch bedeckte Kante ist impertinent steil. Immer grandioser entfaltet sich die Aussicht, schon längst ist heller Tag, und drüben überm Gauli- und Aargletscher thürmen sich majestätisch die Schreckhörner und das Finsteraarhorn empor. Der Gipfelgrat ist erreicht. Die Kletterei war etwas schwieriger und wohl vier Mal so lang, als jene am letzten Grate auf Piz Bernina, die sonst auch nicht gerade gerühmt wird. Aber jetzt bleibt noch die mißlichste Partie, der wild zersägte, vereiste Gipfelgrat bis zum höchsten Gipfel, zu überwinden. Der allenthalben massenhaft, oft „ g'wechtig " anhaftende Schnee erschwert die Sache bedeutend.

Ein großer Steinmann ziert sonst die höchste Erhebung. Heute steckt dieser ganz im Schnee, so daß ich das Instrument direct auf dem Steinmanne selbst aufstellen kann. Immerhin ist der Platz sehr knapp bemessen und der Stand überhaupt etwas problematisch.

Nebenbei geht ein impertinenter Wind. Ich operire daher am Seile und hänge die drei Füße des Stativs, um das Umschleudern des Instrumentes zu verhindern, vermittelst unserer drei Eispickel fest.

10 Uhr 5 sind wir auf dem Gipfelgrat angelangt, 12 Uhr 10 ist die Arbeit beendigt. Wir forschen noch nach Blitzspuren und finden unsere Erwartung sofort durch mehrere Exemplare, die natürlich mitgenommen werden, bestätigt.

12 Uhr 15 erfolgt der Abmarsch. Der Niederstieg erfordert bei den heutigen Schneeverhältnissen große Vorsicht, doch ist er, wenn auch schwierig, absolut gefahrlos.

Eine flotte Schlittenpartie über Lauinenschnee, die den Schluß unseres Niederstieges bildet, dient schließlich noch dazu, meine mit Mühe geflickten Hosen neuerdings aus dem Leim zu bringen. Der Faden-vorrath reicht nicht mehr zu weiteren Kunststücken, und so habe ich das Vergnügen, für die weiteren Tage Hosen mit Ventilation zu tragen.

Triefend vor Nässe treffen wir 4 Uhr 10 in der Hütte ein. Diese trieft mit uns um die Wette. Der Fußboden schwimmt förmlich unter Wasser. Per Schaufel wird der periodisch sich bildende See so gut als thunlich zur Thüre hinaus bugsirt.

Vergeblich mühen wir uns ab, die Kleider zu trocknen, und so fügen wir uns mit Resignation in 's Unvermeidliche, brauen uns eine Suppe, hernach einen Punsch, und treffen wiederum die Vorbereitungen zur Nachttoilette, doch führen wir insoweit eine Verbesserung ein, als Mohr und ich uns parallel nebeneinander legen, indeß Kaspar sein Haupt zu unseren Füßen bettet und uns dafür seine Füße entgegenstreckt.

Diese Anordnung gestattet uns einen Wechsel im Liegen, so daß wir es von nun an ganz in der Gewalt haben, nach Belieben die eine oder andere Körperhälfte frieren zu lassen.

Leider hat sich mittlerweile der Himmel derart überzogen, daß wir uns mit der angenehmen Perspective niederlegen, Morgens allenfalls mit einem Meter Neuschnee auf der Hütte zu erwachen und einen sehr weitschweifigen Rückzug über den Gauligletscher, das Ewigschneejoch und den Aaregletscher ausführen zu müssen, da uns durch Schneefall unsere Eintrittsroute der Lauinen wegen total abgeschnitten sein würde.

Es ist 11 Uhr Nachts, als wir uns, gespannt auf die Dinge, die da kommen sollen, zum Schlafe niederlegen.

Die gestrigen Schüttelfröste kehren wieder. Wir schauen nach der Uhr: es ist 2V2 Uhr, also Zeit zum Aufstehen. Wir treten hinaus: Hurrah! Kein Neuschnee! Heute gilt es dem Hangendgletscherhorn.

l1/^ Uhr erfolgt der Abmarsch bei bewölktem aber stetig aufheiterndem Himmel. 9 Uhr 15 haben wir unsern photographischen Standpunkt, circa 3250™, erreicht.Die Rundsicht ist wundervoll, und es werden 7 Platten exponirt. Prächtig ist der Niederblick in'a Urbachthal und auf die Gruppe der Engelhörner.

Erst 11 Uhr 35 ist die Rundsicht photographisch aufgenommen, denn das Stellen des Instrumentes macht bei dem hohen Schnee einige Schwierigkeit.

Nachdem noch einige Blitzspuren aufgestöbert und verpackt worden, geht es unverzüglich thalwärts.

Herrliche Schlittenpartien, die meinen Hosen den letzten Eest von moralischem Halt entziehen, führen uns spielend nach Urnenalp. Wir machen diesen Abstecher, da wir dort Bettheu vermuthen.

Hütte um Hütte wird inspicirt, aber kein Halm, wohl aber meterhoher Schnee zeigt sich jeweils darin.

Es bleibt uns daher keine andere Wahl, als Alp Matten mit ihrem wässerigen Lager zum dritten Male zu beziehen.

Um eine Erinnerung an die eigenartigen Nächte zu haben, nehmen wir unser Nachtquartier photographisch auf. Gstellihorn und Engelhorn bilden Hintergrund, indeß die wilde Schlucht des Urbachwassers einen originellen Mittelgrund liefert.1 ) Die Schlittenfahrt im weichen Schnee hat uns total durchnäßt. Um uns einigermaßen für die Nachtruhe zu trocknen, legen wir uns auf das nägelstar-rende Hüttendach, das mittlerweile zum Schnee herausgeschmolzen ist, kehren der Sonne sehr unanständig den Rücken — mehr und mehr verschwimmt uns die Gegenwart — schon schnareht der Eine meisterhaft — da sinken auch Dir die Augen zu — schwer sinkt der Kopf auf den Arm, und stiller Friede herrscht allum.

Ein kalter, bissiger Windstoß macht Dich erschauern. Du öffnest schlaftrunken die Augen. DieVgl. die Ansicht des Engel und des Gstellihorn » bei pag. 04.

Sonne ist untergegangen. Du bist starr vor Kälte. Geraume Weile dauert es, bis Du einigermaßen zum Gebrauche Deiner Glieder kommst. Das heißt einmal ausgekühlt!

Die Schuhe, die vorhin zum Trocknen auf dem Dache lagen, sind sämmtlich verschwunden. Ein qualmender Rauch von diabolischem Gerüche umspielt Deine Nase und läßt Dich ahnen, daß die Schuhe wohl unten am Feuer zum Trocknen stehen. Ich rufe die Gehülfen, mir die meinen zu bringen. Da erscheint Kaspar mit dem Vermelden, die verlangten seien noch so tropfnaß, daß ich sie unmöglich anziehen könne. „ Aber in den Socken kann ich doch nicht durch den Schnee0 das ist auch gar nicht nöthig, ich trage Sie !"

Ich mache Einwendungen, aber Kaspar hält so verführerisch seinen breiten Rücken zum Aufsitzen her, daß ich nicht zu widerstehen vermag und beritten die Hütte beziehe.

Trotz des stromweise eindringenden Schmelzwassers, trotz der moderigen, feuchtkalten Luft und trotz des qualmenden, stark nach Ziegenexcrementen duftenden Rauches entfaltet sich ein stimmungsvolles Beisammensein. Wir plaudern von Dem und Jenem und schmieden neue Arbeitspläne, und ob sich auch der Himmel schneesturmdrohend überzieht, so ist doch in uns lichter Sonnenschein! Für morgen gilt es dem Ewigschneehorn mit Niederstieg nach der Grimsel.

Nachdem noch die Platten gewechselt und Nachttoilette gemacht, wird wie gestern die Nacht verbracht. Es ist IOV2 Uhr, als wir uns zum Schlafe nieder- legen. Um 1 Uhr erwache ich frostgeschüttelt — ob durch eigene Schauer, ob durch die meiner Schlafgenossen, wer weiß es!

Doch müssen wir noch eine Stunde warten, um das Abkochen zu beginnen.

Im Halbschlummer, frostgeschüttelt wird die lange Stunde verbracht. Dann werden, nachdem wir uns eine treffliche Mehlsuppe zu Gemüthe geführt, sämmtliche Effecten in drei Tornister verpackt.

3 Uhr 40 erfolgt der Abmarsch, und nach flottem Aufstieg wird 9 Uhr 15 der Gipfel des Ewigschneehorns erreicht. Glücklicherweise ist er zum Aufstellen des Instrumentes vorzüglich geeignet, so daß schon in einer Stunde die Kundsicht aufgenommen ist.

Wir fahnden noch nach Blitzverglasungen, aber gegen meine Erwartung finde ich trotz scrupulösesten Suchens keine Spur. Immerhin könnten unter der Schneedecke noch solche verborgen liegen. Aber wenn auch nicht, so ließe sich die Erscheinung doch leicht erklären:

Von Nordwest bis Südwest zieht sich in unmittelbarer Nähe die grandios gethürmte, vielzackige Lauteraar-Schreckhornkette entlang. Die Gewitterwolken müssen erst über diese streichen, ehe sie das Ewigschneehorn erreichen, und entladen sich daher im Contact mit ihr ihrer Electricität. Die Wolke zieht dann wohl noch mit Wasser ( resp. Schnee ) beladen, aber ohne electrische Spannung über das Ewigschneehorn, daher erfolgen wohl atmosphärische Niederschläge, aber stets ohne solch'energische electrische Spannungsausgleiche, daß sie an diesem Gipfel Blitz- spuren hinterlassen. Analoges gilt von den übrigen Vorbauten des Ewigschneehornes, die dieses allseitig so flankiren, daß sie sehr wohl die Electricität der Gewitterwolken aufzusaugen vermöchten, ehe sie zum genannten Gipfel gelangen.

Kaum haben wir die Kundsicht aufgenommen, so ballen sich schon ringsum die Nebel an den Gipfeln. Malig überzieht sich der Himmel, und die Formen erscheinen durch den sie noch errathen lassenden Nebelschleier nur um so grandioser und überwältigender.

Wir begrüßen freudig diese Nebelbildung, gestattet sie uns doch, die Formen erkennen zu lassen, ohne daß wir den endlosen Marsch über den Aaregletscher in allzu weichem Schnee und in allzu tropischer Sonnengluth zu durchwaten haben.

10 Uhr 45 wird der Niederstieg angetreten. Ueber steile Hänge, zum Theil über Eis, zum Theil über Fels, großentheils flott rutschend, gelangen wir auf den Aaregletscher. Bevor wir diesen betreten, machen wir an einer dem Fels entrieselnden Quelle kurze Rast, schauen einem Gemslein zu und sehen nebenbei, wie ein Eissturz seine Trümmer granatschußartig in das vor uns liegende Couloir entsendet.

Etwa eine halbe Stunde dauert unser Halt, den wir zur energischen Reductioirdes Proviantes benutzen. Dann binden wir uns an 's Seil, das wir zur Erleichterung des Niederstieges längs der schroffen Felshänge weggelassen, und wandern dem Gletscher entlang thalaus.

Wirbelnder Schnee verhüllt schleierartig die ganze Landschaft, doch wir erkennen deutlich die grandiosen Formen der Schreckhörner, der Lauteraarhörner und des Oberaarhorns durch den wechselnd dichten Schleier des Schneegestöbers.

Auch die Sonne, hoch am Himmel stehend, vermag magisch durch das luftige Schneegewirbel zu dringen und ergießt über die^anze Gletscherwelt ein verklärendes Lichtmeer. Es ist eine meiner schönsten Wanderungen, diese Fahrt liber die ganze Länge des Aaregletschers.

Ohne je durchzubrechen, gelangen wir über riesige, durchschimmernde, verdeckte Spalten zu den gewaltigen Moränen des Abschwunges, dem Vereinigungspunkt von Lauteraar- und Finsteraargletscher, und nun sind wir so gut wie geborgen, da wesentliche Spalten uns kaum mehr hindern werden.

Weit hinten ragt auf vorspringender Nase der Pavillon Dollfus in die Luft — mälig rückt er nah und näher und entschwindet uns wieder auf dem Marsche thalaus.

Nach 3 ühr Abends ist das Ende der Gletscherzunge erreicht. Schnee bedeckt noch allenthalben den Geschiebeboden. Nur die Aare hat sich vielarmig ihren Weg dadurch gebahnt, und Tausende von munteren Fröschen hüpfen feuchtfröhlich auf dem Schnee herum und plumpsen in 's Wasser und freuen sich ihres Daseins.

Doch weiter geht es, thalaus, der Grimsel zu. Immer grandioser werden die Spuren der reibenden, schleifenden Thätigkeit des Eises der früher unver- gleichlich viel mächtigeren Gletscher: typisch gehobelte Rundhöcker, klassisch geschliffene Berghänge entbieten sich dem Auge des denkenden Beschauers, und lassen ihn ahnen, wie viele Tausende von Jahren wohl vergangen sein mögen seit jener Periode eisiger Erstarrung.

Sieh da vor Dir, da wo sich unser Thal mit dem Haslithale eint, jenen gigantischen, geschliffenen Fels-coloWie müssen da unfaßbare Kräfte Jahrtausende gewirkt haben, bis sie die Riesenarbeit vollbracht, und wie klein sind sie doch im Vergleiche zu jenen, die die erstarrte Erdrinde langsam, bruchlos, unmerklich in Falten legten — Falten, als deren mächtige-Reste die jetzigen Alpen untrüglich zeugend stehen.

Und wie klein sind diese Kräfte hinwieder im Hinblick auf jene, die die Erde, die Planeten um die Sonne, diese um andere, größere Himmelskörper kreisen lassen.

Fürwahr, wir sind bald am „ unendlich " angelangt, und spätere Zeiten werden wohl mit demselben mitleidigen Lächeln auf unsern Begriff der Unendlichkeit zurückblicken, wie wir selbst es auf jene Völkerstämme zu thun gewohnt sind, die der Fingerzahl der Hand entsprechend bloß auf 5 zählen und alles darüber Liegende mit demselben Ausdrucke „ wiri wiri ", also „ unendlich viel ", bezeichnen. Befaßt sich doch schon jetzt der Mathematiker zielbewußt und allen Ernstes mit den Begriffen zweifach und dreifach unendlich, als wäre das nur so das kleine Einmaleins und weit unter dem „ wiri wiri " liegend.

Wohin wir blicken, in jedes Gebiet menschlicher Thätigkeit, menschlichen Denkens — überall öffnet sich uns ein unabsehbares, endloses Feld der Forschung, der Erkenntniß. Ueberall bieten sich große, herrliche Aufgaben, die zum Wohle, zur Veredlung des Ganzen dienen.

Wir sind noch immer am Fuße des Aaregletschers, es beginnt immer intensiver zu schneien, die Kleider sind durch und durch naspute Dich, daß wir noch vor Einbruch der Nacht das Grimselhospiz erreichen!

Nicht weit mehr liegt es von unserm Haltpunkte. Bald wird auf schmalem Brücklein die Aare überschritten, ein tieferweichter Schneehang traversirt, da stehen wir auf einem Gletscherschliffriicken, und drüben winkt unweit das Hospiz gastlich entgegen.

Ein dreifacher Juchz dringt grüßend hinüber.

Wir kreuzen noch den ebenen, schneebedeckten Thalgrund, steigen zum Hospiz an und treten in 's Winterstübli ein.

Ein tropischer, erfolgreich mit dem Samum con-currirender Luftstrom quillt uns aus diesem entgegen. Man hat für uns eingeheizt, da ein Knecht, der mir direct Platten zu weiteren Thaten heraufbrachte, unser Eintreffen avisirte. Wir ziehen jedoch vor, hemdärmlig in ungeheiztem Räume zu verweilen, und dort absolvire ich vorerst meinen Briefverkehr.

Erst nachträglich wird das Souper eingenommen. Das „ Menu " lautet: Reissuppe mit lufttrocknem Fleisch, für Morgens früh: Reissuppe mit Käse.

Der tausend, ist das ein Hochgenuß, wieder ein mal in ein Bett zu kommen! Wir schlafen wie die Götter, und als ich 6 Uhr Morgens nach dem Wetter ausluge, da zeigt der Himmel ein so griesgrämiges Gesiebt, daß ich entsetzt nochmals in die Federn schlüpfe, um bis 7V2 Uhr weiter zu schlafen.

Um diese Zeit beginnt die Action. Es wird Toilette gemacht, d.h. ein paar Mal mit der Hand durch die Haare gefahren und das Gesicht nicht gewaschen, denn es schmerzt noch von dem Röstproceß der letzten Tage.

Nachdem gefrühstückt, wird der Rückweg angetreten, es geht nach der Handeck, nach Guttannen und Brienz.

Ist das ein Hochgenuß, dieser Niederstieg aus dem Bereiche des Todes bis hinaus in den lichtblauen Frühling der lachenden Ufer des dorfumrahmten Brienzersee's!

Erst führt der Marsch dui'ch großartig wilde, majestätisch ernste Gletscherschlifflandschaften, Murmelthiere und Gemsen aufstörend, bald auf-, bald niedersteigend, aarab.

Graubraun, winterlich kalt ist alles Grün, wenn es nicht gar vom Schnee bedeckt ist.

Beidseitig schieben wilde, gletschererfüllte Schluchten gewaltige, lauinendurchfurchte Schuttkegel weit in 's Thal. Mälig erstarkt die Vegetation — schon wuchert vielastiges Alpenrosengesträuch, doch ist es noch leblos, erstorben.

Zwei Adler kreisen majestätisch, schwindelnd hoch, am Gelmerhorn.

Schon tauchen die ersten Nadelhölzer auf, erst einzeln, verkümmert, dann kräftiger, gesunder, grup- penweise, bis endlich bei der Handeck ein kleiner " Wald mit prächtig saftgrünem Rasenplatze das Auge erfreut. Es ist das erste Grün, das wir seit 4 Tagen gesehen — wir finden es zauberisch schön.

Wunderbar schön und harmonisch ist die Handeck-partie. Die Worte versagen, um die ganze Pracht dieses Naturbildes zu schildern. Wie gedankenarm, starr und einseitig erscheint im Vergleiche zu dieser lebensprühenden, geistvollen Landschaft die vielgerühmte Hochregion!

In Guttannen gibt es Mittagsrast. Wir finden äußerst gastliche Aufnahme in dem heimeligen Wirthshause. Trotz der periodischen Platzregen bleibt die Aussicht ungemein stimmungsvoll, und nach kurzer Mittagsrast wandern wir thalaus nach Innertkirchen und Meiringen.

Das neue Fahrsträßchen von Guttannen nach Innertkirchen ist eine wahre Perlenreihe der schönsten Stimmungsbilder. Malerisch schmiegt sich der Weg in kühnen Windungen dem Gneißfels des rechten Aarufers an, bald Galerien durchschlingend, bald felskopfumrahmt, bald tannumstanden, indeß linker Hand verblüffend steil wie jenseits der Felshang zur jungen Aare stürzt.

Große, gewaltige Naturblöcke, die malerisch in allen Größen den Wegrand zieren, dienen sinnig als Prellsteine gegen dieses Steilbord.

Jede Biegung des Weges bringt ein neues Bild voll eigenthümlicher Schönheit, voll künstlerischer Stimmung und natürlicher Poesie. Wir können uns nicht satt sehen und langen schließlich hochbefriedigt in Meiringen an. Ein prächtig frischer Morgen ist angebrochen, als andern Tags die 6 Uhr-Post hellklingelnd von Meiringen nach Brienz einhertrabt. Lustig umhuschen silberglänzende Wölklein die Bergeshäupter, und muthwillig hüpfen die silbernen Wasseradern zu Thal — sie weben in 's blühende Grün der Landschaft das-Silbergrau, das die Farbenreihe harmonisch eint.

Bald ist Brienz erreicht und klatschenden Ruder-schlages entführt uns das Dampf boot nach dem Herzen des Oberlandes, nach Interlaken.

Beidseitig ziehen in buntem Wechsel die malerischen,, dorfbestreuten Ufer an uns vorüber, und darüber hinaus ragen sonnig bestrahlt die Bergesriesen warm-duftig in den lichtblauen Aether empor, in dem die Wolkenschleier spurlos verschwimmen.

Welche Fülle herrlicher unvergeßlicher Bilder! WTohl glaubte ich das Oberland zu kennen — aber nein! wer nie solch'einen Frühlingseinzug in all' seiner Poesie durchlebte — der kennt das Oberland nicht, der hat die Natur in ihren schönsten Gedanken nie erlauscht!

Möge aus diesem offenen Bekenntnisse eines Hochclubisten der Thaltourist ersehen, daß er im Wesen nicht zu bedauern, und daß ihm vielleicht mehr Genuß aus warm empfundenem, anspruchslosem Reisen erblüht, als mancher Hochclubist aus seinen gesuchten Fahrten zieht.

Wer viel mit offenen Augen in den Bergen herumsteigt, und dazu hat ja wohl der Topograph im Hochgebirge die reichste Gelegenheit, sieht bald ein, daß absolute Höhe und Schönheit der Aussicht durchaus nicht identisch sind. Man darf sogar im Allgemeinen getrost sagen, daß, je höher der Hochgipfel relativ zur Gruppe, desto weniger malerisch seine Aussicht sei. Die Schönheit der Aussicht ist lediglich eine Folge der Gruppirnng der Formen um den betreffenden Standpunkt, und Aussichtspunkte von der Harmonie und Grandiosität des Mettenbergs, des Faulhorns, des Schilthorns, der Dent de Morcles, des Walliser Breithorns, des Corvatsch etc. wird schwerlich ein objectiver Beobachter unter den höchsten Culminationspunkten zu nennen wissen. Das wissen die Maler am besten!

Wohl ist es auch etwas Schönes, sich an den Kampf mit scheinbar Unüberwindlichem zu wagen, aber der Preis und das Endresultat sollte des Einsatzes werth sein.

So, wie sich heutzutage manchenorts der Hoch-gebirgscultus entwickelt, scheint dies kaum mehr der Fall zu sein. Gar vielfach schon wird jene schiefe Ebene betreten, die den Keim der Auflösung in sich trägt, die den Schritt vom Erhabenen in 's Lächerliche vermittelt, und zwar in zwei Richtungen: das Bergsteigen ist zu sehr zur Modesache, zu sehr zum bloßen Sport geworden.

In früherer Zeit sehen wir erst einzelne Forscher sich in 's Herz der Alpenwelt wagen. Die Schrecknisse der Alpen stoßen sie dämonisch ab, und die Schilderung kündet uns ausschließlich von einem wüsten, öden, gräulichen, entsetzlichen Gebirge. Erst nach und nach gewöhnt sich der Mensch an die Schrecken, er beginnt objectiver zu urtheilen. Die vielen, tiefgreifenden Aufschlüsse, die den denkenden Forscher entzücken, machen ihm die Alpenwelt lieb und werth — er lehrt nebenbei ihre Stimmung erfassen und freut sich der grandiosen Formen- und Farbencontraste. Höher und höher dringt er empor, schon trotzt er den höchsten Zinnen. Und jetzt? schon gehört es „ zum guten Ton ", die Alpen schön zu finden, und mit jedem Meter an Meereshöhe nimmt das Pathos der Schilderung zu, und das Schlußtableau endlich ist das, daß selbst körperlich in keiner Hinsicht dazu berufene Leute leidenschaftlich Berge „ machen ", nur um auch oben gewesen zu sein.

Da langen sie an auf der Hoch warte, die armen Opfer der Eitelkeit, kaum einer Bewegung fähig. Der Magen revoltirt, der Geist versagt, die Lunge ringt krampfhaft nach Luft, es ist ihnen seekrank, unsäglich elend zu Muthe, ein geistiges Erfassen der Aussicht ist unmöglich. Aber je bemitleidenswerther die Situation, desto überschwenglicher fällt nachher die Schilderung des oben Genossenen aus, denn sie muß doch der gehabten Mühe entsprechen. Das sind Zerrbilder des alpinen Lebens.

Was aber das Ueberhandnehmen des bloßen Alpensports betrifft, so schiene es mir Feigheit zu sein, jetzt, wo jährlich eine Reihe überhitzter Phantasien zu Katastrophen traurigster Art Veranlassung geben, Katastrophen, die mittellosen Führerfamilien eine traurige Existenz noch trüber gestalten, das zu verschweigen, was sich wohl jedem objectiv Denkenden als Ueberzeugung aufdrängt.

Daß lediglich das mehr oder weniger gewandte Klettern ein des Menschen würdiges Ziel sein sollte, darf wohl verneint werden, wird doch dieses Problem von der Ordnung „ Vierhänder " in jeder Hinsicht viel besser gelöst. Allen Respect vor dem Sport, aber cultiviren wir ihn nicht auf Kosten von Geist und Herz!

Kein objectiv urtheilender Mensch wird gegen das Ausführen von Hochtouren an und für sich zu Felde ziehen wollen — wohnt ihnen doch entschieden, wenn sie aus innerem Bedürfniß, um ihrer selbst willen ausgeführt werden, ein wesentlich bildendes, geistig und körperlich kräftigendes Moment inne. Und gerade das abstracte Sportwesen scheint mir eine natürliche Folge, eine Reaction gegen unsere geistig zu einseitige, zu ausschließliche Erziehung zu sein, die meist viel zu wenig die körperliche Ausbildung berücksichtigt.

Wenn wir aber Leute sehen, die sich zwecklos dazu verdammen, einen halsbrecherischen Anstieg nach dem andern zu forciren, und bei dieser ewigen Hetzjagd gar nie dazu gelangen, eine gehaltvolle, vernünftige, genußreiche, ethische Bergtour auszuführen, so können wir nicht umhin, sie zu bemitleiden.

Da diese Elemente oft auch die vielschreibenden sind — Zweck der Fahrt ist ja, von sich reden zu machen — so kommen junge Anfänger nur zu leicht auf die Idee, diese Art des Sports sei eigentlich der Schwerpunkt, das Wesen alpinen Lebens. Auf diesen wunden Punkt hinzudeuten, ist der Zweck dieser Zeilen, und wenn ich es, gestützt auf mehrere hundert, nicht gedankenlose Fahrten, unternehme, junge Anfänger vor dem Betreten dieses Weges zu warnen, und ihnen an Hand eigener Erfahrung davon abzurathen, so ist es nicht etwa Neid, der mich dazu bewegt, denn ich zähle zu meinem Repertoir Fahrten, die an Zwecklosigkeit getrost das Albernste in dieser Beziehung erreichen. Sie wurden allerdings zu gutem Theil auch nur deßhalb gemacht, um der Phrase: „ das verstehst Du nicht " begegnen zu können.

Auch ich habe manchen unbedachten Schritt gethan, ich weiß das sehr wohl. Es sind das Fehltritte, die jedem wahren Streben mitunterlaufen. Decken wir sie mit dem Mantel der Liebe zu, und suchen wir es besser zu machen.

Wir verlangen nicht die Wahl zwischen Sport und Naturverständninein, wir reden für Beides zumal, eingedenk dessen, daß der wahre Clubist nicht nur Arme, Lungen und Beine, sondern auch einen offenen Kopf und ein warmes Herz hat.

Möge der S.A.C., äußeren Einflüssen trotzend, diesen Standpunkt, der auch in seinen Statuten zur Genüge präcisirt ist, stets zu wahren wissen; möge er stets vorziehen, ein bescheidenes, charakteristisches Original zu sein, als zur Copie importirter, nicht im Wesen unseres Ideenkreises liegender Bestrebungen herabzusinken — gewiss, er hat das Zeug dazu reichlich in sich. Möge er stets dessen eingedenk sein, daß wohl die Mode wechselt, daß aber Natur und Wahrheit unwandelbar dieselben bleiben, und daß wahre innere Befriedigung uns nur aus diesen erblüht, dann wird er uns auch das entbieten, was er seinem Wesen nach soll: eine gesunde Seele in gesundem Körper.

Und nun, lieber Zuhörer, habe Dank für Dein Geleiteünd sollten auch unsere Erfahrungen und Anschauungen nicht immer harmoniren, deßhalb kein Hader — wir streben ja Beide nach dem Höchsten, dem Besten, nach Wahrheit!

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