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Hanssepp

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Zum Gedächtnis an den Felli-Tresch.

Von Josef Z'berg.

Oberhalb des kleinen Dörfchens Amsteg, wo die Gotthardstrasse durch den Wassnerwald führt, geht ein schmaler Fussweg, der vom Wanderer kaum beachtet wird, in das von aller Welt vergessene Fellital. Der Weg ist un-gepflegt und vom Regenwasser arg ausgespült. Ausser im Frühjahr, einige Tage bevor die Bauern aus dem Ried die Alp befahren, kümmert sich niemand um ihn.

Wenn man über eine Stunde den rauhen Weg in steter Steigung hinauf-schreitet, kommt man in die Felliberge, drei steinige Bergheimen, deren Gebäulichkeiten dem Zerfalle nahe sind. Die mageren, stotzigen Gütchen sind Eigentum von drei Bauern, die ihre Matten am nördlichen Abhang des Bristen haben und nur von Zeit zu Zeit nach Fellinen kommen, wenn auf dem Land etwas zu tun ist, und im Winter einige Wochen, bis das Heu gefüttert ist. Die übrige Zeit stehen die dürftigen Hütten und Gaden leer.

Noch weiter oben, wo keine Tannen mehr wachsen und nur da und dort am Bache wilde Erlen und Arven die Äste gleich gekrümmten Rücken über den Boden breiten, ist zwischen Felsen und Steingeröll die Fellialp eingekeilt. Ein kleines Senten Vieh, das von den Bauern im Ried aufgetrieben wird, findet jeden Sommer, so von Mitte Juni bis Mitte September, spärlich sein Futter.

Es war Ende September des Jahres 1902. Über der Fellialp lag eine bedrückende Ruhe. Seit gestern hatten die Knechte mit dem Vieh die Alp verlassen, waren « zu Boden » gefahren, hinab an die Reuss, auf die Heimwesen an der Gotthardstrasse. Freudiger als sie die Alp bezogen hatten, nahmen sie von ihr Abschied. Jetzt war alles still. So eigentümlich, fast angsterregend war die Ruhe. Und doch lag in diesem Schweigen, in dem sich das Rauschen des Baches wie eine unerforschbare, verborgene Stimme hören liess, eine titanenhafte Grösse.

Einer hatte den Weg nicht hinabgefunden an die Reuss, der Hanssepp. Allein blieb er zurück mit seinen drei Geissen. Keine Sehnsucht regte sich in seinem Herzen. Seine Gedanken reichten nicht weiter als seine Blicke.

Niemand wartete auf ihn oder fragte nach ihm unten im Tale. Wenn die Älpler fort waren, war auch er vergessen, bis die Frühlingssonne den Schnee schmolz.

Er war von riesenhaftem Wuchs und konnte beim ersten Anblick Schrecken einflössen. Das bartlose Gesicht wie das Fell eines schlecht geschorenen Schafes. Wenn er redete oder lachte, wackelten ihm vorn im Munde zwei überaus lange Zähne wie Pappeln im Wind. Zwei sanfte Augen gaben dem Riesen und seinem rohen Gesicht einen unschuldigen, kindlichen Ausdruck.

Hanssepp sass vor der Hütte und schaute nach den Geissen, die zwischen den Steinen die halbdürren Gräser zusammensuchten. Die Tiere waren seine einzige Habe, und er liebte sie und lebte eigentlich nur für sie. Im Sommer sammelte er ihnen an den steilen Abhängen das Heu für den Winter.

Die Hütte bestand aus einem Vorraum, der als Küche benützt wurde, und aus einem niederen, nicht gar grossen Gemach, welches als Stube und Schlafzimmer diente. Die Wände waren aus rohgezimmertem Holz, aus deren Fugen das zum Verdichten dazwischen gelegte Moos heraushing. Ein kleines Fenster mit blinden Scheiben gab dem Raum nur spärlich Licht. Ein porzellanenes Kruzifix, an dem ein Arm und die Füsse fehlten, ein Tisch und zwei Stühle waren die einzige Ausstattung. Aus einigen Brettern war eine Art Bettgestell zusammengezimmert, dessen Lager aus Heu bestand. In dieser Hütte hauste Hanssepp schon bald zehn Jahre.

Vom Leitschach her sandte die Sonne die letzten Strahlen nach den obersten Gipfeln der Schneeriesen. Langsam erhob sich Hanssepp und lockte die Geissen. Bevor er sich der Hütte zuwandte, schweiften seine Blicke noch einmal über die Alp hinweg. Unten am Dossen, wo der Weg an dem weissen Granitfelsen entlang führt, kamen drei Männer herauf.

Als die Geissen im Stall waren und Hanssepp, wie üblich, noch einige Worte zu ihnen geplaudert hatte, schloss er die Türe mit den Worten: « Es walte Gott! » und trat ins Freie.

Jetzt hatten sich die Männer bis auf Steinwurfweite der Hütte genähert. Sie waren mit Gletscherseil und Pickel ausgerüstet und trugen schweres, gutes Schuhwerk, worauf der Bergler am meisten schaut.

« Grüss Gott, Vater Treschi Wir kommen etwas spät. » « Guten Abend », sagte Hanssepp und lachte sein helles Lachen.

« Wie steht 's mit dem Wetter? Hält's noch bis morgen? » « Dem Wetter trau ich nicht », versetzte Hanssepp und machte mit den langen Armen nach allen Seiten Andeutungen. « Am Morgen hat das Wald-hähneli wie verrückt geschrien, das ist ein schlechtes Zeichen. » « Hoffen wir das Bessere, » erwiderte einer der Turisten, « wenn uns Vater Tresch seine Führung zusagt, haben wir nichts zu befürchten. » In nicht endenwollendem Lachen gab Hanssepp seiner Freude Ausdruck. Auf das Bergführen war Hanssepp stolz, obwohl er noch auf wenigen andern Bergen gewesen war als auf seinem Bristenstock.

« Machen wir, dass wir um 4 Uhr aufstehen können. Oder glauben Sie, es sei zu früh, Vater Tresch? » « Was? Zu früh ist man nie », sagte Hanssepp und fing wieder zu lachen an.

« Also, abgemacht auf 4 Uhr. » Nach dem Mahle wies Hanssepp den Bergsteigern das Nachtlager im Heugaden an, der an die Hütte angebaut war. Dann ordnete er das Futter für die Geissen, holte am Bach Wasser und ging auch zur Ruhe. Lange mied ihn der Schlaf, er glaubte den Schlechtwettervogel zu hören.

Etwas vor 4 Uhr verliessen sie die Hütte. Hanssepp ging voraus, eine Laterne in der Hand. Freudig, mit einem kindischen Stolz, schritt er durch die rötliche Gletschermoräne hinauf, an Felsen und Klüften entlang. Je höher sie kamen, um so mühsamer und ernsthafter wurde der Aufstieg. Nur langsam kamen sie vorwärts. Zögernd graute der Morgen. Die schwarzen, zerklüfteten Felsen hoben sich deutlicher ab.

Hin und wieder blieb Hanssepp stehen. Nachdenklich schaute er ins Tal hinab, wo vereinzelte Nebel aus der Erde aufstiegen. Hoch über den Bergen zogen vom Westen her kleine Wolken, gleich einer Herde von unzähligen Schafen.

Jetzt regte sich etwas in Hanssepp, was alles andere verdrängte. Sein kindisches Lachen verstummte, und ein finsterer, schwerer Zug durchfurchte sein Gesicht. Die Angst vor dem drohenden Ungewitter erwachte. Er sah, was sich in der Natur vorbereitete. Langsam arbeiteten seine Sinne. Er ahnte die Gefahr. Ohne ein Wort zu sagen, schritt er voraus, dem Ungewissen, dem Kommenden entgegen... Immer grösser wurden die Wolkengebilde, und schon reichte der Nebel bis über die Alpen.

Als sie oben auf dem Grat ankamen, der zwischen dem Etzlital und Fellinen die Scheide zieht, brandeten die Nebel wie Meereswellen an den schroffen, zerklüfteten Felsen hinauf und schlössen sich oben dicht zusammen. Nur tastend kamen die Männer vorwärts. Das Waldhähneli hatte es erraten, das schlechte Wetter... wie immer.

Spät am Abend meldeten drei Turisten in dem Dörfchen Amsteg, Hanssepp sei vermisst. Als er sich an einer Stelle habe orientieren wollen, wo der Weg weiter führe, sei er nicht mehr zurückgekommen. Es bestehe noch die Möglichkeit, dass er den Weg nach seiner Hütte eingeschlagen habe. Alles Rufen und Suchen sei umsonst gewesen.

Am Morgen machte sich eine Rettungsmannschaft auf nach Fellinen. Sie fand die Hütte verschlossen. Nur die hungrigen Geissen meckerten.

Von Hanssepp war keine Spur mehr zu finden. Der Berg gab ihn nicht mehr zurück. Seine Leiche ruhte droben im Berg, hoch über seiner armseligen Hütte. Abseits von den Menschen, wie er gelebt, sollte er auch im Tode sein.

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