Gemeinde und Familie
Gemeinsame Interessen. Der Rat. Gemeindeämter. Gewalthaber. Gemeindeverwaltung. Gemeindehäuser. Gemeindereben. Gemeindewein. Gemeindetrunk. Gemeindeacker. Gemeindebrot. Gemeindewerk. Ehe und Kindersegen. Taufe. Tod und Beerdigung. Taufnamen. Geschlechtsnamen. Übernamen. Dorfneckerei. Dorfehre.
Jede Gemeinde bildet gleichsam für sich eine einzige, grosse Familie. Jede Haushaltung hat an dem Wohlergehen der Gemeinde das gleiche Interesse, alle Bürger haben die gleiche Beschäftigung, die gleichen Bedürfnisse und verfolgen die gleichen Ziele. Sie sind am Gemeindeeigentum alle in gleichem Masse beteiligt — an den Alpen, an der Allmend, am Wald, an den Reben. Alle benützen dieselben Wohlfahrtseinrichtungen ( Wasserversorgung, Elektrizitätswerk, Telephon, Backhaus ). Alle haben den gleichen Erwerb. Sie bebauen und nutzen alle das Land in gleicher Weise, sie bewässern den Boden nach gleichen Regeln und haben gemeinsame Bewässerungsanlagen. Wie in jeder grossen Familie, gibt es auch in der Gemeinde verschieden geartete Glieder, aber alle streben nach dem gleichen Ziel: nach dem Wohle des Ganzen.
An der Spitze der Gemeinde steht ein von dieser selbst gewählter Gemeinderat mit einem Präsidenten, die im Kanton Wallis überall zu gleicher Zeit zu Anfang Dezember auf vier Jahre gewählt werden. Alljährlich am ersten Sonntag nach Dreikönigen versammelt sich in Törbel der « Rat » und verteilt die Geschäfte auf ein Jahr unter seinen Mitgliedern. Er wählt unter sich den Gewalthaber, den Kirchenvogt, den Polizeipräsidenten, die Schulkommission, den Waisenrat usf. Am Nachmittag gleichen Tages nimmt er von Haus zu Haus die Inspektion der Feuerungseinrichtungen vor, und nach Schluss offeriert der Gewalthaber den Rats-mitgliedern ein einfaches Essen, das « Chemimahl », bestehend aus Suppe und Bratkäse; den Wein dazu liefert die Gemeinde.
In Emd besorgt der Präsident die Geschäfte des Gewalthabers. Wie schon der Name Gewalthaber andeutet, lag früher die Gemeindegewalt hauptsächlich Jahrbuch des Schweizer Alpenclub. 5(5. Jahrg.o in den Händen dieses Magistraten. Der Gewalthaber war der Allmächtige in der Gemeinde. Im Keller des Gemeindehauses in Törbel befindet sich links beim Eingang eine erhöhte Steinplatte, die « Gewalthaberplatte ». Hier waltete er seines Amtes und erliess seine Anordnungen unter den Mitgliedern des Rates; gegen seine Beschlüsse konnte niemand Einsprache erheben. Seit Entwicklung der politischen Gemeinde sind seine Funktionen mehr den innern Geschäften der Gemeinde gewidmet. Er ist der Säckelmeister und hat als solcher Einnahmen und Ausgaben der Gemeinde in seiner Verwaltung, worüber er an der Gemeindeversammlung zu Weihnachten öffentlich Rechnung ablegt. Neben dem regierenden Gewalthaber amtet noch ein jüngerer oder stillstehender Gewalthaber, der den erstem bei seinen Arbeiten unterstützt. Die Amtsdauer beträgt je ein Jahr, dann übergibt der Gewalthaber sein Amt dem Jüngern, dem der Rat wieder einen Stellvertreter beigibt. Im folgenden Jahre rückt der stellvertretende wieder zum regierenden Gewalthaber vor.
Die Gemeindeverwaltung ist sehr einfach; der Präsident und die Mitglieder des Rates beziehen kein Honorar. Nur bei auswärtigen Missionen erhalten sie ein bescheidenes Taggeld. Im Keller des Gemeindehauses in Zeneggen ist ein aus einem Nussbaumstamm ausgehöhlter, l,20 m langer Trog, in welchem die Gemeindeakten ( die alten Pergamente ), das Geld, die Tesslen und andere Dokumente und Wertgegenstände der Gemeinde verwahrt werden. Der Trog wird mit einem hölzernen Deckel und drei verschiedenen Schlössern geschlossen. Einen Schlüssel hat der Präsident, von den andern beiden je einen die beiden Gewalthaber. Der Trog kann nur geöffnet werden, wenn die drei Schlüsselinhaber zugegen sind. Nebstdem befindet sich im Keller ausser den Fässern mit Wein eine grosse Truhe für das Korn, das die Abgabepflichtigen für den Pfarrer hier abliefern müssen. In Törbelhat die Gemeinde ihre Archive in der Sakristei der Kirche.
Jede Gemeinde hat ihr Gemeindehaus mit einem Versammlungslokal für den Rat und die Gemeindegenossen. In Törbel befindet sich im gleichen Hause ( Fig. 94 ) die Pfarrwohnung. Das schöne Treppengeländer daselbst und ein hübscher Schrank im zweiten Stock sind von einem Geistlichen, namens Zenhäusern, angefertigt. Der Künstler war 52 Jahre in Törbel. Von demselben stammt auch die geschnitzte Türe der Kapelle Im Feld.
Die Inschrift auf den zwei Binden in der Gemeindestube in Törbel meldet: DAS o HUS « IST 0 GMACHT 0 IM 0 NAMEN $ JESU 0 UND 0 MARIA « UND 0 IM » NAMEN $ DER $ KUR 0 UND 0 DER 0 BERGSCHAFT 0 THERBILL o IMJAHR 0 1646 o DEN « 19. MERZ. H « BARLIME o IN o DER o GASSEN 0 ERSTER 0 PFARHER $ ALHIE $ ANTHONI » LENG-MATTER1 ) 0 DER « ZIT o CASTELAN 0 ZUO o VISP 0 PETER o KARLEN 0 AMFELDCHRISTIAN i GATTLEN o DER o ZIT 0 GÜNSEL $ HANS « THENEN o KILCHENVOGT 0 SIGMUND o KALBERMATTER $ HANS o WERLENNICLAS o IM o WINCHENRIEDPETER o KALBERMATTER o GEWESENE t GUNSELL « J « W # ANTHONI o SUMER-MATTER 0 BARTLIME o AN o DER o GASSEN o VATER 0 DES o ERSTEN » PFARRHERREN o ALLHIER « Die Lengmatten ist eine Wiese; früher war daselbst ein Haus.
Die Vispertaler Sonnenberge.
Alle Gemeinden besitzen ausgedehnten Grundbesitz, in erster Linie Wald, dann Alpen ( nur Zeneggen hat keine Alpen ), Allmendland, Reben ( mit Ausnahme von Emd ), deren Nutzung bereits besprochen ist.
Aus den Gemeindereben erntet Törbel jährlich etwa 50 Saum Wein ( 1920 = 58 Saum, 1921 = 48 Saum; ein Saum ist zirka 80 Liter ). Der Weinertrag der Gemeindereben von Zeneggen beträgt etwa 15 Saum. Die Reben werden im Gemeindewerk bearbeitet; der Wein wird im Herbst in den Weinkeller im Gemeindehaus gesäumt und hier eingekellert. Die Besorgung liegt dem Gewalthaber ob.
Im Gemeindekeller in Törbel werden auch noch verschiedene, der Gemeinde gehörende, aber den Bürgern zur Verfügung stehende Geräte ( Reisteisen, Steinbohrer, Hammer zum Steinbrechen, Schubkarren etc. ) verwahrt. Wer sie zu benutzen wünscht, hat sich beim Gewalthaber zu melden. Dieser hat das Recht, wenn er im Keller etwas zu besorgen hat, jedesmal zwei Becher Wein zu trinken. Es wird erzählt, dass ein durstiger Gewalthaber einer andern Gemeinde sich zu diesem Zwecke beim Drechsler einen extra grossen Becher von einer Halbmass Inhalt machen Hess.
Der Gemeindewein wird zum grössten Teil bei Anlass der Gemeindeversammlung am dritten Weihnachtstag und am Fronleichnamsfest von den Gemeindebürgern auf der Gemeindestube getrunken. ( 1919 wurde in Törbel auf den Weihnachtstrunk verzichtet, der Wein verkauft und der Erlös für Gemeindezwecke verwendet. ) Jeder über 18 Jahre alte Gemeindebürger hat das Recht, am Trunk teilzunehmen. In Törbel wird sogar die Jugend im Schulhaus mit Wein bewirtet. In einer grossen Kiste im Gemeindekeller befindet sich die notwendige Anzahl hölzerner Becher, aus welchen der Wein genossen wird. Jeder Becher mag ungefähr 2-21/z Deziliter halten. Hölzerne Trinkgefässe sind solider und weniger gefährlich als solche von Glas. Daneben ist im Keller eine genügende Anzahl Doppelkannen aus Zinn, je 2 Mass = 3 Liter haltend; in Törbel sind es 7 Stück. Jedes Ratsmitglied erhält am Gemeindeanlass eine solche Kanne, holt in dieser Wein im Keller und bedient in der Gemeindestube eine ihm zugeteilte Anzahl Bürger. Die Vorstände wechseln dabei unter den verschiedenen Gruppen ab, damit ja kein Unrecht geschieht. Wer von der Kanne den Rest bekommt, hat « s'Channeglück ». Er bekommt dafür beim nächsten Umgang zu dem Rest noch einen vollen Becher. Jeder Bürger kommt so acht- bis zehnmal an die Reihe, bis er genug hat. Zum Wein bringt jeder in einer Serviette Brot, Fleisch und Käse F. G. Siebler.
mit, das er nach den offiziellen Verhandlungen auspackt und zum Wein geniesst, nachdem der Pfarrer ein Gebet gesprochen hat. So dauert der Trunk von mittags, nach Schluss des Nachmittagsgottesdienstes, bis zum Zunachten. Licht wird keines angezündet.
Einen besondern Trunk erhalten in Törbel ausserdem die Kirchensänger, die Feuerwehr und die militärpflichtigen Männer.
Zu alledem muss immer noch genügend Tranksame reserviert werden für die Arbeiter in den Reben und für den Besuch auswärtiger Funktionäre.
Emd, das keine Gemeindereben besitzt, hat nur am Fronleichnamsfest einen Gemeindetrunk, wozu es den Wein kauft.
Törbel besass früher auch einen Gemeindeacker von 4 Fischi à 150 Klafter Halt, auf welchem im Gemeindewerk Korn gebaut wurde.Von dem Korn wurde zu Weihnachten Brot gebacken. Jeder Bürger bekam zum Weihnachtstrunk ein Brot und die Schuljugend einen « Ziebel » ( ein kleineres, längliches Brot ). Zur Düngung des Ackers musste jeder Tesselmann ( Haushaltung ) jedes zweite Jahr einen Sack Mist in den Acker liefern, ein Jahr die « Oberzahl » ( das Oberdorf ), das andere Jahr die « Unterzahl » ( das Unterdorf ). Der Tesselmann steckte in das abgeladene Misthäufchen eine Tessle mit seinem Hauszeichen, damit der Gewalthaber kontrollieren konnte, ob alle geliefert hätten. Vor Jahren wurde der Gemeindeacker verkauft und der Erlös für die Augstbordwasserleitung und die Alpen verwendet. Die Teilnehmer am Gemeindetrunk bringen heute das Brot mit.
Törbel zählte 1910 118 Haushaltungen, Zeneggen 62, Emd 50, die alle am Gemeindegut nutzungsberechtigt sind, dafür aber auch die vorgeschriebenen Pflichten erfüllen müssen. Die wichtigste dieser Pflichten ist das Gemeindewerk. Gemeindesteuern werden keine erhoben, an Stelle dieser muss jedes Familienoberhaupt ( « Tesselmann » ) auf jeden Franken Staatssteuer in Törbel vier Tage Gemeindewerk leisten, worüber früher auf Tesslen Buch geführt wurde; die Kontrolle geschieht heute durch geschriebene Listen. Gemeindewerktesslen fand ich aber noch in grosser Zahl im Gemeindekeller. Auf einer Seite ist das Hauszeichen eingeschnitten oder eingebrannt, auf der andern die Zahl der Tag-leistungen. Alle Tesslen sind an eine Schnur oder einen Lederstreifen gezogen. Da gewöhnlich ein Mann das Familienoberhaupt und als solcher der Inhaber der Tessle ist, so heisst die Familie « der T e s s e l m a n n ». Stirbt der Mann, besteht aber die Haushaltung fort, so ist das überlebende Weib der « Tesselmann ».
Der Bergbewohner heiratet meist spät. Es gibt zwar auch viele junge Heiraten, aber als Regel gilt doch, dass nicht zu früh ein eigener Hausstand gegründet wird, denn dadurch verlieren die Eltern ihre Arbeitskräfte, und die Jungen haben noch kein genügendes Auskommen. Neben der Ziviltrauung findet bei allen Brautpaaren auch eine kirchliche Trauung statt. Die Brautleute begeben sich tags vorher zum Pfarrer, am andern Morgen zur Beichte und Kommunion, dann erst findet die kirchliche Trauung statt. Nachher geht die Braut in das Haus des Bräutigams zum « Hofzitessen » ( Hochzeitessen ) mit den nächsten Verwandten. Das Essen besteht aus Suppe, gebratenem Käse, Fleisch, Wein und Kaffee. Nachmittags wird nochmals serviert, und gegen Abend geht die Gesellschaft auseinander; die junge Frau geht heim und kehrt erst andern Tags ständig zurück.
Der Kindersegen ist im allgemeinen nicht gross, denn die Frauen müssen zu streng schaffen; ein Grund ist vielfach auch die Verwandtschaftsheirat. Es Die Vispertaler Sonnenberge.
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gibt zwar auch Familien mit 6-8 und mehr Kindern. Diese bilden jedoch die Ausnahme. Umgekehrt gibt es solche mit wenig oder keinen Kindern. Die Kinder bringt der « Waldbrieder ». Die Wöchnerinnen sind nicht wehleidig. Es kommt häufig vor, dass sie bis zur Geburt die schwersten Arbeiten verrichten und wenige Tage nach derselben schon wieder der gewohnten Arbeit nachgehen.
Das Kind wird gleich am ersten Tage nach der Geburt von der « Gotte » ( Patin ), begleitet vom « Götti » ( Pate ), zur Taufe gebracht. Vom Turm herab wird zugleich durch die Glocke bekanntgegeben, ob der neue Erdenbürger ein Knabe oder ein Mädchen ist. Bei einem Mädchen wird in Zeneggen nur zweimal « gechleicht » ( mit dem Schwenkel angeschlagen ), wenn es ein Knabe ist aber dreimal. In Törbel wird mit der Taufglocke bei einem Mädchen zwei-, bei einem Knaben dreimal geläutet. Nach der Taufe geben die Eltern dem Götti und der Gotte ein « Hofzitessen » ( Festessen ), bestehend aus Bratkäse, Fleisch und Wein, an welchem hie und da auch der Pfarrer teilnimmt. Der Götti und die Gotte geben der Wöchnerin als Geschenk ein Kleid und jedes zudem noch etwa Fr. 10 in Geld, wenn sie wohlhabend sind. Aus diesem Grunde nehmen ärmere Leute gerne kinderlose, ver-mögliche Eheleute zu Gevatter.
Zum Schwerkranken wird in erster Linie immer der Pfarrer gerufen, um den Patienten mit den heiligen Sakramenten und den Tröstungen zu versehen. Der Tod wird durch das eine Stunde dauernde Läuten der Totenglocke bekanntgegeben. Nach der Beerdigung werden die nächsten Verwandten zu einem « Essen », bei Kindern zu einem « Hofzitessen » eingeladen; wenn ein Kind stirbt, so gilt dies als ein Glück für die Familie, denn das unschuldige Wesen zieht sofort in den Himmel ein. Ein angesehener Bürger erzählte mir selbst, « er heb es schreck- lieh schöns Glück ghäbot i sim Labe, sechs Kinder seien ihm jung gestorben, und diese würden ihm als Engel beistehen, wenn er vor Gottes Richterstuhl trete ».
Die Personen werden im täglichen Verkehr meist nur mit Vornamen benannt, z.B.: s'Agi ( Agatha ), s'Zilli ( Zäzilia ), Matschi ( Marie ), Trini ( Katharina ), Gretji ( Margreth ), Ludi ( Ludwig ), Josy ( Joseph ), Cersi ( Cäsar ), Naz ( Ignaz ), Xander ( Alexander ), Muri ( Moritz ).
Noch vor wenigen Jahrhunderten wurden sogar im öffentlichen Verkehr die Familien meist nur nach dem Vornamen des Oberhauptes oder dem Wohnort benannt. Erst später haben sich die Geschlechtsnamen ausgebildet, meist nach dem Namen des Wohnortes ( Summermatter, Seematter, Andenmatten, Kalbermatten, Pfammatter, Imesch, Hosennen, Zenhäusern, Gasser, Gsponer, Im Winkelried ), nach dem Beruf ( Zimmermann, Müller, Ruf = Ruf mann ) oder nach den Körpereigenschaften ( Wyss, Wyssen, Rot = Fux, Lengen ) oder nach dem Vornamen ( Juon, Karlen, Andres, Lorenz, Petrig ).
Manches Geschlecht ist eingewandert. So die Kenzelmann, ein verbreitetes Geschlecht in Zeneggen. Die Kenzelmann, ursprünglich Kienzelmann, stammen aus Gundelfingen in Schwaben; der Urahne, ein Schuhmacher, kam um das Jahr 1760 mit zwei andern Handwerksburschen ins Wallis. Der Schuhmacher aus Gundelfingen liess sich in Zeneggen nieder und verheiratete sich daselbst. Der erste Zenegger Kenzelmann, mit Namen Josef, wurde im Jahre 1776 daselbst geboren. Er hat 1798 mit den Walliser Patrioten in der Schlacht im Pfynwald gegen die Franzosen mitgefochten. Bei diesem Anlass erhielt er eine Kugel, die er bis zu seinem 1843 erfolgten Tode in seinem Leibe trug. Dieser Josef hatte drei Söhne, deren Nachkommen heute noch in Zeneggen leben. Der ältere mit Namen Franz hatte drei Frauen, die er sämtlich überlebte. Als er zum viertenmal heiraten wollte, gab ihm die Angebetete zur Antwort: « er hätte schon drei Häute in der Gerbe, sie wolle nicht die vierte sein. » Ein Zenegger Liedli heisst denn auch:
« Meiteli bist du sterneblind, Weisst du nit, was Wittlig sind? Wittlig sind ganz schlimme Lüt, Schlimmer als die Buebe. » Heute ist die Familie Kenzelmann das wohlhabendste und wohl auch bedeutendste Geschlecht in Zeneggen. Aber noch heute werden die Nachkommen im sechsten Gliede im Volke hie und da aus Neckerei « Schwaben » oder « Rot-strümpfe » genannt, weil der « Urähndi » mit roten Strümpfen nach der Schweiz kam — ein Beweis, wie konservativ der Bergbewohner ist.
Im täglichen Verkehr tragen manche Familien einen abgekürzten oder einen Übernamen, z.B. s'Tossi, Schnuzjosy, Brummelxandi, s'Bertschis, Chastles, Fernands, s'Cheisers.
In Täsch hiess ein Mann sogar « Tifel », weil er einmal in einem Volkstheater den Teufel « gespielt » hatte. Seine Familie hiess « s'Tifels » und seine Kinder « die kleinen Tifelti ». Im Sommer war der « Tifel » Knecht in Zermatt. Als er einmal einen Rausch trank und dabei seine Arbeit vernachlässigte, machte ihm sein Meister ( es war der Nationalrat Alexander Seiler ) Vorstellungen, die der Tifel ruhig hinnahm, aber spasshaft beifügte: « Uf dieser Erde befählet Ihr, aber im Jensits befihle denn i! » Auch die Gemeinden tragen, wie überall im Oberwallis, spasshafte Übernamen. Die Törbler heissen « Stiereni », die Egger « Schlifeni » ( von Schleifen = Schöntun ), die Emder « Hennebschlaer », die Grächer « Schneevogle », die Staldner « Chropfji », die Saaser « Wurstera », die Visper « Fleige », die Terbiner « Juden ».
Einmal neckte ein Staldner einen Törbler, als dieser auf dem Markte seinen Stier verkauft hatte: « So heit er jetz eue Patron verchoift? » Der Törbler erwiderte schlagfertig: « Dir chennet eue nit verchoife. » So kommt es häufig vor, dass sich die Bewohner benachbarter Gemeinden gegenseitig necken.
Die schönste Neckerei ist aber das Eisterliedli, das auf die Bewohner von Eisten im Saastal nach der Melodie des Brienzerburli gesungen wird. Der erste Vers lautet:
« I den Eiste, Ja, das weisste, Ist's am Leidste Uf der Wält.
Da git 's nit als grosse Tschuggen Und Faxen dran. » Ein Versli über die Zenegger lautet:
« Hibsch und glatt Wie-n-es Schgarlat Sind die Eggr Gselle. Hibsch und fin 1 Miesunsch sin, Wenn schi wibu wellunt.
Trotzdem leben die Gemeinden unter sich im besten Einvernehmen, besonders werden die Birchner gerühmt, weil sie gegenüber ihren Nachbarn beim Bezug von Holz sehr weitherzig sind. Weniger Lob wird den Emdern gespendet, weil diese bei der Benützung des den Törblern und Eggern gehörenden Wassers an der Augstbordwasserleitung sich Eigentumsrechte anmassen. Es wäre eine verdienstliche Aufgabe des Staates, hier wieder das gute Einvernehmen herzustellen.
In Geld- und Ehrensachen sind die Nachbarn oft recht kitzlich, wie folgender Fall beweist:
Auf der Egge, an der Grenze von Unterbäch und Eischoll, steht eine Hütte, wo seinerzeit ein uneheliches Kind geboren wurde. Beide Gemeinden wehrten sich, das Kind als Gemeindebürger einschreiben zu lassen. Schliesslich fand ein Augenschein an Ort und Stelle statt, bei welchem sich ergab, dass die Gemeinde-mark mitten durch das Haus geht, dass aber das Bett der Wöchnerin auf dem Terrain von Eischoll stand. So wurde der Sprössling dieser Gemeinde zugesprochen.
Dieser Entscheid erinnert an einen Fall, der sich an der sächsisch-preussischen Grenze zugetragen hat. Die Feldgendarmen beider Staaten fanden an der Grenze einmal einen Toten quer über die Grenze liegen. Der sächsische Sicherheitsmann sagte: « Das ist en ,Preiss '. » Der preussische: « Nein, das ist en Sachs. » Der Sachse aber erklärte: « Die Beine sind auf preussischem Boden, und es heisst: ,Ubi bene, ibi patria ', d.h. auf deutsch: ,Wo die Beene sind, da ist mein Vaterland. ' » F. G. Stebler.