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Matterhorn... Marathon

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Reminiszenzen cum grano salis.»#»««« öVon L. G. ValleHe ( Genf, Sektion Uto ).

Anfangs September 1931 war 's, als sie von Zermatt aus loszogen zur Matterhornhütte x ) hinauf. Der eine ein sympathischer, wundervoll kräftig gebauter Führer in den besten Mannesjahren, der andere fast noch ein Jüngling, kaum 25 Jahre alt, eine lange, hagere Amerikanergestalt. Trotz dieser physischen Unterschiede waren beide prächtig trainiert und aufeinander eingeübt. Kaum 10 Tage zuvor hatten sie zusammen den Schweizergrat hinauf und hinunter und einige Tage später den Zmuttgrat begangen. Warum denn eigentlich nochmals auf den Schweizergrat, « hinauf und herunter »? Ein eigentümliches Gefühl von Rekordgeprickel in den Armen und Beinen, eine bohrende Idee im Kopf, das war der unwiderstehliche Antrieb.

Am anderen Tage ging 's los, ziemlich später als gewöhnlich, um das Tageslicht und auch die wärmende Sonne zu benützen. Ohne Rock, in Hemdärmeln! Ohne Rucksack, selbstverständlich. Etwas Proviant nur in den Taschen. Wieviel haben sie gebraucht, « hinauf und herunter »? « Dreieinviertel Stunden !! » Eine kaum glaubhafte Leistung.

So steht 's geschrieben unter ihrer Photo im Zermatter Museum. Ich kann es nicht begreifen, und ganz klein komme ich mir vor. Wieviel haben denn wir eigentlich gebraucht anno 1908, von der Hütte bis zum Gipfel? Sieben oder acht Stunden hinauf werden 's wohl gewesen sein und fünf oder, .; sechs hinunter oder mehr, also ungefähr 14 Stunden « hinauf und herunter ». Allerdings waren wir führerlos und kannten den Aufstieg schlecht. Die Schulter und verschiedene heikle Stellen waren völlig schwarzvereist und liessen uns den Abstieg kitzlig erscheinen. Tricounibeschlag gab es damals noch nicht, und unsere Schuhnägel waren abgeschliffen von den vielen Touren. Ein späterer Himalayabesteiger, und nicht der letzte im Rang ( Höhenrekord 8300 Meter, bitte !), der auch dabei war, sagte mir beim Heimgehen nach Zermatt, dass ihm das Matterhorn einen gehörigen Respekt eingeflösst habe. Und dabei hatte er bereits so ziemlich alle Walliser Riesen bestiegen. Zudem waren wir tags zuvor noch in der Gnifettihütte ( ca. 3600 m ) in Italien gewesen, nach einigen gutgeglückten Überschreitungen, und mussten zuerst übers Lysjoch ( 4153 m ) nach der Betempshütte, wo uns der Hüttenwart eine drei Tage alte Zeitung zeigte, darin geschrieben stand: « Drei Polytechniker am Obergabelhorn abgestürzt. » Damit konnte niemand anders als wir selbst gemeint sein. Man nannte uns nämlich so in Zermatt. Und die Eltern zu Hause warteten seit fünf Tagen auf Nachricht. Aus schien 's mit dem Matterhorn, das wir am letzten Tage unserer Zermatter Tour noch besteigen wollten. Hinunter nach der nächsten Poststation und heimtelegraphieren! Das war die unerbittliche Parole. Nachher war es uns wohler, und trotz der vorgerückten Stunde und unserer begreiflichen Bestürzung zog uns das Matterhorn immer noch an, waren wir doch dort vor zehn Tagen infolge Schneesturms wörtlich abgeblitzt.

Wir stiegen dann doch noch zur Matterhornhütte hinauf. Von der Gnifettihütte aus mit unserem Abstecher auf die Post im ganzen ungefähr 4000 Meter Höhenunterschiede und ca. 28 Kilometer Wegdistanz an einem Tag, hinauf, hinunter, hinauf etc., etc., oft und lange über Schnee, Fels und Eis bei brennender Sonne. Die alte, nasse Hütte war voll von Führerpartien, und wir haben rittlings auf wackeligen Bänken schlafen müssen. Aber trainiert waren wir und haben doch von der Hütte aus ca. 14 Stunden gebraucht, « hinauf und herunter ». Allerdings riefen uns die Führerpartien immer wieder Halt zu, der Steine wegen. Und doch waren wir an sauberes Klettern gewöhnt, und sie hatten von uns nichts zu befürchten.

Aber das sind doch alles belanglose Ausreden einem solchen Rekord gegenüber. Es war eine schöne, aber nachdenkliche und bedrückte Matter-horntour bei glänzendem Wetter. Auf dem ganzen Weg, hinauf und hinunter, hat uns das Obergabelhorn so finster und böse angeschaut! Wir hatten ja die drei Verunglückten gekannt und eine Woche zuvor mit ihnen gesprochen. Sie kamen damals von einer Traversierung im Berner Oberland, wir auch. Sie mussten sich in der Trift aus lauter Bescheidenheit nicht eingeschrieben haben, daher die Verwechslung mit uns in Zermatt. Es war ein bekannter, erfahrener Bergsteiger dabei. Beim Aufstieg ein wenig zu viel nach rechts auf heimtückische, im Grunde vereiste Schneestellen, und das unaufhaltsame Unheil war geschehen. Die blutigen Bahren hinter der früheren Zermatter Kirche habe ich heute noch vor Augen.

Stolz waren wir damals auf unsere Leistungen. Jung, unerfahren und viel dümmer, als wir dachten, waren wir. Vielleicht hatte uns dies Glück gebracht auf unseren scharfen Touren. « Aux innocents les mains pleines », wie beim Hasardspiel!

All dies durchkreuzt meinen Kopf, 33 Jahre nach diesen Begebenheiten, beim Betrachten des Bildes der « Marathonläufer » am Matterhorn. Dreieinviertel Stunden « hinauf und herunter » fürwahr, ein glänzender Rekord! Ein Weltrekord sogar. Wer am Matterhorn gewesen ist, mit Führern oder ohne, wird dies richtig einzuschätzen wissen. Frisch und kräftig sieht der Führer auf dem Bilde noch aus, das Glücksgefühl leuchtet ihm nur so aus den Augen. Der Amerikaner scheint etwas abgeklappt zu sein.

Ich kann es nicht glauben, so unglaublich kommt mir diese Leistung vor. In einer Zermatter Kneipe treffe ich zufällig den Bruder des Rekordführers und frage ihn aus. Er muss es ja wissen. Ein Trick ist bei allen Weltrekorden im Spiele, und das Geheimnis reizt mich derart, dass ich mir mit meinen Fragen dem wortkargen Bergbewohner gegenüber etwas indiskret vorkomme. Das von dem Training, den Hemdärmeln und der Sonne habe ich bereits vorausgenommen. Zweieinviertel Stunden haben sie von der Matterhornhütte ( 3298 m ) bis zum Matterhorngipfel ( 4505 m ) gebraucht. Eine Minute verschnauft. Der Amerikaner hat Pillen bei sich, fürs Herz, vom Arzt empfohlen. Der Führer trinkt zwei Dezi Kirsch und hierauf sind sie die gähnende Tiefe hinuntergehagelt, in einer Stunde, über den trockenen, warmen Fels, von dem sie jeden Stein, jede Ritze fürs Zugreifen kannten. Das war der Rekord.

Wer wird ihn schlagen? Menschenkinder wohl kaum, wenn Sie bis zum Ende weiterlesen wollen, denn es ist noch ein Haken dabei. Nur ein Gemsbock käme hiefür in Frage. Hinaufgescheucht brauchte er wohl eine halbe Stunde und hinunter vielleicht eine Viertelstunde oder noch viel, viel weniger. Aber die Gemsen gehen nicht aufs Matterhorn, weil sie dort nichts zu fressen finden. Für sie ist das Matterhorn nicht lohnend genug. Schade! Ein Gemsen-rekord auf diesen Gipfel wäre ein noch besserer Dämpfer für uns eitle, aber unbeholfene Gipfelstürmer mit unseren prahlenden Marschzeiten. « Micromé-gas — Macromégas, tout est relatif », meinte schon Voltaire. Wie schlecht hat uns doch der Herrgott gebaut, im Vergleich zur Gemse. Zur Strafe können wir allerdings diesen prächtigen Alpengänger abschiessen, so dies als Überlegenheit gelten kann.

Ja, wirklich schlecht hat uns der Herrgott gebaut, für die Berge. Daran hatte auch der Amerikaner nicht gedacht, und es ist doch noch zu einem Matterhornunfall mit Marathonende gekommen, indem er nicht viel mehr als einige Monate darauf an Herzschwäche im Bett verschieden ist.

Nachsatz: Ein vertrauenswürdiger Alpinist hat mir kürzlich erzählt, wie er auf der Rückkehr von einer schwierigen Klettertour einem solitären Gemsbock begegnet sei. Der Mann hatte von dieser Stelle aus fünf Stunden für den Aufstieg über die steile Wand gebraucht. Der schliesslich aufgescheuchte Gemsbock, der keinen anderen Ausweg hatte, brauchte hiefür die ganz unglaubliche Zeit von 55 Sekunden, mit der Uhr abgeknipst. Dabei soll er schwierige Stellen mit vertikalen Sätzen genommen haben, die mein Berichterstatter auf 8 bis 10 Meter schätzte. Also besser wie der Tiger, der fürs Springen als Rekord«mann » unter den Säugetieren gilt!

Die Alpen — 1942 — Les Alpes.25

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