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Eine Wanderung durch die Ferwalgruppe

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VON EMIL SCHIMPF ( WINTERTHUR )

Auf der Suche nach Wandergebieten, die nicht zu stark überlaufen sind, bekam ich auf Grund des Kartenbildes den Eindruck, dass es sich bei der Ferwalgruppe - einem Gebirgszuge zwischen dem Arlberg und dem Montafon/Patznaun - wohl um eine reizvolle Gegend handle, die sicherlich abseits des Massenverkehrs liege. Da wir, als etwas bequem gewordenes Ehepaar, schon auf früheren Fahrten die Gastlichkeit der Berghäuser in Österreich schätzen gelernt hatten, entschlossen wir uns, einen Teil unserer Ferien dort zu verbringen.

Der Arlbergexpress brachte uns an einem prächtigen Samstag ( 30. August ) nach St. Anton, dem vom Wintersport her bekannten Skizentrum am Arlberg. Am frühen Morgen des Sonntags fuhren wir, in Ermangelung einer guten Zugsverbindung, mit einem Taxi nach Pettneu, allwo wir den motorisierten Verkehrsmitteln für einige Zeit Lebwohl sagten.

Es begann der Aufstieg zur Edmund Graf-Hütte des ÖAV. Durch das langgezogene und sehr romantische Malfontal wanderten wir zunächst genau gegen Süden. Unsere Säcke, die, ausser Proviant für etwa zwei Tage, Wäsche, Regenschutz, Photoapparat, Feldstecher, Bordekocher mit Brennstoff und andere nützliche Dinge enthielten, begannen uns etwas frühzeitig zu drücken. Das fehlende Training machte sich bemerkbar, aber auch die grosse Wärme trug dazu bei. So schlugen wir gleich von Anfang an einen gemächlichen Schritt ein. Gelegentlich machten wir einen Schnaufhalt und betrachteten die Gegend. Während eines solchen Haltes überholte uns ein jüngeres Ehepaar, das, den Säcken nach zu urteilen, offenbar auch für einige Tage unterwegs zu sein beabsichtigte. Eine ältere Touristin, allerdings ohne Sack, marschierte ebenfalls stramm an uns vorbei. Später kreuzten wir verschiedene Einheimische, die sich im Abstieg von einer Sonntagstour befanden. Von ihnen vernahmen wir, dass die Edmund Graf-Hütte, die normalerweise Platz für 35 Personen bietet, in der letzten Nacht mit über 100 Personen belegt gewesen sei. Die Gegend schien also doch belebter zu sein, als wir es uns vorgestellt hatten. Nach etwa drei Marschstunden hatten wir gute 800 m Höhendifferenz zurückgelegt. Bald musste, laut Karte, unsere Route beinahe rechtwinklig gegen Osten abbiegen. Das tat sie auch! Auf einer alten und heute überwachsenen Moräne führte das Hüttenweglein steil aufwärts. So verloren wir noch verschiedene Schweisstropfen. Wir waren daher richtig froh, als wir wenige zehn Meter über uns eine Stange entdeckten, die wohl auch den Standort der Unterkunft anzeigte. Und tatsächlich, es trennten uns nur noch einige Schritte von der Hütte ( 2408 m ), als sie hinter einem Geländevorsprung auftauchte. Zu unserer Genugtuung waren Haus und Umgebung nur wenig bevölkert. Ein freundlicher Hüttenwirt, dessen Frau und die Köchin begrüssten uns wie alte Bekannte. Bald wurde uns ein einfaches, aber schmackhaftes Mahl vorgesetzt, und wir konnten uns von den Strapazen des ersten Wandertages erholen.

Einer der anwesenden Gäste hatte mich anhand des SAC-Abzeichens als Schweizer erkannt. Bald begann er, uns seine Geschichte zu erzählen. Er habe jahrelang in einem Bündner Kurort als Gärtner gearbeitet ( ein Zeugnis bestätigte dies ) und möchte nur allzu gern wieder in die Schweiz zurück. Soeben habe er ein Abzeichen verloren, das eine liebe Erinnerung an seinen Schweizeraufenthalt gewesen sei. Ob ich ihm nicht wieder ein solches besorgen könne? Ich versprach das und sandte ihm nach unserer Rückkehr verschiedene Abzeichen zum Anstecken und Aufnähen, ohne aber allerdings je von ihm zu hören, dass die Sachen auch angekommen seien...

Am Abend sassen wir mit dem bereits flüchtig bekannten Ehepaar, das uns überholt hatte, zusammen. Sie kamen aus der Gegend von Stuttgart und waren begeistert, ihre Ferien in den Bergen verbringen zu können. Zu uns gesellte sich ein weiteres Ehepaar; der Mann hatte nur ein Bein, bewegte sich aber mit seinen Krücken fast wie ein Unbehinderter. Es wurde ein netter Abend. Der Hüttenwirt äusserte sein Bedauern, dass nur alle paar Jahre einmal Schweizer sich in diese Gegend « verirrten ».

Die wenigen Touristen, die hier übernachtet hatten, machten sich am Montag schon zeitig auf den Weg, um den als Aussichtsberg bekannten Hohen Riffler zu besteigen; unter ihnen war auch der Einbeinige. Wir aber schulterten unsere Säcke etwas später, um unserm nächsten Etappenort, der Niederelbehütte, zuzustreben. Auf einem gut angelegten Gebirgspfad stiegen wir zunächst gegen die « Schmalzgrube ». Woher dieser Name stammt, konnte ich nicht herausfinden. Auch das kleine Seelein, an dem man unterwegs vorbeikommt, macht nicht den Eindruck, früher einmal aus Schmalz bestanden zu haben. Oder sollte der Name vielleicht eher von « schmelzen » kommen? Hier musste einmal Gletscher gewesen sein, der im Verlaufe der Jahre geschmolzen ist. Heute erinnert nur noch eine ganz kleine Gletscherzunge, die man zu überschreiten hat, daran. Wundervoll weitet sich der Blick im Aufstieg. Dominierend grüssen das Blankahorn und der Hohe Riffler herüber, und in der Ferne stehen über dem Nebelmeer die Skiberge um St. Anton. Nach zwei Marschstunden erreichten wir die Schmalzgrubenscharte ( 2753 m ), die einem eine Aussicht auf ein ganz anderes Gebiet eröffnet. Ein Panorama mit den altbekannten Bergen des Silvrettagebietes und des Samnauns und, weiter östlich, mit den Ötztaleralpen tat sich auf. Der Übergang liegt auf einem schmalen Grat, eine richtige Scharte! In den Sonnenhängen jenseits, auf der wir unsere Abstiegsroute erkannten, entdeckten wir ein Gemsrudel; bei näherer Beobachtung mit dem Feldstecher entpuppte sich dieser allerdings als ganz gewöhnliche Ziegen. Nun, schön nahmen sich die Tiere in der Landschaft trotzdem aus!

Während unseres Znünihaltes an diesem wirklich reizenden Aussichtspunkte rechnete ich meiner Frau an Hand der Karte vor, wie lange wir noch zu gehen haben würden, bis unser heutiges Ziel in Sicht kommen müsse, und dass es von dort dann noch etwa 1 ½ Marschstunden bis zur Hütte seien. Dann begaben wir uns wohlgemut auf den Weiterweg. Zuerst ging es steil abwärts, dann folgt der Weg ( Rifflerweg benannt ) mit wenig Gefälle den Hängen bis oberhalb der Diasalpe. Ziemlich genau nach der von mir berechneten Zeit sichteten wir die Hütte. Ich war stolz auf meine Vorhersage. Leider etwas zu früh. Von hier an zeigte es sich nämlich, dass man sich nicht - wie bei unsern wunderbaren Schweizerkarten - mit unbedingter Sicherheit auf das Kartenbild verlassen kann. Die Karte im Maßstab von 1:100000 mit einem Abstand der Höhenlinien von 100 m zeigte einen Weg, der mit wenigen Windungen und immer leicht fallend dem Ziel entgegenführen musste. Aber der Weg kümmert sich nicht um das Kartenbild! Er folgt den Formen des Gebirges, das an seinen Flanken immer wieder Bacheinschnitte aufweist. Das war an und für sich noch nicht so schlimm Unangenehm empfanden wir es, dass der Pfad innerhalb der eingezeichneten Höhenkurve unzählige Auf und Ab aufweist, die, zusammengezählt, verschiedene hundert Meter Steigung ausmachten. Nun, auch das Auf und Ab nahm ein Ende. Nach einem letzten Abstieg zu einem Bach kamen ein paar Kehren, und dann waren wir - allerdings mit einiger Verspätung gegenüber der Marschtabelle - an unserm Bestimmungsort ( 2300 m ).

Eine urchige Tirolerin nahm uns in Empfang. Als sie feststellte, dass wir Schweizer seien, war sie hocherfreut. Vor den anwesenden Gästen konnte sie sich nicht enthalten zu sagen, endlich käme nun einmal jemand Rechter, nicht immer nur Österreicher und Deutsche! Glücklicherweise hatten die Anwesenden genügend Humor, um weder ihr noch uns diesen Ausspruch zu verübeln. Sie - waren im Gegenteil alle sehr freundlich. Wohl weil das Haus der Sektion Hamburg des DAV gehört, befanden sich bei unserer Ankunft fast ausschliesslich Touristen aus dieser Hafenstadt dort. Es müssen bergbegeisterte Leute sein, die - nur für einen Aufenthalt von ein paar Tagen in ihrer Hütte - die lange Reise in Kauf nehmen. Nachdem wir uns gut verpflegt hatten, liessen wir uns von zwei Hamburgern überreden, mit ihnen auf den Kapplerkopf zu steigen, wo man einen wunderbaren Tiefblick ins Patznauntal und eine herrliche Sicht auf die Silvretta habe. Der etwa dreiviertelstündige Aufstieg lohnte sich, so dass wir für die Anregung dankbar waren. Gegen Abend gab es ein starkes Gewitter, doch fühlte man sich an diesem gastlichen Ort gut geborgen. Auch hier verging der Abend bei anregendem Gespräch, wobei wir uns, wenn man davon absah, dass alles Schriftdeutsch sprach, gar nicht so fremd vorkamen.

Am folgenden Tage, Dienstags, hatten wir die Besteigung der Kreuzjochspitze ( 2921 m ) auf dem Programm. Mit leichtem Rucksack machten wir uns auf den Weg auf diesen « Hüttenberg ». Der Aufstieg ist sehr abwechslungsreich. Er führt zunächst über grasbewachsene Hänge und später durch Geröll. Unvermittelt steht man vor einem Seelein ( Schwarzsee - in der Karte eingezeichnet ), dessen bergseitiges Ufer noch von einem ausgedehnten Lawinenkegel überdeckt war. Stellenweise hatte sich über Nacht auf dem Wasser sogar eine leichte Eisschicht gebildet. Über Blöcke geht es dann weiter. Nach insgesamt etwa 2 ½ Stunden erreichten wir den Gipfel. Leider hatte sich der Himmel ziemlich bedeckt, und die umliegenden Berge blieben im Nebel verborgen. Ein Herr aus Dortmund, mit seiner Tochter, die wir als einzige Touristen oben antrafen, waren dafür um so mehr über den Tiefblick begeistert. Als es dann leise zu schneien begann, verzichteten wir auf die vorgesehene lange Gipfelrast und traten den Rückweg an. Wir beeilten uns allerdings nicht sehr, da uns die Gegend wirklich ausnehmend gefiel. Zudem liessen die Schneeschauer nach. Wir waren schon zum Mittagessen in der Hütte zurück.

Schon bald am Nachmittag begann es erneut zu gewittern. Die umliegenden Berge überzogen sich mit weissen Kappen; es schneite in der Höhe. Mit unsern Bekannten aus der Edmund Graf-Hütte, die inzwischen auch hier eingetroffen waren, und verschiedenen Hamburgern verbrachten wir den Rest des Tages. Unsere « Älplerin » sang und jodelte - wie sie sagte uns zu Ehren - Schweizerlieder zur Handorgelbegleitung, wie wenn sie die Schwester einer unserer berühmten Jodlerinnen wäre! Die Hamburger wollten nicht zurückstehen und trugen uns Seemannslieder in ihrem Dialekt vor. Ein einzelner Tourist wartete mit lustigen und besinnlichen Liedern zur Laute auf. Das alles spielte sich in einer angenehmen Atmosphäre ab, da niemand überbordete. Wir unserseits trugen dadurch zur Gemütlichkeit bei, dass wir vom Inhalt unserer vorsorglicherweise gross gewählten Kaffeebüchse nicht nur uns, sondern auch den andern Gästen einen feinen Kaffee brauten.

Der Mittwoch überraschte uns mit einem reingefegten Himmel. Unsere Bekannten aus Stuttgart hatten uns gefragt, ob sie den Weiterweg gemeinsam mit uns zurücklegen dürften. Wir hatten nichts dagegen, und so brachen wir zu viert zur nächsten Etappe auf. Zunächst mussten wir zur Fatlar-scharte ( 2743 m ) ansteigen, die wir nach etwa 1 ½ Stunden erreichten. Noch lag etwas Neuschnee, der aber an der gleissenden Sonne zusehends schmolz. Hier oben wurde eben die Kieler-Hütte, die als Notunterkunft gedacht ist, wieder aufgebaut, nachdem sie gänzlich zerfallen war. Einer der mit dem Aufbau beschäftigten Arbeiter erzählte uns, wie sie beim Gewitter des Vortages unter einem Felsvorsprung Schutz suchen mussten, und dass der Blitz mehrfach in ihrer Nähe eingeschlagen habe. Er erklärte die häufigen Einschläge damit, dass das Gestein stark eisenhaltig sei. Bald setzten wir unsere Wanderung fort. Steil mussten wir nun über Gras und Geröll absteigen. Da das Schmelzwasser das schmale Weglein als Bachbett benützte, waren wir froh, uns zuweilen an den angebrachten festen Seilen halten zu können, wenn allzu schlüpfrige Stellen zu umgehen waren.

Jedenfalls kam man auf diese Weise rascher vorwärts. Weiter schlängelt sich der Pfad durch ein wildes Blockgewirr, wobei man leider immer noch an Höhe verliert. Wir begrüssten es daher, als wir erneut zu steigen beginnen konnten. Über Schnee und Geröll gewannen wir wieder an Höhe und erreichten nach weitern 2½ Stunden das Schneidjöchl ( 2841 m ). Auch wenn wir nicht be~ absichtigt gehabt hätten, hier eine Rast einzuschalten, hätte uns die herrliche Aussicht dazu veranlasst. In erster Linie nimmt einem der Blick auf die Berge und Gletscher der näheren Umgebung gefangen. Aber auch die Weitsicht ist überwältigend: Ötztaleralpen, Grossglockner und Grossvenediger lassen sich in der Ferne unschwer erkennen. Weniger gross ist die Distanz bis zu den Bergen der Silvretta und des Samnauns. Das Gebiet der Kuchen- und der Küchelspitze erinnert einen ganz an die Walliserberge; die Höhe ist zwar bedeutend geringer, aber die Wände und der steil abfallende Küchelferner wirken doch sehr wuchtig. # Da es sehr warm war, hatten wir kein Bedürfnis, etwas zu essen. Wir vertrösteten uns damit, dass auch in der Darmstädterhütte sicherlich eine gute Köchin am Werk sein werde, die uns vor dem Nachtessen eine gute Zwischenverpflegung verabreichen könne. So nahmen wir denn auch nach gemütlicher Rast den steilen Abstieg, der nun folgt, guten Mutes unter die Füsse. Ja, er ist steil, dieser Weg, und die kurzen Zickzacks auf dem rutschigen Geröll « hauen » einem in die Beine. Die Wärme trug das ihrige dazu bei, dass wir « kniebel » wurden. Schon während des Abstieges mussten wir zudem zu unserm Bedauern feststellen, dass uns die Karte offenbar wieder einmal einen Streich spielte. Die Gegensteigung zur Hütte, die wir auf Grund des Kartenbildes auf etwa 10-15 Minuten geschätzt hatten, war steiler und länger als vermutet; die Hütte wollte und wollte nicht zum Vorschein kommen. Leider war dann auch der Empfang daselbst weit weniger herzlich als an den bisherigen Orten. Mit vielen guten Worten liess sich zwar die Hüttenwirtin bewegen, uns trotz der Unzeit ( 4 Uhr nachmittags ) eine Suppe zu servieren. Sie ( die Suppe, nicht die Wir tin ) war dann so dick, dass der Löffel beinahe darin stecken blieb. Auch mit der Unterkunft hatten wir unsere Mühe. Ohne Unterstützung unserer Begleiter hätten wir bis um 8 Uhr nicht gewusst, ob wir wirklich bleiben könnten oder nicht. Dabei war die Hütte nicht annähernd besetzt. Wenn es dann am Abend doch noch gemütlich wurde, so sorgten wir selber mit einer Gruppe der Hamburger, die uns gefolgt war, dafür. Der Sohn der Hüttenwirtin, der weniger unfreundlich war als seine Mutter, spielte uns später sogar auf dem Hackbrett nette Tirolerweisen auf.

Als wir uns am Donnerstag für eine weitere Etappe auf den Weg begaben, sah das Wetter eher zweifelhaft aus. Ein kühler Wind wehte uns entgegen, und in der Höhe trieben Wolkenfetzen dahin. Die Hütte liegt auf 2380 m, so dass wir bis zum Kuchenjoch ( 2806 m ) nicht viel Steigung zu bewältigen hatten. Unsere Route führte zuletzt einige Zeit über Schnee; hier sahen unsere Begleiter erstmals eine Gletscherspalte, was ihnen grossen Eindruck machte. Auf dem Joch nahm der Wind sturmartige Heftigkeit an. Wir verzichteten daher auf die im Programm vorgesehene Besteigung des Scheibler und beeilten uns, in die dem Wind weniger ausgesetzten Hänge auf unserer Abstiegsroute zu wechseln. Zu unserer Überraschung trafen wir hier auf einen grösseren Schwärm von Schneehühnern. Noch nie hatten wir zuvor so viele dieser Vögel beisammen gesehen. Sonst begegneten wir ihnen immer nur vereinzelt oder in ganz kleinen Gruppen, hier waren aber gut deren zwanzig vereinigt. Nach etwa halbstündigem Abstieg setzten wir uns an einem schönen Punkte hin, um die Landschaft zu betrachten, die mit den bisher durchwanderten Gebieten wenig Ähnlichkeit zeigt. Der Blick wird in erster Linie durch den Patteriol angezogen, der mit seiner wuchtigen Figur seine Umgebung weit überragt. Zu unsern Füssen erstreckte sich das langgezogene Fasultal. Dessen unterer Teil ist noch bewaldet; weiter oben gehen die Ufer des Fasulbaches in Weidland über, und in der Höhe ist er in eine öde Geröllandschaft gebettet. Die Berge, an deren Fuss sich der- Fasulferner ziemlich weit hinzieht, haben, von hier aus gesehen, viel Ähnlichkeit mit der Umgebung des Montemoropasses im Wallis. Als unsere Blicke in die nähere Umgebung zurückkehrten, bemerkten wir zu unserer Freude ein munteres Völklein von Murmeltieren. Sie schienen von unserer Anwesenheit nichts gewittert zu haben, jedenfalls machten sie keine Anstalten zur Flucht. Es gelang uns auch dank des uns entgegenkommenden Windes, uns an verschiedene Gruppen heranzupirschen und ihr drolliges Gehaben aus nächster Nähe zu beobachten. Erst ein aufziehendes Gewitter liess uns dann unsere Schritte beschleunigen. Das erste Mal auf unserer Fahrt mussten wir sogar noch unsere Pellerinen anziehen, denn bald steckten wir im sehr ausgiebigen Regen.

Die Konstanzerhütte, die wir nun erreichten, liegt unter der Baumgrenze und war mit 1768 m unsere am tiefsten gelegene Unterkunft auf dieser Tour. Nur wenige Leute waren da. Eine freundliche Tochter - sie sei im Winter Skiinstruktorin in St. Anton, verriet sie uns später - hiess uns willkommen. Sie brachte uns bald eine ausgezeichnete Suppe, der ein noch besserer Kaiserschmarren folgte. Dies weckte unsere, vom Regen etwas in Mitleidenschaft geratenen Lebensgeister wieder auf. Im Verlaufe des Nachmittages gab es noch einige « Arrivés ». Ein älterer Herr mit Spitzbart begrüsste mich freundlich und erkundigte sich, ob ich Schweizer sei. Er komme soeben aus dem Wallis, wo er verschiedene Gipfel bestiegen habe: Matterhorn, Weisshorn, Dent Blanche usw.; vorher sei er im Mont-Blanc-Gebiet gewesen. Das erste Mal sei er auf dem Matterhorn gewesen, als er seinen siebzigsten Geburtstag begangen habe. Er erzählte das nicht, um aufzuschneiden, sondern offenbar aus Freude über seine Bergerlebnisse. Heute komme er von einer längeren Tour über das Wannenjöchl. AlleinNein, sein Kamerad sei noch etwas zurück, der sei eben « doch schon 84 gewesen »! Er habe ihn nicht allein zurückgelassen, eine Freundin sei bei ihm. Die drei erwiesen sich als urgemütliche Bayern. Der Matterhornbesteiger war ein Original, dem es offenbar seine finanziellen Verhältnisse erlaubten, bald da, bald dort auf der Walz zu sein. Einmal in den Schweizerbergen, dann in Norwegen, wieder einmal im Tirol; man müsse das Leben geniessen, so lange man jung seiAls sich sogar herausstellte, dass er - noch vor dem ersten Weltkrieg - während längerer Zeit an unserm Wohnort gearbeitet hatte, mit dem er durch Bekannte auch heute noch verbunden ist, taute er weiter auf und erzählte uns lange Episoden aus seinem Leben. Auf diese Weise kehrte die Ruhe allerdings später ein, als man es in Hütten in der Regel gewohnt ist.

Leider mussten wir uns anderntags von unsern netten Begleitern aus Stuttgart verabschieden. Ihre Wege führten talabwärts nach St. Anton, da ihr Ferienurlaub zu Ende ging. Wir aber nahmen wieder einen neuen Aufstieg unter die Füsse. Der Weg wurde uns recht lange, denn kilometerweit geht es mit sanfter Steigung immer in südlicher Richtung - und daher mit der Sonne im Gesicht -aufwärts. Erst in etwa 2500 m Höhe schwenkt die Route leicht nach Osten ab. Nach fünf Stunden -einige Halte eingerechnet - standen wir auf dem Schaf bücheljoch ( 2647 m ).

Während unserer bisherigen Wandertage waren wir unterwegs kaum einem Touristen begegnet. Auch heute kreuzten wir nur einen Einzelgänger, einen Holländer. Dafür trafen wir hier auf die Schafe, denen die Gegend offenbar ihren Namen verdankt. In ihren zottigen Fellen lagen sie in einer Mulde, zum Teil auf Schnee, und wiederkäuten. Uns würdigten sie keines Blickes und liessen uns in Ruhe ( wir hatten in dieser Beziehung mit Schafen schon andere Erlebnisse ). So waren wir ungestört und genossen die herrliche Stille der Bergwelt in vollen Zügen. Auch von hier aus ist die Aussicht prächtig. Wir waren hier in die unmittelbare Nähe des Fluchthornes und der Silvrettagruppe gerückt, die sich auf der anderen Seite des Tales von Ost nach West ausdehnt. Lange konnten wir hier oben sitzen und schauen, wobei angesichts der auch schon durchwanderten Berge schöne Erinnerungen auftauchten. Es tat uns aber auch leid, dass wir wieder einmal auf der letzten Etappe einer Fahrt waren, da wir für unsere weiteren Ferientage noch andere Pläne hatten. Schliesslich.

mussten wir uns auch von diesem schönen Punkte trennen. Schon sichteten wir von weitem die Friedrichshafenerhütte, wo wir zu übernachten gedachten. Als wir dort nach etwa einer Stunde anlangten, sagte man uns, dass für die Nacht vermutlich mit ziemlich viel Leuten zu rechnen sei; es könne erst abends um 7 Uhr entschieden werden, ob auch wir Platz fänden. So stärkten wir uns lediglich mit einem Abschieds-Kaiserschmarren und setzten unsern Abstieg ins Tal nach Mathon fort. Erstmals seit einer Woche wanderten wir wieder durch Wald, dessen würziger Duft uns angenehm erfrischte. Leider war mit dem Eintreffen im Tal Autoverkehr und Benzingestank verbunden. Wir gelangten auch unter ganz andere Menschen: Sommerfrischler! Im einzigen Gasthaus des Ortes musterte man uns von unten bis oben. Nein, es sei alles besetzt, sie hätten keinen Platz ( man versprach sich wahrscheinlich von durchfahrenden Automobilisten mehr als von zwei ruck-sackbehangenen Touristen ). Es blieb uns daher nichts anderes übrig, als noch mehr als eine Stunde auf das Postauto zu warten, das uns nach Ischgl brachte, wo wir Unterkunft fanden.

Anderntags hiess es Abschied nehmen vom Ferwalgebirge. Für die Rückkehr in die Schweiz benützten wir das Postauto, das uns auf schlechter Strasse - sie war im Umbau begriffen - zuerst nach Landeck und dann entlang des Inns und über Nauders nach Schuls führte, womit der ausländische Teil unserer Rundreise seinen Abschluss fand. Dieser Reisetag war wohl das beschwerlichste Unternehmen unserer Tour.

Wir bedauerten es keinesfalls, einmal mehr neue Wege gesucht und begangen zu haben. Sehr angenehm überrascht waren wir von den netten Leuten, die wir unterwegs kennengelernt haben. In der Hochsaison dürften die Verhältnisse wahrscheinlich schon etwas anders sein. Man tut deshalb gut, für eine solche Wanderung nicht die eigentliche Ferienzeit zu wählen.

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