Wanderung durch Tibet
nderung
durch Tibet
Jean-Paul Schuppisser, Pully
Pilgersfrau am Lamalam-See Dicke, unangenehm riechende Schwaden steigen mir in die Nase. Der schreckliche Geruch lässt Schlimmes von dem Geschmack des ziemlich grauen, mit ranziger Yakbutter gesalzenen Getränks erwarten. Wie werde ich es schaffen, das ohne Würgen hinunterzubringen? Meine Gastgeber, schwarzgekleidete Nomaden, geben grosszügig noch ein Stück Butter in den dampfenden Topf; für einen Tibeter ein Zeichen seiner grosszügigsten Gastfreundschaft. Wir sind, nur einen Tagesmarsch von Lhasa entfernt, eingeladen, in einem Nomadenzelt zu übernachten, und entdecken schon eine fremde Welt.
Lhasa, die verbotene Stadt in einer vergessenen Welt, ist enttäuschend: rechteckige, von hohen Mauern umschlossene Häuser, monotone Strassen, verstaubte Läden, in denen sich ein Durcheinander von Plastikwaren, Fleischbüchsen und T-Shirts stapelt. Erst in der Altstadt und auf dem Markt ist ein wenig von den fremdländischen Sitten und der Lebensform zu entdecken, an die man bei dem Namen Tibet denkt: Strassen, gedrängt voller Menschen; bleiche Fassaden in traditionellen Formen; flatternde bemalte Klosterfahnen, die Thankas; Pilger, die ihre Gebetsmühle drehen oder sich unablässig vor den Toren des Jokhang-Tempels verneigen. Lhasa illustriert auf traurige Weise die Wirkungen des Kolonialismus. Mit dem Eindringen der Fremden in ihr Land und der Missachtung ihrer Kultur musste sich das Weltbild der Tibeter unweigerlich wandeln. Nur der ständige Strom der Pilger, die mit Camions oder zu Fuss aus einem Gebiet von Hunderten von Kilometern im Umkreis in die Stadt kommen, gibt ihr etwas von ihrem einstigen Charakter zurück. Das ist ein herrliches Jagdgebiet für photographierende Touristen, die durch ihre Linsen jede Form der Andacht und Verehrung einfangen können. Hier erfüllt sich für die mit einer Art Mantel oder Jacke aus Ziegenfell, mit Schürzen in lebhaften Farben und eigenartigen Hüten bekleideten Pilger der Traum ihres Lebens: Lhasa sehen!
Christine und ich sind aus der Schweiz gekommen, um im Himalaya zu wandern, und hoffen nun, das echte Tibet zu entdecken, zu dem Fremden der Zutritt verboten ist. Nur Lhasa und die Strasse nach Kathmandu sind freigegeben. Die Begegnung mit Victor, einem Kanadier chinesischer Abkunft, der tibe- Abendsonne auf einem namenlosen Gipfel in der Umgebung des Lamalam-Sees tisch spricht, hat unsern Start jedoch sehr erleichtert. Victor durchstreift Tibet, um einen Wanderführer zu schreiben. Jetzt will er die Gebirgsregionen erkunden und möchte gern Gefährten finden, die an derartiges Gelände gewöhnt sind. Sein freundliches Wesen, seine zahlreichen vorbereitenden Ermittlungen und die von ihm zusammengetragenen Unterlagen zerstreuen jegliche Bedenken, mit ihm zusammen aufzubrechen.
Wir sind alle drei glücklich über das zufällige Zusammentreffen und voller Begeisterung. Doch wir müssen zunächst unsern Abmarsch verschieben, denn ein Freund von Victor, ein Tibeter, ist bei einem Unfall ums Leben gekommen, und wir werden an der Totenfeier teilnehmen. In deren Verlauf wird der Leichnam zerteilt, und während dieses für uns makabren Vorgangs verändert sich für mich das Bild von Tibet schlagartig. Der eisige Morgenwind lässt mich erschauern. Grosse Geier kreisen oder beobachten geduldig vom Rand des Felsens aus. Die Zeremonie verläuft, begleitet vom Gemurmel der Gebete, in aller Ruhe, ohne Entsetzen, während mein Blick an den Blutlachen hängt. Die Männer, die den Körper zerteilt haben, brechen noch die Knochen, richten sich auf und gehen davon. Sofort stürzen die Geier von allen Seiten herab, unter heftigem Flügelschlagen leeren sie den Felsen vollkommen. So ist nun die Seele des Verstorbenen befreit und für sein nächstes Le- ben bereit. Eltern und Freunde kehren erleichtert ins Dorf zurück.
Diese hat mir ein anderes, unerwartetes Tibet gezeigt. Ich bin Europäer, darum empört sich mein Geist angesichts einer solchen ( Barbarei ). Doch Zauber, Wunder, Strafen böser Geister bilden einen wesentlichen Bestandteil des täglichen Lebens in Tibet. Dem Tod steht man furchtlos gegenüber, die mächtige Religion herrscht und gibt Sicherheit.
Am nächsten Morgen, früh genug, um militärische Befragungen zu vermeiden und um keine Neugier zu erregen, verlassen wir zu Fuss Lhasa. Die Rucksäcke sind ziemlich leicht: ein Zelt, Schlafsäcke, ein Kocher und dazu ein Liter Spiritus, ein Kompass, ein Kata-dyn-Filter, eine Gore-Tex-Jacke und eine Pola- roidkamera. Handschuhe, Mütze, Pullover, lange Unterhosen ( rosarot für die grosse Grosse ) haben wir in Lhasa gekauft. Drei Monate später werden wir, nach mehr als tausend Kilometern auf Pilgerwegen, wieder nach Lhasa zurückkehren und dann ein zauberhaftes Land und ein Traumland für Bergsteiger entdeckt haben.
Vom ersten Tag an können wir die Grosszügigkeit, das freundliche Wesen und die Gastfreundschaft der Einheimischen erleben. Auf einen ersten, für uns zauberhaften Abend in einem schwarzen Zelt folgen bald Wochen der Gastfreundschaft. Dabei machen Victors Sprachkenntnisse es uns möglich, die fremd- artigen Geschichten, eigenartigen Sprichwörter und auch den Humor dieser Menschen zu verstehen. Mönche, Nomaden, Dorfbewohner, sie alle werden uns stets ernähren, beherbergen und führen.
Vor unserem Abmarsch erstehen wir in Lhasa für die ersten zehn Tage noch einige Vorräte: Milchpulver, Zucker, Kaffee, Bonbons, Rosinen, Fleischkonserven und Biskuits. Nachdem diese aufgebraucht sind, müssen wir jedoch mit der einheimischen Küche vorliebnehmen, nämlich mit Klösschen aus Tsampa, einem Gerstenbrei, zu denen der tibetische Tee getrunken wird. Das ist sicher nahrhaft, schmeckt uns aber kaum. Im Anfang unserer Wanderung wissen wir noch nicht, das dies drei Monate lang unsere einzige Nahrung sein wird. Denn nur ganz selten findet man etwas anderes Essbares. Nach und nach gelingt es uns aber - überzeugt, dass zahllose - *.Menschen mit diesem eigenartigen Essen zufrieden sind -, unsere Grimassen zu unterdrücken; wir empfinden jetzt Freude daran, ein einfaches natürliches Leben zu teilen. Diese leichten, ohne Aufwand zu bereitenden und nahrhaften Mahlzeiten ersparen uns zugleich Abfallprobleme. Tatsächlich ist es schwierig, aus Lhasa mitgenommene Büchsen in dieser Umgebung zu vernichten, die noch frei ist von Konservendosen, Toilettenpapier und anderem Unrat, der bereits die Strassen von Nepal säumt. Schliesslich entscheiden wir uns, die paar Büchsen den Einheimischen zu geben, womit auch wir Spuren unseres Besuches hinterlassen. Ein trauriges Geschenk; es weckt in uns ein Gefühl der Verantwortlichkeit, das wir uns lieber erspart hätten. Die Na- Mit einem Yak am Long La tur ist hier der Kulturrevolution entkommen, wird es aber dem Tourismus und dem Fortschritt gelingen, eine heute noch saubere Umwelt zu verschonen? Wie wird das Eindringen weiterer Touristen auf diese Menschen und diese Landschaft wirken?
Von Samye aus, einem schönen, vier Marschtage von Lhasa entfernten Dorf, wandern wir in mehreren Etappen durch die Sanddünen am Nordufer des Tsangpo, wie der Oberlauf des Brahmaputra in Tibet heisst. Wir staunen über die klare Form der Dünen, die Intensität der Sonne und den sanften Wind, der die Nächte abkühlt. Kein einziger Mensch ist da, nicht einmal ein Pilger. Die Reinheit des Himmels bezaubert uns. Der Brahmaputra hat vom Kailas'her schon tausend Kilometer zurückgelegt und die Abwässer von Hunderten von Dörfern aufgenommen. Für ein, zwei Tage haben wir aber keine andere Möglichkeit, als das nötige Wasser aus ihm zu schöpfen. Wie froh sind wir, dank unseres Katadyn-Filters -der sich als unentbehrlich erwiesen hat - unter der bleiernen Sonne unsern Durst ohne Angst vor Erkrankungen stillen zu können.
Drei Monate durchstreifen wir wie Gulliver ein erstaunliches Land, entfernen uns immer weiter von Lhasa, aber auch von den Beschränkungen und Vorstellungen, denen wir gewöhnlich unterliegen. Wir überqueren weite Ebenen, ohne Bäume, aber bedeckt mit kurzem Gras und salzigen Seen, dann Felsgebirge in vielfältigen Farben, und wir fühlen uns verbunden mit dieser machtvollen Natur, dem blauen Himmel und den Wolken, die sich auf geheimnisvolle Weise auflösen.
Die Pässe auf fast 6000 m Höhe, unser hartes und einfaches Leben, die Wochen der Wanderung, das geheimnisvolle Wesen der Bewohner der zahlreichen Klöster - macht all das aus uns weniger kartesianische Menschen? Einen kurzen Augenblick lang habe ich das geglaubt: am Lamalam Jo, dem heiligen Lamalam-See, wo der Regent beim Tod des Dalai Lama Visionen hat, die ihm den Geburtsort der neuen Inkarnation anzeigen. Eine Wirkung der Höhe oder der Müdigkeit? Merkwürdige Farben verschwimmen eigenartig auf der Oberfläche des Sees - mein kritischer Geist gerät ins Wanken.
Drei Tage Marsch vom Lamalam Jo entfernt 1 oder Kang-ti-ssu Shan, 6714 m ( Red.; begegnen wir zum erstenmal einer Inkarnation von hohen Graden, einem Lama Rimpoche-so der Titel dieses Würdenträgerseine von Gastfreundschaft und innerem Frieden bestimmte Begegnung.
Zur Feier unseres Besuches bietet dieser hochrangige Lama jedem von uns drei gesegnete Tsampa-Kugeln an. Grau, voller Finger-spuren und beinah verschimmelt, widerstehen sie mir. Ich tue jedoch so, als ässe ich sie, benutze aber einen Augenblick der Unaufmerksamkeit unseres Gastgebers, um sie in der Tasche zu verstecken. Bald darauf bringt er eine Schale voller gelblichem Joghurt, von dem er uns einen Löffel voll in die Hand gibt. Diesmal komme ich nicht mehr davon.
Dass wir über Pilgerpfade gekommen sind, hat sicherlich zu der ausserordentlichen Gastfreundschaft der Mönche, die uns in ihren Klöstern beherbergen, beigetragen. Da Christine manchmal das Innere der Anlage nicht betreten darf, schlafen wir in solchen Fällen auf einem Balkon, in einem Nebengebäude oder im Dorf, wo die Mönche uns jeweils ein Nachtlager besorgen. Im Kloster weckt mich der fremdartige Klang von Hörnern, Trompeten und Perkussionsinstrumenten, die - nach dem Gebimmel einer Glocke in dem für asiatische Tempel charakteristischen Rhythmus - während des morgendlichen Gottesdienstes in der Haupthalle ertönen. Nach einigen Minuten tiefer Stille setzt die Musik sanft ein, wiederholt sich unermüdlich, ist ergreifend in ihrer Einfachheit. Das modulierte Gemurmel der Mönche vereinigt sich mit dieser Melodie. Ich weiss nicht, kommt es vom Flackern der mit Butter gespeisten Lichter, von der Farbe der Gewänder, den Teppichen, den Fresken oder der wilden Grossartigkeit des Blickes aus den Fenstern, diese Atmosphäre behext und verzaubert mich. Die Mönche zeigen uns mit nai-vem Stolz ihre kostbarsten Schätze, ihre schönsten gemalten Banner - die Thankas -und erzählen uns die wunderbaren Legenden von deren Herkunft.
Wir besuchen die Dämonenkammer eines Klosters, seinen Höhepunkt. Während unser Führer Dutzende von Lichtern anzündet, beobachtet er unsere Reaktion. Im Halbdunkel umgeben uns gigantische rote und blaue Skulpturen. Spinnweben und Opfergaben hängen an gierigen Klauen und bösartigen Mäulern. Jedes der Monster ist mit Ketten aus Schädeln, blutbefleckten Messern und den Eingeweiden seiner Opfer bedeckt.
An einem Tag begleitet uns ein Mönch über mehrere Kilometer. Er hat schon fast tausend Kilometer zurückgelegt, um - nicht mehr weit entfernt - den Winter als Eremit zuzubringen ( Warum sind Sie hier ?) frage ich ihn.
( Die Luft ist reiner. ) ( Und die Kälte des WintersIch habe einen Mantel. ) ( Was werden Sie tunMeditieren. )
Zwei Monate, nachdem wir Lhasa verlassen haben, löst lastende Müdigkeit den Genuss der Einsamkeit ab. Der Marsch durch die Wüste, die eisigen Wildbäche, die staubigen Ebenen und die tiefen, schwindelerregenden Täler haben aus uns Herdentiere auf einem endlosen Weg gemacht.
Hinter uns ein Labyrinth von Pfaden und Tälern, vor uns der Himalaya, ein Sechstausender und Bhutan. Die Gewohnheit zu wandern treibt uns voran, die jungfräulichen Gipfel locken. Wir beraten: Sollen wir noch höher steigen? Oder sollen wir vernünftig sein? An Tsampa als einzige Nahrung haben wir uns inzwischen gewöhnt, unsere physische Kondition könnte kaum besser sein, aber uns fehlen Seile und Steigeisen. Viele Alpinisten würden diesen Grat ohne Ausrüstung besteigen, und wir stehen bereits an seinem Fuss. Ist es Besonnenheit oder Feigheit? Wir verzichten auf die Klettertour und bleiben ( unten ), auf einer Höhe von vier- oder fünftausend Metern, vielleicht kommt noch ein Pass von 5700 m dazu. Unsern Weg überragen hohe Gipfel, die uns verhöhnen, unaufhörlich unsere Lust zum Klettern anreizen; wir haben das schmerzliche Gefühl, etwas verpasst zu haben.
Unser erstes Ziel, das wir nach dreiwöchiger Wanderung erreichten, war der heilige Lamalam Jo. Jetzt, an der Grenze zu Bhutan, direkt südlich von Lhasa und nur einige Marschtage von unserm zweiten Ziel, dem Kloster Sanga Kuta, entfernt, erholen wir uns in einem Tal mit heissen Quellen von den Strapazen unserer Pilgerschaft. Eine Quelle mit fast kochendem Wasser entspringt neben einem Bach, der direkt von den Gletschern kommt. Wir müssen nur einige Steine anders legen und der Strömung folgen oder uns gegen sie wenden, um die richtige Temperatur zu finden.
Unser Zelt ist schnell aufgestellt. Wir haben das Gefühl, in dieser Einsamkeit ein Stück vom Paradies gefunden zu haben.
Im Tal von Lakang dient uns eine durch Bergstürze beschädigte ehemalige Fahrstrasse als Weg. Händler zu Pferd holen uns ein, und wir legen ein Stück des Weges gemeinsam zurück. Wir müssen ihnen von Lhasa erzählen, vom Dalai Lama, und wir müssen ihnen unsere Wanderung erklären.
Victor erkundigt sich nach dem Weg. Die Einheimischen sprechen kein Englisch, doch seine Kenntnisse sowohl des Tibetischen als auch des Chinesischen machen ein Gespräch möglich. Die chinesischen Kartenskizzen und die alten Berichte widersprechen sich oft, aber wenn auch die Dörfer den Namen gewechselt haben oder ganz einfach unbekannt sind, so können doch die Klöster als gute Landmarken dienen. Wir müssen auch die Militärlager und Polizeiposten kennen, die es zu umgehen gilt, weil unsere Wanderungen illegal sind. Dank all dieser Auskünfte können wir den rechten Weg wählen, denn die Täler sind gewunden und der Kompass nützt uns nichts. Anfang November ist die Ernte vorbei, und niemand arbeitet mehr auf den Feldern. Es ist die Zeit der Besuche bei Freunden und der Pilgerfahrten. Bei einigen Umwegen entdecken wir Klöster, die, in der Einsamkeit der Berge verborgen, von der Kulturrevolution verschont geblieben sind.
Unser ( geselliges ) Leben wird jedoch durch einsame Lager in der Nähe eines Baches unter klarem Himmel, durch endlose Nächte, in denen wir gegen die Kälte kämpfen, unterbrochen.
Baumbestände, Wüste oder Schnee: Die Landschaft wandelt sich während unserer Wanderung ständig. Ende November haben die Nomaden die Hochebenen verlassen und uns damit unsern Nahrungsmittelnachschub abgeschnitten. Die Flüsse tauen kaum noch auf, der eisige Wind lässt uns erstarren, wir wechseln auf eine der wenigen Fahrstrassen über, um so schnell wie möglich in die Hauptstadt zurückzukehren.
Um wieder nach Lhasa zu kommen, müssen wir drei und einen halben Tag am Rand dieser Strasse warten: Wir hoffen auf einen Camion, der uns über die 280 km einer in dieser Jahreszeit unbewohnten Ebene bringt. Es gelingt uns nicht, ein Yak zu mieten, und unser Lebensmittelvorrat neigt sich dem Ende zu. Wenn auch die Gastfreundschaft in Tibet keine Grenzen kennt, so ist doch Mitleid unbekannt: Frierst du, bist du erschöpft, kämpfe oder überlass deinen Körper den Geiern! Endlich kommt der Camion - zu seiner Zeit und nach seinem Rhythmus, wie alles in Tibet. Kein Mensch kann durch Willen oder Macht den Lauf der Naturgewalten oder des Lebens ändern, man muss Geduld haben und den Dingen ihren Lauf lassen. Diese dreieinhalb Tage des Wartens haben uns Gelegenheit gegeben, eine Bilanz unserer Wanderung zu ziehen.
Nach drei Monaten wieder in Lhasa -wel-cher Unterschied! Die Kinder tragen T-Shirts von Michael Jackson, einige Nomaden versuchen sich an Kaugummi. Mein ( Aufenthalt im Mittelalter ) liegt weit zurück! Die Zivilisation breitet sich mit Riesenschritten aus, die Ausbeutung der Touristen erlebt eine volle Blüte: Nescafe-Büchsen und Coca-Cola-Flaschen Seite an Seite mit vertrockneten Eingeweiden, Weihrauch und Reliquien.
Tibetische Frauen in traditioneller Tracht spazieren auf dem Platz, bereit, sich auf die amerikanischen oder japanischen Touristen zu stürzen, die sich in Gruppen auf den Markt Dorf in der Gegend von Tingri nahe beim Everest-Basislager wagen. Die Verkaufstechnik ist bereits recht geschickt: Eine Einheimische nimmt ihr Tür-kishalsband ab und erklärt dazu, wie verzweifelt sie sei, diesen Besitz verkaufen zu müssen. Für einige Dollar gibt sie den Schmuck her. Alle sind begeistert, der Tourist, weil er glaubt, den Kauf seines Lebens gemacht zu haben, die Einheimische, weil sie ihre Edelsteine made in Hongkong so gut an den Mann gebracht hat.
Wir verlassen Lhasa, um nach Kathmandu zu fahren. Die Geschäfte auf dem Marktplatz laufen gut. Die Berge von Yakbutter wirken ganz besonders grau und ranzig. Magere Hunde balgen sich um einen Knochen. Ein Dutzend Frauen eilen vorbei, Bettler folgen ihnen. Ein glänzender Bus hält auf dem Platz. Die Coca-Cola-Händler kommen herbeigelau-fen. Ich habe einen Geschmack wie von ge-buttertem Tee im Mund.
Aus dem französischsprachigen Teil. Übersetzt von Roswitha Beyer, Bern