Scheienfluh-SW-Wand | Club Alpino Svizzero CAS
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Scheienfluh-SW-Wand

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VON HEIDI SYFRIG, ZÜRICH

Abends um acht Uhr holen wir dich mit dem Auto ab, Eugen und Franz kommen mit in die Scheienfluh, lautete Albins « Marschbefehl ».

Noch völlig unbeschwert packe ich am Freitagabend den Rucksack. Eugen und ganz besonders Franz, der den direkten Ausstieg der Wand eröffnet hat, nehmen sich meiner Ahnungslosigkeit an. Ihre Rede wimmelt von Dächern, überhängenden Verschneidungen und Rückzügen berühmter Kletterer. Um die Schwierigkeiten besonders drastisch aufzuzeigen, beginnen sie « unsere Wand » gar mit den Nordwänden der Zinnen und anderen Dolomitendelikatessen zu vergleichen. So heimtückisch sollen sie aber meine Moral nicht untergraben können! Ich polstere eine Ecke des Autos mit der Daunenjacke und versuche zu schlafen, bis wir in Partnun sind, wird 's mindestens Mitternacht, und die Tagwacht ist bereits auf vier Uhr angesetzt.

Am Morgen wird die taktische Zermürbung weiter betrieben. Im Spurt geht 's zum Einstieg, dort bleibt dafür reichlich Zeit, über die unmöglichen Kletterstellen der drohend in die Morgendämmerung aufschiessenden Wand zu diskutieren. Fröstelnd betrachte ich die Route, der Nacken wird steif vom Zurückbiegen und die 300 Meter Fels legen sich schwer auf Magen und Gemüt.

Zwischen den beiden grossen Dächern hat 's ein brauchbares Biwackband, wir denken dann in der warmen Hütte an euch, wenn ihr dort oben schlottert, hänseln Franz und Eugen noch, ehe sie die erste Seillänge in Angriff nehmen. Sie zweifeln stark an meinen Kletterkünsten und an Albins Zurechnungsfähigkeit. Je länger ich die Wand betrachte, um so berechtigter scheinen auch mir ihre Zweifel.

Zum Meditieren bleibt reichlich Zeit. Schon über eine Stunde sitze ich auf dem Standplatz hinter dem brüchigen Einstiegband. Die anderen sind längst um eine Ecke verschwunden. Von Zeit zu Zeit klingen Hammerschläge herüber; hoffentlich schlagen die zwei Spötter nicht zu viele Haken in den Fels, denn ich bin dazu verknurrt, die Stifte wieder herauszuklopfen. Der Himmel deckt sich mit Wolken, es wird empfindlich kühl, aus der Wand tropft Wasser. Wenn es nur regnen würde! Solch ketzerische Gedanken beginnen sich in meinem Hirn einzunisten; die Früchte des Nerven-krieges.

Endlich ertönt das erlösende « Nachkommen ». Die Kletterei bis zum nächsten Standplatz erwärmt die Knochen wieder. Auf den Fersen von Franz verschwindet Albin in einer überhängenden Verschneidung. Er verspricht, die Strickleitern an strategisch wichtigen Punkten hängen zu lassen, deshalb kann ich nachsteigen, ohne die Luft oder die Hosensäcke als Tritte benützen zu müssen.

Ein Quergang, von dem die Männer tückisch behaupten, er sei einfach, führt zu den Hauptschwierigkeiten der Tour: zwei Seillängen in einer Verschneidung, anschliessend ein Riesendach. Wenn man Albin beim Klettern zusieht, scheint alles leicht! Griffe und Tritte wachsen unter seinen Händen und Füssen direkt aus dem Fels. Er steigt so rasch, dass wir mit all meinem Gezappel den Anschluss an die erste Seilschaft nicht verlieren. Wenn ich aber die selben Felsvorsprünge benützen will, sind sie lächerlich klein oder überhaupt verschwunden.

Ich hätte gar nichts dagegen, jene Hakenleiter vorzufinden, die nach Ansicht « klassischer Bergsteiger » extreme Routen auszeichnet. Höchstens ein Riese mit Viermeterarmen könnte hier von Haken zu Haken steigen. Seit Minuten klebe ich jetzt bereits an der Wand ( dass man überhaupt so lange auf so kleinen Vorsprüngen stehen kann ), die linke Hand ist in einem Riss verknorzt, mit der rechten klopfe ich verzweifelt an einem widerspenstigen Haken herum. Von oben regnet es weise Ratschläge über die Technik des Hakenherausschiagens, und ich belle wütende Kommentare über Nichtbeteiligte, die das Maul zu halten haben, hinauf. Auf dem Gipfel werden mir die Herren genau vorrechnen, wieviele Stifte und Holzkeile auf meinem Schuldkonto zu verbuchen sind...

Mit Streckübungen erreiche ich den nächsten Griff. Ein Ruck - und ich wäre 50 cm höher und der erlösende Karabiner in Reichweite. Der Griff aber, empört über die unsanfte Behandlung, bleibt mir in den Fingern. Statt beim sicheren Haken zu stehen, strample ich links davon an der glatten Wand. Ich versuche es mit einem kläglichen: « Albin zieh! » - Um die Zweite am Seil nicht zu stark zu verwöhnen, werden solche Hilferufe prinzipiell nicht berücksichtigt. Ewig kann man nicht am Bauch aufgehängt weiter strampeln, also klettere ich zur Abwechslung wieder höher.

Wir stehen unter dem ersten Dach. Eben verschwinden Eugens Schuhsohlen über der Begrenzungskante, und Franz macht sich zum Nachsteigen bereit. Mitten im Überhang reisst plötzlich eine Holzkeilschlinge, und Franz pendelt in elegantem Schwung in die glatten Platten hinaus. Er lässt sich hin und her schaukeln, bis Albin ihn am Ärmel erwischt und ganz zum Stand herüberziehen kann. Die Tatsache, dass das Dach noch vor mir liegt, verhindert den vollen Genuss des Schauspiels. Einen recht greifbaren Vorteil hat aber der Zwischenfall trotz allem. Die Herren beschliessen, den Rucksack aufzuziehen - und bei dieser Gelegenheit kann ich meinen auch gleich mitschicken!

Ein neuer Holzkeil, den man sogar stecken lassen darf, wird geschlagen, und dann verschwinden auch die Beine von Franz und Albin über die Dachkante.

Mit einem ungemütlichen Kribbeln in der Magengegend rutsche ich im nassen Riss, der zum eigentlichen Dach führt, höher. Misstrauisch wird jeder Holzkeil beäugt; wenn er nicht hält, zieht mich niemand mehr zum Standplatz zurück.

Der zweite Biwakplatz der Erstbegeher ist mit vier Personen sehr überfüllt. Deshalb macht sich die erste Seilschaft auch gleich an die Dachausgabe Nummer Zwei. Albin und ich klappern auf dem schmalen Band noch eine Weile mit den Zähnen. Der Gedanke, hier zu übernachten ist gar nicht verlockend. Sobald der Riss frei ist, klettern wir schleunigst nach. Kurz vor dem Einnachten stehen wir auf dem Gipfel.

Von hinten führt eine Skiroute auf die Scheienfluh. Konventionelle Bergsteiger werden sich an den Kopf greifen und fragen: Warum steigen diese Spinner über die SW-Wand auf den Gipfel? WarumNun: Weil sie da ist und weil 's riesig Spass macht!

Weniger Spass macht die Strafaufgabe zu der ich verknurrt wurde. Nach der Schulreise kommt der Aufsatz, nach der Tour der Tourenbericht. Alles Sträuben hilft nichts, das Ultimatum lautet, wenn du keinen Bericht schreibst, wirst du nicht mehr mitgenommen.

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