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Wunschbild Cerro Torre

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Daniel H. Anker, Kehrsatz BE

Weit weg im stürmischen Patagonien soll er stehen: der ( schwierigste Berg der Erde ). Weniger klettertechnische Probleme als extreme Witterungsverhältnisse und dramatische Berichte von ungezählten erfolglosen Besteigungsversuchen haben ihm zu diesem Ruf verholfen. So schreibt Reinhard Karl über den Cerro Torre: .

Als Thomas Wüschner und ich Ende November 1983 am Fuss der Berge eintreffen, scheinen sich unsere Vorstellungen von Patagonien zu bewahrheiten. Die Granitzacken verbergen sich hinter einer Wolkenwand, und zum obligaten heftigen Wind gesellt sich leichter Regen. Ausserdem stellt sich heraus, dass wir vergessen haben, in Calafate die Aufenthaltsbewilligung für den Nationalpark Las Glaciares einzuholen, in dessen Gebiet sich Fitz Roy und Cerro Torre befinden. Der Parkwächter kommt deswegen etwas in Verlegenheit. Er vertröstet uns auf manana, dem ersten spanischen Wort, das ich erlerne. Sollten wir nun genötigt sein, die 250 Kilometer Naturstrasse nach Calafate nochmals zurückzufahren, quer durch die öde und trockene Pampas !? Bereits hatten wir nämlich, beladen mit unserem Klettermaterial und dem Essen für vierzig Tage, ein Taxi nehmen müssen, um jetzt, während der Zwischensaison, überhaupt hierher zu gelangen - ein teurer Spass. Auch die Verabredung mit den beiden andern Expeditionsteilnehmern hatte nicht ganz geklappt.

In Rio Gallegos, wo wir alle Esswaren einkauften, suchten wir während drei Tagen vergeblich nach ihnen. Weil uns dann aber schleierhaft blieb, wo sie sich in einer solchen Provinzstadt amerikanischen Musters verbergen könnten, machten wir uns schliesslich zu zweit statt zu viert auf den Weg in Richtung Berge. Und jetzt sind wir am Ziel: mit unserem Gepäck, aber ohne Bewilligung und ohne Kollegen! Es folgen zwei Tage der Entspannung, jedoch begleitet von Ungewissheit. Zeit, um sich auf die neue Umgebung einzustellen, auf den Beginn des Sommers, den ewig wehenden Wind, den steten Wechsel zwischen Son- Photo Danial H Anker nenschein und leichtem Regen - nur während vier bis fünf Tagen pro Monat soll hier schönes Wetter herrschen. Dazu der Blick nach Osten auf die ausgedörrten Ebenen, während sich im Westen die Hügelzone mit ihren grünen Wäldern abhebt. Dahinter lässt sich in kurzen Aufhellungen die frischverschneite Gebirgskette sehen.

Am 29. November werden wir mit einem Schlag aus unserem ruhigen ( Dasein ) gerissen. Wir erhalten die Bewilligung, und ein Taxi mit zwei Schweizerdeutsch sprechenden ( Typen ) fährt vor. Mit Paul Nigg und Jürg Schumpf ist unsere Expeditionsmannschaft endlich komplett und der Weg frei für eine Besteigung. Kurze Zeit später glauben wir uns ins Theater versetzt, als sich binnen einer hal- ben Stunde der ganze Wolkenvorhang über den Bergen auflöst. Bis die Dunkelheit einfällt, hört man aus allen Ecken des Zeltplatzes das ständige Klicken der Photoapparate. Angesichts dieses bezaubernden Panoramas glaube ich zu begreifen, warum viele Expeditionen monatelang verbissen versuchen, den Fitz Roy oder den Cerro Torre zu erklettern. Dominierend der eine durch seine Masse, be- ;"^f?'".?ifîf.

stechend der andere durch seine Eleganz, bestehen beide aus diesem herrlichen, rötlichen, verlockenden Granit — schon beginne ich zu träumen. Wenn das Wetter jetzt drei Tage so bleiben würde... Meine neugewonnene innere Ruhe ist wie weggeblasen, und für die nächsten drei Wochen packt mich das Gipfelfieber. Tatsächlich - bereits am zweiten Dezember um siebzehn Uhr dreissig stehen Thomas Wüschner, Paul Nigg und ich auf dem Gipfel des Fitz Roy. Einige grosse Wolken verstärken den Eindruck des gewaltigen Tiefblicks hinunter zu den hellblauen Seen, dem Basislager zu unseren Füssen und den unendlichen, staubtrocke-nen Ebenen. Gegen Chile dehnen sich riesige Gletscher mit einigen faszinierenden Skigipfeln, und in der Ferne ahnt man die Weite des Meeres. Unser Blitzeinsatz hat sich gelohnt. Zuerst der anstrengende Marsch ins Basislager am Rio Bianco mit überschweren Rucksäcken. Dann gestern der Aufstieg im Schneegestöber zum Col de Siila, und heute der bombenfeste Granit der Chouinardroute, der Kampf mit den Schneeverzierungen an den Gendarmen - jetzt stehen wir auf dem Gipfel; ein Traum, der Realität geworden ist und bereits wieder zu verblassen beginnt... Aber halt! Noch sind wir nicht vom Berg zurück, der rasche Erfolg will erst verdient sein. Im Abstieg holt uns einer der gefürchteten Pa-tagonienstürme ein. Um Gewicht zu sparen, haben wir nur den Biwaksack dabei... Bei Windböen von über 100 Kilometern in der Stunde und Schneegestöber verbringen wir eine schlaflose Nacht. Am nächsten Morgen ist das Wetter nicht besser, doch wir müssen weiter absteigen. Die Seile verfangen sich und müssen mühsam befreit werden; Schnee verklebt ständig die Sichtgläser unserer Skibrillen - wann endlich erreichen wir den Wandfuss? Aber schliesslich überstehen wir auch diese Härteprobe und könnten nun eigentlich zufrieden sein. Andere Bergsteiger warten immer noch auf besseres Wetter oder trauern ihrer Ausrüstung nach, die ihnen der Sturm der letzten Nacht beim Biwak auf dem Col de Siila entführt hat. Während der nächsten zwei Wochen folgen sich fast regelmässig ein Tag schönes und ein Tag schlechtes Wetter. An- Über den Bäumen unser Ziel dere Gipfelanwärter nutzen allerdings diese Wetterbesonderheit nicht und hoffen immer auf zwei aufeinanderfolgende Schönwettertage. Wer jedoch Winterbesteigungen in den Alpen durchgeführt hat, ist gut vorbereitet für Patagonien und kann auch einmal starten, wenn das Wetter schlecht und die Verhältnisse nicht optimal sind.

Nach einem Ruhetag übermannt uns bereits wieder die Lust auf weitere Besteigungen.

1 Meistens versteckt sich der Cerro Torre in den Wolken. Man erkennt aber noch den obersten Schneefleck an der Kante, wo die eigentliche Kletterei beginnt 2In der 3. Seillänge am Cerro Torre. Auf den Bändern liegt noch Schnee...

3Die Hakentraverse in den Kamin Während sich Paul und Jürg für eine Skirundtour über das Kontinentaleis rüsten, erklimmen Thomas und ich bei bestem Wetter die Aguja Guillaume! Nach diesem zweiten, ebenso überraschenden Erfolg erwacht in uns der Wunsch, auch den Cerro Torre einmal etwas aus der Nähe zu betrachten. Mit gemischten Gefühlen lesen wir mehrmals den Bericht von Steve Brewer über die Maestriroute. Der richtigen Materialwahl kommt eine grosse Bedeutung zu. Dabei erinnern wir uns daran, wie die Seile am Fitz Roy anstatt der Schwerkraft zu gehorchen, vom Wind weit nach oben ge- tragen wurden und sind nun froh, über einen Hundert-Meter-Strick ( 9 mm ) zu verfügen. Was aber braucht man noch? Viele Haken -oder genügen Friends und Klemmkeile zur Absicherung? Als Cesare Maestri 1970 diese Route im Alleingang mit Hilfe einer Bohrmaschine erstmals erkletterte, schlug er die obersten Haken wieder ab, um den Nachfolgern zu beweisen, dass die Bohrhaken notwendig sind. Für diese Problemseillänge nehmen wir einige Minihaken und zwei Copperheads mit, obwohl eigentlich das Material der amerikanischen Zweitbegeher noch stecken sollte. Wir entschliessen uns für einen Blitzangriff und nehmen nur Nahrungsmittel für sechs Tage mit. Trotzdem schleppen wir am nächsten Tag erneut einen schweren Rucksack ins Basislager, wobei uns selbst der schönste Blick auf den Torre nicht viel hilft. Endlich erreichen wir die auf der Moräne oberhalb der Laguna Torre im Wald stehende Hütte. Allerdings nur ein Unterschlupf aus Holz und Plastik, das Gemeinschaftswerk unzähliger Bergsteiger, die hier während Tagen und Wochen auf besseres Wetter warteten. Am nächsten Morgen haben wir keinen besonders grossen Auftrieb, um so weniger, als der Cerro Torre bis zum Sattel in den Wolken steckt. Am liebsten würde ich einen Ruhetag einschalten. Da ist aber noch der bekannte italienische Kletterer Armando Aste, der den Torre im Alleingang erklettern möchte. Obschon ihm fast die ganze Bergausrüstung auf der Reise gestohlen wurde, will er heute mit uns zum Wandfuss kommen. Endlich habe auch ich fertiggepackt, und gemeinsam marschieren wir los. Immer noch liegt der Torre etliche Kilometer entfernt. Zuerst führt uns die Pfadspur über Geröllhalden dem Hang entlang. Dann suchen wir unseren Weg durch den gewellten, schuttbedeckten Gletscher. Ewig scheint es auf und ab zu gehen. Die Wunden über den Fussgelenken schmerzen, der Rucksack drückt unverhältnismässig schwer auf die Schultern, und trotz des kalten Windes schwitze ich stark unter meiner Nylon-bluse. Warum plage ich mich nur so ab? Ich rede mir ein, all dies sei gar nicht so schlimm, denn zweitausend Meter weiter oben warte ja der Gipfel des Cerro Torre.

Endlich können wir den Gletscher verlassen, und nun geht es auch steiler empor. Über Schneefelder und einen weiteren Gletscher gewinnen wir rasch an Höhe. Und jetzt trennt uns noch eine fünfhundert Meter hohe, steile und kombinierte Wand vom Col, wo sich der eigentliche Einstieg befindet. Ohne viel zu überlegen, nehmen wir die direkte Linie zum Felspfeiler, der oben als logische Route zum Col führt. Wir klettern im Zick-Zack aufwärts und versuchen, den senkrechten Eiswänden möglichst auszuweichen. Manchmal versinken wir bis zu den Knien im Pappschnee, worauf wieder Stellen mit Blankeis folgen. Armando besitzt nur noch seine Kletterschuhe mit schlecht angepassten Steigeisen. Er verzichtet auf einen Besteigungsversuch und kehrt zum Basislager zurück. Der felsige Pfeiler zwingt uns nun zum Anseilen und Sichern.

Es existieren zwar Fixseile, aber diese hängen nicht immer an den geeigneten Stellen, zudem darf man ihrer Qualität kaum mehr viel Vertrauen schenken. Am späten Nachmittag erreichen wir die Schneefelder des Sattels. Wo befindet sich wohl die verschiedentlich beschriebene gute Biwakhöhle? Wir möchten nicht allzulange an diesem ausgesetzten Ort verweilen, denn ein kalter Wind durchdringt unsere Kleider; dazu schneit es leicht. Wir suchen Unterschlupf im Bergschrund. Thomas verschwindet gesichert darin, und kurz darauf kann ich mit den Rucksäcken folgen. Etwas seitwärts entdecken wir einen überdachten Raum, wo wir beide bequem liegen können -die ersehnte Höhle! Ein an einem Eishaken aufgehängter Sack mit Esswaren zeigt uns, dass wir nicht die ersten da unten sind. Wir befestigen eine Wäscheleine und Thomas nimmt den Kocher in Betrieb. Doch einmal mehr muss er die Düse reinigen, denn das patagonische Normalbenzin verstopft alle Löcher. Unsere Stimmung ist gehoben: trotz schlechten Wetters sind wir heute bis hier hinauf gekommen und sitzen jetzt an einem geschützten Ort. Während der ganzen Nacht hören wir draussen den Schneesturm heulen.

Es wird hell. Nach mehrmaligem Hinauszö-gern stehe ich endlich auf und steige, die kalten Schuhe an den Füssen, dem Ausgang der Höhle zu, um nach dem Wetter zu schauen. Ein Blick ins Freie genügt, und ich kann mich erleichtert wieder in den warmen Schlafsack legen. Wir besitzen genügend Esswaren, so dass wir zwei Tage warten können, und ein Ruhetag schadet uns gewiss nicht. Wir bleiben den ganzen Tag in unserer ( Unterkunft ). Nur von Zeit zu Zeit steht einer auf, um nach dem Wetter zu sehen und den Neuschnee abzuleiten, damit ich nicht zugedeckt werde. Zum Nachtessen gibt es Mais und als Luxus-zugabe eine halbe Salami. Danach kochen wir gutgezuckerten Tee - und die Pfanne ist wieder sauber für das Morgenessen.

Bis jetzt hat sich das Wetter noch nicht viel gebessert, doch trotzdem werden wir morgen - wenn immer möglich - einen Besteigungsversuch unternehmen, gehören doch Warten "'î'ISSft''F1"* Sund Untätigkeit zu den schlimmsten Feinden in Patagonien. Am nächsten Tag: immer noch weht der Wind. Aber immerhin können wir durch die Spalte ein Stück blauen Himmel erkennen. Also gehen wir los! Bezüglich des Materials beschränken wir uns auf das Wichtigste, trotzdem müssen wir zwei Rucksäcke mitnehmen. Diesmal kommen die Schlafsäcke anstelle des Biwaksackes mit sowie Essen für drei Tage. Dies, damit wir nötigenfalls noch einen Tag auf besseres Wetter warten können. Nach Verlassen unserer Biwakhöhle empfängt uns die Sonne, allerdings ist es noch recht kühl. Bereits in der ersten Seillänge geraten wir jedoch rasch ins Schwitzen. Die untersten hundertfünfzig Meter sind zum Teil mehrfach mit Fixseilen behängt. Wir dürfen somit auswählen, welches wir zur Jümar-Sicherung beim Klettern benützen wollen. An einigen Stellen ist der Fels von einer Eiskruste überzogen, so dass meine neuen einer harten Bewährungsprobe ausgesetzt werden. Bis zum Gipfel ziehe ich meine Eisen nur zum Schlafen aus; selbst das Klettern mit den ( Leiterli ) in den künstlichen Seillängen bietet keine besonderen Probleme. Je höher wir gelangen, desto weniger von anderen zurückgelassenes Material weist uns den Weg. Während zuunterst überall Seile herumhän-gen und Dutzende von Haken von unterschiedlichen Verhältnissen und verzweifelten Rückzügen erzählen, findet man weiter oben schöne Freikletterstellen, die eben die nötige Absicherung aufweisen. Wir beginnen bereits zu ahnen, dass wir unsere Keile, Friends und Haken vergeblich hochschleppen.

Zwischen den Steilaufschwüngen dieser tausend Meter hohen Kante finden sich stets wieder flachere Teilstücke mit Schnee und kombiniertem Gelände. Gespannt halten wir Ausschau nach der berühmten Hakentraverse hinüber in den grossen Kamin, der den gewaltigen, kompakten Plattenpanzer durchzieht. Dort angelangt bin ich allerdings überrascht, dass die Bohrhakenleiter, statt waagrecht, zuerst schräg aufwärts zieht und gegen achtzig Meter lang ist. Von hier an hat also Maestri seine Bohrmaschine eingesetzt. Später, beim Abstieg, stellen wir dann fest, dass weiter rechts ein Riss hochführt, der aber zum Freiklettern mit Doppelschuhen und schweren Kleidern nicht geeignet ist. Wir wollen möglichst rasch zum Gipfel und folgen deshalb der vorgezeichneten Route. Die Angst vor einem Wettersturz sitzt ständig im Nacken -wir haben unsere Erfahrungen am Fitz Roy gemacht!

Baumgerippe: Schönheit nach dem Tod Um Zeit zu gewinnen, steigt in allen schwierigen Seillängen der Zweite mit dem schweren Rucksack vermittels der Jümarklemmen nach. Gegen Abend erreichen wir die Eistürme auf gut zwei Drittel Kantenhöhe. Jetzt erkennen wir zwischen den Eispilzen ein steiles Eiscouloir, das wir bald über eine kurze, senkrechte Stufe erreichen. Wo der Grat wieder felsig wird und sich senkrecht aufsteilt, queren wir nach links in die Begrenzungswand. Unter der nächsten Bohrhakenleiter hacken wir uns einen Platz aus dem Eis - es wird Zeit fürs Biwak, und weiter oben scheint sich keine ebene Stelle mehr anzubieten. Zudem hat sich der Himmel erneut überzogen und Schneefall eingesetzt. Trotz Müdigkeit sind wir optimistisch, denn zur Abwechslung funktioniert der Kocher Morgenstimmung am Cerro Torre und wir wissen, dass uns ein halber Tag mit gutem Wetter genügt, um den Gipfel zu erreichen. Gegen Mitternacht muss ich frische Luft schnappen. Beim Blick aus dem Schlafsack erlebe ich eine beruhigende Überraschung: Wolkenschwaden hängen an den umliegenden, vom Mond unterschiedlich beleuchteten Gipfeln und tausendfünfhundert Meter senkrecht unter mir erkenne ich den schuttbedeckten Gletscher. Als ich das nächstemal erwache, herrscht bereits eine phantastisch farbenprächtige Morgenstimmung. In Patagonien lässt Morgenrot aber nicht unbedingt auf einen Schlechtwettereinbruch schliessen. Wir sind nur froh, dass es nicht schneit und stürmt. Doch wie stets stellt sich die bange Frage, wie lange es wohl noch so bleiben wird? Wenn bloss im Abstieg kein Wind aufkommt! Nach einem stärkenden Frühstück mit . Im Hintergrund die Laguna de los Très Haferflocken und Kakao starten wir zur nächsten Seillänge. Maestri hat wirklich seriöse Arbeit geleistet: die Haken folgen sich in regelmässigen Abständen und wirken vertrauenswürdig. Ab und zu muss man allerdings zuerst etwas Eis wegschlagen, bevor der Fiffi eingehängt werden kann. Jeden fünften Haken benützen wir als Zwischensicherung, damit unsere Karabiner eben für eine Seillänge ausreichen.

Ein kurzer, schmaler Schneegrat führt uns unter die Gipfelwand. Anfänglich kleben an dem sich hundert Meter aufbäumenden Plattenschuss noch hohltönende Schuppen, doch schlug Maestri hier sichere Bohrhaken, was ich jetzt mit Dankbarkeit registriere. Aha, dort oben hängt ja auch der berühmte Kompres- sor, Zeugnis von Maestris unglaublichem Alleingang. Es erweist sich als nicht so einfach, das Ding zu überklettern, ohne dass die daran haftenden Eisverzierungen direkt auf den sichernden Kameraden hinabfallen. Dafür steht man dann auf der Maschine, die nun als ( Standplatzboden ) dient, um so besser. An einem Haken ist sogar noch die Seilwinde befestigt, mit der Maestri die ganze Ausrüstung und den schweren Kompressor nachgezogen hat. Wie lange aber werden die Reepschnurstücke das beträchtliche Gewicht noch aushalten können? Ich jedenfalls möchte nicht in dieser Wand klettern, wenn anstelle von Eisstücken plötzlich fünfzig Kilo Eisen heruntergesaust kommen! Jetzt folgt wohl die sogenannte Bridwell Seillänge? Wirklich, Maestri hat sich die richtige Stelle ausgesucht, um die Bohrhaken wieder abzuschlagen. Diese letzten zwanzig Meter sind wahrscheinlich die einzige Stelle, wo ohne Bohrer kaum hochzukommen ist. Laut Angaben soll Bridwell bei der Zweitbegehung vor fünf Jahren kleine Minihaken neben die abgeschlagenen Stifte gesetzt haben. Bald erkennen wir, dass dies nicht zutrifft. Bridwell bohrte vielmehr kleine Löcher, schlug kurze Aluminiumnieten hinein und befestigte daran dünne ( Schuhbändel>. Das nenne ich schon ein gehobeneres Niveau künstlicher Kletterei, wenn der Fiffi von Zeit zu Zeit mit viel Feingefühl auf die Niete gelegt werden und man die Leiter bis zur obersten Sprosse hochklettern muss, um überhaupt den nächsten zu erhaschen. Wie ich dabei feststelle, hat Bridwell auf klein gewachsene Kletterer wie mich nicht eben viel Rücksicht genommen. Immerhin steckt zur moralischen Erleichterung hin und wieder ein Normalhaken, und zum Abschluss folgt ein sicherer Bohrhakenstand, den zwei Italiener, die den Torre drei Wochen vor uns bestiegen, eingerichtet haben. Der Weiterweg scheint klar. Noch fünf Meter über steiles Eis, und dann leitet ein mässig geneigter Schneehang links um den Eispilz herum zum Gipfel. Jedoch hat die Sonne, die von Zeit zu Zeit zwischen den Wolken erscheint und sofort eine grosse Wärme entwickelt, das Eis faul werden lassen. Weder links noch rechts bietet sich eine Umgehungsmöglichkeit an. Nach längerem zeigt sich aber unter dem bröckligen Eis ein rettender Riss. Geschafft! Von hier kommen wir problemlos um den überhängenden Eispilz herum zum höchsten Punkt, zum Gipfel! Ich kann es kaum glauben: wir stehen wirklich oben auf dem Cerro Torre, und kaum ein Windhauch fühlbar! Zuerst photographieren wir das gewaltige Panorama und warten, bis der Fitz Roy sich bequemt, für kurze Zeit aus den Wolken aufzutauchen. Danach essen wir etwas Schokolade und Salznüsse und sitzen gemütlich auf der ebenen Gipfelfläche. Uns ist klar geworden, dass der Streit vieler ( kompetenter ) Alpingrössen, ob Cesare Maestri den Gipfel des Torre über diese Route wirklich betreten hat, beim atemberaubenden Tiefblick über die tausend Meter abfallende Kante völlig gegenstandslos wird. Nach Bewältigung der letzten schwierigen Felspassage war für Maestri der Gipfel erreicht; selbst wenn er - wie vielfach behauptet wird - die letzten technisch unschwierigen Meter nicht erstiegen haben sollte. Mit Sicherheit hätte er auch diesen Teil geschafft.

Nach einer herrlichen Gipfelstunde fällt es uns nicht leicht, den Abstieg in Angriff zu nehmen. Tatsächlich verklemmt sich schon bei der ersten Abseilstelle das Seilende derart, dass wir es nicht mehr abziehen können. So gelange ich in den - zweifelhaften - Genuss, diese oberste und heikelste künstliche Seillänge nochmals klettern zu können. Von nun an kommen wir zum Glück rascher voran. Thomas lässt mich jeweils am Doppelseil hinunter, dann klinkt er das Seil in den Karabiner an der Abseilstelle und folgt nach. Wir erreichen den Biwakplatz der vergangenen Nacht, nehmen das hier deponierte Material, und weiter geht es Seillänge um Seillänge abwärts dem Col entgegen. Mehrmals scheint es uns fast an ein Wunder zu grenzen, dass die Seile sich nicht verfangen. Nur einmal muss Thomas an einem der alten Fixseile hochjümaren, um unser Seil zu befreien. Am Abend erreichen wir müde aber sehr zufrieden das heimelige Spal-tenbiwak. Das Schlimmste liegt hinter uns, und wir brauchen uns nicht mehr zu beeilen: morgen ist auch noch ein Tag. Kaum vermögen wir es zu fassen: am nächsten Morgen empfängt uns das schönste Wetter, und es wird sogar noch weitere zwei Tage so bleiben. Wenn man solche aussergewöhnliche Schönwetterperioden nur voraussehen könnte! Wir lassen uns nun Zeit und erreichen erst am späten Nachmittag das Basislager. Dort werden wir von Armando und seinem jungen Begleiter herzlich empfangen und gleich mit vielen leckeren Esswaren vollgestopft. Langsam lässt meine innere Spannung nach. Eine Tour, an die ich kaum im Traum gedacht habe, ist unverhofft Wirklichkeit geworden.

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