Herbstliche Fahrt im Alpstein | Club Alpino Svizzero CAS
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Herbstliche Fahrt im Alpstein

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Von Karl Forster

( Hundstein-Südwand ) Mit 3 Bildern ( 43—45 ) ( Opfershofen ) Jetzt, wo die Tage kürzer werden, wo in den Kaminen und auf den Grasbändern der Nordflanken schon der erste Schnee liegt — treffen wir uns in stiller Vollmondnacht zum letztenmal am westlichen Ufer des Fählensees, um zum Abschluss des Bergsommers noch eine Kletterfahrt gemeinsam zu erleben. Der Hundstein-Südwand gilt unser Sehnen, dieser steilen, plattigen Südwand, die auch in Zeiten der Hochsaison von der grossen Masse gemieden wird. So dürfen wir jetzt, im Oktober, sicher sein, ungestört und unbeobachtet uns ganz dem Genüsse einer herrlichen Kletterfahrt hinzugeben.

0 herrliches, einzigartiges Erlebnis einer Mondnacht im Gebirge! Verzaubert ist die Welt! Fahles, unwirkliches Licht geistert über die Wände, den dunklen, klaffenden Kaminen ihre letzten Geheimnisse entreissend — auch in die tiefsten Schrunde huschen spinngewebefeine Strahlen, mit ihrem milchig-weissen Licht den letzten Rest von Dunkelheit siegreich überwindend. Als riesige schwarze Wand, ohne jegliche Details, ragt die im Mondschatten liegende Nordwand des Roslenfirstes jäh aus den stillen Fluten des Fählensees. Doch kein Übergang vom Wasser zum Fels ist ersichtlich, alles ertrinkt in einem einzigen, undurchdringlichen Schwarz. Ein Blick nach links jedoch lässt uns geblendet die Augen schliessen. Rechts dunkle, nachtschwarze Finsternis, links flüssiges Silber, als scharfe Trennungslinie zieht sich der Schatten des Roslenfirstes der Länge nach durch den See. Mit ungetrübter HERBSTLICHE FAHRT IM ALPSTEIN Leuchtkraft spiegelt sich der Vollmond in der wie ein Spiegel daliegenden Wasseroberfläche. Blass und kraftlos glühen daneben die sich in der dunklen Seite des Sees spiegelnden Lichter des Gasthofes.

Lockend, verheissungsvoll leuchtet hoch über unsern Köpfen die schaurige Plattenflucht des Roten Turmes; immer mehr weicht das Dunkel von der Südwand des Hundsteins, und in blendendem Weiss, noch leuchtender als die hellen Kalkwände, als käme das Leuchten von Innen, erstrahlen in eisigem Glänze die mit Neuschnee belegten Gipfel rings um uns. Nur ungern kriechen wir in unsere molligen Daunensäcke, lange noch liegen wir wach, da uns die durch die weitgeöffneten Luken hereinflutende Helligkeit nicht schlafen lässt.

0500 Uhr. Noch steht der Vollmond am Himmel, aber schon tief im Westen über dem Zwinglipass. Die im Westen tiefblaue Farbe des Nachthimmels geht gegen Osten langsam in ein helleres Blau über, um ganz am Horizont in einem zarten Gemisch von durchsichtigem, hellem Grün und einem blassen Rosa zu verlaufen.

Zuerst auf gut angelegtem Weglein und später über pfadlose Grashänge steigen wir zum Südfusse der Freiheit und deren Wand entlang nach Osten zum Einstieg in die Wand. Plötzlich flammen über uns die bis anhin grauweissen Wände glühendrot auf. Wie Feuerzungen lecken die Freiheittürme in den Morgenhimmel. In strahlender Reinheit steigt der neue Tag herauf. Mit leuchtendem Saum umgibt die Sonne die im Gegenlicht dunkel vor uns aufragenden Kanten des Roten Turmes. Ein prächtiger Tag wartet auf uns! Noch liegt unsere Aufstiegsroute im Schatten, da der weit und bauchig hervordrängende östliche Wandteil die Sonne deckt. Wir stehen am Einstieg. Die untersten 10 m steil, grifflos und im obern Teil leicht überhängend; darüber die riesige, aus glatten Platten bestehende und mit Rissen durchzogene Wand. In einer Nische werden die Schuhe und Säcke deponiert und das Eisenzeug, ohne das es hier nun einmal nicht geht, umgehängt. Hans versucht es als erster, in der Mitte geht Fredy, und ich als letzter. Ich trage den Sack mit diversen Kleinigkeiten. Ausserdem fällt mir die ganz besonders angenehme Aufgabe zu, die von Hans mit Wucht eingeschlagenen Haken nach Möglichkeit wieder zu entfernen!

Schon hängt Hans im Riss, der sich nach oben zieht, zwei rostige Haken weisen den Weg. Da diese jedoch nicht sehr vertrauenerweckend aussehen, fährt singend der erste von Hans geschlagene Haken in den Fels. Der Karabiner und das Seil werden eingeklinkt und beinahe ausschliesslich mit Seilzug — abwechslungsweise von Fredy und mir gehalten — arbeitet sich Hans Meter um Meter höher. Stehschlingen ersetzen die fehlenden Tritte. Mit weitem Spreizschritt und krampfhaft bemüht, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, verschwindet Hans über dem kleinen Überhang. Ein Ruf zeigt an, dass er in Sicherheit ist. Nun folgt ihm Fredy, wobei ich ihn von unten mit Seilzug unterstützen muss, da das Seil oben über den Überhang läuft und zu viel Reibung aufweist. Mich kurzerhand als Steigbaum benützend erreicht er die ersten Haken, und unter Zuhilfenahme der Steigschlingen verschwindet auch er nach einiger Zeit. Um leichter zu gehen, seile ich meinen 142 Rucksack auf — dann steige auch ich in das 10-m-Wändchen ein, das uns so viel zu schaffen gibt. Mit Seilzug von oben, im Seile und nach Möglichkeit mit Händen und Füssen in den Steigschlingen hängend, stemme ich mich gegen die Wand, den Oberkörper weit hinausgelehnt, und bemühe mich, die sich auf Fusshöhe oder tiefer befindlichen Haken wieder herauszunehmen. Mit Ausnahme der beiden untersten, rostigen, die, trotzdem sie lose sind, einfach nicht kommen wollen, gelingt mir dies. Beneidenswert ist ja meine Lage nicht. Auf die Dauer schneidet das Seil trotz der leder-besetzten Kletterjacke unangenehm in die Hüfte; der in der Stehschlinge ruhende Fuss ermüdet, währenddem ich den andern nur an die Wand anlehnen kann. Auch im rechten Arm macht sich ein lähmendes Gefühl bemerkbar — und doch finde ich je länger je mehr Gefallen an meiner Lage. Ist es nicht ein herrliches Gefühl, mit den Füssen an die Wand gestemmt, den Oberkörper weit hinauszulehnen, um sich nichts als die freie Luft? Sich bedenkenlos den vom Kameraden geschlagenen Haken und dem von ihm gehaltenen Seil anvertrauen zu können, das er, je nach Kommando, einige Zentimeter nachlässt oder einzieht und fixiert? Ohne dieses Vertrauen in den andern geht es nicht! So turne ich hinauf, sammle das Eisenzeug ein und komme endlich etwas erschöpft bei meinen Freunden an. ( Jetzt wissen wir wenigstens wieder, wie man mit sogenannten « modernen Hilfsmitteln », wie es im Führer so schön heisst, umgehtIn steilem Fels arbeiten wir uns auf tückischen, losen Graspolstern höher, ohne rechte Sicherungsmöglichkeit, bis wir an eine ziemlich steile, plattige Stelle gelangen. Deren Besteigung wird durch einen Riss, der sich links hinaufzieht, wesentlich erleichtert. Heiss brennt die Sonne auf unsere Nacken; Schlaf, Müdigkeit in den Armen und die Hitze machen mich schlapp. Wie ich schon beinahe bei Fredy bin, bricht unter meinem rechten Fusse ein Tritt aus — ein Ruck, schon pendle ich nach links! Doch Fredy ist bereit, er hält. In einer ca. 2 m tiefen, angenehm kühlen, schattigen Nische erhole ich mich. Doch ein energisches Zupfen am Seil holt mich aus meiner Höhle heraus, ein heikler Quergang führt über glatte Platten eine Seillänge nach rechts, dann in Verschneidungen, Rissen und über mehrere Steilabsätzchen ziemlich direkt hinauf. Hie und da fährt zur Sicherung ein Haken in den Fels, den ich jeweils wieder getreulich einsammle. Wenige Minuten unter dem Gipfel treffen wir auf den luftigen Ostgrat. Gierig befeuchten wir unsere ausgedörrten Kehlen mit Schnee, den wir überall auf der Nordseite finden und den wir mit Würfelzucker und Schokolade vermischen. Dankerfüllt, dass alles so gut gegangen ist, drücken wir uns auf dem Gipfel die Hände.

Eine einzigartige Aussicht bietet sich uns dar. Tief verschneit ragt die Nordseite des Altmanns im Westen auf. Über dem verschneiten Zwinglipass erblicken wir die Kämme der Churfirsten, dahinter und links sich anreihend in violettem Dunst die Glarner Alpen, Spitzmeilen, Tödi; weiter südwärts die Bündner Berge, tief verschneit, Falknis, Scesaplana und die Österreicher Alpen. Tief zu unsern Füssen, zwischen ragenden Felswänden eingebettet, liegt dunkel und geheimnisvoll, schon wieder im Schatten, der Fählensee; über den Kamm des Roslenfirstes grüssen die Gipfel des II. und III. Kreuz- berges. Im Norden verhindert die Kette Säntis-Altenalptürme-Schäfler den Blick ins Unterland, das unter einer leichten Nebeldecke liegt. Auf der Nordseite kommt ein einzelner Wanderer die verschneiten Grashänge herauf. Sonst ist weit und breit kein Lebewesen zu sehen. In vollen Zügen geniessen wir die Gipfelrast.

Um Zeit zu gewinnen, steigt Fredy auf dem normalen Wege zur Bollenwies ab, Hans und ich steigen über Schneeflecken zur Scharte zwischen Hundstein und Freiheit, um alsdann stemmend und spreizend bis zum Ausguss des steilen Kamins, der sich auf der Südseite hinabzieht, hinunter zu turnen. Hier geht es nicht mehr weiter. Bis auf einen halben Meter kommen die Wände zusammen, ziemlich weit aussen steckt ein rostiger Haken mit einigen verwaschenen, vom Begen gebleichten Seilringen. Das ist die grosse Abseilstelle. Ob die 60 m Seil, die wir bei uns haben, wohl hinunterreichen? Eine neue Schlinge wird durchgezogen, ein zweiter Haken, zur Verstärkung des ersten gesetzt und das Seil durchgezogen. Klatschend fällt es in die Tiefe — ein Blick über die hier überhängende Wand zeigt uns, dass die beiden Enden über einem abwärts geneigten Schneefeld hin und her baumeln. Es kann jedoch nicht mehr viel fehlen, und da wir einfach hinunter müssen, macht Hans den Anfang. Basch ist er meinen Blicken entschwunden, ein unmerkliches Federn des Hakens und ein gelegentliches Scheuern des Seiles zeigt mir, dass die Luftreise noch nicht zu Ende ist. Endlich tönt der Ruf: Nachkommen! Gespannt darauf, wie es unten aussieht, klinke ich das Seil in den Karabiner und stosse ab. Die ersten paar Meter habe ich Mühe, mich aus dem schmalen Kamin zu lösen, dann aber weicht die Wand unter meinen Füssen plötzlich zurück, 25—30 m hänge ich frei über dem Schneefleck. Wirklich eine Abseilstelle, die es ruhig mit derjenigen am « Daumen » des VI. Kreuzberges und derjenigen an der Ostflanke des V. aufnehmen kann! Beide sind ungefähr gleich lang, bei keiner jedoch seilt man eine so grosse Strecke frei ab. Senkrecht unter mir hockt Hans mit gekreuzten Beinen, ein zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht. Da ich Handschuhe trage, lasse ich mich wie eine Spinne ziemlich rasch abwärts gleiten. Einige Meter oberhalb des Seilendes halte ich an und beginne zu pendeln. Mit Hilfe von Hans gelingt es mir, auf einem feuchten Absätzchen Fuss zu fassen. Aufatmend « steige ich aus »! Gewaltig! Grossartig! Eine riesige, beinahe turmhohe und viele Meter tiefe Nische, von deren Wänden es unablässig tropft und deren Boden wie ein Schlammbecken aussieht, umgibt uns, ganz ähnlich wie in der Westwand des VIII. Kreuzberges. Leider haben wir keine Zeit, die Höhle näher zu untersuchen. Wie gewöhnlich gehorcht das Seil unserm Zug nicht. Erst nachdem Hans vom Schneefleck aus anzieht, fällt es sausend und klatschend ab. Rasch packen wir zusammen und rutschen die Rinne hinunter zum Einstieg, wo wir die Schuhe wechseln und die Säcke aufnehmen. Weiter geht 's die Hänge hinunter zur Fählenalp und zur Bollenwies, wo Fredy auf uns wartet. Im Eilmarsch wandern wir bei einbrechender Dunkelheit das Brühltobel hinunter und fahren heimwärts, im Zug dahindösend, glückselig die letzte Kletterfahrt verträumend.

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