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Ravetschgrat

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Die Clubgebiete unserer Tage werden so gründlich durchforscht, daß nach abgelaufener Amtsdauer eines solchen kaum ein Gipfel bleiben dürfte, der nicht erstiegen, kein Grat, der nicht überklettert, und kein „ Paß " in des Wortes verwegenster Bedeutung, der nicht überschritten worden wäre. Anders liegt die Sache bei denjenigen Clubgebieten, die in die Tage der Jünglingszeit des S.A.C. zurückreichen. Da wurde naturgemäß das Augenmerk auf hervorragende Gipfel und Paßübergänge geworfen; es bot sich den Clubisten eine solch beneidenswerte Fülle von Besteigungen dar, daß untergeordnete Partien unbeachtet blieben, die dem Clubisten von heute erlauben, oft noch recht Interessantes zu entdecken.

J. Eggermann.

Es ist gewiß auffallend, daß gerade das vielbereiste Gotthardgebiet noch, solche unausgenotzte Partien aufweist: ich erinnere nur an die Thaten des Gescheneralp-Specialisten C. Seelig. Auch mir war es vergönnt, den von Touristen jedenfalls noch nicht erstiegenen, höchsten Gipfel der Spitz11 berge, das Mütterlishorn ( 3063 m ), unter den Fuß zu bringen.

Bei den beliebten winterlichen Entdeckungsreisen auf meiner abgegriffenen Exkursionskarte für 1871 kehrte ich immer wieder zum östlichen Teil derselben zurück, und glaubte in den Gebirgsgruppen, die die Thäler Maigels, Cornera und Nalps einschließen, ein solch wenig erforschtes Gebiet zu finden. Erkundigungen, die ich bei den Jahrbüchern einzog, bestärkten mich in dieser Ansicht. Wohl sind die Hauptgipfel, Rondadura und Piz Blas, jedenfalls schon öfter erstiegen worden; aber die Kette, deren nördlichster Punkt den zungen verrenkenden Namen „ Plauncacotschnä " trägt, bis zum Passo Bornengo, schien mir ziemlich terra incognita zu sein; von einer Besteigung des Piz Ravetsch konnte ich nichts in Erfahrung bringen. Was das Interesse für diese Gegend noch besonders weckte, war, daß Professor Rütimeyer in seinem Itine-rarinm über das St. Gotthard-Massiv, pag. 37, sich folgendermaßen über dieselbe ausspricht: „ Ernst und alt, grau und zerfallen sehen die meisten Kämme aus und erreichen im östlichen Teil, im Ravetschgrat, der Gruppe von Ufiern, und vor allem in der mächtigen Kante, die in der Gruppe von Rondadura und Piz Ganneretsch gipfelt, einen Charakter von unheimlicher Rauheit und einer fast schreckhaften Wildheit, wie man ihn in den Alpen selten findet. "

Es wurde also die Werbetrommel gerührt und am 11. Sept. 1891 mit drei Freunden nach Airolo, abgefahren. In Gesehenen erwartete uns statt des telegraphisch bestellten Gamma, der anderweitig engagiert war, Frz. Senn als Führer. Der Mann sah trotz seines vorgerückten Alters ganz kernhaft aus, und zeigte sich in der Folge als ein ganz verläßlicher Führer, dem auch dieses Gebiet im großen und ganzen nicht unbekannt war. ( Zuverlässige, gebirgskundige Führer in Airolo wären sehr wünschenswert. ) Den 12 Sept ., morgens 4 Uhr 25 Min., traten wir unsere Wanderung an, die uns in das einsame, schluchtartige Val Canaria führte. „ Hier ist gegipstmehr als eine Stunde lang schreitet man durch ein Gips- band, das der brausende Thalbach eifrig bearbeitet und auszuwaschen bestrebt ist. Die mächtigen Blöcke, die im Zwielicht des anbrechenden Tages wie Gneis aussehen, lassen sich vom Pickel leicht ritzen une schaben. Weiter thalaufwärts finden sich in dem schiefrigen Gesteine eine Masse Granaten eingesprengt, eine Ausbeute zu Hunderten gewährend, ohne daß man einen Schritt vom Wege abgehen muß. Ein hübsches Bildchen bot der Rückblick thalauswärts, indem die aufsteigende Sonne den gegenüberliegenden Poncione di Vespero mit den zartesten Farben übergoß, während wir noch im tiefen Schatten der östlichen Thalwand wanderten. Um 7 Uhr 5 Min. hatten wir die letzte Hütte im Thal, La Froda, erreicht ( 1842 m ). Ein tüchtiger Schluck Milch würde herrlich geschmeckt haben, wenn von dem ungesprächigen, frostigen Burschen Bavetsehgrat.

und Beherrscher dieses Steinhaufens überhaupt etwas zu erhalten gewesen wäre; wir überschritten den Bach und stiegen hoch über demselben eine steile Schafweide hinan, begleitet und freundschaftlich angeblökt von diesen kletterkundigen Tieren, die eher Bedürfnis nach menschlicher Gesellschaft zu haben schienen, als ihr Meister in Froda.

Auf Pian Bornengo ( 2070 m An. ) wurde Frühstückshalt gemacht. Ein düsterer Thalhintergrund öffnete sich hier dem Blick. Schwarz sahen die Poncioni Negri auf uns herab, merkwürdig zerhackt die Felsen nördlich der Bocca di Cadlimo, trümmerhaft wild der nördliche Thalabschluß gegen den Passo Bornengo und die Abstürze des finstern Piz Alv und der Barbarera.

Um 8 Uhr 15 Min. setzten wir unsern Marsch fort. Zunächst ging es über eine der im Urgebirg typischen großblockigen Trümmerhalden, von denen noch keine des Bergsteigers Sympathie hat erwerben können. In der Meinung, etwas direkter unser Ziel, den Grat östlich vom Paß Bornengo zu erreichen, stiegen drei Mann den steilen Hang hinauf; aber das Fortkommnen auf dem rutschigen, faulen Terrain war kein glänzendes und wenig hätte gefehlt, die zwei andern hätten uns auf dem Grat bewillkommen können mit dem alten, aber nicht schlechten Spruch: „ E guete Chrumm ist nlid umm«< Aber wo ist nun unser Ravetsch? Geradeaus über den Gletscher hinweg ragt ein ganz respektabler Kerl in die Höhe nid möchte sich gern als Herr des Gebietes ausgeben. Aber wie wir ihm auf der Karte die Schriften abverlangten, da war er nur Punkt 2947™, Der Ravetsch aber, das mußte der schwarze, plattig abfallende Stock sein, der uns näher lag. Aber „ du bist mir nah und doch so fern ", denn dem ganzen Grat entlang zog sich ein Bergschrund, der nicht besonders anmutig aussah. Wir zogen uns nun auf den Gletscher hinaus und wollten dann von hier aus den Südwestgrat des Piz Borel zu erreichen suchen. Wie wir aber an dem Bergschrund standen, erwies sich die Sache als kaum ausführbar, da der obere Rand desselben hoch über den untern vorstand. Gemsspuren, die vom Gratrand über den Schneeschild herunterführten, verliefen am Rand des Bergschrundes plötzlich rechtwinklig längs desselben und dann wieder aufwärts. Es war also klar, was den Tieren von oben nach nnten nicht möglich war, konnten wir von unten nach oben kaum vollbringen. Also rechts geschwenkt, den Felsen zu. Das ging zuerst recht gut; eine erste Graterhöhung wurde überschritten, dann gings wieder etwas hinunter in eine Scharte. Bis jetzt war die Sache gewöhnliche Kost, jetzt gabs etwas Berg^Kaviar: eine schmale Schneide, rechts ein scharf abschießender Kamin, links unten ein Schrund. Am andern Ufer dieser Stelle gings dann wieder Stotzig und rauh hinauf, noch einmal auf schmalen Tritten um einen Kopf herum, und siehe da, mit wenigen Schritten standen wir bei einem Steinmann der allersolidesten'Bauart, in dessen Mitte eine vertikale Eisenröhre stark. Es war 1 Uhr 15 Min. Der Steinmann mußte gefeiert werden und so wurden denn die Tornister geöffnet und bald beschien die Sonne die verschiedensten herrlichen Heimlichkeiten dieser Bundesladen. Kein Zweifel, daß hier schon ein Jahrbuch des Schweizer Alpenclub. 28. Jahrg.

23 Topograph gehaust haben mußte, wenn auch schon längere Zeit darüber gegangen sein wird, daß er hier an seinem Instrument zum so und so vielten Mal einen Winkel repetierte. Der Punkt hat aber auch eine prächtige Fernsicht, besonders nach N.W. und W. bieten sich imposante Bilder: Fleckistock, Sustenhorngruppe, der mächtige Galenstock und darüber hinaus die Berner Riesen. Daß auch die eigentliche Gotthardgruppe von hier aus sich recht malerisch und ganz charakteristisch in Form und Farbe präsentiert, davon mag das nebenstehende Aquarell unseres Freundes Max Stocker zeugen.

Mehr gegen Süden wird die Aussicht dann bland; mit Ausnahme von Basòdino und Pizzo Campo Tencia vermag ja bekanntlich in der Tessiner Bergwelt keiner recht zur Geltung zu kommen. Leider war uns auf unserm relativ niedern Standpunkt der Blick nach Osten durch Piz Borel und Ravetsch abgeschnitten. Doch waren wir mit dem, was wir hatten, zufrieden und genossen den herrlichen Tag in vollen Zügen. Wohl wollte hie und da ein Wurm am Gewissen nagen, daß wir es uns hier wohl sein ließen, während unser Ziel, der Ravetsch, unbesiegt höhnisch auf uns herüberblickte. Doch sind wir heute nicht so recht vom Bergteufel besessen, sondern gar bald zu fröhlichem Behagen aufgelegt, wenn wir ein so herrliches Plätzchen, wie dieser Punkt 2875 m eins ist, erreicht haben. Die Erwägung, daß wir für den Ravetsch vielleicht noch 2 Stunden aufzuwenden hätten und des Erfolges erst nicht recht sicher wären, weil wir von hier aus die Anstiegsroute nicht überblicken konnten, und daß wir heute abend noch im Wirtshäuschen am Oberalpsee erwartet wurden, ließ uns von weiterm absehen.

Es verstrich die Zeit nur allzu schnell, es war schon 2 Uhr 45 Min., als wir zum Aufbruch gerüstet waren. Da entdeckten wir noch einen Adler, der in wellig schwebendem Flug die spärlich begrasten Halden und Flühen unter uns nach Murmeltieren oder auch geringerer Beute eifrig durchspähte und sich dann langsam gegen das Cadlimo verzog.

Den selben Weg wie zum Aufstieg benutzten wir zum Abstieg, da sich uns nichts Besseres zeigen wollte.Vorsichtig überkletterten wir den Grat, überschritten auf kurze Distanz den Gletscher und stiegen dann über wüste Moränen in den Hintergrund des Val Maigels hinab. Überaus wild und düster sieht es hier aus; trotz des hellsten Sonnenscheins, der jetzt auf dem Gletscher leuchtete und glastete und die Gegend weniger ernst erscheinen ließ, kann man sich lebhaft in das Gefühl hineindenken, welchem Hoffmann-Burckhardt im Jahrbuch VII, pag. 112, Worte leiht, als er in nebeltrüber Witterung auf dem Maigelspaß stand.

„ Mächtige Gletscherzungen strecken sich weit hinab von den ruinenhaften, altersgrauen Felsgebäuden; schreckhaft verwildert und öde sieht alles aus und es ergriff mich lebhaft das Gefühl der Verlassenheit Trümmer, Geröll, Zerfall überall; alles ist grau, das Gestein, das Wasser, die kaum vom Schnee entlasteten, spärlichen Grashalden. Uns gegenüber erhob sich schroff und schreckhaft zerrissen der Piz Ravetsch, und hinab und hinaus dem Felsgrat entlang stieg Spitze an Spitze ein unheimliches Heer wüster, unfreundlicher Gesellen in den grauen Nebel empor. "

Der Führer drängte, er befürchtete in der Dunkelheit im Val Surpalix den Bachübergang nicht zu treffen, was einen ziemlichen Umweg zur Folge haben könnte. An den Abhängen des Piz Cavradi wimmelte es von weidendem Vieh, das von den romanischen Hirten mit eigentümlichen Rufen zusammengetrieben wurde. Am Fuße dieses Piz liegen zwei Seen, Lago Maigels und Lago de Siarra, nahe bei einander auf der Wasserscheide; der erstere ergießt sein Abflußwasser in den Maigelsbach und mit demselben südöstlich vom Piz Cavradi ins Val Cornera; der Abfluß des Lago de Siarra wendet sich nördlich in die Palidulscha, biegt dort aber plötzlich mit dem Abfluß des Lago di Toma rechtwinklig ab in eine Seitenschlucht, es einem andern Wässerlein, das in dem Sumpfboden der Palidulscha sich sammelt, überlassend, seinen von Rechts wegen ihm zugehörigen Lauf einzuschlagen. Merkwürdige Wasserscheide-Verhältnisse.

Es dämmerte stark, das Marschieren artete bald in ein Wettrennen aus; vorbeistürmend an den Hütten von Tgietlems und an dem steinigen, steilen, mit knorrigem Alpenrosengebüsch bewachsenen östlichen Abhang des Piz Nurschallas hinstolpernd, erreichten wir an der richtigen Stelle den Bach im Val Surpalix und jenseits die Kehren der Oberalpstraße. Die 5i4 Stunden von hier auf der staubigen Straße, vorbei an den fremdartig aus dem Dunkeln starrenden Blockhäusern der Oberalp, entlang dem schwarz und still daliegenden See bis zum ersehnten Wirtshäuschen schienen uns ums Doppelte gedehnt. Um 8 Uhr zogen wir dort ein. Gegen 10 Uhr langten dann unsere erwarteten Freunde ein, die mit mir die Dépendance, den Heustock bezogen, während meinen Begleitern neidlos die drei dumpfigen Hotelzimmer überlassen wurden. Es ist übrigens nebenan ein größerer Neubau aufgeführt, der nächstes Jahr ( 1892 ) eröffnet werden soll. Die Gebäulichkeiten stehen etwas vor dem Oberalpsee am vordem Fellibach.

Am nächsten Morgen stob die ganze Gesellschaft auseinander; eine Partie bestieg den Six Madun, einer bummelte auf den Calmot und dann hinunter nach Tschamut und Dissentis, der Rest, Max und ich, bummelte gemächlich gegen die Strahlbodenalp hinauf und über die aussichtsreiche Terrasse des Großbodens dem Gütsch zu, einem überaus schönen Punkt, der von Andermatt bequem in 2 Stunden erreicht werden kann. Ein opulentes Znüni sollte hier eingenommen werden, fiel aber bedenklich mager aus, da ich meinen prächtigen Braten auf dem Ravetsch-g'rat liegen gelassen hatte, welche Entdeckung ich erst jetzt machte. Um so eher waren wir wieder auf den Beinen, senkten uns gegen die Klauserlialp hinunter ( eine Hütte, wie sie die Karte angiebt, war nicht zu finden ), entdeckten nun einen Weg, der uns zu der elenden Steinhütte „ auf der Falle " führte und dann steil hinunter ins wilde Rienthal. Außerhalb des engen, felsigen Ausgangs dieser Schlucht setzten wir über den Bach, überschritten die Gotthard-Reuß auf solidem Steg hart vor ihrer Vereinigung mit der Geschener-Reuß ( hübsche Partie ) und stiegen auf gutem Pfad hinauf zum Bahnhof Gesehenen.

J. Eggermann ( Sektion Pilatus ).

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