Neue Skifahrten im Bündner Hochland | Club Alpino Svizzero CAS
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Neue Skifahrten im Bündner Hochland

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Von Th. Montigel.

Das Tal des Hinterrheins ist es, wohin mir zu folgen ich die Bergfreunde bitte. Thusis, das nördliche Eingangstor der Viamalaschlucht, geht mit dem eidgenössischen Postauto einer neuen Zukunft entgegen. Und seit diese Motoren neuestens auch im Winter in die Viamala einzudringen wagen, sind die höhern Talstufen des Hinterrheins dem winterlichen Turistenverkehr zugänglich gemacht. In 40 Minuten sind wir in Zillis, nach 31/2 Stunden erreichen wir die Endstation des Winterautos, Splügen, das sich als Wintersportplatz eben neu auftut. Damit hätten wir mit den zwei Endpunkten die Ausdehnung der grossen Skiterrasse festgelegt, die sich am westlichen Talhang über der Waldgrenze viele Stunden weit hinzieht, überhöht von Piz Beverin, 3002 m, Bruschghorn, 3054 m, Annarosa und den Splügener Kletterbergen. Die Thusner Sonnenuhr, das Zwölfihorn und das Einshorn, markiert den nördlichen Rand dieses Skiparadieses. In Luftlinie messen wir bis zu dessen Südende, vom Rappentobelkopf bis zum Bodenhorn, 13 km. Diese 13 Kilometer aber, in reich gegliederte Alpböden übersetzt, werden für den Fussgänger zur Unendlichkeit, zum nimmer endenden Schlauch für den Soldaten, der sie im Manöverkrieg schrittweise erobern muss, zur unerschöpflichen Quelle genussvollster Abfahrten für den winterlichen Berggänger.

Zillis, wo wir morgens 1030 Uhr den Postwagen verlassen, ist das erste Dorf im Schams. Ein freundlicher Talkessel breitet sich vor uns aus, jetzt im Frühjahr an den Sonnhängen ausgeapert. Über diesen grünen Hängen tronen die Dorf kirchlein, grüssen vom Waldrand herunter, locken hinauf zum Sonnenlicht. Alte Kultur haben wir vor uns, die wohl schon vor tausend Jahren in den heutigen Siedelungen die Menschen ums Herdfeuer sammelte. Diese Dörfer, Lohn, Mathon, Wergenstein, zählten durchwegs vor 100 Jahren noch ungefähr doppelt soviel Einwohner als heute und bedürfen dringend neuer Lebensziele, sollen sie nicht gänzlich veröden. Unsicher ist, ob die alte Heerstrasse der Römer sich diesen Dörfern entlang zog oder noch höher, über die Alpterrassen weg. Dass aber schon lange vor der Römerherrschaft, schon 1000—1200 Jahre vor Christus, das Schamsertal besiedelt war, dafür hat ein Gewölbegrab bei Donath den Beweis erbracht, das einzige seiner Art in der Schweiz. Schon in der Bronzezeit ging der Verkehr Nord-Süd, Deutsch-land-Mittelmeer, durchs Hinterrheintal, und vermutlich haben damals schon seine Bergwerke angefangen, in der Wertung dieser Talschaften mitzuzählen.

Aus der Zeit neuerer Verkehrsblüte stammen die hablichen Steinbauten des Fleckens Zillis und wohl auch die Martinskirche ( 13. Jahrhundert ), deren Deckengemälde 1872 durch den Kunsthistoriker Rahn entdeckt wurden. Der Bau der Gotthardbahn hat mit den übrigen Bündner Bergpässen auch diese Verkehrslinie veröden lassen.

Wir überschreiten den Rhein und steigen über Donath, Fardün auf neuer Fahrstrasse nach Mathon hinauf. Nicht dass uns da ein Hotel winkte, Der ganze Schamserberg ist ohne Gaststätten! Lehrer Godly in Mathon ist so freundlich, uns in einem leerstehenden Haus Unterkunft zu schaffen. Und von diesem aus ziehen wir jeden Morgen die Waldlichtung hinauf in die sonnige Oberwelt.

Soviel Ferientage, soviel Ziele! Und hätten wir einen Monat vor uns, so winkte uns jeden Tag ein anderes Ziel.

Schon der erste Halbtag, der uns von der Herreise noch übrig bleibt, reicht zu einer Orientierungstur. Vom Maiensäss Dros aus steigen wir direkt nördlich, über sanfte Alpbuckel unsere Schmalspur ziehend, gegen die Lücke 2204 hinauf. Eine einsame Gemse begleitet uns in respektvollem Abstand. Sie sucht Deckung vor unsern Blicken und taucht dann, uns in leichten Sprüngen das Ziel weisend, an den Hängen des Einshorn wieder auf. Wir kriechen nach, kreuzen zahlreiche Wildspuren, entdecken gegenüber, auf dem Zwölfihorn, an die 14 Grattiere friedlich auf den abgeblasenen Ecken weidend. Sie flüchten vor uns in die Schattenhänge, die gegen die schaurige Tiefe der Nollaschlucht abfallen. Und hier herauf soll einst ein römischer Heerweg geführt haben! Vergessen wir nicht, dass das Gelände im obern Nollatal seit den letzten Jahrhunderten sich gründlich verändert hat. Der Schlammbach hat die Weiden und Wälder unterminiert, ganze Maiensässe fortgetragen, und trotz Verbauung und Aufforstung geht dieser Senkungsprozess unaufhaltsam weiter. So wird es schwer halten, den vermuteten Römerweg durch diese zerrissenen Hänge hinauf zu rekonstruieren.

Die Abfahrt vom Einshorn gegen Summapunt bietet den ganzen Winter beste Verhältnisse. Es ist ein Vorzug der Schamser Stufen, dass ihre wellige Gliederung auch im Spätwinter und nach monatelangen Schönwetterzeiten noch gute Pulverhalden bietet. Vom Nordende unseres Plateaus aus, am Fuss des Rappentobelkopfes, hat man einen prächtigen Überblick über die Alpen und Maiensässe bis zum Schafrücken ( Nursin ), der vom Beverin nach Süden abfällt und diese nördliche Stufe abschliesst.

Darüber aber leuchten die Felskämme von Annarosa, und die Senkung jenseits Nursin lässt neue Skigefilde vermuten.

Wir fahren nach Lohn hinunter, die letzten Märzenflecken an Schnee ausnutzend.

« Sind Sie auf dem Beverin gewesen? » fragt uns eine Bäuerin. « Nein, aber höher. » « Das ist ja nicht möglich. » Vom Bruschghorn, das den Beverin um 50 m überhöht, hat sie noch nie gehört, und das Ergebnis längerer Erklärung ist und bleibt: « und ich glaube es doch nicht ».

Ein Gemsentagewerk.

Recht früh, um 715, brechen wir von Tgoms, unserm Standquartier, auf. Von Posthalter Camenisch in Mathon haben wir uns für einige Tage sein Maiensäss gemietet, frei überm Waldrand gelegen, mit Küche, Strohbetten, gutem Ofen und fliessendem Brunnen. Wir wollen heute den Alpweg erkunden, der nach der Karte von Tgoms nach Tumpriv führt. Der Einstieg zum Tobel, etwa 100 m höher als unser P. 1879, ist markiert durch einen kleinen Wohn- gaden, dessen einziges Fenster mit grüngestrichenen Läden verschlossen ist. Unmittelbar unter diesem Häuschen Nr. 82 zieht der Weg wagrecht ins Tobel hinein: Sonnseite aper, im Schmuck der roten Erika glühend, jenseits der Bachrinne metertiefer Schnee.

Wie wir die Bretter anschnallen, stören wir ein grosses Gemstier, das eben aus dem Wald heraus der Höhe zustrebt. Bei unserm Anblick weicht es zurück, und seine drei Begleiter folgen ihm in den Schutz des Waldes. Wir ziehen weiter über Stufenland und steileren Hang, den deutlich eingeschnittenen Alpweg stets innehaltend. Bei grossen Neuschneemengen dürfte die Halde « Giavareins » gegenüber Alp Tumpriv mit Vorsicht begangen werden. Im vergangenen schneearmen Winter war dort oben Stock und Grat sicher. Ein Schneehuhn läuft vor uns her, wohl an die 50 m seine geradlinige Spur ziehend, bis es vor unserm Gleiten erschreckt auffliegt und sich hinter einem Windharst verbirgt, sein Köpfchen immer noch neugierig in die Luft streckend. Weiter am Weg offenbart sich eine Tragödie, die wohl in letzter Nacht gespielt hat: Der Schnee im Umkreis eines Meters zerstampft, blutige Haare eines grauen Hasen, daneben ein Oberschenkelknochen als einziger Überrest. Wie wir andern Tags wieder durchkamen, war auch dieser Best verschwunden.

Gegenüber, auf der von Zons gegen P. 2406 ansteigenden Abdachung, tauchen Gemsen in Massen auf. Sie verfolgen mit Interesse unsere Wanderung, kreuzen dann den Hintergrund des Talkessels und verteilen sich gegen Piz Tarantschun und gegen Piz Beverin.

So biegen wir zwei Schneewanderer allmählich unter allerlei Unterhaltung nach rechts um den Nursinrücken herum, um Einblick zu gewinnen in eine neue Welt: die Alp Tumpriv. Von weitem schon grüssen deren freundliche Hütten. Von vielfachen parallelen Runsen durchzogen, schiebt sich die Alpweide, sanft ansteigend, gegen die Hänge des Piz Tarantschun und des Runal hinauf.

In Tumpriv treffen wir auf Freunde, die von Wergenstein herauf über die Maiensässe von Dumeins aufgestiegen sind und sich uns anschliessen. Fünf Viertelstunden liegt die Tumprivhütte von Tgoms entfernt; in einer weitern Halbstunde ist der Grat westlich P. 2406 erstiegen. Ein Skiparadies ohnegleichen liegt zu unsern Füssen, eine weiche, wellige Fläche, so weit das Auge reicht. Wir nehmen Einblick in das Tälchen, das von Alp Nursin gegen die Lücke südöstlich des Piz Beverin hinaufzieht, wichtig als Anstiegsroute für genannten Gipfel. Wir sondieren den Gemsspuren entlang den Weg zum Tarantschun und die Abfahrt nach Alp Tumpriv. Wir lassen das Auge schwelgen in den schneegleissenden Hängen des weiten Annarosabeckens, hinein zu den Furkeln dil Lai grand und dil Lai pintg, hinauf zu den Hängen des Gelbhorns, des Bruschghorns, des Piz Tuff. So viel Namen, so viel verlockende Abfahrten! Wie der Nursingrat die vordere Stufe des eigentlichen Schamserberges vom Tumprivkessel trennt, so bildet der Grat, auf dem wir stehen, eine wichtige Wasserscheide zwischen Tumpriv und dem weitläufigen Annarosabecken. Unser Standpunkt, ein breites, sanft ansteigendes Plateau, dessen Scheitel, Punkt 2406,1, wir als Piz Tumpriv bezeichnen, gliedert sich durch diese Höhe in einen östlichen und westlichen Tumprivgrat.

Nachdem unsere Photographen sich am unvergleichlichen Panorama gesättigt, nehmen wir den Weg gegen Piz Tarantschun unter die Füsse. In halber Höhe weiden Gemsen. Bis dahin leisten die Bretter gute Dienste.Von dort aufwärts kann je nach Schneeverhältnissen zu Fuss angestiegen werden. Der Gipfel, von Alp Tumpriv in 2 Stunden leicht zu erreichen, bietet schöne Orientierung in die umliegenden Skiberge und Tiefblick auf Glas und die Hänge des Heinzenberges.

Nach Norden aber schliesst sich der Vorhang: Schwarze Wolkenmassen verhüllen die ganze Tödikette, und die Schweiz, die dahinter liegt, hat Regengüsse und Sturm. Unser beglücktes Hochplateau aber strahlt im Sonnenschein.

Die Abfahrt vom Ostfuss des Gipfels über Bultger und Faschias ist ein sorgloses Gleiten in der scheidenden Sonne, Entzücken für alle Teilnehmer, der schönsten Gletscherabfahrt gleichzusetzen. Wir folgen weiter dem Alpweg von heute früh, stören im Tobel neuerdings die Gemsen auf ihrem Heimweg. Auch ihr Tagewerk ist beendet, sie gehen mit der Sonne zur Ruhe und schmieden, gleich uns in unserer stillen Stube, Pläne für den nächsten Tag.

Bruschghorn, 3054 m.

Der Leser kennt bereits den Aufstieg nach Tumpriv. Am 4. März halten wir auf dem westlichen Tumprivgrat eine Siesta von drei Viertelstunden, überlegen uns den Weg gegen das Bruschghorn und freuen uns der Sonne und des vielversprechenden Tages. Die Karte lässt vermuten, dass wir unter den Felsen des Piz Tuff ohne Mühe gegen Lücke 2773 einsteigen können. So sehen wir uns den rassigen Südwestabsturz des Piz Tarantschun aus nächster Nähe an, steigen weiter über sanfte Wellen und Einschnitte gegen Piz Tuff, dessen Hänge ebenfalls reizvolle Abfahrt versprechen. Zwischen uns und unsere Lücke schiebt sich jetzt das grosse Felsband. Wir umgehen es leicht an seiner untern Ecke und stehen an steiler, hartgefrorener Firnhalde. Zunächst uns, scharf an die Felsen zur Rechten anlehnend, steigen wir sachte höher, den Spuren einer voraneilenden Gemse folgend. Das Tierchen weidet schon im Kessel zwischen Gelbhorn und Bruschghorn, als wir um 1115 die Lücke 2773 betreten. Eine Aufnahme gegen Piz Tuff, dann steigen wir jenseits etwa dreissig Meter zum Carnusagletscher ab und wandern in dessen Schattenhängen gegen den Ostgrat des Bruschghorns, den wir in deutlich markiertem Sattel in der Höhe von etwa 2900 m erreichen. Eine halbstündige Sommerwanderung über breiten Schuttrücken führt uns 1225 zum Steinmann, der sich hinter hoher Wächte verbirgt.

Da findet nun die Skiwelt ihr Ende. In schaurig zerklüfteten Abstürzen verschwindet die Westwand gegen Safien hinunter. Das Turahus mit seinen wenigen Nachbarn schaut still und kalt zu uns herauf, die Talkirche ist hinter einer vorspringenden Bastion verborgen. Weiter auswärts die Häuser von Camana, die Poststrasse in einzelnen Stücken sichtbar, die baumlosen Hänge des Piz Tomül, alles so leblos und so fern und doch direkt zu unsern Füssen.

Eine volle Stunde geniessen wir den Rundblick, durch die Gipfelwächte gegen den scharfen Nordost geschützt. Die Berneralpen im fernen Dunst, dafür der Süden um so heller: Badile und Cengalo und unsere Spezialfreunde, der Ago und seine grösseren Brüder. Dahinter der Monte della Disgrazia, die Eishäupter der Bernina und Piz Roseg und weiter Ortler, Silvretta und Rätikon, lauter liebe Bekannte, die uns grüssen und beglückwünschen.

Dem Aufstieg entlang nehmen wir unseren Rückweg, und in zwei Stunden sind wir wieder bei unserer gastlichen Hütte in Tgoms.

Das Bruschghorn ist nicht nur als Kulminationspunkt, sondern speziell als Skigenuss der Gipfel des Schamser Plateaus. Skitechnische Schwierigkeiten oder irgendwelche Gefahr sind bei normalen Verhältnissen ausgeschlossen. Nach Neuschnee wird man vom Tumprivgrat etwas tiefer absteigen, um unter den Köpfen von « Sur Tuff » weg durch die Talmulde die Lücke 2773 zu erreichen.

Piz Beverin, 3002 m.

Steckt er auch seine Füsse mollig weich unter die Daunen der Obristenalp und des Nursinrückens, so ragt doch sein Gipfel als stolzer Felskegel in den blauen Äther. Und wenn auch die Schneekuppe, die gleich breitem Hermelin-kragen seine beiden Steinmänner umbrämt, Raum böte zu einem kleinern Abfahrtsrennen, so sichert sich doch das weisse Haupt gegen die Tiefe mit jähen Felsmauern. Ein Aufstieg von Osten über steile Rasenbänder muss im Winter als sehr gewagt angesehen werden. Das haben zu Beginn dieses Jahres einige Schamser Burschen erprobt, die ihren Wagemut beinahe im kühlen Lawinengrab gebüsst hätten. Trotz der überaus günstigen Schneeverhältnisse des vergangenen Winters haben die windgetriebenen Steilhalden gegen Alp Obrist nicht Stand gehalten, und mit gebrochenen Skiern und leidlich heilen Knochen mussten sich die Schiffbrüchigen mühsam durch den Schnee talwärts arbeiten. Wolltest Du Dich aber verleiten lassen, in der Fortsetzung des Nursinrückens über P. 2587 gegen P. 2770 vorzudringen, so gebietet dort ein Steilabsturz Halt und überführt Dich in flagranti der fehlenden Bergkenntnis und dilettantenhafter Draufgängerei.

So bleibt nur der Anstieg durch Alp Nursin, um in der Gratlücke mit dem Sommerweg, der von Glas herauf durch die Westflanke her einmündet, sich zu treffen. Versuchst Du den Weitermarsch durch die Felsen ohne Ski, so kann tiefer Pulverschnee im Stein oder noch auf dem Gipfelplateau Dir schwer zu schaffen machen. Auch vereiste Felsplatten mahnen zur Vorsicht.

Der Beverin ist also im Winter ernster zu nehmen als im Sommer. Gute Rekognoszierung, solide Ausrüstung sind unumgänglich, vor allem gut genagelte Schuhe oder Steigeisen. In den Märztagen werden wir eher apere Felsen treffen als um die frostigkalte Jahreswende; auch wird der Schnee den Fussgänger eher tragen.

So datieren denn meine beiden Winterbesteigungen des Piz Beverin vom März, und sie waren jeweils die einzigen des betreffenden Winters.

Am 6. März nahmen wir unsern Weg vom Maiensäss Tgoms aufwärts gegen Alp Obrist. Man steige über das Plateau « Liebsches », sich stets links ans Tobel anlehnend, bis die neue und die alte Alphütte sichtbar werden. Dann zeigt sich auch, meist durch Wildspuren markiert, der leichte Übergang übers Tobel, und in feinem Pulverschnee steigen wir in den Schatthängen gegen die Schäferhütte 2442 auf.

Auch hier wieder die täglich wiederkehrende Kameradschaft mit den Grattieren dieses Freiberges. Die Gemse zeigt Dir den Weg, sondiert für Dich den Schnee, ist Dein stets unterhaltsamer Begleiter. Hat sie in eleganten Sprüngen die Schneehalde gequert, so ist sie nur noch als schwarzer Fleck kenntlich, dunkler als das gelbe Gras, von dem sie sich kümmerlich nährt. Wenn schon sie uns nie in Reichweite herankommen lässt, so scheint sie sich doch bald von der Harmlosigkeit des Turisten zu überzeugen und tummelt sich fröhlich, oft in grossen Rudeln, über die Grate, immer wieder stillstehend, um unsere Absichten nicht aus dem Auge zu verlieren. Kaum aber haben wir unsern Picknickplatz verlassen, führen die Wildwege auch wieder dahin zurück, und wir sind erstaunt, auf dem Rückweg daselbst die Spuren einer grossen Volksversammlung zu entdecken.

Von der Schäferhütte aus halten wir uns ohne Steigungsverlust an die Hänge zur rechten und gewinnen bald eine kleine Schulter, zirka 1/2 Stunde unter genannter Passlücke. Ein Lawinenkegel, der von den Gipfelfelsen herunterläuft, lockt uns und bringt uns zu Fuss rasch aufwärts, nach dem bewährten Rezept:

« Mit Steigeisen auf dem Rücken wird Dir jeder Steilhang glücken. » So haben wir denn in der Rekordzeit von 3 1/4 Stunden den Gipfel erreicht. Vor drei Jahren verlangte die gleiche Leistung 5 1/2 Stunden. In weitem Glanz liegen die Bündner Täler und Ketten zu unseren Füssen. Schon grünt es am Heinzenberg im Domleschg, während die Bergwelt darüber noch im Winterkleide schimmert.

Auf Steigeisen rasch zu unsern Brettern zurück. Gleich Hermesflügeln tragen sie uns in einer Stunde wieder ins Quartier hinab.

Abschied.

So ward aus Abend und Morgen der letzte Tag. Den Reserverucksack haben wir abends vorher mit allem Entbehrlichen vollgestopft nach Mathon zur Post getragen. Nun nehmen wir mit leichtem Gepäck nochmals den Tobelweg unter die Füsse. Pläne behalten wir uns vor, je nach Stimmung und Wetter. Noch haben wir nur Stichproben gemacht in unserm Skihimmel, das weite Annarosabecken nur von Bergeshöhe geschaut wie weiland Moses das gelobte Land. Nicht nur aus der Karte, auch aus sommerlichen Streifereien wissen wir, dass noch reiche Freude in diesen Mulden verborgen ist. Der Übergang zum Bodenhorn, vielleicht gar ein Ausweg gegen Splügen hin locken noch als Probleme.

Doch bleischwer hat sich der Himmel verhängt, als ginge ihm der Abschied so nahe wie uns. Über der Alp kreuzen wir einen Gemsweg. Keine Tiere sind zu sehen, aber in Vorahnung des drohenden Wetterumschlages ziehen sie den Schattenhang dem zügigen Grat vor. Wir haben die normale Abfahrt von Tumpriv gegen Wergenstein, die das ganze Frühjahr noch sichern Pulverschnee bietet, links liegen lassen und stehen auf Piz Tumpriv, 2406 m. Das Rückenplateau lockt uns, trotz dem Windharst, den die letzte Nacht darüber hingegossen. Ein merkwürdiger Rücken, kreuz und quer von Gems-wegen durchfurcht, Schneehühner stieben auf vor unsern Skispitzen. Unser Weg ist markiert durch eine ganze Zeile von Steinmannen aus Tuffstein. Wie kommt dieser schwammige Stein da herauf? Besteht etwa der Piz Tuff auch aus diesem Material? Seine Flanken scheinen genau so gelb wie der Boden zu unsern Füssen, wie auch der Gipfelaufsatz am Gelbhorn. Es handelt sich wohl um einen Triaskalk, der in der Vorzeit als Gletscherboden stellenweise porös mazeriert worden ist.

Unter scharfem Wind fahren wir über Zons in den Weg, der nach Tgavugl hinaus führt, und von da in warmem Frühlingsschnee ins Dorf Wergenstein. Wir pilgern über Zillis zu Fuss nach Thusis, um noch den Abendschnell-zug zu erreichen. Warmer Föhn treibt uns talaus, von den Wänden löst sich krachend der Eispanzer. Hinter uns fegt der Schneesturm über unsere Spuren, verhüllt die Höhen, wirft neuen Flaum auf die Gefilde der Schamser Stufen für die Frühlingswanderer, die nach uns kommen.

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