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Legende vom Berg

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Von Wolfgang Schwab

Felix Fortis wanderte herauf zu dem Felsenkessel, der von kühnen und phantastischen Türmen umsäumt war.

Ohne bestimmtes Ziel war er heraufgestiegen. Magnetisch fühlte er seinen Blick zu einem Turm gezogen, der abseits der anderen stand. Es war ein seltsamer Bau; « Merveilturm » nannte man ihn. Die wenigen, die vergeblich versucht hatten, den abweisenden Turm zu erklimmen, berichteten, es müsse um ihn nicht ganz geheuer sein.

Obwohl ihn Felix zum ersten Male sah, schien er ihm doch längst vertraut. Es kam ihm zum Bewusstsein, dass dieser Berg schon von seiner Kindheit an in seinen Träumen gelebt hatte, und er ahnte, dass der Berg ihn gerufen.

Der Turm stand vor ihm als leuchtendes Wunder aus silbergrauem Fels. Eigentümlich erregt, begann er den Aufstieg. Es dünkte ihn, nie sei er sicherer gewesen als an jenen spärlichen Griffen, die sich ihm boten. Eine ungemein starke Verbundenheit mit dem Berg umfasste ihn. In idealer Linie höher kletternd, erreichte er den Spalt, der den Gipfel durchriss. Sich darin höher stemmend, gewann Felix die kleine Plattform des Gipfels, wo er eine Stunde reinsten Glückes genoss. Er allein, so raunte der Berg ihm zu, war erkoren, seinen Scheitel zu betreten. Bevor Felix nach dem Abstieg den Felsenkessel verliess, umfasste er nochmals brennenden Blickes den leuchtenden Turm.

Der Alltag nahm Felix wieder auf. Nie fühlte er sich allein, seit er auf dem Gipfel des Merveilturms gewesen. In seinen Träumen lebte er mit dem Berg. Oft suchte er ihn auf, und stets umschwebte märchenhafter Glanz den Turm, wenn er ihm nahte.

Nach Jahren sollte ihn sein Beruf als Berichterstatter mit einer Expedition in fernes Land führen, in unerforschten Urwald. So kam die Abschiedsstunde mit dem Berg. Voll schmerzhaften Glückes umfasste Felix den Fels. Langsam, zögernd stieg er ab. Der Berg leuchtete noch, solange er in seinem Blickfeld war. Die Seefahrt, das tropische Land brachten Felix neue Eindrücke. Doch seine Träume gehörten dem Berg.

Man war in ein Gebiet eingedrungen, das Fieberherde barg. Eines Tages war Felix im Lager zurückgeblieben; er, der sich nie geschont, war vom tödlichen Fieber erfasst. Allein im Zelt, der Umwelt schon entrückt, hegte er nur noch den einen Wunsch, seinem Berg einen letzten Gruss zu bringen. Da fühlte er sich auf einmal von einem strahlenden Licht umgeben, wie es nur von seinem Berge ausging; ja, er schaute den Berg mitten in diesem Lichte ragen, fand sich auf der Gipfelplatte seines Berges liegen, die er mit aller Inbrunst umfasste — dann entschwanden ihm die Sinne für immer...

Ein paar Bergsteiger zogen hinauf zum Felsenkessel, wo Felix so oft geweilt. Der Merveilturm war ihr Ziel. Nebel wallten um die Felsen, und als sie sich verzogen, suchten sie die kühne Gestalt des Turmes vergebens. Er war eingestürzt: Trümmerwerk kündete die Stelle, wo er gestanden. Zur selben Stunde, die Felix Fortis allem Irdischen entrückt hatte, war der Turm geborsten...

Hegels Alpenreise im Jahr 1796

Auszüge aus seinem Tagebuch Kurz vor Beendigung seiner Hauslehrerzeit in Bern machte der damals 26jährige G. W. F. Hegel, der später die klassische deutsche Philosophie vollenden sollte, mit drei sächsischen Hofmeistern eine Alpenreise. Der Weg führte sie, in der Zeit vom 25.31. Juli 1796, über folgende Tagesetappen: Bern–Lauterbrunnen; Lauterbrunnen–Kl. Scheidegg–Grindelwald; Grindelwald–Gr. Scheidegg–Meiringen; Meiringen–Grimsel; Grimsel–Furka-Andermatt; Andermatt–Altdorf; Altdorf-Luzern.

Hegel hinterliess über diese Reise ein ziemlich umfassendes Tagebuch. Zweierlei macht diese Aufzeichnungen gegenüber solchen anderer zeitgenössischer Alpenreisenden bemerkenswert: seine von jederlei rousseauscher Gefühlssucht freien Naturschilderungen sowie die lebendige, nicht bloss kompilatorische Vielseitigkeit seiner Interessen und Beobachtungen. Wer darüber hinaus fähig ist, in diesen Aufzeichnungen wiederholt Grundzüge von Hegels späterem Philosophieren vorgebildet zu erkennen, für den dürfte die Lektüre zweifellos doppelt reizvoll sein.

Das vollständige Tagebuch findet man abgedruckt in der Hegel-Biographie von Karl Rosenkranz, die 1844 in Berlin als Supplement zu Hegels Werken erschienen ist. ^ g « Von hier x hat die Natur für einen Bewohner ebener Gegenden ein völlig verändertes Ansehen. Er befindet sich immer zwischen hohen zum Theil grünen Bergen und in der Ferne zeigen sich ihm die Spitzen von Schneebergen. Die Thäler sind ganz eng, hier aus fetten Wiesen bestehend, die mit unzähligen Obst- besonders Nuss- und Kirschbäumen besäet sind und immer einen erfrischenden, anmuthigen, ländlichen Anblick darbieten. Aber die Enge der Thäler, wo ihm durch die Berge alle ferne Aussicht benommen wird, hat etwas Einengendes, Beängstigendes für ihn. Er sehnt sich immer nach Erweiterung, nach Ausdehnung und sein Blick stösst immer an Felsen an. » « Wir gingen noch des Abends, um den Staubbach zu sehen. Wir waren ihn schon zum Theil auf dem Wege, besonders von dem Wirthshause aus, ansichtig geworden, wo er ungeachtet unserer Nähe uns nur wie ein unbeträchtlicher Wasserfaden aussah und uns die Mühe und Kosten des heutigen Tages schlechterdings nicht zu belohnen, sondern Herrn Meiners Urtheil 2 völlig zu bestätigen schien. Ungeachtet dieser Vorurtheile gegen ihn und obschon es bereits zu dunkeln anfing, wurden wir, als wir uns ganz nahe bei ihm und unter ihm befanden, dennoch völlig befriedigt. Vielleicht trug der Umstand dazu bei, dass er der erste Gegenstand dieser Art war, zu dem uns unsere Reise führte, da im Gegentheil Herr Meiners schon überfüllt mit grossen Naturgegenständen dort anlangte. Die Höhe der Felsenwand, von der er herabstürzt, hat allein etwas Grosses, der Staubbach eigentlich nicht. Desto mehr hat das anmuthige, zwanglose, freie Niederspielen dieses Wasser-staubs etwas Liebliches. Indem man nicht eine Macht, eine grosse Kraft erblickt, so bleibt der Gedanke an den Zwang, an das Muss der Natur entfernt 1 Von Interlaken aus.

2 Christoph Meiners, Briefe über die Schweiz.T.übingen 1791. II. Teil, 2. Aufl., 1. Brief S. 16.

Die Alpen - 1949 - Ias Alpes31 und das Lebendige, immer sich Auflösende, Auseinanderspringende, nicht in Eine Masse Vereinigte, ewig sich Fortregende und Thätige bringt vielmehr das Bild eines freien Spieles hervor. » « Schon vorher unterwegs hatte uns ein Küher von seinem Rahm, den er nach Hause trug, zu trinken angeboten und es unserm Belieben überlassen, wie viel Geld wir ihm geben wollten. Diese Gewohnheit, die wir ziemlich allgemein antrafen, hat nicht, wie viele gutherzige Reisende meinen, die da von diesem Hirtenleben sich ein Bild allgemeiner Unschuld und Gutmüthigkeit gemacht haben, in der Gastfreiheit und Uneigennützigkeit ihren Grund, sondern vielmehr hoffen diese Küher dadurch, dass sie die Bezahlung dem Gutdünken der Reisenden überlassen, mehr zu erhalten, als ihre Waare werth ist. Man kann leicht davon gewiss werden. Wenn man ihnen etwa nur so viel gibt, als ihre Sache gerade werth ist, so danken sie schlechterdings nicht, erwidern auch den Abschiedsgruss nicht, sondern werden stumm und machen ein verdriessliches Gesicht. Oder gibt man ihnen weniger, als sie das Gegebene schätzen, so darf man versichert sein, dass sie alsdann ihre vorher gegebene Unwissenheit, was ihre Waare gelte, ablegen und bestimmt den Werth fordern. » « Mit der Jungfrau hangen zugleich die zwei Aiger zusammen, die kahle, oben mit Schnee bedeckte Felsenmassen bilden. So nahe wir uns diesen Gebirgen befanden und ungeachtet wir sie von ihrem Fusse bis zu ihrer Spitze übersahen, so machten sie doch schlechterdings nicht den Eindruck, so erregten sie nicht das Gefühl von Grosse und Erhabenheit, wie wir erwartet hatten. Nur dann schwindelt man beim Anblick einer Höhe, wenn man sich ganz am Fusse einer senkrechten Wand befindet, wie unten an einem Kirchthurm, und jetzt den Blick in die Höhe richtet; sonst, wenn das Auge sie messen kann und sich in einiger Entfernung befindet, nicht; oder zu nah sieht es nur einen geringen Theil der Höhe. » « Wir sahen heute diese Gletscher 1 nur in der Entfernung von einer halben Stunde und ihr Anblick bietet weiter nichts Interessantes dar. Man kann es nur eine neue Art von Sehen nennen, die aber dem Geist schlechterdings keine weitere Beschäftigung gibt, als dass ihm etwa auffällt, sich in der stärksten Hitze des Sommers so nahe bei Eismassen zu befinden, die selbst in einer Tiefe, wo sie Kirschen, Nüsse und Korn zur Reife bringt, von ihr nur unbeträchtlich geschmelzt werden können. Nach unten ist das Eis sehr schmutzig und zum Theil ganz mit Koth überzogen, und wer eine breite, bergabgehende, kothige Strasse, in der der Schnee angefangen hat, zu schmelzen, gesehen hat, kann sich von der Ansicht des untern Theils der Gletscher, wie sie von fern sich darstellt, einen ziemlichen Begriff machen und zugleich gestehen, dass dieser Anblick weder etwas Grosses noch Liebliches hat. Weiter hinauf erscheint das Eis in Pyramiden, die ein reineres Blau haben und die man im Vergleich mit dem untern schmutzigen Eis, wenn man will, schöner nennen kann. » « Auf einmal bot sich jetzt uns, da wir einigen Häusern näher kamen, von der Seite der obere Theil des Falles 2 dar und vergnügt gingen wir durch 1 Die zwei Grindelwaldgletscher.

2 ReichenbacMall oberhalb Meiringen.

nasse Wiesen ihm entgegen. Auf der grünen Anhöhe, die ihm gegenüber ist, durchnetzte uns der Wasserstaub vollends, den der vom Fall verursachte Wind uns entgegen jagte. Um mehr von dem Fall zu übersehen, muss man über schlüpfriges Gras tiefer hinabsteigen bis an den Rand des Abgrundes, in den er sich versenkt. Von hier geniesst man den Anblick des Falles, so weit man ihn übersehen mag, und das majestätische Schauspiel hielt uns für die Mühe des unangenehmen Tages allerdings schadlos. Durch eine enge Felsenkluft drängt oben das Wasser schmal hervor, fällt dann in breiteren Wellen senkrecht herab; in Wellen, die den Blick des Zuschauers beständig mit sich niederziehen und die er doch nie fixiren, nie verfolgen kann, denn ihr Bild, ihre Gestalt lös't sich alle Augenblicke auf, wird in jedem Moment von einer neuen verdrängt, und in diesem Falle sieht er ewig das gleiche Bild, und sieht zugleich, dass es nie dasselbe ist. Nachdem so die Wellen eine beträchtliche Höhe mehr heruntergefallen sind, als dass sie sich herabstürzten, treffen sie auf Felsen, wo sie sprudelnd sich in drei oder vier Öffnungen hervordrängen, dann zusammenfliessen und sich jetzt donnernd in einen Abgrund stürzen, in dessen Tiefe der Blick sie nicht verfolgen kann, weil er von Felsen aufgehalten wird. Nur in einiger Entfernung sieht man aus einer Kluft einen Rauch wogen, den man für den vom Fall aufspritzenden Schaum erkennt.

Mit Recht hat Meiners auf diesen Fall aufmerksam gemacht1, aber eine Beschreibung kann so wenig als ein Gemälde nur einigermassen die Selbst-ansicht ersetzen. Bei der Beschreibung kann eher noch die Einbildungskraft, wenn sie schon ähnliche'Bilder hat, sich das Ganze hinmalen, aber ein Gemälde, wenn es nicht sehr gross gemalt ist, kann nicht anders als dürftig ausfallen und nur eine unzureichende Vorstellung geben. Die sinnliche Gegenwart des Gemäldes erlaubt der Einbildungskraft nicht, den vorgestellten Gegenstand auszudehnen, sondern sie fasst ihn so auf, wie er sich dem Gesicht darstellt. Sie wird an seiner Erweiterung noch mehr dadurch gehindert: wenn wir das Gemälde in der Hand halten oder an einer Wand aufgehängt finden, so können die Sinne nicht anders, als es an unserer Grosse, an der Grosse der umgebenden Gegenstände zu messen und klein zu finden. Ein solches Gemälde müsste dem Auge so nahe gebracht werden, dass es Mühe hätte, das Ganze zu überblicken, es nicht neben andere Gegenstände versetzen könnte und so völlig allen Maasstab verlöre. Ausserdem muss auch im besten Gemälde das Anziehendste, das Wesentlichste eines solchen Schauspiels fehlen: das ewige Leben, die gewaltige Regsamkeit in demselben. Ein Gemälde kann nur einen Theil des ganzen Eindrucks geben, nämlich die Gleichheit des Bildes, die es in bestimmten Umrissen und Partien geben muss; hingegen der andere Theil des Eindrucks, die ewige, unaufhaltbare Veränderung jeder Partie, die ewige Auflösung jeder Welle, jedes Schaumes, die das Auge immer mit sich herniederzieht, die keine Terze lang ihm die gleiche Richtung des Blicks erlaubt: all diese Macht, all dies Leben geht gänzlich verloren. » « Wir liessen die grösste Hitze unter einem abermaligen Lhombrespiel2 vorbeigehen, machten uns etwa gegen 4 Uhr auf die Reise und, da meine 1 Christoph Meiners, a. a. O., S. 55 ff.

2 Ein Kartenspiel spanischer Herkunft.

Füsse sich immer zu verschlimmern fortfuhren, so machte ich von hier die Reise beständig mit niedergetretenen Schuhen. Von Guttannen wird der Weg immer wilder, öder, einförmiger. Man hat immer gleich rauhe, traurige Felsen zu beiden Seiten. Zuweilen erblickt man Gipfel, die mit Schnee bedeckt sind. Der Boden, der ebener ist, und zuweilen ein Thal bildet, ist völlig mit Ungeheuern Granitblöcken übersäet. Die Aar macht einige prächtige, mit fürchterlicher Kraft hinabstürzende Wasserfälle. Über einen derselben ist eine kühne Brücke gesprengt, auf der man von Staub ganz befeuchtet wird. Man erblickt hier in der Nähe das gewaltige Rasen der Wellen gegen die hervorstehenden Felsen und begreift nicht, wie sie diese Wuth festhalten können. Nirgend erhält man einen so reinen Begriff vom Müssen der Natur, als beim Anblick des ewig wirkungslosen und ewig fortgesetzten Rasens einer hervor-getriebenen Welle gegen solche Felsen! Doch sieht man, dass ihre scharfen Ecken nach und nach abgerundet sind. Weiterhin sieht man die Vegetation immer mehr den Fluch der wärme- und kraftlosen Natur empfinden. Man trifft keine Tannenbäume mehr an, nur verkrüppeltes Tannengesträuch, Moos, elendes oder gar kein Gras, einige Lerchen- und Arvenbäume; viele Gentianen wachsen in einer Gegend. Die Wurzeln dieser letzteren Pflanzen werden von einer Familie gesammelt und zu Enzian gebrannt. Diese Familie lebt den Sommer hier in völliger Entfernung von Menschen und hat ihre Brennstatt unter aufgethürmten Granitblöcken errichtet, die die Natur zwecklos über einander warf, deren zufällige Stellung aber die Menschen zu benutzen wussten. Ich zweifle, ob hier der gläubigste Theologe es wagen würde, der Natur selbst in diesen Gebirgen überhaupt, den Zweck der Brauchbarkeit für den Menschen zu unterlegen, der das Wenige, Dürftige, das er benutzen kann, mit Mühe ihr abstehlen muss; der nie sicher ist, ob er nicht über seinen armen Diebereien, über dem Raub einer Hand voll Gras, von Steinen oder Lauinen zerschmettert; ob nicht das kümmerliche Werk seiner Hände, seine ärmliche Hütte und sein Kuhstall, ihm in einer Nacht zertrümmert wird. In diesen öden Wüsteneien hätten gebildete Menschen vielleicht eher alle andere Theorieen und Wissenschaften erfunden, aber schwerlich denjenigen Theil der Physikotheologie, der dem Stolze des Menschen beweist, wie die Natur für seinen Genuss und Wohlleben Alles hinbereitet habe; ein Stolz, der zugleich unser Zeitalter charakterisirt, indem er eher seine Befriedigung in der Vorstellung findet, was Alles für ihn von einem fremden Wesen gethan worden ist, als er sie in dem Bewusstsein finden würde, dass er es eigentlich selbst ist, der der Natur alle diese Zwecke geboten hat. » « Wir langten fast mit der einbrechenden Dämmerung dort* an, in einem steinernen Hause, das einige Stuben hat, in einer öden, traurigen Stein-wüstenei liegt, die so wild ist, als die Gegenden, durch die wir seit einigen Stunden kamen. Weder das Auge noch die Einbildungskraft findet auf diesen formlosen Massen irgend einen Punct, auf dem jenes mit Wohlgefallen ruhen, oder wo diese Beschäftigung oder ein Spiel finden könnte. Der Mineralog allein findet Stoff, über die Revolutionen dieser Gebirge unzureichende Grimselhospiz.

Muthmassungen zu wagen. Die Vernunft findet in dem Gedanken der Dauer dieser Berge oder in der Art von Erhabenheit, die man ihnen zuschreibt, nichts, das ihr imponirt, das ihr Staunen und Bewunderung abnöthigte. Der Anblick dieser ewig todten Massen gab mir nichts als die einförmige und in die Länge langweilige Vorstellung: es ist so. » « Wir gingen jetzt über Schnee der Magen- d.h. Blumenwand oder der grünen Wand zu; sie heisst so, weil sie ganz mit einem schönen Grün und Blumen aller Art übersäet ist. Der Weg über sie ist allerdings so beschaffen, dass man kaum zwei Füsse neben einander stellen kann und etwa 50-60 Schritt lang mag der Winkel, den sie bildet, bis 70 Grade betragen. Ohne sich zu bücken, kann man sich bequem mit der Hand an der Wand halten. Wir brachen im Vorbeigehen Alprosen und schöne Vergissmeinnicht, deren hier eine unzählige Menge wächst. Keiner hatte die geringste Anfechtung von Angst. Man geht von hier noch eine Viertelstunde etwa schräg hin und von da gerade bergab der Rhone zu. Dies Herabsteigen ist unendlich beschwerlicher. Das Gesträuch der Alprosen, die etwa 1 bis 1 % Fuss hoch sind, erlaubt keinen festen Tritt. Mir war es besonders wegen der schlechten Beschaffenheit meiner Füsse unmöglich, mich aufrecht zu halten. Ich ahmte einige meiner Gesellschafter nach, setzte mich auf die Hosen, ergriff mit beiden Händen nebenstehende Alpenrosen und rutschte so den grössten Theil des Berges hinunter. » « Um Mittag fingen wir an, gegen das Ursteren-Thal hinabzusteigen. Den Anfang mussten wir damit machen, eine gute Viertelstunde weit über weichen Schnee, den die Sonne noch blendender machte, hinabzusteigen und zu glitschen. Wenn man aus diesem Glänze auf die gleichfalls beleuchtete Erde wieder heraustritt, so glaubt man hier anfangs nur in einem schwachen Mondlicht zu wandeln. Nach und nach kamen wir in besseres Gras, das mit aromatischen Blumen aller Art untermischt war. Selbst solche, die in niederen Gegenden nicht duften, geben hier einen balsamischen Geruch; z.B. ein gemeines Hieracium oder Leontodon, das auf allen Ursteren Wiesen wächst und hier zugleich eine schöne zimmtbraune Farbe hat; eben so eine ganz niedrige sanguis orba, die wie Chokolade roch. Weiter hinab fanden wir die Leute mit Heumachen beschäftigt, bis wir 2% Uhr in Realp ankamen, wo uns ein Capuziner-Hospizium gastfreundlich aufnahm, und mit rothem Italienischem Wein, dem besten, den wir bisher noch antrafen, denn er kam aus dem Keller der geistlichen Herrn, und mit gutem Käs tractirten. » « Samstags verliessen wir Ursteren1 und durch Eintritt in das Urnerloch auch das Ursterenthal. Dies berühmte Loch ist eine kleine halbe Stunde von Ursteren und ein finsteres Felsengewölb 80 Schritt lang. Wir traten jetzt in eine rauhe Felsengegend, die sich von der wilden Reuss zu beiden Seiten ungestalt und todt erhebt, und wir begriffen, wie angenehm die Überraschung für die Reisenden sein müsse, die aus dieser Wüste durch die Nacht des Urnerlochs in das heitere, grüne Ursterenthal treten. Bald gelangten wir an die so berühmte Teufelsbrücke, an der uns zunächst nur ihre Berühmtheit merk- 1 Andermatt.

würdig war und die nothwendig auf die von Unten kommenden Reisenden einen grösseren Eindruck machen muss, welche aus der Tiefe am Ufer der tobenden Reuss zwischen den wilden Felsen keinen Ausweg mehr erblicken, sie jetzt von einem zum andern gesprengt sehen und über sie einen Ausgang hoffen. Sie ist übrigens breit genug, dass ein kleiner Wagen, char à banc, darüber fahren und 4 Personen bequem neben einander gehen können und hat schlechterdings nichts Gefährliches. Gegen sie her stürzt die Reuss mit grässlichem Schäumen und Toben sich aus einer beträchtlichen Höhe durch widersträubende Felsen und bildet einen merkwürdigen Wasserfall. Zu beiden Seiten des Bettes der tobenden Reuss erheben sich senkrechte, formlose, kahle Steinmassen, auf denen hier und dort ein dürftiger grüner Fleck sich zeigt, der mühsam erstiegen und abgemäht wird. Hin und wieder erblickt man beschneete Gipfel. An diesen Felsen hin windet oder stiehlt sich bald auf der einen, bald auf der andern Seite, bald aufwärts, bald abwärts, die steinigte Strasse in beständigen Schlangenwindungen. Zwischen Wassen und dem Dorfe Steg liegt auf einer Wiese neben dem Wege ein isolirtes ungeheures Felsenstück und es ist begreiflich, dass dem Kindersinn dieser Hirtenvölker schon lange sein Hiersein auffiel und an dasselbe einen Mythos anknüpfte. Aber wie immer, wie auch bei der Teufelsbrücke, hat die christliche Einbildungskraft nichts als eine abgeschmackte Legende hervorgebracht. » « Von Wassen an wird die Landschaft schon etwas milder. Das Thal ist hie und da etwas breiter. Die hohen Gebirge treten unten zum Theil mit sanftem Abhängen in die Reuss hinab, auf welchen sich mit Obstbäumen bepflanzte Wiesen und zerstreute Wohnungen finden. Nirgends schienen mir die Berge so hoch als hier in diesen jetzt tieferen Gegenden, denn man erblickt hier sehr hohe Gipfel von Urnerbergen, an deren Fuss wir uns selbst befanden, da wir vorher meist, wenn wir auch Gipfel höherer Berge vor uns hatten, uns entweder zu weit von ihrem Fuss entfernt oder selbst in einer beträchtlichen Höhe befanden. Oder waren wir auch am Fusse eines jener grossen Riesen, so konnten wir nur etwa den Gipfel des ersten Absatzes erblicken, der uns die übrigen und die höchste Spitze entzog. » « Auf dem Wege von Brunnen nach Gersau kamen wir an der einsamen Clause eines Waldbruders, die hart am Ufer liegt, vorbei, so wie an einer Capelle, die Kindleinmord heisst, ein Name, der auf die Veranlassung zur Erbauung der Capelle deutet. Die Schiffer erzählten uns davon folgende durch ihre Einfalt und den Contrast der Verdorbenheit und Unschuld rührende Geschichte. Ein Spielmann hatte auf diesem einsamen Fleck sein kleines Mädchen allein gelassen und jenseits des Sees zu einem Tanze aufgespielt und wohlgelebt. Als in der Nacht spät der Vater zu dem verlass'nen Kinde zurückkam, bat es ihn ganz hungrig um Brod. Der Vater behandelte es rauh. Das Kind bat flehentlich. Er versprach ihm endlich zu geben, wenn es drei Fragen beantworten könne, deren zwei letzte mir noch im Gedächtniss sind. Was süsser sei, als Honig? Das Kind antwortete: die Muttermilch. Was härter als Stein? Des Vaters Herz, entgegnete das Kind, und voll Grimm schlug er es, dass es dort todt gefunden wurde, und die fromme Einfalt errichtete an diesem Platze eine Capelle zur Sühne der beleidigten Unschuld. » « Gegen uns über hatten wir schon das Unterwaldner Gebiet. Weiterhin sahen wir in Unterwaiden Bekkenried, eine Stunde davon Buochs und, im Hintergrunde der Gegend, Stanz. Der Pilatus schliesst die Aussicht. Wir liessen diesen Arm des Sees links, passirten durch eine Enge, bekamen zum Theil den Riggiberg zur Rechten und erblickten gegen Lucern hin zum ersten Mal wieder über die schöne Spiegelfläche des Sees niedrigere Hügel, die unserm Auge, das bisher theils erhabne, theils graue und traurige Berge und fast nie eine weite Aussicht gehabt hatte, sehr wohl thaten. »

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