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Verkappte Rätoromanen

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Von Manfred Szadrowsky

( Chur ).

Unsichere Tritte.

Der Zernezer Fussweg Truoi trid kann uns auf die Spur verwandelter Namen führen. Neben einem verbreiteten Wort für « Weglein, Pfad » ( in deutschem Munde lautet es Troia, Treia ) steht hier das Eigenschaftswort trid, trit « hässlich ». Tritt heissen im Deutschbünden gefährliche oder be- schwerliche Felsensteige und Weglein: da und dort kann jenes romanische Eigenschaftswort dahinter stecken wie im Zernezer Namen Truoi trid. Zum Beispiel von Igis führt ein Trittweg nach Valzeina hinüber. Dort und in Mastrils sind Wälder des Namens Trittwald, in St. Martin im Lugnez ein Trittlerwald: sie konnten einst God trid heissen wie Wälder in Savognin, Scanfs, Sent. Val di Trit in Ausserferrera ( Wald ) schliesst sich der Fügung nach am besten an einen walserischen Tritt an; der kann seinerseits freilich auf einen noch früheren romanischen Namen mit trid, trit zurückgehen. Val trida in Sent ist ein kleines Bachtal. Samnaun hat eine Alp trida. Weide und Alp Tritt, ferner ein Trittälpli und ein Trittobel sind in Furna, Weiden Tritt und Trittola in Luzein, eine Alpweide Tritt in Schiers. In Avers ist Tritt eine Bergwiese mit Wald, Tritili ein Wegstück. Nach Wegen und Weglein sind manchmal auch Weiden und Alpteile benannt, also auch etwa nach einem Tritt, so gut wie nach einem Tröua, Treia. Man kann sich da im Deuten versteigen wie auf einem Bösen Tritt. Ein solcher ist zum Beispiel in Avers, Mutten, Malix, Untervaz, ein Böschatrittwäg in St. Martin. Böser Tritt lebt als Name auch in Grindelwald, im Lötschental, im Pommât; in Frutigen heisst eine missliche Stelle auf einem Alpfussweg Bärentritt, wie ein Fels an der Landwasserstrasse unterhalb Wiesen. Tritt für gefährliche Steige oder Stellen und Bösa Tritt haben die Walser sicher mitgebracht, da und dort vielleicht einen Truoi trid damit verdeutscht.

Beiläufig noch etwas: ein Böser Tritt kann, wenn auch ganz deutsch, noch einen andern rätoromanischen Vorfahren haben, nämlich einen Mal Pass ( so heissen Wege oder Wegstücke in Vrin, Weiden oder Wiesen in Trins, Duvin, Somvix, Sur ) oder einen Pass mal ( so heissen ein Alpweg in Pignieu, eine Stelle an der Schinstrasse, eine Bergwiese in Klosters ). Doch von Namenübersetzungen soll jetzt nicht die Rede sein, sondern von Umdeutungen.

Helmliche Stauden und Bäume.

Tamins hat eine Alpweide Galaboda, Zizers einen Wald Gel Hag, Fläsch einen Weinberg in da gäla Täfla, Luzein eine Gelatola. Über « gelbe » Farbe war mit solchen Namen ursprünglich nichts ausgesagt ( natürlich gibt es auch Namen mit echtem Gelb ). Auf den Ursprung, nämlich rätoromanisch runcaglia « Rodung » ( Ableitung von riinca Rodeland und rimcar « roden » ) oder caglia « Strauch, Staude, Busch » weisen Gaila und Beten Geila in Luzein, Gälia in Malix, Gällawald und Gällagrind in Valzeina und das hübsch zu gäl « gelb » hinüberführende Under Gala, das 1681 in Fideris urkundlich vorkommt, wo noch heute ein Maiensäss Runggalia, Raggälja besteht.

Zu den üppigsten Stauden gehören die Alpenerlen, die mit einem keltischen Namen im Rätoromanischen draus, draussa, drossa heissen, im Alemannischen Dröse, Tröse. Allenthalben in den romanischen Gegenden Graubündens wuchern denn auch Flurnamen wie Draus, Sil Draus, Plaunca dil Draus, Uaul dil Draus, La Drosa, Las Drosas; auch in den deutschen Talschaften kommt Draus, Dros, Drös vor. Wahrscheinlich sind aus solchen « Dros»-Namen manchenorts « Ross»-Namen entstanden ( natürlich haben zahlreiche Namen, wie Rossweid, Rossboden wirklich mit Rossen zu tun ). Mit dem Rosswald von Tenna vergleiche man etwa den Tobelnamen Val Draus von Laax, urkundlich 1543 Wauldraus, mit der Rosshalta von Obersaxen etwa die Pleurica dil Draus von Brigels und den Droswang von Tschappina. In Somvix heisst eine Alpweide Drausboden und auch Rossboden: diese Doppelheit bei einer und derselben Alpweide ist aufschlussreich, ein Schlüssel zur Einsicht in andere « Ross»-Namen. Die Weide Rosslaboda in Mutten gehört wohl nicht minder in diesen Zusammenhang als Drousla, uf da Drousel-tena in Avers. Mit Vorbehalt darf sich auch die merkwürdige Verdrusshalde von Tamins melden, solange man ihr keine bessere Erklärung verschafft: Val Draus ( wie in Laax ) kann dahinter stecken.

Da können auch, mit Verlaub, zwei bündnerische « Rossärsche » ehrenhaft gemacht werden, nämlich die Alpweiden Rossarsch in Tenna und in Safien. Seien sie als iîoss-Weiden benutzt worden oder dem Dros, dem Alpenerlen-gebüsch, abgekämpft worden, der zweite Teil des Namens muss nicht an-rüchig sein ( er kann es immerhin, wie ja auch romanische Namen mit tgil, chül nicht fehlen, zum Beispiel in Zuoz, Sils ), so wenig wie das felsige Gelände Arsch in Avers. Ein paar Blicke auf rätoromanische Talschaften lassen erkennen, wie überaus häufig das Mittelwort ars « verbrannt » als Name auftritt: die Orte sind dem Sonnenbrand sehr ausgesetzt, oder Wald ist niedergebrannt oder Weide durch Brandrodung gewonnen worden. Vor allem Drosbeständen rückt man mit Axt und Feuer zuleibe. Ars als Namen haben zum Beispiel Scheid, Ferrera, Fuldera, Valcava, Münster, Remüs, Sent, Schuls, Fetan, Tarasp, Zernez, Scanfs. Wie Paspels einen Wald Vold ars besitzt, Cazis einen Vauld ars, Rhäzüns einen Vaul ars ( mit dem alten deutschen Lehnwort Vold, Vauld, Vaul = Wald ), so auch noch das walserische Says Wald und Weide Valdarsch.

Im Haldensteiner Wald Arschmarter scheint mit solchem Ars, Arsch der ebenfalls häufige Name Mortér, Murtér verbunden. Der verbirgt sich vielleicht auch im Morderloch von Klosters. Mit Mortér, Murtér und Ableitungen davon sind im Engadin, im obern Bergeil und im Flussgebiet der Albula sehr oft Alpweiden benannt. Nach dem Klubführer durch die Bündner Alpen, Band 5, S. 357, wird das Wort in Zernez noch halb appellativ, als Begriffswort gebraucht für « die höchsten Bergweiden für Jungvieh, meist unmittelbar unter den Felsen », auch in Bergün für « hohe Weiden unmittelbar unter den Gletschern »; in Urkunden des 16. Jahrhunderts erscheint mortarium « Mörser » ( und dann wohl « Weide in einer Talmulde, in einem Bergschlund » ) im Sinne von « Alpweide » und schon 1335 « mortarium de Fedes » für Alpen im Fextal.

Schilischärsch zu Seewis im Prättigau lässt wiederum etwas « Verbranntes » wittern, etwa caglias arsas, ein Gegenstück zum Trimmiser Dorfteil Brennta-studa.

Ebenfalls Stauden, aber grüne, caglias verdas, oder alte, caglias vederas, lassen der Felsberger Waldname Tschilwäderlis und der Obersaxer Maiensässname Schiliwart durchblicken ( caglia wurde einst in ganz Bünden mit Quetsch-laut gesprochen, nicht mit k-, später die Aussprache mit k- im Oberland wieder hergestellt ).

Mehrere Walser Mundarten, zum Beispiel die von Safien, Vals, Rheinwald, Obersaxen, brauchen ein Wort SUffa, Süfa für « Johannisbeere », das man mit der engadinischen Bezeichnung uzua und ähnlichen Formen in Zusammenhang bringt. Man wird gut tun, wenn man bei einem Namen wie Süfaturra in Vals nicht ohne weiteres in der Phantasie dem Anklang an süffen « saufen » recht gibt, sondern auch an wildwachsende Johannisbeersträucher denkt. Im Namen Sufs, Soufs zu Lüen im Schanfigg steckt dagegen lateinisch jugurn « Joch, Bergsattel », was in Filisur, Alvaneu, Lenz souf, sauf ergeben hat; aus dem anlautendenist stimmhaftes s- geworden. Tavetsch hat dasselbe Wort im Gadenstattnamen Giuv, Ems im Maiensässnamen Giuv; « deutsch » lautet er Jux. In Avers ist Juf, Jof daraus geworden. Aus Giuv, dessen Anlaut ungefähr dj- lautet, konnte auch in deutschen Gegenden des Oberlandes, wie im Schanfigg, Säf werden. Übrigens wäre auch bei einem ganz deutschen Süfboda ( so heisst eine Waldlichtung mit Weide in Tenna ) und ähnlichen Namen nicht gleich ans Saufen zu denken. Es kann Boden gemeint sein, der Wasser aufsaugt, oder ein Tränkeplatz für das Vieh. Säffa, Süffi ist bei Waisern Käsemilch, Schotte. Dieses unschuldige Getränk oder auch Suppe süfft man, d.h. man löffelt sie aus, und ganz ohne Anstoss braucht man süffen für « trinken », wie auch im Wallis, im Berner Oberland, in der Innerschweiz.

Wo Eschen wachsen oder wuchsen, heissen Fluren oder Dorfteile Fraissen, so in Cumbels, Villa, Igels, Schleuis, Laax, Sagens, auch im deutschen Valendas, Frdssen, so in Ems, Fressen, so in Feldis. Darum hat Untervaz ein Fressguoi. Auch der urkundliche Freisbcrg von Chur kann sich anreihen, falls er nicht mit « peinlichem Gericht » zu tun hat oder sonstwie mit dem altdeutschen Wort vreise « Gefahr, Not, Schrecken, Ungestüm der tobenden Elemente ». Seewis im Prättigau hat einen Wildheuplatz in da Fräscha ( und eine Alpweide Fräschascälas ). In da Frosch, Name einer Gadenstatt in St. Antonien, hat etwas Neues daraus gemacht, ähnlich in da Fröschji, Alp und Wald in Langwies. Was die St. Antönier und Kübliser in da Frosch nennen, heisst übrigens auch und wohl ursprünglicher Fröschenéi: das bedeutete « Eschen-bestand, Eschenwald », wie Frasné, Frascnéi in Vicosoprano ( lateinisch fraxi-netum, Kollektivum zu fraxinus « Esche » ). Fraschnéi, Fröschenéi konnte in alemannischem Munde den Ton auf den Anfang verlegen; für die Phantasie war dann kein weiter Sprung mehr zu Fröscliji « Fröschlein ». Ob wirklich Frösche die Weidenamen Fröschaboda in Avers und Fröschagruoba in Tschappina, den Flurnamen Froscharein in Masein und andere « Frosch»-Flurnamen begründet haben, das ist nicht so sicher, wie es scheint.

Knie im Röhricht.

Allenthalben kann eine knieförmige Ein- oder Ausbiegung eines Weges oder eines Wasserlaufes den Namen Chnü(w ), Chneu(w ) erhalten. Das Schweizerische Idiotikon hat Beispiele aus Gegenden vom Appenzellerland bis in die Innerschweiz und ins Bernbiet. Auch in Graubünden ist da und dort ein Chneu(w ). Splügen hat Magerwiesen des Namens ober und under Chneu und einen Chneuwald, die Landschaft Davos Bergwiesen Chnöübüelen.

Nicht an allen Orten ist aber ein « Knie » gemeint oder ursprünglich gemeint gewesen. Besonders wenn ausdrücklich feuchter oder magerer Boden bezeugt ist, kommt eine andere Herkunft des Namens in Frage. Gar zu leicht konnte ja ein Kneu, Chneu an die Stelle eines altern Caneu treten. Das entspricht einem lateinischen cannetum, zu canna « Rohr, Schilf », und kommt vielfach als Bezeichnung für Orte vor, wo Schilfrohr wächst oder wo einst ein Röhricht war. Zum Beispiel im Puschlav haben einige Teile des Seeufers Namen, die dieses Caneu enthalten: Caneu Meschin, Caneu da Scimingot, auch Caneu d' ini und da ƒ o für eine Halbinsel. Caneu steht auch im Namenverzeichnis von Waltensburg und Duvin; Canei ist Name einer Gadenstatt in Somvix. Auch in deutschen Gegenden besteht der romanische Name fort: Felsberg hat einen Acker Caneu. Der romanischen Namensform Canéi entsprechen im Prättigau Cani mit Canitobel,bach,sand und Canierbad in Seewis, Cania in Fanas, ferner im Schanfigg Cania in Molinis, in der Herrschaft Cani zu Maienfeld, alles auf der zweiten Silbe betont. Derselbe Name mit deutschem Anfangston ist wohl Ganni in Vals, obwohl es jetzt eine Fettwiese ist.

Verwandelte Wiesen.

Ein schlichtes grünes Wieslein, rätoromanisch pardéll, pardi, ist wohl das eine und andere bündnerische Paradies gewesen. Nicht dass alle Paradiese in ihrem echt paradiesischen Ursprung zu bezweifeln wären. Etwa ein Fläscher Weinberg mag mit dem Namen geehrt worden sein. In Pontresina führen felsige Hänge als S-chéla dal Paradis « Paradiesleiter,treppe » zum Paradis hinauf, das auf einem Bergkopf liegt, vielleicht früher ganz sachlich Pardis « Wieslein », Mehrzahl der Verkleinerungsform, wie auch der Wiesenname Pardis in Alvaschein, Pradés in Schieins und Remüs, der Maiensässname Pardéls in Klosters und Conters. Noch häufiger ist die Einzahl Pradé, Pardi, Prad'i, Pardi « Wieslein ». Von der Zapport-Klubhütte aus sieht man über dem Ursprung, wo der Hinterrhein aus dem Gletscher bricht und durch Felstrümmer rauscht, jenseits des Wassers einen Grashang, eine Alpweide, Paradis, und im Gletscher eine auch zum Teil begraste Felseninsel, Paradis-Chöpf: die Rasenflecken und jene kleine Alpweide wurden wohl einst ganz einfach als die zwei Pardis « Wieslein » bezeichnet. Der freundliche Gegensatz der Gras- und Blumenbereiche zu Fels, Schutt und Eis schuf dann ein Paradies daraus. Die Schlucht Höll förderte diese Verwandlung, falls dieser Name nicht selber erst dem Paradies gegenübergestellt, eine Hölle unter dem Paradies geschaffen wurde.

Dem Haldensteiner Flurnamen Barfüoss kann man ebenfalls zu romanischen Ahnen verhelfen, wiederum aus der Sippschaft von lateinisch pratum « Wiese », rätoromanisch pra, prau, pro, was ja auch mit Umstellung von Lauten als par- vorkommt, wie in der Verkleinerung pardéll, pardi. Für den zweiten Teil des Namens Barfüoss kommt etwa rätoromanisch foss, fossa « Graben, Grube » in Betracht oder eine Ableitung aus diesem Wort. Beispielsweise leben in Schuls Foss und Sur il Foss als Namen, in Tarasp und Scanfs ebenfalls Foss, in Zernez Pro dal Foss. Die Ableitung fussdu bezeichnet im Surselvischen die Mistrinne im Stall, in Namen wohl allgemein eine Rinne, einen Graben oder dergleichen, auch in andern Gegenden. Trins hat einen Wald Fussdu, Disentis einen Wald Fussdus, Flond einen Wald Surfasdus, Andeer eine Weide Fusses, ebenso Pignia, ferner Obervaz ein Gehöft Fuso, Tinzen Acker und Wiese Fussó. Was sagt das Gelände beim Haldensteiner Barfuoss dazu? Fragen wir einen echten Haldensteiner, wie es denn auf dem Maiensäss Barfuoss aussehe. Der Bescheid lautet: es liegt in einer Vertiefung, die von Felsbändern umgeben ist, in einer Mulde, einer Grube. Mehr braucht man nicht, um der Deutung des Namens aus dem Rätoromanischen, « Wiese in der Mulde », grosse Wahrscheinlichkeit zu verschaffen. Die Klosterser Bergwiese Barfuoss mag daran teilnehmen. Freilich stösst man im Urbar der Propstei St. Jakob zu Klosters, das F. v. Jecklin im Jahresbericht der Historisch-antiquarischen Gesellschaft von Graubünden 1910 herausgegeben hat, schon mehrmals auf Leute des Namens „ Barfuos(s ) ", auch „ Anna Barfuossin "; ein „ Jäcklin Barfuos " zinst denn auch von einem Gut in Schlappin, das „ in Bar-fuosen Wyss gelägen ": da wächst ein Wiesenname aus dem Geschlechtsnamen. Der kann trotzdem da oder dort aus jenem ursprünglich romanischen Flurnamen entsprungen sein.

Brotzeina mutet ganz sinnvoll an. Ein Gut mit diesem Namen ist in Obersaxen, ein zweites in Schmitten, ein drittes in Schiers. Findet man im Namenbuch noch ein paar dazu, dann wird der Zweifel an dem schönen Namen nicht vermindert, sondern verstärkt ( obwohl Brotchorb, Brotchübel in der Schweiz als Flurnamen vorkommen ). Nicht am gegenwärtigen Bestand und Sinn des Namens ist zu zweifeln: diese Güter sind für das Sprachgefühl tatsächlich « Brotzeinen ». Ursprünglich waren sie aber etwas anderes und hatten weder mit « Brot », noch mit « Zeine » etwas zu tun. Ein rätoromanischer Name steckt dahinter. Der erste Teil ist pro « Wiese », was sich ja in Flurnamen zu Hunderten findet. Schwerer ist der zweite Teil zu deuten. Man kann an R. v. Plantas Erklärung des Namens Valzeina denken: er erkannte darin lateinisch sagina « Fett, Fettwiese, Düngerwiese ». Oder es liesse sich auf rätoromanisch tschaina « Abendessen » hinweisen und auf den Weidenamen Tschainas, der offenbar dem verbreiteten deutschen Namen Abendweid entspricht. Eine dritte Möglichkeit wäre surselvisch tscheins « Zins » wie im Namen Tscheins de Cuera ( in Cumbels ). Auf eine andere Fährte führen die Namen Pro 1a Genna in Feldis, Pro Genna in Almens; sie bedeuten « Gatter-wiese », « Wiese bei einer Zaunlücke ». Rätoromanisch genna, geina « Gitter-türe, Gatter, Zauntüre » erscheint auch sonst häufig in Flurnamen: Beispiele sind Geina, Geinas in Disentis, Geina in Luvis und in Ladir, Crest las Geinas in Fellers. Aus den Anfangslauten dieses Wortes Geina, wie ihn die Romanen sprechen ( Palatal ), machten alemannische Mäuler natürlicherweise eine ihnen mundgerechtere Lautverbindung, eben ts, also z. Im Namenverzeichnis von Filisur entdeckt man das aufschlussreiche Nebeneinander von Dsenna und Zenna. Die Versamer haben einen andern Lautersatz: dort ist eine Gadenstatt in der Jeina. Dem Sinne nach entsprechende, da und dort vielleicht durch Übersetzung entstandene Flurnamen sind Gatterwis in Masein, Gatter-weid in Seewis ( Prättigau ), Türliwis in Fideris ( hier auch Pradatürli ), in Luzein die Weide Türli, in Tenna die Gadenstatt Türli.

Der Waldamazone von Tamins kann man den fremden Zauber nehmen durch urkundliche Namenformen, die ebenfalls auf geina, zenna weisen. Im Taminser Jahrzeitbuch aus der Zeit um 1500 ( herausgegeben von F. v. Jecklin 1921 ) heisst jenes Wiesen- und Ackergebiet Walmagazena, Wallmacha zäunet, Walwackhalzaina. Offenbar verstand man den Namen schon damals nicht mehr; sonst wäre seine Gestalt nicht so wackelig geworden.

Auch im phantasievollen Brotjoggli von Untervaz ( es ist eine Weide ) war wohl pro « Wiese » mit einem andern rätoromanischen Wort verbunden. Es kann ein wirklicher Joggeli gemeint sein, vielleicht aber engadinisch tschoc ( del fain ) « Heustock, Verschlag » ( es ist ein vorromanisches Wort ) oder tschocca, tschücha « Baumstumpf ». Als Waldnamen erscheinen in Münster Tschocca d' Alp, in Valcava Tchocs, und in Lü lebt leibhaftig der Wiesenname Pra Schoc, in Disentis der Waldname Val dil Giocli. Da oder dort findet der Brotjoggli Anschluss.

Noch etwas mit « Brot », eigentlich aber pro « Wiese »: der Waldname Brodtanna in Luzein. Der hat auch mit « Tanne » nichts zu tun, sondern etwa mit surselvisch tauna « Höhle, Bau, Schlupfwinkel » oder mit fontauna « Quelle, Brunnen ».

Versteckte Quellen.

Eua forza, wörtlich « scharf schmeckendes Wasser », heisst eine Quelle in Praz, Ava foarsa eine Wiese mit Eisensäuerling in Tiefenkastei. Da auch im Gelände von Fideris solches « scharfes Wasser » sprudelt, lässt sich dort dem Weidenamen Furztola zu einem anständigen Ursprung verhelfen: diese Tola mag den Namen von einer Eua forza, Ava foarsa haben. Vielleicht gehört auch der Gütername Forz in Schiers dazu. Doch stehen auch andere Wege der Deutung offen, zum Beispiel Anschluss an rätoromanisch fuortga « Gabel », was auf eine Weggabelung weisen könnte; das Wort bezeichnet aber auch den Galgen, zum Beispiel im Samadener Namen Fuorcha, der an einem Ort haftet, wo ehemals der Galgen stand. Oder die Prättigauer Namen gehören zusammen mit Fürth im Lugnez, romanisch Uors, gesprochen Wers, urkundlich « Vurz, Vorz », und mit dem oberländischen Vuorz, gesprochen Wers, urkundlich Vurzes, Vurze, Vorze ( der deutsche Name Waltramsburg, Waltersburg, Waltensburg ist in der Feudalzeit aufgekommen ): in diesem Falle entstammten die Prättigauer Furztola und Forz der vorrömischen Sprache Rätiens und nach Hubschmied wahrscheinlich der indogermanischen Verwandtschaft, zu der lateinisch vertere « kehren, wenden, drehen » gehört.

In der Namenliste von Seewis im Prättigau steht neben dem Maiensäss-namen Tanna freida auch Tannafröüda. Das ist ein weiteres Beispiel für das Umdeuten eines nicht mehr verstandenen Namens. Auf keinen Fall war da von « Tannen » und « Freude » die Rede; ein so gefühlvoller Name kann nur nachträglich durch Missverständnis entstehen. Es war natürlich eine Fontana fraida « kalte Quelle ». Ihre Vortonsilbe konnte in das Vorwort von umgedeutet werden. Eine Funtauna fraida hat schon manchen Bergsteiger hinten in der Valletta von Samaden erfrischt nach dem Abstieg vom Piz Ot oder nach der Kletterei über die Trais Fluors. Dass aus einer Funtauna fraida tatsächlich durch Verlust der Vortonsilbe Tannafreida werden konnte, das lässt sich im Samnaun feststellen: auch dort hatten die Rätoromanen eine Funtauna fraida, und die jetzt deutsch redenden Samnauner, was haben sie daraus gemacht? Nichts andres als Tana fraida.

Man wird auch hinter andern Namen, die von « Tannen » berichten, eine rätoromanische Fontana entdecken, ohne den wirklichen « Tannen»-Namen ihren Bereich schmälern zu wollen.

Nicht minder verdächtig als die Tannafröüda von Seewis ist die Höchfreud von Schiers; die Waldwiese dieses poetischen Namens heisst zum Glück auch mit schöner Sachlichkeit Höchrüti. In der trüben Höchfreud kann man noch eine lautere Aua fraida « kaltes Wasser », vielleicht Eua fraida, sprudeln hören. In Wiesen hat man eine Ava freida in Awersfröüda verwandelt. Jene Bezeichnung einer frischen Quelle ist auch sonst häufig zum Namen geworden: da ist schon in Alvaneu eine Quelle Ava freida, in Brienz wieder eine, in Scheid trägt eine Schafweide den Namen Ava freda, in Pratval eine Wiese den Namen Auaréda. Noch nicht zu neuem Wortsinn erwacht ist eine solche sprachlich vertrocknete Ava freida im Namen Affereid. Er gehört einem Monsteiner Alpweidegebiet. Die Quelle, die den Namen getragen hat, fliesst noch heute reich und rein, das beste Wasser weit und breit, sicher schon vor Zeiten gesuchte, willkommene und somit nennenswerte Labung für Hirten aus Filisur, Stuls, Latsch, die das Vieh über den Grat trieben. Die Einbürgerung des Namens bei den Waisern von Monstein brachte eine Neulagerung des Haupttons auf die erste Silbe mit sich, aber noch keine Umdeutung.

Namen als Führer.

Eindeutige, wohlerhaltene Namen, die vom Gelände, vom Gestein, von Wassern, vom Pflanzenwuchs, von Siedlungen künden, sind treffliche Führer. Auch verwandelte Namen können Wegweiserdienst leisten, falls man sie zurückverwandeln kann.

Der durstige Bergsteiger sucht vielleicht mit Erfolg auf einer kahlen Hochebene, die nach « Tannen » benannt scheint, eine erfrischende « Fontana ». Im Nebel verirrt an steilem Grashang lässt er sich von einem Felsband sagen, er sei jetzt an der Stelle, die auf der Karte mit « Roggen » bezeichnet ist. Um einen « Grafen » der Karte zu finden, sucht er im Gelände grauen Schutt. Steht auf der Karte etwas von « Fröschen », dann späht er nach Eschen. Sumpf und Röhricht lassen ihn erwägen, ob er jetzt beim « Knie » sei. Ein paar struppige Grasbödelein zwischen Stein und Schnee erkennt er als das « Paradies », gönnt sich stärkende Rast und findet dann sogar durch eine « Hölle » den Weg zur heimeligen Hütte.

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