Everest-Nordsattel 1962 | Club Alpino Svizzero CAS
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Everest-Nordsattel 1962

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VON HANS P. DUTTLE, PORT BURWELL, CANADA Mit 6 Bildern ( 48-53 ) Der nachfolgende Bericht über die Erlebnisse anlässlich einer amerikanischen Expedition im Bereich der Everest-Nordseite entstammt der Feder eines Schweizer Teilnehmers und lässt uns klar werden, dass es wohl lobenswert ist, mit viel Vertrauen eine solch anspruchsvolle Bergfahrt im Ausland anzutreten, dass aber auch gründliche Vorbereitung und angemessene Vorsicht notwendig sind, will man sich nicht lebensbedrohenden Gefahren aussetzen.

Deshalb wurde dieses von W. W. Sayre unter dem Titel « Quatre hommes contre l' Everest » ( édition Flammarion ) geschilderte Abenteuer, das die vier Männer allerdings nicht bis auf den Gipfel des höchsten Berges, aber immerhin bis auf über 7500 m und unter denkbar ungünstigen Umständen zu Tale führte, von unserem Himalaya-Experten O. Dyhrenfurth kritisiert ( « Les Alpes » 1963, p. 172, n° 10 ).

Die nachfolgenden Aufzeichnungen sollen darum von unsern Lesern lediglich als wahrheitsgetreue Erzählung eines Erlebnisses aufgenommen werden.Redaktion ) Es beginnt in Zermatt. Seit Jahren verbringe ich die Ferien dort, als Schüler, als Student und nun als junger Lehrer. Viele Gipfel habe ich bestiegen; aber meine Gedanken kreisen um einen andern Berg: den Mount Everest. Ich lese alles über den « Riesen », was ich nur auftreiben kann, vor allem die Berichte von der Nordseite. Die Einzelgänger kamen nicht einmal bis zur Schulter. Aber mit einem Kameraden und zwei oder drei bergtüchtigen Trägern? Geduld, meine Gelegenheit wird kommen!

Wieder einmal sitze ich im Speisesaal der Jugendherberge Zermatt, mir gegenüber ein junger, stämmiger Amerikaner Wir kommen ins Gespräch, und ich lache: « Schau mal den komischen Rucksack dort! » « Der? Gehört mir! » « Ein amerikanisches Modell? » « Ja, für den Himalaya. » « Warst du dort? » « Nein, aber ich gehe bald. » « Wohin? » « Zum Everest! » « Braucht ihr noch einen Mann? » « Vielleicht. » Bereitwillig enthüllt er mir seinen Plan. « Wir wollen zu viert auf den Nordsattel des Everest. Wenn wir Glück haben, erreichen wir den Gipfel, ohne Sauerstoff. Die Engländer haben 's ja auch fast geschafft. Wir haben eine Bewilligung für den Gyachung Kang. An seinem Fusse liegt der Nup La, der nach Tibet führt. Von dort steigen wir den West-Rongphu-Gletscher hinunter und dann auf der alten Route zum Everest. » Mir ist die Strecke sofort klar. Das Gebiet kenne ich auswendig. Roger spürt meine Begeisterung. « Nächste Woche fliegen wir ab. Aber ein Mann hat aufgegeben. Wenn du willst, dann komm heute abend mit mir ins Hotel, wo die beiden andern sind. » Natürlich gehe ich hin. Ich bin zwar noch misstrauisch. Die zwei im Hotel kann ich in der kurzen Zeit unseres Gespräches nicht beurteilen. Aber zum jungen Roger habe ich sofort Vertrauen. Er ist aufrichtig und gewiss ein zuverlässiger Bergsteiger. Alle drei sind überrascht, dass ich ihre Route so genau kenne und ähnliche Pläne gehegt habe. Ob ich mitkommen will? Ich verlange einige Tage Bedenkzeit, aber innerlich habe ich bereits zugesagt.

Ich muss zurück nach Basel, die Schule beginnt am Montag. Woodrow ruft mich an: « Kommst du? » Jetzt muss ich mich entscheiden. Kann ich es wagen, mein Leben aufs Spiel zu setzen mit diesen Unbekannten? Am Abend melde ich zurück: « Ich komme! » Woodrow besucht mich darauf in Basel. In wenigen Stunden wird alles Notwendige festgelegt. Die drei werden nun abfliegen; ich werde nachkommen, sobald ich bereit bin. « O.K., see you in Kathmandu! » Nun beginnt für mich eine betriebsame Zeit: Arbeitsurlaub einholen, Impfen, Visum und Flugkarte besorgen. Innerhalb einer Woche ist alles erledigt, und ich fahre zum Flughafen Genf. Bei mir habe ich nur meinen Militärrucksack. Packzeit: eine Viertelstunde, denn in Kathmandu ist ja eine vollständige Ausrüstung für mich bereit. Ich bezahle nur die Reise.

In der Flughafen-Bar treffe ich Raymond Lambert. Er kennt unsere Pläne, er half, die Amerikaner auszurüsten. Obwohl er uns nicht ernst nehmen kann, gibt er mir noch nützliche Ratschläge für den Anmarsch mit.

Wenige Tage später lande ich in Kathmandu. Woodrow erwartet mich; die Kolonne ist bereits am Vortage abmarschiert. Weil gerade Pferderenntag ist, haben die Beamten frei; also kann ich kein Aufenthaltsvisum holen. « Too bad », aber wir haben 's ohnehin eilig: Bergschuhe anziehen, noch eine Mahlzeit im Hotel, und zwei Stunden nach meiner Ankunft bin ich auf dem Wege nach Nauche Bazar. Die Landschaft kommt mir vertraut vor: sie erinnert mich an meine Bubenjahre in Bolivien und im Libanon.

Spät in der Nacht erreichen wir das Lager unserer Leute. Roger und Norman haben zwanzig Träger, zwei Scherpas und den Verbindungsoffizier bei sich. Nun erst lernen wir uns kennen: in den folgenden Tagen treten die Unterschiede scharf hervor. Die beiden Älteren sind typische Amerikaner; sie sprechen, denken und handeln amerikanisch. Für die atemberaubende Schönheit Nepals haben sie nur wenig Verständnis, oder sie sehen sie jedenfalls mit anderen Augen. Pemba und Aila, unsere Scherpas, stehen mir vorläufig noch näher. Aber die Idee verbindet uns. Wir amüsieren uns damit, den Verbindungsoffizier zu necken, indem wir unsere Pläne offen besprechen, den Everest einfach als « Gyachung Kang » titulieren und Tibet « the other side ». Manchmal aber fragt er Dinge, die uns den Atem stocken lassen. Ahnt er etwas?

Fünf Tagesmärsche hinter Nauche errichten wir ein « Basislager » auf dem Ngozumpa-Gletscher, auf etwa 5000 m Höhe. Mit uns bleiben nur der Verbindungsoffizier und die beiden Scherpas. Sofort beginnen wir, den gewaltigen Eisfall zum Nup La anzugehen. Über uns ragen Cho Oyu und Gyachung Kang und beherrschen die Landschaft. Dank der verwegenen Eistechnik und dem zähen Willen meiner Kameraden stehen wir zwei Wochen später auf dem Nup La, samt unserer Ausrüstung, zwei Zelten und Proviant für einen Monat. Wir senden Aila und Pemba zurück ins Basislager, wo sie mit dem Verbindungsoffizier auf uns warten sollen. Der Nup La ( 5985 m ) bildet den Grenzpass nach Tibet, und nun beginnt unser einsamer Marsch; vom Everest sehen wir erst die Schneefahne.

Zehn Tage später, beim Queren des Haupt-Rongphu-Gletschers, erblicke ich im Feldstecher einen Teil des Klosters Rongphu. Der Anblick wühlt mich innerlich auf: das ist Tibet, das Land Sven Hedins! Wie gerne würde ich hinuntersteigen! Jetzt sind aber die Chinesen dort; wir müssen vorsichtig sein.

Auf dem Ost-Rongphu-Gletscher finden wir alle Lager der Engländer. Die Chinesen oder Russen haben schwere, weissbemalte Balken und Fensterläden hinaufgeschleppt. Am Fusse des Nordsattels muss ein wahres Gebäude gestanden haben, gemessen am herumliegenden Bauholz und an der Grosse der Plattform. Natürlich gibt uns der zurückgelassene Proviant eine willkommene Abwechslung.

Nach drei Wochen harter Trägerarbeit in Tibet ( wobei ich oft einen Ruhetag einschalte, öfter, als den anderen lieb ist ) erreichen wir den Nordsattel des Everest ( 6985 m ). Bis hierhin war das Gelände nicht schwer: meistens flache, aber aufreibende Seitenmoränen. Auch weiter oben sieht es einfach aus. Aber auf dem Nordsattel habe ich genug. Der Gipfel des Everest ist noch in unwirklicher Ferne. Der Monsun steht mit seiner ungeheuren Wolkenwand vor uns, und ich bin besorgt um den Rückmarsch. Wegen unsorgfältiger Seilhandhabung stürzen Roger und Woodrow einen Eishang hinab. Roger erleidet eine Gehirnerschütterung; die Nacht verbringen sie in einem Biwak. Trotzdem wollen sie weiter. Ich muss die Amerikaner bewundern: mit verbissener Zähigkeit sind sie bisher vorgegangen, klug berechnend und organisierend. Nun wollen sie nicht aufgeben. Ich helfe ihnen noch ein Stück weiter hinauf, verbringe dann aber die folgenden vier Tage untätig auf dem Nordsattel im Zelt. Mich plagt ein stechendes Zahnweh, das ich mit dem Taschenmesser erfolglos zu beheben suche.

Etwa 500 m weiter oben stürzt Woodrow wieder, kann sich aber beim Vorbeisausen am Zelt festkrallen. Sein Arm ist schwer aufgeschürft. Erst jetzt gibt er sich geschlagen. Beim Abstieg vom Nordsattel stürzt er noch zweimal ab, schlittert über offene Spalten und kommt davon. Ich eile ihm zu Hilfe, lasse aber meinen Rucksack an einem Eishaken hangen. Woodrow taumelt nur noch, die folgende Nacht verbringen wir im Freien. Am nächsten Tag eile ich allein bis zur Moräne des Ost-Rongphu-Gletschers und hoffe, dadurch meine Kameraden nachzuziehen. Aber mein Rucksack bleibt am Nordsattel, und meine Kameraden erscheinen nicht. Irgendwo muss ein Proviantlager sein; doch ich finde es nicht. Nun muss ich mich auf eine zweite Freinacht vorbereiten, ohne jede Ausrüstung. Mit knurrendem Magen baue ich aus Steinen und chinesischen Brettern eine winzige Zelle und verbringe die erste gute Nacht seit langer Zeit. Am nächsten Tag helfe ich Woodrow hinunter. Auf dem zweiwöchigen Rückmarsch trage ich seinen Rucksack, sein Zelt und die 16-mm-Filmkamera, da ich meine eigene Ausrüstung nicht mehr holen kann. Die Nächte verbringe ich ohne Schlafsack und Luftmatratze auf dem nackten Zeltboden. Norman ist dermassen erschöpft, dass er sich mit Rachedrohungen gegen mich wendet. Nur Roger ist noch einigermassen bergtüchtig - trotz seines schweren Sturzes. Er hat eine besondere Fähigkeit im Auffinden unserer Proviantlager, die der Gletscher weit verschoben und umgeformt hat. Ich bin ausgepumpt durch die grausam kalten Nächte, die ich mit Singen, Fluchen und Beten durchhalte. Am Anfang unseres Rückmarsches kommen Norman und Woodrow so langsam hintendrein, dass ich mit Roger bespreche, ob wir in Rongphu Hilfe holen wollen.

Auf dem aufgeweichten Nup-La-Gletscherplateau haben wir kein Seil mehr und nur noch einen Pickel. Der Rest ging durch unvorsichtige Manöver verloren. Immer wieder spüren wir unsere Beine unter einer Schneebrücke durchsacken. Zum Glück finden wir auf dem Abstieg vom Nup La alle fixen Seile wieder. Endlich erreichen wir das Basislager: es ist ausgeräumt, nicht ein Brosamen dort! Am folgenden Tag zwingen wir uns Schritt für Schritt die unendlich langen Moränen des Ngozumpa-Gletschers hinunter. Der Hunger dominiert unsere Phantasie, und ich kann mich kaum mehr auf den Beinen halten. Jetzt heisst es auf die Zähne beissen! Spät in der Nacht erreichen wir Nang, die oberste bewohnte Hirtensiedlung. Die vier Hirten bringen uns Milch und Reis, geben uns ihren ganzen Proviant. Am nächsten Tag kaufen meine Kameraden ein Schaf, töten es irgendwie und essen es halbroh auf. Der Anblick kehrt mir den Magen.

Zwei Tage später sind wir in Khumjung, wo der Verbindungsoffizier mit unserem Material auf Anweisungen aus Kathmandu wartet. Die Scherpas begrüssen uns mit rührender Freude. Pemba und Aila haben auf Befehl des Verbindungsoffiziers das Basislager geräumt und kommen sich als Verräter vor. Am gleichen Tag landet zufällig Norman Dyhrenfurth mit dem Helikopter im nahen Nauche Bazar und nimmt Woodrow zurück nach Kathmandu ins Spital. Am nächsten Tag werden Roger und Norman in Khumjung abgeholt. Das ganze Dorf ist auf den Beinen. Auf diesen 4000 m Höhe hat der Helikopter einige Mühe, mit seiner Last wegzukommen.

Aber ich will noch nicht zurück. In Khumjung lagern die Deutschen des « Forschungsunternehmens Nepal—Himalaya ». Diese nehmen mich grosszügig in ihre Gruppe auf. In den folgenden Tagen überesse ich mich, ja, ich « fresse » hemmungslos drauflos. Der Expeditionsarzt Bernd Altmeyer versteht das nicht. War er auch schon am Verhungern? Zum Ausgleich kommt ein zünftiger Durchfall hinzu, und bald bin ich auf dem sehr öffentlichen « Häuschen » des Dorfes eine wohlbekannte Erscheinung. Aber ich erhole mich rasch, und die Erfrierungen an meinen Zehen verschwinden. Bernd entpuppt sich als Bergsteiger und guter Kamerad. Er will klettern und ist froh über meine Ankunft. Bald sind wir uns einig: auf zum Khumbu-Gletscher!

Unterwegs übernachten wir im neuen Gästehaus des Abtes von Ghyangboche. Alle Scheiben, die einzigen im Khumbu, sind eingeschlagen: der Dank einer Grossexpedition! Mit « Rakschi » sollen sie die misslungene Besteigung gefeiert haben.

Der Abt schaut mir schweigend in die Augen: ich ahne seine Gedanken. Vor zwei Wochen waren unsere Scherpas bei ihm und wollten wissen, ob wir noch am Leben seien. Der Abt befragte das Orakel, und die Antwort lautete: Sie sind im Tibet, aber sie kommen wieder. So jedenfalls hat es mir Tschombi, unser Gastgeber und Bürgermeister von Khumjung, erzählt.

Unterwegs und in den Dörfern treffen wir viele Tibetaner, die meisten bitterarm und ausgehungert. Obwohl die Scherpas helfen, herrscht grosse Not. Bernd hat alle Hände voll zu tun. Zum Glück reagieren die Scherpas und Tibetaner gut auf die mitgeführten Drogen. Selbst den an TB schwer erkrankten Aila kann Bernd mit einigen Spritzen wieder auf die Beine stellen.

Kurz bevor wir Lobuche am Khumbu-Gletscher erreichen, wo die deutschen Forscher bei der leerstehenden Hütte ein Lager errichtet haben, finden wir in einer Hütte am Gletscherende einen toten Einsiedler von der Kaste der Chetri. Bernd glaubt, dass er verhungert sei, obwohl einige ungeöffnete Konservenbüchsen herumstehen. Trotz der grossen Höhe war der Mann nur leicht bekleidet. Unsere Träger sind verängstigt und meiden den Ort.

Lobuche liegt so wunderschön, dass ich es kaum beschreiben kann über uns die Sieben- und Achttausender des Khumbu und unter uns der Gletscher mit seinen tiefblauen Seen. Wir sind nun im Hochsommer und beinahe auf 5000 m Höhe. Die Wiesen sind bedeckt mit Blumen, in der Luft schwirren Vögel, Schmetterlinge und Käfer. Die Hirten mit ihren Yak-Herden heissen uns willkommen.

Bernd und ich versuchen, mit zwei Scherpas den Khumbu-Eisfall zu besteigen: er ist aufgeweicht, wir bleiben im Tiefschnee stecken und müssen umkehren. Bernd ist voller Energie; seit Monaten wartet er auf diese Gelegenheit. Die Gipfel wirken wie Magnete. Pumo Ri? Vor wenigen Wochen waren die Erstbesteiger hier; sicher sind noch Spuren und fixe Seile zu finden. Aber ein Versuch wäre unfair, und der Berg sieht mir viel zu ungemütlich aus. Vielleicht auf den Lho La, mit einem Abstecher nach Tibet? Soviel wir wissen, ist der Sattel noch nie von der nepalesischen Seite bestiegen worden. Mein Begleiter ist Feuer und Flamme. Aber ich habe wiederum kein Bedürfnis, das Stein-schlag- und Lawinencouloir des Lho La kennenzulernen. Offenbar steckt mir immer noch die Erschöpfung in den Gliedern, denn ich kann mich für solche Strapazen nicht mehr begeistern. Zudem ist es nun Juli und deshalb zu spät für grosse Touren. Mir zuliebe begräbt Bernd seine kühnen Pläne. Wir besteigen mit einigen Scherpas einen Pass ins Bibretal, wo wir in exponierter Lage eine Plattform bauen und das Zelt errichten. Bernd will uns versuchsweise mit einer « Berg-steigernahrung » füttern. Nach zwei Mahlzeiten habe ich genug; es schmeckt nach Chemie; nur die Scherpas sind begeistert und schlürfen riesige Mengen davon.

Am folgenden Morgen steigen wir zum Pokalde ( 5806 m ), zusammen mit Potarky und dem alten Kämpen Sonam Tenzing. Unter dem Gipfel finden wir ein Lager prächtiger Bergkristalle. Am gleichen Tag gelangen wir nach Dingpoche, wo wir Pläne für die Besteigung des einfachen, schönen Island-Peak schmieden. Aber die Zeit wird knapp, wir müssen zurück nach Kathmandu. Der Abschied vom Khumbu und den Scherpas fällt mir schwer: ich werde zurückkommen.

Nun begleite ich den Präparator Popp und eine Trägerkolonne hinunter nach Jiri, wo ich Bernd wieder treffen will. Seit meinem Anschluss an die Deutschen habe ich mich von einem Bergsteiger in einen kolonialen « Sahib » englischen Stils verwandelt. Mein Leibdiener folgt mir der Sitte gemäss in kurzem Abstand mit dem Rucksack. Selbst in Kathmandu werde ich den jungen Damasching nicht dazu bringen, neben mir einherzugehen.

Auf dem Weg übernachten wir in den Häusern der Bauern und erleben die bedingungslose asiatische Gastfreundschaft. Mein Leib hat sich längst an die Läuse gewöhnt, ich spüre sie gar nicht mehr. Die Hochwiesen sind übersät mit riesigen Edelweissen, aber weiter unten werden wir von kleinen Blutegeln überfallen. Sie schlüpfen unbemerkt unter die Kleider und zerplatzen meistens, wenn sie vollgesogen sind. Die Wunden bluten weiter, so dass wir am Abend wie blutbeschmierte Kämpfer ein Flussbad nehmen.

Bernd erreicht Jiri über den berüchtigten Thesi Lapcha-Pass. Er hat nun auch genug von Schnee und Eis. In Jiri und in den Käsereien treffen wir die Schweizer der SHAG, welche dort gewaltige aufbauende Arbeit leisten.

Gemütlich geht es nun nach Kathmandu. Dort dürfen wir im Hauptquartier der SHAG Unterkunft beziehen. Der Leiter, Franz Elmiger, hat es glücklicherweise übernommen, mein Visum in Ordnung zu bringen. Die Amerikaner sind längst draussen, aber die Geschichte ist noch nicht durchgesickert. Der amerikanische Botschafter hat allerdings dem König Bericht erstattet. Ich muss zum Aussenminister, um Rechenschaft abzulegen, begleitet von Franz Elmiger. Im Regierungspalast werden wir nach den üblichen Wartepausen eingelassen. Seine Exzellenz hat gerade einen grossen Empfang hinter sich und ist in gehobener Stimmung. Er befragt mich über die Einzelheiten. Aber entgegen der Prophezeiung der amerikanischen Botschaft werde ich nicht ins Gefängnis gesteckt. Zu danken habe ich es dem guten Ansehen der SHAG in Nepal und Franz Elmiger, der mit Hilfe seines Himalaya-Käses über die allerhöchsten Beziehungen verfügt.

Zwei Monate später stehe ich wieder vor meinen Bauernkindern in der Schulstube. Aber es wird mir zu eng in meiner Heimat. Bei den Eskimos in der kanadischen Arktis finde ich etwas anderes: unermessliche Weite, Einsamkeit und Stille. Meine Gedanken aber schweifen bereits weiter, ins Hochgebirge...

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