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Haute-Route

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

VON LISA SCHELLENBERG-GENSETTER, DAVOS

Mit 6 Bildern ( 6-11 ) Noch unwegsam scheint die Gipfelwelt längs der « Haute-Route », wenn im Rhonetal schon längst die Aprikosenbäume blühen. Steigt man aber hinauf in die weisse Unendlichkeit der Gletscher, so glaubt man sich dem Himmel und der Sonne näher. Dort, wo uns schnelle Ski über glänzende Firnfelder tragen, wird die Besteigung dieser so schroff und abweisend scheinenden Winterberge zum beglückenden Erlebnis.

Wie einzig schön ist doch die sonnige Gipfelrast auf dem Allalinhorn, mit nachfolgender Abfahrt über sulzbedeckte Hänge unter blauschimmernden Abbruchen! Da wird jeder Schwung zu jauchzendem Vergnügen. Kein Wunder, dass nachher der Aufstieg zum Egginerjoch in der Mittagshitze wenig lockt. Viel lieber stöbern wir noch einige Zeit in den gewaltigen Séracs des Feegletschers umher, dessen bizarre Türme Kühle und ein paar lohnende Photomotive versprechen. Erst gegen Abend bummeln wir zur Britanniahütte, überzeugt, am nächsten Tag wieder bei wolkenlosem Himmel auf dem Strahlhorn Siesta zu halten.

Doch in der Nacht bricht unvermittelt der Föhn in die Täler, braust orkanartig über Gräte und Gipfel, derweil die Sonne gespenstisch bleich durch dahinziehende Nebelfetzen sickert. Zum zweiten Male schon stehe ich im Sturmwind auf dem Strahlhorn; vor Jahren war es mein erster Viertausender. Ja, damals folgte noch ein fast endlos scheinender Kompassmarsch im dichten Schneegestöber über den Adlerpass, vorbei am Stockhorn, zur Monte Rosa-Hütte.

Bald aber leuchtet wieder ein unglaublich klarer Himmel über dem Matterhorn. Vergessen ist die bleierne Müdigkeit, vergessen sind die von schweren Säcken wundgescheuerten Schultern des fast zehnstündigen Marsches vom Vortag. Lautlos spuren die Ski im leichten Pulver über die breiten Flanken des Monte Rosa. Im blankgefegten Eis an der Gipfelpyramide verfängt sich das Licht tausendfach in den glitzernden Eissplittern, die bei jedem Pickelschlag über den Grat wehen. Und schon kratzen die Steigeisen über die letzten Felsen; der Dufourspitze gilt heute unser Gruss.

Petrus lässt zur Abwechslung seine üblichen Frühlingslaunen spielen und schickt uns nach der prächtigen Monte Rosa-Fahrt am Breithorn ein nettes « Windlein », das zuerst hinterhältig kleine Pulverschneewölklein auf dem Theodulgletscher tanzen lässt, die sich aber bald zu beissenden Sturmböen entwickeln, wild an Kleidern und Nerven zerrend. Wieder einmal mehr lenkt der Kompass zur Höhe. Das Gipfelplateau lädt heute kaum zu einem geruhsamen « Hock » ein; darum: rasch zurück entlang der halb verwehten Aufstiegsspur zum Theodulpass! Testa Grigia: langes « Hin- und Hergerede » über unser nächstes Ziel. Man könnte vielleicht in Breuil unten etwas Proviant ergänzen, mit der Seilbahn wieder zurückkehren und dann die Schönbielhütte zu erreichen versuchen. Steilhang um Steilhang fordert Schwung an Schwung im tiefen Neuschnee; doch der richtige Genuss fehlt des Nebeltreibens wegen. Dafür unterhält uns ein italienischer Zöllner, im Schmucke seiner prächtigen Uniform zu Tale purzelnd, gefolgt von seiner hüpfenden Mütze. Das Wetter bleibt schlecht, und der Wein ist so billig da unten im Italienischen; wer will sich da wieder in Kälte und Wind zur Schönbielhütte mühen! Feuchtfröhlich, innen und aussen, vagabundieren wir bei strömendem Regen durch die Dorfgässlein von Breuil, fern der Schönbielhütte und fern jedes bergsteigerischen Ehrgeizes.

Und siehe da, wir können uns keinen blaueren Himmel und keine strahlendere Sonne wünschen bei unserem « Katerbummel » rund ums Matterhorn nach Schönbiel am andern Morgen! Aber der Schweisstropfen fallen etliche und der heimlichen Seufzer noch mehr am steilen Moränenwall unter der Hütte. Rot verglüht der Tag am wilden Z'Muttgrat und lässt auf weiterhin gutes Tourenwetter hoffen.

Col de Valpelline, Col du Mont Brulé und Col de l' Evêque; Pässe zwischen urzeitlichen Gletscherströmen, flankiert von eisgepanzerten Höhen, schroffen Felszacken, über die eine scharfe Brise silberne Schneefahnen flattern lässt. Abwechslungsreich ist die Route zur Cabane des Vignettes; doch gegen Mittag hat man wenig mehr übrig für all die Schönheit der Landschaft. Die Gedanken kreisen um riesige Teekrüge und kaltes, schäumendes Bier. Gleich einem Adlerhorst klebt am steilabfallenden Felsgemäuer die Cabane des Vignettes, deren kühle Stuben anfänglich mit Freude begrüsst und später schlotternd beschimpft werden, da hier oben das Holz rar zu sein scheint.

3 Uhr Tagwache. Im bleichen Mondlicht wird die Abfahrt über den langgezogenen Glacier d' Otemma zu einem traumhaften Erlebnis. Eingehüllt in diese grosse, unendliche Stille, liegt unter uns die Cabane de Chanrion. Ein durchsichtiges Räuchlein zerfliesst in der klaren Luft und ruft zum Verweilen. Doch weiter, weiter über den Col de Fenêtre! Schon grüsst das satte Grün aus dem Val d' Ollomont; da wirbelt eine Skispitze über den Rand des halbausgeaperten Bachbettes. Meine geliebten alten « Schindeln »! Längs der Haute-Route musstet ihr so schmählich enden! Die Ski geschultert, steigen wir zu Tale. Am Wegrand läutet die Kirche zur Messe im Bergdorf. Mit Sonntagsfrieden und Dankbarkeit im Herzen sitzen wir auf dem Mäuerchen unter blühenden Bäumen.

Auf italienischem Boden, durchs Aostatal, und zur Abwechslung auf vier Rädern rücken wir unserem Ziele näher. Entrèves, früher genügsame, arbeitsreiche Heimat der Bergbauern, ist heute von hässlichen Hotelbauten entstellt, dem Lärm aller Welt offen. Darüber schwebt düster das Nebelgrau am Peutereygrat und eine schwankende Gondel, die uns in rasanter Fahrt zum Col du Géant trägt. Oben heult der Wind um die Station; eine Abfahrt übers Mer de Glace, wo man nicht zwei Meter sieht, das alles könnte fast zum Alpdruck werden. Wie nah folgen sich doch im Hochgebirge Sonne, Sturm und Wolken!

Eine unruhige Nacht in der eiskalten, alten Cabane Grands Mulets macht das Aufstehen noch bei Dunkelheit nicht allzu schwer. Die Stunden zerrinnen im gleichmässigen Schreiten an riesigen Spalten entlang. Kein Laut dringt durch das grosse Schweigen dieses jungen Tages, und so fern liegt noch unser Ziel, der Mont Blanc, im goldenen Glanz der aufgehenden Sonne. Pulverschnee wechselt in brettigen Windharst über, mühsamer wird das Steigen, und gerne rastet man in der Vallot-Hütte, die zwar keine Gemütlichkeit, doch Schutz vor dem bissig kalten Wind bietet. An der Arête de Bosses werden die Ski von Steigeisen abgelöst. Aufgewirbelte Schneekristalle stechen wie Nadeln ins Gesicht; die wahnsinnige Kälte treibt uns den Grat hinauf dem Gipfel zu. Etwas benommen reichen sich vier vermummte Gestalten glückstrahlend die Hände auf dem höchsten Punkte Europas. Der Worte findet man nicht viel; in stiller Verbundenheit führten uns die vergangenen Tage in glücklicher Kameradschaft den « Hohen Weg ». Da ist César; in unverwüstlich guter Laune lei- tete er uns über Stock und Stein, bergauf, bergab. Sein überzeugendes « muesch halt Speck essa, das isch güet » half über alle schwierigen Situationen hinweg, wenn die Sonne allzu heiss brannte, der Weg allzu lange schien. Ja, und unser « Packesel » und Küchenchef Ruedi, ausdauernd und fröhlich, daneben Walter, allzeit bereit, die fadeste Wassersuppe mit seinen Sprüchen zu würzen.

Die Welt ist klein geworden zu unseren Füssen. Weit geht der Blick hinaus über die gewaltigen Felsmauern der Aiguille Verte, der Grandes Jorasses. Gegen Osten steigen all die Gipfel der Haute Route aus dem morgendlichen Silberdunst, uns zum Abschied grüssend.

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