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Wilhelm Ludwig Lehmann. Eine Skizze

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Eine Skizze.

Von Ernst Jenny.

Schon ehe der zum Zürcher gewordene Lehmann ( 1861—1932 ) Architekt wurde, zog ihn die Landschaft zu zeichnerischen und malerischen Studien an. Und als er dann den Architekten preisgab und endgültig den Pinsel ergriff, blieb er noch lange im Banne des baulichen Motivs. Bestand hierin für sein Landschaftsbild eine gewisse Gefahr? Jene Gefahr, das Gefühl für die innere Lebendigkeit der Natur nicht mehr voll entfalten zu können, das Bauliche vor die Landschaft zu stellen und die Landschaft nur als Kulisse, als Hintergrund zu behandeln, wie es einst die barocke Landschaftsmalerei getan? Lehmann entrann dieser Gefahr. Im Grunde fühlte er sich aber zum Landschafter bestimmt und gehorchte immer stärker dieser inneren Berufung, trotz eines nervösen Augenleidens. In Karlsruhe, wo er sich zum Maler auszubilden begann — später lebte er in München —, fasste er unter dem Eindruck der Odysseelandschaften Prellers den Entschluss, einen Zyklus von Landschaften zur Tellsage zu entwerfen; er wollte den Vierwaldstättersee in seiner vielseitigen Schönheit verewigen und als passende Staffage die Figuren aus der Teilsage dazu wählen. Schon damals — um 1889 — offenbarte sich ihm die klare Einsicht, dass ein Landschafter gute Naturbilder nur dann schaffen kann, wenn er im innigsten vertrauten Umgang mit der Natur lebt, wenn er sie immer wieder erlebt. Als frühzeitig selbständiger Kopf mied er bekannte Schauplätze, mied auch die stilistische dekorative Art jener Zeit, « um alles Detail streng der Natur zu entnehmen », auch im Figürlichen. Kohlenzeichnungen und koloristische Bilder entstanden am Seelisberg, im Schächental, bei Göschenen, auf der Grimsel, auf dem Hasliberg.

Je länger je stärker fühlte sich Lehmann vom grossen landschaftlichen Aspekt angezogen und ergriffen. In München, wo er nun jahrelang lebte, lernte er Adolf Stähli und dessen Leidenschaft für die weite, bewegte Landschaft kennen. Das war eine ihm künstlerisch verwandte Natur. Auch hier noch holte Lehmann aus der Architektur feinste Motive für Intérieurs, aber die voralpine Landschaft Bayerns zog ihn machtvoller an. Am Chiemsee und anderswo sah er den mächtigen, farbenerfüllten Luftraum über den welligen Hügellinien mit dem Hintergrunde der Alpen. Hier wurde er zum Maler der Atmosphäre, hier erlebte und erkannte er, wie Luft, Licht und Erde stofflich-natürlich, also auch künstlerisch-malerisch verbunden sind. Viele Gemälde und Studien aus dieser Zeit bezeugen es.

Dieselbe Wirkung übte auf ihn die Landschaft am Greifensee aus, die er im Vorfrühling besonders gern aufsuchte. Über den grossen Wassern entsteht eine Luft von überreicher Farbenfülle. Ihr alle Töne abzulauschen und mit dem Pinsel abzufangen, vom weichen Akkorde bis zur gewaltigen Wolkensymphonie, war Lehmann ein innerstes Bedürfnis. Auch das Kloster Fahr und seine Umgebung an der freundlichen Limmat suchte er gerne auf vom nahen Zürich, das seine Landschaftsbilder — auch die Architekturmalerei — schätzen gelernt hatte. Die Lust, Wasser und Wolken und Erde zu malen, führte ihn in die Normandie, an die Nord- und Ostsee.

Doch längst zog es ihn auch in unsre Alpen. Lehmann liebte die Modelandschaften schweizerischer Alpenmaler keineswegs. Es lockte ihn z.B. nicht ins Berner Oberland, wo einst Calarne, die Meurons und andere so schöne Motive gefunden hatten. Abgesehen davon war ihm auch der Fremdenbetrieb zuwider. Sich auf eine beliebte Plattform pflanzen, leicht verkäufliche Bilder schaffen: blieb seinem Wesen fremd. Er liebte die grosse Stille, die Einsamkeit. Ernst und Schwermut, ein fast düsterer Fleiss und Achtung vor den Geheimnissen der Natur begleiteten ihn. Dazu trug wohl auch seine zarte Gesundheit etwas bei, die ihm verbot, das Hochgebirge aufzusuchen, wie gern er es auch getan hätte. ( Am Säntis stürzte er im September 1893 ab. ) Daher ist der Grundton seines Werkes nicht heiter und sonnig, Humor findet man wenig darin, wohl aber ein subtiles Aufgehen in der Schau der seiner Künstlerseele innerlich entsprechenden Motive. Äusserlich genommen könnte man ihn als unruhige Natur betrachten, denn es ist ein beständiges Ziehen von Landschaft zu Landschaft. Aber sein Respekt vor den möglichen Offenbarungen war zu gross, dass er sich mit flüchtigen Impressionen begnügt hätte. Wenn ihm ein Stück Natur gefiel, dann kehrte er so oft zu ihm zurück und mit solchem Fleiss und solcher Liebe, bis er ihm alles seinem Bedürfnis Entsprechende abgewonnen hatte. Ein Gang durch seine Studien, die seine Gattin in Zürich liebevoll betreut, zeugt genügend davon.

Wo in den Alpen malte er denn? Abgesehen von den schon erwähnten Standorten der Jugend finden wir ihn auf dem Etzel, der Lenzerheide, dem Berninapass, bei Davos, im Glarnerland, am Märjelensee, auf Belalp und im Wallis. Gerne suchte er in seinen letzten Jahren den Rigi auf. Auch hier wieder sein leidenschaftlicher Drang, der Natur alle Stimmungen abzulauschen. Hier entstand das Ölgemälde « Föhnstimmung am Rigi », dessen Wiedergabe dieses Heft ziert. Seine kräftigen Farben von rot zu grün und gelb entfernen sich scheinbar von der gedämpften Tonart der meisten Bilder des Malers. Aber früher schon konnte Lehmann mitunter fast explosiv in Rot und Gelb schwelgen, gewissermassen auf heiteren Stationen seines sonst so ernsten Lebens. Zugleich zeigt das Bild auch den sichern kompositionellen Aufbau, den alle seine grossen Landschaften aufweisen.

Auf Rigi-Scheidegg malte Lehmann sein letztes Bild. Er wollte hier eine Mondnacht schaffen und führte am offenen Fenster den Pinsel. Dabei erkältete er sich, und vierzehn Tage darauf war er tot. Braucht es eines stärkeren Beweises für seine Liebe zu den Alpen mit ihrem unerschöpflichen Reichtum an Gestalten, Farben, Luft und Licht?

Anmerkung: Bilder von Lehmann enthalten Sammlungen in Zürich, Basel, Lugano, Lausanne, Genf, München und Nürnberg. Vier Deckengemälde zieren den Bundesratssaal zu Bern.

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