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Vulkanische Riesenkugeln in Mexiko

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Chlaus Lötscher, Littau

Bilder 24-26 Die Sierra de Ameca schwingt sich in ebenmässigen Vulkanen über die Ebene. Ihre Wälder schimmern schwärzlichgrün. Kleine Täler unterteilen die Hänge. Heiss brennt die Sonne auf die gelbe Trockenheit der geernteten Maisfelder. Wo Vieh weidet, braunes, weisses und geflecktes, schweben braune Staubwolken. Auf guter Asphaltstrasse erreiche ich das kleine Dorf Ahua-lulco de Mercado. Holperig jetzt die Strasse, mit viel Schmutz; Männer sitzen im Schatten der Bäume am Zócalo oder kauern den Mauern entlang, den weissen Strohhut tief in die Stirne gezogen, Frauen tragen irgendwelche Lasten in Körben oder Tüchern, am Rücken im Schultertuch immer das jüngste der Kinder mitschleppend. Hunde streunen. Zwei Betrunkene liegen vor der Kneipe im Staub der Strasse, schlafen ihren Rausch aus. Einjunger Mann und eine Frau treiben zwei mit Maisstroh beladene Esel, die hastig dahinbeineln.

Irgendwo hier, an einer Ecke dieses Dorfes, muss die Strasse zum Weiler Tiro Patria wegfüh- ren, von wo aus, irgendwie, die alte verlassene Silbermine « Piedra Boia » erreicht werden kann, und dort in den umliegenden Wäldern müssen die Piedras Bolas liegen, jene gewaltigen Steinkugeln von mehreren Metern Durchmessern, vulkanische Naturwunder, deretwegen ich in diese abgeschiedene, aber doch faszinierende Gegend gekommen bin.

Der Weg, den ich jetzt befahre, soll in den dreissiger Jahren, als die Mine noch in Betrieb war, eine gutgepflasterte Strasse gewesen sein. Aber heute? Mehrmals schlägt das Chassis meines Volkswagens am Boden auf. Eine ecklige Staubwolke wirbelt hinterher, langsam hüllt sie Steinmauern, Büsche und Bäume ein. Manchmal fürchte ich, mein Wagen könnte sich bei steilen Bodenwellen festsetzen. Dann wieder versperrt Vieh den Weg, glotzt mir stumpf nach. Bauern mit Lasttieren, die schwer mit Holz oder Stroh beladen sind, nicken mir erstaunt zu. Ich kann das Gefühl nicht ganz verdrängen, hier fehl am Platz zu sein. Ein Zaun verriegelt den Weg. Drei Buben, die schreiend Kühe in einen Pferch treiben, schieben ihn hilfsbereit zur Seite. Der Weg zieht sich nun schon nahe bei den Abhängen der Sierra de Ameca dahin und führt in leichten Kurven gegen ein kleines Tal. Immer wieder glaube ich hier keinen Menschen mehr zu treffen, doch da flankieren sogar wieder kleine Hütten bescheidener Ranchos die Strasse. Kinder spielen in umzäunten Vorhöfen; Schweine, Truthühner scharren in der gestampften Erde; Hunde bellen, Esel und Maultiere dösen im Schatten der Bäume. Alles so weit weg von jeder Zivilisation, so verlassen, einsam, ausgesetzt- scheinbar frei von jedem Zwang, jeder Hetze.

Der Weg tritt nun vollends ins Tal ein; es wird eng, finster, fast zur Schlucht, öffnet sich wieder ein wenig - ein kleiner Fluss, fast ohne Wasser -sanfte Hänge, bewaldet, trocken. Vollendete Einsamkeit! Dann erscheint Tiro Patria, bestehend aus etwa zehn Hütten, belebt mit Menschen und Tieren-eine Welt für sich. Eben vor mir hat eine kleine Maultierkarawane die hinterste Hütte er- reicht und schwenkt in den Vorhof ein. Mein Erscheinen entfacht einige Aufregung. Ein fremder in Tiro Patria! Verwundert betrachten mich die Leute, während sie die Maultiere abladen. Ein kleines Feuer raucht im Vorhof. Ich trete zu ihnen. Der Truthahn spannt drohend seine Federn aus und stampft nervös auf den Boden. Ich frage einen jungen nach den Piedras Bolas, den Steinkugeln. Er weist mit der Hand zu einem Bergrücken und meint, man könne nur mit caballos, mit Pferden, dorthin gelangen. Warum auch nicht, denke ich im stillen und freue mich heimlich schon, in dieser Hitze nicht per pedes hingehen zu müssen.

Inzwischen sind der junge Mann, der die Maultiere entlud, sowie zwei Frauen herbeigetreten, von denen die eine die Mutter dieser Familie zu sein scheint. Alle palavern ein wenig auf mich ein, dieweil ich hilflos abwehre, denn mein Spanisch besteht eher aus italienischen und lateinischen Brocken, und dem eleganten Singen dieser gutmeinenden Leute kann ich wirklich nicht folgen. Doch niemand nimmt mir das übel. Die jüngere der Frauen holt aus dem Hause einige Photos und einen Artikel über die Piedras Bolas ( im National Geographie Magazin ), den ich bestens kenne und photokopiert in meiner Tasche trage. Der junge Mann, der sich wieder an den Maultieren zu schaffen macht, meinte, es sei schon reichlich spät, heute noch hinaufzureiten. Ich habe aber nicht die Möglichkeit ihres glücklichen « Mariana », dieses « Morgen dann »; ich muss noch heute hinauf, denn meine Zeit ist, so leid es mir tut, sehr knapp bemessen, und im übrigen ist ja der Nachmittag erst angebrochen. Wie lange denn der Ritt dort hinauf dauere, will ich schliesslich wissen. Zwei Stunden müsse ich rechnen, antwortet der junge Mann. Das ist nicht so schlimm; ich habe nach ihrem Zögern mit viel mehr gerechnet. Schnell sind wir uns auch über den Preis einig, für zwei Pferde, denn er würde mich begleiten und mir den Weg zeigen. Ich begebe mich zum Auto zurück, hänge meine Kameras um und stopfe eine Flasche Wasser in den Rucksack. Mein Führer hat inzwischen die beiden weissen Maultiere, die er eben entladen hat, gesattelt. Auch er hängt eine Wasserflasche um, einen doppelbauchig geformten, ausgehöhlten Kürbis. Die Sättel sind aus Holz und mit reich verziertem Leder überzogen. Lange, dünne Lederstreifen hängen hinten wie Fäden hinab und dienen zum Antreiben der Tiere, wobei man mit kurzem « Zwick » über den Hinterteil der Tiere schlägt.

Wir reiten los. Mein Führer, ein hagerer Bursche mit pechschwarzem Haar und dunkelbrau-nem Gesicht, weist deutliche indianische Züge auf. Er reitet voran. Erst kurz dem Flüsschen entlang gehend, biegt er bald scharf seitwärts gegen die Bergflanke ab, wo sich der Pfad in steilen Kehren aufwärts windet. Ziemlich tückisches Gelände für die braven Tiere! Geröll, vom Laub verdeckt, rollt unter ihren Hufen weg. Bald schnaufen die Tiere in schnellem Rhythmus, so dass wir kurze Pausen einschalten, damit sie sich ein wenig erholen können. Der Wald ist nicht sehr dicht, doch lästige Büsche kratzen mit ihren langen Dornen meine Arme blutig, peitschen stechend ins Gesicht. Zwischen Pinien, Eichen und Akazien richten sich stachelige Kakteen auf; vereinzelt entfaltet eine Agave ihre langen, spitzen Blätter, in denen sich der Saft für den feinen Tequila-Schnaps befindet. Auf einer kleinen Erhebung wird der Blick ins Tal frei; mein Führer weist mit der Hand auf die andere Talseite, zu den Ruinen einer alten Mine, von denen es bis in die dreissiger Jahre mehrere in dieser Gegend gab. Die Minen und das Geld lockten natürlich auch viele Banditen in diese Gegend, und es war gefährlich, sich ausserhalb der gesicherten Gebiete zu bewegen, weshalb zu jener Zeit von den heute bekannten Steinkugeln nur einige einheimische Bauern wussten und nur einzelne direkt beim Minenein-gang gelegene Kugeln den Fremden bekannt waren. Ein ideales Gelände für Banditen mit schnellen Colts, guten Gewehren und kleinen, zähen Pferden!

Tapfer kämpfen sich die Maultiere zum Bergrücken hinauf, dem der Pfad nun entlang führt.

Ich bin froh für die geplagten Tiere, dass der Weg jetzt etwas leichter und weniger steil ist. Hier oben öffnet sich der Blick in die weite Ebene, die jetzt im Januar völlig ausgetrocknet ist und wo das Vieh durch gelbbraune Maisfelder weidet.

Quer zum Bergrücken, aufdem wir nun reiten, erstreckt sich ein zweiter, der leicht südlich in einem spitzen Vulkan gipfelt. Ob aus der Asche dieses Vulkans jene riesigen Steinkugeln entstanden sind? Ich bin nun sehr gespannt, endlich die ersten Kugeln zu sehen, sind wir doch schon nahe beim Bergrücken, auf dem sich der Vulkangipfel türmt — da entdecke ich auf der Krete, frei zum Himmel ragend, die erste Steinkugel. Sie ist zwar schon stark verwittert, aber dennoch faszinierend. Der Pfad führt direkt an ihr vorbei, und mein Führer erreicht, obwohl auf dem Maultier sitzend, kaum ihre Höhe. Gleich dahinter, in einer kleinen Senke am jenseitigen Abhang, liegen noch mehrere Kugeln, meist zur Hälfte von Erde zugedeckt. « Das sind kleine », meint mein Führer und reitet, sich unter Bäumen duckend, weiter abwärts, wo Dutzende von gewaltigen Kugeln liegen. Ich bin begeistert ob diesem Anblick. Wie mächtige Spielbälle noch viel mächtigerer Götter. Sind sie das nicht? Götter, denen Menschen Pyramidentempel bauten vom Ausmass der Sonnenpyramide in Teotihuacân. Deren Tempeldä-cher von Atlanten getragen werden mussten, wie sie heute noch in Tula stolz zum Himmel ragen. Konnten solche mächtige Götter etwa nicht mit Steinkugeln wie diesen hier umgehen?

Mein Begleiter bindet die Maultiere an einen Baum; ich lustwandle zwischen den Kugeln umher. Einige sind in ihrer Rundung von äusserster Perfektion, während andere, eher birnenförmig oder von Wind, Regen und Sonne gespalten oder, den Hang hinunterrollend, geborsten sind.

Für die Wissenschaft boten diese Kugeln ein interessantes Rätselraten. Erst Anthropologen, dann Geologen suchten nach der Lösung, wie diese Kugeln entstanden sein könnten. Der amerikanische Anthropologe Matthew W. Stirling hatte ähnliche Steinkugeln in Costa Rica ent- deckt und konnte bei diesen Granitkugeln nachweisen, dass sie von Menschen geschaffen worden waren. Sie waren in vollkommener Rundung in Granit gemeisselt und wiesen einen Durchmesser von einigen Zentimetern bis über einen Meter auf. Ein ehemaliger Ingenieur der Mine Piedra Boia, Ernest Gordon, las einen Artikel Stirlings und meldete diesem nun seine Entdeckung in der Sierra de Ameca. Gemeinsam reisten sie darauf zu diesen geheimnisvollen Steinkugeln, und Stirling begann sorgfältig die Steine und das umliegende Gelände zu untersuchen. Er legte eine archäologische Grabung an, wobei ihm Männer aus Tiro Patria und Ahualulco de Mercado halfen. Diesen wurde das Ausgraben von Steinkugeln jedoch zu dumm, und sie fragten Stirling, warum er hier Kugeln ausgraben wolle, lägen doch oben auf dem Bergrücken noch Dutzende davon. Da wurde Stirling stutzig. Er hatte bereits vermutet, dass es sich um natürliche Gebilde handeln müsse, denn bei den Ausgrabungen waren keinerlei Geräte oder andere Überreste zu Tage gefördert worden. Stirling liess sich nun von den Bauern zum genannten Platze hinaufführen, und als er diese Ansammlung von Steinkugeln sah, war er sich vollends klar, dass Menschenhände dies nicht hätten schaffen können. Hier musste ein Geologe des Rätsels Lösung finden.

Im März ig68 startete der amerikanische Geologe Robert L. Smith eine wissenschaftliche Expedition. Ihm gelang es, das Rätsel in recht kurzer Zeit zu lösen. Im amerikanischen Bundesstaat New Mexico hatte er bereits früher Steinkugeln untersucht, die jedoch nur einen Durchmesser von 60 Zentimetern aufwiesen. Er hatte festgestellt, dass sie aus dem glasigen vulkanischen Gestein Obsidian bestanden. Das gleiche Material stellte er auch bei den mexikanischen Steinkugeln fest. Er schloss daraus, dass diese Kugeln, gleich wie jene aus New Mexico, in sehr dicken Ablagerungen vulkanischer Asche entstanden waren. Aus der geologischen Beschaffenheit der Gegend erkannte Smith, dass hier vor etwa 40 Millionen Jahren ein Vulkanausbruch stattgefunden hatte, und vermutete, dass die Kugeln durch Kristallisation bei hohen Temperaturen geformt worden waren. Die Asche, so meinte er, hätte zu 75-85 % aus Glas bestanden, das zwischen 550 und 750 Grad heiss war. Bei langsamer Abkühlung sei bei diesem Glas mit solchen Temperaturen eine Kristallisation möglich. Diese beginnt bei zahlreichen kleinen Kernen und setzt sich kugelförmig nach aussen fort. Durch Temperaturabfall kommt sie zum Stillstand. Die Asche, welche die Kugeln zudeckte, ist im Laufe der Zeit erodiert worden, da sie verhältnismässig weich und leicht ist. So blieben diese Kugeln als sichtbare Wunder der Natur an der Oberfläche zurück. Trotz sorgfältiger Analysen konnte dieser Vorgang aber bis heute im Labor nicht nachgewiesen werden.

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Picdras Bolas Acapulco Mexiko: Lageskizze « Piedra Boia » Chlaus Lötscher Dies war also die Lösung dieses Rätsels - Menschen und Götter waren dabei ausgeschieden.

Und trotzdem: während ich zwischen diesen Kugeln umherklettere, muss ich meiner Phantasie freien Lauf lassen. Sie tanzt hinab in die feurigen Schmieden der Vulkane, ich sehe gewaltige Göttergesellen hinter der brodelnden Esse, Kugel um Kugel aus dem Feuer stemmend - als Spielzeug der Giganten. Kannten nicht auch die alten Indianer Mexikos, bevor die Spanier ihre Kulturen zerstörten, seltsame Ballspiele? Kautschuk-bälle mussten mit Ellbogen oder Oberschenkel durch steinerne Ringe geschlagen werden. Der Ausgang ist tödlich, der Verlierer wird den Göttern geopfert.

Mein Begleiter hat während dieser meiner Be- Mexico City A Citlaltepetl O Puebla A Popocatepetl trachtungen auf einer kleineren Kugel, die nur halb aus dem Boden ragt, gesessen. Ich begebe mich nun zu ihm und gebe ihm zu verstehen, wie sehr mich diese gigantischen Steinkugeln faszinieren. « Ja », antwortet er, « und solche Kugeln gibt es nur hier und nirgends mehr auf der Welt. »

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