Von den Adlern am Glärnisch | Club Alpino Svizzero CAS
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Von den Adlern am Glärnisch

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Die Anwesenheit des Steinadlers schenkt mir jeweilen in den Ferien, die ich seit einigen Jahren auf der Hubegg in Braunwald verbringe, manchen Naturgenuss von seltener Schönheit und Eigenart.

Auch im vergangenen Sommer wieder hatte ich oft das Glück, diese herrlichen Könige der Lüfte zu beobachten. Sozusagen jeden schönen, hellen Tag zogen sie am blauen Himmel hoch über dem steilen Eggstock oder über dem gewaltigen, breitschultrigen Tödi in ruhigem, majestätischem Segelf lug ihre Kreise, bald höher, bald tiefer. Ohne Ausnahme kamen sie vom Glärnischgebirge her und erschienen in der Lücke über dem Gumen oder dem Kneugrat, um dann hinunterzufliegen über die sonnigen, samtgrünen Abhänge von Braunwald, gegen den Oberstaffel oder die Brächalp. Gelegentlich glitten sie auch tiefer ins Linthtal hinunter und verschwanden gar am jenseitigen Talhang. Hin und wieder machten sie der wilden, öden Karrenalp einen Besuch; allerdings verhältnismässig selten, trotzdem sie sich dort gewiss unter den etwa 700 alten und jungen Schafen ( 1923 waren es mehr als 1000 Stück ) bisweilen einen zarten Frass holten. Der Schäfer auf der einsamen Erismatt versicherte mir zwar, dass er keinen Schaden durch die Adler feststellen könne.

An der nämlichen Stelle, wo sie immer auftauchten, flogen sie jeweils wieder heimzu. Eines Tages beobachtete ich ein Weibchen, als es mit einer kleinen Beute in den Fängen vorüberflog. Von Zeit zu Zeit reckte der Vogel die Fusse nach vorn und schlug mit seinem Hakenschnabel nach hinten, wohl um das Häslein oder das Murmeli, oder was es war, zu töten, wie ich es schon oft beim Schwarzen Milan ( Gabelweih ) am Zürichsee beobachtet hatte, wenn er sich ein Fischlein holte und es dann in der Luft verzehrte.

Gar lustig war es, wie die Turmfalken, die im Gefelse des Eggstockes nisten, jeweils das Erscheinen der Adler sofort mit fröhlichem kli-kli-kli verrieten. Sie waren nämlich kühn genug, die Adlermajestät auf ihrem Beutezug eine Zeitlang zu begleiten und unaufhörlich zu necken. Sie rüttelten und kreisten über ihrem grossen Spielgefährten und sausten dann mit angezogenen Flügeln auf ihn herunter. Dem Adler mochte dieses Gebaren gelegentlich etwas lästig erscheinen. Er suchte seinen kleinern, aber flinkem « Gegner » dadurch abzuschütteln, dass er sich scheinbar in der Luft seitlich überschlug. Dabei leuchteten die weisse Querbinde im Schwanz und der weisse Bürzel hellauf im Sonnenlicht. Dieses neckische Spiel mit dem Zeiss zu verfolgen, war mir ein köstlicher Naturgenuss.

Zweimal war es ein grösserer Raubvogel, der sich in die Nähe des Adlers wagte, ein Habicht. Aber diese Begegnung schien weniger Spiel als vielmehr Ernst, Konkurrenzkampf oder Brotneid zu sein. Der Habicht verriet seine 27 gereizte Stimmung durch sein spitziges, kreischendes und gehässiges giak — giak... Wenn der Adler guter Laune war und ein heller, seidenblauer Himmel sich über Täler, Firnen und Felsburgen spannte, dann rief er froh und munter in die weite Gotteswelt hinaus: Giää — giää — giää

Die Adler müssen gegenwärtig erfreulich zahlreich sein: Am 18. Juli 1925 sah ich zweimal vier, an den nächsten Tagen je zwei Stück, am 5. August wieder vier und gelegentlich nur einen einzelnen Vogel. Am 19. Juli müssen sie auf der Adlerburg grossen Besuch aus dem Kärpf- oder Mürtschenstock-gebiet erhalten haben, oder vielleicht unternahmen sie einen Familienausflug — item, an jenem sonnenvollen Sommertag kreisten über dem Kneugrat gleichzeitig nicht weniger als sechs Adler! Ein mir unvergessliches Erlebnis.

Wiederholt legte ich mich am Eggstock im kurzen, stumpfen Gras oder auf einer kühnen Felskanzel wie ein Räuber zur Lauer; aber gewöhnlich ohne irgend etwas Besonderes zu erleben. An einem schönen Morgen kletterte ich mutterseelenallein an den Felsköpfen zwischen Kneugrat und Gumen herum, um in den steilen Wildheuplanken weisse Berglilien und duftigen Türkenbund zu suchen. Da fuhr ich plötzlich ganz erschrocken jäh zusammen... Ein mächtiges Rauschen und Pfeifen ging sausend durch die Lüfte. Etwa pappelhoch über mir jagte ein Adler mit kräftigem Flügelschlag aus den Felsen in den blauen Äther hinaus, wieder umgaukelt und umspielt von einem schlanken Turmfälklein.

Ich vermutete ursprünglich, die Adler würden im wilden, glattfelsigen Bösbächital horsten. Meine Beobachtungen liessen aber doch erkennen, dass ihr Nest im Rossmattertal zu suchen ist.

Am 29. Juli sah ich auf der Karrenalp, in der Nähe der « Bützi », einen einzelnen Adler dem Felsenzirkus gegen Oberstaffel entlang fliegen. Scharf zeichneten sich die hellen, weissen Flecken auf den Unterflügelflächen ab und erinnerten lebhaft an das Schweizerkreuz auf unsern Flugzeugen. Und plötzlich versuchte er zu meinem grössten Erstaunen durch heftiges Flügelschlagen in der Luft « still zu stehen », wenn auch nur wenige Sekunden. Es schien mir aber eher ein Versuch zu sein, seinem Freund, dem Turmfalken, etwas nachmachen zu wollen. Denn dieser Stillstand geriet herzlich schlecht und schwerfällig. Nachher gewahrte ich nichts Ähnliches mehr.

Rudolf Egli.

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