Tafanata di Paliri (Korsika) | Club Alpino Svizzero CAS
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Tafanata di Paliri (Korsika)

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VON MAX PERRET, RORSCHACH

Mit 4 Bildern ( 53-56 ) Es verging etliche Zeit, bis die Helligkeit in mein Bewusstsein drang; aber dann siegte doch der Wille, und mein Blick erfasste auch an diesem Morgen als erstes das sonnenbeschienene Zeltdach. Ich krieche mit meinen Siebensachen aus der Behausung und freue mich wie jeden Tag an der urwüchsigen Landschaft, den mächtigen Kiefern mit ihren flachen, weitausladenden Kronen und am Ausblick auf die zerklüfteten Gipfel der korsischen Bergwelt.

Es ist Sonntag. Für uns ein Tag wie die vorangegangenen, die wir schon im Kletterparadies rund um den Bavellapass auf etwa 1200 Meter il. M. verbringen durften. Peter Diener, unser Führer, sitzt vor seinem Zelt. Er hat die Morgenstille ausgiebig genossen und wartet auf seine Kundschaft, wahrscheinlich überlegend, warum diese bei dem herrlichen Wetter noch so lange der Ruhe bedürfe. Aber mit der Zeit hat auch der letzte Kamerad den Reissverschluss seines Zeltes betätigt, und nach dem erfrischenden Frühstück sind alle zu einem Abenteuer bereit.

Ohne Eile durchschreiten wir in südöstlicher Richtung den Wald. Weidende Rinder flüchten vor unserer buntfarbenen Gesellschaft. Von Waldbränden verkohlte Baumstrünke liegen am Wege, andere wiederum strecken, der Rinde beraubt, ihr kahles, weisses Geäst gegen den blauen Himmel. Das Wasser des Baches, den wir überqueren, ist klar bis auf den Grund, mit silbern spiegelnder Oberfläche. Gegen Osten leicht ansteigend, folgen wir einer schwach ausgetretenen Wegspur, den Rückweg mit kleinen Steinmannli sichernd. Durch den lichten Wald schweift unser Blick ins Tal, über die sich verflachenden Höhen bis hinaus zur Ostküste, wo sich Wasser und Himmel in fahlem Blau verlieren. Ein eigenartiger Duft liegt über der Landschaft; üppiges Gesträuch, aus dem hervortretend die abgestorbenen bleichen Zweige ihr Dasein zu behaupten versuchen, und die bizarren, von der Sonne rötlichgelb verfärbten Felsformationen geben ihr ihren besondern Reiz. Noch einige Kehren, und wir stehen auf der Gratschneide. Doch wie weit entfernt ist unser Ziel! Zuviel Unbekanntes liegt noch dazwischen, als dass wir uns dem Nichtstun inmitten dieser grossen Weite und Stille hingeben könnten.

Peter mahnt zum Weitergehen. Zuerst geht 's der nördlichen Bergflanke entlang in abwechselndem Auf und Ab, einmal links, einmal rechts die verschiedensten Hindernisse umgehend. Überraschend folgen ein steiler Abstieg und der Wechsel auf die heisse Südseite. Der Weiterweg gleicht der Wanderung durch einen beinahe tropischen Gebirgsgarten. Nach etwa einer Stunde erreichen wir eine Scharte und stehen jetzt am Fusse unseres Zieles, der Tafonata di Paliri. Während wir rasten und uns stärken, forscht Peter eifrig nach dem mutmasslichen Einstieg. Nach geraumer Zeit glaubt er die richtige Stelle gefunden zu haben. Die Säcke werden zurückgelassen. Es kann losgehen! Während die ersten Seilschaften, einem Querriss folgend, hinter einem Wulst verschwinden, bleibt uns als letztem Team noch genügend Zeit, die unzähligen nahen und fernen Gipfel zu überschauen. Heiss scheint die Sonne, kein Lüftchen regt sich, als auch wir, noch etwas lahm und ohne Begeisterung, die erste Seillänge in Angriff nehmen. Meine Kameraden stemmen sich ein breites Kamin hinauf, während Peter bereits unsern Blicken entschwunden ist. Da kommt überraschend von oben die Meldung: « Alles zurück! » Gar so eilig folgen wir diesem Befehl auch wieder nicht, denn wer weiss, ob oben an der Spitze nicht doch noch der notwendige Griff gefunden wird. Aber schliesslich scheint es doch, die Fortsetzung der Kletterei sei in Anbetracht der Teilnehmerzahl ein zu grosses Wagnis. Es muss eine andere Route gefunden werden!

Die Mittagsstunde ist längst vorbei. Wir stehen wiederum als letzte am Einstieg und haben das Vergnügen, unsere Vorgänger in der Verschneidung und beim nachfolgenden Spreizschritt in ein metergrosses Erosionsloch zu beobachten.

Obschon die Hitze noch nicht nachgelassen hat, sind wir voller Tatendrang; denn was uns bevorsteht, ist vollendete Genusskletterei in bruchfestem, in Gestalt und Rauheit vortrefflichem Fels. Im Vertrauen auf unseren Führer, der alle nur erdenklichen Sicherungsmassnahmen trifft, packen auch wir diese Seillänge an. Von weit oben vernehmen wir Stimmen und das Singen eines gequälten Nagels. Dort wird Schwerarbeit geleistet, während wir hinterher nur noch die Karabiner ein- und auszuklinken haben. Bei jeder geglückten Seillänge verstärkt sich unsere Hoffnung, dass wir diesmal ohne Rückzug durchkommen werden; dies um so mehr, als nach Überwindung einer mit dichtem Gestrüpp ausgefüllten Rinne die Schwierigkeiten erheblich nachlassen. Wir streben gemeinsam in leichter Kletterei dem Gipfel zu. Aber welche Enttäuschung! Noch bevor wir ihn ganz erreichen, ahne ich etwas... Schon die Ruhe und der Umstand, dass uns nur zwei Kameraden - und zudem noch in vollem Kriegsschmuck - auf dem vermeintlichen Gipfel erwarten, bestärkt mich in meiner Vorahnung. Oben klärt sich die Lage: Vor uns liegt ein noch unübersehbarer, sich nach Osten ziehender Grat, an dessen Ende sich erst der eigentliche Gipfel aufschwingt. Deshalb sind die zwei vordersten Partien bereits weitergeklettert, ohne unsere Ankunft auf dem Vorgipfel, dem nördlichen Ausläufer der Tafonata di Paliri, abzuwarten. In Anbetracht des nahen Abends ist jedes Reden Zeitverschwendung. Nichts wie weiter! Nach einer halben Stunde erreichen wir unsere Kameraden beim Abseilen in eine Gratsenkung. Schnell das Seil auf und im Dülfer hinunter - Seil anziehen und weiter! Schon stehen wir vor dem Gipfelaufbau. Der anfangs lang erschienene Grat hat sich doch als harmlos und kürzer erwiesen, und das letzte Hindernis wird nicht mehr allzuviel Zeit in Anspruch nehmen. In mittelschwerer Kletterei gelangen wir in eine Scharte, dann über eine hinausdrängende Stufe auf die breite Rampe. Noch einmal halten wir Rückschau über den soeben begangenen Grat hinaus bis zu den unzähligen in fahlem Violett erscheinenden Zacken und Türmen der langen Palirikette. Wir haben genügend Zeit, diese vielfältigen Eindrücke in uns aufzunehmen, denn der letzte, mit allen « Schikanen » reich ausgestattete Aufschwung beansprucht die volle Aufmerksamkeit unserer Vorgänger.

Endlich steigen auch wir nach. Der rauhe Granit ist gutgriffig, jedoch steil und ausgesetzt, ein buntes Gemenge dünnwandiger, geschwungener Rippen, schmaler Stege und Löcher jeglicher Grössenordnung. Es folgt die letzte und zugleich eindrücklichste Seillänge. Bald drücken wir unsern Kameraden die Hand und gratulieren vor allem Peter für seine überzeugende Führerarbeit und den geglückten Erstdurchstieg direkt auf den Grat. Dieses Erlebnis wird auch unserm Geburtstagskind stets in Erinnerung bleiben, um so mehr, als speziell aus diesem Grunde eine Flasche köstlichen Korser Weines den Weg zum Gipfel im Rucksack unseres Führers mitmachte.

Nur zu bald ist es Zeit zum Aufbruch. Die attraktive 40-Meter-Abseilstelle wird vielen unvergesslich bleiben. Auf einem vorstehenden Simse stehend, fragt sich wohl jeder, wie diese Klippe schadlos zu überwinden sei. Dem Vorsichtigen wie dem Draufgänger bleiben dabei « Tapeten-schäden » nicht erspart, die sich jedoch erst später beim Strandleben in vollem Umfang offenbaren. Aber trotz der vielen Risse, Ecken und rauhen Kanten lässt sich das Seil zur allgemeinen Erleichterung gut abziehen.

Inzwischen ist die Sonne verschwunden. Wir halten Ausschau nach einem möglichst direkten Abstieg auf die Südseite. In einer mit Absätzen und allem möglichen Gebüsch durchsetzten Rinne geht 's hinunter. Dorniges, an Stein und Fels wucherndes Gestrüpp entlockt uns ab und zu nicht sehr salonfähige Ausdrücke; wir kommen aber doch rasch vorwärts. Ein letztes Hindernis, nochmals Abseilen—wir haben 's geschafft Dann folgt der Rückmarsch zu den Säcken. Über Blöcke hinauf und hinunter, uns durch Gebüsch und Felseinschnitte zwängend, bringen wir auch diesen Teil hinter uns. Alles Flüssige wird einverleibt und auch die nur angezapfte Gipfelflasche ihrer Bestimmung zugeführt. Peter verliert keine Zeit. Weil es schon spät geworden ist, eilt er voraus, um die Daheimgebliebenen von allfälligen Befürchtungen zu erlösen. Der Ehrgeiz, den Vorsprung Peters nicht allzusehr anwachsen zu lassen, beflügelt auch unsere Schritte. In den Schläfen hämmert 's, die Kehle ist trocken; aber bald erkennen wir die ersten Steinmannli, die gut markierte Abzweigung, und das Plätschern des Baches dringt ans Ohr. Die Dämmerung verstärkt sich; bald wird es Nacht sein. Wir alle aber empfinden eine grosse Befriedigung und Genugtuung.

Zwischen den dunkeln Konturen zweier Gipfel des Palirigrates schiebt sich der Mond herauf, und sein fahles Licht geleitet uns zurück zum Bavellapass.

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